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Die Legende der irischen Wolfskönigin
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eBook230 Seiten3 Stunden

Die Legende der irischen Wolfskönigin

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Über dieses E-Book

Die Wirren der napoleonischen Zeit sind nur ein Donnergrollen am Himmel über dem irischen Örtchen Ballydolan, doch das Leben der kleinen Maeve wird völlig auf den Kopf gestellt, als sie ihre Träume in das Leben der legendären Wolfskönigin Medbh entführen. Bald erkennt sie die Macht der Steinkreise und Hügelgräber im Schatten des mythischen Berges Knocknerea.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Jan. 2016
ISBN9783738055627
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    Buchvorschau

    Die Legende der irischen Wolfskönigin - Gerhard Kunit

    Widmung

    Diesen Roman widme ich Irland, jenem Ort, an dem die Schleier zwischen den Welten dünner sind als anderswo, seiner allgegenwärtigen Mystik – und den Irinnen und Iren, die sich 2015 mit überwältigender Mehrheit für Liebe, Gleichheit und Toleranz entschieden haben und mich damit zu diesem Buch inspiriert haben.

    * * *

    Der Weg der Kriegerin

    Das Dunkel der Nacht wich der Dämmerung, und die aufsteigenden Nebel umspielten die Gestalten, die kampfbereit durch das hohe Gras schlichen. Ruhe lag über Bal Dochlan, während die Angreifer ausschwärmten und das Dorf einkreisten. Die Dornenhecke bot keinen Schutz vor den erfahrenen Söldnern, wandte sich gegen die Bewohner und nahm ihnen jede Möglichkeit zur Flucht vor den Jägern, die auf Menschen aus waren.

    Medbh hatte genug gesehen. Sie lief zu den Baumgruppen auf den Hängen westlich des Dorfes. „Danke, mein Schöner", flüsterte sie und liebkoste Skryr, ihren Raben, der sich auf ihrer Schulter niederließ. Hätte er sie nicht vor den Schiffen der Eindringlinge gewarnt, wären die Einwohner Bal Dochlans im Schlaf überrascht, ohne eine Chance auf Gegenwehr erschlagen oder in die Fremde verschleppt worden.

    „Gut, dass Du kommst", sagte Ulgacha, ihre Ziehmutter, Schildschwester und Wagenlenkerin. Nur eine Strähne ihrer dunklen Locken stahl sich unter dem Helm aus gehärtetem Leder hervor und milderte ihren entschlossenen Ausdruck.

    „Wir können sie nicht mehr lange halten", pflichtete Eillean bei, die mit ihrem ganzen Gewicht im Geschirr des Leitwolfs hing. Im Gegensatz zu Medbh und Ulgacha war sie nackt. Ihr flachsblondes Haar trug sie offen, und die Runen in der blauen Farbe des Krieges zierten ihren gestählten Körper.

    „Calm, Fangrir, calm", wisperte Medbh, und der Graue gab Ruhe, doch seine Augen versprühten ein waches Feuer. Die sechs übrigen Wölfe ihres Gespanns entspannten sich augenblicklich, sobald sich der Leitwolf legte. Ich wollte, ich könnte mich ebenso leicht beruhigen, dachte sie. Uighar Kriegskrähe, der Häuptling der Coughnacht war die Leitfigur eines jeden Kriegers, eine Naturgewalt in Menschengestalt. Mit eiserner Hand und unbeugsamem Willen hatte er die Coughnacht zu ihrer jetzigen Stärke geführt und diese Fremden würde er vom Feld fegen, so wie er alles beiseite fegte, was ihm in die Quere kam – aber er war mit seinen Kriegern im Osten des Stammesgebietes gebunden.

    Also hing es an ihr, seiner achtzehnjährigen Tochter und an Dommagh, ihrem kaum älteren Halbbruder. Ihre Unrast entsprang nicht dem bevorstehenden Kampf oder der Gefahr. Sie wusste mit ihren Waffen umzugehen und fürchtete den Tod nicht. Aber diesmal führte sie ihre Krieger in die Schlacht und die Verantwortung für hundert Leben wog schwerer, als sie jemals erwartet hätte.

