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Die Läuferin: Kampf um den Himmel - Science Fiction Romance
Die Läuferin: Kampf um den Himmel - Science Fiction Romance
Die Läuferin: Kampf um den Himmel - Science Fiction Romance
eBook427 Seiten6 Stunden

Die Läuferin: Kampf um den Himmel - Science Fiction Romance

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Über dieses E-Book

Eine aufregende Liebe in einer düsteren Zukunft: „Die Läuferin – Kampf um den Himmel

 

Am liebsten würde sie ihm das Lächeln aus dem attraktiven Gesicht schlagen, doch der Konzernerbe ist die beste Chance der Läuferin die Revolution voranzutreiben. Und dann ist da noch sein verboten gutes Aussehen, dessen Wirkung sie sich einfach nicht entziehen kann …

Angel ist eine der schillerndsten Figuren in New Shanghai und die einzige Hoffnung, die der junge Senatsanwärter Chiu Wai hat. Doch die Rebellin Angel misstraut den Mitgliedern der Führungselite.

 

New Shanghai ist der Sitz der Weltregierung, die sich nach Naturkatastrophen und daraus resultierenden Weltkriegen aus einer Krisenregierung entwickelte. Die Kasten der großen Konzerne stellen die handelnde Regierung, erschaffen das Gesetz und herrschen über die Milizen. Die meisten Menschen der unteren Distrikte sind so sehr mit Überleben beschäftigt, dass sie noch nicht mal an ein Aufbegehren denken. Doch es gibt den Widerstand: Lose organisierte Läufergruppen, die gegen die Strukturen der Konzernkasten aufbegehren.

 

Kann ausgerechnet das ungleiche Paar aus Rebellin und zukünftigem Senator die Welt zum Besseren verändern?

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum16. Sept. 2016
ISBN9783736890367
Die Läuferin: Kampf um den Himmel - Science Fiction Romance

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    Buchvorschau

    Die Läuferin - Vivian Tan Ai Hua

    Prolog

    NEW SHANGHAI, Unterster Distrikt

    Der Raum war schäbig, der Lack platzte von den billigen Möbeln und das Wasser floss ganze fünf Minuten braun und stinkend aus den alten Rohren, bis es endlich aufklarte und nicht mehr schweflig roch. Trotzdem summte das Mädchen glücklich vor sich hin, als es in die Wanne stieg. Auf der blassen Haut zeichneten sich nicht nur die Knochen überdeutlich ab, sondern auch viele blaulila Flecken. Sie waren einerseits Beweis für die Grobheit und sexuellen Präferenzen ihrer letzten Freier und andererseits sogenannte Liebesbeweise ihrer Mutter, die meinte, sie so zum Geldverdienen überreden zu müssen.

    Das Mädchen achtete nicht darauf, sondern genoss sichtlich ihr Bad und wusch sich das fettige Haar mit einer Unmenge von Shampoo. Sie hatte keine Ahnung, womit sie diese Belohnung verdiente. Sie hatte nicht mehr Freier als sonst gehabt, auch wenn sie wusste, dass sie immer mehr hatte als die anderen Mädchen ihres Zuhälters. Dieser hätte also mit ihr zufrieden sein können, da ihre Mutter nur einen lächerlichen Betrag für sie verlangt und diesen gleich für Drogen wieder bei ihm eingelöst hatte. Trotzdem hatte das Mädchen bisher nie eine Belohnung erhalten. Deshalb misstrauisch stieg sie schnell wieder aus der Wanne und trocknete sich eilig ab. Genüsslich fuhr sie sich durch die langen Haare und benutzte den Kamm von Tony, vorsichtig darauf bedacht auch ja kein Zinken abzubrechen.

    Das eben noch unscheinbare Haar, welches sie in einem Haarknoten verborgen hatte, glänzte nun platinblond, leuchtend weiß und reichte ihr weit über die Hüfte. Das Mädchen lächelte ihrem Spiegelbild zu.

    Nach langer Zeit fühlte sie sich wieder einmal wohl, rein, und das nicht nur äußerlich.

    An der Badezimmertür wurde heftig geklopft und Tonys Stimme tönte zwar dumpf, aber deutlich aggressiv durch die wurmstichige Tür.

    „Angel, komm endlich raus. Du warst lang genug da drin!"

    Sie seufzte, nicht nur die Stimme ihres Zuhälters, sondern auch ihr Name erinnerte sie daran, was sie war. Es war ein Hurenname. Sie war von Geburt an für dieses Leben bestimmt gewesen. Es gab keinen Zweifel in ihr und sie sah auch keine Möglichkeit, je diesem Leben zu entkommen. Sie war eine Hure, sie würde es auch immer bleiben. Was gäbe es sonst für ein Leben hier? Hier, im Untersten Distrikt kroch man nicht empor, sah man nicht die Sonne und konnte niemals zum Frackträger werden.

    Sie zog den kurzen Rock ihres weißen Kleides nach unten. Ein billiges Hurenkleid, in dem sie trotzdem, wie beabsichtigt, unschuldig aussah. Umso mehr mit ihren langen, schlanken Beinen, deren Knie aufgeschlagen waren. Nur dass sie sich nicht beim Spielen verletzt hatte, sondern bei gänzlich anderen Tätigkeiten.

