Frühe Federn
Von Duke Meyer
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Buchvorschau
Frühe Federn - Duke Meyer
Autor
Vorwort
So früh kamen sie mir nicht vor, meine Federn, als ich diese Texte schrieb – zum Teil fühlte ich mich älter als heute (was wohl ein Jugendmerkmal ist)...
Aus heutiger Sicht sind sie früh. Zwischen 1986 und 2002 entstanden die Prosastückchen – beim Verfassen der meisten war ich (zum Teil weit) unter 35... Einige dieser Texte inszenierte ich irgendwann auch auf Bühnen, in verschiedenen Shows (mit und ohne musikalische Einlagen) – manche schrieb ich im Auftrag, andere einfach so: letztere unveröffentlicht bis zu dieser Stunde.
Natürlich habe ich nur Texte ausgewählt, die ich heute noch gut finde – obwohl sie ihre jeweilige Zeit atmen, die schon lange vergangen ist. Etwa die Hälfte ist heidnisch intendiert – spielt das eine Rolle? Die frühesten dieser Art versprühen entsprechende Begeisterung fürs Metier – und werfen auch gern mal mit Begriffen um sich, die nicht allgemein geläufig sind. Ich habe daher entsprechende Erklärungen beigefügt: unterm jeweiligen Kapitelschluss.
Des Raben Unterflug
, ein Theatermonolog, den ich Anfang 1992 in typischer Eigenbau-Maske (siehe Cover) für eine Gruppe Touristen in den Nürnberger Felsengängen aufführte, markiert das Übergangsstadium: Kein halbes Jahr später wurde ich Heide – hätte dergleichen zum Zeitpunkt der Performance aber noch weit von mir gewiesen. Der Text verrät mehr entsprechende Weltsicht – oder Geneigtheit –, als mir damals bewusst war.
Allein – das ist hier kein Kriterium. In die Auswahl kam, was sprachlich überzeugte. Auch wo mir – vor allem in den älteren Stücken – die eigene Weltsicht zum Teil fremd geworden ist: da, wo sie sich in besonders düsteren, manchmal hoffnungslosen Stimmungen verschwelgt. Zum Teil verblüffte mich dabei – rückblickend – einstige Voraussicht: Vorwegnahme von Zuständen, die der Allgemeinheit teilweise erst viel später geläufig wurden.
Wie auch immer: Diese Textsammlung soll zum Schmökern einladen.
Noch was zu den Titeln: Streifzüge Vol. I
sind hier nicht dabei, weil es sich um Liederstrophen handelt (die mir textlich ohnedies nicht vollständig erhalten blieben, aber das ist eine andere Geschichte). Die hier vorgestellten Streifzüge Vol. II
und Nachtsprung (Streifzüge Vol. III)
gehören zu meinen ersten Prosatexten überhaupt. Die später vertonte Schnurre Früh am Feuer
schließt diese Sammlung ab; doch auch in der musikalisch untermalten Fassung wird der Text nur gesprochen.
Ich wünsche gute Unterhaltung.
Im Bragishof, März 2014
Prolog, abends
AAAAAAAAAAAAAHHH! Entschuldige.
Entschuldige das gefälligst. Ich wollt' ja nur sagen.
Alltag ist ein Zimmer mit fester Möblierung. Das gestrige gleicht dem heutigen, das morgige Bett ist unberührt, doch es gleicht dem von heute, du kennst seine Maße und seine Geräusche. Die immer gleichen Zimmer des Alltags reichen aus der Zeit des Vergessenhabens bis in die Zeit des Vergessenseins, bilden als völlig identische Parzellen ein lang elendlang lebensängstlängliches Bauwerk, die Monogam-Einbahn, den Ratio-Wahn-Tunnel, der davon lebt, dass er seine Seitenausgänge verleugnet – der Tagfürtag-Tempel real existierender Ewigkeit in sattsaurer Selbstgefälligkeits-Allnacht Amen.
