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Sturmbrecher: Gewitter der Gewalt
Sturmbrecher: Gewitter der Gewalt
Sturmbrecher: Gewitter der Gewalt
eBook435 Seiten6 Stunden

Sturmbrecher: Gewitter der Gewalt

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Über dieses E-Book

Der Magier Ahrunan konnte den Scheiterhaufen der Inquisition lange entkommen, da er das Geheimnis seiner Zaubermacht zu bewahren versteht. Auf der Flucht vor den Schrecken des Krieges verschlägt es ihn jedoch auf die Feste Terredin, wo Markgraf Jandor um seine Hexenkräfte weiß. Der Graf verlangt von Ahrunan, dass er die Burg gegen die Armee des Königs verteidigt, aber der Magier weigert sich. Denn er sieht das Gewitter der Gewalt, das sich über Terredin zusammenbraut.
Bald stehen die königstreuen Truppen vor der abtrün¬nigen Feste, unter ihnen Ranyth von Sarlingen. Der junge Adelige träumt von ruhmreichen Kämpfen und glorreichen Schlachten, doch er erwacht in einem Albtraum, als der Mahlstrom des Krieges Freund und Feind verschlingt.
SpracheDeutsch
Herausgeberdead soft verlag
Erscheinungsdatum13. Apr. 2016
ISBN9783945934708
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    Buchvorschau

    Sturmbrecher - Charlotte Engmann

    Charlotte Engmann

    und Christel Scheja

    Sturmbrecher

    Gewitter der Gewalt

    Roman

    Impressum:

    © dead soft verlag, Mettingen 2007

    http://www.deadsoft.de

    © Charlotte Engmann und Christel Scheja

    Cover: Irene Repp

    http://www.deadsoft.de

    Bildrechte:

    © breaker maximus – shutterstock.com

    2. Auflage 2016

    ISBN 978-3-934442-37-5

    ISBN 978-3-945934-70-8 (epub)

    Prolog

    Glühender Schmerz riss Ahrunan aus seiner Ohnmacht. Die gleiche brennende Pein, die ihm das Bewusstsein geraubt hatte, rief ihn zurück aus der beschützenden Dunkelheit. Ein Schrei gellte über den Dorfplatz, doch erst, als der Schmerz nachließ, wurde ihm bewusst, dass er ihn ausgestoßen hatte.

    »Gestehe, und ich werde dich von deinen Qualen erlösen!« Der Inquisitor in seiner roten Robe winkte dem Folterknecht, das glühende Eisen zurück in das Kohlebecken zu legen, damit es neue Hitze trank. »Nun sprich, Elender! Bekenne deine Schuld und zeige mir das Mal deiner Abscheulichkeit. Lass mich deine Schlangenaugen sehen!«

    Niemals!, durchfuhr es Ahrunan. Wenn er den Illusionszauber aufhob, der seine senkrecht geschlitzten Pupillen verbarg, würde der Inquisitor ihn sofort den reinigenden Flammen Aurons übergeben. Er würde sein Leben auf dem Scheiterhaufen beenden, denn in Kallidorn musste ein jeder sterben, der über die Augen einer Schlange und somit über die Gabe der Magie verfügte.

    Wortlos starrte Ahrunan den Inquisitor an. Wie alle Priester des Auron trug er eine blutrote Tunika, die bis zu seinen Fußknöcheln reichte. Über jede Schulter fiel eine breite, feuerfarbene Schärpe, wobei auf der oben liegenden das Zeichen der Inquisitoren prangte: Drei schwarze Flammenzungen verhießen allen Hexern und Ketzern den Tod. Unter dem kupferfarbenen Schopf funkelten saphirblaue Augen voller Hass, und die Wangen glühten vor fanatischem Eifer.

    In hilfloser Wut zerrte Ahrunan an seinen Fesseln, doch sie banden ihn fest an den Boden einer Mistkarre, die die Tempelsoldaten in die Senkrechte gekippt hatten. Im Schutze der Nacht war der Inquisitor mit seinen Schergen wie ein Rudel Wölfe in das Dorf eingefallen. Sie hatten Ahrunan im Schlaf überwältigt, und ehe er sich verteidigen konnte, hatten sie ihn in Ketten geschlagen, in Fesseln aus gesegnetem Silber, die den Fluss seiner Magie hemmten. Er spürte die Kraft durch seinen Körper rauschen, geschürt durch Schmerz und Wut, doch anstatt wie sonst aus seinen Händen zu brechen, schoss die Zaubermacht aus den Armen zurück in seine Brust.

    »Ja, winde dich nur wie die Schlange, die du bist«, wetterte der Inquisitor. »Mit dir ist das Verderben über diese Menschen gekommen. Du hast sie vom rechten Weg abgebracht, von der Straße der Erlösung, die allein Auron seinen Kindern bereitet. Du hast sie mit deinen Lügen verführt und ihre Söhne auf den Pfad der widernatürlichen Sünden gelockt.«

    Ahrunan biss die Zähne zusammen. Er warf einen Blick auf die Bauern, die die Tempelsoldaten wie Schlachtvieh auf dem Dorfplatz zusammengetrieben hatten. Nein, er hatte keinen der jungen Männer verführt, obwohl es dafür mehr als eine Gelegenheit gegeben hatte. Sein Blick fiel auf den Großbauern Errock, der abseits von den anderen stand, mit zwei Wachen an seiner Seite. Er hatte Ahrunan an die Priesterschaft verraten und den Inquisitor ins Dorf geholt, denn sein Einfluss war durch den fremden Baumeister geschwunden. Unter Ahrunans Anleitung hatten die Bauern neue Bewässerungsanlagen für ihre Felder errichtet, sodass sie nicht mehr von dem Mühlenbach abhängig waren, für den Errock die Wasserrechte besaß.

