GEHEIMNISVOLLE JUNE: Ein Krimi aus London
Von Harry Carmichael
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Skandal in London! Die belastende Aussage der verführerisch schönen June Templeton beendet jäh die Karriere des erfolgreichen Nervenarztes Dr. Healey.
Als der bekannte Privatdetektiv John Piper, von der Unschuld des Arztes überzeugt, in die Affäre eingreift, ist es beinahe zu spät: June Templeton wurde inzwischen ermordet, und Dr. Healey steht an erster Stelle auf Chefinspektor Hoyles Liste der verdächtigen Personen...
Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.
Der Roman Geheimnisvolle June um den Londoner Privatdetektiv John Piper erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967 (unter dem Titel Affäre Dr. H.).
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
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GEHEIMNISVOLLE JUNE - Harry Carmichael
Das Buch
Skandal in London! Die belastende Aussage der verführerisch schönen June Templeton beendet jäh die Karriere des erfolgreichen Nervenarztes Dr. Healey.
Als der bekannte Privatdetektiv John Piper, von der Unschuld des Arztes überzeugt, in die Affäre eingreift, ist es beinahe zu spät: June Templeton wurde inzwischen ermordet, und Dr. Healey steht an erster Stelle auf Chefinspektor Hoyles Liste der verdächtigen Personen...
Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.
Der Roman Geheimnisvolle June um den Londoner Privatdetektiv John Piper erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967 (unter dem Titel Affäre Dr. H.).
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
GEHEIMNISVOLLE JUNE
Erstes Kapitel
Der 22. November, ein Dienstag, war wieder kalt und regnerisch, und ein scharfer Nordost fegte durch die Straßen. Als Quinn von der Morning Post um zehn Uhr morgens zu der Verhandlung vor dem Berufsgericht der Ärztekammer eintraf, war der Regen m Schnee übergegangen.
Im Waschraum trocknete Quinn sich das Haar mit einem Papierhandtuch und kämmte sich, um einigermaßen repräsentabel zu erscheinen. Als er damit fertig war, fror er nicht mehr; seine klammen Knochen waren warm geworden.
Er zog den Knoten seiner Krawatte zurecht und betrachtete sieh im Spiegel über dem Waschbecken: dünnes strohfarbenes Haar, ein blasses mageres Gesicht, müde Augen, die ihn zynisch anstarrten. Er sagte sich, dass sein Äußeres gut zum Wetter passe.
Sei gegrüßt, lachender Morgen! Du siehst verboten aus, mein Bester. Geschieht dir ganz recht. Warum hast du dich gestern Nacht zu der Extrarunde bereden lassen? Kannst eben nicht nein sagen, das ist der Haken bei dir. Ein Segen, dass du keine Frau bist...
Nachdem er den Kragen glatt gestrichen hatte, wischte er sich mit ein paar Papierhandtüchern auch noch die Schuhe ab. Dann kämmte er sich noch einmal.
Das Gesicht im Spiegel sagte: Nach allem, was man hört, dürfte die Sache ein paar Tage dauern... Tja, das ist ein schlimmer Wind, der keinem etwas Gutes zuweht. Na, du sitzt hier wenigstens warm und trocken. Hätte Gordon sich nicht die Grippe geholt, dann würdest du dich jetzt mit der Story über das entführte Baby befassen und dir in Eastbourne die Seele aus dem Leib frieren. Muss doch was Wahres dran sein, dass alles im Leben sein Gutes hat - sogar eine Grippe.
In dem großen eichengetäfelten Sitzungssaal, in dem die Verhandlung stattfinden sollte, brannten die Lampen. Die meisten für die Presse reservierten Plätze waren besetzt, und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, Stimmengemurmel, das Scharren von Füßen.
Die sieben geschnitzten Sessel hinter dem langen Tisch, an dem der Disziplinarausschuss sitzen würde, waren noch leer. Vor jedem Platz lagen ein Blatt Löschpapier, ein aufgeschlagener Notizblock und ein frisch gespitzter Bleistift. Quinn erschienen diese leeren Sessel wie selbständige Wesen - wie die bedrohliche Projektion der sieben Männer, die über Dr. Christopher Healey zu Gericht sitzen würden.
Bald kam eine kleine Gruppe von Leuten herein: zwei Männer mit Aktenstücken, eine Frau in einem grauen Tweedmantel, ein Mann, der sich hastig umsah und dann die Augen gesenkt hielt, während er den anderen folgte.
