Magie heute - Berichte aus der Praxis
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Über dieses E-Book
In diesem faszinierenden Buch sprechen sie vorbehaltlos über ihre Erfahrungen und Erlebnisse, über ihre Fehler und Erfolge, ihre Einsichten und Erkenntnisse und vor allem darüber, wie die praktische Magie und die Auseinandersetzung mit ihren vielfältigen Aspekten noch immer ihr Leben bereichert - und wie sie das auch für Sie tun kann! Praktische Hinweise fehlen hier ebensowenig wie originelle Überlegungen, die sowohl dem Anfänger als auch dem Fortgeschrittenen einen überaus reichen Fundus neuer, weiterführender Perspektiven erschließen.
Das Werk befasst sich mit Geschichte und Funktion magischer Orden und Geheimbünde, mit Telepathie im Alltag, mit der Buchstabenmagie von Rudolf von Sebottendorf, Johann Baptist Kerning, Karl Kolb und Gustav Meyrink, mit Germanenorden, Thule-Gesellschaft und Ariosophie, mit Nationalsozialismus und Okkultismus, mit Templern, Assassinen und Derwischorden, mit der Ghost Dance-Bewegung, mit Volksmagie und Gelehrtenmagie, hoher und niederer Magie, mit Freimaurerei, Rosenkreuzern und Templern, Voudon, Magie und Naturwissenschaft, Cybermagie, Magie und Politik, mit magischem Heilen und Hermetik, Homöopathie und Spagyrik, mit Parapsychologie, mit Aleister Crowley und Samuel L. McGregor Mathers, mit Magie und Astrologie, mit Wicca und Hexerei, mit dem Kraftfeld und dem Egregor magischer Bruderschaften, mit magischen Spezialstreitkräften, mit Magie, Zufall und probabilistischer Zauberei, mit Theurgie und gnostischer Philosophie, mit Clanwesen und -totems, mit Sufismus und afrikanischer Magie, mit der Golden Dawn, dem Magischen Pakt der Illuminaten von Thanateros (IOT) sowie der Fraternitas Saturni, mit Cagliostro, mit magischen Landkarten, schließlich auch mit der Eismagie und der Magie als Akt der Revolte und bietet ferner die Biografie eines zeitgenössischen Magiers.
Frater V. D.
Frater V. D. ist Schriftsteller, Dichter und Magier. Er hält einen Magistergrad der Universität Bonn in den Fächern Vergleichende Literaturwissenschaft, Englische Literatur und Lusitanistik. Mitbegründer des Bonner Arbeitskreises Experimentalmagie. Als Begründer der Pragmatischen Magie, der Eismagie sowie als Mitbegründer des Magischen Pakts der Illuminaten von Thanateros (IOT) zählt er zu den anerkanntesten praktischen Magiern und zeitgenössischen okkultistischen Autoren Europas. Er befasst sich seit über 50 Jahren mit den praktischen Aspekten des Okkultismus im Allgemeinen und mit der Magie im Besonderen. Langjährige Tätigkeit als Übersetzer und Dolmetscher, Autor von über 40 Büchern, von denen zahlreiche mittlerweile als Klassiker gelten, darunter Schule der Hohen Magie, Geldmagie, Sexualmagie, Der magischen Schutzschild, Wo leben die Dämonen? und Sigillenmagie in der Praxis. Seine Werke wurden in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt, darunter Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Estnisch und Japanisch. Er ist bekannt für seinen undogmatischen Zugang zu den Schwarzen Künsten. Übersetzte unter anderem Werke von Peter Carroll, Ramsey Dukes sowie Aleister Crowleys Buch der Lügen. Gründungsmitglied des Bonner Arbeitskreises Experimentalmagie.
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Buchvorschau
Magie heute - Berichte aus der Praxis - Frater V. D.
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autoren noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gemachten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
Inhalt
Einleitung: Magie in der Gruppe. Der Bonner Arbeitskreis Experimentalmagie
Kapitel 1
Frater V∴D∴: Volksmagie vs. Bibliotheksmagie: Genetik oder Aufklärung? Von Niederer, Hoher, Schwarzer und Weißer Magie
Magie und Religion: Henne oder Ei?
Aberglaube, Schamanismusforschung und Volksmagie
Schriftkultur und westliche Magie
Die vexierende Talentfrage
Magische Spezialstreitkräfte
Synergien
Kapitel 2 Harry Eilenstein: Mein Weg von der Wunsch-Magie zur Da’ath-Magie
Kapitel 3 Frater V∴D∴: Den Arm der Zufalls beugen: Ab wann ist Magie tatsächlich Magie?
Probabilistisches Zaubern
Kapitel 4 Josef Knecht: Verschiedene Perspektiven im magischen Denken und Erleben
Kapitel 5 Axel Büdenbender: Biografie eines zeitgenössischen Magiers
Kapitel 6 Harry Eilenstein: Bewusstseinszustände
Kapitel 7 Frater V∴D∴: Der Fetisch der Legitimierung oder die magische Vereinsmeierei.....
