Dalmacija Grill: Kein Roman
Von Meri Blume
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Über dieses E-Book
"Nur noch ein, zwei Jahre und wir können nach Split!"
"Ich sage euch, wir, die wir weggegangen sind, wir haben Jugoslawien und die Jugoslawen gerettet. Wer hätte uns alle füttern sollen? Tito und die Partei? Woher die Arbeit, woher das Geld für uns alle? Von wegen Reisefreiheit. Rausgelassen hat er uns, damit wir hier Geld machen und es zurückbringen, Devisen anhäufen, die Armut lindern."
"Dieser Krieg ist schrecklich. Wie viele Nächte habe ich wach gelegen, gezittert, geheult, mich gefragt: Was wird aus meinen Eltern? Müssen sie fliehen? Wie wird die Front verlaufen? Was wird aus dem Haus?"
"Jetzt tun sie alle so, als hätten sie jahrelang schweigen, als hätten sie ihre wahre Identität unterdrücken müssen. Unpolitische hungrige Bauernkinder entpuppen sich als kroatische nationale Aktivisten."
"Wenn mir gestern vor einem Jahr jemand gesagt hätte, in einem Jahr wirst du in Berlin leben, dein Sohn Deutsch sprechen können, dein Mann arbeitslos und depressiv sein und du illegal in einem Restaurant arbeiten, Gott, wie herzlich hätte ich gelacht. Nun sieh mich an. Ein Flüchtling."
"Allen haben wir geholfen, für alle waren wir da, nur nicht für uns selbst. Deutschland hat von uns profitiert. Jugoslawien auch. Später Kroatien. Unsere Familie. Nur an uns selbst haben wir nicht gedacht. Wie Tiere haben wir geschuftet, keinen Urlaub gemacht, uns nie ausgeruht, unsere Kinder vernachlässigt, das Leben nicht gelebt."
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Rezensionen für Dalmacija Grill
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Buchvorschau
Dalmacija Grill - Meri Blume
Meri Blume
Dalmacija Grill
Kein Roman
Impressum
©Meri Blume (blume.meri@gmail.com)
ISBN:
Cover Design: KAMPANJA (www.kampanja.de)
Inhalt
1988
Ive
Anka
Ana
Fran
Rosa
Meri
Ljuba
1993
Anka
Ive
Rosa
Meri
Ana
Fran
Zora
Ljuba
1998
Meri
Ive
Ana
Ljuba
Rosa
Anka
Fran
Zora
2008
Anka
Ive
1988
Ive
Staubsaugen.
Ich, ein Mann von bald vierzig Jahren, krieche jeden Morgen unter Tische und Stühle, um die Essensreste von fremden Leuten wegzusaugen. Jeden Morgen ziehe ich dieses Gerät durch den Saal, schiebe alles hin und her, damit ich jede noch so versteckte Stelle erreiche, damit alles sauber und frei von Krümeln und Dreck ist.
Wenn meine Mutter mich so sehen würde? Ihr geliebter Sohn saugt Essenreste auf. Und das auch noch an einem Sonntag. An jedem Sonntag. Anstatt mich für die Kirche zurechtzumachen, mich auf einen freien Tag zu freuen, schiebe ich dieses Ungeheur hinter mir her und sauge die Speisereste von anderen auf.
Verfluchtes Schicksal.
Aber nicht mehr lange, mein lieber Ive, nicht mehr lange!
Noch ein, zwei Jahre und dann hat es sich ausgesaugt. Dann wird Ive wie ein echter dalmatinischer Herr seine Sonntage genießen, in die Kirche gehen, in Ruhe Mittagessen, am Nachmittag balote spielen. Nur noch ein, zwei Jahre. Nur noch kurz, nur noch ein wenig mehr und dann haben wir es geschafft. Wie heißt es doch in dem einen Lied, man muss fremde Früchte kosten, neue Länder entdecken, seinem Stern folgen und dann zurückkehren. Ich folgte ihm. Und folge ihm immer noch! Schau an, wo ich gelandet bin. Beim Staubsaugen. Unterm Tisch.
Zum Teufel mit den Sternen, den fremden Früchten und den neuen Ländern! Und dem Gejammer! Was hätte ich gehabt, wäre ich zu Hause geblieben? Vielleicht Schuhe an den Füßen. Und auch das nur mit Mühe und Not. Hunger hätte ich gehabt. Unglück. Ja, ich muss sonntags saugen, aber dieser Boden gehört mir. Und jeder Tisch, jeder Stuhl, das gesamte Geschirr und auch der verdammte Staubsauger. Und die Pfennige und Deutschmarks, die ich unter den Stühlen und Bänken finde. All das gehört mir! All das hab ich mir erarbeitet, mit meinem Geld gekauft. Niemand sagt, ´Ive, geh staubsaugen´, niemand gibt mir Befehle. Ich bin mein eigener Herr. Ich bestimme, wann geöffnet wird, wann gesaugt wird, wer, was zu tun hat. Ich hab den Geldbeutel in meiner Hosentasche.