Die neue Sklavenkarawane stolpert durch die Kaufwüste ohne gegenseitigen Sichtkontakt. Das ist sozialer Fortschritt. Jeder trägt sein Leid für sich alleine im Exklusivvertrag mit der Bequemlichkeit Alltag Erbarmen. Auch mein Joch ist transparent, niemand sieht, was ich am Hals habe... Ich sehe nicht, was du am Hals hast...
So unsichtbar die Ketten der Gewohnheit uns binden, so unnennbar bleibt die Freiheit, für die wir streiten. Sollten.
1989
Dieser Text war das gesprochene Outro eines dreiteiligen musikalischen Traktats namens Hunger in Seele
, das ich Ende der 80er Jahre auf einem Album veröffentlichte, das noch als Audiocassette verkauft wurde: dies nicht besonders zahlreich. Es hieß Teutofick
. In der späteren Performance Teuto Talk
(1990-1992) strippte ich mich zu dieser Szene in martialischer Körperbemalung aus den grauen Bühnenklamotten – und warf mich fast nackt in zuvor dafür aufgespannten Stacheldraht (daher das AAAAH! am Anfang des Textes;-).
The Beauty and the Beast
Wenn ich schön wäre – würdest du mich dann rauben?
Ich würde dich auch so rauben, wie du bist. Leider bin ich nicht halb so mächtig wie King Kong.
Am Schluss stürzten sie ihn vom Empire State. Wäre das denn dein Traum?
Mit der Geschichte vorher – ja. Aber ich würde trotzdem nicht so enden. Ich würde hinabsteigen, bevor sie kommen. Meine haarige Hand würde dich bergen, und unser wäre die Flucht.
Doch ich bin hässlich, und du kraftlos. Wir sind niemandes Traum – und niemandes Wunsch. Keiner wird uns je fürchten.
Und – wenn wir uns lieben?
Was käme dabei schon heraus?
Das Glück für uns – und der Neid für die anderen.
Wer sehnt sich nach Neid, Biest?
Du doch bestimmt am allermeisten, 'Beauty'!
Nein. Ich will... Liebe.
So nimm denn meine. Mehr vermag ich nicht zu geben.
Hast du überhaupt die Kraft, mich hochzuheben?
Nein, Hässliche. Meine Kraft reicht grad für einen Kuss.
Du willst küssen können? Mich?
Mensch, ich muss!
Und – wieso?
Damit unsere Geschichte endlich beginnt.
Sie knutschten. Dann nahm die Hässliche das Biest bei der Hand und setzte es sich auf die Schultern. Sie gingen am Empire State Building vorbei. Hoch oben malten ziellose Düsenjäger Kondensstreifen in die Luft. Die Leute unten blieben stehen und musterten das scheußliche Paar. Das Biest spuckte ihnen auf die Köpfe, in die Tabakspfeifen und in die Dekolletés. Die Hässliche krähte ein Lied. Und so gingen sie weiter fort, quer durch die Schluchten von New Dorf, in der Hoffnung, früher oder später einen Ausgang zu finden.
1986
Dieser szenische Dialog wurde zwei Jahre, nachdem er mir entschlüpft war, Bestandteil meiner Soloperformance Hysterische Lyrik
(später: Hystéria oder Aufführung auf Deutsch
), mit der ich ein paar Jahre lang quer durch den deutschen Sprachraum tingelte. Gefühlte Äonen danach griff ich ihn nochmal auf, zusammen mit meiner Musikkollegin Karan: als gelegentlichen Eröffnungsdialog früher Singvøgel-Konzerte (2003-2005).
