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DER HUT DES KOMMISSARS - GRIESSBÜHLS ZWEITER FALL: Ein München-Krimi
DER HUT DES KOMMISSARS - GRIESSBÜHLS ZWEITER FALL: Ein München-Krimi
DER HUT DES KOMMISSARS - GRIESSBÜHLS ZWEITER FALL: Ein München-Krimi
eBook347 Seiten4 Stunden

DER HUT DES KOMMISSARS - GRIESSBÜHLS ZWEITER FALL: Ein München-Krimi

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Über dieses E-Book

Ein seltener Fall: Schon in der Mordnacht stellt sich der Arzt Dr. Marahn freiwillig und gibt zu Protokoll, den Geliebten seiner Frau, den Architekten und Baumeister Brumerus, in dessen Jagdhaus erschossen zu haben. Das Tatmotiv ist ebenso ungewöhnlich wie glaubwürdig: Der vielbeschäftigte Arzt beging das Verbrechen, weil er es nicht ertragen konnte, dass die von ihm geliebte Frau für den anderen Mann nur ein Spielzeug war und in ihrer leidenschaftlichen Hingabe an den Architekten ihr Gesicht verlor.

Nur der Rechtsanwalt des Arztes, ein alter Freund des Hauses, glaubt nicht an die Tat und unternimmt auf eigene Faust Recherchen. Das Ergebnis ist verblüffend: Kommissar Griessbühl muss den Fall noch einmal aufnehmen...

 

Werner Steinberg (* 18. April 1913 in Neurode, Schlesien; † 25. April 1992 in Dessau) war ein deutscher Schriftsteller, der auch unter den Pseudonymen Udo Grebniets und Udo Grebnitz publizierte.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe von Steinbergs München-Krimi Der Hut des Kommissars (erstmals im Jahre 1988 erschienen).

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum19. Mai 2021
ISBN9783748783268
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    Buchvorschau

    DER HUT DES KOMMISSARS - GRIESSBÜHLS ZWEITER FALL - Werner Steinberg

    Das Buch

    Ein seltener Fall: Schon in der Mordnacht stellt sich der Arzt Dr. Marahn freiwillig und gibt zu Protokoll, den Geliebten seiner Frau, den Architekten und Baumeister Brumerus, in dessen Jagdhaus erschossen zu haben. Das Tatmotiv ist ebenso ungewöhnlich wie glaubwürdig: Der vielbeschäftigte Arzt beging das Verbrechen, weil er es nicht ertragen konnte, dass die von ihm geliebte Frau für den anderen Mann nur ein Spielzeug war und in ihrer leidenschaftlichen Hingabe an den Architekten ihr Gesicht verlor.

    Nur der Rechtsanwalt des Arztes, ein alter Freund des Hauses, glaubt nicht an die Tat und unternimmt auf eigene Faust Recherchen. Das Ergebnis ist verblüffend: Kommissar Griessbühl muss den Fall noch einmal aufnehmen...

    Werner Steinberg (* 18. April 1913 in Neurode, Schlesien; † 25. April 1992 in Dessau) war ein deutscher Schriftsteller, der auch unter den Pseudonymen Udo Grebniets und Udo Grebnitz publizierte.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe von Steinbergs München-Krimi Der Hut des Kommissars (erstmals im Jahre 1988 erschienen).

    DER HUT DES KOMMISSARS

    Erstes Kapitel

    1.

    Der feuchte Kies knirschte. Der Mörder bemerkte es und trat einen Schritt seitlich auf den Rasen. Er blieb einen Augenblick stehen, sah sich um und stellte mit Genugtuung fest, dass die Fußspuren sich unter dem unablässig nieselnden Regen bald verwischen würden.

    Während er weiterging, fasste er mit der Rechten nach der Pistole, die er in die Jackentasche gesteckt hatte. Die Kühle des Metalls beunruhigte ihn nicht. Ohne Zögern näherte er sich dem Bungalow, dessen breites Parterrefenster offenstand. Dort vergewisserte er sich mit einem flüchtigen Blick, dass er nicht beobachtet worden war, und neigte sich ein wenig vor.