    Als Angel die Tür öffnete, hinter der Tony wütend stand, senkte sie die Lider über ihre großen, dunkelblauen Augen. Sie wollte ihn nicht die Freude sehen lassen, die sie bei dem Bad empfunden hatte. Sie wollte nicht, dass er wusste, wie sehr sie die seidige Schwere ihrer offenen Haare genoss.

    „Mädchen, tu mir ein Gefallen und beeile dich einmal in deinem Leben", ermahnte Tony sie mit dieser leisen, aber so bösartig scharfen Stimme. Es gab niemanden auf der Welt, den sie mehr fürchtete.

    „Ich bin fertig, ich werde bestimmt dem nächsten Kunden gefallen", versicherte sie ihm leise. Denn warum sollte sie sich sonst waschen, wenn nicht aus einem Freierswunsch heraus?

    Tony lachte dreckig und meinte: „Davon kannst du ausgehen, auch wenn dieser Kunde diesmal anderes mit dir vorhat, als du sonst gewohnt bist."

    Dann fügte er wieder schroffer hinzu: „Setz dich auf den Stuhl."

    Ohne Zögern gehorchte sie und versuchte sich keine Sorgen wegen ihres nächsten Kunden zu machen. Sie hatte bisher alles überstanden, was von ihr erwartet wurde, dann würde sie auch einen weiteren Sonderwunsch überstehen.

    Tony trat vor sie, eine große Schere in der Hand.

    „Beug den Kopf", befahl er.

    „Tony, was soll das?", wagte sie zu fragen.

    „Du hast diesmal eine Kundin. Sie will dein Haar für sich. Sie ist reich und eine Frackträgerin und wünscht sich eine Perücke in deiner Haarfarbe. Sie verspricht sich davon unwiderstehlich zu sein."

    Er lachte auf und rieb eine ihrer dickseidigen Flechten zwischen seinen Fingern.

    „Nein!", entfuhr es ihr und als sie daraufhin seinen sich verdüsternden Blick sah, versuchte sie sich zu mäßigen, trotz ihres Widerwillens.

    „Tony, ich werde noch mehr anschaffen gehen. Ich werde dir doppelt so viel Geld anbringen, aber bitte nimm mir nicht die Haare. Ich bitte dich!"

    „Na hab dich nicht so, das Zeug wächst doch nach. Du kriegst in der Zwischenzeit eine Perücke aus dem Fundus deiner Mutter. Die Alte hat davon genügend", lachte er sie aus und zwang ihren Kopf nach vorne, indem er einfach in ihre Haare griff und mit einem harten Ruck daran zog.

    Sie versuchte sich zu entziehen, wollte sogar aufspringen, doch da schlug er ihr kurzerhand mit der Faust ins Gesicht. Blut spritzte aus ihrer Nase. Das Letzte, was Angel wahrnahm, war ihr blutbeschmutztes Haar. Dann verschwamm ihre Sicht durch die Tränen und sie sank in Ohnmacht.

    Als sie aufwachte, war das Blut in ihrem Gesicht getrocknet. Sie lag mit dem Bauch voran auf dem verdreckten Teppichboden, und als sie mit der Hand über ihren Kopf fuhr, spürte sie nur unebene Stoppeln ihres ehemals so vollen Haares.

    Tränen wollten wieder aufwallen, die sie unterdrückte, und eine tiefe Wut machte sich in ihr breit. Wut auf diese verdammte Frackträgerin und Wut auf Tony, auf ihre Mutter und auf sich. Kaltblütig wurde ihr klar, dass es ihr reichte. Sie würde niemals mehr zulassen, dass sich jeder nahm, was ihr Körper hergab, ohne sie zu fragen. Nie wieder würde sie es zulassen, dass etwas gegen ihre Entscheidung geschah! Und der Erste, der dies zu spüren kriegen würde, wäre Tony.

    Auf dem Boden liegend blickte sie sich in dem schäbigen Zimmer um, welches nachts Tony selbst als Schlafunterkunft diente, und tagsüber eine der Arbeitsstellen seiner vielen Mädchen war.

    Tony hatte die Tür offengelassen, war aber den Geräuschen nach zu urteilen in der kleinen Küche. Angel raffte sich möglichst leise auf und kroch zum Tisch, auf dem neben einem billigen Drogenverschnitt auch noch eines der vielen Messer lag, mit dem Tony gerne andere einschüchterte, oder auch gerne gleich zur Sache kam. Oh ja, Tony war ein Messerstecher.

    Angel lächelte mit Genugtuung, als sie das Messer mit der doppelseitigen Schneide in ihrer Hand spürte. Sie würde ihm seine eigene Medizin zu schmecken geben!

    Als Tony in das Zimmer kam, riss er nur noch erstaunt die Augen auf. Mit voller Wucht drang das Messer in seine Brust. Angel würde nie wieder diesen fassungslosen Blick vergessen. Sie stach noch zwei Mal zu.

    Als sein Körper zu Boden sank, glitt auch sie zu Boden. Mutlosigkeit ergriff sie. Man würde sie jagen. Sie hatte das Schlimmste getan, was ein Mädchen hier unten nur tun konnte. Doch dann spannte sie ihre Muskeln an. Nein, sie würde sich nicht jagen lassen!

