NACKT BIS INS GRAB: Der Krimi-Klassiker!
Von Harry Carmichael
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Über dieses E-Book
Als der Londoner Versicherungsdetektiv John Piper in Julian Daveys Wohnung kam, ahnte er keineswegs, was dort an jenem Samstagnachmittag geschehen würde.
Doch dann entdeckte er, gemeinsam mit ihrem Ehemann, die tote Pauline Davey nackt im Bett - erstochen mit einer langen Schere.
Kommt als Täter der Ehemann in Frage? Oder wurde Pauline erstochen, während Piper mit Davey im Wohnzimmer verhandelte?
Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.
Der Roman Nackt bis ins Grab erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1974 (unter dem Titel Tod in flagranti).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Buchvorschau
NACKT BIS INS GRAB - Harry Carmichael
Das Buch
Als der Londoner Versicherungsdetektiv John Piper in Julian Daveys Wohnung kam, ahnte er keineswegs, was dort an jenem Samstagnachmittag geschehen würde.
Doch dann entdeckte er, gemeinsam mit ihrem Ehemann, die tote Pauline Davey nackt im Bett - erstochen mit einer langen Schere.
Kommt als Täter der Ehemann in Frage? Oder wurde Pauline erstochen, während Piper mit Davey im Wohnzimmer verhandelte?
Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.
Der Roman Nackt bis ins Grab erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1974 (unter dem Titel Tod in flagranti).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
NACKT BIS INS GRAB
Erstes Kapitel
Es war zwei oder drei Minuten vor halb sechs, als Piper von der Belsize Lane in die Cornstalk Avenue einbog, eine von Bäumen gesäumte Straße, die in sanftem Bogen zum Rosslyn Hill anstieg. Er war sogar etwas früh dran zu seiner Verabredung. Julian Davey hatte gesagt, er würde ihn zwischen halb und dreiviertel sechs erwarten.
Die Sonne hatte sich hinter einer Wolke verzogen, und in der Luft hing eine Ahnung kommenden Regens. Als Piper außerhalb der Wohnanlage Denholme Court anhielt, meinte er, aus Westen schwaches Donnergrollen zu hören.
Ein halbes Dutzend Wagen stand auf dem den Mietern vorbehaltenen Privatparkplatz vor dem Eingang zu den Wohnblocks. Piper schaltete den Motor seines Wagens aus, zog den Zündschlüssel ab und sah auf die Uhr. Im Rückspiegel konnte er einen blauen Jaguar sehen, der auf den Privatparkplatz einbog. Er hatte denselben Wagen schon in der Belsize Lane hinter sich bemerkt.
Ein Mann stieg aus, stämmig, mit blondem Haar und einer spitzen Nase. Er stand da, ließ die Autoschlüssel in seiner Hand baumeln und blickte Piper, der auf ihn zukam, lächelnd entgegen.
»Sie sind John Piper, nicht wahr?«, fragte er dann. »Ich habe Sie nach einem Foto erkannt, das ich vor ein paar Monaten in der Zeitung sah.«
»Und Sie müssen Mr. Davey sein«, versetzte Piper.
»Richtig. Ich bin froh, dass ich es noch geschafft habe, rechtzeitig hier zu sein. Normalerweise hätte ich ja viel früher hier sein müssen, aber Sie wissen ja, wie es samstags um diese Zeit ist. Fürchterlich, der Verkehr.«
»Ja, ich weiß. Es wird von Tag zu Tag schlimmer.«
Als sie über den gepflasterten Vorplatz schritten, fragte Piper: »War das Spiel gut?«
Davey antwortete erst, als sie schon im Foyer waren.
»Nicht übel«, antwortete er. »Ich habe schon schlechtere Vorstellungen gesehen. Die üblichen vertanen Gelegenheiten natürlich, aber alles in allem war das Ergebnis gerecht.«
Das Foyer war mit einem königsblauen Läufer ausgelegt, zu dessen beiden Seiten Parkett schimmerte. Am hinteren Ende des Foyers befand sich eine Glastür, durch die Piper Blumenbeete und eine ovale, gepflegte Rasenfläche sehen konnte.
