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Fummel & Flamme
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eBook333 Seiten4 Stunden

Fummel & Flamme

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Über dieses E-Book

Jens Nobbe betreibt einen Kiosk in Hagen-Vorhalle und kümmert sich im Nebenberuf diskret um die Betreuung solventer, älterer Herren. Eigentlich möchte er ein ruhiges Leben mit seinem Mann Paul, einem international erfolgreichen Pornodarsteller, führen. Doch die Wirklichkeit macht ihm erneut einen Strich durch die Rechnung: Eines Nachts gehen die Lagerhallen neben seinem Wohnhaus in Flammen auf. Eine Frau kommt zu Tode.
Brandstiftung! Und verdächtigt wird ausgerechnet Rafik, ein Fünfzehnjähriger, der Nobbe an seine eigene Kindheit erinnert. Kurzerhand versteckt er den Gesuchten und ermittelt selbst.
SpracheDeutsch
Herausgeberdead soft verlag
Erscheinungsdatum15. Sept. 2016
ISBN9783960890263
Fummel & Flamme

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    Buchvorschau

    Fummel & Flamme - Kai Brodersen

    Kai Brodersen

    Fummel & Flamme

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2016

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com

    Bildrechte

    © Ingairis – fotolia.com

    © svetlanamiku – fotolia.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-96089-025-6

    ISBN 978-3-96089-026-3 (epub)

    Inhalt:

    Jens Nobbe betreibt einen Kiosk in Hagen-Vorhalle und kümmert sich im Nebenberuf diskret um die Betreuung solventer, älterer Herren. Eigentlich möchte er ein ruhiges Leben mit seinem Mann Paul, einem international erfolgreichen Pornodarsteller, führen. Doch die Wirklichkeit macht ihm erneut einen Strich durch die Rechnung: Eines Nachts gehen die Lagerhallen neben seinem Wohnhaus in Flammen auf. Eine Frau kommt zu Tode.

    Brandstiftung! Und verdächtigt wird ausgerechnet Rafik, ein Fünfzehnjähriger, der Nobbe an seine eigene Kindheit erinnert. Kurzerhand versteckt er den Gesuchten und ermittelt selbst.

    Diesmal: Nur für Sven.

    Kapitel 1 – Freitag, 8. Mai

    „Mensch, Nobbe, du hast immer noch Beine wie Marika Rökks uneheliche Tochter! – Jetzt hör’ auf, dich im Spiegel zu begaffen und reich mir den Akkuschrauber hoch, sonst werden wir nie fertig!"

    Rudi stand mit allen Zeichen wachsender Ungeduld auf der Leiter und wartete. Ich reichte ihm das Gewünschte und dachte an mein Spiegelbild. Es war ein wunderbarer Maimorgen, deshalb arbeiteten wir beide in Unterhemden und abgeschnittenen Jeans. Rudi hätte sich eigentlich nicht wundern dürfen, dass mein Blick im Spiegel hängen blieb, war es doch eines der ersten Male, dass ich mich traute, sozusagen öffentlich mein rechtes Bein zu zeigen. Die Narbe, von einer großen Brandwunde hinterlassen, war deutlich sichtbar, und ich fand sie abscheulich. Mit der eigentlich deutlich Entstellenderen auf meiner Wange hatte ich mich viel besser abgefunden, indem ich mich der allgemeinen Auffassung anschloss, sie gäbe mir etwas Verwegen-Männliches. Ich unterstützte diesen Eindruck durch einen Dreitagebart, den ich seit den Ereignissen Anfang Februar trug.

    Rudi war genervt: „Kannst du mir mal sagen, warum du da rumträumst? – Morgen kommt dein Liebster zurück, und du wolltest das Loft bis dahin fertig haben!"

    Loft war ein etwas großes Wort für die ehemalige Kutscherwohnung über einer Remise, aber nachdem wir alle Wände herausgerissen und die niedrigen Decken beseitigt hatten, war doch ein insgesamt recht großzügiges Apartment entstanden. Es standen noch nicht viele Möbel, aber Kücheninsel und Bad waren immerhin benutzbar, zwei Lehnstühle aufgestellt, und eine große Matratze markierte die Ecke, in der der Schlafbereich entstehen würde.