    Sie suchte seine Taschen ab, fand die Einnahmen des heutigen Tages und steckte sie sich in den Ausschnitt ihres blutverschmierten Kleides.

    Dann stand sie entschlossen auf und ließ den Untersten Distrikt hinter sich.

    1. Kapitel

    Acht Jahre später

    Im Schacht herrschte tiefe Dunkelheit und außer dem Rauschen in den breiten Rohren war nichts zu hören. Angel kroch zielsicher auf einem von diesen, das Frischwasser an die Oberfläche brachte. Die Pump- und Rohrsysteme von New Shanghai waren ausgeklügelt, versorgten die brodelnde Stadt nicht nur mit Frischwasser und leiteten Abwässer wieder ab, sondern dienten auch zum Transport der Rohgüter. Doch die wenigen Ölpipelines waren weitaus besser bewacht. Dort ließ sich Angel selten blicken. Jedenfalls nicht für den Lohn einer einfachen Briefüberstellung.

    Jeffreys Stimme ertönte in ihrem Ohr. Die Verbindung rauschte leise. Ihr Headset war altmodisch, kein Implantat, aber trotzdem nahezu abhörsicher durch Jeffreys Bemühungen. Und persönlich hatte Angel keine Probleme mit dem Knopf im Ohr und dem Mikro an ihrer Kehle. Besser als irgendeinen Neurodoc mit einem Bohrer an ihre Schädelplatte zu lassen, da konnten die anderen Läufer so viel sich über sie lustig machen, wie sie nur wollten.

    „Mach schnell, in zwei Minuten ist die Kontrollsonde in deinem Sektor."

    Angel verdrehte nur die Augen, als sie sich stetig weiter in der Dunkelheit vorrobbte.

    „Bist du endlich an der Schleuse?"

    „Halt die Klappe", war die lakonische Antwort von Angel.

    Nichtsdestotrotz hatte sie die Leiter zur Luke erreicht, die sie auch eilig erklomm. Auf die altmodische Art zog sie einen Zahnarztspiegel aus ihrer Brusttasche und schob ihn vorsichtig durch das Gitter der Luke. Es war nichts zu sehen. Mit einem kleinen, leise surrenden Schneidegerät löste sie die Verplombung und stieß die Luke auf. Sie hievte sich mit einer fließenden Bewegung aus der Dunkelheit auf die Straße. Teurer Asphalt, gekühlte Frischluftzufuhr, Markenzeichen für die oberen Distrikte. Die grünen Nummern an den monotonen Hochhäusern wiesen das Viertel als ein Wohnviertel der unteren Frackträger aus.

    Angel achtete nicht darauf, sie wusste genau, wo sie war. Sie ließ die Luke für einen schnellen Rückzug offen und verschwand sofort im Schatten eines der Häuser.

    „Bin da, wo bleibt der Kontakt?", raunte sie, während sie sich suchend umblickte. Sie hatte keine Zeit zu bemerken, dass die Luft hier viel besser war als unten, und das obwohl sie eine Stunde im Warmwassersystem rumgekrochen war.

    „789a, übliches Zeichen, erklärte Jeffrey gelassen. „Er hat längst überwiesen, er wird also da sein.

    „Ich sehe ihn", sagte daraufhin Angel auch und ging auf ihren Kontakt zu. Ein Frackträger, aber an seinem Nadelstreifenmantel war hinten ein grauer Knopf ohne ersichtliche Funktion angenäht.

    Aus ihrer Westentasche zog sie einen kleinen Umschlag und reichte ihn dem Mann, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Als würde sich Angel für sein Gesicht interessieren, stellte sie innerlich auflachend fest.

    Als er danach griff, wollte sie sich gleich abwenden und auf den Rückweg machen. Für sie gab es keine Notwendigkeit für Smalltalk. Was hatte sie schon einem Frackträger zu sagen, oder er ihr? Doch statt nach dem Brief, griff er nach ihrer Hand und fragte leise, „Porphyria?"

    Sie nickte nur, machte sich los und gab ihm nun entschieden den Brief.

    Nach einem Rückweg ohne Vorfälle, wenn man mal von bissigen Ratten absah, erreichte sie das Hauptquartier ihrer Läufergruppe. Dieses befand sich im Keller einer dieser Auferstehungssekten mit buddhistisch-zaiditisch-christlichem Hintergrund. Das hatte jedenfalls Jeffrey gesagt, der als Einziger von ihnen die Broschüre gelesen hatte, die im Eingangsbereich auslag.

    Angel war das egal, sie kümmerte sich nur um das Hier und Jetzt. Für sie war es entscheidend, dass sie überlebte, nicht, dass sie gut starb. Sie hatte nichts übrig für Gedanken an das Jenseits. Nach ihrer Meinung hatte sie die Hölle schon erlebt, sie würde sich aus jeder anderen auch wieder freikämpfen. Aber erst, wenn sie wieder in einer stecken sollte, bis dahin wollte sie keinen Gedanken daran verschwenden.

    An der Bunkertür im Keller hob sie das Gesicht, damit die Kamera sie genau erfassen konnte. Genauso wie ihr Headset war diese absolut alte Ware, doch sie tat ihren Dienst. Die Tür sprang auf.