Die Wohnungen 1 A, 1 B, 1 C und 1 D lagen einander paarweise im Erdgeschoss gegenüber. Der Aufzug befand sich linker Hand, die Nottreppe direkt gegenüber. In der Decke verborgene Neonröhren spendeten indirekte Beleuchtung. In Denholme Court herrschte eine Atmosphäre vornehmer Behaglichkeit, und Piper sagte sich, dass Julian Daveys Geschäfte florieren mussten.
Sie traten in den Aufzug, und Davey drückte auf den Knopf neben Nummer 2. Als sich die Tür schloss, bemerkte er: »Es ist wirklich freundlich von Ihnen, an einem Samstagnachmittag herzukommen. Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
»Keine Ursache«, erwiderte Piper. »Die Cresset hielt es für ratsam, die Schätzung noch vor Ihrer Abreise in der nächsten Woche vorzunehmen. Heutzutage weiß man ja nie, was geschehen kann.«
»Genau das hat mir Kopfzerbrechen gemacht, seit mir der Verdacht kam, dass wir unterversichert sein könnten. Wir haben seit der letzten Erhöhung einige wertvolle Möbelstücke und Silbersachen gekauft.«
»Ja, da dürfte es höchste Zeit sein, die Versicherung zu erhöhen«, meinte Piper.
Der Aufzug hielt. Als sie ausstiegen, bemerkte Davey: »Ich war überrascht zu hören, dass McLean mir jemanden mit Ihren besonderen Qualifikationen schicken wollte.«
Es klang wie ein Kompliment, hinter dem sich eine Frage versteckte.
»Warum überrascht Sie das?«, fragte Piper.
»Nun, Sie sind wohl kaum das, was ich einen gewöhnlichen Schätzer nennen würde.« Daveys Mund verzog sich zu einem Lächeln, doch seine Augen blickten immer noch fragend. »Nach dem, was ich über Sie gelesen habe, befassen Sie sich mit wichtigeren Dingen.«
»Manchmal – aber das sind Ausnahmefälle. Das Gros meiner Arbeit könnte man als gewöhnlich bezeichnen. Das hier ist gewiss nicht die erste Schätzung, die ich im Auftrag der Cresset Versicherungsgesellschaft durchführe.«
Davey nickte und lächelte wieder.
»Ich bin überzeugt, dass Sie darin genauso erfahren sind wie in den meisten Details, die mit Versicherungen zu tun haben. McLean scheint Sie sehr zu schätzen.«
»Freut mich, das zu hören. Er ist ein Freund von Ihnen, nicht wahr?«
»Oh, wir kennen uns schon sehr lange«, erwiderte Davey. Er griff in seine Hosentasche und zog ein ledernes Schlüsseltäschchen heraus. »Ich hoffe doch, Sie trinken ein Glas mit mir, ehe Sie mit der Arbeit anfangen?«
»Nicht vorher«, antwortete Piper. »Vielleicht wenn ich fertig bin – wenn es Ihnen recht ist.«
»Selbstverständlich.« Er ging vom Aufzug zur Tür der Wohnung 2 A und blickte über die Schulter zurück. »Vielleicht möchten Sie eine Tasse Tee oder Kaffee trinken, während Sie meine Unterlagen durchsehen?«
»Nur, wenn Sie sowieso welchen machen.«
»Gewiss. Ich habe meiner Frau versprochen, sie mit einer Tasse Tee zu wecken, sobald ich wieder da bin.« Er steckte den Schlüssel ins Schloss und fuhr fort: »Sie ist gestern erst spät ins Bett gekommen und meinte, sie wollte sich heute Nachmittag ein wenig hinlegen, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Aber ohne ihre obligatorische Tasse Tee fühlt sie sich überhaupt nicht menschlich.«
»Kümmern Sie sich um Ihre Gattin«, erwiderte Piper, »und machen Sie sich meinetwegen keine Umstände. So schrecklich eilig habe ich es nicht.«
»Drei Tassen Tee machen sich so leicht wie eine. Aber wenn Sie lieber Kaffee wollen – das ist kein Problem.«
»Tee ist mir sehr recht«, antwortete Piper.
Er fragte sich, warum Davey so viel redete. Die Tatsache, dass seine Frau den Nachmittag im Bett verbracht hatte, ging niemanden etwas an. Davey war einem Fremden keine Erklärung schuldig.
Es waren müßige Gedanken, die ihm da durch den Kopf schossen. Sie verflüchtigten sich gleich wieder, als Davey die Tür geöffnet hatte.