Die Golden Dawn – der korrumpierte Mythos
„Alt = gut" in der Antike
Übertragungslinien
Freimaurer, Rosenkreuzer, Templer
Blühender okkulter Patenthandel
Der experimentelle Weg
Tradition und Tinnef, sowie: die Meisterfrage
Kapitel 8 Harry Eilenstein: Telepathie für den Alltag
Kapitel 9 Josef Knecht: Einige Fragen zur Magie
Kapitel 10 Frater V∴D∴: Was magische Orden definitiv nicht (mehr) sind
Magische Geheimbünde historisch
Die ehrwürdige Golden Dawn: eine terroristische Organisation des 19. Jahrhunderts?
Altägyptens Priesterschaft
Die Freimaurer
Germanenordenund Thule-Gesellschaft
Templer, Assassinen, indische Kriegermönche
Die Ghost-Dance-Bewegung
Die türkischen Derwischorden
Voudon auf Haiti
Mau-Mauund Simbas in Kenia
Der Argwohn der Orthodoxie
Was heißt das überhaupt, „geheim"?
Der magische Orden als Lebensakademie?
Der magische Orden als Leihbücherei?
Das Kraftfeld
Freistilmagie kontra magische Orden?
Ein Fazit
Kapitel 11 Harry Eilenstein: Da’ath-Magie
Kapitel 12 Josef Knecht: Magisches Heilen in der hermetischen Tradition
Kapitel 13 Frater V∴D∴: Einige Fragen zur Magie
Kapitel 14 Harry Eilenstein: Fehler in der Magie
Motivation
Forschung
Absehbare Folgen
Symbolik
Struktur und Entwicklung
Sinnvolles Vorgehen
Kapitel 15 Harry Eilenstein: Einige Fragen zur Magie
Kapitel 16 Josef Knecht: Das Problem an der Magie ist nicht, ob sie funktioniert,sondern dass sondern dass sie funktioniert
Kapitel 17 Harry Eilenstein: Magie und Naturwissenschaft
Kapitel 18 Die deutsche Buchstabenmagie Entstehungsgeschichte, Systeme und Erfahrungsberichte aus der Praxis
Frater V∴D∴: Die Orientalisierung einer westlichen Magietradition
Rudolf von Sebottendorf: Zur historischen Einordnung von Autor und Werk
Sebottendorfs Vorläufer im 19. Jahrhundert
Harry Eilenstein: Das Sebottendorf-System
Dauer
Die Formeln
Die Handhaltungen
Die Griffe und ihr Gebrauch
Die Vorarbeit
Die Hauptarbeit
Die Nacharbeit
Hinweise von Sebottendorf
Schematische Übersicht der Arbeit
Harry Eilenstein: Das Zeisel-System
Harry Eilenstein: Erfahrungsbericht (Zeisel-Methode)
Frater V∴D∴: Erfahrungsbericht (Sebottendorf-Methode)
Axel Büdenbender: Erfahrungsbericht (Zeisel-Methode)
Kapitel 19 Harry Eilenstein: Magische Kartierungen
Kapitel 20 Frater V∴D∴: Modelle der Magie in der Praxis
Das Geistermodell
Das Energiemodell
Das psychologische Modell
Das Informationsmodell
Das Metamodell
Zur Veranschaulichung: Ein Dialog
Hinweise zur praktischen Anwendung
Weiterführung
Kapitel 21 Josef Knecht: Politische Dimensionen der Magie
Kapitel 22 Frater V∴D∴: Der Magier in der Revolte – Ohnmacht als Skandal
Kapitel 23 Harry Eilenstein: Magie und Astrologie
Kapitel 24 Frater V∴D∴: Weshalb Magie nichts für Menschen ist
Die Autoren
Werke der Autoren
Es gibt nur zwei Dinge zu tun — das Notwendige und das Unmögliche.
Ibn ’Arabi
Einleitung
Magie in der Gruppe. Der Bonner Arbeitskreis Experimentalmagie
Magier wollten wir sein, Zauberer werden. Und einigen von uns scheint es sogar gelungen zu sein. Vielleicht auch allen? Wir wissen es nicht genau, stehen nur noch teilweise in Kontakt miteinander. Vier von denen, die es tun, haben das vorliegende Buch gestaltet.
Ende des Jahres 1979 kamen in der kurz zuvor eröffneten Bonner Horus-Buchhandlung ein gutes Dutzend Menschen zusammen, die sich bei allen Unterschieden, was Herkunft und Biografie, Lebenserfahrung und Weltanschauung anging, in einem Punkt einig waren: Sie interessierten sich für die Experimentalmagie und wollten den Versuch wagen, dieser gemeinsam praktisch wie theoretisch nachzugehen.