    Die Gestalt im Zimmer konnte er nur undeutlich erkennen. Offenbar suchte der Mann etwas auf dem Schreibtisch. Der Mörder drückte den halb angelehnten Fensterflügel mit der Linken weiter auf. Das Geräusch, das er so verursachte, war nur gering. Aber es genügte, den Mann im Zimmer aufmerksam zu machen. Er richtete sich auf und wandte den Kopf nach dem Fenster.

    Der Mörder zögerte nicht. Er zog die Pistole aus der Tasche und schoss.

    Der Knall war nur kurz und hart, und der Mörder dachte in diesem Augenblick, dass der Regen ihn rasch ersticken würde. Das dachte er in den Bruchteilen der Sekunde, bevor der Mann im Zimmer lautlos zusammenbrach.

    2.

    Erst in dem Augenblick, als in der herbstlichen Kastanienallee eine feuchte braune Blätterhand gegen die Windschutzscheibe klatschte, wurde es Dr. Walter Marahn bewusst, dass er sich in höchster Gefahr befand: Durch den blanken Kreisausschnitt der Scheibe, von dem das zuckende Spinnenbein des Wischers den feinen Staub des Regens wetzte, erkannte er den bedrohlichen Straßenbelag aus modernden Blättern, klaffenden Kastanienschalen, blankbraunen Früchten und Dreck.

    Er hob allmählich den Fuß vom Gaspedal, nahm behutsam den Gang heraus und blickte dabei immer wieder aufmerksam auf das Tachometer, dessen rotes Band allmählich von hundertzehn zurückglitt, bei neunzig unruhig schwankte, weil der Wagen ins Rutschen geriet, und dann stetig weiter absank.

    Während Marahn vorsichtig den Gang wieder hineinschob und langsam das Gaspedal niederdrückte, wurde ihm plötzlich deutlich, dass er sich wie ein Mörder auf der Flucht benommen hatte – bewusstlos vor pressender Furcht, entdeckt zu werden.

    Schweiß trat ihm auf die Stirn.

    Freilich – er hatte töten wollen. Aber er hatte sich das nicht vorgestellt wie einen Mord, sondern, nun, wie eine Exekution, wie die Hinrichtung eines Verurteilten, und zwar eines zu Recht Verurteilten.

    Während der Motor ruhig summte und Marahn trotzdem nicht, wie sonst, die Gelassenheit des sicheren Fahrers spürte, erinnerte er sich zurück und begriff, dass er sich bereits vor dem Schuss wie ein Mörder verhalten hatte.

    Dies alles war noch so verlaufen, wie er es geplant hatte – dass er den Wagen mehrere hundert Meter vom Haus entfernt hinter einer Wegbiegung abgestellt hatte, dass er selbst mit dem uneiligen Schritt des Spaziergängers dem Bungalow des Verurteilten zugestrebt, ja dass er stehengeblieben war, um, gleichsam in Nachdenken versunken, mit spitzem Zeigefinger die aufgesprühte Feuchtigkeit von der Kupferleiste der Pforte zu wischen. Auch diese Geste hatte er geplant, um sich den Anschein der Harmlosigkeit und des Zufalls zu sichern, sollte er von seinem Opfer beobachtet werden.

    In dem Augenblick jedoch, da er die Pforte aufdrückte und sicher sein konnte, dass sie entgegen seinen Befürchtungen nicht verriegelt war, schien er völlig umgewandelt: Er spähte hastig über die Schulter, ob ihn auch niemand wahrgenommen hatte, er spürte sein Herz hämmern, seine Schritte wurden kurz und fahrig, und als der feuchte Kies unter seinen Sohlen knirschte, erschrak er tödlich.

