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Der Marquis von Flandern: Gay Romance
Der Marquis von Flandern: Gay Romance
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eBook266 Seiten3 Stunden

Der Marquis von Flandern: Gay Romance

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Über dieses E-Book

Geliebter Hendrik!

So beginnt jeder der sieben Briefe, die Hendrik de Ruiter zwischen den Seiten antiker Bibeln gefunden hat.
Der Verfasser nennt sich selbst der Marquis und scheint den ersten Brief vor sechshundert Jahren geschrieben zu haben, während der letzte auf den Tag von Hendriks Geburt datiert ist.
Hendrik kann nicht glauben, dass sie an ihn gerichtet sind, nur weil er zufällig denselben Namen des flämischen Bauernsohnes trägt.
Erst, als der Schreiber in einem der Pergamente einen grausamen Mord gesteht, beginnt Hendrik, nachzuforschen. Er stößt auf das Geheimnis einer über Jahrhunderte andauernden Liebe und erkennt, dass er ein Teil davon ist.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum27. Juni 2019
ISBN9783743886407
Der Marquis von Flandern: Gay Romance

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    Buchvorschau

    Der Marquis von Flandern - S. B. Sasori

    1. Prolog

    Flandern, Winter 1369

    Ich fühle meine Zehen nicht mehr. Versinke bei jedem Schritt bis über die Waden im Schnee. Die Kälte beißt mir ins Gesicht, in die Finger. Ich ziehe die Ärmel der Jacke darüber, versuche, Anhaltspunkte zu finden.

    Wo bin ich? Ein paar Stunden nordwestlich von Vaters Hof, dennoch erkenne ich die Landschaft nicht, dabei leuchtet der Vollmond, verwandelt die Nacht in sanftes Glitzern. Sicher war ich schon einmal hier. Mit Jongen. Ich reite so oft und so weit es geht mit ihm aus.

    Mein Pferd. Ich durfte es nicht mitnehmen. Das kann ich Vater niemals verzeihen. Niemanden hat Jongen auf seinem Rücken geduldet. Nur mich.

    Es fällt mir leicht, mit Pferden umzugehen. Sie sind sanft. Nicht immer nach außen hin. Ganz gewiss nicht. Aber innen. Ich überfalle sie nicht, zwinge ihnen keinen Sattel, kein Zaumzeug auf. Ich bin einfach eine Weile bei ihnen, so nah, wie sie mich rankommen lassen. Werden sie unruhig, gebe ich ihnen Zeit.

    Manche mögen es, wenn ich mit ihnen rede. Ich erzähle ihnen meine Gedanken, für die mich mein Großvater hasst und die mir mein Vater verboten hat.

    Zu gefährlich. Sie brächten den Körper ins Feuer und die Seele in die Hölle, wo sie dann das fleischliche Schicksal teilt. Das Fegefeuer ist immerhin auch ein Feuer.

    Ich kann mir keine Hölle vorstellen. Gott ist ein Freund. War er für mich immer gewesen, wird er für mich immer sein.

    Sollte ich ihm irgendwann nachsehen können, dass er meinem Vater erlaubt hat, mich in den Kältetod zu schicken.

    Und das nur vier Tage nach Weihnachten.

    Eventuell ist er doch kein Freund mehr. Nur ein Bekannter. Das muss ihm genügen. Im Augenblick wäre mir Jongen ohnehin lieber. Er liebt das Schweigen. Je weniger ich mit ihm rede, umso fügsamer ist er. Ihm genügt es, wenn ich mit den Fingern durch seine Mähne fahre. Er stupst mich dabei an. Sehr sacht. Mit seiner samtigen Pferdeschnauze.

    Zwischen uns ist alles klar.

    Vertrauen.

    Ich mag es. Auch wenn es kaum Menschen gibt, denen ich es schenke. Menschen lügen, fügen Schmerzen zu, machen deshalb Dinge, vor denen ich mich fürchte. Den Pferden geht es genau so. Mein Vater glaubt mir das nicht. Er sagt: Tiere besäßen keine Seele.

    Ist mir egal. Meine Seele habe ich ebenfalls noch nicht gesehen und die von Großvater kann ich mir nur sturmgrau vorstellen. Marten de Ruiter ist der verhärmteste Mann, der je auf Gottes Erdboden wandelte.