Vom Alter her waren sie zwischen Mitte 20 und Anfang 30, das Verhältnis Männer zu Frauen war fast ausgewogen. In der Mehrzahl waren sie Studenten, allerdings verteilt auf die unterschiedlichsten Fächer: Ägyptologie, Anglistik, Ballett, Biologie, Germanistik, Indologie, Literaturwissenschaft, Medizin, Physik, Soziologie und Vergleichende Religionswissenschaft. Hinzu kamen drei Teilnehmer aus krankenpflegerischen Berufen, darunter eine Koreanerin und ihr deutscher Ehemann. Ein Teilnehmer arbeitete gerade an seinem Magister-Abschluss und betrieb parallel dazu als Geschäftsführer die erwähnte Buchhandlung, darf also zugleich als Buchhändler gezählt werden, ebenso seine beiden noch im Studium befindlichen Kompagnons, die gleichfalls den Arbeitskreis mitbegründeten.
Die Gruppe setzte sich zusammen aus zwei Ehepaaren (ein weiteres Paar sollte kurz nach der Gründung ebenfalls heiraten), aus Mitgliedern, die schon länger miteinander befreundet waren, aus Lebenspartnern und Singles. Alle trafen sie in dieser Gesamtzusammensetzung zum ersten Mal aufeinander.
Auch der magische Hintergrund der Beteiligten hätte unterschiedlicher nicht sein können. Vom blutigen Anfänger bis zum erfahrenen Bardonianer, von der Expertin für magisches Kräuterwissen und Mythologie über die akademische Tantrismus-Forscherin, den Wicca-Kenner und den Sigillenmagier, den Runen-Vitki und den Kundalini-Yoga-Adepten verteilte sich der Erfahrungsschatz und das Wissen der Gruppe, jeweils bezogen auf einzelne oder mehrere Mitglieder, auf solch unterschiedliche Gebiete wie Runenmagie, die neuhermetische Golden-Dawn-Tradition, Astrologie, Radiästhesie, Naturmagie, altägyptisches Heka, Talismantik, kabbalistische Magie, freimaurerische Symbolik, Telepathie und Parawissenschaften, mittelalterliche Alchemie, Sufismus, afro-karibische Besessenheitskulte, östliche Weisheitslehren von der vedantischen, meist etwas irreführend als „Hinduismus" bezeichneten Religion über den Buddhismus bis zur Yoga-Philosophie, Mantramistik, westliche magische Bünde und Orden, Sexualmagie, die Tradition des deutschen Okkultismus der Zwischenkriegszeit sowie zahlreiche weitere Themen.
Zweifellos war vieles davon zunächst kaum mehr als angelesenes Halbwissen, doch genau darum ging es ja auch: diese vielfältigen Impulse aufzugreifen und in praktische Erfahrung zu überführen. Insgesamt war der Grad der magischen Belesenheit jedenfalls überdurchschnittlich hoch. Hinzu kam ein nicht zu unterschätzender Fundus reicher praktischer, unterschiedlichster Erfahrung einzelner Mitglieder, von dem schließlich alle gemeinsam profitieren sollten. Zudem sollte sich die anstehende magische Arbeit und praktische Fortbildung der meisten Teilnehmer nicht allein auf die Gruppentreffen beschränken. So wurde zuhause in Eigenregie oft weitergearbeitet, um die anderen bei den Treffen an den gemachten Erfahrungen, den gewonnenen Erkenntnissen und den sich daraus entwickelnden Fragestellungen teilhaben zu lassen.
Doch zurück zur Gründungsphase. Nach einer ausgiebigen Diskussion darüber, wie Magie überhaupt und die Experimentalmagie im Besonderen zu definieren sei, einigte man sich auf regelmäßige Treffen sowie auf ein Grundkonzept des weiteren Vorgehens. Dabei orientierten wir uns primär an angelsächsischen, überwiegend britischen Magie-Autoren wie Crowley, Spare, Regardie, Dion Fortune, Butler, Conway, King, Grant und anderen. Das war vor allem der Tatsache geschuldet, dass diese sich zum großen Teil durch ihren eher locker ausgestalteten Pragmatismus und ihre stringent an der praktischen Erfahrung orientierte Didaktik ausgesprochen angenehm von dem überwiegend autoritär-dogmatischen, präskriptiven Duktus deutscher wie französischer und anderer romanischer Autoren unterschieden.
Eine elitäre Hierarchie war nicht vorgesehen, es gab keinen Anführer, keine Hohepriesterin, keine Chefideologen der Gruppe, alle Entscheidungen wurden im demokratischen Konsens getroffen. Weder entstand eine formelle Vereinsstruktur noch erhob man Mitgliedsbeiträge und es wurden auch keine Mitgliederlisten geführt. Damit war der Bonner Arbeitskreis Experimentalmagie entstanden.