Jemand neben Quinn flüsterte: »Was halten Sie von der Dame in dem Fall?«
»Ich dachte gerade, dass es ein verflixtes Pech für einen Arzt ist, wenn eine gutaussehende Frau ihn vergessen lässt, dass er Arzt ist«, sagte Quinn. »Falls sie mich nur ein bisschen ermutigte, würde ich’s riskieren, dass man mich aus der N. U. J. rausschmeißt.«
Drei Männer traten ein und blieben einen Moment lang in eifrigem Gespräch an der Tür stehen, bevor sie sich auf ihre Plätze begaben. Der eine war korpulent, hatte ein volles, rundes Gesicht und eine kurz angebundene Art; bei den zwei anderen zeigte sich eine starke Familienähnlichkeit, die es nicht schwer machte, zu erraten, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zueinander standen.
Quinns rechter Nachbar sagte: »Der jüngere ist Dr. Healey. Der ältere Herr neben ihm ist sicher sein Vater.«
»Ich kenne Walter Healey seit Jahren«, sagte Quinn. »Hatte allerdings keine Ahnung, dass sein Sohn Arzt ist, obwohl er mir vor langer Zeit mal erzählte, er käme auf keinen grünen Zweig, weil ihn die Erziehung seiner Familie so viel kostete.«
»An den alten Mann wird wohl kaum einer denken, falls der Sohn vom Disziplinarausschuss für schuldig befunden wird. Hab’ mich schon oft gefragt, ob das dritte Gebot das Pferd nicht vom verkehrten Ende auf zäumt: Meistens werden doch die Sünden der Kinder an den Vätern heimgesucht.«
»Na, bis jetzt ist er ja noch nicht aus dem Register gestrichen... Aber ansonsten haben Sie vielleicht gar nicht so unrecht. Wer ist denn der kleine Dicke mit dem zu hohen Blutdruck?«
»Das ist Reginald Tweed, Dr. Healeys Anwalt.«
»Taugt er was?«
»Keine Ahnung. Ich kann nur sagen, hoffentlich. Für seinen Klienten sehen die Dinge nicht gerade rosig aus.«
Um Punkt elf Uhr kamen die Mitglieder des Disziplinarausschusses im Gänsemarsch herein und nahmen ihre Plätze ein - sieben Männer mit leidenschaftsloser, distanzierter Miene. Dann wurden die Türen des Saales geschlossen.
Als das Stimmengewirr verstummt war, verlas ein Mann mit dicker Hornbrille die Anklageschrift gegen Dr. Christopher Healey.
»...Sie werden beschuldigt, sich bei mehreren Gelegenheiten zwischen dem 28. September und dem 4. Dezember vergangenen Jahres Mrs. June Templeton, wohnhaft Spaniards Way, Hampstead, London, unsittlich genähert und am 13. November und 4. Dezember mit ihr in ihrem Haus Ehebruch verübt zu haben. Ferner wird Ihnen vorgeworfen, dass Mrs. Templeton in dem fraglichen Zeitraum Ihre Patientin war und dass Sie durch Ihr Verhalten gegen die ärztliche Standesehre verstoßen haben.«
Als sich der Protokollführer setzte, sprang Mr. Reginald Tweed auf. »Mein Klient hat in einem Brief an den Ehemann von Mrs. Templeton zu diesen Beschuldigungen bereits Stellung genommen. Er bestreitet den Ehebruch und weist darauf hin, dass Mrs. Templeton vom 3. November vergangenen Jahres an nicht mehr bei ihm in Behandlung war - das heißt zehn Tage vor dem ersten der zwei schwerwiegenden Vergehen, die man ihm zur Last legt.«
Es wurde mit Papier geraschelt, und die Anwälte berieten sich im Flüsterton. Dann stand ein hochgewachsener, dünner Mann auf.
Quinns rechter Nachbar murmelte: »Das ist Mr. Maurice Barton, Q. C. Verschwendet nicht viel Zeit an das Gebot: Du sollst nicht ehebrechen. Macht zwanzigtausend Pfund im Jahr mit Scheidungen.«
»...Ich vertrete Mr. Peter Templeton, den Ehemann von Mrs. Templeton. Er hat dieses Verfahren angestrengt, als er von den Vorfällen im November und Dezember letzten Jahres erfuhr. Mit der Erlaubnis des Vorsitzenden würde ich den Sachverhalt gern kurz schildern.«
Sir Alexander Wood nickte. »Bitte, fahren Sie fort, Mr. Barton.« Er war ein vornehm wirkender Mann mit silberweißem Haar und einem zerfurchten, farblosen Gesicht. Seine Stimme schien von irgendwoher ganz tief in seiner Brust zu kommen.