    „Sorry", murmelte ich und reichte ihm eine Gardinenstange an.

    „So, fertig!, verkündete er. „Jetzt räumen wir schnell auf. Du musst in deinen Laden, und ich, äh, ich habe auch noch was vor. Morgen können wir den Rest machen.

    „Hab’ ich mich eigentlich schon bei dir bedankt?", fragte ich schuldbewusst meinen Freund.

    „Ungefähr sechshundert Mal, und langsam könntest du begriffen haben, dass ich das gerne mache. – Wenn Kevin am Samstag zurückkommt, könnt ihr euer Wiedersehen in der neuen Wohnung feiern, und danach kümmern wir uns um den Rest."

    Nur ich nannte meinen Freund Paul, alle anderen kannten ihn unter seinem Künstlernamen „Kevin Colunga", und was den Rest anging, von dem Rudi gesprochen hatte, so wollte ich lieber nicht darüber nachdenken.

    Das hatte ja auch noch Zeit. Wir räumten zügig das Werkzeug zusammen und freuten uns, dass die Dusche endlich funktionierte. Dann fuhren wir unserer Wege, Rudi in einem Ford Granada, in dem ein blödsinnig hochgetunter Motor wohnte, und ich in meinem alten Clio, der mir als Büdchenbesitzer in Hagen-Vorhalle gut zu Gesicht stand. In den Garagen unter der Remise standen noch ein roter Alfa Romeo Spider, den Rudi in zahllosen Stunden für mich restauriert hatte, und ein Bentley Cabrio Baujahr 1986, quasi ein Erbstück. Aber welche Folgen es zeitigen konnte, wenn ich eines dieser Gefährte ans Büdchen stellte, hatte ich zu Anfang des Jahres erlebt, als der Bentley einen mittleren Volksauflauf auslöste.

    Im Büdchen ging alles seinen gewohnten Gang. Ich löste meinen Angestellten Diego ab, ein Bild von einem Brasilianer (und mittlerweile – Gelobt sei Gott! – auch endlich volljährig). Der war froh, nach Hause zu kommen. Wahrscheinlich hatte er die gesamte Nacht gesumpft und war direkt aus der Disko zur Frühschicht in den Laden gekommen.

    „Dann schlaf gut, Liebes!, rief ich ihm zum Abschied nach. „Und vergiss dein Training nicht! Ich meine, du wirst langsam etwas voll um die Hüften.

    Er zeigte mir den Stinkefinger und verschwand. Ich setzte meinen Dackel Carl Maria von Weber auf seinen Lieblingsplatz neben dem Verkaufsfenster und brühte mir einen Espresso. Mit Brühen allerdings war das Spektakel nur sehr unzureichend beschrieben, das meine Faema E61 veranstaltete, ein Meisterwerk italienischer Ingenieurskunst und Prunkstück des Büdchens. Der Espresso hatte schon etliche Stammkunden an mein kleines Unternehmen gebunden, insbesondere seit ich ihn auch als Café Coretto mit einem Schuss des tadellosen Grappas anbot, den mein Stammwirt Massimo zuverlässig und in beliebigen Quantitäten ins Land schmuggelte.

    Wie aufs Stichwort erschien Karen, eine hübsche junge Amerikanerin, die seit etwa einer Woche täglich kam, Kaugummis kaufte und einen Espresso trank. Sie erinnerte mich an jemanden, aber ich war noch nicht draufgekommen, an wen.

    „Karen, mein Double Eagle!", begrüßte ich sie, und Carl Maria gab ein artiges Begrüßungsbellen von sich.

    Der Double Eagle ist eine sehr wertvolle amerikanische Goldmünze, aber auch ein zuverlässiges Modell der Firma Colt, da konnte sie sich etwas aussuchen. Tat sie prompt.