    Er wich auf den feuchten und weichen Rasen aus, und dessen leises Schmatzen versetzte ihm einen erneuten Schock. Unwillkürlich duckte er sich, und seine unruhigen Augen suchten, ob ihm ein Gesträuch Deckung bieten könnte. In den Achselhöhlen spürte er kalten Schweiß, spürte ihn tropfenweise die Haut hinunterrinnen.

    Das kalte Metall der Pistole, die er in der Jackentasche trug und die er jetzt mit der Rechten ergriff, trieb ihn geradezu an, er fand sich überraschend schnell bei dem offenen Fensterflügel, den er mit der Linken ein wenig weiter aufdrückte, ehe er in das dämmrige Zimmer hineinschoss und sich danach – immer noch ein Mörder – nach der Patronenhülse bückte. Nur der leichte Regen, der unaufhörlich niederrieselte, gab ihm die Kraft zur Flucht, weil er denken musste, dieses ständige feine Geräusch werde den kurzen harten Knall rasch ersticken.

    Aber er rannte, rannte in langen Sätzen, den Oberkörper vorgebeugt, nach allen Seiten spähend. Vor der Gartentür erschrak er vor seiner eigenen Flucht, schreckte zusammen bei dem Gedanken, er werde durch sein ungewöhnliches Gebahren die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und ging nun langsam. Dabei merkte er selbst, wie gezwungen und steif sein Schritt wurde.

    Kaum saß er im Wagen, als er rücksichtslos anfuhr und das Tempo ins Wahnwitzige steigerte, bis ihn endlich diese braune Kastanienhand zur Besinnung brachte.

    Marahn empfand Scham: Die Vollstreckung eines Urteils sollte es werden – nun erschien es ihm als ein simpler und verabscheuungswürdiger Meuchelmord.

    Er sah das Gesicht seiner Frau Margit vor sich, wenn er es ihr in wenigen Minuten sagen müsste – und er sah, wie es sich in Hass und Ekel verzerren würde.

    3.

    Margit Marahn stand am Fenster der kleinen Villa, die außerhalb der Stadt in den Faltenwurf zweier Höhenzüge versteckt war. Der Blick des erfahrenen Architekten hatte die Stelle gut gewählt: Sie gestattete zu gleicher Zeit Zurückgezogenheit und Ausblick in das Tal, durch das sich die Straße schlängelte. Hier wehrte sich das Grundstück durch ein schmiedeeisernes Gitter gegen Eindringlinge; wem jedoch der Zugang gestattet worden war, der fand sich vor einem einladenden, weiten englischen Rasen, der jetzt freilich struppig aussah wie das nasse Fell eines Köters.

    Die Frau stand bewegungslos und starrte durch den Rauchschleier des Regens; aber sie war ungeduldig und zornig.

    Er wusste genau, dass sie beabsichtigte, um diese Stunde wegzugehen, und er wusste, wohin; sie hatte es ihm heute Morgen gesagt, und er hatte genickt, wie er seit drei Jahren zu nicken pflegte, wenn sie ihm dergleichen sagte, mit seinem verschlossenen Gesicht, das ihr manchmal grau erschien.

    Obgleich sie wusste, wie ungerecht, ja vermessen sie war, ärgerte sie sich über ihn, weil er sie hinderte, pünktlich zu sein, obwohl ihm bekannt war, welch großen Wert sie darauf legte. Gut, er war Arzt, er hatte den Patienten zu helfen, wenn sie ihn riefen, er hatte sogar zu folgen, wenn sie ihn grundlos mit irgendwelchen Wehwehchen behelligten; er war vierzig, er musste daran denken, sich einen festen Patientenstamm zu schaffen. Das war schwierig; denn die Sommergäste, die Bad Berneck besuchten, kamen kaum je wieder, und die Einheimischen hielten an ihren Traditionen fest, und eine ihrer Traditionen war der alte vollbärtige Doktor Rübeland.

