Die letzten Gesänge: Erzählungen
Von Wolfgang Hermann
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Über dieses E-Book
Die letzten Gesänge erzählen vom Ausverkauf eines Landes, von einer verschwindenden Welt. Eines Morgens erstrahlt die Kleinstadt in tiefgelbem Licht vom Wüstensand, den ein Wind herbeiträgt. Der Wanderer bricht auf und sieht von einem Hügel weit hinaus bis ans Ende der Welt.
Erzählungen wie Bruchstücke einer verwundeten Welt, die durch den Blick eines Einzelnen zu neuer Anwesenheit findet.
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Die letzten Gesänge - Wolfgang Hermann
Die letzten Gesänge
Erzählungen
Es ist alles da
Es ist alles da. Straßen führen an Orte. Es ist alles gut eingerichtet. Es ist alles vorbereitet. Die Welt ist erreichbar. Der Mensch ist in sich eingeschlossen.
Frau und Mann sind eingeschlossen.
Frau und Mann sind in sich eingeschlossen.
Die Vorortsiedlung ist in sich eingeschlossen. Menschen wohnen am Rand der Stadt, wo der Boden nachgibt und ein Fluss sich breit macht. Die Siedlung ist eine kleine Stadt für sich. Eine Stadt am Rand der Vorstadt, die keinen guten Ruf hat. Den schlechtesten Ruf hat die Vorstadt der Vorstadt.
Was weiß ein Ruf.
Die Siedlung stammt aus einer Zeit, in der man anfing, sich Gedanken über menschenwürdiges Wohnen zu machen. Um den Menschen das Menschsein zu erleichtern, hat man Kommunikationsräume geschaffen. Einen Kinderspielplatz (der immer Anlass zu Beschwerden gibt. Die Beschwerden kommen von Leuten, die selbst keine Kinder haben und nicht verstehen wollen, warum Kinder laut sind.) Es gibt ein eigenes Sozialzentrum, einen Beschwerdebriefkasten und eine Sozialsprechstunde. Auf einer Tür steht Ernährungsberatung, und vor dem Sozialzentrum gibt es mehrere Sitzbänke unweit einiger Altglas- und Kunststoffcontainer. Einen Block weiter gibt es das Jugendzentrum der Siedlung, das in keinem guten Ruf steht.
Hier wohnen die, die nicht mithalten können. Manche haben einen kleinen Job, sitzen als Kassafrau im Supermarkt, Männer schieben auf Parkplätzen Einkaufswägen in Schlangen an ihren Ort. Andere leben von der Stütze. Sie haben Zeit, aber die Zeit ist grausam, und um ihre Grausamkeit weniger zu spüren, sitzen sie vormittags mit ein paar Bier irgendwo vor der Siedlung. Sie haben Zeit, zwischendurch auf ihr Mobiltelefon zu starren. Niemand hat ihnen beigebracht, wie man wartet. Hier in der betriebsamen Gegend hat kein Mensch Zeit. Um Zeit zu sparen, gibt es eine Menge neuer Geräte. Man kann mehrere gleichzeitig bedienen und spart so noch mehr Zeit. Was aber ist mit denen, die vor den Siedlungen hocken und zu viel Zeit haben?
Am Wochenende schwärmen diejenigen, die noch einen kleinen Job haben, in Familienstärke aus und stauen auf dem Parkplatz des großen Einkaufszentrums. Sie grasen das Einkaufszentrum ab wie früher die Kühe die Weide, die einmal hier lag. Ihre Kinder liegen ihnen so lange in den Ohren, bis sie ihnen den Plastikramsch kaufen, der noch vor Montag kaputtgehen wird. Manche, vor allem die Älteren, die alleine leben, wandern langsam durch die Regalreihen und betrachten Waren, für die sie keine Verwendung haben. Sie kaufen wenig, damit sie bald wiederkommen dürfen. Die Familien halten sich über die Zeit im Einkaufszentrum auf, denn zu Hause erwarten sie das Schweigen und der Fernseher. Die Kinder geben Ruhe, solange man ihnen den Gameboy und das Plastikzeug lässt.
Die Männer vor den Siedlungen brauchen wenig. Ihr Einkauf besteht aus einer Kiste Bier, die sie auf dem Gepäckträger des Fahrrads transportieren, ein paar Fischdosen, ein paar Eier, eine Stange Zigaretten und das Fernsehprogramm.
Am Wochenende sitzt es sich leichter vor den Siedlungen, außer bei Regen, der hier oft fällt. Dann flimmern den ganzen Tag die Fernseher. Hin und wieder fährt ein Auto vor, Besuch bei den Schwiegereltern. Die älteren Arbeitslosen stehen unter einem Vordach und grüßen die wenigen Mitbewohner, die das Haus verlassen.