Das Siebengebirge, rechtsrheinisch südlich von Bonn gelegen, wird oft und gern als magische Gegend bezeichnet. Mythen und Sagen durchdringen und umranken das Gebiet schon seit Urzeiten. Am bekanntesten dürfte der Drachenfels sein, wo Siegfried einst den Lindwurm erlegt haben soll. Doch finden sich hier auch Überreste keltischer Fliehburgen, natürliche wie künstliche Höhlen, und spätestens seit der Rheinromantik gilt die waldreiche Region gemeinhin als verwunschen. Vom Gipfel des Drachenfelses aus blickt man hinab auf den mächtigen Strom, der sich durchs Rheintal windet und die beiden Inseln Grafenwerth und Nonnenwerth umspült. Bei klarem Wetter ist der ferne Kölner Dom deutlich zu erkennen, sieht man, wie sich dicht hinter dem westlichen Ufer und der auf einem alten Odinheiligtum situierten Godesburg die Eifel erstreckt, ein weitläufiges hügeliges Waldgebiet, selbst von Legenden, Kultorten und magischer Folklore durchsetzt, das bis ins Belgische hineinreicht.
Unweit von hier wurde einige Jahre später in einem erloschenen Vulkankrater der Magische Pakt der Illuminaten von Thanateros (IOT) gegründet, eine organisatorische Weiterentwicklung des bis dahin nur virtuell existierenden britischen Ordens Illuminates of Thanateros (IOT), trat die Chaosmagie endgültig ihren weltweiten Siegeszug an.
Jedoch waren es in erster Linie praktische Erwägungen, weshalb wir diese Gegend zu unserer Hauptoperationsbasis machten. Wir hatten Zugang zu einer künstlich in den Fels getriebenen ausgedehnten Höhle, Teil eines unterirdischen Systems, das in Kriegszeiten als Munitionsfabrik diente. Nach kurzem Marsch durch eine Art Vorhalle bestiegen wir eine geräumige Plattform, wo wir, von außen unbemerkt, ungestört arbeiten konnten. Hier fand ein großer Teil unserer rituellen Tätigkeiten statt. Allerdings nicht ausschließlich: Auch im linksrheinischen Kottenforst wurde gelegentlich gearbeitet sowie bei dem einen oder anderen Teilnehmer zu Hause.
Wir veranstalteten Pan-Anrufungen, Planetenrituale, weihten Amulette und Talismane, arbeiteten unter Anleitung eines afrikanischen Fetischpriesters, den wir eigens dazu eingeladen hatten, erkundeten die Elementmagie und Techniken des Wicca, versuchten uns an Rückführungen und Orakelschau, erforschten die Gesetzmäßigkeiten der Astromagie, analysierten Horoskope, praktizierten umfangreiche Trancearbeit, experimentierten mit Pendeln und Wünschelruten und gaben auch der Erfolgsmagie viel Spielraum. An einem Wochenende im Westerwald widmeten wir uns allein der Runenmagie.
Nicht immer waren alle Mitglieder anwesend, oft wurde auch in kleineren Gruppen zu Hause praktiziert. Zwei unserer Autoren führten beispielsweise abseits des größeren Zirkels regelmäßig ausgiebige Hypnoseexperimente miteinander durch. Drei von ihnen trafen sich an einem Heiligabend zu einer Evokation nach dem Necronomicon, wohl wissend um die völlig fiktive Natur dieses einst von H. P. Lovecraft erfundenen Werks, von dem damals gleich drei voneinander gänzlich verschiedene Versionen am Markt kursierten.
Tatsächlich stellten diese Arbeiten abseits der eigentlichen Gruppe, aber stets unter Einbindung zumindest einiger ihrer Teilnehmer, für manche bisweilen den eigentlich impulsgebenden Teil dar.
Dabei brachte jeder ein, womit er aus seiner eigenen Praxis vertraut war, was ihn gerade besonders interessierte oder was er erst kürzlich entdeckt hatte. Kleinster gemeinsamer Nenner war dabei die Tradition der Golden Dawn. So begannen und endeten die Rituale in der Regel mit dem Kleinen Bannenden Pentagrammritual und einer abschließenden Entlassungsformel. Meist stand nach den magischen Operationen eine ausgiebige Manöverkritik an, manchmal allerdings auch erst beim Folgetreffen. Ohnehin spielte die permanente kritische Auseinandersetzung mit unserem eigenen Tun eine sehr große Rolle.
Das galt auch für die theoretische Befassung mit der Magie. Wir diskutierten die unterschiedlichsten magischen Autoren, Schulen und Lehrgebäude, beschäftigten uns mit östlichen und westlichen Geheimlehren aller Art, legten die gängigsten Erklärungsmodelle auf die Goldwaage, brachten dabei eigene Beobachtungen und Fehlleistungen ins Gespräch, erörterten Erfolgserlebnisse und mögliche Gefahren der magischen Praxis, verquickten Anekdotisches mit Philosophischem, dachten nach, grübelten, zweifelten an und bestätigten, baten gelegentlich um Hilfestellung, boten Rat und tatkräftige Unterstützung, und nicht selten spekulierten wir einfach nach Herzenslust drauflos.
So erschufen wir nach und nach unser eigenes magisches Erlebnis-Ökotop, ohne dass wir dies unbedingt gezielt angestrebt hätten. Im Ergebnis standen auch weniger irgendwelche weltbewegenden, einmaligen Erkenntnisse im Raum als vielmehr das Wissen darum, dass die Wege der Magie von einer geradezu unerschöpflichen Vielfalt gekennzeichnet sind, an der noch jedes einfältige, weil alles unzulässig vereinfachende, praxisferne Dogma kläglich scheitern muss.
