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Der zerbrochene Ring
Der zerbrochene Ring
Der zerbrochene Ring
eBook370 Seiten4 Stunden

Der zerbrochene Ring

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Über dieses E-Book

An der Tür drehte sich Elisabeth noch einmal um. Sorge war nun in den Augen der Äbtissin zu sehen.

„Ihr ähnelt Eurer Mutter.“

Es war kaum mehr ein Hauch, dann schloss sich die Tür und Elisabeth starrte auf das dunkle Holz.

Hatte sie sich das nur eingebildet?

Bayern, Anno Domini 1601:

Elisabeth, die uneheliche Tochter des Herzogs von Sachsen-Coburg, entflieht ihrer bevorstehenden Heirat in das Kloster Altenhohenau. Sie ahnt zunächst nicht, dass genau dieses Kloster Teil ihrer Familiengeschichte ist: Sechzehn Jahre zuvor kam hier ihre leibliche Mutter, eine Novizin, durch einen rätselhaften Selbstmord ums Leben. Zwei weitere mysteriöse Todesfälle, einer davon am Tag vor ihrer Ankunft, erregen schließlich Elisabeths Argwohn.

Stehen sie im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Mutter?

Gegen den Willen der Äbtissin beginnt Elisabeth, nach der Wahrheit zu forschen, und dringt damit tiefer in die gefährlichen Geheimnisse des Klosters ein, als gut für sie ist.

Die Trilogie um Schwester Elisabeth

  • Band 1: "Der zerbrochene Ring"
  • (Band 2: "Das Blut der Rose")
  • (Band 3: "Die letzten Sandkörner")
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum12. Apr. 2019
ISBN9783743845121
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    Buchvorschau

    Der zerbrochene Ring - Sophie Heinig

    Wichtige handelnde Personen

    In Coburg:

    Elisabeth von Sachsen-Coburg

    Johann Kasimir von Sachsen-Coburg – ihr Vater, Herzog von Sachsen-Coburg

    Margarethe von Sachsen-Coburg – seine Frau

    Karolina von Sachsen-Coburg – Elisabeths Halbschwester

    Agatha – eine Magd

    Antonia Wolfen – Elisabeths Freundin

    Philipp Julius von Pommern – Herzog von Pommern-Wolgast

    In Altenhohenau:

    Mutter Johanna – die Äbtissin

    Schwester Salome – die Pförtnerin

    Schwester Lioba – die Verwalterin

    Schwester Devota – die Leiterin des Gästehauses

    Schwester Hildegard – die Leiterin der Bibliothek

    Schwester Maria – eine Nonne

    Schwester Agnes – eine Nonne

    Schwester Barbara – eine Novizin

    Joseph Morgenstern – ein Gastwirt

    Fritz Neumann – ein Schmied

    Elsa Neumann – seine Frau

    Emanuel Neumann – ihr Bruder und Ziehsohn

    Hans Mommsen – der Bürgermeister

    Albrecht Sebald – ein Medicus

    Maximilian I. – Herzog von Bayern

    In Furstenwalde:

    Hermann Kirchner – ein Gastwirt

    Kapitel 1

    Stadtschloss zu Coburg, im Spätsommer Anno Domini 1601

    In der Küche war es heiß wie im Kohleofen.

    Das Feuer zischte und die Suppe brodelte. Ein würziger Geruch hing wie eine Dunstwolke über dem Kupferkessel.

    Eine schüchterne, schwarzhaarige Magd nahm Elisabeth den Löffel aus der Hand.

    „Der Koch sagte, ich könne ihm zur Hand gehen", widersprach Elisabeth.

    War dieses junge Mädchen so neu, dass sie nicht wusste, wie oft Elisabeth hier half?

    „Natürlich, Eure Hoheit, flüsterte das Mädchen und sah zu Boden. „Aber er hat mich gebeten, die Fischsuppe zu übernehmen.

    „Aber weshalb denn? Er weiß doch genau, dass ich diese Suppe im Schlaf beherrsche", erwiderte Elisabeth und zog eine Augenbraue hoch.

