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IM SCHATTEN JENER STUNDE: Der Krimi-Klassiker!
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eBook261 Seiten3 Stunden

IM SCHATTEN JENER STUNDE: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Zuerst war nur die Angst, die kalte, gedankenlose Angst. Und dann rannte er davon. Er hatte keine Zeit, sich klarzumachen, dass das etwas ganz anderes sei, dass das ganz und gar nicht dasselbe sei... Er konnte sich an nichts mehr erinnern als an den verblüfften Ausdruck in den Augen des Mannes und an das schmale Gerinnsel, das über seine Hemdbrust züngelte...

Marty Weaver versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er zermarterte sich schon seit langem das Hirn - seit einer Stunde vielleicht oder vielleicht seit fünf Minuten. Er stand hinter der verdreckten Spitzengardine, zwischen der Dunkelheit seines billigen Zimmers und der Dunkelheit der Beach Street, und dachte angestrengt nach. Aber er konnte sich nur auf ganz belanglose Einzelheiten besinnen - wie der Fuß ihm weh tat, als er die steile gelbe Böschung zur Beach Street hinaufstolperte, und wie die fernen Konturen eines alten Hafenschuppens mit dem Dunkel dort unten zu verschmelzen schienen. Aber was er gar nicht begreifen konnte, war der Gegenstand in seiner Hand. Er betrachtete ihn abermals in dem trüben Fensterschein, und dann schlug er mit der Faust zu, unwillig und heftig, so dass das verdammte Ding sich in den schäbigen Firnis eines kleinen Lampentischchens bohrte. Wie auf ein Signal flammten unten auf der Straße die Lichter auf, und in ihrem Abglanz stak es empor gleich einem winkenden Finger...

Helen Nielsen (* 23. Oktober 1918 in Roseville, Illinois; † 22. Juni 2002 in Prescott, Arizona) war eine US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin.

Der Roman Im Schatten jener Stunde erschien erstmals im Jahr 1955; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum21. Aug. 2020
ISBN9783748754411
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    Buchvorschau

    IM SCHATTEN JENER STUNDE - Helen Nielsen

    Das Buch

    Zuerst war nur die Angst, die kalte, gedankenlose Angst. Und dann rannte er davon. Er hatte keine Zeit, sich klarzumachen, dass das etwas ganz anderes sei, dass das ganz und gar nicht dasselbe sei... Er konnte sich an nichts mehr erinnern als an den verblüfften Ausdruck in den Augen des Mannes und an das schmale Gerinnsel, das über seine Hemdbrust züngelte...

    Marty Weaver versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er zermarterte sich schon seit langem das Hirn - seit einer Stunde vielleicht oder vielleicht seit fünf Minuten. Er stand hinter der verdreckten Spitzengardine, zwischen der Dunkelheit seines billigen Zimmers und der Dunkelheit der Beach Street, und dachte angestrengt nach. Aber er konnte sich nur auf ganz belanglose Einzelheiten besinnen - wie der Fuß ihm weh tat, als er die steile gelbe Böschung zur Beach Street hinaufstolperte, und wie die fernen Konturen eines alten Hafenschuppens mit dem Dunkel dort unten zu verschmelzen schienen. Aber was er gar nicht begreifen konnte, war der Gegenstand in seiner Hand. Er betrachtete ihn abermals in dem trüben Fensterschein, und dann schlug er mit der Faust zu, unwillig und heftig, so dass das verdammte Ding sich in den schäbigen Firnis eines kleinen Lampentischchens bohrte. Wie auf ein Signal flammten unten auf der Straße die Lichter auf, und in ihrem Abglanz stak es empor gleich einem winkenden Finger...

    Helen Nielsen (* 23. Oktober 1918 in Roseville, Illinois; † 22. Juni 2002 in Prescott, Arizona) war eine US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin.