    Angel machte sich nicht die Mühe in den Operationsraum zu gehen, sondern bahnte sich ihren Weg gleich zu ihrer Kabine. Nachdem sie die Tür hinter sich zugeschmissen hatte, warf sie auch schon die Arbeitsweste und Stiefel von sich. Dann riss sie ungeduldig die schwarze Mütze von ihrem Kopf. Mit einem Schwung fiel ihr Haar herab.

    Nichts mehr erinnerte an ihren einst kahl geschnittenen Kopf. Das Haar reichte ihr wieder bis zu ihrer schmalen Hüfte. Und obwohl acht Jahre vergangen waren, sah sie immer noch genauso aus, wie der lächerliche Name versprach.

    Angel achtete nicht nur wegen ihrer Läufertätigkeit auf ihren Körper. Er war schlank, nicht mehr ganz so mager wie früher und durchtrainiert. Ihr herzförmiges Gesicht war nicht mehr so spitz, doch die dunkelblauen Augen verrieten die gleiche Entschlossenheit, die sie in der Nacht vor acht Jahren gewonnen hatte.

    Ihre Haut war cremig weiß, sie legte sich nie unter das Solarium. Das einzig dunkle in ihrem Gesicht waren die Augen. Groß und puppenhaft weit auseinanderstehend und von langen Wimpern umgeben, die sie permanent hatte schwärzen lassen.

    Sie fuhr sich gerade mit ihrer Bürste durch das dichte, glatte Haar, als ihre Tür aufschwang.

    Seufzend, aber kaum verwundert meinte sie: „Wirst du jemals lernen, dass du anklopfen musst?"

    Jeffrey grinste. Er war ein hochgewachsener Mann, fast schon Mitte 30, was ihn zu einem der Ältesten in ihrer Truppe machte. Vor ihrer Zeit war er mal ein legendärer Läufer gewesen, aber ein paar Schüsse der Miliz in sein rechtes Bein hatten ihn ein anderes Betätigungsfeld suchen lassen. Und das, obwohl er ein neues neuronisch gesteuertes Bein hatte. Er hatte feststellen müssen, dass nach zwei Jahren, in denen er mühsam das Laufen wieder lernen musste, die Wege sich verändert hatten. Die verschiedenen Läuferwege änderten sich immer. Ein Läufer war immer nur auf bestimmte Gebiete spezialisiert. Nur relativ kleine Abschnitte der Stadt konnten von einem Läufer gebannt werden, wobei die verschiedenen Läuferwege sich durchaus überschnitten.

    Angel war beispielsweise auf die Rohrsysteme spezialisiert, ihr Gebiet ungewöhnlich groß. Darum war ihre Auftragslage immer gut gefüllt. Die Größe des Gebiets und die Zuverlässigkeit waren die ausschlaggebenden Faktoren für einen erfolgreichen Läufer.

    Und Jeffrey hatte unter seinen Leuten nur gute ausgebildet.

    „Es ist mein Keller!", stellte er gespielt herrisch fest.

    „Und ich bezahle ihn dir", erwiderte Angel und blickte ihn kurz durch den Spiegel an, dann widmete sie sich wieder dem Bürsten ihrer Haare.

    „Deshalb bin ich hier."

    „Ach ja?"

    „Ich finde, du könntest Urlaub machen."

    Sie lachte auf. „Du meinst man kann im Widerstand Urlaub machen?"

    „Ja, vor allem wenn man so wie du kurz vor einem Burnout steht!"

    Er verschränkte die Arme und trat näher an sie heran. Er überragte sie enorm. Wie fast alle erfolgreichen Läufer, die sich auf das Rohrsystem verlegt hatten, war sie sehr klein, mit mehr Ausdauer als Kraft. Sie musste selten kämpfen.

    Und dabei wusste Jeffrey genau, dass sie in jeglicher Hinsicht eine Kämpferin war.

    „Vergiss es, ich entscheide, wann ich Urlaub nehme. Und ich nehme keinen! Also spar dir die Luft und erzähl mir lieber, was als Nächstes ansteht."

    Resigniert ließ er sich auf ihre schmale Pritsche nieder. Die anderen hatten aus den Bunkerkabinen längst gemütliche Wohnungen gemacht, bei ihr sah die Kabine immer noch nach Kaserne aus.

    „Es ist ein Anschlag geplant, wir benötigen einen Zugang zu einem der Splitspots, damit die Hacker ihre Arbeit machen können."

    Entgeistert wandte sich Angel zu ihm um und ließ die Bürste sinken. „Und du wolltest mich gerade jetzt pausieren lassen? Du spinnst wohl!"

    „Weißt du, ich wollte den Job lieber den Zwillingen geben …"

    „Warum, zum Teufel? Entrüstet schrie sie ihn regelrecht an. „Ich habe das schon mal gemacht und die Zwillinge noch nie. Das ist mein Job.

    „Du weißt eben noch nicht alles", entgegnete er ruhig und schob sich das Kissen unter seinem Kopf zurecht, dabei den Arm gemütlich unter diesem angewinkelt. Er war kein Stück aus der Ruhe gebracht. Er hatte gewusst, dass Angel diesen Job haben wollte.

    „Was denn noch?", entfuhr es ihr und sie ging die wenigen Schritte auf ihn zu, ihre kleinen Fäuste waren geballt.

    „Ein Personentransport."