Zum Teufel mit dem Kirchgang.
Natürlich gehen sie heute in den Gottesdient, sie haben sich fein gemacht, ruhen sich aus, aber ach, wenn das Dach erneuert oder Strom verlegt werden muss! Dann? Dann kommen sie zu mir, dann muss Ive helfen. Ive ist ja in Deutschland, er hat Geld. Hier hängt das Geld nämlich an den Bäumen, wir müssen es nur pflücken und ihnen geben. Keiner fragt, ´Ive, hast du etwa auch sonntags arbeiten müssen? Ach, Ive, du hast es so schwer´. Niemand sagt das, niemand denkt an mich!
Zum Teufel mit ihnen!
Es ist schwer, es ist hart, aber das Geschäft läuft gut. Ich will nicht jammern. Die Gäste kommen, lassen gutes Geld da, mein Geldbeutel ist jeden Abend voll. Die Beine tun mir weh. Und der Magen. Aber mein Geschäft läuft gut!
Und gleich kommen die ersten Hungrigen, sie wollen um halb zwölf scharfe Zwiebel essen. Wer hat sich bloß scharfe Zwiebel ausgedacht? Und wo zum Teufel isst man in Jugoslawien scharfe Zwiebel? Aber die Gästen lieben sie. Sie versauen sich sogar das ganze Esssen mit scharfen Zwiebeln. Solange es umsonst ist, lieben es die Deutschen. Ich geben ihnen ihre Zwiebel, hauptsache sie kommen und lassen ihr Geld hier bei mir.
Wie es wohl heute laufen wird? Die letzten Sonntage waren wirklich gut. Wie viel hatten wir letzte Woche? Fünftausend? Fünftausend ist ´ne Menge Bier.
Wenn nur jeder Tag wie ein Sonntag liefe, dann würde es nicht mehr lange dauern, und ich könnte endlich nach Split!
„Ane, ist der Schank voll? Schau mal genau hin, mein Herz. Nicht, dass wir später dauernd runter rennen müssen."
„Ist alles da."
Gut. Gut.
„Meri, wie viele hast du schon? Schätzchen, fang langsam an, die Servietten aufzustellen. Ist schon kurz vor elf.
Frau, ist der Grill an?"
„Du hältst mich wohl für bescheuert. Geh und kümmere dich um deine Arbeit."
„Frane, wie gehts? Du hast gestern Abend wieder gefeiert? Mein lieber Mann, als ich in deinem Alter war, war kein Nachtclub vor mir sicher. Wo gesungen und gefeiert wurde, da war auch ich. Und, wie war´s?"
„Was soll ich dir erzählen! Ein Irrenhaus. Wie immer. Sobald Mandrilo auftaucht, gibt´s kein Halten mehr. Der Mann kann feiern."
„Mandrilo. Ja, der kann feiern. Der kann feiern! Nur an seine Frau und seine Kinder kann er nicht denken."
Wir haben früher auch die Nächte durchgetanzt und durchgesoffen und sind wieder um zehn, elf im Geschäft gewesen. Heute geht das nicht mehr. Das würde ich nicht aushalten. Und so wie Mandrilo jede Nacht feiern, das Geld aus dem Fenster werfen, nicht nach morgen fragen. Keine Sorgen, keine Ängste, keine Ziele! Aber die arme Frau. Meine würde mir sofort die Hölle heiß machen. Wenn ich zwei Nächte nicht nach Hause käme und dabei die Einnahmen der letzten Woche verzockte, sie würde mir die Kehle durchschneiden. Wie einem müden Hahn. Mir ein Messer ins Herz rammen. Ohne zu Zögern. Sie würde es tun. Sie würde mich umbringen.
Nein, so wie Madrilo, das könnte ich nicht. Das hier ist kein leicht verdientes Geld, das weiß jeder, der es einmal versucht hat. Jeden Tag zwölf, vierzehn Stunden lang auf den Beinen sein. Stehen, rennen, stehen. Nur an den Gast denken. Keine Zeit zum Essen, keine freie Minute. Bitteschön, Dankeschön, Auf Wiedersehen.
Nein, das ist keine leichte Arbeit.
Und dann alles verprassen?
Das ist auch kein Leben!
Wir haben gut verdient in den letzten Jahren, wir haben einiges gespart. Nur noch ein, zwei Jahre und wir können nach Split!
Wenn das Geschäft weiter so gut läuft, sind wir in ein, zwei Jahren auf der sicheren Seite. Wir machen das Haus fertig, kaufen noch eine Wohnung in Split, eröffnen ein kleines Café, am besten an der riva. Cafés laufen dort immer gut. Ich schau für ein paar Stunden am Tag rein, kontrolliere die Kasse und gehe wieder.
Leben wie ein echter Herr!
Ich hab genug in meinem Leben gearbeitet.