Ebenfalls ein wesentlicher, nicht zu unterschätzender Aspekt des ganzen Unterfangens: die stets abrufbare Erkenntnis eines jeden Teilnehmers – wozu ein einziger Blick in die Runde genügte –, dass es tatsächlich noch andere Magier gab, dass man mit seinem Ringen um die Hohe Kunst nicht allein auf der Welt war. Und schließlich spielte wohl für jeden auch die schiere Lust am Abenteuer Magie eine herausragende Rolle.
Und irgendwann, nach etwa drei Jahren, war es auch genug: Ohne Streit und Hader löste sich die Gruppe schließlich in aller Gelassenheit auf, gingen die Mitglieder wieder auseinander. Einige von ihnen blieben einander verbunden, arbeiteten auch weiterhin miteinander, teilweise sogar bis zum heutigen Tag, die anderen verloren sich aus den Augen. Menschliche Lebenswege und geistesgeschichtliche Prozesse verlaufen oft sehr gewunden und lassen sich nur schwer in allen Einzelheiten erfassen und präzise bestimmen. Was dem Beobachter und Chronisten zunächst vielleicht wie Ursache erscheinen mag, stellt sich bei späterer, genauerer Betrachtung oft tatsächlich als Wirkung heraus und umgekehrt, so dass wir immer wieder vor dem altbekannten Henne- und-Ei-Pro-blem stehen.
Auch lässt sich die Breitenwirkung dieses ursprünglich ja nur auf vergleichsweise wenige Mitglieder beschränkten, regionalen Arbeitskreises nicht immer eindeutig bestimmen. Und doch gibt es einige Verbindungslinien und Wirkungsverläufe, die uns belastbare Rückschlüsse erlauben.
Beispielsweise wurde innerhalb dieses Rahmens die Pragmatische Magie entwickelt, entstand später die Zeitschrift Unicorn, in der zahlreiche Teilnehmer im Vierteljahresrhythmus ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Überlegungen wiedergaben, wodurch sie maßgeblich zur großflächigen Entwicklung einer magischen Szene im deutschsprachigen Raum beitrugen. Parallel dazu nahm der Verlag Edition Magus seine Tätigkeit auf, selbst von einem Arbeitskreismitglied geleitet, wo auch mehrere Werke aus der Feder von Teilnehmern erscheinen sollten.
Nachdem Unicorn gut drei Jahre und 13 Ausgaben später sein Erscheinen eingestellt hatte, wurde in Folge bei Edition Magus die Zeitschrift Anubis aus der Taufe gehoben, die noch Jahre danach dem Arbeitskreis entscheidende Impulse verdankte und selbst wiederum zur Weiterentwicklung der deutschsprachigen Magie beitrug. Das vertraute Bild vom Stein, der, ins Wasser geworfen, dieses immer weitere Kreise ziehen lässt, könnte, auf den Arbeitskreis Experimentalmagie angewandt, nicht treffender sein.
Mit der Abkehr vom traditionalistischen Dogmatismus, der die westliche Magie, den angelsächsischen Raum teilweise ausgenommen, bis weit in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts prägte; mit dem systematischen Hinterfragen organisationszentrierter Vermittlungshierarchien und autoritärer, so gut wie ausschließlich patriarchaler Herrschaftsstrukturen; und schließlich mit der Entwicklung pragmatischer, rationaler, mithin fundamentalkritischer und im Kern postmoderner Angänge veränderte die zeitgenössische Magie im Laufe der letzten ca. 40 Jahre ihr Erscheinungsbild. Gewiss wäre es vermessen und töricht, dies allein dem Bonner Arbeitskreis Experimentalmagie zuzuschreiben. Unbestreitbar aber ist, dass er innerhalb dieses historischen Gesamtkontextes durchaus einen Avantgarde-Status beanspruchen darf.
Die Autoren des vorliegenden Werks waren allesamt Gründungsmitglieder des Arbeitskreises und gehörten ihm bis zu seiner zwanglosen Auflösung an. Ihr Anliegen ist es, nicht nur ein episodisches Fazit ihrer damaligen Zusammenarbeit zu ziehen, sondern darüber hinaus auch ihre aktuellen Einsichten und Erkenntnisse auf dem Gebiet der Magie zu vermitteln. Sollten sie damit dem einen oder anderen, der ebenfalls Magier sein, Zauberer werden will, einige nützliche, konstruktive Hinweise bieten und vielleicht sogar etwas zu der Inspiration beitragen, am Großen Werk der Magie weiterzuarbeiten, so hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt.
Die Autoren
Kapitel 1
Frater V∴D∴
Volksmagie vs. Bibliotheksmagie: Genetik oder Aufklärung?