    „Guten Morgen, ihr beiden! Vor ein paar Jahren wurde ein St. Gaudens Double Eagle auf knapp acht Millionen Dollar geschätzt, da war sogar der Secret Service hinterher. – Du übertreibst es etwas, Nobbe!", sagte sie in tadellosem Deutsch mit einem ganz kleinen, niedlichen Akzent.

    „Aber nicht im Geringsten, mein Goldstück! Den Espresso heute mal mit Schuss?", fragte ich wie jeden Morgen, um sie wie jeden Morgen entsetzt ablehnen zu sehen. Die westfälischen Trinkgewohnheiten, speziell die chez moi waren ihr noch reichlich fremd. Ich brachte ihr den Kaffee und als Gruß aus der Heimat ein Päckchen Wrigley’s und blieb ein wenig an ihrem Stehtischchen, um über dies und das zu plaudern. Viel Zeit blieb mir dafür allerdings nicht, denn Die Drei von der Sparkasse erschienen zu ihrem Mittagskaffee: Petra und Ulla, die beiden Seelen des Geldhauses nebenan, und Johann Nepomuk Gerlachsberger, genannt Johnny, ein ziemlich niedlicher Jungbanker und kommissarischer Geschäftsstellenleiter. Seit Jahresanfang verband uns beide ein Geheimnis, das ihn zunächst sehr befangen in meiner Gegenwart sein ließ. Mittlerweile hatte sich das allerdings wieder gelegt, und wir flirteten wie eh und je.

    „Ah, die drei leuchtendsten Sterne am Firmament der westfälischen Hochfinanz!", begrüßte ich die die Neuankömmlinge und ließ die Faema zischen.

    Die drei strahlten mich an, Ulla holte ihr von daheim mitgebrachtes Butterbrot aus der Tasche, Petra die Tüte mit zwei Apfeltaschen, die sie bei Bäcker Vietor erstanden hatte, Johnny nichts. Der Junge aß in letzter Zeit wenig, fiel mir auf. Außerdem hatte er diesen speziellen Glanz in den Augen, und mindestens das linke Nasenloch war etwas gerötet. Wenn sich irgendwer mit synthetischen Hilfsmitteln zur Bewusstseinsveränderung auskannte, dann ich. Vielleicht sollte ich mal in Abwesenheit seiner Kolleginnen ein Wort mit dem Banker wechseln ...

    Karen ließ fünf Euro auf dem Bistrotisch liegen und verabschiedete sich.

    „Das ist zu viel, Liebes!", rief ich ihr hinterher.

    Sie drehte sich in der Tür um und lächelte: „Just a little tip, dear!"

    Gegen Trinkgeld war natürlich niemals etwas einzuwenden. „Dann danke ich auch im Namen meiner zahlreichen hungernden Kinder!", rief ich ihr grinsend hinterher, während ich den Schein vom Tisch wischte. Sie warf mir einen ziemlich seltsamen Blick zu und verschwand. Ich würde ihr die Redewendung wohl beim nächsten Espresso erklären müssen.

    „Sag’ mal, Nobbe, meinte Johnny aufgekratzt, „willst du eigentlich deine Villa tatsächlich verkaufen?

    „Ja, tatsächlich, gab ich zurück. „Nach allem, was in diesem Haus vorgefallen ist, kann ich auf keinen Fall mehr dort wohnen. – Auch wenn ich es geerbt habe und es mir ziemlich ans Herz gewachsen ist, fügte ich seufzend hinzu.

    „Und du hattest doch gesagt, dass da noch ’ne Hypothek drauf liegt, oder?"

    „Klar!, meinte ich. „Wieso?

    „Also, besser verkaufen sich Immobilien ja, wenn sie schuldenfrei sind, erläuterte Johnny. „Bring mir doch deine Unterlagen vorbei, dann mache ich dir ein Angebot für eine Umschuldung auf dein neues Haus, und überhaupt könnte dir unser Immobilienservice beim Verkauf behilflich sein.

    „Warum nicht?", stimmte ich zu.