Wo genau die Grenze verläuft, bis zu der das Kraftfeld der Stadt reicht, ist schwer zu sagen. Manchmal endet die zuversichtliche Betriebsamkeit mit einem Straßenzug, einer Häuserreihe, hinter der die Leere wartet. Zwar endet der bebaute Raum nicht, doch die Kraft ist raus, ohne dass man wüsste warum. Ein Industriegelände, ein großer Parkplatz für den Werksverkauf, ein Diskonter, ein paar Tankstellen, ein Billigmöbelhaus, schon stockt der Wind der Stadt, beginnt die Zone der Unterbrechung, in der andere Regeln gelten und der gute Ruf endet. Die Bewohner des Zentrums und der guten Lagen wissen nichts vom Leben vor den Toren der Stadt. Für sie ist es eine Zwischenzone, die sie mit ihren großen Autos möglichst rasch passieren. Sie kommen mit den Leuten von dort nur in Berührung, wenn sie Sperrmüll zum Bauhof fahren oder jemanden brauchen, der ihre Häuser putzt und ihren Rasen mäht. Ihre Kinder besuchen Schulen, in denen sie mit den Kindern aus den Siedlungen nicht in Berührung kommen.
Für die Bewohner der guten Lagen scheint die Welt ein Ort, an dem alle nötigen Dinge stetig nachwachsen, die Auslagen der Luxusgeschäfte mit den neuesten Dingen aus den Zeitschriften bestückt sind. Wo diese Menschen wohnen, siedeln sich Juweliere, Designermöbelgeschäfte, Prada, Louis Vuitton und Versace an. Es sind Namen, denen der qualitätsbewusste Kunde vertraut, obgleich er weiß, dass die Bäuche der Containerschiffe voll sind mit billigen Kopien.
Das Geld ist unsichtbar, doch es bildet sich ab durch Verkettungen. Menschen sind an Menschen durch die Kraft des Geldes gekettet. Menschen an Menschen, Häuser, Industrien, Absatzmärkte an verborgene Bewegungen. Geld ist ein unsichtbarer Wanderer. Es gibt Zonen, in denen es erarbeitet wird. Diese Zonen möchte keiner sehen. Es gibt Zonen, in denen es ausgegeben wird. Zonen des Genusses und des Wohllebens. Zonen, die davon leben, dass Reste abfallen. Das Geld reicht so tief in die Körper und die Dinge des Menschen, dass dort, wo es nicht ist, auch das Leben auszudünnen scheint. Die Abwesenheit des Geldes legt einen Schleier von Traurigkeit über die Dinge, auch die Körper zeigen es, die harten, traurigen Gesichter derer, die um jeden Notgroschen kämpfen. Die Idee der Siedlung ist es, auch den Ausgeschlossenen ein menschenwürdiges Dasein zu bieten. Doch was vermag ein Plan, eine Verordnung gegen die Abwesenheit des Lebens.
In den wohlhabenden Vierteln sind die Cafés schon vormittags gut besucht, die Stunden vergehen bei Gespräch und Aperitif. Man widmet sich den schönen Dingen des Lebens, die Tage vergehen im Rhythmus der Konzertbesuche, Vernissagen, wohlfeilen Gespräche. Das Geld zeichnet in den Gesichtern und Gesten derer, die es haben. Sie wissen um das Netz, das das Geld in ihrem Leben bildet. Sie können nicht ins Leere fallen, ihre Augen sagen es. Für die, die nichts haben, bleiben die ölgedämpften Gesten derer, die haben, ein verschlossenes Buch. Ihre Selbstsicherheit, ihr rätselhaftes Strahlen schüchtern sie ein, ihr nasaler Tonfall, der zweite Boden, auf dem sie zu gehen scheinen.
In der Siedlung weiß man nichts von Konzert und Vernissage, schon die Wörter sind unaussprechbar. Die Tage versinken im Grau, die Dinge stehen vereinzelt und verbindungslos, die Luft kraftlos. Doch, etwas ist in der Luft: immer freitags das scharfe Deodorant der Reinigungsfrau, die die grünen Flure wischt.