»Kommen Sie herein, Mr. Piper. Ich bin gleich soweit.«
Piper folgte ihm durch eine rechteckige Diele, an einer geschlossenen Tür zur Rechten vorbei in ein gut ausgestattetes Wohnzimmer. Ein großes Fenster ließ das bernsteinfarbene Licht der untergehenden Sonne herein. Das andere blickte hinaus auf einen Himmel, der sich schon zu verdunkeln begann.
Davey knipste die Wandleuchten an.
»Sobald der September da ist«, bemerkte er, »kann man sehen, wie rasch die Tage wieder kürzer werden, nicht wahr? Bitte, setzen Sie sich, und machen Sie es sich bequem.«
Er brachte Piper einen Hefter, der mit Papieren prall gefüllt war, und schob ihm einen Beistelltisch hin. Und die ganze Zeit sprach er, wie unter einem Zwang.
»...und wenn Sie nicht genug Platz haben, dann holen Sie sich einfach noch einen Beistelltisch. Wenn Sie sonst noch etwas brauchen, dann geben Sie mir Bescheid, okay?«
»Natürlich. Danke«, sagte Piper.
»Gut. Dann setze ich jetzt das Wasser auf. In spätestens fünf Minuten können Sie mit mir rechnen.«
Er ließ die Tür angelehnt, als er hinausging. Piper hörte Wasser rauschen, das Klirren von Porzellan, Daveys Schritte in der Küche, das Öffnen und Schließen von Schubladen, von einer Schranktür.
Bald war das unverwechselbare Zischen des Wassers zu vernehmen, das zu sieden begann, wenig später das sanfte Glucksen des Wassers, das in die Teekanne gegossen wurde, das Klirren des Deckels, der auf die Kanne gedrückt wurde. Piper hörte es alles sehr deutlich, während er die Papiere in dem Hefter durchsah.
Quittungen, Expertisen, die ursprüngliche Versicherungspolice, mehrere Zusätze. Julian Davey hatte im Laufe des Jahres an die zweitausend Pfund ausgegeben. Auf einem Zettel hatte er eine Reihe anderer Gegenstände aufgeführt, deren Wert sich seiner Meinung nach inzwischen erhöht hatte.
Die Gesamtsumme belief sich auf einen Betrag um zwölftausend Pfund. Piper konnte sich nicht vorstellen, dass die Gesellschaft Schwierigkeiten machen würde, diesen erhöhten Betrag zu akzeptieren. Er musste sich nur noch vergewissern, dass die Angaben mit dem tatsächlichen Inventar der Wohnung übereinstimmten.
Er hörte das Klappern von Geschirr, den Klang vorsichtiger Schritte. Dann ging Davey, der mit beiden Händen ein Tablett hielt, an der einen Spalt offenstehenden Tür vorüber. Piper sah ihn nur flüchtig.
Von irgendwoher kam leise Radiomusik, schwach und entfernt. Mrs. Davey musste erwacht sein und ließ wohl auf diese Weise ihren Mann wissen, dass sie wach war.
Nachdem Davey noch einige Schritte gegangen war, blieb er stehen. Piper vermutete, dass er sich vor der geschlossenen Schlafzimmertür befand. Nach dem verstärkten Klappern des Geschirrs zu urteilen, balancierte er mit dem Tablett, während er sich bemühte, die Tür zu öffnen.
Piper lauschte mit halbem Ohr, während er seine Gedanken auf die Unterlagen konzentrierte, die er durcharbeitete. Keiner konnte behaupten, dass Julian Davey ein Geizhals war. Ganz gleich, was er verdiente, seiner Frau gegenüber war er äußerst großzügig. Sie hatte Pelze, Schmuck und teure Kleider im Überfluss.
Piper hörte, wie Davey das Schlafzimmer betrat. Das Teegeschirr auf dem Tablett klirrte, als er gegen irgendetwas stieß. Dann sagte Davey: »Hier ist dein Tee, Liebling. Setz dich hin und nimm mir das Tablett ab, damit ich die Vorhänge aufziehen kann.«
Die Radiomusik, noch immer schwach und fern, weckte Erinnerungen an längst vergangene Zeiten in Piper – an Dinge, die er eigentlich schon lange hätte vergessen haben müssen. Sie gehörten in eine Zeit, als die Welt noch anders gewesen war, als sein Leben sich im Kreis anderer Menschen abgespielt hatte.