    Tatsächlich hatte ich mir noch nicht allzu viele Gedanken über die Angelegenheit gemacht. Einstweilen ließ ich Diego dort wohnen, nachdem sein Verhältnis zu einem örtlichen Gebrauchtwagenhändler unrühmlich zu Ende gegangen war. Der hatte sich als deutlich zu wenig großzügig erwiesen.

    „Ich suche die Sachen zusammen und bringe sie dir nächste Woche rein."

    Die öffentlich-rechtlichen Finanzjongleure gingen zurück zur Sparkasse, Johnny entschieden zu fröhlich und tatendurstig für einen normalen Donnerstag. Ich sollte wirklich mit ihm reden, obschon es natürlich seine Sache war, ob er seinen Lohn versoff oder durch die Nase zog.

    Ein paar verkaufte „Kicker und „Hörzu später öffnete sich die Ladentür erneut, und ich wollte Rudi gerade in gewohnter Flapsigkeit begrüßen, als mir angesichts seines Begleiters einen Augenblick lang die Luft wegblieb. Der Mann war nicht hübsch, nicht einmal attraktiv, aber er verströmte aus jeder einzelnen Pore Testosteron! Ich fing mich schnell wieder und sonderte etwas Fröhlich-Unverbindliches ab. Beim zweiten Blick auf ihn staunte ich, dass auch die Haut eines Farbigen diesen gräulichen Schleier aufweisen kann, der von zu vielen Zigaretten und zu wenig frischer Luft herrührt. Nahm man dazu den vorsichtigen Blick und die ältlichen Klamotten des Fremden, brauchte es nicht viele Rateversuche, um zu wissen, woher er gerade kam.

    „Machst du uns Kaffee – mit?", fragte Rudi seltsam befangen.

    „Klar!, gab ich zurück. „Setzt euch an den Küchentisch, da kann man besser quatschen.

    An den kleinen Verkaufsraum schloss sich eine noch kleinere Küche an, dahinter ein Lager und ein Wohnschlafraum, ebenfalls klein, aber als Ausweichquartier immer wieder hochgeschätzt. Die beiden nahmen Platz, schüchtern fast, was bei zwei so großen Kerlen im besten Alter ziemlich komisch aussah. Ich servierte den Espresso und stellte eine Grappaflasche auf den Tisch. Dann nahm ich Platz und schaute Rudi erwartungsvoll an, bis der endlich begriff, was die Höflichkeit gebot:

    „Oh, ’tschuldigung! Also, das hier ist mein Kumpel Ray. Ray, das ist Nobbe! Also, Ray war längere Zeit nicht hier und, äh, jetzt wohnt er erst mal bei mir."

    Ich hatte mein Lächeln nicht schnell genug unterdrückt, und natürlich hatte Ray es bemerkt.

    „Gib dir keine Mühe, Rudi, warf er ein. „Nobbe hat es schon beim Reinkommen gesehen! Er wandte sich mir zu: „Ja, Rudi und ich haben uns im Knast kennengelernt. Ich bin seit heute Morgen raus, und Rudi nimmt mich quasi auf."

    Ich rechnete schnell nach: Rudi war das letzte Mal vor knapp sechs Jahren drin gewesen. Wenn Ray die ganze Zeit gesessen hatte, dann war er für mehr verknackt worden, als alten Omas die Himbeerdrops aus dem Mund zu klauen. Ich selbst kannte vom Knast nur die Besucherräume, aber von Rudi hatte ich genug gelernt, um nicht zu fragen, was Ray nach Werl gebracht hatte. Stattdessen goss ich großzügig Grappa in die Tassen und sagte:

    „Na dann, Ray, herzlich willkommen draußen!"

    „Danke!"

    Sein Lächeln war der pure Sex, zumal er sich seiner Wirkung nicht im Allergeringsten bewusst zu sein schien.