    Ich würde gerne jemandem vertrauen. Gerade jetzt. Einer der kommt und mir sagt: Es wird alles gut. Du wirst in dieser Nacht weder erfrieren, noch in der Dunkelheit verloren gehen. Du wirst achtzehn werden, dann neunzehn, dann zwanzig. Du wirst glücklich sein, einen Baum pflanzen und vielleicht ein Haus bauen. Du wirst keinen Sohn zeugen, dafür den Knecht vögeln und trotzdem nicht in der Hölle verbrennen. Weil Gott ein Freund ist, dem es egal ist, was du mit deinem Schwanz machst. Solange du keinem damit wehtust, niemanden deinem Willen aufzwingst.

    Ja, ich hätte jetzt wirklich gern jemanden an meiner Seite, der mir genau das sagt.

    Liebe.

    Auch ein Wort wie Vertrauen.

    Deshalb mögen die Pferde meinen Vater nicht. Er schlägt sie, wenn sie nicht gehorchen. Er zwingt sie zum Springen, treibt sie ins Wasser, auch wenn sie sich davor fürchten.

    Ich mache das nie.

    So ein Pferd ist größer als ich. Sanfter. Mag sein, dass es sogar klüger ist als ich. Von der Kopfgröße her käme es hin. Will es nicht springen, weiß es, warum.

    Manche kommen mit dem Sattel zurecht. Dann reite ich mit Sattel. Manche ertragen nur eine Decke auf dem Rücken. Dann eben so. Macht mir nichts aus. Ich kann beides. Auch ohne.

    Vater sagt, ich sei ein läppischer Querkopf. Ein Mann muss seinen Weg gehen und alle und jedes, was zu ihm gehört, muss ihm folgen. Weib, Kinder, Knechte, Mägde, Tiere.

    Vielleicht vögelt er deshalb lieber die Magd als Mutter. Mutter folgt ihm schon länger. Die Magd ist neu. Auch eine Art des Zureitens.

    Pferde sind anders. Eigentlich lassen sie sich nicht zureiten, nicht freiwillig. Ein Pferd hat seinen eigenen Weg. Es ist nett von ihm, davon abzuweichen, um mich auf meinem weiter zu bringen. Das weiß ich zu schätzen. Daher zwinge ich nicht.

    Nie.

    Oh Gott, ist das kalt. Die Tränen frieren mir an den Wimpern fest.

    Jongen lässt Vater nicht aufsitzen. Vater wird ihn dafür schlagen, ihn verkaufen. An irgendjemanden, den Jongen genauso wenig auf seinem Rücken duldet. Auch der wird es ihn spüren lassen.

    Mein Herz ist schwer wie ein Eisblock.

    Das kastanienbraune Fell, durchzogen von blutigen Striemen. So wird Jongen aussehen, wenn er bei Vater nicht pariert.

    Nein. Der Gedanke ist zu böse, um ihn zu denken. Fast noch böser als der an meinen Tod.

    Reiten ist Vertrauen.

    Reiten ist Liebe.

    Liebe ist, sich nicht fürchten zu müssen. Geborgenheit.

    Das, was ich heute verloren habe.

    Unsinn.

    Das, was ich nie besessen habe.

    »Wunderbar, Hendrik! Suhl dich in deinem Selbstmitleid. Das bringt dich nirgendwo hin, also steck es dir in den Arsch!« Der kennt nur meinen Finger. Wäre ein neues Erlebnis.

    Der Schnee schluckt meine Stimme, als hätte sie nur in einem Traum den Mund verlassen. Habe mich nie zuvor so allein gefühlt.

    Alleinsein war bisher etwas Gutes für mich. Niemand, der mich ermahnt, der mich grimmig beäugt, der mich zur Arbeit treibt oder mir einfach nur in der Sonne steht.

    Jetzt macht mir die Einsamkeit Angst.

    Bei Gott, die Gegend müsste mir vertraut sein. Ich weiß es. Ich bin oft weit im Umkreis des Hofes geritten.

    Sie ist es nicht.

    Überall Sterne. Sie sehen mir beim Erfrieren zu.

    »Bitte verschone mich.« Vielleicht ist Gott ein besserer Zuhörer als mein Vater. »Du brauchst mich nicht. Weder im Himmel, noch in der Hölle. Wenn du mich lebend durch die Kälte bringst, bete ich in jeder Kirche ein Vaterunser, an der mich mein Weg vorbeiführen wird.« Allzu viele werden das kaum sein. Meine unfreiwillige Reise endet in Antwerpen, so ich diese Stadt jemals erreiche. »Ich zünde dir in der Abteikirche auch eine Kerze dazu an.« Stankt Michael. Dorthin sollte ich mich wenden und die Mönche um Beistand bitten.

    Ein Leben im Kloster.

    Plötzlich fühlt sich die Nacht dunkler und kälter an.