    „Oh", sie ließ sich neben ihn auf die Pritsche sinken, bereitwillig schob er seine langen Beine zur Seite.

    „Wozu denn das?"

    Er lächelte sie an, griff nach ihrer Hand und streichelte sie. Eine Geste die irgendwo zwischen Freundschaft und zwei Menschen, die mal intim miteinander gewesen waren, lag.

    „Nun, weil seit unserem letzten Coup die Sicherheitskontrollen der Splitspots um einiges hochgeschraubt wurden. Wie du weißt, haben wir dem System eine Stange an Geld für die Stunde Ausfall des vierten Netzes gekostet."

    Sie nickte verstehend, erwiderte sogar kurz den Druck seiner Hand mit ihren Fingern und lächelte ihn an. Dann aber zogen sich wieder Sorgenfalten über ihre hohe Stirn.

    „Und dann benötigen wir einen der Nerds? Die stehen immer im Weg rum und quasseln ohne Unterlass. Ich kann die nicht ausstehen. Eloise würde ich mitnehmen, aber das geht ja nicht."

    Jeffrey lachte und fuhr, ihre Hand immer noch umfassend, mit der anderen Hand durch seinen stoppeligen, rotbraunen Bart. Mit den roten Locken war es nicht verwunderlich gewesen, dass sein Deckname „Der Rote Erik" gewesen war.

    „Und weil ich deine tolerante Einstellung gegenüber unseren Computerspezialisten kenne, wollte ich eben die Zwillinge einsetzen. Die sind im Gegensatz zu dir freundlich und nett und haben ein Augenpaar mehr, um auf einen Stolperer zu achten."

    Sie starrte ihn überlegend an, biss sich dabei in ihre volle Unterlippe und meinte schließlich. „Nein, ich mach das. Allerdings dürfen mir die Zwillinge helfen. Kann nicht schaden."

    „Du bist zu gütig, meine Liebste."

    „Meine Liebste? Was wird Carla dazu sagen?", fragte sie und ließ sich trotz dieses Einspruches an seine Brust ziehen.

    „Carla? Die hat längst festgestellt, dass ich nicht bereit bin, mich fest zu binden, und hat sich dafür Ersatz gesucht", erklärte er und schien nicht wirklich ganz bei seiner Erklärung zu sein, sondern vielmehr damit beschäftigt, sie noch näher an sich zu ziehen.

    Angels Körper schmiegte sich zwar der Länge nach an seinen, aber ihr Gesicht ließ sie nicht so dicht an seinen Mund heran, wie er es sich wünschte.

    „Glaub mir, der Job war nicht halb so aufregend, dass ich jetzt zum Runterkommen eine Nummer mit dir schieben müsste."

    Gespielt entsetzt, aber durchaus ehrlich enttäuscht schloss er die Augen und ließ sich wieder zurück auf das Kissen sinken.

    „Du bist ein Biest! Du siehst zwar wie ein Engel aus, aber du bist ein Biest. Irgendwann wird dich jemand mit deinen hübschen Haaren erwürgen, wahrscheinlich ich."

    Sie lachte auf. „Jeffrey, sei froh, dass ich kein besitzergreifendes Biest bin. Denn sonst würdest du die Frauenwelt längst nicht mehr so reich beschenken."

    Immer noch enttäuscht, aber weniger verletzt lächelte er zurück. „Das wäre wirklich jammerschade."

    Beide lagen entspannt auf ihrer Pritsche und sahen an die graue Decke. Jeffrey hatte jetzt seinen Arm unter ihrem Nacken.

    „Du wirst nicht nur die Zwillinge benötigen, meinte er dann wieder ernster. „Das ganze Team wird für mindestens eine Woche damit vollständig beschäftigt sein. Insgesamt halte ich einen Monat Vorbereitungszeit für angemessen. Ich habe schon einiges ausgekundschaftet. Das Ganze ist ein weitaus größeres Ding als beim ersten Mal.

    „Haben wir denn genug Ressourcen?", fragte sie und wendete ihren Kopf, sodass sie sein Gesicht sehen konnte.

    „Ja, das kriegen wir schon hin. Vor allem, weil das nicht nur ein einfacher Anschlag der Befreiungsfront ist, sondern uns auch Geld bringt."

    Irritiert runzelte sie ihre Stirn. „Was soll das heißen? Seit wann lässt du dich für unsere Überzeugungen bezahlen?"

    „Seitdem unser Kunde mit dem Plan zu mir kam. Er will bezahlen und ich weiß, dass er das Geld hat, warum also nicht die gute Sache mit etwas Angenehmen verbinden? Außerdem will er nicht nur denen da oben einen vor den Bug geben, sondern möchte das Chaos nutzen, um eine Information zu bekommen."

    „Aha", sie ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen und schien sich damit abzufinden, allerdings nur widerwillig.

    „Komm schon Angel, der Kunde meint selber, dass er es nicht als Bezahlung ansieht, sondern als Maßnahme um die Mission überhaupt erst möglich zu machen. Denk nach, das ist eine realistische Einschätzung."

    „Und was weißt du von unserem Großkunden?"

    „Er ist ein Insider, viel mehr weiß ich nicht. Aber ich traue seinen Kontaktleuten."

    Angel zuckte mit der Schulter. „Wenn du meinst …, so was überlasse ich dir. Du traust ihm und ich traue dir, das muss reichen."