    Donnerwetter! Da kenne ich den Rudi nun mein ganzes Leben lang, und dieses Hormonwunder von einem Mann hält er jahrelang vor mir verborgen und sagt kein Wort …

    Rudi war immer noch etwas verlegen. „Also, wenn du heute Abend nichts weiter vorhast, äh, also wir wollten ein bisschen Rays Freiheit feiern."

    „Gerne, bei dir?"

    „Nee. Ray grinste. „Ich freu’ mich schon seit ’ner halben Ewigkeit drauf, mal wieder in ’ne richtige Kneipe zu gehen.

    „Also um neun in der ‚Eule‘?" – Die Kneipe meines Schnapslieferanten im Eckhaus an der nächsten Kreuzung hatte sich im Laufe der Jahre zu meinem zweiten Wohnzimmer entwickelt.

    „Gut, meinte Rudi, „dann woll’n wir auch mal wieder, ja?

    Die beiden brachen auf, und ich murmelte lächelnd vor mich hin: „Rudi Völzgen, das letzte Mal habe ich dich so verlegen gesehen, als Schwester Scholastika dich mit einem selbstgemachten Dietrich in der Tasche auf dem Weg zum Opferstock erwischt hat!"

    Ich verbrachte einen angenehmen Nachmittag im Büdchen, angefüllt mit Kleinverkäufen und ebensolchen Unterhaltungen. Zwischendurch hängte ich ein Schild in die Tür, das meine baldige Rückkehr verhieß, und führte Carl Maria aus. Angesichts des herrlichen Wetters entschied ich mich für die große Runde. Sollte ausgerechnet jetzt Gerda Pötter vom Friseursalon gegenüber Espresso für ihre Lieblingskundinnen holen wollen, würde sie eben einen Moment länger warten müssen. Die Mädels verbrachten ohnehin Stunden um Stunden bei ihr, da würde es wohl auf ein paar Minuten zum Wohle meines Dackels nicht ankommen. Carlchen hatte also ausreichend Gelegenheit, überall nach dem Rechten zu schnüffeln. Besonders ausgiebig tat er das bei der Ulme am Ladenlokal von Bäcker Vietor. „Na, neuer Cowboy in der Stadt?", fragte ich ihn gerade, als sich die Haustür neben dem Laden öffnete und ein schwarzer Schatten herausgeschossen kam. Der Schatten stürzte sich auf meinen völlig arglosen Dackel, dieser jaulte, ich schrie auf, und von der Tür her hörte man ein atemloses:

    „Pfui, Metzger, bei Fuß!"

    Dann zog Bäcker Vietor höchstpersönlich das schwarze Ungetüm, das sich bei näherem Hinsehen als ein noch sehr junger Labrador entpuppte, von meinem Hund herunter, der sich natürlich nur erschreckt hatte. Nun begrüßten die beiden neuen Kumpel einander begeistert und beschnüffelten sich an Stellen, für die anständige Damen nicht einmal ein Wort kennen. Nachdem meine Herzfrequenz sich wieder ins Physiologische abgesenkt hatte, gestattete ich mir ein Lächeln.

    „Sag mal, Klaus Vietor, wie hast du deinen Hund eben genannt?"

    Schief lächelte der ebenfalls erleichterte Bäckermeister zurück.

    „Das war die bekloppte Idee von meiner Alten! Was meinst du, was hier los ist, wenn der olle Machate mitkriegt, dass unser Hund Metzger heißt …"

    Die Metzgerei Machate lag auf der anderen Straßenseite. Wer das traditionelle Ladenlokal sah, würde darin kaum das Mutterhaus von siebzehn Filialen vermuten.

    Ich schmunzelte noch über den Bäckerhund, als ich zurück zum Büdchen kam. Gerda Pötter musste an ihrem Schaufenster auf mich gewartet haben, denn ich hatte noch kaum das Verkaufsfenster hochgeschoben, als sie auch schon vor mir stand, diesmal komplett in Altrosa gewandet und mit reichlich Zucht- und Kunstperlen geschmückt. Ihr Haar hatte den üblichen Stich ins Violette, was sich auf schon beinahe groteske Weise mit ihrer Kleidung biss. Klugerweise verkniff ich mir jeden Kommentar dazu und erzählte ihr stattdessen von Vietors Hundenamenswahl. Ihre Schultern bebten noch immer bedenklich vor Lachen, als sie mit dem Tablett voller Espressotassen über die Straße lief. Bei den Espressi mit lag der Löffel verkehrt herum auf der Untertasse. Es war die Mehrzahl.