    Ich liebe frische Luft, einen freien Himmel über mir und weites Land um mich herum. Klostermauern erdrücken mich. Mein Vater weiß das. Er hätte schweigen sollen, statt mir diesen Rat zu geben.

    Oder mich gleich erstechen. Wäre gnädiger gewesen.

    Ich habe ihn angefleht, mich nicht während der Nacht fortzuschicken. Er hat nur den Kopf geschüttelt und zur Tür gewiesen. Selbst von Mutter durfte ich mich nicht verabschieden.

    Alles wegen etwas, das es nicht gibt.

    Ein Mal auf meiner Stirn.

    Mein Großvater behauptet, es in Vollmondnächten zu sehen. Nächten wie dieser hier. Deshalb sterbe ich zwischen Schnee und Eis, weil ein alter Mann ein Problem mit seinen Augen hat.

    Da ist kein Mal! Niemand außer ihm hat mich je darauf angesprochen. Meine Mutter nicht, meine Schwester nicht, meine zwei Brüder nicht, Jette nicht. Selbst mein Vater beteuerte oft, dass dort nichts wäre. Fortgeschickt hat er mich dennoch. Ich soll mein Glück in Antwerpen suchen. Wenn mich die Mönche von der Schwelle jagen, könnte ich es ja bei einem der Tuchhändler probieren.

    Antwerpen. Das sind zwei Tagesmärsche. Entweder erreiche ich die Stadt mit abgefrorenen Füßen oder der Frost verschlingt mich am Stück. Meine Beine fühlen sich immer steifer an. Ich muss sie zu jedem Schritt zwingen. Meine Muskeln schmerzen, vor allem die in den Oberschenkeln. Vielleicht rinnt es mir deshalb aus den Augen.

    Nein. Mit dem Schmerz komme ich klar. Mit dem Gedanken, dass Vater Jongen prügelt, nicht.

    Ein Wunder. Genau das, was ich brauche.

    »Jetzt, verdammt!« Scheiße, die Tränen frieren mir die Wimpern zu. »Gott, los! Jetzt! Oder hast du ein Problem mit meinen Haaren?« Rotblond. Großvater sagt, der Teufel hätte mir in die Wiege gespuckt. Dabei sind sie nicht richtig rot. Mehr so kupferfarben. Und ich sehe gut damit aus, verdammt! Während der Markttage verrenken sich die Mädchen die Köpfe nach mir und werfen mir Blicke zu, die meiner Seele zwar guttun, meinen Unterleib aber kalt lassen. Liegt daran, dass es eben Mädchen sind. Der Knecht sagt mir auch manchmal, ich sei ein verflucht hübscher Bengel. Von dem höre ich das gern.

    Großvater droht mir regelmäßig, Eitelkeit wäre eine Sünde und Schönheit würde den Weg in die Hölle ebnen.

    Reiner Neid. Seine Visage ist vor Grieskram komplett verknittert und verzerrt. Störte sich Gott an Schönheit, hätte er keine Rosen erschaffen.

    Ich liebe Rosen. Sie duften, ihre Blüten fühlen sich samtig an und um die Dornen beneide ich sie.

    Ein Wunder. Ich brauche es immer noch.

    Erst Wärme und ein Dach über dem Kopf. Dann eine Fügung. Egal welche, aber sie muss mich reich machen. Reich genug, um zum Hof zurückzukehren und meinem Vater Jongen abzukaufen.

    Er wird denken, ich hätte ihn im Stich gelassen. Habe ich auch. Warum bin ich nicht in den Stall gerannt, um ihn mitzunehmen? Wie hätte mich Vater aufhalten wollen? Ich bin fast so groß, fast so stark wie er. Nur den Knecht hätte er nicht zu Hilfe rufen dürfen.

    Ein Gefühl, als würden meine Muskeln reißen.

    Oder mein Herz.

    Oder beides.

    Lange halte ich nicht mehr aus.

    Irgendeinen Unterschlupf, der mich bis morgen früh rettet. Dann komme ich wieder klar. Meinethalben auch allein.

    Der dunkle Schatten im Schnee. Ein Wäldchen? Er reicht nicht weit nach beiden Seiten. Eher ein Hain.

    Hoffnung. So etwas Seltsames wie Vertrauen und Liebe.

    »Es hat mit dir zu tun, Gott. Der Wanderprediger hat davon gesprochen.« Von den Sanftmütigen, denen das Reich der Erde gehören soll. Und denen, die hungern nach Gerechtigkeit. Sie sollen satt werden.

    Eines Tages.

    Wer weiß, wann das sein wird. Ich hungere im Moment so sehr nach Gerechtigkeit, dass mir schon flau im Magen ist.