Kalendertage
Es ist einsam hier. Die Tapeten sind fortgegangen und haben die Wände nackt zurückkgelassen. Der Wind besucht mich nicht mehr, er pfeift in zwei Metern Abstand ums Haus. Ich habe noch ein Telefon. Natürlich ist es nicht angeschlossen, das ginge gar nicht, denn es ist eine Weichplastikattrappe, aber es hat auch einen richtigen Knopf, wenn man feste darauf drückt, schellt er. Das ist mein Telefon ich hatte es schon als Kind mein Telefon ja. Es ist besser als nichts, weil wenn ich ein richtiges Telefon hätte, mit Postanschluss und so, dann hätte ich das ja jetzt auch nicht mehr, weil das meine Frau mitgenommen hätte. Zwar existiert diese Frau nicht, aber wenn ich mit ihr liiert gewesen wäre, hätten wir uns bestimmt kürzlich verkracht und sie hätte mich verlassen, und das Telefon sicher mitgenommen, das mit Postanschluss meine ich.
Ich bin heilfroh, dass ich niemals eine solche Frau kennengelernt habe, mit der man sich dann verkracht und die dann das Telefon mitnimmt. Allerdings ist es etwas einsam hier. Die Stühle sind krank: Sie gehen in die Knie, wenn ich mich auf sie setze. Einer versucht mich sogar abzuschütteln, aber dazu fehlt ihm doch die Kraft. Der andere ist heiß an der Lehne. Ich weiß nicht, wie man Fieber bei Stühlen misst. So habe ich mir in den letzten Tagen angewöhnt, meine Mahlzeiten auf dem Tisch sitzend einzunehmen. Das Lästige dabei ist nur, dass ich dazu den Fernseher ausschalten muss. Ich habe nie das Märchen geglaubt, dass der Fernseher zum Hineinschauen wäre. Ich wusste seit meiner Geburt, dass Fernseher einen beobachten, und zu nichts anderem sind sie hergestellt, als das Wohlverhalten der Staatsbürger zu kontrollieren – wer nicht guckt, macht sich erst recht verdächtig. Aber ich kann doch den heimlichen Beobachtern nicht den Anblick zumuten, wenn ich auf dem Tisch sitzend esse. So wird es eine Frage der Zeit sein, wie lange ich hier noch leben und mein Wesen treiben darf.
Manchmal wünsche ich direkt, ich machte die Tür auf und zwei große aufrechtgehende Ameisen ständen draußen und sagten brzzz brzzz, was soviel hieße wie Mitkommen! Sie sind verhaftet.
Ich weiß, dass es Ameisen sein werden – sie schicken immer Ameisen, wenn etwas unwichtig, aber unaufschiebbar ist, besonders in Staats- und Amtsangelegenheiten.
Nun, momentan bin ich, zumindest de facto, noch keine Amtsangelegenheit. Ich esse übrigens nur Fisch. Dabei kann man so gut vom Meer träumen. Ich liebe das Meer nämlich. Ich stelle mir immer vor, ich liege auf dem Meer, mit dem Bauch nach oben, und beobachte die Badenden am Strand. Ja, das Meer. Hier gibt es nur Staub. Staub Staub Staub. Haben Sie schon mal versucht, im Staub zu baden? Ich nicht. Aber solange die Tapeten noch da waren, lenkten sie den Blick ab, und alles war erträglich. Sie hatten schöne Muster, die Tapeten, lauter ineinander verschlungene braune Karo-Streifen vor einem beigen Hintergrund, das sah ein bisschen aus wie ein Jägerzaun vom Boden bis zur Decke, ähnlich manchen Teppichen in Sparkassen, wo man draufschauen kann und die Zeit vergisst, weil es einen schwindelt und in große Tiefen stürzt, so dass man völlig vergisst, was sie mit den Konten machen. Sie haben die Sparkassen nur wegen der hypnotischen Teppichmuster installiert, aber das alles ist lange her und heute nicht mehr von Bedeutung. Jetzt sind die Wände kahl, die letzte Tapetenbahn hat beim Weggehen noch meinen Papierkorb mitgenommen, der Himmel weiß