    „Wir sind damit doch auch schon einige Jahre gut gefahren", stimmte er ihr zu.

    „Aber keine Sorge, ich werde uns alle da nicht blind in ein großes Ding laufen lassen! Ich mache schon noch meine Hausaufgaben."

    Sie nickte an seiner Schulter. Er fühlte mehr diese Geste, als dass er sie sah.

    An der eisernen Tür klopfte es.

    Mit einem bedeutungsvollen Blick sah Angel zu Jeffrey auf. „Siehst du, andere können das auch. Dann lauter: „Herein!

    Sie blieben entspannt weiterhin auf der Pritsche liegen, als sich die Tür öffnete. Herein kam Zandalee, ein Leopardenmädchen mit rosa Ponyfrisur. Allerdings war die ebenfalls rosafarbene Leopardenmusterung auf ihrer einen Gesichtshälfte um einiges auffälliger. Bei den Tiermenschen wusste man nie, ob ihre Auffälligkeiten angeboren waren, oder ob sie sich diese nachträglich angeeignet hatten. Nach den militärischen Versuchen während des Vierten Weltkrieges war das großflächige Experiment an den Soldaten etwas aus dem Ruder gelaufen. Und jetzt, nach zwei Jahrhunderten, gehörten die Tiermenschen genauso zur Gesellschaft wie alle anderen auch. Meistens zwar nur in den Unteren Distrikten zu finden, aber nicht mehr verfolgt wie zu ihren Anfängen. Es hatte sich sogar gezeigt, dass sie sich als sehr nützlich erweisen konnten.

    Zandalee schloss gespielt entsetzt ihre hellblauen Augen. „Könnt ihr mich nicht vorwarnen? Ich bin noch viel zu jung, um so desillusioniert zu werden. Den Chef beim Schmusen zu erblicken … ob ich jemals darüber hinwegkommen werde?"

    Vollkommen unentsetzt ließ sie sich aber auf den freien Stuhl sinken.

    Die beiden auf der Pritsche lachten und Jeffrey fragte: „Was willst du Quälgeist?"

    „Wollte nur sagen, dass die Transaktion vom Zwischenkonto ohne Probleme gelungen ist. Der Kunde ist zufrieden."

    „Gut, das wäre also auch erledigt. Jetzt könnte ich was zum Essen vertragen", stellte Angel fest.

    „Trifft sich gut, wir haben uns gerade Pizza bestellt, sollte gleich ankommen."

    Beide standen von der Pritsche auf, offensichtlich hungrig.

    „Gute Nachrichten, hoffentlich diesmal ohne Anchovis!", meinte Jeffrey schon an der Tür.

    „Wenn du besondere Wünsche hast, dann kannst du das nächste Mal bestellen", schimpfte Zandalee und folgte den beiden.

    2. Kapitel

    NEW SHANGHAI, 2. Oberster Distrikt

    Er lag mit offenen Augen in seinem Bett. Teure Baumwollbettwäsche über teuren Daunen. Er konnte es nicht genießen. Seine Kinnmuskeln zitterten und er fühlte den Schweiß auf seinen Handflächen.

    Er sah in die Dunkelheit und hörte das Ticken seiner Armbanduhr auf dem Nachttisch neben sich und hatte Angst.

    Er war nicht so dumm, dass er keine Angst hatte. Er musste Angst haben, Sorglosigkeit konnte er sich nicht leisten. Schließlich war er ein Verräter. Ein Verräter an Konzern und Familie, beides war nicht voneinander zu trennen. Er hatte das vor drei Jahren genau gewusst, als er diesen Weg einschlug, aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem er am ehesten aufzufliegen drohte. Er hatte nicht nur Angst um sich, sondern vor allem ging es ihm um die Sache. Drei Jahre hatte er sein ganzes Sein auf diese Sache gerichtet, hatte eine Doppelbelastung auf sich gespürt, an der er zumindest am Anfang zu zerbrechen drohte.

    Zur Beruhigung ging er nochmals alle Eventualitäten durch, rief sich alle Codes in Erinnerung und spielte seinen Plan durch.

    Das Warten hatte ein Ende. Bald war der Zeitpunkt der Erfüllung gekommen. Endlich, er hätte es nicht länger ertragen können.

    Die monatlichen Befragungen waren eine Tortur. Trotz Serums bedurfte es einer herausragenden Selbstbeherrschung, um sich nicht zu verraten, unentdeckt zu bleiben.

    Mit ruhigerem Atmen blickte er auf die fluoreszierenden Uhrzeiger. Sie verrieten ihm, dass er nur noch drei Stunden hatte, bis die Weckfunktion ertönen würde. Er musste ruhen.

    Selbstbeherrscht zwang er sich zu entspannen und schlief kurz darauf ein.

    Er trug einen grauen Dreiteiler mit grauer Krawatte zu blütenweißem Hemd, mit perfekt polierten Schuhen, als er in der dritthöchsten Etage aus dem Fahrstuhl stieg. Nicht er grüßte zuerst, sondern die anderen.

    Glenda stand sofort von ihrem Arbeitsplatz auf, schenkte ihm einen Kaffee ein und folgte ihm mit diesem und einem Thinkboard unter ihren Arm geklemmt in sein Büro.