    Das Mädchen starrte angestrengt auf den Topf, der über dem Feuer hing. Sie war klein und hager. Ihre Rippen stachen unter ihrem Kittel beinah hervor. Plötzlich hatte Elisabeth Mitleid mit diesem hilflosen Geschöpf. Sie selbst war doch kaum mehr als eine Magd!

    „Er lässt Euch ausrichten, dass Ihr ihm bei dem Reh helfen könnt, wenn Ihr wollt", sagte das Mädchen zurückhaltend und begann, in der Suppe zu rühren.

    Elisabeth lächelte nachsichtig und strich sich abwesend eine feine, blonde Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrer eleganten Hochsteckfrisur gelöst hatte. Sie hatte erst selten bei der Zubereitung von festem Fleisch zugesehen und lernte gern dazu.

    „Aber natürlich; wo finde ich denn den Koch?", fragte sie freundlich.

    Die unglaublich grünen Augen des Mädchens flackerten zu ihr hoch und begegneten Elisabeths blauen. Das Gesicht der Magd war eingefallen und blass. Was wohl mit ihr geschehen war?

    „Dort hinten, an dem großen Feuer", murmelte sie und senkte den Blick.

    „Vielen Dank, entgegnete Elisabeth und warf einen letzten Blick auf das Mädchen. „Wie heißt du, Kleine?, wollte sie freundlich lächelnd wissen.

    Es fiel ihr schwer, das Alter des Mädchens zu schätzen. Älter als 15 Jahre war sie auf keinen Fall.

    „A-Agatha", stotterte das Mädchen und wurde rot.

    Elisabeth sah den Koch schon von Weitem und eilte auf ihn zu.

    „Fräulein Elisabeth, hat Agatha Euch gefunden?", wollte er respektvoll wissen.

    „Aber ja, antwortete Elisabeth und nickte erfreut. „Ich soll dir beim Reh helfen?

    „Ja, Fräulein, ich dachte mir, das würde Euch vielleicht interessieren", meinte der Koch und zeigte auf das Feuer. Dort brutzelte ein Stück braunes Fleisch an einem Spieß. Der Duft, der davon aufstieg, war himmlisch.

    „Kurt, brüllte der Koch so plötzlich, dass Elisabeth zusammenzuckte. „Dreh' das Fleisch, du Nichtsnutz, das verbrennt doch gleich! Verzeiht mir, fügte er an Elisabeth gewandt hinzu.

    „Dieses Fleisch muss jetzt noch einige Zeit braten, dabei wird der Spieß immer wieder gedreht. Danach kommt darüber eine besondere Soße und es kann gegessen werden, erklärte er stolz. „Ich bin sicher, es wird Euch vorzüglich schmecken.

    „Zuallererst muss es den Gästen munden", gab Elisabeth zu bedenken und seufzte.

    Der Koch zog die Augenbrauen hoch.

    „Im ganzen Schloss spricht man nur noch über diesen Besuch, erzählte er. „Ich dachte, Ihr würdet Euch freuen.

    Elisabeth schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. Der Koch war normalerweise kein direkter Mensch, aber von Zeit zu Zeit traf er den Nagel auf den Kopf und hatte inzwischen keine Hemmungen mehr, seine Gedanken ihr gegenüber laut auszusprechen.

    „Sag mir, guter Freund, dieses Mädchen... Agatha. Ist sie neu hier?", wechselte sie das Thema.

    „Ja, weshalb? War sie ungehörig?", fragte der Koch besorgt.

    „Nein, nein, keineswegs. Ich konnte mich bloß nicht erinnern, sie je hier gesehen zu haben. Woher kommt sie? Ich dachte, ihr habt bereits genügend Mägde und Gehilfen in der Küche?"

    „Ja, das ist richtig. Aber einer der Burschen fand sie auf dem Markt. Sie bat ihn, ihr eine Arbeit im Schloss zu verschaffen und er hatte Mitleid mit ihr. Ihr Eltern sind wohl beide am Fieber gestorben und sie hat keine Verwandten, bei denen sie leben kann. Ich habe ihr gesagt, sie könne hier arbeiten, im Gegenzug erhält sie die Ration eines Gesellen und eine kleine Matte bei den anderen Mägden. Aber sie ist eigentlich noch viel zu klein für diese Arbeit, das arme Ding", sagte der Koch und sah zu Agatha, die weiter in dem riesigen Topf rührte.