Von Niederer, Hoher, Schwarzer und Weißer Magie
In der klassischen magischen Literatur wird viel Tinte darauf verwendet, den Unterschied zwischen „niederer und „hoher
Magie herauszuarbeiten. Einen Höhepunkt erfährt diese Tendenz in den Werken von Franz Bardon, der die Vertreter der ersteren abschätzig als minderbemittelte „Zauberer bezeichnet, während die „wahre
Magie allein dem kosmisch eingeweihten Adepten zukommt.
Unter „niederer Magie versteht man dabei spätestens seit der Theosophie jedwede magische Handlung, die aus „selbstsüchtigen
Motiven ausgeführt wird oder rein materielle Ziele verfolgt. Sogar ein Aleister Crowley, dem diese Art magischen Tuns ausgewiesenermaßen alles andere als fremd war, verstieg sich zu der Aussage, dass jede Handlung, die nicht unmittelbar darauf abstelle, die „Vereinigung mit der Gottheit herbeizuführen, ein Akt schwarzer Magie sei. Wir sehen daran, dass die Trennlinie zwischen „niederer
und sogenannter „schwarzer Magie, sonst allgemein als Schadenszauber definiert, selbst von anerkannten Autoritäten der magischen Welt oft nur sehr unscharf gezogen wird. Heutzutage nimmt man weitgehend von dem moralinsauren, abwertenden Begriff „niedere Magie
Abstand und verwendet stattdessen die neutrale Bezeichnung „Erfolgsmagie".
In der klassischen Magieliteratur gilt die „hohe" Magie in der Regel als eine Disziplin, die sich auf eine, allerdings nur sehr diffus definierte christlich-pietistische, teilweise auch dem Mahāyāna-Buddhismus entlehnte, prinzipiell jedenfalls der Mystik verpflichtete Moralethik stützt und sich deren Ziele zu eigen macht: sei es Crowleys unio mystica, die der Freimaurerei konzeptuell entlehnte Arbeit am „großen Bauwerk der Schöpfung oder eine wie auch immer geartete „Höherentwicklung
der eigenen, vorzugsweise auch der kollektiven Seele.
Bevor wir darauf zurückkommen, werfen wir einen Blick auf eine andere Wissensdisziplin, die auf ihre Weise zu einer ganz ähnlichen Unterscheidung gelangt, welche für unsere Betrachtung von Bedeutung ist: die Religionsanthropologie.
Magie und Religion: Henne oder Ei?
Bis weit in die 1950er Jahre herrscht in der anthropologischen Religionswissenschaft die Auffassung vor, dass es sich bei der Magie um eine der Dekadenz anheimgefallene, aufs denkbar Schlichteste heruntergebrochene Form der Hochreligion handelt – Aberglaube in Reinkultur. Noch Ende der 60er bezeichnete Theodor W. Adorno den Spiritismus, stellvertretend für den Okkultismus überhaupt, als die „Metaphysik der dummen Kerle".
Dabei war dieses akademische Narrativ selbst von größter Schlichtheit und Unkenntnis um die tatsächliche kulturanthropologische Bedeutung magischer Denkweisen und Praktiken geprägt. Erst durch die mit Mircea Eliade einsetzende systematische Schamanismusforschung und die Feldforschungsergebnisse des anthropologischen Strukturalismus büßte es schließlich seine alles beherrschende Dominanz ein.
Bis dahin galt es als ausgemacht, dass die Hochreligionen, die selbst eine Überwindung und schlussendliche Überhöhung vorangegangener „primitiver Kulte darstellten, durch die von ihnen entwickelte „Spiritualität
die Grundmatrix dessen vorgaben, was dann später zu bloßem magischen Aberglauben „verkommen" sollte.
Dieser sehr dehnbare, seit dem 12. Jahrhundert bekannte Begriff, der etymologisch soviel wie „nachrangiger, falscher Glaube („Afterglaube
) bedeutet, ist eine Lehnübersetzung des lateinischen superstitio, wörtlich „Überglaube", womit man im Altlateinischen ursprünglich das Außer-sich-Sein bezeichnete, also die Ekstase zu magischmystischen Zwecken. Zeitweilig meinte superstitiones aber auch schlicht nur die Wahrsager.
Schon die Stoiker brandmarkten die superstitio als exzessive Furcht vor den Göttern, während Augustinus von Hippo daraus später einen Kampfbegriff zur pauschalen Bezeichnung aller nichtchristlichen Religionen machte. Unter Nero wurden wiederum die Christen damit diffamiert. In zeitlicher Nachfolge der Aufklärung sowie der Gegenaufklärung diente er schließlich im 18. und 19. Jahrhundert als Propagandaterminus in der Polemik wider irrational-religiöse, für dubios erachtete oder unorthodoxe Weltanschauungen, darunter auch der Mesmerismus und die Hypnose sowie der Okkultismus überhaupt.
