Mondscheinsonate und Eisenhut
Von Anja Stephan
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Buchvorschau
Mondscheinsonate und Eisenhut - Anja Stephan
Impressum
Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim
Art Skript Phantastik Verlag und den Autor*innen.
Copyright © 2024 Art Skript Phantastik Verlag
1. Auflage 2024
Art Skript Phantastik Verlag | Salach
Lektorat » Melanie Vogltanz | www.lektoratvogltanz.wordpress.com
Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag
ISBN » 978-3-949880-08-7
Der Verlag im Internet » www.artskriptphantastik.de
Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Kapitel 1 – Waterfalls
Die Braut in dem verschlissenen Kleid und dem knochigen Körper schritt aus der Kirche hinaus. Der Mond schien groß und blass. Mit einem Lächeln auf den Lippen löste sie sich in unzählige Schmetterlinge auf und flog in den Nachthimmel.
Lotte schluchzte laut und schnaubte geräuschvoll in ein Taschentuch. Sie liebte Die Leichenbraut. Der Film machte ihr Mut, auf die Liebe zu hoffen. Sie knüllte das Taschentuch zusammen und warf es achtlos weg. Fest drückte sie das große Kissen an sich und ließ sich zur Seite fallen. Verschwommen sah sie den Abspann des Films über den Bildschirm flimmern. Sie schloss die Augen und die Tränen flossen erneut. Sie wanderten über ihre Nasenwurzel, über die Wange und dann tropften sie auf das Sofakissen. Ungeschickt tastete sie nach ihrer Kuscheldecke und zog sie sich über den Kopf. Lotte machte sich klein, schlang die Arme um die Knie.
Sie hätte nie gedacht, dass es so wehtun würde. Sie hatte schon einige Beziehungen gehabt, war verlassen worden, hatte selbst verlassen. Aber mit Frederike war es besonders gewesen. Ihre längste Beziehung überhaupt. Ganze fünf Jahre! Ein Rekord für Lotte. Mit ihr hätte sie alt werden können. Der Schmerz zog sich durch ihren ganzen Körper. Sie heulte auf. Nie wieder würde sie sich verlieben! Nie wieder! Was zum Henker war passiert, dass sie Fred nicht mehr glücklich machen konnte? War es das, was man heutzutage auseinanderleben nannte? Dieser Graben, der sich zwischen den zweien auftat und sie weiter und weiter auseinandertrieb, bis sie sich nichts mehr sagen konnten, nichts mehr teilen konnten, weder Glück noch Unglück, weil die andere schon zu weit weg war?
Es klingelte.
Lotte schniefte, zog sich die Decke noch enger um den Körper und vergrub ihr Gesicht im Kissen. Sie hörte einfach nicht hin. Die Person, die da vor der Tür stand, würde schon irgendwann wieder gehen.
Es klingelte noch einmal.
Schrill und viel zu laut. War die Klingel schon immer so laut gewesen? Lotte hielt sich die Ohren zu. Manchmal verfluchte sie ihr ausgeprägtes Gehör. Noch einmal und sie würde die Klingel abstellen.
Doch dann steckte jemand den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Der Schlüsselbund klapperte dabei so laut, dass sie es bis unter die Decke hörte. Lotte horchte auf. Sie kannte nur eine Person mit einem derartigen Schlüsselbund: Vincent. Hastig warf sie die Kuscheldecke zurück und strampelte sie von sich. Hätte sie sich ja denken können! Bestimmt hatte ihre Ma ihn angerufen.
Sie sprang vom Sofa und klaubte die benutzten Taschentücher vom Teppich, die überall verstreut lagen, und stopfte sie in die Ritze des Sofas zwischen Sitzfläche und Lehne. Zur Sicherheit warf sie eines der Kissen darüber. Er sollte ihrer Ma nicht erzählen, dass es ihr wirklich so schlecht ging, wie sie vermutete. Die machte sich ohnehin immer zu viele Sorgen.
Lotte hechtete zur Küchenzeile im Wohnzimmer. Dort drehte sie den Wasserhahn auf und schüttete sich eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht.
»Ernsthaft, Lotte?« Vincent hinter ihr lachte.
Sie griff nach einem nicht mehr ganz astreinen Handtuch und trocknete sich das Gesicht ab.
»Dass du immer noch denkst, du müsstest dich vor mir verstecken.« Ihr bester Freund stemmte die Hände in die Hüfte. »Ich könnte beleidigt sein.«
Lotte faltete das Handtuch und hängte es über den Griff am Ofen. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte sie sich an die Arbeitsplatte. Sie und Vincent kannten sich schon seit dem Kindergarten, waren zusammen zur Schule gegangen und hatten sogar mal gemeinsam in einer WG gewohnt. Vor ihm brauchte ihr gar nichts unangenehm zu sein.
Vincent sah sich um und entdeckte das DVD-Menü auf dem Fernseher. »Oh mein Gott. Du hast dir Die Leichenbraut angesehen?« Mit großen Augen starrte er sie an.
Lotte presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Da rollten schon wieder die Tränen ihre Wangen hinunter. Ihre Augen brannten. Lautlos tropften sie auf den Boden. Vincent kam auf Lotte zu und legte die Arme um sie.
»So schlimm?«
Sie schniefte laut, legte ihren Kopf auf seine Schulter und umarmte ihn ganz fest. Sanft streichelte er ihr über den Rücken. Es war so gut, dass er da war.
»Hat meine Ma dich angerufen?« Sie schluchzte.