    Der Roman Im Schatten jener Stunde erschien erstmals im Jahr 1955; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    IM SCHATTEN JENER STUNDE

    Erstes Kapitel

    Zuerst war nur die Angst, die kalte, gedankenlose Angst. Und dann rannte er davon. Er hatte keine Zeit, sich klarzumachen, dass das etwas ganz anderes sei, dass das ganz und gar nicht dasselbe sei... Er konnte sich an nichts mehr erinnern als an den verblüfften Ausdruck in den Augen des Mannes und an das schmale Gerinnsel, das über seine Hemdbrust züngelte...

    Marty Weaver versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er zermarterte sich schon seit langem das Hirn - seit einer Stunde vielleicht oder vielleicht seit fünf Minuten. Er stand hinter der verdreckten Spitzengardine, zwischen der Dunkelheit seines billigen Zimmers und der Dunkelheit der Beach Street, und dachte angestrengt nach. Aber er konnte sich nur auf ganz belanglose Einzelheiten besinnen - wie der Fuß ihm weh tat, als er die steile gelbe Böschung zur Beach Street hinaufstolperte, und wie die fernen Konturen eines alten Hafenschuppens mit dem Dunkel dort unten zu verschmelzen schienen. Aber was er gar nicht begreifen konnte, war der Gegenstand in seiner Hand. Er betrachtete ihn abermals in dem trüben Fensterschein, und dann schlug er mit der Faust zu, unwillig und heftig, so dass das verdammte Ding sich in den schäbigen Firnis eines kleinen Lampentischchens bohrte. Wie auf ein Signal flammten unten auf der Straße die Lichter auf, und in ihrem Abglanz stak es empor gleich einem winkenden Finger.

    Aber nein, es ist doch nur ein Messer, dachte Marty. Wie kann man so dumm sein, sich davor zu fürchten?

    Das Licht, das durchs Fenster fiel - das einzige Licht im Raum - verwandelte sein Gesicht zu einer Maske. Ein dunkelhäutiges, trotziges Gesicht, das kantige Kinn ein wenig zu weit vorgeschoben und die Augen ein wenig zu tief in den Höhlen. Obwohl sein Mund etwas Streitlustiges hatte, sah Marty Weaver im Grunde genommen wie ein Mensch aus, der das Leben nur hinnimmt, weil es ein Geschenk ist, das man nicht zurückgeben kann. Das war seltsam, denn hinter dem Schleier der Angst war Marty Weaver noch ein junger Mann.

    Nun vergaß er für einen Augenblick die Gedanken, die sich in seinem Kopfe türmten, und spitzte die Ohren. Unten zu ebener Erde spaltete ein langer Flurgang das uralte Haus von der gähnenden Eingangstür bis zur Küche, und die langsamen, schlurfenden Schritte Martha Macks wanderten der ersten kühlenden Abendbrise entgegen. Jetzt würde sie in der Haustür unter dem Fenster stehen, das grobknochige Gesicht mit einer zerknüllten Schürze abwischen und eine verirrte graue Haarsträhne aus der Stirne zurückstreichen - oder vielleicht nur regungslos mit den länglich geschlitzten, müden Augen auf die Straße hinausstarren. Gott sei Dank, dass die Straße leer war. Ein wenig früher, und Martha hätte, als er nach Hause kam, bereits in der Türe gestanden -, bei dem Gedanken an diese Eventualität wurden seine Handflächen feucht, und die Kinnmuskeln strafften sich. Es lag etwas Feindseliges in Martha Macks Haltung. Aber schließlich waren ja alle oder fast alle Menschen feindselig gegen ihn eingestellt. Marty warf den Kopf zurück und sagte sich, der Mensch sei ein einsames Tier, und im Übrigen wolle er’s nicht anders haben. Und dann geschah etwas unten auf der Straße, und Marty stand vor sich selber als ein kläglicher Lügner da...

    Folgendes geschah - nichts weiter: Ein junges Mädchen, ein schlankes Mädchen mit kupferrotem Haar trat aus dem Schatten in den Lichtkreis einer Laterne, und mit dieser einen kleinen Bewegung versank die übrige Welt in blasses Nichts. Sie gehörte nicht zur Straße, das konnte man gleich sehen. Sie war zu jung, und die Augen, die sie automatisch zu Martys Fenster erhob, waren viel zu groß. Er trat vom Fenster zurück, als ob ihr Blick durch die Gardine dringen könnte, und beobachtete sie, während sie nach einem Entschluss rang.