Als Kind habe ich die Felder bestellt, den reicheren Bauern geholfen. Geschuftet, um einen Pott Mehl oder zwei Tassen Milch zu verdienen, damit die Mutter den kleineren Geschwistern etwas zu essen geben konnte. Mit dreizehn hat mich mein Vater nach Slowenien mitgenommen. Kanäle ausgraben, Straßen bauen. Im Winter. Bei jedem Wetter. Der Regen prasselte mir ins Gesicht, ich konnte nichts sehen, ich fror und hatte Hunger, aber ich musste weiterschaufeln. Er hat mich nicht gefragt, ob ich mitkommen will. Er sagte nur, zieh dich an, wir gehen arbeiten. Du bist alt genug.
Fünf Kinder, alle hungrig. Ich, der älteste.
Verfluchte Armut.
„Sehr schön, mein Schatz. Die Tische sehen fabelhaft aus. Geh jetzt zur Mama und hilf ihr. Ane, mein Herz. Wie geht´s dir? Das wird ein guter Sonntag, du wirst sehen. Wenn du heute gut arbeitest, kriegst du zwanzig Mark von mir!"
Es wird ihr nicht schaden, ein wenig zu arbeiten. Wir müssen alle arbeiten. Sie soll nicht denken, dass es im Leben irgendetwas umsonst gibt. Erst recht nicht in Deutschland.
Ich hatte mit vierzehn nicht einmal ein eigenes Bett. Mit meinem kleinen Bruder musste ich auf der Strohmatratze schlafen. Sie haben heute alles. Eine warme Wohnung, sie können zur Schule gehen, sie haben genug zu essen, genug anzuziehen. Sie muss wissen, dass so etwas nur durchs Arbeiten kommt. Fran und ich schaffen den Saal und den Schank nicht alleine. Wenn sie uns die Getränke vorbereitet, sind wir schneller. Am Tresen arbeiten ist nicht schwer. Sie sollen lernen, wie diese Arbeit gemacht wird. Vielleicht können sie den Laden übernehmen, wenn wir gehen? Nein, sie sind zu jung. In ein, zwei Jahren sind sie noch zu jung.
Und wenn wir läger bleiben? Ein echter Familienbetrieb. Balkan Grill arbeitet so. Marko, seine Frau, seine beiden Söhne und die Schwiegertochter, sie arbeiten zusammen, das Geld bleibt in der Familie und allen geht´s gut. Sein eigener Chef sein, in seinem eigenen Haus arbeiten, das ist goldwert. Der Geldbeutel immer in deiner Hand!
Ich möchte ihnen so gerne all das ersparen, was wir am Anfang durchmachen mussten. Arme, ungebildete Bauernkinder. Wie sie uns nur rumgescheucht haben! Wir hatten ja gar keine Ahnung, auf was wir uns eingelassen haben. Wir waren dumm, ahnungslos, roh. Kein Wort Deutsch. Und von der Gastronomie verstanden wir nichts. Und sie schubsten uns, brüllten uns an, nannten uns ´Idiot, Dummkopf, Bauernsohn.´
Und sieh mich jetzt an! Der Bauernsohn hat ein eigenes Restaurant, trägt ein gebügeltes Hemd, ist parfümiert, macht Tausende von Mark Umsatz in der Woche, fährt einen Mercedes und hat ein Haus in Split.
Der Bauernsohn hat seine Familie und die seiner Frau gerettet. Deren Häuser ausgebessert, vor dem Hunger und der Schande bewahrt. Die Geschwister ausgebildet. Meine Schwester ist heute stellvertretende Hoteldirektorin in Opatija. Das hat sie mir zu verdanken. Ich habe ihre Schule bezahlt, ihre Buskarte, ihre Schuhe und die Arbeitsuniform. Als ob mein Bruder es geschafft hätte, auf den größten Schiffen der Welt zu arbeiten, wenn ich nicht die Agentur geschmiert, ihm die Fahrkarte gekauft und noch ein paar Hundert Mark in die Tasche gestopft hätte. Nein, er würde noch immer ein ganz gewöhnlicher Bauernsohn sein und die Felder beackern. Und mit den beiden anderen war es genauso.
Ich, Ivan, habe sie alle aus der Armut befreit.
Dafür hat Ivan von 1972 bis 1985 ohne einen einzigen freien Tag durchgearbeitet.
Danach fragt keiner.
Dreizehn Jahre lang ohne einen einzigen freien Tag!
Gut, die paar Tage im Sommer. Aber was sind schon ein paar Tage. Du fährst los, kommst an, verteilst Geschenke und fährst wieder zurück. Nein, Urlaub war das nicht.
Und als ich später in Balkan Grill oder in Split Grill einen freien Tag hatte, dann bin ich zu Manda und habe bei ihr gearbeitet.
Heute ist alles anders. Heute haben wir montags Ruhetag. Der Mensch braucht einen freien Tag. In ein, zwei Jahren wird Ivan aufhören zu arbeiten und jeden Tag frei haben.
Alles ist fertig, alles ist schön.
„Hast du den Fisch rausgeholt? Du weißt, Forelle Blau kommt noch vor zwölf."
„Kümmere du dich um deinen eigenen