    „Aber was soll ich mit ihr machen? Schaut sie Euch an, so klein und schwach... Auch ich habe ein Herz, Eure Hoheit", fuhr der Koch fort.

    Elisabeth nickte.

    „Du hast richtig gehandelt, beruhigte sie ihn. „Aber vielleicht findet sich eine leichtere Arbeit für sie? Nur wo? Ich fürchte, in der Waschküche würde sie völlig untergehen. Hast du einmal in den Ställen gefragt?

    „Noch nicht, aber die suchen da kräftige Burschen, keine kleinen Mädchen, die sich kaum auf den Beinen halten können", widersprach der Koch.

    Elisabeth runzelte die Stirn.

    „Dennoch, wenn ich heute Abend zu den Pferden gehe, werde ich dort einmal fragen", schlug sie abwesend vor.

    „Du gehst heute Abend nirgendwohin", donnerte eine Stimme hinter ihr und Elisabeth fuhr herum.

    Mit einem Mal schienen alle in der Küche zu schrumpfen.

    „Vater", flüsterte Elisabeth und blickte zu ihm hoch. Ihr Herz hämmerte.

    „Was tust du hier eigentlich? Bald werden die Gäste kommen und du musst dich noch zurechtmachen, rief der hochgewachsene Mann mit dem kurzen braunen Bart. „Wie du aussiehst! Deine Mutter wäre enttäuscht.

    „Meine Mutter war selbst eine Magd", entgegnete sie wütend und starrte mit brennendem Blick zu ihm hoch.

    „Ich spreche von meiner Frau, Elisabeth!, sagte er laut. „Und jetzt komm.

    Elisabeth rührte sich nicht.

    „Appolonia Elisabeth Marianna von Sachsen-Coburg", donnerte ihr Vater und unwillkürlich schienen alle im Raum erneut zu schrumpfen.

    Und dann folgte Elisabeth, die uneheliche Tochter des Herzogs Johann Kasimir von Sachsen-Coburg, ihrem Vater durch die schmale Tür aus der Küche hinaus.

    Auf ihren Wangen lag Asche.

    „Pass doch auf", knurrte Elisabeth, als die Zofe an ihren Haaren zerrte.

    „Verzeihung, Eure Hoheit, murmelte die ältere Frau geknickt und schon glitt der Hornkamm sanfter durch Elisabeths blondes Haar. „Welches Kleid wollt Ihr tragen?

    Elisabeth zuckte mit den Schultern.

    „Das ist mir egal", meinte sie und starrte wütend aus dem kleinen Fenster ihres Schlafzimmers.

    Die Zofe öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch Elisabeth begann schon wieder zu reden.

    „Kannst du das verstehen?, fragte sie abwesend, den Blick weiter auf die fernen Wälder hinter den Dächern Coburgs gerichtet. „In der Küche, im Stall, in der Wäscherei – überall fühle ich mich heimisch, nur hier nicht. Ich halte das nicht mehr aus; den Prunk, die Kleider... einfach alles! Was spricht dagegen, wenn ich bei den Mägden und Dienern bin – dort, wo ich mich zu Hause fühle?

    Die Zofe schwieg.

    „Meine Mutter war selbst eine Magd", fuhr Elisabeth fort.

    „Aber Euer Vater hat Euch auf sein Schloss geholt", gab die Dienerin zu bedenken.

    „Normalerweise bleiben uneheliche Kinder bei ihren Müttern", stimmte die junge Frau zu.

    „Aber Eure Mutter starb." Die Zofe sah zu Boden.

    „Dann gibt man sie an ein Kloster. Die meisten Herzöge und Fürsten mit Bastarden haben genug Geld und Einfluss, um diese zum Abt, zur Äbtissin oder zum Bischof zu machen. Und wenn jemand Geld hat, dann mein Vater. Er könnte mich überall einkaufen", meinte Elisabeth finster.