    »Du hast sie mit deiner Widerwärtigkeit vergiftet«, tönte der Inquisitor. »Doch die Saat des Bösen wird keine Früchte tragen!« Er befahl seinen Soldaten, die Dörfler in die nächste Scheune zu treiben, und Ahrunan fühlte, wie sein Herz gefror. Mit wachsender Angst hörte er eine Frau aufschluchzen, und ein paar Kinder weinten voller Furcht, als die Bewaffneten sie in das Dunkel der Scheune drängten. Das Tor schloss sich mit Donnerhall und wurde mit schweren Balken verschlossen.

    »Wisse, dies ist allein dein Werk. Deine Schuld!«

    »Nein!«, schrie Ahrunan. Wie eine eiskalte Woge schwemmte das Entsetzen über ihn hinweg. Er riss an seinen Fesseln, tobte, fluchte und brüllte, doch der Inquisitor beachtete ihn nicht weiter. Mit glühendem Blick befahl er seinen Soldaten, die Scheune anzuzünden, damit die Flammen die befleckten Seelen der Dorfbewohner reinigten. Und die Bewaffneten gehorchten. Sie warfen brennende Fackeln in das strohgedeckte Dach und legten Feuer an die Außenwände. Schnell erfassten die Flammen das trockene Holz. Sie eilten zum First hinauf und drangen in das Innere der Scheune. Die Dorfbewohner schrien in Todesangst, sie riefen um Hilfe und flehten um Gnade. Mit bloßen Fäusten hämmerten sie gegen das Tor, sie traten gegen die Wände, doch die Scheune blieb verschlossen. Es gab kein Entkommen.

    Der Inquisitor griff nach dem Brandeisen. Wie trunken von seinem grausigen Tun wandte er sich wieder Ahrunan zu, um ihn erneut zu quälen. Das glühende Eisen berührte den Magier und biss in seine Haut. Der überwältigende Schmerz zerfetzte die Illusion. Die geschlitzten Pupillen wurden sichtbar in Ahrunans grünen Augen.

    Der Inquisitor kreischte triumphierend. »Ich wusste es! Du dreifach verfluchtes Schlangenauge!«, bellte er. »Auron verbrenne dich!«

    Er hob das Brandeisen, um das Herz des Magiers zu durchbohren, da brach der Sturm aus Ahrunans Augen. Eine Orkanböe traf den Inquisitor mit voller Wucht. Rücklings wurde er durch die Luft geschleudert und hart zu Boden geschlagen. Der Sturmwind erfasste ihn, schleifte ihn über den steinigen Platz und riss ihn erneut in die Höhe. Der Inquisitor wirbelte empor. Eine weitere Böe ergriff ihn und schmetterte ihn in die brennende Scheune, mitten unter seine Opfer. Schreie gellten. Panisch versuchten die Tempelsoldaten, ihren Herrn aus den Flammen zu retten, und Ahrunan nutzte den Moment ihrer Unaufmerksamkeit. Mit seiner neugewonnenen Kraft befreite er sich von seinen Fesseln. Die silbernen Ketten zersprangen unter der Wucht seines Zorns. Ein harsches Wort löste die Fußfesseln. Er streckte die Hand aus und wies auf den Großbauern.

    »Errock!«, rief er den Verräter. Der Mann drehte sich zu ihm um. Er sah den Magier frei und ohne Fesseln, und seine Augen weiteten sich voller Entsetzen. Ein Wink mit lockerer Hand wob eine Illusion, verlieh Errock Ahrunans Erscheinung und dem Magier die Bauerngestalt.

    »Wachen!«, rief Ahrunan nach seinen Feinden, die nun sein Werk vollenden sollten. »Das Schlangenauge! Es hat sich befreit! Ergreift den Hexer! Verbrennt ihn!«

    Die Tempelsoldaten hörten auf seinen Ruf und packten den vermeintlichen Magier, um auch ihn ins Feuer zu stoßen. Ahrunan ergriff die Gelegenheit zur Flucht. Er wandte sich um und lief den Flammen davon, die an diesem Tag reiche Ernte gehalten hatten.

    1. Gefährliche Geheimnisse

    Ahrunan zügelte sein Pferd, als Zweige im Unterholz knackend zerbrachen. Eine zerlumpte Gestalt stolperte aus dem Dickicht, taumelte ein paar Schritte und brach auf dem steinigen Weg zusammen. Der Magier runzelte die Stirn. Lag vor ihm ein Bauer, ein Räuber oder Soldat? War der Mann krank oder verwundet? Der reglose Körper steckte in zerschlissenen Hosen und verdreckten Gamaschen, doch durch die Löcher der Wolljacke glänzte es metallisch wie von einer Rüstung hervor.