    Sie öffnete die Brustschale ihres Lederpanzers und zog die Klinge ihres Messers über ihre rechte Brust. Eibrin, die junge Priesterin beugte sich zu ihr, sog das helle Blut auf, das aus dem Schnitt quoll und spie es Eillean, Ulgacha und Medbh ins Gesicht. Anschließend verschmierten die Frauen das Opfer ihrer Prinzessin über Stirn, Wangen und Hals, betend, es möge das letzte Blut sein, das sie heute vergössen. Der metallische Geschmack erinnerte Medbh an die Vergänglichkeit des Lebens, an seinen unersetzbaren Wert, und der Schmerz an ihrer Brust weckte ihre Sinne, verhalf ihr zu jener klaren Sicht, die sie im Kampf auf Leben und Tod nicht missen wollte. Ulgacha zog den Riemen von Medbhs Panzer fest, und der Druck stillte die Blutung fast augenblicklich. Dann warteten sie, warteten auf den Beginn des Sterbens.

    Zuerst waren es einzelne Schmerzensschreie, die von Bal Dochlan herauf wehten, als die Geschosse der Schleuderer die Angreifer überraschten, doch bald hallte der dumpfe Ton eines Kriegshorn durch den Morgen. „Es geht los", sagte Medbh.

    Eibrin bestieg ihren mit Ponys bespannten Kampfwagen und setzte sich an die Spitze der Berserker, nackte Krieger, deren Äxte Furcht und Schrecken über ihre Feinde brachten. War ihr Blutdurst erst einmal entfesselt, ließen sie nichts und niemandem am Leben, und nur Eibrins Gesang mochte ihre Wut dann noch besänftigen, so die Göttin das zuließ. Sie sollten das Dorf nördlich umgehen und die östliche Kolonne der Angreifer aufrollen.

    Eillean lief zu ihren Furien, achtzehn ausgewählten Frauen, die nach Rache für die feigen Überfälle der letzten Monde dürsteten. Sie kämpften mit kurzen, scharfen Klingenpaaren und schlugen ihre Gegner mit Angriffen auf die Sehnen und Gelenke kampfunfähig, damit sie später der Kriegswölfin geopfert werden konnten.

    Medbh ging zu Fangrir und liebkoste ihn, während er das Blut von ihrem Gesicht und von ihren Händen leckte. Sie stieg auf ihren Wagen, sah, wie Dommagh seinen Streitwagen nach Südosten lenkte und seine Axtkämpfer zwischen die Angreifer und ihre Schiffe führte. Falls der Gegner entschlossenen Widerstand leistete, könnte ihr seine Schar beim Kampf um das Dorf fehlen, doch sie wollte den Feind nicht nur abschlagen. Wenn sie die Coughnacht vor den wiederholten Angriffen der Fremden schützen wollte, musste sie einen vollständigen Sieg erringen.

    Ulgacha schwang sich vor Medbh auf die Plattform und nahm die Zügel. Ihr schriller Ruf trieb Fangrir an, und sechs Wölfe folgten seinem Beispiel. Die schweren Räder lösten sich nur widerwillig aus der schwarzen, feuchten Erde, doch dann setzte sich der Kriegswagen in Bewegung. Als sie die Ausläufer des Buschwerks passierten, konnten sie das ganze Schlachtfeld überblicken.

    Jenseits Bal Dochlans formierten sich die Feinde und verfolgten die kecken Schleuderer, die ihnen in den Rücken gefallen waren, in Richtung Wald. Sie ahnten nichts von Brynswick und seinen Speerkämpfern, die dort auf sie lauerten, und Eibrins Berserker würden ihr Schicksal besiegeln.

    Die Kolonne diesseits des Dorfes formierte sich zum Angriff auf die Siedlung. Sechs junge Coughnacht mit Großschilden hielten den Durchlass durch die mannshohe Dornenhecke, Freiwillige, die ihr Leben riskierten, um die Habe der Dorfbewohner zu verteidigen. Brüllend drangen drei Dutzend Angreifer auf sie ein. Schlagend, stechend und drängend wollten sie die Verteidiger aus der Engstelle vertreiben, damit sie ihre Übermacht entfalten konnten. Hier tat Eile not, ehe sich der Feind zwischen den Häusern festsetzte.

    Medbh schlug Ulgacha auf die Schulter und ihr Speer wies der Wagenlenkerin den Weg. Eilleans Streiterinnen folgten ihr in ungewohnter Schweigsamkeit, und so näherten sie sich unbemerkt.

    Da taumelte einer aus dem Getümmel, die Hand an die blutende Stirn haltend. Seine Augen weiteten sich, als er Medbh und die anstürmenden Furien erkannte. Der Anblick der nackten Kriegerinnen mit den blauen Kriegsrunen erschreckte ihn ebenso, wie der von Wölfen gezogene Streitwagen. Er schrie und schlug seinen Gefährten auf den Rücken um sie zu warnen, doch letztlich stellten sich nur acht Kämpfer dem Ansturm entgegen.