    Als er den Raum betrat, wurde er sofort erfasst und erkannt, alle Geräte sowie Einstellungen fuhren auf Morgenaktivität hoch.

    „Guten Morgen Herr Chen, ich habe Ihnen die Statistiken geschickt, um die Sie mich gestern baten."

    Seit Entwicklung der Konzernkasten herrschte zwar eine stark asiatisch, vorranging chinesische Kultur, die Eigenart, die Menschen bei dem Familiennamen zu nennen, hatte sich durch die Familienkonzerne als unbrauchbar herausgestellt. Ein Mix aus asiatischen und westlichen Namen war gebräuchlich und man sprach sich schon lange westlich geprägt mit Eigennamen an.

    „Danke Glenda", sagte er, ließ sich auf seinen ledernen Bürostuhl sinken und wartete darauf, dass auch sie sich setzte und auf ihrem Thinkboard die Arbeitsliste wählte.

    Auf seinem Arbeitstisch erschienen die Termine, eine schier endlose Liste, die rechts einen langen Balken zum Scrollen hatte.

    Sie besprachen diese und Glenda nannte ihm die zwischengeschobenen Punkte, darunter auch: „Ihr Vater hat darum gebeten, dass Sie gemeinsam zu Mittag essen."

    „Natürlich, soll ich ihn abholen?"

    „Ja, er bittet darum."

    Kurz hatte er gespürt, wie sein Atem aussetzen wollte, aber er zwang sich zur Ruhe. Ruhe bewahren! Das hatte sicherlich nichts zu bedeuten.

    „Wäre es das dann erstmal?", fragte er und auf ihr Nicken hin entließ er sie.

    Er zwang sich zuerst einen Schluck Kaffee zu sich zu nehmen, bevor er die Statistiken öffnete, die er gerade von Glenda bekommen hatte. Er benutzte dafür nicht den Tisch, sondern schloss die Augen und ließ die Daten vor seinem inneren Auge erscheinen. Seitdem er 15 war, hatte er die Verbindung zum Hauptcomputer der Firma. Bildschirme und andere Visualisierungsgeräte nutzte er aus alter Gewohnheit oder zumeist aus Höflichkeit anderen gegenüber. In den oberen Hierarchiegeraden hatte sich die vollkommene Neuronisierung seit Jahrhunderten bewährt und war gar nicht mehr wegzudenken.

    Viele Menschen, vor allem die der oberen Konzernkasten, bekamen ihre Headware schon im Krabbelalter. Es wurde Teil ihres Selbst, genauso wie es ihr natürlicher Körper war. So wie sie sich an den Körper gewöhnten, das Laufen lernten, so lernten sie auch zuerst intuitiv ihre Headware kennen und nutzen.

    Die ersten Statistiken überflog er flüchtig. Es dauerte lange, bis er sich die Zahlen genau ansah, an einer Stelle hängen blieb. Er hatte die Anomalie gefunden. Wieder hatte er einen Beweis, wieder hatte er die Bestätigung gefunden für die Machenschaften des Konzerns, die dieser hinter der glatten Fassade zu verstecken wusste. Und er hatte nicht nur Indizien dafür, dass der Konzern seit Generationen auf diese Weise vorging.

    Er war kein Idiot, sonst säße er sicherlich heute nicht in dem Chefbüro eines der oberen Etagen, aber selbst die übliche Konzernethik wurde hier mehr als nur gedehnt. Er war mit der Maxime aufgewachsen, dass Freiheit vor den Interessen des Konzerns zurückstecken müsse. Auch Leben musste das. Und zumeist hieß er dies gut, aber gewisse Erfahrungen vor drei Jahren hatten ihn straucheln lassen. Er war sich in mancher Minute seines Lebens noch nicht mal sicher, ob seine heutigen Überzeugungen die richtigen waren. Sein Leben lang hatte er anderes gelernt, war er umgeben von Menschen gewesen, die dachten wie er. Doch warum diese große Vertuschungsaktion, wenn es nicht falsch war? Klar, wie alle höheren Konzernmitglieder machte auch er eine Unterscheidung zwischen Recht und Konzernrecht. Er wusste, dass gewisse Dinge vor der breiten Öffentlichkeit verheimlicht werden mussten, aber warum Dinge vor den höchsten Mitgliedern der eigenen Kaste vertuschen?

    Er hoffte inständig, dass er sich im Recht befand, denn wenn nicht, würde er unnötig seinem Konzern einen Stich versetzen, von dem sich dieser nicht so leicht erholen würde.

    Nachdem er die auffälligen Statistiken auf einen Guerrilla-Host abgelegt hatte, widmete er sich ganz seiner Arbeit.

    Kurz vor der vereinbarten Zeit fuhr er mit dem Fahrstuhl ein Stockwerk höher, um seinen Vater abzuholen. Sein Vater war mehr als einen Kopf kleiner als er, aber doch strahlte dieser eine erhabene Autorität aus. Ehrfürchtig verbeugte er sich, kurz nachdem er den Raum des Vaters betreten hatte. Dann ging er zur Garderobe und holte den Mantel und den Sparzierstock, der genauso wie seiner aussah, aus dem Ständer. Ebenso ohne praktischen Nutzen wie die teuren Armbanduhren, die sie trugen, aber von großer Bedeutung für ihren Status.