Mr. Barton sagte: »Die Tatsachen sind ganz einfach. Mrs. Templeton wurde vom 17. August bis zum 3. November letzten Jahres im St.-Pauls-Hospital, Portland Place, von Dr. Healey behandelt. Nach ihrer ersten Begegnung entwickelte sich zwischen ihnen ein freundschaftliches Verhältnis, und um den 23. Oktober herum brachte er ihr in die Wohnung Tabletten, die ihr verschrieben worden waren.«
Der Anwalt blätterte bedächtig eine Seite seiner Unterlagen um und fuhr fort: »Sie lud ihn zu einer Tasse Tee ein, und sie plauderten eine Weile über alles Mögliche. Vor dem Weggehen fragte er sie, ob er sie am folgenden Freitag wiedersehen könnte. Bei seinem zweiten Besuch passierte nichts Ungehöriges, bis sie ihn zur Tür brachte, wo er sie küsste. Später verübten beide bei zwei Gelegenheiten Ehebruch.«
Die ruhige gleichmäßige Stimme verstummte. Mr. Barton fügte in gedämpfterem Ton hinzu: »Im Januar dieses Jahres etwa machte Mrs. Templeton einen sehr niedergedrückten Eindruck. Als ihr Mann sie fragte, was sie habe, erzählte sie ihm die Geschichte. Ich möchte noch erwähnen, dass er ihr vergeben hat und nicht an eine Scheidung denkt. Er wird Ihnen nun selbst über die Ereignisse berichten...«
Peter Templeton sprach im Zeugenstand so leise, dass er kaum zu verstehen war. Mehr als einmal wurde er gebeten, lauter zu reden. Jedes Mal, wenn das geschah, sprach er danach einige Minuten lang zu laut.
Er war ein zartgebauter Mann mit weichen Zügen und einem schlaffen Mund. Als er haltsuchend nach der Zeugenschranke griff, fiel Quinn auf, dass seine Hände schwammig aussahen und seine Fingernägel gut manikürt waren.
Als Zeuge sagte er aus, dass er Börsenmakler sei. »...Wir sind seit sechzehn Jahren verheiratet.«
»Waren Sie glücklich miteinander?«, fragte Mr. Barton.
»Ja. Ich würde sagen, dass es eine glückliche Ehe war - bis das geschah.«
»Kannten Sie Dr. Healey? Sind Sie ihm jemals begegnet, während Ihre Frau im St.-Pauls-Hospital behandelt wurde?«
»Nein.«
»Kam Ihnen jemals der Verdacht, dass er in Ihrer Frau mehr sah als eine Patientin?«
»Nein, nie.«
»Wann erfuhren Sie, was zwischen den beiden vorgegangen war?«
Mit unsicherer Stimme sagte Templeton: »Es war entweder Ende Januar oder Anfang Februar, dass ich anfing, mir ihretwegen Sorgen zu machen. Nach der Behandlung schien sie wieder auf dem Damm zu sein, aber zu Beginn des neuen Jahres fiel mir ihre deprimierte Stimmung auf. Deshalb fragte ich sie, was der Grund sei für ihre Niedergeschlagenheit.«
»Was empfanden Sie, als sie Ihnen gestand, dass sie Sie mit Dr. Healey betrogen hätte?«
»Ich war empört.«
»Wie wirkte sich diese leidige Affäre auf Ihre Ehe aus?«
Templeton blickte zu seiner Frau hinüber, presste die Lippen zusammen und straffte sich. »Es ist nicht mehr so zwischen uns wie früher. Ich vermute, damit ist es für immer vorbei.«
»Bis zu jener bedauerlichen Affäre war sie Ihnen immer eine gute Frau, nicht wahr? Treu und liebevoll und - soweit Sie wissen - glücklich mit Ihnen?«
»Ja.«
»Hatten Sie jemals Grund zu der Annahme, dass die körperlichen Beziehungen zwischen Ihnen beiden sie nicht befriedigten?«
Templeton krampfte die Hände so fest um die Zeugenschranke, dass die Fingerknöchel weiß wurden. »Nein. Zwischen uns war alles in Ordnung, bis - bis er sie überrumpelte. Schuld daran ist bloß die Behandlung, der man sie in der Klinik unterzog. Davor hätte sie so etwas nie getan.«
Mr. Barton sagte: »Ganz recht, Mr. Templeton, ganz recht. Ich glaube, das ist alles.«
Der Anwalt Dr. Healeys verzichtete auf eine Befragung des Zeugen. Peter Templeton kehrte an seinen Platz zurück und wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab. Als er sich neben seine Frau setzte, lächelte sie ihm matt zu, und Quinn bildete sich ein, dass sie ihm, kurz bevor sie aufgerufen wurde, über die Hand strich.
