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Kerschut
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eBook205 Seiten3 Stunden

Kerschut

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Über dieses E-Book

Kerschut ist ein Buch über die Auswirkungen eines Traumas in Kindertagen. Aber es bleibt dort nicht stehen, sondern zeigt einen Weg zur Heilung und echter Befreiung. Dieser Weg führt über Gottes Wort und seine Verheißungen.

Kerschut ist ein sehr persönliches Buch, das Mut machen soll - Schweigen zu brechen.
SpracheDeutsch
HerausgeberAufbruch Verlag
Erscheinungsdatum23. Juli 2014
ISBN9783926395528
Kerschut

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    Buchvorschau

    Kerschut - Isabelle Dreher

    1  

    KERSCHUT, KERSCHUT ÜBER MIR.

    Herrmann war Mediziner. Eigentlich aber glaubte er, mehr Gott zu sein. Auf eine ganz einfache Weise: er herrschte über Leben und Tod. Und er hatte die Nazizeit überlebt. Die Blessuren sah man nicht. Geblieben war eine Form von Beton in seinem Blick, im innersten Kern seiner Iris. Aber das sah man nicht. Geblieben war ein eiserner Gürtel um sein Herz. Aber das konnte niemand sehen. Sie alle nicht. Denn sie waren durch Unermessliches gegangen. Alle. Darum kam es ihm gerade recht, als seine nicht angetraute Freundin mit dem nächsten Kind schwanger war. „Ich habe dir schon mal gesagt, ich will keine Kinder mehr. Ich hab genug davon! „Genug von was, schrie sie, ihre dick getuschten Wimpern zitterten. Er drehte ihr den Rücken zu und murmelte: „Lass gut sein". Sie drehte sich um und lief in den Garten. Sie wusste nicht mehr, was sie wollte. Diesen Mann, ein Kind, eine Familie, ihren Job, eine Karriere? Alles drehte sich. Ihr wurde schlecht. Sie setzte sich ins Gras. Trotz der möglichen hässlichen Flecken, auf die sie immer so peinlich genau geachtet hatte. Aber selbst das war ihr in diesem Moment völlig egal. Sie konnte nicht anders. Das Kind vor diesem hier hatte sie abgetrieben. Sie fragte sich warum. Aus Liebe zu Herrmann? Oder weil sie es gewohnt war, sich zu beugen, sich anderen zu beugen, sich dem Willen anderer zu beugen?

    Wie sie sich ein Leben lang dem Willen und den Bedürfnissen ihrer Eltern hatte beugen müssen. Zumindest kam es ihr so vor. Als hätte sie das tun müssen. Der Luftschutzbunker war vielleicht auch nicht der richtige Ort gewesen, um Selbstbewusstsein zu lernen. Sich vor die eigenen Eltern zu stellen, die ihr Letztes mit ihr teilten, wenn es sein musste, die letzte, schmutzige, abstoßende Kartoffelschale, um ihnen mitzuteilen: Wisst ihr was, Eltern, ich bin hier auf der Erde, damit es mir gutgeht. Nicht, um eure Bedürfnisse zu erfüllen. Sie verpasste auch danach jede noch so kleine Gelegenheit, ihnen diese einfache und schlichte Wahrheit entgegenzuhalten. Besonders dann, wenn sie ihrem Leben zu dicht kamen, ihre Intimsphäre durchbrachen, ihr ihren Willen aufzwangen und das alles auch noch für völlig normal hielten. Was war auch normal an einer Welt, in der Bomber über einem flogen und Kinder sangen: „Kerschut, Kerschut über mir, fällst du runter, war’s das hier". Zumindest sangen sie es in dem Keller, in dem sie damals untergekommen waren. Auch nur eine Bombe und der Straßenzug lag in Schutt und Asche. Was jemand wegschaffen würde. Würde aufräumen müssen. Vielleicht war es jiddisch, was sie sangen. Aber auch darüber sprachen sie schon längst nicht mehr.