    Margit Marahn schob die Unterlippe vor; sie sah auf die Armbanduhr, sie fühlte ihren Zorn wachsen. Niemand hatte vor fünf Jahren ahnen können, dass es so kommen würde. Damals hatte ihr Mann seine Stellung als Stationsarzt an einer Bayreuther Klinik aufgegeben, weil er diese kleine Villa kaufen wollte, von der sie entzückt gewesen war, und selbst jetzt gestand sie sich, dass er damals noch mehr als nur seine Stellung aufgegeben hätte, um die Wünsche seiner Frau zu erfüllen, die er liebte und die gerade einundzwanzig geworden war.

    Beide hatten sie geglaubt, hier in einem Traumland leben zu können – die Krokusse hatten den Rasen freundlich gesprenkelt, als sie die Villa besichtigten, der Frühling war angebrochen.

    Bis vor drei Jahren...

    Sie atmete erleichtert auf: Den Weg herauf glitt ein gefälliger Opel Rekord.

    Als ihr Mann ausstieg, um das Tor zu öffnen, ging Margit Marahn mit raschen Schritten in den Flur, schlüpfte in den Mantel und prüfte vor dem Spiegel ihr Gesicht: ein junges Gesicht, in dessen Wangen hinein die tiefschwarzen Haare gebogen waren, die sie schlicht heruntergekämmt hatte, so dass die braunen Augen umso mehr auffielen.

    Als sie die leichten Schritte ihres Mannes vor der Tür hörte, wandte sie sich vom Spiegel ab und knöpfte den Mantel zu. Dann stand Marahn im Eingang, hager, mit eingefallenen Wangen und feuchtem Haar, sah sie mit seinen grauen Augen an, rührte sich nicht und bewegte die Lippen, ohne etwas zu sagen.

    Sie sagte: »So. Endlich bist du da. Ich gehe jetzt.«

    Er fand seine Stimme wieder; er sagte: »Brumerus ist tot« und stand da, hager, mit eingefallenen Wangen und ganz grau. Sie fühlte, wie sie weiß wurde. Ihre Stimme wurde spröde.

    »Was?«, fragte sie. »Was?«

    »Ja«, antwortete er, »Brumerus ist tot. Ich habe ihn erschossen.« Er rührte sich immer noch nicht.

    4.

    Brumerus hatten sie vor fast genau drei Jahren in Bayreuth kennengelernt. Sie waren dort auf einem Schaufensterbummel gewesen – eine Leidenschaft, der die junge Frau mit backfischhafter Begeisterung frönte – und hatten dann in der »Goldenen Klause« zu Abend gegessen. Diese Mahlzeiten in versteckten Lokalen hatten sie schon vor ihrer Ehe zu einem verliebten Spiel gemacht, in dem sie die verwöhnte junge Dame, er der aufmerksame Kavalier war. Wenn sie spätnachts ihre kleine Villa betraten, taten sie es wie ein junges Paar, das soeben zueinander gefunden hatte.

    Unbewusst füllten sie damit eine Lücke, eine Kluft, ein Vakuum. Er war von seinem ärztlichen Beruf, von dem unablässigen Kampf um die Erweiterung seiner Praxis wie ausgelaugt, und dann reichte es gerade noch zu einer flüchtigen Zeitungslektüre, zu einem gedankenlosen Fernsehen, zum zerstreuenden Blättern in einem Krimi; es reichte nicht mehr zum Studium ärztlicher Fachlektüre und schon gar nicht zur Sonntagsmalerei, die er in seiner Jugend eifrig ausgeübt hatte. Seine Frau wiederum war jung und schön, aber eben nur jung und schön, und sie betrachtete den Beruf der Hausfrau und Ehegattin als eine Art Hobby, das sie allerdings mit Grazie und Liebreiz betrieb. Ernsthafte Arbeit verrichtete sie nicht; den Rasen versorgte ein invalider Gärtner, die wirkliche Hausarbeit tat eine Haushälterin, die sie im Kreise ihrer Freundinnen mit dem Titel Raumpflegerin adelte, ohne es scherzhaft zu meinen.