    „Wärt Ihr gerne Äbtissin geworden?", wollte die Zofe zurückhaltend wissen.

    Die meisten Diener und Dienerinnen im Schloss hatten längst ihre Scheu vor Elisabeth verloren und waren mit Fragen und Meinungsäußerungen bedeutend offener, als es ihnen vielleicht zustand. Doch die Herzogstochter störte das kaum. Es gefiel ihr mehr, ein aufgeschlossenes Gespräch mit ihnen zu führen, als nur knappe Befehle zu erteilen und ein ehrfürchtiges „Ja, Hoheit" zu erhalten.

    „Ich wäre gern Nonne; Gott folgen und ihm dienen… ja, das würde schon eher zu mir passen", stellte Elisabeth fest.

    „Dank Eures Vaters Gnade könnt Ihr hier leben und habt alles, was Ihr braucht – und noch mehr!"

    „Manchmal glaube ich, alles wäre besser, als hier im Schloss zu sein; mit meinem Vater und seiner neuen Frau Margarethe", murmelte Elisabeth.

    „Ihr solltet froh sein, dass Ihr alles habt, was Ihr braucht", sagte die Dienerin und ihr Ton war eine Spur zu vorwurfsvoll.

    „Was weißt du denn schon davon?!", rief die Herzogstochter aufgebracht und scheuchte sie hinaus.

    Als sich die Tür hinter der älteren Frau schloss, atmete Elisabeth erschöpft aus. Ihr Blick fiel wieder aus dem Fenster und blieb an den entfernten Baumspitzen hängen. Sie hatte nicht so böse werden wollen. Sonst mochte sie alle Diener sehr.

    Die Küche, der Stall, die Wäscherei – egal, wo sie hinkam; immer empfing man sie mit offenen Armen und einem Lächeln; Elisabeth wusste, dass man am Hofe heimlich über das kühne und unabhängige Mädchen sprach, das kein Problem damit hatte, sich die Hände schmutzig zu machen.

    Elisabeth hob ein Kleid auf, das auf dem Boden lag. Normalerweise war ihr Raum ordentlich, aber an Tagen, an denen hohe Gäste kamen, suchte sie immer stundenlang nach einem passenden Kleid. Denn eigentlich mochte sie keines.

    Ihre Mutter war eine Magd gewesen, rief sie sich in Erinnerung. Eine einfache Magd am Hofe ihres Vaters. Dass sich ein Herzog ein Geliebte nahm, war nichts Ungewöhnliches, doch da er gerade erst verlobt war, hatte es doch einen Aufruhr gegeben, als man hörte, dass die Magd von Johann Kasimir von Sachsen-Coburg ein Kind erwartete. Mir nichts, dir nichts hatte Johanns damalige Verlobte und spätere Frau Anna von Sachsen sie vor die Tür gesetzt. Doch Johann war ihr gefolgt und hatte sie unter anderem Namen an den Hof zurückgeholt. Kurz darauf kam das Kind, aber Elisabeths Mutter starb bei der Geburt, so hatte es ihr Vater immer erzählt. Weil er sie jedoch so geliebt hatte, hatte er sich bereit erklärt, das Baby aufzunehmen und an seinem Hofe großziehen zu lassen. Der daraufhin folgende Aufschrei der Empörung an den deutschen Herrschaftshäusern hatte sich bald wieder gelegt und Elisabeth galt als vollwertige Tochter des Herzogs von Sachsen-Coburg.

    Manchmal wäre es ihr lieber gewesen, ihr Vater hätte anders gehandelt.

    Nach einigen Jahren kam dann das Gerücht auf, seine Frau Anna habe Ehebruch begangen. Kurz darauf verschwand sie, ohne dass man wusste, wohin. Wenig später wurde bekannt, dass sie vom Schöppenstuhl in Jena zwar zum Tode verurteilt worden war, ihr Mann das Urteil jedoch in lebenslange Haft umgewandelt hatte. Vor zwei Jahren dann hatte Johann Margarethe, die Tochter des Herzogs Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg und Annas Cousine geheiratet.