Die Siedlung ist ein Nicht-Ort. Weder wird in ihr Wohlstand erarbeitet, noch ist sie ein Ort, an dem Geld in Bewegung ist. Nicht-Ort: weder Genuss noch Wohlstand, weder Arbeit noch Erholung. Die Siedlung ist eine Schlafstatt, doch ihre Traurigkeit zersetzt jeden Schlaf. Die Siedlung bietet einer großen Anzahl von Menschen Heimat. Seit langer Zeit gibt es Bemühungen von institutioneller Seite, um ein Gefühl von Zusammenhalt, Sicherheit, Verwurzelung zu erzeugen. Es gibt vermehrt Anstrengungen, um Konflikte zwischen Zuwanderern und Menschen verschiedener Religions- und Kulturgruppen zu verhindern. Es gibt örtliche Kulturvereine und kleine Privatinitiativen, es gibt wechselnde Fotostrecken auf Anschlagbrettern in Gemeinschaftsräumen und Erschließungen, die von diesen Anstrengungen berichten. Es gibt müde Feste und Feiern jeder Art, jeder Gruppierung. Es gibt verstärkte Bemühungen, ein Gefühl von Siedlungsidentität zu schaffen. Kinder verschiedener Ethnien lächeln mit und ohne Zahnlücke von Plakaten, daneben Sätze wie: „Unsere Siedlung ist cool!"
Dennoch herrscht auf den Fluren und Gängen, auf den Vorplätzen und Verbindungswegen zwischen den Wohnblocks eine erstaunliche Stille wie von einer großen Erschöpfung. Die Luft zwischen den Menschen und Dingen steht still wie seit Anbeginn der Tage, und es scheint unwahrscheinlich, dass sich das ändern könnte.
Ein Mann, ein Bahnhof
Im Laufe der Jahre wurde sein Sakko zur Beule. Sein Hut war ihm am Kopf angewachsen. Nur selten steckte in seinem Mundwinkel kein Krummer Hund. Seine Augen waren Knöpfe, denen keine Bewegung entging. Es lag wohl an seinem Schielen, dass sein Blick überall zugleich war. Seine Schuhe knarrten meine halbe Kindheit lang hinter meinem Rücken. Tagaus, tagein schlich er in Begleitung seines Krummen Hunds um den Bahnhof herum, redete mit niemandem, sah alles, während dem Krummen Hund darüber das Feuer ausging. Er sah mich durch den Maschendraht klettern und über die Gleise flitzen, sah mich am Bahnhofsbuffet zehn Mannerstollwerk zu einem Schilling kaufen (wenn ich den Schilling genau hatte, konnte mich die Frau am Buffet nicht betrügen), sah mich zurückflitzen über die Gleise und durch das Loch im Maschendraht verschwinden. Unser Haus lag nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt, was mich zum Bahnhofspezialisten machte. Ein Bahnhofspezialist ist zugleich einer für Abreisen und Ankommen, ein Sehnsuchtsspezialist.
Es mag an seinem Schielen gelegen haben, dass man meinen konnte, er starre einen an, wo man auch ging. Wenn ich über die Gleise flitzte, sah er mich, wenn nicht er, dann sein Krummer Hund.
Es fuhren zwar nur selten Züge ein, aber die Sehnsucht schlief nie. Die Sehnsucht hauste am Bahnhof in Gestalt von einsamen Männern mit dunklen Augen, die als Schatten durch die Bahnhofshalle schlurften. Zwei oder drei von ihnen standen zusammen und sprachen eine raue, erdige Sprache. Durch die im Rücken verschränkten Hände wanderten Gebetsketten.
In den Augen dieser Männer spiegelten sich einsame Ebenen unter sengender Sonne. Diese Männer standen anders beisammen. Ein Murmeln war da, ein stummes Zusammengehören, ein gemeinsam getragenes Leid. Diese Männer waren frei, sie hatten ihr fernes Anatolien hinter sich gelassen, doch die Freiheit war größer als sie. Sie gingen am Bahnhof schlurfend in Deckung.
Wie ein Trabant umkreiste sie der Mann mit den Knopfaugen, dessen Kopf immer schräg stand wie eine Tanne nach verheerendem Sturm. Hinkte er schon immer? Er war in seinem eigenen Kreis eingeschlossen, den er unaufhörlich abschritt. Er war das Glotzermännle, so nannten wir ihn, er glotzte die Welt an, doch die Welt sah nicht zurück, sie übersah ihn, der hier auf dem schäbigen Bahnhof in Deckung ging. Er schritt seinen Kreis mit der verzweifelten Geduld eines Menschen ab, dessen Zeit in sich zusammengefallen ist. Es hieß, er warte auf seinen Sohn, der aus dem Krieg nicht nach Hause gekommen war. Der Krieg, das war die gefrorene Zeit selbst, der Krieg am Ende der Zeit.
Sein Schritt grub sich mit jedem Jahr tiefer ein, er hinkte davon immer stärker. Das Knarren seiner Schuhe kündigte ihn an, er sagte kein Wort, niemand wusste, ob er sprechen konnte. Sein Blick war eng wie eine