    Und ein Kind war ihnen versagt geblieben.

    Obwohl es zwischen ihnen nie einen Streit gegeben hatte, fühlten beide die Leere, mit der die Tage und Wochen an ihnen vorbeistrichen, sie ahnten die Gefahr, dass sie in ferner Zukunft würden feststellen müssen, ihr ganzes Leben sei so vertan worden. Doktor Marahn versuchte dieser Erkenntnis dadurch auszuweichen, dass er noch mehr als bisher berufliche Anstrengungen unternahm Und häufiger und intensiver mit seinem Steuerberater konferierte. Es war, als wollte er aus dem wachsenden Gewinn seiner Praxis wie ein Unternehmer seine eigene wachsende Bedeutung ablesen. Seine Frau wiederum geriet in eine Art Kaufwut; sie erwarb alle nur denkbaren modischen Dinge für sich selbst und das Haus, ünd sie warf sie achtlos weg, sobald etwas anderes ihr modischer zu sein schien. Allerdings haftete dieser nutzlosen Tätigkeit eine Spur von Berechtigung an; denn die einflussreichsten Patienten, die wichtigsten Kollegen nebst ihren Gattinnen waren Gäste des Hauses, und der Erfolg, der so sichtbar präsentiert wurde, schlug sich in neuen Erfolgen Marahns nieder, dessen – nicht ganz gerechtfertigter – Ruf ihm zahlungskräftige Patienten anzog.

    Vermutlich hätte sich dieser Kreislauf ins Unendliche fortgesetzt, denn Marahn trug sich schon mit dem Gedanken, in dem schönen Berneck – oder vielmehr im gebirgigen Randgebiet – eine Privatklinik zu eröffnen. Da sie über die Autobahn leicht zu erreichen sein würde, rechnete er sich erheblichen Zuspruch aus. So also wäre es gekommen, wenn nicht Brumerus aufgetaucht wäre.

    Er hatte damals an dem Tisch gesessen, den Marahn für sich und seine Frau hatte reservieren lassen. Als der Ober sie dorthin geleitete, war Marahn verstimmt gewesen; aber Brumerus hatte mit so vollendeter weltmännischer Höflichkeit das Feld räumen wollen, dass dem Arzt eigentlich nichts anderes übriggeblieben war, als auf der Anwesenheit von Brumerus an ihrer kleinen Tafelei zu bestehen.

    Und seine Verstimmung verflog bald; denn Brumerus erwies sich als ein glänzender Gesellschafter, vollgestopft mit den lustigsten Anekdoten.

    Er mochte so alt wie Marahn sein; aber während der Arzt hager war, leicht vornübergebeugt ging und das schmale Gesicht eines Intellektuellen hatte, wirkte Brumerus, obwohl er groß war, eher massig. Er trug das Haar peinlich genau zurückgebürstet, besaß scharfe graue Augen unter leicht vorgezogenen Dächern beinahe buschiger Brauen, füllige Wangen, eine gerade, stumpfe Nase und einen Mund, dessen Lippen abzulesen war, dass er zu genießen wusste – was immer es sein mochte. Seine Hände wirkten keineswegs elegant, und doch fühlte sich die junge Frau von ihnen angezogen, weil sie außerordentlich gepflegt erschienen.

    Jedenfalls verlieh Brumerus diesem Abend einen unerwarteten Reiz, und auch Marahn war mehr als versöhnt. Außerdem aber zollte Brumerus der jungen Frau derart ritterliche Aufmerksamkeiten, dass sich zwischen ihm und Marahn bald ein stummer Wettlauf entspann, den sich Margit gern gefallen ließ. Die doppelte Huldigung, die ihr so dargeboten wurde, verwandelte ihr Spiel zu zweit in ein Spiel zu dritt, aber auf jeden Fall vorerst nur in ein Spiel, ein Gesellschaftsspiel, bei dem man die Würfel jederzeit aus der Hand legen konnte, wenn es einen ermüdete oder ärgerte.