    Elisabeth kniete sich hin und strich das Kleid glatt. Es war noch nicht alt, erst vor einigen Wochen war der Hofschneider persönlich gekommen, um dieses Gewand aus mit Goldfäden besticktem Samt und Seide für sie zu nähen. Es war lebhaft blau und besaß einen flachen Spitzkragen. Zum Glück war das Korsett nicht allzu eng, wenn auch mit einer hohen Taille versehen. Wie es langsam unter dem holländischen Einfluss modern wurde, hatte das Kleid keinen Unterrock aus Stahlreifen, sodass der Oberrock in lockere Falten fiel. Die Ärmel waren mit Spitze aus Leinen verziert und gewaltig aufgebauscht. Elisabeth hatte das Kleid von Anfang an nicht gefallen.

    Widerwillig zog sie es an und betrachtete sich im Spiegel. Sie rief nach der Zofe, die sofort erschien, das Korsett fest schnürte und ihr die blonden Haare hochsteckte, um sie mit einem juwelenbesetzten Band und einem feinen Haarnetz zu befestigen. Dann verteilte sie großzügig Puder auf Elisabeths Gesicht und parfümierte sie, bis die Herzogstochter anfing zu husten.

    Schließlich verließ die Dienerin schweigend den Raum, noch bevor Elisabeth ihr danken konnte.

    Traurig lauschte sie den Schritten auf dem Flur.

    Wenig später verließ Elisabeth leise und anmutig das Zimmer. Die wenigen Diener, denen sie begegnete, lächelten ihr aufmunternd zu und waren wie Balsam nach der Auseinandersetzung mit der älteren Dienerin.

    Vor einer Ecke blieb sie stehen. Stimmen drangen zu ihr. Zwei Frauen – Elisabeth war sich sicher, es waren Mägde – sprachen gedämpft miteinander.

    „Sie ist so jung und trotzdem so gütig, sagte gerade eine der beiden. „Gerade einmal 16 Jahre alt. Und so unüblich für ein Mädchen ihres Stands.

    „Hat der Herzog nicht immer erzählt, ihre Mutter sei eine Magd gewesen?, erwiderte die andere. „Vielleicht sieht sie diese als Vorbild an und ist stolz auf sie.

    „Du meinst, als wäre das Dienen vererbbar, scherzte die erste. „Möglicherweise ist es auch einfach nur eine rebellische Phase, auf ihrem Weg, eine Frau zu werden.

    Elisabeth brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass die beiden über sie sprachen.

    „Ich glaube nicht, antwortete die zweite Magd. „Fräulein Elisabeth war schon immer so. Erinnerst du dich noch, wie sie im Alter von fünf Jahren das erste Mal in der Waschküche war? Sie hatte einen Fleck auf einen ihrer Vorhänge gemacht und hatte Angst, dass ihr Vater es bemerkt. Damals sagte sie noch: ‚Ich will das selber wieder gut machen, immerhin war es meine Schuld.‘ Obwohl die hohen Herrschaften doch glauben, das Wasser mache krank und die Wäscherei meiden wie der Teufel das Weihwasser. Was mit unsereins passiert, schert sie nicht… Oder als Elisabeth elf Jahre alt war und heimlich in die Stadt gegangen ist. Sie hatte zu ihrem Geburtstag von ihrem Vater Geld bekommen, damit sie sich ein Kleid davon machen lassen konnte. Aber stattdessen ist sie in das Viertel gegangen, in dem die Kranken und Krüppel leben. Sie hat ihr ganzes Geld an die Familien verteilt. Oder denk‘ nur an die vielen Male, als sie vor ihrem Hauslehrer geflohen ist, um in der Küche oder im Stall zu helfen. Sie ist keine typische Adlige, da bin ich mir sicher. Vielleicht fühlt sie sich als Magd und mag es nicht, von ihrem Vater auf diese Weise bevorzugt werden.

    „Aber wieso? Sie sollte dankbar sein, anstatt ihm ständig zu widersprechen. Er liebt sie doch so sehr, dass er ihr alles gibt!"

    Elisabeth seufzte in sich hinein. Die Mägde hatten Recht. Sie fühlte sich wohl bei den Dienern, nur aus welchen Grund, das wusste sie nicht so genau. Und ja, den nötigen Respekt zollte sie ihrem Vater viel zu selten.