    „Ah, Chiu Wai, schön, dass du die Zeit erübrigen konntest. Ich freue mich darauf, mich mit dir zu unterhalten. Außerdem habe ich auch Neuigkeiten für dich. Warte nur kurz, ich muss noch ein Gespräch abwickeln", sagte er mit seiner angenehm weichen Stimme. Dann schloss er seine mandelförmigen Augen.

    Chiu Wai betrachtete seinen Vater. Er war ein alter Mann mit weißem Haar. Er war schon alt gewesen, als er endlich Vater wurde, er hatte lange nach der passenden Frau gesucht. Und Chiu Wai hatte schließlich alle Eigenschaften, die er sich für seinen Sohn gewünscht hatte.

    Die Augenlider des alten Mannes flatterten kurz, fast wie in der REM-Phase des Schlafs. Es musste sich um ein externes Gespräch handeln. Eines, in dem es um Themen ging, die dem alten Chen besondere Konzentration kosteten. Außerdem nahm Chiu Wai, ohne dass er sich dessen bewusst war, zur Kenntnis, dass die Schilde seines Vaters extrem hoch und fest waren.

    Nur wenige Augenblicke später öffnete sein Vater wieder die Augen.

    „Dann lass uns Essen gehen. Lass uns zu Wou, ich habe Hunger auf die gute alte kantonesische Küche."

    Chiu Wai half seinem Vater in den Mantel und reichte ihm dann den Stock.

    „Eine gute Idee", stimmte Chiu Wai zu und ließ seinem Vater den Vortritt zum Fahrstuhl. Das Restaurant von Wou war nicht weit entfernt und trotzdem nicht so überlaufen zur Mittagszeit wie die anderen Restaurants und Garküchen im Konzernviertel. Meist wurde es zum Abend erst angesteuert, da es auch eine Karaoke Bar beinhaltete. Jetzt würden sie dort in Ruhe essen und vor allem ungestört reden können.

    Tatsächlich hatten sich außer ihnen kaum andere Gäste in dem Lokal eingefunden. Chiu Wai ließ seinen Vater die Speisen auswählen. Obwohl er ihn aus Überzeugung verriet, liebte er seinen Vater. Ja, er mochte diesen Mann. Er war zu ihm seiner Meinung nach immer gut gewesen. Natürlich, ein stahlharter Geschäftsmann, darum zweifelte Chiu Wai auch keinen Augenblick, dass sein Vater in die Machenschaften eingeweiht war. Er war sich sogar sicher, dass er einer der Köpfe dieser war. Sein Vater war es auch, der die allmonatlichen Befragungen bei ihm ausführte. Im Chen-Konzern passierte nichts ohne das Wissen von Chen Yeung Ming. Vor drei Jahren noch war Chiu Wai überzeugt gewesen auch schon in dieser Position zu sein, aber er hatte sich eines Besseren belehren lassen müssen.

    Sie tranken den etwas zu bitteren Jasmintee, bevor ihnen die ersten Speisen gebracht wurden.

    „Schön, dass wir zusammen essen, ich habe gesehen, dass du in zwei Wochen Urlaub hast."

    „Ja, bestätigte Chiu Wai. „Ich werde am Meer ausspannen, es scheint auch nichts dazwischen zu kommen.

    „Das ist gut, man muss immer an die Regenerationszeit des Körpers und Geistes denken. Nur dann ist längerfristiger Erfolg möglich. Ich bin froh zu hören, dass du so klug bist."

    Kurz lächelte Chiu Wai seinem Vater zu. „Danke für das Kompliment. Dabei scheinst du nicht immer diesen Weg der Weisheit gegangen zu sein."

    „Ja mein Sohn, spotte nur. Aber ich habe durchaus auch immer versucht, auf diesem Weg zu wandeln."

    Einer der Kellner brachte die ersten Speisen und erfreut besah sie Yeung Ming genau. „Das sieht wunderbar aus!"

    Er griff nach seinen Stäbchen, als Chiu Wai die Schälchen mit Reis füllte.

    „Das Essen meiner Kindheit. Mein Vater kochte gerne, schade, dass du ihn nicht kennenlernen konntest. Koste von dem sauren Gemüse, wirklich herrlich."

    Er kaute genüsslich. Erst nach einiger Zeit, kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen.

    Chiu Wai fühlte sich jetzt fast schon sicher, dass er nicht aufgeflogen war. Umso mehr, als sein Vater den ersten Satz sprach.

    „Ich wurde von Senator Johnson kontaktiert. Er ließ verlautbaren, dass das Innere Konzil nun endlich die vakante Stelle wieder besetzen möchte. Sie haben einige aus verschiedenen Konzernen ins Auge gefasst. Johnson würde gerne jemanden aus unserem Konzern in den Reihen sehen. Wie ich finde, eine sehr gute Nachricht."

    Chiu Wai nickte und fragte dann: „Ist schon ein Name gefallen?"

    Sein Vater lächelte. „Oh ja, der deine!"

    Chiu Wai ließ sein Schälchen ungläubig sinken. „Ich bin zu jung, das Konzil würde mich niemals ernsthaft in Betracht ziehen."

    Sein Vater nickte. „Ja, das habe ich zuerst auch gedacht. Aber du bist tatsächlich eine echte Option und nicht nur

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