    Den Kerschut hatte unter anderem sie weggeräumt. Blond, schlank, muskulös. Vor dem Krieg und vor allem vor Herrmanns Geburt war sie Primaballerina gewesen. Und er Zahnarzt. Eine blonde, deutsche Bilderbuchfamilie mit drei Söhnen. In den Schutt baute sie ihre Tanzschule hinein. „Die Menschen müssen wieder Freude haben, sang sie dabei. Leider dankte sie Gott nicht für ihr Leben. Wie viele andere nicht. Nachdem der Großteil geschrien hatte: Wir wollen den totalen Krieg. Nachdem es ihnen Goebbels unter Hitler vorgeschrien hatte. „Wollt ihr den totalen Krieg. Und sich selbst das Leben nahm, bevor der Krieg am 8. Mai offiziell endlich zu Ende war. Ab da ging der Aufbau für alle los.

    Auch sie stand vor einem Neuanfang, als sie sich an jenem Tag für das Kind entschied. Herrmann setzte in kürzester Zeit einen gewaltigen Scheidungskrieg gegen die gerissenen Anwälte der ehemaligen Millionärsgattin durch, heiratete Eliana und kündigte kurze Zeit später nach deutschem Recht ihren Job. Damit war sie ganz in seiner Hand. Was mit sich führte, dass sie auch mit ihren Eltern brach. Sie wusste später nicht einmal mehr, ob es ihr eigener Wille gewesen war oder seine Intervention. Jedenfalls kam ab da niemand mehr. Ab da hatte sie niemanden mehr. Das Schweigen mit ihren Eltern brach erstmals auf, als das Kind zur Welt kam. Ihr Vater stellte sich neben den Kasten, in dem das Mädchen schlief, betrachtete es kurz und sagte dann: „Mit ihr werdet ihr es immer schwer haben. Herrmann lachte. Es gab nichts, worüber Herrmann nicht gerne lachte. Sie war noch zu schwach nach den Wehen, um irgendetwas zu erwidern. Ihre Mutter blickte Herrmann verächtlich an. Trotzdem schenkten sie ihm ein stattliches Gefährt. Denn Herrmann hatte nicht davon absehen wollen, seinen Sportwagen zu verkaufen. Sie brauchten jetzt eine Familienkutsche. Sie hatten den Krieg gut überstanden. Sie hatten alles gut überstanden. Nun sollten sie eine glückliche Familie sein. Also brachten sie sich in Stellung. Auf dem ersten Familienfoto sahen sie gut aus. Die hübsche, dunkelhaarige Mutter, der smarte Vater im Anzug, der Großvater mit dem starren Blick und die schicke Großmutter, die sich kurz zuvor noch das Haar gerichtet hatte. Es sollte ihnen an nichts fehlen. Es sollte ihnen an nichts mangeln. Leider glaubten sie nicht mehr an den, der ihnen das geschenkt hatte. Auch wenn sie in die Kirche gingen, um ihr Familienglück zu präsentieren. Um das Mädchen auf den Namen Leandra zu taufen. „Nach deiner Ur-Uroma, wie die Großmutter später dem Kind erzählte. Einer streng gläubigen Frau, die die langen grauen Haare immer brav zusammengebunden und den Rosenkranz gebetet hatte.

    Etwas davon war hängen geblieben. Man sah es nicht. Noch nicht. Niemand. Noch klebte in ihrem Knochenmark die Scham über all das, was geschehen war. Über was niemand die Kraft oder den Mut aufbrachte, zu reden. So war das Kind schon in den ersten Tagen in ein Schweigen geboren, das lange Jahre nicht von ihm lassen würde. „Das Schweigen aber, würde sie später einmal sagen, „ist das Allerschlimmste von allem gewesen. Doch da hörte man ihr schon nicht mehr zu. Niemand wollte hören, wovon sie erzählte. Niemand wollte sich auch nur im Entferntesten ansehen, was sie ertragen sollte. Was sie auf ihre kindliche Weise tragen würde. Bis dahin lief sie durch die Wüste. Die Wüste, die an dem Tag begann, als er ein weiteres Experiment begann.