    Ich hatte ein etwas seltsames Gefühl, als ich den Laden zusperrte und zur „Eule" hinüberging. Was ich von Ray halten sollte, wusste ich noch nicht so recht, und was von der Tatsache, dass Rudi ihn mir während der letzten sechs (6!) Jahre verschwiegen hatte, erst recht nicht. Mein Freund Rudi, seit Kindertagen mein strahlender Held, und ausgerechnet der hatte jetzt plötzlich Geheimnisse vor mir? Wir kannten beide das Leben des anderen auswendig, jedenfalls hatte ich das bislang gedacht. – Na, es wird sich schon alles weisen, machte ich mir Mut und ging die paar Meter zur Gaststätte. Carl Maria freute sich schon unterwegs wie ein Schneekönig, er würde bei den Perluggianis wieder einmal nach Strich und Faden verwöhnt werden. Ich ließ Massimo und seine Frau Marietta gewähren, Dackel sind ja nicht eitel! Rudi und Ray (Wie seltsam das klang!) waren noch nicht da, also trank ich, nachdem das Ehepaar Perluggiani Carl Maria angemessen geherzt und mit den ersten Leckerbissen versehen hatte, ein Bier am Tresen und tauschte dies und das mit Massimo aus. Von Vietors Hund hatte er selbstverständlich schon gehört, denn am Ende des Tresens saß die unvermeidliche Knobelrunde, die alles sah und alles wusste und alles am Abend taufrisch auf Massimos Tresen packte. Die Tür öffnete sich, und Rudi kam mit dem Zugereisten herein. Die Würfel an der Tresenecke blieben einstweilen unbeachtet: Deutlich länger und intensiver als höflich starrten die Knobelfreunde zu uns herüber. Zum einen war unser kleiner Vorort zwar schon lange keine Bastion der blonden Bestien mehr, aber so stark pigmentierte Menschen wie Ray wohnten normalerweise in der Innenstadt. Hier in Vorhalle dominierten eher Polen, Russen, Türken und Tunesier. Zum zweiten (und darauf hätte ich so allerlei verwettet) fiel auch in dieser unbestrittenen Hochburg der Heterosexualität Rays Ausstrahlung jedem auf.

    „Hallo, ihr beiden!, begrüßte ich die Neuankömmlinge fröhlicher, als ich war. „Tisch oder Tresen?

    „Tresen, meinte Rudi. „Wir haben schon gegessen, und das bisschen, was du isst, kannst du auf dem Heimweg den Karnickeln klauen!

    Das war unfair: Ich achtete zwar seit meinen Bühnenzeiten strikt auf meine Ernährung, schließlich wollte ich nicht enden wie mein Dackel, den ich schon wieder auf etwas herumkauen sah. Aber wenn mich jemand zum Essen einlud, bestellte ich durchaus auch anderes als Salat und Grapefruit. Unaufgefordert brachte Massimo drei Pils und blieb mit seinem eigenen in unserer Ecke stehen. Rudi unterdrückte einen Seufzer und stellte vor:

    „Massimo, das ist mein Kumpel Ray. Ray, Massimo, unser Stammwirt."

    „Willkommen draußen!" – Massimo hatte die drei tätowierten Punkte, die Ray in der Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand verbarg, sofort bemerkt, und außerdem verfügte er über ein angeboren scharfes Auge für alles Halb- oder Illegale. Wie zum Beweis zauberte er eine unetikettierte Flasche Grappa und vier Stamper auf den Tresen. „Salute, amici!"