    Der Mann war nett. Etwas ausgemergelt, aber freundlich. Die Kirchenmänner predigen nur über die Hölle und Gottesfurcht. Sie drohen mit der ewigen Verdammnis, wenn man sich nicht haarklein an jedes Wort in der Bibel hält.

    Ich kann diese Worte nicht lesen. Nicht nur, weil ich die Sprache nicht kenne, sondern auch, weil ich eben nicht lesen kann. Ohne die Übersetzung des Kirchenmannes wäre das gesamte Dorf aufgeschmissen.

    Himmel, der kann uns viel erzählen. Wer weiß, ob das alles stimmt? Da war mir der Wanderprediger lieber. Zwar sprach er die Worte seltsam aus, aber sie waren flämisch.

    Er käme aus dem Süden, hat er gesagt. Da, wo die Berge den Himmel berührten und aus den Wolken schauten.

    Am Tag, als er wieder aufbrechen wollte, galoppierten Berittene samt einer Kutsche und einem Kirchenmann ins Dorf. Ich hatte den Kerl nie zuvor hier gesehen, doch seiner Robe nach war er verflixt reich.

    Vater versteckte mich. Ich sollte mich nicht blicken lassen.

    Wieso?, hab ich gefragt. Aber er hat mir nur eins übergezogen und mich in den Schuppen gesperrt.

    Dann, irgendwann, hörte ich die Schreie, roch den Rauch. Vater verbot mir zu fragen. Warum, weshalb, das ginge einen wie mich nichts an. Ich sollte den Wanderprediger vergessen, Gott hätte ihn verdammt und die Soldaten wären diesem Urteil nachgekommen.

    Wozu braucht Gott eine Hölle, wenn er die Sünder gleich an Ort und Stelle verbrennen lässt? Den Aufwand hätte er sich sparen können.

    Ich sagte Vater, dass es nicht stimmen würde. Gott verdammt nicht. Er vergibt.

    Er verpasste mir eine schallende Ohrfeige. Von solchen Dingen hätte jemand wie ich keine Ahnung. Niemals, wirklich niemals dürfte ich die Kirche infrage stellen. Die de Ruiters hätten ihr als auch dem Grafen stets treu gedient.

    Mein Vater gehörte zu den berittenen Boten Ludwigs I. Für seine treuen Dienste schenkte ihm der Graf einen Ring und das Land, das wir seitdem bewirtschaften. Als freie Bauern. Das ist schon mal was und ich bin stolz darauf.

    Trotzdem: Jemand wie ich, hat Vater gesagt.

    Warum bin ich anders als die anderen? Weil ich sage, was ich denke? Weil ich sage, was ich weiß? Ich spreche aus Erfahrung. Gott vergibt mir eine Menge Sünden. In erster Linie haben sie mit meinem Schwanz zu tun und den Gedanken, die ich in meinen Kopf locke, während ich ihn reibe.

    Eventuell vergibt er mir auch nicht. Sonst wäre ich nicht hier. Allein, verlassen, gleich tot.

    Eigenartig, ich war sicher, ich könnte Gott vertrauen. So wie Jongen mir. Doch ebenso wie ich mein Pferd im Stich lasse, lässt Gott mich im Stich.

    »Willst du, dass ich erfriere? Als Bestrafung? Los, sag es frei heraus! Aber du bist spät dran mit der Prügel. Ich besorge es mir schon seit Jahren selbst und träume dabei vom Arsch des Knechtes!« Jetzt ist eh alles egal. Ich sterbe, komme in die Hölle. Dort ist es warm.

    Nein. Sie ist ein Feuer. Menschenfleisch stinkt, wenn es verbrennt. In meinen Albträumen höre ich die Schreie des Wanderpredigers.

    Mir wird schlecht.

    Selig sind die Sanftmütigen.

    Jongen ist sanft.

    Vater wird ihm seinen Willen aufzwängen. Ich sehe sein strenges Gesicht vor mir, die stets zu einem Strich gepressten Lippen.

    »Genügen dir zwei Söhne?« Ich hätte meinen Brüdern den Hof nicht streitig gemacht. Irgendwann wäre ich gegangen. Nur nicht mitten in der kältesten Nacht, verflucht!

    Ich ziehe mir den Schal über den Mund. Er ist steifgefroren. Von meiner Atemluft, aber auch von meinen Tränen. Hier in der Einsamkeit kümmert sich niemand darum, ob ich heule wie ein Mädchen. Vorhin war mir danach. Jetzt nicht mehr.

    Ich werde mein Zuhause niemals wiedersehen.

    Doch, mir ist immer noch nach heulen zumute.