Die Tatsache, dass die Hochreligionen selbst durchaus in großem Umfang magische Praktiken betreiben (man denke etwa an die Transsubstantiation beim christlichen Abendmahl – selbst ein Akt der Theophagie, also der physischen Einverleibung einer Gottheit –, an die Sakramentlehre sowohl des Katholizismus als auch der Orthodoxie, das Einsegnen von Kirchen und weltlichen Gebäuden, das Schlagen des Kreuzzeichens, an das Weihwasser, an den Heiligenkult mit seinen Wundererscheinungen und so weiter), wurde dabei geflissentlich ausgeblendet. Kurz zusammengefasst galt also die Formel: „Erst kam die Religion, dann die Magie."
Weitgehend unreflektiert blieb freilich die Tatsache, dass es sich dabei lediglich um eine Fortsetzung der alten kirchlichen Doktrin handelte, dass nämlich Wunder, also übernatürliche Erscheinungen, allein von Gott stammten, Magie dagegen reines imitatives Teufelswerk sei – eine Kontroverse, die bis zu den neutestamentlichen Paulusbriefen und der Apostelgeschichte zurückreicht (Stichwort: Simon Magus).
Aberglaube, Schamanismusforschung und Volksmagie
Wenn beispielsweise aus der lateinischen Messe die Formel „hoc est corpus meus („dies ist mein Leib
) entlehnt und zum volkstümlichen „Hokuspokus verballhornt wird, sehen wir den oben geschilderten Mechanismus zunächst bestätigt: Eine liturgische Deklaration wird missverstanden, aus ihrem Zusammenhang gerissen und in eine volksmagische Zauberformel verwandelt. Dabei wird dem Lateinischen selbst als dominante Sakralsprache eine inwendige magische Macht zugeschrieben. Wie es der Großvater eines mir bekannten elsässischen Heilpraktikers und Magnetiseurs in Anspielung auf den kirchlichen Exorzismus auszudrücken pflegte: „Der Teufel kommt zwar auf Deutsch, aber gehen tut er nur auf Latein.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass sich die ohnehin sehr eklektische Volksmagie, die sich aus vielerlei heterogenen Quellen speist, nicht selten auch derlei Entlehnungen aus dem jeweils vorherrschenden religiösen Kontext bedient.
Ähnliches findet sich auch in anderen Religionen und Kulturkreisen. So gibt es beispielsweise im nordischen Raum zahlreiche Funde von Gedenksteinen und Amuletten, die mit Pseudo-Runen ausgestaltet wurden: rudimentär runenähnliche aber sinnfreie Zeichen, die offenbar die tatsächlichen Runen der altnordischen Religion nur imitierten und von Unkundigen verwendet wurden, die mit vorgetäuschtem magischen Wissen ihre zahlende Klientel hinters Licht führten. Heute würden wir von Scharlatanen sprechen.
Im westafrikanischen Islam nehmen die weitverbreiteten Marabus, oft auch als „heilige Männer" bezeichnet, die Funktion vorislamischer animistischer Stammeszauberer und Fetischpriester wahr, die ihr magisches Tun nur notdürftig hinter einer islamischen Fassade verbergen. So fertigen sie beispielsweise Amulette und Talismane aus Koransuren an (sogenannte gris-gris), die, in kleinen Lederschatullen beispielsweise am Arm getragen, unter der Bevölkerung sehr beliebt sind. Auch für andere magische Auftragsarbeiten, die auf animistische Praktiken zurückgehen und häufig Tieropfer erfordern, sind sie zuständig. Obwohl diese Form der Magie von der islamischen Orthodoxie aufs Entschiedenste abgelehnt wird, weil sie darin einen polytheistischen Götzenkult sieht, ist sie aus der westafrikanischen Welt nicht wegzudenken, ebenso wenig wie die zahllosen Heiligenschreine, die regelmäßig von Pilgerströmen aufgesucht werden, um dort Wundertaten zu erflehen.
Vergleichbares finden wir auch im mittel- und lateinamerikanischen Raum, wo eine Vielzahl präkolumbianischer Kultstätten, allenfalls vordergründig christianisiert, seit eh und je von der Bevölkerung genutzt werden wie schon lange vor den spanischen Eroberern, oft sogar zu denselben alten, saisonalen Festen.
Die noch junge Wissenschaft der Anthropologie räumte schließlich mit der Fehleinschätzung auf, dass die Magie lediglich eine Art Abfallprodukt der Hochreligion sei. Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall.
Denn es ist völlig berechtigt, die Religion als eine Organisationsform zu definieren, zu deren Hauptanliegen es gehört, die Magie zu monopolisieren, um auf diese Weise ihre eigentliche Funktion wahrnehmen zu können, nämlich die vorherrschende Gesellschaftsordnung und ihre hierarchischen Machtstrukturen zu begründen, sie zu befestigen und fortzuschreiben. Dazu muss alles magische Wollen und Tun der Gemeinschaftsmitglieder auf kontrollierte Weise kanalisiert werden. So entsteht eine hauptberufliche Priesterschaft, welche die Stelle der vormaligen Stammeszauberer und Medizinfrauen einnimmt. Zugleich spiegelt dieser Prozess den Übergang nomadisierender zu sesshaften Gesellschaften wider.