Komisch, dachte er, wie Musik die Uhr zurückdrehen kann. Ich kann mich an die Ereignisse erinnern, als hätten sie sich gestern zugetragen. Nein, vielleicht nicht ganz so lebhaft, doch es scheint, als wären seitdem höchstens einige Monate verstrichen. Nichts hat die gleiche Wirkung wie ein alter, vertrauter Schlager...
Er hatte kein Verlangen, Julian Daveys Frau kennenzulernen, mit einer Frau Konversation zu machen, die nicht den Wunsch hatte, ihn kennenzulernen. Es war zu hoffen, dass sie in ihrem Zimmer blieb, bis er seine Bestandsaufnahme abgeschlossen hatte und wieder gegangen war.
Ein Gedanke drängte sich zwischen ihn und die beharrlichen Erinnerungen aus der Vergangenheit. Er war froh, dass Jane eine Frau war, die abends nicht ihre eigenen Wege ging.
Aber vielleicht war Mrs. Davey bei einer Freundin – oder beim Bridgespielen gewesen.
Überhaupt war es albern, so viel in eine beiläufige Bemerkung hineinzulesen. Vielleicht war sie den ganzen Abend zu Hause gewesen. Davey hatte ja nur gesagt, dass sie spät zu Bett gegangen war.
Wenn das Ehepaar keine Kinder hatte, dann konnte Mrs. Davey tun und lassen, was sie wollte, solange ihr Mann nichts dagegen einzuwenden hatte. Und er konnte wohl kaum Einwendungen erheben, wenn sie sich ein wenig hinlegte, während er sich ein Fußballspiel ansah.
Ein Paar in ihrem Alter konnte Kinder haben, die noch zu Haus lebten. Julian Davey musste zwischen fünfunddreißig und vierzig sein. Mrs Davey war wahrscheinlich etwas jünger – vielleicht wesentlich jünger.
Trotzdem – der Wohnung fehlte es an jener gewissen Atmosphäre, die man überall da antrifft, wo Kinder zu Hause sind. Man spürte es auf den ersten Blick. Immer dieses ungreifbare Etwas, wenn keine Kinder da waren.
Ein Gedanke folgte dem anderen in jenen Augenblicken, während Davey wieder über irgendetwas im Schlafzimmer stolperte und das Geschirr auf dem Tablett laut klirrte. Piper hörte ihn sagen: »Setz dich auf, Liebling, und knips das Licht an. Ich sehe ja überhaupt nichts.«
Die Radiomusik flutete noch immer gedämpft durch die Wohnung. Sie war nicht lauter geworden, als Davey die Schlafzimmertür geöffnet hatte.
Piper war unbehaglich bei dem Gedanken, dass er der Lauscher an der Wand war. Er hatte kein Recht, das Gespräch eines Mannes mit seiner Frau im Schlafzimmer mitzuhören.
Gegen seinen Willen flössen seine Gedanken fort. Davey stolperte im Schlafzimmer herum, weil die Vorhänge zugezogen waren. An einem hellen Tag würden sie vielleicht etwas Licht durchlassen – genug, um ihn in der vertrauten Umgebung seinen Weg finden zu lassen. Doch es begann schon dunkel zu werden.
Es musste also ziemlich finster im Zimmer sein, sonst würde er nicht immer wieder gegen irgendein Möbelstück stoßen. Warum setzte er nicht einfach das Tablett ab und machte Licht? Irgendeine Abstellfläche bot sich doch sicher – der Toilettentisch oder eine Kommode.
Es gab eben Menschen, die im Geschäftsleben äußerst clever waren und in anderen Dingen ausgesprochen ungeschickt. Trotzdem...
Vielleicht veranstaltete Davey das ganze Getue nur, um darauf aufmerksam zu machen, was für ein guter und rücksichtsvoller Ehemann er war. Schlimmstenfalls eine harmlose Eitelkeit.
Piper stand auf und streckte sich. Eine Sekunde später hörte er das Knacken des Lichtschalters im Schlafzimmer.
Julian Davey sagte eben: »Du musst wirklich todmüde gewesen sein, Liebling. Hin und wieder solltest du eben doch früh zu Bett...«
Der Klang seiner Stimme verstummte. Abgesehen