    Es dauerte nicht lange. Sie stand ein Weilchen ganz still, dann ballte sie die Fäuste tief in den Taschen ihrer frischgebügelten Baumwolljacke und marschierte auf das alte Pensionshaus zu.

    »Guten Abend, Mrs. Mack!«, sagte sie. Die Worte schwebten durch das offene Fenster herein. »Heute war es aber richtig heiß, nicht wahr?«

    Marty wusste genau, wie die antwortende Stimme klingen würde: kalt, hart und voll alter Bitterkeit.

    »Sie sind wohl nicht den weiten Weg gelaufen, um mit mir übers Wetter zu schwatzen.«

    »Nei-ein.« Nun war’s nicht leicht für sie, nicht leicht für ein junges Mädchen, das seinen Stolz hat. »Ich - ich dachte, am Strand wird es kühler sein.«

    Martha Mack schnaubte durch die Nase. »Und so ein Spaziergang von einem Ende der Stadt zum andern wirkt erst recht abkühlend! Oh nein, Janet Keith, Sie müssen sich schon was Besseres ausdenken! Auf solche Märchen fällt Ihnen niemand rein.«

    Von seinem Platz am Fenster aus konnte Marty nicht das vielsagende Lächeln hinter diesen Worten sehen, aber er hatte es schon oft genug gesehen, um zu begreifen, warum das junge Mädchen sich plötzlich steif aufrichtete und mit einer jähen Gebärde den Kopf zurückwarf. »Eins ist sicher!«, sagte sie schroff. »Ich bin nicht hergekommen, um mich mit Ihnen herumzustreiten.«

    »Eins ist sicher!«, sagte ein mürrisches Echo. »Bevor Marty Weaver aufgetaucht ist, haben Sie nie Ihre kostbare Zeit damit verschwendet, den Weg zu uns zu finden. Aber über den Geschmack lässt sich eben nicht streiten.«

    »Ist Marty zu Hause?«

    Marty wartete ebenso eifrig auf eine Antwort wie Janet Keith. Als er zurückkam, hatte er niemanden im unteren Flur gesehen, aber bei Mrs. Mack konnte man nie ganz sicher sein. Manchmal schien sie ihre Augen in jedem Winkel des Hauses zu haben.

    »Ich habe eine höfliche Frage gestellt, Mrs. Mack...«

    In diesem Augenblick hätte es beträchtlich mehr als eine höfliche oder unhöfliche Frage erfordert, um Martha Macks Aufmerksamkeit von dem Geräusch abzulenken, das sie im Dunkeln aufgeschnappt hatte. Nur die allerschärfsten Ohren konnten Albert Macks Schritte hören, aber seine Mutter hatte sich jahrelang darin geübt. Ein paar Sekunden später kam ein hochgewachsener, hohlbrüstiger junger Mann aus den Schatten herbeigeschlendert, stellte mit Besitzergeste den einen Fuß auf die unterste Stufe des hölzernen Vorbaus und schob einen runzligen Panamahut aus der Stirn. Albert Mack ähnelte seiner Mutter. Das längliche Gesicht schien seine verbitterte Miene von ihr geerbt zu haben, und seine Stimme hatte einen so unsympathischen Ton, dass alles, was er sagte, selbst die harmlosesten Äußerungen, beleidigend wirkten. »’n Abend, Jan! Darf man sich an der Debatte beteiligen - oder störe ich ein vertrauliches Trätschchen?«

    Janet wandte sich ihm zu. »Haben Sie Marty gesehen?«

    »Marty?« Der Name schien Albert nicht sehr zu schmecken, und er antwortete nicht gleich. »Aber ja, natürlich hab’ ich ihn gesehn«, sagte er schließlich. »Viel zu viel - den ganzen Vormittag lang. Aber seither nicht mehr. Was ist denn los, Schatz? Hat der Lausekerl Sie wieder einmal versetzt?«

    »Wir waren nicht verabredet. Ich dachte bloß, vielleicht ist er zu Hause, falls er nicht Überstunden macht - oder sonst was...«

    Das war dumm von ihr. Selbst Marty fand ihre Bemerkung hoffnungslos dumm, und er wünschte zu Gott, sie möchte aufhören, ihn zu verteidigen. Es war doch schließlich Samstagabend, und am Samstagabend werden in der Konservenfabrik keine Überstunden gemacht.