    Also ein Räuber, der von Soldaten, oder ein Soldat, der von Räubern überfallen wurde – oder von feindlichen Truppen, überlegte Ahrunan. Er hob den Kopf und ließ seinen Blick über die hügelige Landschaft schweifen. Seit dem frühen Morgen folgte er einem schmalen Pfad, den zur rechten Hand ein leise glucksendes Bächlein begleitete. Vor ihm lichtete sich der Wald aus Ahornbäumen und Buchen und machte Feldern und Weiden Platz. In der Ferne konnte er die grünen Hügel erkennen, hinter denen sich die Ebene der Ysen erstreckte. Die Mittagssonne leuchtete warm vom klaren Himmel herab. Irgendwo krächzte ein Rabe. Im Unterholz raschelte ein unvorsichtiger Waldbewohner, und in den Wipfeln über seinem ergrauten Haupt knackte ein dürrer Ast, den der erste Herbststurm vom Baum fegen würde. Das Land schlummerte in Frieden. Von einer Horde Räuber oder einem Trupp Soldaten fehlte jede Spur.

    Unschlüssig rieb Ahrunan das Leder der abgenutzten Zügel. Er hatte schon zu viele böse Überraschungen erlebt, um einem Fremden noch ungefragt zu helfen. Allzu oft war ihm seine Hilfsbereitschaft mit Undank vergolten worden, hatte ihn gar manches Mal in Lebensgefahr gebracht.

    Der am Boden liegende Mann stöhnte schmerzerfüllt. Er hob den Kopf, doch nicht hoch genug, um das Gesicht unter dem zerzausten Schopf zu enthüllen. Flehend streckte er die Hand aus, dann verließen ihn die Kräfte, und sein Arm klatschte auf den steinigen Weg.

    Ahrunan seufzte resignierend und glitt aus dem Sattel. Wenn er nicht zurück wollte in die Stadt Asgillimar, aus der ihn der Krieg vertrieben hatte, musste er sich den Fremden ansehen, der seinen Weg blockierte.

    »Heda, Kamerad.« Er kniete neben dem Mann nieder und griff nach dessen Schulter. »Lebst du noch? Was ist dir widerfahren?«

    Der andere hob den Kopf, und Ahrunan blickte in das Gesicht eines jungen Mannes mit auffallend attraktiven Zügen. Zu einem eckigen Kinn gesellten sich sinnliche Lippen, eine gerade Nase und eine hohe Stirn. Das struppige Haar durchzogen blonde, braune und schwarze Strähnen, und in den goldbraunen Augen glänzte die Wildheit eines Wolfs.

    »Erwischt!«, rief der Bursche. In einer einzigen, schnellen Bewegung stemmte er sich hoch. Er zog die Knie unter den Leib, hechtete vorwärts und stürzte sich auf sein Gegenüber. Er riss den überraschten Magier zu Boden, setzte sich auf seine Brust und presste die Beine auf dessen Arme.

    »Zirkel, Blei und Lot!« Wut über den Angriff und die eigene Dummheit kochten in Ahrunan hoch – aber auch ein ganz anderes, gänzlich unpassendes Gefühl übermannte ihn. Die leuchtenden Bernsteinaugen unter dem vielfarbigen Schopf wirkten vertraut. Es erschien ihm, als läge er nicht zum ersten Mal rücklings unter diesem jungen Räuber, aber nicht im Kampfe, sondern als Auftakt zum Liebesspiel.

    »Was ist denn das?«, lachte der Bursche. »Ist das ein Messer, oder freust du dich, mich so hautnah kennen zu lernen?«

    Ahrunan starrte ihn wortlos an. Der Räuber verlagerte sein Gewicht, sodass seine Knie mit schmerzhaftem Druck auf die Arme des Magiers pressten. Er schob seine Hand unter den eigenen Leib, um seinen Gefangenen abzutasten, und mit gespielter Enttäuschung zog er ein hölzernes Etui von Ahrunans Gürtel.

    »Bloß eine Schatulle. Was ist darin?«

    »Schreibfedern und Tintensteine«, antwortete Ahrunan, dessen Herzschlag sich langsam beruhigte. Das Gefühl der Vertrautheit, das er für seinen Angreifer empfand, nahm ihm jegliche Furcht. Was konnte dieser Bursche schon von ihm wollen? Wahrscheinlich sein Pferd und das bisschen Habe, das er aus Asgillimar hatte retten können. Denn wenn es den Räuber nach dem Leben seines Opfers gelüstet hätte, hätte er ihm längst die Kehle durchtrennt.

    »Wusste ich es doch«, freute sich der Bursche. Er drehte den Kopf, steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen lauten Pfiff aus, ehe er in den Wald hineinrief: »Ich hatte recht: Er ist ein Gelehrter, und kein Soldat!«

    Statt einer Antwort schälte sich ein Trupp Bewaffneter aus dem Unterholz. Das Sonnenlicht funkelte auf den eisernen Beschlägen ihrer Lederrüstungen und auf dem Zaumzeug der Pferde, die sie mit sich führten. Ahrunan wurde es flau im Magen. Eine Räuberbande war ein ernsteres Problem als dieser freche Bursche. Trotz seiner misslichen Lage besaß er immer noch seine Zauberkräfte, mit denen er sich seiner Angreifer erwehren konnte. Aber da das Geheimnis seiner magischen Gaben unter allen Umständen gewahrt bleiben musste, durfte kein Zeuge überleben, sollte er seine Macht einsetzen – ein zu hoher Preis für sein Pferd und das bisschen Habe, wie er fand.