    Als sich zu später Stunde herausstellte, dass Brumerus in Berneck einen Bungalow gemietet hatte, in dem er sich zur Zeit aufhielt, als die Marahns in ihm also sozusagen einen Mitbürger mit ähnlichem Geschmack an der herben Landschaft fanden, bekam das Gespräch eine neue, persönlichere, ja fast freundschaftliche Note, und es war selbstverständlich, dass man gemeinsam aufbrach, um über die Autobahn nach Berneck zu fahren.

    Vor der Klause begab sich dann noch ein kleiner, chevaleresker Zwischenfall.

    Brumerus fuhr einen Borgward Isabella. Seit dieser Wagen auf den Markt gekommen war, war es Margit Marahns sehnlicher Wunsch, ihn zu besitzen. Er war ein junger Wagen – er passte zu ihr! Und selbst der Motor, den die Fachpresse tadelte, zog sie an: Der empfindliche Motor für eine empfindsame junge Frau, so etwa mochte sie fühlen.

    Aber ihr Mann lächelte diesmal nur zu ihrem Wunsch; er gab nicht nach. Er liebte seinen gelben Opel, dessen freundliche Farbe – er als einer der ersten gewählt hatte, und wenn er das Modell auch wechseln würde – der Farbe würde er treu bleiben und seinem freundlichen Opel auch.

    Es war selbstverständlich, dass Brumerus die junge Frau zu einer Art Probefahrt einlud, und Marahn ließ sich gutmütig gefallen, dass sie ihn mit dieser Einladung ein wenig verspottete.

    Erst als die Isabella auf der Autobahn sich von hinten langsam gegen seinen Opel vorschob und ihn überholte, wobei Marahn die lustig winkende Hand seiner Frau wahrnahm, begann er sich zu ärgern. Es war ein leichter Ärger, der gleich wieder verflog, als ihn seine Frau in der Villa lachend empfing.

    Vielleicht wusste sie um jene Stunde selbst noch nicht, dass es damals begonnen hatte; aber es hatte damals begonnen, und vor Sekunden hatte ihr Mann, reglos in der Tür stehend, gesagt: »Ja, Brumerus ist tot. Ich habe ihn erschossen.«

    5.

    Margit Marahn fühlte nicht nur, wie sie weiß wurde, sie spürte plötzlich, dass sie fror. Mühsam sagte sie: »Das ist nicht wahr!«

    Ihre Worte waren kaum verständlich.

    Marahn starrte sie an, er erwiderte: »Ich habe ihn wirklich erschossen, Margit!« Er rührte sich dabei nicht.

    Ihre Augen weiteten sich unnatürlich. Sie ging auf ihren Mann zu, und das fiel ihr so schwer, als müsste sie durch ansteigendes körniges Eis waten, und so kalt war es auch; sie fror schrecklich, sie bebte vor Kälte.

    Marahn konnte nichts denken; er sah sie auf sich zukommen wie eine aufgezogene Schaufensterpuppe – fremd, leblos.

    Vor ihm blieb sie stehen, und im gleichen Augenblick schlug sie mit voller Kraft in sein Gesicht.

    Seine Brille klirrte auf den Boden; er bückte sich und tastete mit blinden Fingern danach.

    Seine Frau sah ihm zu. Sie konnte nichts sagen, sie konnte sich nicht rühren; er erschien ihr wie ein grauer, fürchterlicher Käfer.

    Als er sich aufrichtete und die Brille aufsetzte, schrie seine Frau laut auf, rannte in das Wohnzimmer, schmiss sich in eine Ecke der Couch, krümmte sich zusammen, schrie immer noch und brach dann in verzweifeltes Schluchzen aus.

    Das alles hatte sich Doktor Marahn völlig anders vorgestellt; er verabscheute sich selbst. Wie er die Geräusche aus dem Nebenzimmer hörte, verursacht vom maßlosen Jammer seiner Frau, presste er die Augenlider zusammen und verzerrte das Gesicht: Es war ihm unerträglich.