    »...oder sonst was«, wiederholte Albert nachdenklich. »Das kann alles Mögliche bedeuten!« Aber Janet hatte ihm bereits den Rücken gekehrt.

    »Schauen Sie nicht mich an«, erklärte Martha Mack entschieden. »Ich habe den Herrn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen. Ich bin eine Zimmervermieterin und kein Auskunftsbüro. Ich könnte Sie ja auch, wenn er zu Haus’ wär’, anlügen und sagen, er ist nicht zu Haus - wenn ich mir einbilden würde, es tät’ was nützen. Aber ich bin zu alt, um an Wunder zu glauben.«

    »Warum sollten Sie mich anlügen?«, sagte Janet aufbegehrend. »Wenn ich Marty besuchen will, dann ist das doch meine Sache und geht weder Sie noch Albert etwas an!«

    Du vergeudest deine Zeit, Janet. Du verschwendest deinen Atem, dachte Marty, während er wartend an dem dunklen Fenster stand. Es gibt Dinge, über die kann man nicht diskutieren - zum Beispiel Marthas Gefühle für ihren Sohn. Warum wirft ein nettes Mädel wie Janet Keith sich an einen Taugenichts wie Marty Weaver weg, obwohl ein Albert existiert! Was hat sie denn an Albert auszusetzen? So ziemlich die ganze Stadt hätte ihr diese Frage beantworten können, aber Martha Mack würde doch nur den Kopf geschüttelt haben - ebenso wie niemand ihr einreden könnte, es sei an einem unbekannten Herumtreiber wie Marty Weaver ein gutes Haar zu finden. Und damit hatte sie vielleicht recht. Ja, Janet, damit hatte sie vielleicht recht...

    »Natürlich geht’s mich was an, wenn ich sehe, wie ein nettes Mädel wegen eines lächerlichen Niemand den Kopf verliert!« Das war die Formulierung der Mrs. Mack.

    »So denken Sie!«, erwiderte Janet.

    »So denke ich, und ich bin um ein paar Jährchen älter als Sie. Und was ich sage, ist gar nichts gegen das, was Ihre Tante sagen wird, wenn sie von der Sache Wind bekommt. Aber nur immer los, gehen Sie rauf und schauen Sie selber nach, ob Marty zu Hause ist oder nicht. Mir ist viel zu heiß, ich will nicht wegen nichts und wieder nichts treppauf und treppab rennen.«

    Janet blickte zum Fenster hinauf, und Marty stockte der Atem. Sie würde doch wohl nicht heraufkommen - sie würde doch um Gottes willen nicht heraufkommen. Und dann sah er, wie sie den Kopf hängen ließ, und da wusste er, dass die Gefahr vorüber war.

    »Es ist eine Affenschande!«, murmelte Albert. »So mancher hätt’ nichts dagegen, Sie auszuführen, Jan. So mancher...«

    Janet war schon halb auf der anderen Seite der Straße. Sie ging geduckt, trug den Kopf nicht mehr hoch, und da rief Martha hinter ihr her: »Albert wird Sie nach Hause begleiten!« Aber Janet antwortete nicht und drehte sich auch nicht um. Sie hatte den Lichtkreis der Laterne erreicht, bevor Albert mit einigen langen stelzenden Schritten an ihrer Seite landete. »Albert wird Sie nach Hause begleiten!«, sagte er äffisch.

    Marty sah die beiden davongehen, und plötzlich stiegen ihm alle die Worte, die er nie aussprechen konnte, in die Kehle, so dass die Stille ihn zu würgen begann. »Jan...«, flüsterte er. Aber sie war bereits seinen Blicken entschwunden. Nur das Messer ragte vor dem Fenster empor, trennend zwischen ihm und ihr, und er wusste, so würde es nun für immer sein.