    »Was wollt ihr von mir?«, fragte er mit sorgsam erzwungener Ruhe.

    »Vor allen Dingen ein paar Antworten.« Der junge Mann erhob sich von Ahrunan, streckte ihm die Hand entgegen und zog ihn auf die Füße. Sein Blick fuhr prüfend über den Magier, erfasste die moosgrünen Augen, die leicht gebräunte Haut und das ergraute, fast schon weiße Haar. Gestickte Borten in Gelb und Rot zierten die Säume der knielangen Tunika aus dunkelgrünem Leinen, die wie das kragenlose Hemd und die schmalgeschnittene Hose eine städtische Herkunft verriet.

    »Wer bist du, und woher kommst du?«

    »Mein Name ist Ardan, und ich komme aus Asgillimar«, antwortete Ahrunan bedächtig. Allmählich bezweifelte er, dass er in die Hände von Räubern gefallen war. Aber wer sonst hätte Grund, einem Fremden auf diese Weise aufzulauern?

    »Wie steht es um die Stadt?« Unvermittelt klang der junge Mann besorgt. »Wir haben lange nichts mehr von dort gehört.«

    »Die Stadt wurde von den Truppen des Königs erobert und fast vollständig zerstört.« Ahrunan ballte die Fäuste. Obgleich er sich glücklich schätzte, mit seinem Leben und einigen Besitztümern entkommen zu sein, traf ihn der Verlust seiner letzten Wahlheimat schwerer, als er erwartet hatte. Ich bin zu alt, um wieder und wieder von vorne anzufangen, klagte er in Gedanken. Und je länger ich lebe, desto öfter enttäuschen mich die Menschen.

    »Du meinst Korobans Hunde.« Der Bursche spuckte auf den Boden. »Von denen haben wir schon viel gehört, doch niemals etwas Gutes. Aber an Terredin werden sie sich die Zähne ausbeißen, nicht wahr, Männer?«

    Terredin. Voller Sorge erinnerte sich Ahrunan an den Namen. Der Markgraf von Terredin gehörte zu einer Gruppe aufständischer Adeliger, die vor zwei Jahren dem König die Treue gebrochen hatten. Das erklärt, warum sie mir aufgelauert haben, überlegte er. In dieser Gegend ist jetzt jeder Fremde verdächtig, ein Kundschafter für die königstreuen Truppen zu sein. Ich muss vorsichtig sein, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen, ich sei ein Spion. Er fühlte, wie sein Herz schneller schlug. Obwohl er vor wenigen Tagen seine Heimat, liebe Freunde und ein gutes Auskommen verloren hatte, wollte er nicht auch noch seine Freiheit verlieren.

    »Keriban von Asgillimar hielt sich ebenfalls für unbesiegbar«, mahnte er die Umstehenden. Er hatte es ja kommen sehen: Nachdem sich die sieben Markgrafen von König Koroban losgesagt hatten, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieser ein Heer schickte, um die Verräter zu richten. »Er hat viele kluge Vorbereitungen getroffen, doch all seine Bemühungen waren vergebens.«

    »Was für Vorbe…?« Der junge Mann hob die Hand und unterbrach sich selbst. »Das ist nicht der Ort, solcherlei Dinge zu bereden.« Er winkte einem Bewaffneten, ihm sein Pferd zu bringen. »Du wirst uns nach Terredin zu meinem Vater begleiten.«

    »Euer Vater, junger Herr?«, wechselte Ahrunan in eine untertänige Anrede. »Darf ich fragen, wer Ihr seid?«

    »Ich bin Jandor von Terredin, Graf Baldors Sohn und anerkannter Erbe.«

    Die Erinnerung traf Ahrunan wie ein Schlag. Jetzt wusste er, wieso ihm dieser junge Bursche so vertraut erschien. Einst hatte er einen verwegenen Krieger namens Baldor gekannt, der aus Terredin stammte, und Jandor war unverkennbar sein Abkomme. Doch wie lange war es her, dass er mit Baldor durch die Welt gezogen war, dass sie die Gefahren der Straße, aber auch die Freuden des Bettes geteilt hatten? Zwanzig, dreißig Jahre? Hastig rechnete er zurück. Nein, bald vier Jahrzehnte lag ihre Freundschaft zurück. Vierzig Jahre, in denen sich Ahrunan aufgrund seiner magischen Langlebigkeit kaum verändert hatte, während Baldor längst im Winter seines Lebens stand.