Sie war eine ungewöhnlich attraktive Frau Mitte der Dreißig, mit üppigem, gelocktem, rotbraunem Haar, weit auseinanderliegenden dunklen Augen und einem weichen, vollen Mund. Quinn bewunderte ihre Figur und ihren graziösen Gang, als sie auf den Zeugenstand zuschritt.
»Bewegt sich wie ein Mannequin«, murmelte er. »Mit dem Göttergatten muss irgendwas faul sein, sonst hätte sie’s nicht nötig gehabt, sich anderweitig umzusehen. Möchte wissen, ob er der Grund war, warum sie sich in der Klinik behandeln lassen musste.«
Als sie den Zeugenstand betrat, sagte Sir Alexander Wood: »Einen Augenblick, Mr. Barton, falls Sie nichts dagegen haben... Mrs. Templeton, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie gewisse Fragen nicht zu beantworten brauchen, wenn Sie es für unklug halten. Ist Ihnen das klar?«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ja.«
»Natürlich sind wir Ihnen für absolute Aufrichtigkeit, wo immer sie möglich ist, dankbar. Wir möchten nur nicht, dass Sie glauben, Sie müssten jede Frage, die Ihnen gestellt wird, beantworten.«
»Ja, ich verstehe«, sagte sie mit festerer Stimme.
»Nun denn.«
Mr. Barton stützte sich mit einer Hand auf den Tisch, während er in seinen Papieren blätterte. Er schien keine Eile zu haben.
Der Mann neben Quinn flüsterte: »Bevor der mit ihr fertig ist, hat sie keinen Faden mehr am Leibe. Weshalb, um alles in der Welt, hat sie eingewilligt, als Zeugin auszusagen?«
Diese Frage hatte sich Quinn auch schon gestellt. Viel später wurde ihm klar, dass es keine einzige einleuchtende Erklärung dafür gab, warum sich Mrs. Templeton dieser Tortur freiwillig unterzogen hatte.
Mr. Barton schob die Unterlagen beiseite und bewegte dabei lautlos die Lippen, als wolle er sich eine Passage fest einprägen. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. »Also, Mrs. Templeton, bitte berichten Sie uns, in Ihren eigenen Worten, wie es zu Ihrer Behandlung im St.-Pauls-Hospital kam.«
Sie blickte zu ihrem Mann hinüber, dann schweiften ihre Augen zu dem kleinen erhöhten Tisch, hinter dem Dr. Healey allein saß.
Die glatten Höhlungen in ihren Wangen wurden tiefer, als sie rasch wegsah.
Mit belegter Stimme sagte sie: »Mitte letzten Jahres etwa konsultierte ich meinen Hausarzt, weil ich mich schon seit einiger Zeit, nicht recht wohl fühlte. Er sagte mir, ich litte an einer Nervenschwäche, und verschrieb mir Beruhigungsmittel.«
»Hatte seine Kur Erfolg? Besserte sich Ihr Gesundheitszustand?«
»Nein - nicht nennenswert jedenfalls. Ich schlief noch immer schlecht und hatte keinen Appetit.«
»Sie hatten auch abgenommen?«
»Ganz recht.«
»Wie lange waren Sie bei Ihrem Hausarzt in Behandlung?«
»Vier oder fünf Wochen - vielleicht auch etwas länger.«
»Als er sah, dass Ihr Gesundheitszustand sich nicht wesentlich besserte, wozu riet er Ihnen da?«
»Er meinte, ich solle einen Psychiater aufsuchen.«
»Und Sie befolgten seinen Rat?«
»Ja. Ich ging als Privatpatientin zu einem Psychiater in der Wigmore Street. Er empfahl mir eine Behandlung im St.-Pauls-Hospital und gab mir einen Brief an« - sie warf einen Blick durch den Saal und sah dann wieder Mr. Barton an - »Dr. Healey mit.«
»Wollen Sie uns bitte schildern, was bei Ihren Besuchen in der Klinik geschah?«
»Bei meinem ersten Besuch gab man mir Gas, das mich einschläferte. Danach wurde ich noch zweimal mit Gas behandelt.«
»Hat Dr. Healey persönlich es Ihnen verabreicht?«
»Ja.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Es war jedes Mal eine Schwester anwesend.«
Mr. Barton machte eine abwehrende Handbewegung, als wolle er die Bemerkung wegwischen. »Was ereignete sich zwischen Ihnen und Dr. Healey, wenn Sie aus dem Schlaf erwachten, den das Gas verursacht hatte?«