Fortan ist es die Religion, die als soziales Schmiermittel alle existenziellen Aspekte des Lebens reguliert: von der Ernährung über die Fortpflanzung bis zu den Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs, der Kindererziehung, der Rechtsprechung sowie, nicht zu vergessen, die Eigentumsverhältnisse.
Für die Überreste der sozial schwer beherrschbaren, anarchischen Volksmagie, die meist nur innerhalb von Familienverbänden unter Blutsverwandten tradiert wird und weder der Gesamtgesellschaft noch ihren Herrschenden und der von ihnen oktroyierten Moralethik und Gesetzescodices verpflichtet ist, gibt es in einem solchen Rahmengerüst keinen Platz. Folglich wird alles volksmagische Handeln von den Herrschenden und der ihnen zuarbeitenden Priesterkaste als Konkurrenz wahrgenommen und entsprechend geächtet: ein Wildwuchs, der um jeden Preis aufgehalten und ausgerottet gehört.
Es wäre allerdings ahistorisch gedacht, würde man den herrschenden Eliten und der Priesterschaft dieser gesellschaftlichen Entwicklungsstufe ausschließlich machtversessenen Zynismus und reine Bigotterie unterstellen. Denn es spricht alles dafür, dass diese ebenso von der prinzipiellen Wirksamkeit der Magie überzeugt waren wie ihre Gläubigen und Untertanen. Aus ebendiesem Grund wurde sie ja überhaupt erst zu einer Herrschaftstechnologie entwickelt: Die Magie galt als eine hochwirksame Waffe der Weltgestaltung, deren Einsatz durch unzufriedene, feindselige oder gar rebellische Bevölkerungsgruppen durchaus den Status quo gefährden konnte.
Aus ähnlichem Grund verfolgte man im Rom der Kaiserzeit die Astrologen, wurde das Stellen des kaiserlichen Horoskops mit der Todesstrafe bedroht. Und tatsächlich arbeitete die politische Propaganda verschiedener Verschwörergruppen bereits damals auch mit gefälschten Horoskopen der Herrscher, wie es Jahrhunderte später zur Zeit Luthers und sogar noch im Zweiten Weltkrieg geschehen sollte.
Solche Verbote wurden erlassen, weil die Herrschenden durchaus von der Validität astrologischer Einsichten überzeugt waren. Gewiss gab es im römischen Reich dieser Epoche unter der intellektuellen Elite bereits eine Vielzahl von Skeptikern, die derlei für ausgemachten Unsinn hielten. Doch beweist die römische Sitte, sicherheitshalber stets auch dem „unbekannten Gott einen Altar aufzustellen und Opfer darzubieten, um ihn nicht versehentlich zu erzürnen, dass im Allgemeinen eine pragmatische „Man kann nie wissen
-Einstellung vorherrschte.
Die weltweite, kulturübergreifende Feldforschung der Anthropologie und Ethnologie machte zudem deutlich, dass man den gemeinen Aberglauben keineswegs pauschal mit Volksreligion und -magie in einen Topf werfen darf. Die Volksmagie, wie wir sie hier verstehen, ist kein kodifiziertes oder einheitliches System magischer Praktiken. Auch wird sie von ihren Ausübenden nur in den seltensten Fällen theoretisch reflektiert, ja nicht einmal für prinzipiell erlernbar gehalten. In der Regel manifestiert sie sich dadurch, dass sich manche Menschen, gleich welchen Geschlechts, irgendwann mit Fertigkeiten hervortun, die allgemein als magisch oder übernatürlich angesehen werden. Diese magischen Kräfte gelten meist als angeboren, oft handelt es sich dabei aber auch um spezifisches, proprietäres zauberisches Wissen, das nur innerhalb der Blutlinie vermittelt werden kann oder darf: ein Familienhandwerk. Reglementiert wird die Weitervermittlung häufig durch strenge Vorgaben, was Geschlecht oder Generationszugehörigkeit angeht. So wird das Talent beispielsweise im einen Fall nur von Großmutter auf Enkelin weitergegeben, im anderen vom Vater auf den Sohn vererbt und so weiter.
Im Zuge der Wissensvermittlung erfolgt nicht selten eine Form der Einweihung oder es wird eine Erweckung der bis dahin nur latent vorhandenen paranormalen oder magischen Befähigung herbeigeführt. Dabei spielen gesamtgesellschaftliche Ethik und Moral, sofern überhaupt abgerufen, eine allenfalls randständige Rolle: Sippenethos geht über Gesellschaftsethos.
Grundsätzlich ist das Spektrum vererbter oder vermittelter magischer Fertigkeiten insgesamt betrachtet zwar sehr groß: Es reicht von der Hellsichtigkeit (dem „zweiten Gesicht") und Orakelkunst über Heilkräfte und Wetterzauber bis zur Schutzmagie, umfasst Liebes- und Schadenszauberei, das Besprechen von Warzen und Gürtelrosen sowie Geburtshilfe und Förderung der Fruchtbarkeit von Mensch, Nutzvieh oder Ackerböden.
Doch