    Wir plauderten noch ein bisschen, nutzten dann aber die Gelegenheit, als Massimo sich um die Knobler kümmern musste, zum Rückzug an einen der Tische. Manchmal war unseres Wirtes Anteilnahme an seinen Mitmenschen eben einfach etwas anstrengend. Ein bisschen eingeschnappt brachte er uns die nächste Runde, und als er weg war, meinte Ray:

    „Also, Nobbe, Rudi macht ja immer aus allem ein Riesengeheimnis, aber du bist sein bester Freund, deshalb: Klartext zwischen uns, okay?" Er versah mich mit einem so intensiven Blick, dass ich ein bisschen zu schrumpfen glaubte.

    „Okay!", bestätigte ich etwas eingeschüchtert.

    Rudi rutschte unbehaglich hin und her.

    „Ich bin eingefahren wegen schwerem Raub, meinte Ray gelassen. „Nix, worauf man stolz sein müsste. Wir brauchten damals dringend Kohle, da haben wir uns ’n paar Knarren besorgt und ’ne Bank klargemacht.

    Ich fröstelte etwas.

    „Rudi hat mir schon gesagt, dass du’s nicht so mit Gewalt hast, fuhr er fort. „Und weißt du was? Du hast völlig recht damit, is’ so! Ich hab’ gehört, eine von den Kassiererinnen von damals hat heute noch Alpträume. Mann, das tut mir echt leid!

    Komischerweise glaubte ich ihm das.

    „Ich wollte nur, dass du das weißt."

    „Danke, Ray!"

    „Herr Wirt!, rief Ray und übertönte mühelos einen lautstarken Streit der Knobelbrüder. „Noch eine Runde, und Schnäpsken dabei, bitte! – Mann, das hab’ ich echt vermisst!

    „Was?, fragte ich naiv. „Den Alk?

    „Nee, meinte Ray grinsend, und auch Rudi lächelte kopfschüttelnd. „Alkohol kriegst du in jedem Knast, wenn du Kohle hast, oder wenn du keine hast, aber gut mit dem Küchenbullen kannst, dann klaust du dir ’nen Eimer Marmelade. Bisschen Brot dazu, dann sollste mal sehn, wie das gärt! Nee, was ich vermisst habe, ist, mal wieder ganz normal in ’ner Kneipe sitzen und legal ein paar gepflegte Pilsken zischen.

    Massimo hatte seinen kurzen Anfall von Übellaunigkeit überwunden und brachte mit den Bieren auch gleich eine Flasche vom Selbstdestillierten mit an den Tisch. Dazu servierte er kostenlos die Geschichte eines seiner Vettern, der – natürlich völlig unverschuldet – in Konflikt mit dem italienischen Staatswesen geraten war und wie dessen Rückkehr an den Fuß der Dolomiten seinerzeit gefeiert wurde. Massimo hatte ungefähr fünf Cousins weniger als Abraham Nachkommen, und notfalls erfand er noch ein paar.

    Schließlich zog er dann doch wieder ab, und Ray nahm mich wieder mit einem dieser intensiven Blicke aufs Korn.

    „Rudi hat mir erzählt, du wärst früher mal als Transe aufgetreten. Da siehst du gar nicht nach aus!"

    Das stürzte Rudi offenbar in größere Loyalitätskonflikte. Niemals würde er jemandem durchgehen lassen, verächtlich über meine Bühnenkarriere zu sprechen, aber bei Ray fiel ihm das Explodieren offenbar schwer. Bevor er tief genug Luft geholt hatte, kam ich ihm zuvor:

    „Ich hatte damals keinen Bart, und über Wachsplatten und Bikinizonen könnte ich dir Geheimnisse verraten, die du ganz sicher nicht wissen willst! – Im Übrigen würde ich den Ausdruck ‚Revuegirl’ bevorzugen. Transen sieht man beim Karneval mit stoppeligen Beinen und verrutschten Brüsten."

    „Bei ChiChi de la Voliére ist nie was verrutscht! Rudi war jetzt doch endlich mit dem Einatmen fertig geworden. „Ich könnte dir mal ein paar Plakate zeigen …, schwärmte er.