    Ich bin kurz davor, Großvater einen Sturz in die Jauchegrube zu wünschen. Schon als ich ein Kind war, hat er mich mit seinen misstrauischen Blicken verfolgt. Kein gutes Wort, keine Berührung oder gar eine Umarmung. Als trüge ich die Pest mit mir herum. Ständig hing er meinem Vater mit diesem lächerlichen Mal in den Ohren.

    Reibe mir die Stirn. Fühle sie nicht mehr.

    Kein Mal. Wie auch? Jede Pfütze hätte es mir gezeigt.

    Hat sie aber nicht. Nie.

    Im Sommer sollte ich heiraten. Nach der Kornernte.

    Daraus wird wohl nichts werden.

    Jette vom Nachbarhof.

    Sie bedeutet mir nichts. Ihre Augen sind glanzlos, ihr Haar ist stumpf, ihr Körper so weich, dass es mich bei dem Gedanken schaudert, mich auf ihn legen zu müssen. Als einziges von acht Kindern hat sie die Pest überlebt. Meine Mutter schwört, Gott würde seine Hand über Jette halten.

    Soll er sie doch zur Frau nehmen. Dann wäre er beschäftigt und müsste keine Bauernsöhne in Vollmondnächten erfrieren lassen.

    »Verzeih mir«, wispere ich sicherheitshalber in den Nachtwind. »Ich bin dabei, zu sterben. So was verbittert.« Ein Vorteil der Einsamkeit. Niemand rügt mich wegen mangelnden Respekts ihm gegenüber. »Ein Gebet und eine Kerze. Mehr ist nicht drin.«

    Mein Gewissen schüttelt mich. Die Hölle ist ein furchtbarer Ort. Gefüllt mit Teufeln und Kreaturen, die einen entsetzlich leiden lassen.

    Ich leide entsetzlich. Hier, mitten in Flandern.

    Tagsüber im Sommer, wenn ich über die Wiesen reite, der Wind mein Haar kämmt, erscheint mir diese Gegend wie das Paradies. Seltsam, was Winter und Nacht bewirken können.

    Meine Gedanken frieren ein wie der Rest von mir.

    Behalte deine verderbten Gedanken hinter deinen Lippen.

    Der Handrücken meines Vaters kann echte Schmerzen hervorrufen. Das liegt vor allem an dem Ring, den er stets trägt. Ein springendes Pferd auf einem Schild, dahinter eine Briefrolle.

    Wenn der auftrifft, so mit Wucht und Schwung, glitzern Sterne vor den Augen.

    Ich mag meine verbotenen Gedanken. Sie sind frei wie die Sommerfalken. Manche von ihnen sind auch wüst. Andere bildschön. Einige so sinnlich und berauschend, dass es mir beim Denken heiß in die Lenden steigt. Passt die Gelegenheit, suche ich mir in solchen Momenten ein stilles Eckchen und berühre mich ausgiebig. Doch spucken lasse ich meinen Schwanz erst, wenn ich das Gefühl habe, dass es mich sonst zerreißt. Die schönen Dinge im Leben ähneln den verbotenen. Man muss sie hinauszögern, um sie bis zum Schluss genießen zu können.

    Gebe ich mich diesem absoluten Glücksgefühl hin, verschwende ich nie einen Gedanken an Jette. Nur an den strammen Arsch unseres Knechtes.

    Das geht niemanden etwas an. Vater nicht, Mutter nicht, die Kirchenmänner nicht und Großvater schon gar nicht. Gott auch nicht. Aber wenn er alles sieht, sieht er auch das.

    »Mein Angebot steht, nimm dir Jette und danach reden wir noch einmal zum Thema Sünde.«

    Ich werde zur Hölle fahren. Gleich nachdem ich erfroren bin.

    Bis auf mein keuchendes Atmen und das Knirschen des Schnees unter meinen Schritten herrscht Stille. Langsam macht sie mir Angst. So wie die Gefühllosigkeit in den Beinen. Ein Wunder, dass ich die Füße voreinandersetzen kann.

    Kann ich nicht mehr.

    Am Saum des Wäldchens versagen sie mir den Dienst.

    Ich falle, kann es nicht ändern. Über mir die Sterne unter mir Schnee. Die Nacht wird es kaum bemerken, dass sich ein bisschen Leben dazwischen auflöst.

    Ich ziehe den Schal über mein Gesicht, kreuze die Arme vor der Brust und stecke die Hände unter meine Achseln. Dann erfriert es sich langsamer.

    Ich hätte Jongen mitnehmen sollen.

    Schwachsinn. Er wäre ebenso erfroren, wie ich es gleich sein werde.

    Wenn nur der

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