    Erstmals sah Medbh ihren Feind aus der Nähe. Einige kämpften mit Speeren, doch die meisten verließen sich auf kurzstielige Kriegsäxte. Die großen Rundschilde zeigten rote Strahlen auf einem dunkelgrünen Grund, und die Männer trugen hohe, seltsam gerundete Helme, die ihren bärtigen Gesichtern eine ungewohnte Form verlieh. Anders als die braunen, roten und blonden Coughnacht war das Haar der Fremden schwarz wie das Gefieder der Raben, schwarz wie Medbhs Haar, doch die braune Haut unterschied sich von ihrem bleichen Teint, war dunkler als bei allen Menschen, die sie bislang gesehen hatte.

    Medbhs erster Wurfspeer traf auf den Schild eines breitschultrigen Hünen, und ihr zweiter Wurf durchbohrte seinen Hals. Während sie nach Fangzahn, ihrem Kriegsspeer griff, trafen die Furien auf die wankenden Verteidiger, doch deren Lederrüstungen waren mit Metallringen verstärkt und hielten den Stichen und Schnitten der leichten Klingen stand. Ulgacha lenkte Fangrir um die kurze Front herum, und Medbh griff aus der Flanke an. Ihr Stoß fuhr dem nächstbesten Gegner in die Seite. Er brach in die Knie und schrie, bis eine Klinge seine Kehle aufschlitzte.

    Zwei Frauen sprangen über die hartnäckigen Söldner hinweg und fielen jenen in den Rücken, die den Dorfeingang berannten, doch eine dritte bezahlte den Versuch mit ihrem Leben. Medbh rächte die Tapfere auf der Stelle, konnte Fangzahn aber nicht mehr von dem zusammenbrechenden Kämpfer befreien. Der Anführer der Fremden wurde der Bedrohung gewahr und führte seine Männer gegen den Feind in seinem Rücken, wodurch der Druck auf die Verteidiger des Dorfes nachließ. Eine der Frauen fiel unter der Klinge seines Schwerts, und Medbh brüllte ihm ihre Herausforderung entgegen.

    Zwei seiner Männer gingen dazwischen. Einen fällte sie mit einem wuchtigen Hieb ihrer Streitaxt und den anderen stieß sie mit ihrem Schild beiseite. Seine gellenden Schreie verrieten ihr, dass ihr die Wölfe das Weitere abnahmen, und sie fokussierte sich wieder auf den Recken, der seine blutige Klinge gerade aus einem leblosen, nackten Körper zog. Medbh stürmte auf ihn ein, und die Schilde prallten aneinander, während seine Klinge ihren Hieb parierte. Ihr Rückhandschlag kam ansatzlos – und wurde dennoch von seinem Schild abgefangen. Mit knapper Not tauchte sie unter seinem Gegenschlag weg, und sein Vorstoß brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie taumelte und hielt seinem Ansturm nur mit Mühe stand.

    Furien eilten ihr zu Hilfe, doch seine Männer verstanden ihr Handwerk und deckten seine Flanken. Medbh sammelte sich und griff erneut an, doch seine ebenso ungewohnten wie wirksamen Kombinationen brachten sie in Bedrängnis. Ihr Schildarm schmerzte, und an ihrer rechten Schulter klaffte ein Schnitt, der ihren Hieben die nötige Präzision raubte. Da huschte ein Schatten hinter ihrem Gegner vorüber, und gleich darauf tauchte Eilleans Gesicht zwischen seinen Beinen auf. Sie lachte, während sie ihre Klingen nach oben stieß und die Innenseiten seiner Oberschenkel vom Knie bis zur Leiste aufschlitzte, und sie lachte, während sein Blut auf ihr Gesicht und über ihren Körper spritzte.

    In stillem Einvernehmen stieß Medbh den Sterbenden zur Seite und sprang vor, um die am Rücken liegende Gefährtin zu schützen, doch mit dem Tod des Anführers brach auch der Kampfeswillen seiner Männer. Einige fielen noch unter den Streichen der wütenden Weiber, ehe die Übrigen die Waffen streckten und sich in ihr Schicksal ergaben. Noch heute würden sie als Opfer für die ewige Wölfin ihr Leben lassen, und das Leid der erschlagenen Coughnacht sühnen.