    Er atmete tief auf und ging die paar Schritte durch den Korridor zum Zimmer. Dabei sah er unwillkürlich in den Spiegel, in den noch vor welligen Minuten seine junge Frau geschaut hatte, und er erschrak vor seinem verwüsteten Gesicht. Er wollte sie von der Tür her anrufen, aber die Stimme versagte ihm angesichts ihrer Verzweiflung. Niemals hätte er geglaubt, dass seine sanfte und verspielte junge Frau, die ihm immer noch mädchenhaft erschien, eines solchen Ausbruchs fähig wäre.

    Vor kurzem war er davon überzeugt gewesen, das Richteramt übernehmen zu müssen. Jetzt stellte er alles in Frage.

    Er wusste, dass seine Frau diesen Brumerus liebte, mit einer Leidenschaft und Hingabe, wie sie ihm wahrscheinlich nie zuteil geworden waren. Nach jener Autofahrt hatte sie eine Einladung angenommen und Brumerus in seinem Bungalow besucht. Marahn war durch seinen Beruf gehindert gewesen, daran teilzunehmen. Auch in der Folgezeit trafen sich die beiden, sofern Brumerus sich wieder einmal – was nicht allzu häufig vorkam – in Berneck von seinen Geschäften erholte. Auch gemeinsame Autofahrten unternahmen sie. Anfangs war Marahn dem anderen dafür dankbar gewesen, dass er der jungen Frau einige Abwechslung in dem eintönigen Leben am Rande eines so kleinen Ortes verschaffte.

    Nach kurzer Zeit hatte er allerdings eine befremdliche Veränderung im Verhalten seiner Frau bemerkt; sie war ihm gegenüber nervös und unsicher, sie entzog sich seinen Liebkosungen. Erst, als sie ihm vorschlug, getrennte Schlafzimmer einzurichten, fragte er sie.

    Sie gestand ihre Leidenschaft, sie gestand, dass sie nicht imstande wäre, sich von Brumerus zu lösen.

    Obwohl er Schmerz empfand wie nie in seinem Leben, fühlte er Mitleid mit ihrem hilflosen Ausgeliefertsein.

    Wenig später fragte sie ihn, ob er sich von ihr trennen wollte. Sie sah ihn dabei nicht an. Natürlich hatte er diesen Gedanken erwogen, aber er hatte gefunden, es wäre für ihn unvorstellbar, in einem Haus zu leben, in dem sie nicht anwesend wäre, wie er sich auch nicht denken konnte, eine andere Frau zu sich zu holen. Also verneinte er die Frage. Auf seine Gegenfrage, ob sie nicht für immer zu dem anderen gehen möge, zuckte sie nur die Schultern und antwortete nicht. Er forschte ihren Gründen nicht nach.

    So blieb nach außen hin alles so, wie es gewesen war. Die Gäste, die sie freundlich empfingen, merkten nichts davon, dass sie vor einer im Grunde zerstörten Ehe standen.

    Er hatte versucht, einiges über seinen Rivalen zu erfahren. Aber außer den Tatsachen, dass er in München seinen ständigen Wohnsitz hatte, offenbar über reichliche finanzielle Mittel verfügte und mit dem Bauwesen zu tun hatte, blieben die Nachrichten aus. So musste er sich mit diesem mageren Ergebnis bescheiden.

    Allmählich pendelte sich das Leben zwischen Marahn und seiner Frau auf eine Art distanzierter Freundschaft ein. Vermutlich wäre das auf Jahre hinaus so geblieben, wäre Marahn nicht einige Monate vor seiner Tat auf eine ungewöhnliche Fahrigkeit seiner Frau aufmerksam geworden, die dann wieder abgelöst wurde von einem minutenlangen Starren irgendwohin.

    Marahn konnte das Rätsel zunächst nicht lösen.