    Es war nicht das erste und auch nicht das letzte. Es lag irgendwo dazwischen. Zwischen Himmel und Hölle. Denn Herrmann war angetreten, dass die Menschen ihn anbeteten. Und ganz vorne weg seine Tochter. Das Motiv war Rache. Kalte, in seinen Urtiefen schlummernde Rache. Diese Schlichtheit hätte sich Herrmann niemals selbst zugeschrieben. Er, der so eloquent jeden um den Finger wickelte. Niemand legte sich mit Herrmann an. Herrmann war die Rhetorik selbst. Er spielte mit den Worten. Er schuf und vernichtete Ideen, Momente, Menschen und Leben. Es war ihm gleichgültig, ob es Gott gegeben hatte oder gab, der einst gesprochen hatte: „Es werde Licht. Und es ward Licht".¹ ¹1. Moses 1,1-3 Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Herrmann liebte zu sehr das Strahlen der Öffentlichkeit, in der er seine eigenen Forschungsergebnisse präsentierte. Er liebte den Beifall und das stumme Staunen, wenn es ihm gelungen war, menschliches Leben auf nicht ganz natürliche Weise zu zeugen. Und auch er selbst zeugte noch einmal einen Sohn. Der erste war ihm mit der Millionärin, die ihn ausgenommen hatte wie eine Weihnachtsgans, abhandengekommen. Der Grund, warum er Weihnachten notorisch in ein Schlachtfeld verwandeln musste. Nicht aus Geschenkpapier. Sondern aus Tränen seiner Angehörigen. Wenn die Türen schlugen, war es ihm gerade recht. Ein paar Cognac dazu und einen guten Wein zum weihnachtlichen Abendessen, bei dem in all den Jahren nicht eines bis zum Nachtisch von allen Familienmitgliedern am Tisch ohne Tränen oder Türen schlagen erreicht wurde, und er hatte seinen Frieden. Einen Frieden wie im Delirium, so, wie er sein Leben beenden würde. Aber das ahnte Herrmann damals nicht.

    Erst einmal ging es ihm um menschliche Experimente, die sie im Nazireich begonnen hatten. Als das Leben nicht mehr wert war als eine schmutzige Kartoffelschale. Ein Wunder, dass sie zur Gründung der Bundesrepublik ins Grundgesetz schrieben: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie hatten ihn angetastet. Und er tastete sie an. Was interessierten ihn ein Gericht oder Gesetze. Er brach sie, wo er nur konnte. Das war sein Hobby. Und er brachte es weit damit. Er war zu klug, sich irgendetwas nachweisen zu lassen. Dafür rollten Köpfe unter ihm. Das hatte er sich nicht zuletzt aus diesem Nazireich abgeschaut, das auch er, wie viele damals, auf Schärfste verurteilte. Dafür machte Herrmann jetzt seine eigenen Gesetze. Mit und ohne Politikern.

    Er war der Chefarzt der Uniklinik. Deutschland war im Chaos versunken. Selbst die obersten Nazis kamen mit milden Strafen davon. Immer wieder schüttelte er einigen von ihnen in hohen Positionen die Hand. Warum sollte er diesmal nicht mitspielen? In der obersten Liga, so wie sein Vater damals im Nazireich. Dass es noch ein Himmelreich geben könne, auch daran glaubten nicht mehr alle. Im Gottesdienst lachte Herrmann an dieser Stelle immer am lautesten. Aber so wussten wenigstens alle, dass er dort war. Dass er auch hier war. Auch wenn er alles andere als ein Mann Gottes war, so war er jedenfalls einer, der dem Alten Mann im Himmel den Kelch reichen konnte. In dem war Wein. Guter Wein. Und das „God der Amis, die wieder Ordnung in das Land gebracht hatten, hieß für ihn nichts anderes als „good old germany. Etwas, das er hinter sich gelassen hatte. Mit einem Schnips. Ab jetzt hatte er sein Reich. Das er mit strenger Hand führte. Nach Gerechtigkeit fragte Herrmann nicht. Für ihn gab es das nicht. Eben so wenig wie Gesetze. Oder Verantwortung. Das alles galt es zu beugen. Und zwar nach seinen Vorstellungen und Richtlinien. Sollten sich Menschen ausdenken, was sie wollten. Er, Herrmann, entschied über Leben und Tod. Nicht nur im Kreißsaal. Sondern überall, wohin er trat. Und Herrmann trat gut.