    Ulgacha wollte Medbhs Schulter verbinden, doch sie winkte ab, streichelte Fangrir über den Nacken und stieg wieder auf den Wagen. In diesem Moment hörte sie vom Wald her den Jubel ihrer Männer, die ihre Gegner zwischen dem unerbittlichen Schildwall und den entfesselten Berserkern aufgerieben hatten. Einem Wolfsrudel gleich verfolgten die Schleuderer die wenigen Versprengten, die der tödlichen Umklammerung entkamen, und sie würden nicht ruhen, ehe der Letzte gefallen war. Dort gab es nichts mehr zu tun, und Medbh hoffte, dass ihre Berserker nicht allzu viele von Brynswicks Männern erschlugen, ehe Eibrins Lied sie besänftigte.

    Sie sah sich um. Vier von Eilleans Kämpferinnen lagen tot auf der Kampfstatt und zwei der Männer aus dem Dorf. Zwei oder drei der Furien waren so schwer verletzt, dass wenig Hoffnung für sie bestand, doch angesichts der zwei Dutzend gefallenen Gegner und einem weiteren Dutzend Gefangener konnte sie mit dem Ausgang zufrieden sein. In diesem Moment hörte sie von der Küste her den durchdringenden Ton der Kriegspfeifen. Die Schlacht war noch nicht vorüber. Medbh suchte Fangzahn und ihre Wurfspeere zusammen, nahm das Feldzeichen mit der schwarzen Wölfin vom Wagen und schwenkte es Richtung Meer. Eibrin erwiderte das Signal vom Waldrand herab, ehe sie ihre Berserker in Marsch setzte.

    * * *

    „Maeve! Komm zu Dir! Maeve!"

    „Mama?" Die wasserhellen Augen des Kindes richteten sich auf Ari und die Krämpfe, die den kleinen Körper schüttelten verebbten.

    „Ja mein Kind, ich bin deine Mama. Du hast geträumt. Sie schlang ihre Arme um das Mädchen und streichelte über ihren Kopf. „Es ist gut, murmelte sie. „Es war nur ein böser Traum."

    „Nein", sagte das Mädchen.

    „Wieso nein?", erkundigte sich Ari.

    „Das war kein Traum, sagte die Sechsjährige. „Ich war dort.

    „Wo warst Du?, forschte Ari behutsam nach. „Willst du es mir erzählen? Maeve nickte heftig. „Du bist ja komplett durchgeschwitzt, fuhr Ari fort, nahm ein Leinentuch und fischte ein frisches Nachthemd aus der Truhe. „Und du erzählst mir alles der Reihe nach. Sie half der Kleinen aus dem nassen Hemd und frottierte ihre langen schwarzen Haare.

    „Ich war eine Prinzessin, begann das Mädchen. „Ich trug einen reich verzierten Lederpanzer und einen langen Speer, und ich fuhr auf einem Wagen in den Kampf, der von Wölfen gezogen wurden. Wir mussten Bal Dochlan verteidigen, das von bösen Männern angegriffen wurde.

    „Bal Dochlan?, unterbrach Ari mit seltsamer Unrast. „Wo hast Du das gehört?

    „Das Dorf heißt so, sagte Maeve und sah ihre Mutter forschend an. „Kennst Du es?

    Die Ältere nickte. Ihr Blick richtete sich in eine dunkle Ecke des Raumes, als gäbe es dort etwas zu sehen.

    „Sag schon, drängte das Kind. „Was ist mit Bal Dochlan?

    „Ballydolan wurde so genannt, sagte Ari. „Früher, als die alte Sprache noch gesprochen wurde, und wir an die alten Götter geglaubt haben, aber der Name wurde vergessen. Selbst ich habe mich kaum noch daran erinnert.

    Sie schwieg, und das Mädchen hielt mit der Erzählung inne, bis ihre Haare trocken waren, und sie in das frische Hemd schlüpfte.

    „Wie haben sie dich genannt, als Prinzessin?", fragte sie mit einem seltsamen Zittern in der Stimme.

    „Meb, sagte das Mädchen. „Aber sie haben es recht seltsam ausgesprochen.

    „Medbh, flüsterte Ari ehrfürchtig. „War es Medbh?

    Das Mädchen nickte begeistert. „Ja, das war es. Woher weißt du das? Wer ist das?"

    „Es heißt Maeve, sagte die Ältere. „Sie war die größte Königin, die Irland jemals gesehen hat, eine Kriegerin, Mutter, Wölfin und Göttin.