»Wir plauderten miteinander. Er sagte, ich sei eine heißblütige Natur, und es sei eine Erleichterung für ihn, auf einen gleichveranlagten Menschen zu stoßen.«
»Wie verhielt er sich Ihnen gegenüber von Anfang an?«
»Seine Bemerkungen waren sehr schmeichelhaft, und das nahm mir alle Befangenheit.«
»Erinnern Sie sich an etwas Bestimmtes, was er Ihnen bei Ihrem ersten Besuch in der Klinik sagte?«
»Ja. Er sagte, er würde mich gern in der nächsten Woche wiedersehen, und ich sollte etwas später kommen, damit er sich bei meiner Behandlung Zeit lassen könnte.«
»Soll das heißen, dass Sie bei den folgenden Besuchen seine letzte Patientin waren?«
»Ja. Manchmal musste ich warten, aber das machte mir nichts aus, weil ich spürte, dass mir die Behandlung gut tat.«
»Bei Ihrem ersten Besuch befragte Dr. Healey Sie eingehend über Ihr Intimleben. Erzählten Sie ihm bei dieser Gelegenheit, dass Ihre körperlichen Beziehungen zu Ihrem Mann Sie nicht befriedigten?«
Mrs. Templeton sah auf ihre Hände nieder. Nach einer Weile sagte sie mühsam: »Ja.«
»Fanden ähnliche Gespräche noch öfters statt?«
»Ja, mehrmals.«
»Sie vermuteten, dass sie ein Teil der Behandlung waren, die Sie von Ihrem Nervenleiden heilen sollte, nicht wahr?«
»Gewiss, sonst hätte ich seine Fragen nicht beantwortet.« In Mrs. Templetons ruhiger Stimme lag kein Groll.
»Natürlich«, sagte Mr. Barton. Er legte die Hände auf den Rücken, streckte den langen Hals vor und fragte: »Fühlten Sie sich zu Dr. Healey hingezogen?«
»Ja. Ich mochte ihn vom ersten Augenblick an.«
»Ich verstehe... Würden Sie sagen, dass die Behandlung, der Sie im Krankenhaus unterzogen wurden, bei Ihnen erotische Symptome hervorrief?«
Ohne das geringste Zögern erwiderte Mrs. Templeton: »Das weiß ich wirklich nicht.«
Mr. Barton nickte. »Eine sehr korrekte Antwort. Zweifellos. Glauben Sie bitte nicht, dass an der Behandlung, die Sie uns eben geschildert haben, irgendetwas Ungewöhnliches ist. Jede Kritik daran liegt mir fern.«
Er las in seinen Papieren nach, bevor er fortfuhr: »Hat Dr. Healey Sie während Ihrer Besuche im Krankenhaus auf eine Art behandelt, die man »vertrauliche nennen könnte - auch wenn Sie... sagen wir... nichts dagegen hatten?«
»Nun. er pflegte in Anwesenheit der Schwester schmeichelhafte Bemerkungen über meine Augen zu machen. Zuerst war es mir ein bisschen peinlich.«
»Hat die Schwester sich jemals über sein Verhalten geäußert?«
»Einmal sagte sie: »Lassen Sie die Patientin in Ruhe. Sie machen sie ganz verlegene«
»Aber allmählich gefielen Ihnen seine Schmeicheleien?«
Mrs. Templeton bewegte nervös die Schultern. »Ja«, sagte sie leise.
Mr. Barton nickte zustimmend. Er nickte immer weiter, als sei sein Kopf zu schwer für den langen mageren Körper, und sah nachdenklich vor sich hin.
Nach einer Pause sagte er: »Wenden wir uns nun dem Tag zu, an dem Dr. Healey Sie zum ersten Mal in Ihrem Haus aufsuchte. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam.«
»Im Oktober, als ich etwas über zwei Monate in Behandlung gewesen war, gingen mir die Tabletten aus, die ich die ganze Zeit über eingenommen hatte - und so schrieb ich...« - ihre Augen schweiften zu dem Beschuldigten hinüber und hefteten sich schließlich auf die Zeugenschranke - »...an Dr. Healey.«
»Wie, glaubten Sie, würde er auf Ihren Brief reagieren?«
»Ich dachte, er würde mir ein Rezept schicken, damit ich mir die Tabletten bei meinem Apotheker holen könnte.«
»Was tat er stattdessen?«
»Er kam am Freitag bei mir vorbei, was mich sehr überraschte.«
»Sie waren auf seinen Besuch nicht gefasst?«
»Nein. Davon war zwischen uns nie die Rede gewesen.«
»Was sagte er