    »Nein«, wisperte er. »Ich kann nicht.«

    Jandor sah ihn scharf an. »Was kannst du nicht?«

    »Mit nach Terredin kommen.« Es war eine Binsenweisheit, dass Lügen umso glaubwürdiger waren, je näher sie an der Wahrheit lagen, und deshalb blieb Ahrunan den Tatsachen so weit wie möglich treu. Doch in diesem Fall half nur eine ausgewachsene Lüge: »Ich will weiter nach Westen, nach Synaid. Und das bedeutet, ich muss die Ysen überqueren, ehe der Winter sie unpassierbar macht.« Er bemühte sich, seine Stimme gehetzt und unsicher klingen zu lassen. »Käme ich mit Euch, würde ich den großen Strom nicht mehr rechtzeitig erreichen.«

    »Du hast noch den ganzen Winter Zeit, die Ysen zu überqueren, ehe die Schneeschmelze im Frühjahr das Hochwasser bringt. Und von Terredin aus gelangst du auf direktem Weg nach Ysenfurt, wo du den Fluss leicht und sicher passieren kannst.« Jandor grinste frech. »So wirst du sogar schneller in Synaid sein, als wenn du die Fähre im Norden nimmst.«

    Ahrunan biss die Zähne zusammen. Wenn ihm seine Freiheit lieb war, durfte er Baldor nicht unter die Augen kommen. »Bitte, junger Herr, lasst mich meines Weges ziehen«, versuchte er es mit einfachem Betteln und Flehen. »Das wenige, was ich weiß, kann ich Euch unterwegs erzählen.«

    »Ich denke, du weißt mehr, als du mir eingestehst, Ardan aus Asgillimar.« Unvermittelt verhärtete sich Jandors Gesicht. »Ich glaube sogar, dass du einer von jenen warst, die Graf Keriban bei seinen Vorbereitungen unterstützt haben.«

    »Ach, junger Herr, Ihr überschätzt mich«, wehrte der Magier mit falscher Bescheidenheit ab. »Ich bin nur ein einfacher Schreiber.«

    »Der wie ein Baumeister flucht?« Jandor ergiff Ahrunans Rechte und drehte die Handfläche nach oben. »Das ist weder die Hand eines Schreibers, noch die eines Steinmetzes oder Zimmermanns. Nein, Ardan, ich denke, dass du ein Baumeister bist und dass du mitgeholfen hast, Asgillimar zu befestigen.«

    »Aber all die Arbeit war vergebens!«, widersprach Ahrunan, von der Heftigkeit seiner Worte selbst überrascht. Jandor hatte einen wunden Punkt berührt: Er war tatsächlich Baumeister in Asgillimar gewesen, und nach seinen Plänen waren viele Wehranlagen verstärkt worden. Doch nun lag die kleine Handelsstadt in Schutt und Asche, als hätte er müßig die Hände in den Schoß gelegt. »Junger Herr, ich bin bloß ein unbedeutender Flüchtling, der die Mühen nicht wert ist, die Ihr seinethalben auf Euch nehmt.«

    »Was du wert bist, entscheide ich.« Jandor schwang sich auf sein Ross. »Du wirst mich nach Terredin begleiten, ob du willst oder nicht. Aber du hast die Wahl, ob du als mein Gast oder mein Gefangener mitkommst. So, wie du dich unter meinen Fragen windest, bin ich geneigt zu glauben, du seist ein Spion der Königstreuen.«

    »Nein, junger Herr, das bin ich nicht.« Ergeben senkte Ahrunan den Blick. Für den Moment sah er keinen Ausweg aus der Misere. Ihm blieb allein die Hoffnung, dass Baldor ihn nach all den Jahren nicht wiedererkannte. Denn sein alter Freund würde ihn auf keinen Fall ziehen lassen: Zu wertvoll waren Ahrunans Zauberkräfte, um sie nicht zu verwenden in dem Krieg, der früher oder später Burg Terredin erreichen würde.

    Ranyth sprang aus dem Sattel seines Rappen und warf dem Stallburschen die Zügel zu. Mit großen Schritten eilte er die Treppe zum Palas der Burg hinauf. Es war spät geworden; wer hätte gedacht, dass sich der schmucke Jäger so gern von dem jungen Herrn reiten ließ. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf Ranyths Lippen. Diese Art von Jagdgesellschaft ließ er sich wahrlich gefallen!

    Der junge Fürstensohn durchquerte die Eingangshalle und schritt die große, geschwungene Treppe in den ersten Stock hinauf. Der Korridor zu seiner Rechten lag in nächtlichem Dunkel, doch unter einer Tür fiel Lichtschein auf den steinernen Boden. Ranyth stutzte. Das war die Schreibstube, und darinnen stand die Truhe mit den Steuergeldern. Ein Dieb?, ging es ihm durch den Kopf.

    Leise schlich er zur Tür und horchte angestrengt. Ein kaum hörbares Kratzen drang durch das Holz, als führe ein Federkiel über Pergament. Ranyth runzelte die Stirn. Für einen Dieb war der Bursche zu laut, und das ganze Licht … Kurzentschlossen zog er sein Schwert, er riss die Tür auf und stürmte in die Stube. Ein paar Kerzen schufen eine Insel aus Licht, während der Rest des Raumes in Dunkelheit schlummerte. Am Schreibtisch saß ein älterer, dunkelhaariger Mann über die Bücher gebeugt, eine Feder in der einen, eine Pergamentrolle in der anderen Hand.

    »Wer bist du, und was machst du hier?«, blaffte Ranyth ihn an. Der Fremde war zumindest kein Dieb, viel eher ein Spion.