    Er liebte seine ältere Tochter und bevorzugte sie mit geradezu übermäßiger Sanftmut, an die Elisabeth sich mit der Zeit gewöhnt hatte. Ihr Vater war nicht der Mann, der sie zum Gehorsam zwang oder ihr mit aller Härte verbot, in die Küche zu gehen. Dafür war er viel zu mild, auch wenn sein Auftreten vorhin anders gewirkt hatte.

    Und Elisabeth wusste, dass sie das ungewollt ausnutzte.

    „Ich glaube, Fräulein Elisabeth weiß, dass sie nicht standesgemäß aufwächst. Vielleicht fühlt sie sich unseresgleichen gegenüber schuldig und hilft uns deshalb so oft, sagte eine der Mägde. „Ich glaube, das kann man nicht erklären. Fräulein Elisabeth ist einfach so – eine wirklich sonderbare Adlige.

    „Mir hat sie einmal erzählt, wie gern sie Nonne sein würde, antwortete die andere. „Weißt du noch: Als vor wenigen Monaten diese Novizin aus dem Kloster Altenhohenau hier war. Schwester Theresia hieß sie. Fräulein Elisabeth hat sich so lange mit ihr unterhalten – bis spät in die Nacht hinein. Sie wollte wissen, wie das Leben im Kloster sei und ließ sich alles genau erzählen. Ich glaube, Fräulein Elisabeth wäre wirklich gerne Nonne; sie kann es sich bloß nicht eingestehen, um keinen unerfüllbaren Träumen hinterher zu hängen. Ihr Vater würde ihr ein Leben im Kloster nie erlauben, egal, wie sehr sie es sich wünscht. Dass sie heiraten muss, steht außer Frage. Manchmal habe ich das Gefühl, Fräulein Elisabeth verkümmert in all dem Luxus. Sie ist so schlicht – nein, schlicht ist sie nicht, aber sie lebt schlicht. Sie ist keine gewöhnliche Adlige und ich bin sicher, es tut ihr nicht gut, wenn ihr Vater sie in diese Form zwingt, sosehr er sie auch lieben mag.

    Die Stimmen entfernten sich. Elisabeth blieb nachdenklich stehen und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Vermutlich hatten die beiden Recht. Ähnliche Gespräche hatte sie auch von einigen Hofdamen gehört, allerdings in einem deutlich verächtlicheren Tonfall.

    Irgendwie fand sie es ungerecht, dass sie von Geburt her eine höhere Stellung hatte als andere. Liebte nicht Gott alle Menschen gleich? Waren nicht am Tag des Jüngsten Gerichts Stand, Geld und Macht wertlos? In der Bibel sagte der Evangelist Johannes in der Offenbarung doch: Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darin waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken. Es ging nur um die Werke.

    Wieso sollte sie von Geburt an etwas Besseres sein, wenn vor Gott doch alle gleich waren?

    „Sieh an, sieh an, ertönte eine keifende Stimme hinter ihr und ließ sie herumfahren. „Die Magd hat doch noch ein Kleid gefunden, das sie anziehen kann.

    „Karolina", sagte Elisabeth ruhig und wandte sich um.

    Auf dem Gesicht ihrer jüngeren Schwester stand ein ebenso zuckersüßes wie falsches Lächeln. Doch der unverhohlene Neid in ihren wässrigen Augen bedeutete Elisabeth, dass sie gar nichts mehr tun musste.

    „Na, willst du doch lieber an der Tafel sitzen, als in der Küche das Essen vorzubereiten?", fragte Karolina herausfordernd.

    „Tatsächlich würde ich lieber in der Küche sein, wo ich dein Gesicht nicht sehen muss – aber da der junge Mann heute für mich kommt..."

    Sie kniff die Augen zusammen und an der Art, wie Karolina zurückzuckte, merkte Elisabeth, dass sie gleich zwei wunde Punkte getroffen hatte.

    Karolina von Sachsen-Coburg war ein Jahr jünger als sie, wurde jedoch nie müde, zu betonen, dass ihre Mutter sächsische Prinzessin und später Herzogin gewesen war.