    2  

    KERSCHUT, KERSCHUT, ALL DAS IST JETZT AUCH IN MIR.

    Leandra kannte das Lied, das die Kinder zu Kinderzeiten ihrer Mutter im Luftschutzbunker gesungen hatten, nicht. Sie wusste nichts von der Geschichte ihres Vaters. Sie verstand auch nicht, warum sie als einziges Familienmitglied in den Keller des Mietshauses zog, in dem sie in Folge der ersten teuren Scheidung Herrmanns lebten. Leandra war damals etwa 8 Jahre und laut ihres Vaters Herrmann nicht ganz auf der Höhe ihrer Geisteskraft. Dafür war sie süß. Mit ihren blauen Augen und den langen, blonden, lockigen Haaren. „Leandra ist Papas Engel, kokettierte die Familie gerne vor anderen, nicht ohne einen Hauch von Neid im unteren Ton. Den kaum jemand bemerkte. Man sah nur das Offensichtliche. Dass Leandra von einer besonderen Schönheit und mit großem Charme gesegnet war. Wenn sie aufgeregt war, lispelte sie, wobei sie eine kleine Zahnlücke frei legte. Ihr Körper war dehnbar und formvollendet. Wie oft tanzte sie allein in ihrem Kellerzimmer, als spielten in ihr die Gene ihrer Großmutter, der Ballerina. Und Leandra spielte oft allein. Mit Gleichaltrigen konnte sie kaum etwas anfangen. Wenn sie malte, krochen aus ihrer Tinte Frauen mit alten, runzeligen Gesichtern. „Ach sie ist so uneitel, sagte Eliana dann. Obwohl sie alles tat, damit das Kind erstklassig aussah und sich möglichst auch so verhielt.

    Maxim hingegen wirkte schon als Kind wie ein reifer Erwachsener, den der Großvater gerne „unser Professor nannte. Was Maxim anspornte, schon in der Grundschule Klassenbester zu sein. So war Herrmanns Familie in etwa das, was man von außen als „perfekte Familie betrachten konnte. Und das tat er gern. Genauso wie Eliana. Sie waren wer. Sie waren angesehen, verfügten über ausreichend Wohlstand und präsentierten sich glanzvoll im Wirtschaftswunder, in dem sie rauschende und unvergessliche Feste feierten. Mit Herrmanns Ansehen war die Anzahl ihrer Bewunderer inzwischen exponential angestiegen. Herrmann stand im Zenit seiner Karriere als Chefarzt der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburten. Herrmann liebte Frauen. Alle Form von Frauen. Und er liebte seinen kleinen Engel. Mehr als er zugeben konnte. Bis zu jenem Abend.

    Herrmann hatte einen kleinen Cognac genommen und Mozart aufgelegt. Eliana und Maxim waren auf einem Kindergeburtstag. „Komm setz dich auf Papas Schoß, rief er Leandra, die von ihrem Spiel abließ und sich freute über die Zeit, die ihr Vater für sie zu nehmen bereit war. Mit rosigen Wangen erklomm sie seine Beine und umschlang seinen Unterleib mit ihren Beinen. Er küsste sie auf den Mund und sie erwiderte es. Sie war sein kleines Mädchen, sie wollte ihm gefallen, sie wollte, dass er sie liebte und sie liebte ihn. „Nicht so wild, lachte Herrmann. Mit beiden Händen umfasste sie sein Gesicht. „Lass das, sagte er plötzlich unwirsch und stieß sie von sich. „Zeit schlafen zu gehen. Putz dir die Zähne und zieh dein Nachthemd an, wies er sie an. Leandra lief ins Badezimmer und tat wie geheißen. „Zieh dir deine Schuhe an, ich bringe dich runter. Leandra blickte auf die Uhr. Es war erst 19 Uhr. Eine Stunde zu früh. „Aber es ist doch noch so früh, protestierte sie in ihrer kindlichen Art. Herrmann stand auf und nahm die Wohnungsschlüssel vom Tisch. „Kannst du die Uhr noch immer nicht richtig lesen?, fragte er streng. „Es ist 20 Uhr. Leandra blickte von der Uhr weg, lief zur Haustür, öffnete sie, lief durch den kalten Flur, öffnete die Kellertür und stolperte die knirschenden Stiegen hinunter. Dunkelheit und der modrige Geruch schlugen ihr entgegen. Oben folgte Herrmann, der den Lichtschalter anknipste. Kurzatmig erreichte Leandra die Tür zu ihrem Zimmer. Es war hell gestrichen. Sofort lief sie in ihr Bett und zog die Decke bis ans Kinn. Insgeheim fragte sie sich, was sie diesmal wieder falsch gemacht hatte. Herrmann folgte. Er zog den Vorhang zu. Leandra blickte zur Decke und betete still: Gott, lass mich nicht allein. Herrmann setzte sich auf die Bettkante. „Leandra, begann er, „du weißt doch, dass du Papas Liebling bist. Leandra nickte. „Du tust doch alles dafür, dass es Papa gut geht, nicht wahr?, hörte sie seine Stimme, die ihr weit entfernt und verzerrt vorkam. „Papa zeigt dir all seine Liebe, stimmt’s Engelchen?, hörte sie die Worte, die für sie schon keinen Sinn mehr ergaben.