    Der Mann musterte ihn ruhig. »Ich bin Nivedion von Kallimar, und ich überprüfe, ob der Fürst von Sarlingen seine Abgaben ordnungsgemäß entrichtet.«

    Ranyth wurde es heiß, als brenne die Sommersonne auf ihn herab. Er hatte gerade den zweitmächtigsten Mann im Königreich Kallidorn angeschnauzt. Nivedion von Kallimar war der Vertraute von König Koroban und – wenn die Gerüchte stimmten – die eigentliche Macht hinter dem Thron. Ranyth hatte gewusst, dass ein Gesandter des Königs zu ihnen unterwegs war, doch er hatte nicht erwartet, dass es Nivedion persönlich sein würde.

    »Ich …« Unter der unbewegten Miene des königlichen Beraters wurde der junge Sarlinger unruhig. Mit einem schiefen Lächeln steckte er das Schwert weg. »Ich dachte, ein Dieb …« Er zuckte die Achseln. »Ich wusste nicht, dass Ihr es seid, Erhabener Vater.«

    »Jetzt weißt du es.« Nivedion entließ ihn nicht aus dem prüfenden Blick seiner blaugrünen Augen, und mit wachsendem Unbehagen fragte sich Ranyth, wie stark sein hellbraunes Haar zersaust war und ob seine grauen Augen noch immer lustvoll glänzten. War ihm anzusehen, wie hastig er seine Lederhose geschlossen und Hemd und Weste übergestreift hatte?

    »Du bist Ranyth von Sarlingen? Setz dich.« Nivedion winkte ihm, auf dem Lehnstuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen, und wandte sich wieder den Unterlagen zu.

    Der Fürstensohn setzte sich. Warum soll ich bleiben?, überlegte er verunsichert. Wollte Nivedion ihn für sein Betragen zurechtweisen? Oder war es wegen der Bücher? Ranyth biss sich auf die Lippen. Er hatte sich größte Mühe gegeben, damit die Unregelmäßigkeiten bei ihren Abgaben nicht auffielen. Mit etwas Glück würde Nivedion nie dahinter kommen, dass sie einige Bauernhöfe mehr besaßen als angegeben.

    Er musterte sein Gegenüber. Der Gesandte war nicht nur der Berater des Königs, sondern auch ein geistlicher Würdenträger, der Hohepriester von Kallimar. Doch statt der prächtigen Gewänder eines hochrangigen Aurondieners trug er ein schlichtes, weinrotes Leinenhemd und dunkle, wollene Hosen. Dann soll er sich nicht wundern, wenn man ihn nicht erkennt, dachte Ranyth trotzig. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und hängte ein Bein über die Armlehne.

    »Füße auf den Boden«, sagte Nivedion leise, aber bestimmt.

    Ranyth setzte sich gerade hin und stellte beide Füße auf den Boden.

    Huh?, dachte er, über sich selbst überrascht. Nivedion war so ganz anders als Vater Goridion, der Priester der Sarlinger Fürstenfamilie, weder gläubig verklärt noch von dümmlicher Demut erfüllt. Mühelos nahm er Ranyth die Zügel aus der Hand und legte ihn stattdessen an die Kandare. Nun ja, immerhin war er der Hohepriester von Kallimar, der weit über dem jüngsten Sohn eines wenig angesehenen Fürsten stand.

    »Die Berichte sind von dir?« Nivedion legte den Federkiel zur Seite und verschloss das Tintenfass. »Du hast eine schöne Handschrift.«

    Ranyth grinste schief. Bedingt durch mehrere Brüche verschiedener Gliedmaßen hatte er im Gegensatz zu seinen Brüdern anständig Lesen und Schreiben gelernt. Zwar besaß er weder die Körperkraft der beiden Älteren noch ihr Geschick im Umgang mit Schwert, Axt oder Speer, doch in der Schreibstube war er ihnen überlegen. Die Unterrichtsstunden bei Vater Goridion waren stets eine Wohltat gewesen, trotz der Prügel, die er deshalb von seinen Brüdern bezogen hatte.

    »Normalerweise verrät eine ordentliche Handschrift einen klaren Geist«, fuhr Nivedion ruhig fort. »Doch deiner scheint mir verwirrt zu sein.«

    Ranyth fühlte sein Herz schneller schlagen. »Wie meint Ihr das, Erhabener Vater?«

    »Komm her.« Nivedion winkte ihn zu sich und rechnete ihm einige Zahlenreihen aus den Büchern vor.

    Bei allen Schlangenaugen!, fluchte Ranyth innerlich. Nivedion war ihm auf der Spur. Er schloss die Hand zur Faust und kaute unruhig auf seinem Zeigefinger, während der Hohepriester nach und nach die falschen Zahlen aufdeckte. Verdammt, was sollte er nun tun? Alles leugnen? Die Schuld einem anderen zuschieben? Der König hatte sowieso schon ein Auge auf Haus Sarlingen. Wem würde der versuchte Betrug am wenigsten schaden?

    »Streck deine Hand aus«, unterbrach sich Nivedion. Verwirrt gehorchte Ranyth. Der Hohepriester packte einen hölzernen Linienzieher und schlug damit auf die ausgestreckte Handfläche.

    Ranyth unterdrückte einen Aufschrei. Hohepriester hin oder her, Nivedion hatte nicht das Recht, ihn wie einen ungehorsamen Knaben zu bestrafen! Er war ein erwachsener Krieger, der Sohn eines Fürsten.