    Sie schob den Riegel zurück, öffnete die Brettertüre und trat ins Freie. Ein Schimmer im Osten kündete vom nahenden Morgen. Der Wind war kühl, unter den ziehenden Wolken hingen Nebel, doch es regnete nicht. „Zieh dich an, mein Kind, sagte sie und ging noch einmal in die Kate zurück. „Nimm die Schuhe. Wir gehen weit, und es wird steinig.

    „Wollten wir nicht Kräuter sammeln?", wandte das Mädchen ein.

    „Wollten wir, bestätigte Ari. „Aber das hier ist wichtiger. Sie nahm einen Kanten Brot und ein Stück Käse aus der Vorratstruhe, verstaute es in ihrem Bündel und dann waren sie marschbereit. „Auf dem Weg erzählst du mir jede Einzelheit deines Traums."

    „Das war kein Traum", beharrte Maeve trotzig.

    „Ich weiß", sagte ihre Mutter.

    * * *

    Der Weg von Aris Hütte ins Innere der Cuil-Irra-Halbinsel führte über offenes Weideland und stieg sanft an. Nach einer Viertelstunde erreichten sie die erste Anhöhe. Drei Meilen vor ihnen ragte die langgezogene charakteristische Silhouette des Knocknerea an die tausend Fuß hoch empor und das flache Steingrab auf seinem Rücken berührte die grauen Wolken, die der Wind rastlos nach Osten trieb.

    Maeve hielt inne und sah zurück. Südlich, fast schon am Ufer des Meeresarms, der tief in das Land einschnitt bis zum Hafen von Ballysadare hinüber, schmiegten sich Ballydolans Bruchsteinhäuser an die Anhöhe, die von der kleinen Kirche gekrönt wurde. Noch gestern dachte Maeve, sie stünde dort seit Anbeginn der Zeit, so wie die ausladenden Eichen, die den ummauerten Friedhof beschatteten. Heute wusste sie es besser.

    „Bal Dochlan lag weiter im Landesinneren, erklärte sie ihrer Mutter. „An der Küste war es zu unsicher. Als ihr ausgestreckter Arm nordwärts wanderte, kam sie ins Stocken. „Es liegt … es war … bei unserem Haus. Von hier oben hat Medbh den Angriff geführt, und dort drüben wurden die fremden Soldaten von unseren Berserkern niedergemacht. Aber da war dort noch alles Wald."

    Das Mädchen stockte, und Ari legte ihr die Hand auf die Schulter. „Geht’s dir gut?", erkundigte sie sich besorgt und Maeve nickte tapfer.

    Seite an Seite marschierten sie weiter und ließen das ausgedehnte Cuillean-Moor rechts liegen. Der Richtung nach könnte Sligo das Ziel sein, die Stadt, in der der englische Lord wohnte, doch da gab es einen bequemeren Weg über die Straße. „Wo gehen wir hin?" erkundigte sich das Mädchen, doch die Mutter beschied ihr abzuwarten und schritt tüchtig aus. Mit Bedauern sah sie ein Büschel Gelbnattern, die gegen allerlei Entzündungen halfen, doch die empfindlichen Blüten würden den Tag nicht überstehen. Sie ließ das Kraut unberührt und merkte sich die Stelle für den Rückweg.

    An den nördlichen Ausläufern des Moors schwenkte Ari nach Westen. Hier begann eine weitläufige von zahlreichen Buckeln durchzogene Ebene. Maeve mied diesen Ort, doch an Stelle der Scheu, die sie für gewöhnlich von hier fernhielt, trat eine unerwartete Faszination. Noch einmal fragte sie nach dem Ziel und diesmal deutete ihre Mutter zum Gipfel des Knocknerea, der jetzt vor ihnen lag. Ein sanfter Schauer überlief das Mädchen. Wolfsberg sagten die Dörfler und schlugen Schutzzeichen, sobald die Sprache auf ihn kam, doch sie empfand Ehrfurcht vor der Kraft, die von dem Berg ausging.

    Höher und höher stiegen sie, und der Blick über das Land wurde weit. Sie sahen bis Ballysadare im Südosten und bald auch das Städtchen Sligo, das die Halbinsel im Nordosten begrenzte. Dichte Wolken zogen ostwärts, durchbrochen von Fingern, die lichte Flecken auf das dunkelgrüne Land zauberten, und als sie den flachen, weitläufigen Gipfel erreichten, erstrahlte das mächtige Hügelgrab

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