»Jap.« Er klopfte ihr sanft auf die Schulter, dann führte er sie zum Sofa. »Komm, mein Schatz. Setz dich.«
Lotte ließ sich auf das Sofa plumpsen und sah zu Vincent hoch.
Er kniete sich vor sie hin und nahm ihre Hände. »Ehrlich gesagt habe ich schon längst damit gerechnet, dass Fred die Beziehung beendet.«
Lotte kniff die Augen zusammen und ein neuer Schwall Tränen trat hervor. »Ich weiß.« Aber sie hatte es nicht sehen wollen. Sie hatte gehofft, es würde doch wieder gut werden. Irgendwie. »Aber es tut trotzdem weh.«
Vincent reichte ihr die Taschentuchbox. Sie zog eines heraus und schniefte geräuschvoll hinein.
»So, ich mach jetzt Pfannkuchen.«
Lotte strahlte und schniefte zugleich.
»Du hast doch alles da, oder?«
»Immer.«
Vincent kramte in der Küchenzeile die paar Zutaten zusammen, die er brauchte und stellte sie sorgfältig in einer Reihe nebeneinander auf. Lotte beobachtete ihn vom Sofa aus, wie er Mehl, Milch und Zucker in eine Schüssel gab.
»Es lief schon das letzte halbe Jahr nicht mehr gut«, gab Lotte zu. »Ich weiß nicht mal, wie das passieren konnte. Egal, was ich tat, ich schien ihr auf die Nerven zu gehen.« Mit ihrer bloßen Anwesenheit.
Vincent schlug die Eier auf. »Auf Lenis Geburtstag hat sie dich so doof stehen lassen, da hätte ich ihr am liebsten eine gescheuert.«
Lotte runzelte die Stirn. »Lenis Geburtstag?«
»Weißt du das gar nicht mehr? Da hatten wir uns über die eine Serie unterhalten, wo die das Ding mit den Zeitreisen so versaut haben.«
»Ah, ja, ich erinnere mich.«
Vincent schüttelte den Kopf. »Du hattest da ein paar Ideen, aber Fred ist dir ständig dazwischen gefahren, hat dich gar nicht ausreden lassen. Und dann hat sie dich da stehenlassen, als wärst du zu blöde, um das Problem zu verstehen.«
Lotte seufzte tief und schniefte noch einmal in ihr Taschentuch. Ja, jetzt kamen die Bilder wieder hoch, wie Fred die Augen verdreht hatte, sobald sie den Mund aufgemacht hatte. Oder das abschätzige Schnalzen mit der Zunge, wenn sie eine Frage gestellt hatte. Wie demütigend, wenn sie heute darüber nachdachte. Aber damals hatte sie es hingenommen und vermutet, Fred hätte einen schlechten Tag gehabt.
»Da hat mir Leni schon gesagt, dass das nicht mehr lange hält bei euch.« Offenbar hatte es jeder kommen sehen. Nur sie selbst hatte irgendwie gehofft, es würde sich noch einrenken.
Sie schwiegen, während Vincent mit dem elektrischen Handrührgerät die Zutaten zu einem flüssigen Teig rührte.
Vincent hatte schon recht, die letzten Monate waren wirklich nicht mehr schön gewesen. Räumte sie ihre kleine Wohnung auf, regte sich Fred auf, sie wäre zu pingelig und würde ihr mit der ständigen Aufräumerei auf die Nerven gehen. Räumte sie nicht auf, wurde ihr vorgehalten, bei der Anke würde es ja viel ordentlicher aussehen. Als Lotte bei einem Film geweint hatte, war Fred aufgestanden und hatte erklärt, sie könne das ganze Geheule nicht mehr ertragen, dann war sie gegangen. Es störte sie plötzlich alles: wie sie die Haare trug, wie sie ihr Kebap aß, wie sie lief, wie sie dasaß, wie sie roch, wie sie lachte.
»Sie hat mir vorgeworfen, ich wäre die Königin der Fertiggerichte.«
Vincent lachte laut. »Hat sie echt?«
»Dabei nehm‘ ich doch nur für Köttbullar das Pulver aus der Tüte.«
»Und die Erbsensuppe aus der Dose mit dem Kasslerfleisch drin.« Vincent gab eine Kelle des flüssigen Teigs in die heiße Pfanne. Das Öl spritzte ein bisschen und er bewegte die Pfanne auf der Herdplatte hin und her. Es roch lecker. Nach Liebe.
»Die Dosensuppe ist die beste!«, empörte sich Lotte. »Nicht mal mein Opa kann die so gut kochen.« Und das wollte was heißen, immerhin war ihr Opa Meisterkoch.
Vincent wendete den Pfannkuchen gekonnt. Ohne zu kleckern, ohne zu spritzen. »Weißt du, ich glaube, jetzt, wo sie so steil Karriere gemacht hat, hat sie sich einen anderen Lebensstil vorgestellt.«
Lotte schnaubte abfällig. »Ja, und die arme Hauptschullehrerin passt da nicht mehr rein.« Dabei hatte sie Fred schon gekannt, als sie noch eine unbedeutende Sekretärin gewesen war. Erst durch Lottes Unterstützung und Ermutigung hatte sie die Weiterbildung gemacht, die ihr letztendlich eine Führungsposition eingebracht hatte.
»Blöde Kuh«, flüsterte Lotte. Sie stand auf, nahm das Kissen beiseite und fischte die Taschentücher heraus, die sie dahinter versteckt hatte.
»Ich fühl mich so ausgenutzt«, gestand sie. »Als sie mich brauchte, war ich da, hab sie voll unterstützt.« Sie brachte die Taschentücher zur Mülltonne, die neben der Küchenzeile stand.