    Wütend wollte er auffahren, doch ein kühler Blick aus blaugrünen Augen stoppte ihn. »Das ist für das Fingerkauen.« Der Hauch eines Schmunzelns erschien auf den fein gezeichneten Lippen. »Aber ich nehme an, ich kann die Wahrheit nicht mit einem einfachen Linienzieher aus dir herausprügeln.«

    Ranyth fühlte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Nivedion hatte den Betrug durchschaut! Doch so leicht gab sich ein Sarlinger nicht geschlagen. Drei ältere Brüder hatten Ranyth gelehrt, selbst im Angesicht der erwiesenen Schuld unbeugsam zu bleiben. Wo Vater und Goridion versagt hatten, würde auch der Hohepriester von Kallimar scheitern. Ranyth verlagerte das Gewicht auf ein Bein und grinste Nivedion herausfordernd an.

    »Womit hat euch euer Vater in die Zucht genommen? Mit seinem Gürtel? Dem Stock?«

    »Er ließ uns stundenlang den Großen Lobpreis sprechen. In der Kapelle. Auf den Knien.« Feixend hakte er die Hände in seinen Schwertgürtel. »Ich kann ihn dreißig Mal in der Stunde sprechen.«

    Nivedion lächelte flüchtig, ein wenig traurig, wie Ranyth fand. »Zumindest kennst du deine Gebete.« Er wurde wieder ernst. Seine Augen verdunkelten sich. »Wie alt bist du, Ranyth von Sarlingen?«

    »Einundzwanzig, Erhabener Vater.« Dem Fürstensohn entging nicht der Stimmungswechsel. Er hörte auf zu grinsen und ließ die Hände locker an den Seiten hängen.

    »Ich muss gestehen, ich hatte gehofft, du wärst ein besserer Mann.« Nivedion stand auf. An Ranyth vorbei ging er zur Tür. »Ich bin sehr enttäuscht von dir, junger Sarlinger.« Er verließ das Zimmer.

    Ranyth starrte ihm entgeistert nach. Ärger, Trotz und Übermut waren wie weggeblasen. Das sollte schon alles gewesen sein? So leicht gab Nivedion auf? Und wieso war er enttäuscht von ihm? Der junge Mann spürte einen Stich in seinem Herzen. Was hatte der Rotkittel von ihm erwartet? Ich hatte gehofft, du wärst ein besserer Mann, erklang die Stimme des Priesters in Ranyths Kopf. Sein Magen krampfte sich zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten.

    Er eilte zur Tür. »Erhabener Vater«, rief er Nivedion, der schon halb den Gang hinunter war. »Wartet!«

    Doch der andere ging weiter.

    »Bitte!«

    Nivedion blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. Ranyth presste die Lippen zusammen und eilte ihm nach. »Wie habt Ihr das gemeint?« Unter dem starren Blick des Hohepriesters trat er unruhig auf der Stelle. »Dass ich ein besserer Mann wäre. Besser als wer?«

    »Als deine Brüder.« Der Geistliche wies mit einer Geste zur Schreibstube, und sie gingen in den Raum zurück, wo Nivedion wieder hinter dem Schreibtisch Platz nahm. »Vater Goridion lobte deine Leistungen im Unterricht, die trotz deines ungehörigen Betragens überraschend gut seien.«

    Ranyth hakte die Hände in den Schwertgürtel. Alle vier Söhne des Sarlingers hatten ihre rauen Späße mit dem alten Priester getrieben. Sie waren Krieger, keine Tempelschüler, und für die Leistungen, die Goridion so lobte, war Ranyth oft genug von seinen Brüder verhöhnt und verprügelt worden.

    »Wie ich sehe, bist du recht aufgeweckt.« Nivedion legte die gefalteten Hände auf den Tisch. »Aber nicht klug genug, deinen König nicht zu betrügen.«

    »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet«, leugnete Ranyth gewohnheitsmäßig.

    Nivedion sah ihn mit ausdrucksloser Miene an. Nur in seinen Augen funkelte ein blaugrünes Feuer. Die Kerzen flackerten im Luftzug, der unter der Tür hereinwehte. Die brennenden Scheite im Kamin knackten leise. Ranyth krampfte die Hände um seinen Gürtel. Was sollte er nur tun? Aufgeben und alles gestehen? Oder weiterhin leugnen und darauf hoffen, dass Nivedion einen anderen Schuldigen fand? Den Gerüchten zufolge strebte der Hohepriester nach dem Amt des Inquisitors, und Ranyth bezweifelte nicht im Geringsten, dass Nivedion die schlangenäugige Hexenbrut erfolgreich jagen würde.

    Drückendes Schweigen erfüllte den Raum. Ranyths Herz schlug schmerzhaft in seiner Brust. Er dachte an seinen Vater Thivan, der den Steuerbetrug niemals gestattet hätte. Der Fürst hatte seinen jüngsten Sohn mit der Verwaltung ihrer Güter betraut, die Ehre und den Besitz der Familie in die jungen Hände gelegt, doch wie schändlich hatte Ranyth ihm sein Vertrauen vergolten. Enttäuscht würde sich der Vater von ihm abwenden, vor allem, wenn sich sein Sprössling als ein Feigling herausstellte, der sich weigerte, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Ranyth seufzte lautlos. Er hatte keine Wahl, er musste seine Schuld bekennen. Mochte Auron ihm gnädig sein.