    „Du hast noch alte Plakate von mir?", fragte ich, ehrlich erstaunt.

    „Mmpf", machte Rudi und stand auf, um eine Zigarette vor der Tür zu rauchen.

    „Natürlich hat er welche von dir, meinte Ray in komischem Tonfall. „Deine verdammten Pailletten hätte er gesammelt, wenn man ihn gelassen hätte.

    Eine Hand hatte er unter dem Tisch, und ganz sicher war sie zur Faust geballt. Von irgendwoher überkam mich der Rechtfertigungsdrang:

    „Ray, Rudi und ich sind bloß Freunde! Wir haben nie …"

    „Weiß ich!, unterbrach er mich. „Weiß ich alles! Ich weiß so ziemlich alles über dich, Nobbe! Wir haben ein Jahr zusammen gesessen, und was meinst du wohl, was Rudis Hauptgesprächsthema war?

    Der Gegenstand unserer Unterhaltung kam zurück an den Tisch, und schnell stürzte ich mich in eine kleine Schwärmerei über meinen Bentley.

    „Ah, meinte der Rückkehrer, „Ray hat dir erzählt, dass er Mechaniker ist, mit Gesellenbrief und allem? – Er will mir vielleicht in der Werkstatt helfen.

    Rudi hatte eine alte Tankstelle samt Wohnhaus gepachtet und betrieb pro forma eine Autowerkstatt. Er besaß keine formale Ausbildung, aber mir schien es immer so, als ob alles Metallene sich genau so verhielt, wie er es gern hätte. Trotzdem war die Werkstatt eigentlich nicht viel mehr als eine Geldwaschanlage für sein liebstes Hobby, den Einbruchdiebstahl. Derzeit war der Werkstattbetrieb allerdings nahezu vollständig zum Erliegen gekommen, da Rudi Tag und Nacht damit beschäftigt war, die Renovierungsarbeiten in meinem Loft zu beaufsichtigen, anzutreiben oder sonstwie zu befördern.

    „Also, ich habe gedacht, morgen helfen wir beide, dass die Bude ordentlich aussieht für den großen Tag, wenn Kevin zurückkommt, und in der kommenden Woche schaun wir dann mal, wie wir das mit der Werkstatt und der Baustelle geregelt kriegen."

    „Rudi, warf ich ein, „du hast jetzt schon unendlich viel mehr getan, als ich jemals wiedergutmachen kann! Abgesehen davon, dass er mir vor ein paar Wochen noch so ganz nebenbei das Leben gerettet hatte. „Kümmer’ dich ab sofort um deinen eigenen Laden, wir kommen auf der Baustelle schon zurecht."

    „Das fehlte gerade noch, schnaubte er. „Wenn ich mich fünf Minuten umdrehe, dann holt ihr euch Firma „Schussel & Brassel auf den Hof, und ich kann hinterher sehen, wie ich den Schutt beseitige! Nee, nee, wir finden schon eine Lösung, das heißt, falls Ray mitziehen will."

    Ray wollte, für diese Gewissheit musste ich gar nicht erst zu ihm hinsehen. Ray hätte Cocktailschirmchen im Gulag verkauft, um in Rudis Nähe zu sein.

    Die Knobelbrüder verabschiedeten sich, und Massimo kam mit einer weiteren Runde an unseren Tisch. Seine Frau Marietta, Urbild kinderloser Mütterlichkeit, schloss sich ihm an und legte mir einen zufrieden schnarchenden Dackel auf den Schoß. Wahrscheinlich hatte das Vieh in ihrer Küche mehr gefressen als ich in einer Woche, und Frau Dr. Sobielsky, unsere Tierärztin, würde wieder einmal mit mir schimpfen. Aber, hey, er wirkte glücklich und zufrieden! Wir verplauderten noch ein Stündchen, dann brachen wir auf. Auf der Straße grüßte Ray ironisch zu einem Opel hinüber, der etwa fünfzehn Meter entfernt parkte.

    „Bekannte?", fragte ich leicht überrascht.

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