    Inzwischen hatte er die Decke zur Seite geschoben und sich neben sie gelegt. Sie kannte seinen Geruch. Sie versuchte, sich wegzudrehen. Sie spürte seine Hände, die ihren Körper antasteten. Sie hörte sein Keuchen und wünschte sich an einen anderen Ort als ausgerechnet diesen. Dann musste etwas geschehen sein, denn plötzlich umfassten seine Hände ihren Hals. „Du wirst tun, was auch immer ich dir sage, stimmt’s", murmelte er. Sie bekam keine Luft mehr. Sie spürte, wie ihr die Augen hervor traten und Todesangst sie umklammerte. Sie fühlte, dass alles, was er von ihr wollte, Gefügigkeit war. Egal wie. Nur dass sie es war. Egal wo. Nur dass sie tat, wie er ihr gehieß. Und dass sie es für immer tun würde. Für immer sein bleiben würde. Für immer ihm gehorchen würde. Sie nickte. Die Scham legte sich wie eine zweite Haut über sie. Dass sie sich weder wehrte noch aufbegehrte. Dass sie es einfach ertrug. Sie hörte und fühlte, wie er sich an ihr zu schaffen machte. Wie er jeden einzelnen Handgriff genoss. Als formte er sie noch einmal neu. Auf andere Weise als sie geschaffen worden war. Auf die Weise, die ihm gefiel. Dass sie ihm gehörte, berauschte ihn. Als er es tat, war ihr, als werde ihr Körper von innen gesprengt. Im Geiste sah sie Farben wie Bänder in tausend Einzelteile zerspringen. Dann wurde alles schwarz-weiß. Irgendwann merkte sie, wie ihr Körper seltsame Bewegungen machte. Die Geräusche drangen wie unter Wasser an ihr Ohr. Das merkwürdige Röcheln, das ihr den Verstand raubte, war wie ein Stein, der im Wasser seine Kreise zog. Und er zog sie lang. Dann schien es zu Ende zu sein. Die Schatten blieben. Inzwischen fühlte sie nichts mehr. Mit einem Tuch wischte er etwas zwischen ihren Beinen weg. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen. Sie wollte das alles nicht mehr sehen. Dann wurde es vollkommen Nacht um sie. Er hatte das Licht ausgeknipst. Ab da lebte sie in Finsternis. Ab da stand sie mit bleiernen Füßen auf, lief zur Schule, zog sich danach um, rannte auf die Straße und stundenlang über die angrenzenden Felder. Bis es dunkel wurde und sie zurück nach Hause musste. Jeden Abend brachte Herrmann sie nach unten. Mit oder ohne Alkohol im Blut. Manchmal verabschiedete er sich sofort, manchmal blieb er. Alles was ihr blieb, war zu fliehen.

    Sie floh, wann immer sie konnte. Und sie schwieg. Ihr hörte ohnehin niemand mehr zu. Was sie auch sagte, sie galt als verrückt in ihren Augen.

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