    »Wie Ihr wisst, ist mein Bruder Wrogomar einer der beiden Feldherren, die den Feldzug gegen die abtrünnigen Markgrafen im Süden unseres Landes führen«, begann er mit Bedacht. »Er braucht Soldaten, Ausrüstung und Proviant.«

    »Und?«

    »Einen Teil stellt der König, der andere muss aus den Kassen der Feldherren kommen.« Ranyth setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Unser Familienbesitz ist nur bescheiden, und die Kosten des Feldzuges sind immens. Diese Erträge«, er wies auf die Bücher, »das Geld und die Ernte … ich wollte damit Wrogomar unterstützen.« Er sah den Priester offen an. »Ich habe es nicht für mich getan, sondern für den Feldzug. Und damit für den König.«

    Täuschte er sich, oder huschte tatsächlich ein Lächeln über Nivedions Lippen? Der Hohepriester stand auf, ging um den Tisch herum und blieb vor ihm stehen. Nachdenklich sah er auf ihn herunter. »Was soll nur aus dir werden, Ranyth von Sarlingen?«

    Der Fürstensohn holte tief die Luft. Obwohl die Frage nur rhetorisch gemeint war, antwortete er: »Ich will mich Wrogomar anschließen.« Den ganzen Sommer über hatte er seinem Vater mit diesem Wunsch in den Ohren gelegen, doch der alte Sarlinger hatte sich nicht erweichen lassen. »Ich will wie er ein Feldherr werden und die Feinde des Königs vernichten.«

    Nivedion lachte leise. »So so.« Er lehnte sich gegen die Tischkante und verschränkte die Arme. »Wie ich sehe, bist du nicht nur gewitzt, sondern auch kühn und mutig. Ich denke, dein Wunsch soll erfüllt werden.«

    Ranyth sah ihn groß an. Bei Auron, das war das Letzte, was er erwartet hatte. So einfach sollte er davonkommen? Ja, sogar belohnt werden, obwohl er den König hintergangen hatte?

    »Du wirst mir jedoch regelmäßig Bericht erstatten«, fuhr Nivedion fort. »Ich will wissen, was in den abtrünnigen Grafschaften vor sich geht. Und auch, was dein Bruder und seine Schwertgesellen so treiben. Auf diesem Feldzug wird nichts geschehen, von dem ich keine Kenntnis erhalte. Ist das klar?«

    Der junge Sarlinger schluckte. Er sollte also für den Hohepriester spionieren, sogar den eigenen Bruder bespitzeln. Oder war das eine Prüfung? Er schaute Nivedion an, und in dem funkelnden Blick las er, wie ernst der Hohepriester es meinte.

    »Schwöre es mir bei deinem Schwert.«

    Ranyth stand auf und legte die Hand auf den Griff der Waffe. Wenn er sich weigerte, würde Nivedion dem König von seinem Betrug berichten und der Souverän den Betrüger streng bestrafen. Das Haus Sarlingen würde in Schande fallen, und Ranyth konnte seinen Traum, selbst ein Feldherr zu werden, für immer begraben.

    Er hob die Hand zum Schwur.

    Terredin war bei Weitem nicht das uneinnehmbare Bollwerk, für das Jandor seine Heimatburg hielt. Mit Kennerblick erkannte Ahrunan, die Mauer auf der Nordseite war zu niedrig, um dem Beschuss durch die neu entwickelten Katapulte Stand zu halten. Das Zwingtor an der östlichen Schildmauer, das den Zugang über die Zugbrücke sicherte, würde sich ebenfalls einem entschlossenen Angriff ergeben – und die königstreuen Truppen waren zu allem entschlossen.

    Durch zwei schwere, doppelflügelige Tore und unter einem Fallgitter hindurch, ritten Ahrunan, Jandor und dessen Soldaten in den Zwinghof, der Gnade vor den Augen des Baumeisters fand. Die Westseite des schmalen Innenhofes beherrschte der mächtige Wehrturm, der wohl seit einem Jahrtausend das Herz von Terredin darstellte, und die beiden Längsseiten bewachten zwei hohe Gebäude mit Schießscharten statt Fenstern, an denen auf halber Höhe ein Wehrgang entlangführte und deren flache Dächer ein Zinnenkranz krönte.

    Durch den Torgang im nördlichen Haus gelangten die Reiter in den zentralen Burghof, um den sich die Wohn- und Werkstätten, die Ställe und Scheunen der Feste gruppierten. Sie saßen ab, übergaben die Pferde den Stallburschen, die eilfertig herbeisprangen, und mit einem knappen Befehl entließ Jandor seine Soldaten bis auf zwei Mann, die Ahrunan wachsam in die Mitte nahmen. Die kleine Gruppe umrundete den Wehrturm, der die Burg wie ein Vater seine Kinder überragte, und strebte dem mehrstöckigen Palas zu, der die Südwestseite der Anlage einnahm. Zwischen den beiden Gebäuden entdeckte Ahrunan die Überreste einer Mauer, die einst zusammen mit einem Graben den inneren Teil der Feste geschützt hatte, und er fragte sich flüchtig, warum man diesen Teil der Verteidigungsanlage niedergerissen hatte.

    Doch egal

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