    Zudem war sie das einzige von drei Kindern aus der Ehe von Anna von Sachsen und Johann, das überlebt hatte. Damit war sie, als eheliche Erbin, höher gestellt als Elisabeth und hätte den besseren und bekannteren Mann bekommen müssen. Es war jedoch kein Geheimnis, dass Johann Kasimir seine uneheliche Tochter Elisabeth, so oft es auch Streit zwischen ihnen gab, mehr liebte als Karolina. Schon kurz nach ihrer Geburt hatte er festgelegt, dass er zuerst für sie nach einem Bräutigam Ausschau halten und nicht eher ruhen würde, bis er den perfekten gefunden hatte.

    Zum anderen hatte Karolina mit fünf Jahren die Pocken bekommen, wodurch ihr Gesicht entstellt worden war. Ihr Vater hatte schon einige Male erwähnt, dass sie dadurch vielleicht nicht heiratsfähig wäre und man sie möglicherweise ins Kloster schicken würde – eine Tatsache, die Karolina überhaupt nicht gefiel.

    Eigentlich war es kein besonders feiner oder frommer Zug, sie so zu demütigen, aber häufig fand Elisabeth, dass Karolina es mit ihren spitzen und bewusste verletzenden Bemerkungen darauf anlegte. Vielleicht wurde man so, wenn man von Geburt an nicht so sehr geliebt wurde wie die eigene Schwester. Ein Grund, sie zu demütigen, war das trotzdem noch nicht.

    Elisabeth und Karolina waren nie gut miteinander ausgekommen. Offiziell waren sie beide Halbschwestern, aber sie hatten so gut wie gar keine Gemeinsamkeiten. Während Karolina mit ihrem Leben im Schloss glücklich war und sich nur nach der Zuneigung ihres Vaters sehnte, wollte Elisabeth lieber ausbrechen, sich nicht an die Regeln halten.

    Zudem war Karolina neidisch auf ihre Schwester und litt darunter, wie wenig Liebe sie von ihrem Vater erhielt. Und Elisabeth konnte es ihr kaum verübeln. Natürlich war es ungerecht, wie sehr Johann Kasimir seine uneheliche Tochter bevorzugte. Aber sie konnte nichts daran ändern.

    Ebenso wenig konnte sie Karolinas Aussehen oder ihren arroganten Charakter verbessern. Auch der Hass, den ihre Halbschwester ihr entgegenbrachte, schien unveränderlich.

    Und doch fühlte Elisabeth sich ihrer Schwester gegenüber schuldig. Zum einen, weil sie immer noch verwandt waren. Weil Anna von Sachsen, Karolinas Mutter, auch für Elisabeth eine liebende Mutter gewesen war. Und weil Elisabeth nichts dafür konnte, dass ihr Vater sie mehr liebte als Karolina. Sie wusste doch selbst, dass das ungerecht war!

    Aber ihre Schwester schien das nicht zu verstehen, geblendet von dem Hass und womöglich auch der Enttäuschung und Vernachlässigung.

    „Du weißt ja gar nicht, was ich alles für Geschichten über diesen Mann gehört habe", begann Karolina jetzt, aber es klang einfallslos.

    „Lass es gut sein. Du kennst seinen Namen genauso wenig wie ich. Vater hat absolutes Stillschweigen bewahrt", lachte Elisabeth und setzte ihren Weg fort.

    Sie hatte es längst aufgeben zu versuchen, ihre Schwester zu bessern und zur Vernunft zu bringen.

    Karolina und sie – das würde nie gut gehen. Ständig musste ihre Halbschwester hervorheben, dass sie eine vollwertige Tochter des Herzogs und Elisabeth bloß das Kind einer einfachen Magd sei.

    Auch das war ein Grund, weshalb Elisabeth bei den Dienern und Angestellten so viel beliebter war: Sie, obwohl Lieblingstochter des Herzogs, gab nie große Reden von sich, blieb meist still, leise und nachdenklich. Nur in den seltensten Fällen rutschte ihr einmal ein falsches Wort oder die Hand aus.