    In der oberen Stadt, an der Pacific Street, hatte die Nacht ein ganz anderes Gesicht. Dort strahlten die Neonlichter in hellem Glanz, und die vergnügungshungrigen Wochenendscharen, die sich aus den benachbarten Dörfern und den umliegenden Höfen rekrutierten, erweckten die Illusion eines dichtbevölkerten Ortes. Aber es war nur eine Illusion. Am nächsten Morgen würde die entzauberte Szene wieder nur eines jener breit hingeräkelten Städtchen zeigen, die einstmals daran gegangen waren, Metropolen zu werden, und dann die ganze Chose abgeblasen hatten.

    Am Fuße der Pacific Street - am Rande des Neongürtels - steht das Grandview-Hotel - das Hotel zur schönen Aussicht - ein Gebäude, das seinen Namen zu Unrecht trägt. Es ragt prächtige drei Stockwerke hoch gen Himmel, aber selbst vom Dachfirst aus sind nur ein paar beiläufige Eckchen Bucht zu sehen, zwischen den vierkantigen Geschäftshäusern jenseits der Straße und der verwitterten Fassade des Rathauses jenseits der Plaza. Kurz nach neun, gerade als Albert Mack Janet nach Hause zu begleiten begann, verließ Homer Snyder sein Amtszimmer in dem fast völlig verdunkelten Rathaus, ging über die Plaza und betrat das Vestibül des Grandview-Hotels. Er war ein massiger Kerl. Nicht fett, nur massig, und das gemächliche Lächeln, das die Gewohnheit in sein breites Antlitz eingefurcht hatte, war von ähnlichen Dimensionen. Er ging geradenwegs zum Tabakstand, kaufte eine Büchse Pfeifentabak und die Sonntagszeitungen, die soeben mit dem Zug aus San Francisco gekommen waren, und nahm den Hut ab, um mit einem zerknautschten Taschentuch das Schweißleder abzuwischen.

    Ein alter Mann blickte von der Dame-Partie auf, die im Friseurladen am anderen Ende des Vestibüls im Gange war, und rief mit schallender Stimme: »Heut’ ist es schon zu spät für'n Haarschnitt, Homer, bedaure!«

    Das Gelächter - Marke Friseurladen -, das diesen Worten folgte, wanderte zu dem Tabakstand und dem kleinen, hohlwangigen Männlein in der Portierloge. Homer lachte mit, es war bequemer so. Seit seiner Studentenzeit war er bis auf einen feinen blonden Haarkranz kahlköpfig gewesen, und in den zwanzig Jährchen, die seither verstrichen waren, hatte der Friseurladenhumor sich nur wenig gewandelt. Freilich wurden sie es mit der Zeit müde, ihn »Krausköpfchen« zu nennen, aber das tat Homer fast leid. Der Klang seines richtigen Vornamens erweckte stets einen leisen unbehaglichen Verdacht in ihm, dass er eigentlich verpflichtet wäre, eine Toga und um die Stirn einen Lorbeerkranz zu tragen.

    »Guten Abend, mein Freund!« zwitscherte der kleine grauhaarige Mann in der Portierloge, nachdem der Friseurwitz an Überanstrengung verschieden war. »Und wie gefällt Ihnen heute Nacht die übelduftende Welt?«

    Homer lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Tisch. »Nur übelduftend?«, sagte er lächelnd. »Das letzte Mal hieß es anders: Ein faules Komplott gegen alles Vergessen.«

    »Süßes Vergessen!«, sagte der kleine Mann zurechtweisend. »Das war der Anfang der Woche. Wenn der Samstag angerollt kommt, bin ich nicht mehr so richtig in Form.«

    Es war durchaus nichts Wahres an dem Gerücht, dass Lew Masters bereits in der Portierloge gestanden habe, als rund um ihn das Grandview-Hotel aufgebaut wurde. Aber selbst Homer, der sein ganzes Leben in diesem Städtchen zugebracht hatte, konnte sich kaum erinnern, ihn jemals anderwärts erblickt zu haben. Vielleicht lag es daran, dass man ganz einfach über ihn hinwegsah, wenn er nicht hinter dem massiven Pult stand, das die Blicke auf sich zog.