    An einem außergewöhnlich blauen Sommertag jedoch kehrte er unerwartet zeitig heim; das Haus war leer. Er war verwundert, argwöhnte jedoch nichts Böses. Die Zimmer indessen, in denen er untätig umherging, wirkten auf ihn wie Höhlen und machten ihn nervös; er trat vor das Haus, der volle Prall der Sonne blendete seine Augen. Er tauchte zum ersten Male wieder in den Sommer ein, den er über seiner Praxis gar nicht mehr wahrgenommen hatte, hörte das dringliche Summen der Bienen, sah den stummen Schaukelflug der Falter, atmete den betörenden Duft des Heus.

    Er schlenderte ziellos auf dem Rasen umher, die Hände in den Hosentaschen, das Hemd geöffnet; er stieg den Hang hinan hinter das Haus, wo ein dichter Bestand von Mischwald begann, in den er hineinstrich.

    Und blieb plötzlich stehen, weil in einer Mulde unter einem Brombeerstrauch seine Frau lag. Es sah aus, als hätte sie sich in einem Nest versteckt, der Körper war zusammengezogen, die Augen waren geschlossen, über dem rechten Ohr lag ihre Hand: Nichts sehen und nichts hören.

    Er betrachtete sie, er stutzte: Das alles war so außergewöhnlich – und plötzlich war er nicht der Ehemann dieser Frau, er war der Arzt. Um sie nicht zu erschrecken, ging er gerade so laut auf sie zu, dass sie es hören musste, und setzte sich neben sie. Er rupfte einen Grashalm aus und spielte damit. Dabei begann er zu erzählen und bemühte sich, seiner Stimme einen harmlosen und beruhigenden Klang zu geben. Eigentlich tat er, als wäre es alltäglich, gerade hier, gerade so zu sitzen und zu sprechen.

    Er berichtete von seiner Praxis, von seinen Erfolgen, kleinen Ärgernissen, fragte sie um Rat, gab sich aber selbst die Antworten und steuerte – unbemerkbar, wie er glaubte – auf ihre eigene Situation zu.

    Plötzlich setzte sie sich auf und sagte: »Hör auf! Hör doch endlich auf!« Er schwieg.

    Sie sagte: »Es ist mir so gleichgültig.«

    Mit Kummer sah er, dass ihr Gesicht verweint war, und sagte: »Ach Margit! Sieh dich doch um! Der Sommer...«

    Weiter kam er nicht. Sie sprang auf, sie stand zornig vor ihm und fuhr ihn an: »Etwas anderes weißt du nicht! Und mir ist, als wenn mir jemand die Kehle zudrückte!«

    Sie drehte sich mit einem Ruck um und rannte weg, auf das Haus zu, in dem sie verschwand.

    Er saß da, und seine Linke spielte, ohne dass er es bemerkte, mit einem Stückchen Moos, das er losgerissen hatte. Er sah sie immer noch rennen, die Margit, seine Frau – sie war gerannt wie ein kleines Mädchen.

    Langsam stand er auf. In das Haus wollte er jetzt nicht zurück, er wollte ihr nicht begegnen. Unschlüssig wanderte er über das Grundstück.

    Dann hörte er drunten auf der Landstraße ein Geräusch; es war der Borgward Isabella. Am Steuer erkannte er Brumerus. Neben Brumerus saß eine Frau. Sie war jung und unbeschwert, sie lachte, und in dem Augenblick, als der Wagen an dem Tor vorbeisurrte, sah Marahn, wie die Frau ihre Hand auf die Schulter von Brumerus legte und mit den Fingerrücken flüchtig liebkosend über seine Wange streichelte.

    Er wandte sich ab; das Geräusch des Wagens schwamm weg. Als er zum Hause hinaufstieg durch den duftenden Rasen, den er nicht bemerkte, fasste er den Entschluss, Brumerus zu töten.

    6.

    Nun stand er also an der Tür und sah den Jammer seiner Frau. Der Regen hatte sich verstärkt, er vernahm

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