    „Elisabeth."

    Die Stimme ihres Vaters ließ sie aufschrecken.

    „Vater." Ihr Ton neigte ins Bittere.

    „Dieser junge Mann heute hat sehr viel Geld und politischen Einfluss. Es wäre wirklich...", begann er, doch Elisabeth unterbrach ihn.

    „Willst du mir nicht endlich sagen, wer er ist?", fragte sie herausfordernd.

    „Gleich, gleich, liebe Tochter."

    Elisabeth schnaubte wütend.

    „Es wäre wirklich gut, wenn du wenigstens versuchen würdest, ihn kennenzulernen und ihm gegenüber freundlich aufzutreten", meinte ihr Vater.

    Elisabeth wusste sehr wohl, dass Johann für einen Vater außerordentlich sanft und nachsichtig mit seinen Töchtern umging. Im Normalfall hätte er sie bereits mit vielleicht sechs Jahren verlobt – stattdessen ließ er ihnen die Wahl. Auch war klar, dass er sie nicht grundsätzlich zwingen würde… noch nicht.

    Sie durfte ihn auf keinen Fall reizen oder seine Liebe überspannen. Denn dann würde sie schneller unter die Haube kommen, als ihr lieb war – und zwar nicht mit einem Mann, den sie erwählte.

    Und wer wusste das schon – vielleicht war der junge Mann ja auch ganz angenehm? Heiraten musste sie schließlich so oder so. Es gab geschriebene und ungeschriebene Standesgesetze, gegen die sie sich nicht wehren konnte.

    „Na gut, lenkte Elisabeth ein und dachte nach. „Ich werde ihm gegenüber unvoreingenommen und höflich agieren...

    „Er hat eine Chance verdient; glaube mir, es wird sich lohnen", warf ihr Vater ein.

    „…unter zwei Bedingungen", fuhr Elisabeth fort. Zwei Bedingungen, das war nicht zu viel, gleichzeitig zog sie aber auch ihren Nutzen daraus. Herr im Himmel, sie nutzte die Sanftmut ihres Vaters wirklich zur Genüge aus.

    Der Herzog hob die Augenbrauen.

    „Bedingungen?", wollte er zweifelnd wissen.

    „Ja, zwei Bedingungen, erwiderte Elisabeth fest. „Bitte, Vater, hör‘ sie dir doch erst einmal an.

    „Nun gut", seufzte Johann und nickte.

    „Zuerst möchte ich in die Küche, den Stall, die Wäscherei und überall hin gehen können – sooft ich will. Solange ich natürlich meine Pflichten nicht vernachlässige, schob sie beschwichtigend hinterher. „Du sollst mich nicht davon abhalten.

    Ihr Vater schien die Dinge abzuwägen.

    „Bis zu deiner Hochzeit, sagte er schließlich. „Für alles Weitere trage ich keine Verantwortung.

    „Gut. Und zweitens…"

    Elisabeth dachte kurz nach. Eine zweite Forderung hatte sie sich noch gar nicht überlegt. Aber ihr fiel blitzschnell etwas ein.

    „Ich möchte eine eigene Zofe. Mir missfällt es, immer irgendeine Dienerin in ihrer Arbeit zu stören. Ich möchte eine Zofe nur für mich. Immerhin hat Karolina auch eine. Sie soll mir das Essen bringen, wenn ich alleine speise, mich pudern und Kleider aussuchen. Außerdem käme es dir doch sicher entgegen, wenn ich eine Duenja habe, sofern ich mich mit einem Mann unterhalte. Dann müsstest du nicht erst eine neue Gouvernante beauftragen, nachdem die alte vor wenigen Wochen verstorben ist."

    „Natürlich, Tochter, stimmte Johann zu. Mit der zweiten Bedingung schien er zufriedener zu sein, als mit der ersten. Vielleicht gefiel ihm auch die Möglichkeit, Geld zu sparen, indem er einfach eine Zofe als Elisabeths Duenja, also Anstandsdame, einsetzte. Wenn sie sowieso bald verheiratet sein würde, erschien das als überflüssige Investition. „Ich werde mich noch heute...

    „Ich möchte, dass

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