    »Was höre ich? Ihre Frau hat Sie schnöde verlassen?«, fragte er jetzt, und für einen Augenblick glänzte seine billige Zahnprothese zwischen lächelnden Lippen.

    »Stimmt!«, sagte Homer seufzend.

    »Ist sie nach Los Angeles zu ihren Leuten gefahren?«

    »Auch das stimmt.«

    Lew legte sein schmales Köpfchen zur Seite und musterte die Züge des andern. »Nur eine kleine Sommervisite?«, sagte er forschend. Homer lachte.

    »Wozu Zeit verschwenden, Lew!«, sagte er. »Wann ist es je vorgekommen, dass Ihnen jemand was erzählt hat, das Sie nicht schon gewusst hätten? Sie sind schlimmer als eine alte Klatschtante an einem Gesellschaftstelefon.«

    »Es ist eine Kunst!«, erwiderte Lew stolz. »Menschenkenntnis, gepaart mit der Fähigkeit, Augen und Ohren offen und den Mund geschlossen zu halten.«

    Dieser letzte Ausspruch stimmte nicht so recht mit den Tatsachen überein, aber Homer hatte keine Gelegenheit, zu protestieren. In dem Friseurladen war ein kleiner Krakeel mit großer Lautstärke ausgebrochen, und Lews Blutdruck begann jäh in die Höhe zu schnellen. »In dieser Räuberhöhle ist ein ehrlicher Mensch seines Lebens nicht sicher«, jammerte er. »Und so treiben sie’s die ganze Nacht durch, wenn ich mich nicht auf raffe und sie hinausjage!«

    »Machen Sie keine Geschichten!«, sagte Homer ermahnend. »Harmlose Leutchen.«

    »Ja, aber natürlich - lauter harmlose Leutchen, allemal -, wenn man nicht gerade auf den verrückten Einfall kommt, schlafen zu wollen. Und wir haben Gäste im Hotel, sind sehr komisch! Sie lieben es gar nicht, wenn im Vestibül schlagartig die Hölle los ist.«

    Lew hätte seine Worte sorgfältiger wählen sollen, das wurde ihm in dem Augenblick klar, da er Homers Augen aufleuchten sah. »Apropos Hölle...«, begann er, und Lew fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.

    »Haben Sie von unserem kleinen Disput gehört?«

    »Ich habe von eurer kleinen Schlägerei gehört.«

    »Aber nein, Homer, oh nein - von einer Schlägerei kann nicht die Rede sein. Eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Freunden! Sie wissen doch, wie junge Leute manchmal sind, wenn sie über den Durst getrunken haben.« Aber das machte keinen Eindruck auf Homer. »Wieweit reicht die Freundschaft, wenn man mit den Fäusten aufeinander losgeht? Lind was für ein Volk habt ihr neuerdings bei euch wohnen? Ich hatte immer gedacht, das Grandview sei ein anständiges Hotel.«

    »Es war kein Hotelgast...«

    »Ist Francis Palmer kein Hotelgast?«

    »Palmer hat nicht angefangen... Sondern dieser kleine Idiot - der Mack'sche Sohn - mit seinem Jähzorn...«

    »Und Palmer mit seinem flinken rechten Haken hat Schluss gemacht!«, fügte Homer hinzu. »Na schön, Lew, schön. Ich weiß, die Verluste waren gering. Trotzdem schmeckt mir die Sache nicht. Wir haben’s hier immer sehr ruhig gehabt, bevor Palmer anfing, bei uns einzukehren und Leben in die Bude zu bringen. Sagen Sie Ihrem guten Freund von mir, entweder muss er mit den Jungs ehrliches Spiel spielen, oder ich komme und nehm’ ihm die Karten weg. Vergessen Sie nicht, ihm das zu sagen!«

    Bekümmert sein, lag Lew Masters mit am besten, und er wusste nie genau, wann Homer als Offiziosus auftrat und wann er ihn nur zum Narren hielt. »Ja, ja, ich werde es ihm sagen«, versicherte er eifrig, »aber mein

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