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Es ist nichts vergessen: Ein Murgtal-Krimi
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Es ist nichts vergessen: Ein Murgtal-Krimi
eBook313 Seiten4 Stunden

Es ist nichts vergessen: Ein Murgtal-Krimi

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Über dieses E-Book

Ein zwielichtiger Journalist liegt erschossen auf einem Waldparkplatz – der Mord wühlt die Menschen im idyllischen Murgtal auf. Die Ermittler müssen immer tiefer in einen Abgrund von persönlicher Schuld, unausgesprochener Konflikte und vermeintlicher Familienehre eintauchen, um sich der Lösung zu nähern. Einem Abgrund, der bis in die Nazizeit zurückreicht und am Ende nicht nur ein Opfer fordert.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Jan. 2020
ISBN9783765021527
Es ist nichts vergessen: Ein Murgtal-Krimi

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    Buchvorschau

    Es ist nichts vergessen - Gerd Pfrommer

    überleben.

    EIN MORD AUS DEM NICHTS

    Frank Bartuschke wollte es sich gerade auf seiner Couch im Wohnzimmer gemütlich machen, als sein Handy klingelte. Dabei passte das Wort »gemütlich« eigentlich weder zu ihm noch zu seiner Wohnung. Sowohl im Wohnzimmer als auch in seinem kleinen Arbeitszimmer lagen überall ohne erkennbares System ganze Stapel von beschriebenen und unbeschriebenen Blättern herum und in seiner Küche dominierten leere Bierdosen sowie Wein- und Schnapsflaschen, die sowohl auf verschrammten Küchenmöbeln als auch auf dem schmuddeligen Boden standen und lagen. Frank ging es nicht besonders gut. Die Mischung aus Kaffee, Nikotin und Alkohol sorgte auch an diesem Abend für das obligatorische Schädelbrummen, verbunden mit leichten Schwindelgefühlen. Frank Bartuschke war ein Journalist, der nicht gerade auf einer Erfolgswelle schwamm. Er bestritt seinen kargen Lebensunterhalt schwerpunktmäßig mit Artikeln, die er als freier Mitarbeiter im »Murgtäler Boten« unterbrachte. Dabei war er von seinem journalistischen Talent überzeugt und träumte mittlerweile seit fast 25 Jahren von seinem Durchbruch, von einer »großen Story«, die ihn auf einen Schlag berühmt und vor allem reich machte. Seine Unzuverlässigkeit und sein unsteter Lebenswandel sorgten allerdings dafür, dass er sich bisher auf Berichte über Vereinsfeste, Fußballspiele der Kreisliga und Firmenjubiläen beschränken musste. Nun aber war er endlich an einem richtig heißen Thema dran – an einer Story, die ihn auf die Erfolgsspur bringen könnte.

    Das Handy klingelte und Frank war mit einem Schlag hellwach. Die weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung sprach leise, aber bestimmt. Sie wolle sich mit ihm treffen – nicht irgendwann und irgendwo, sondern bereits in 20 Minuten auf einem Waldparkplatz namens Mayersbild unterhalb des Friedhofs von Moosbronn. Frank war verwirrt – was wollte diese Frau gerade jetzt von ihm? Warum diese Eile und warum dieser gottverlassene Ort? Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, welches wichtige Geheimnis sie ihm offenbaren wollte und warum sie ihn nicht einfach am Telefon informieren konnte.

    Auf der anderen Seite baute sich aber schnell ordentlich Adrenalin bei ihm auf. Vielleicht gab es ja noch ein weiteres interessantes Detail, eine wichtige Botschaft, die seine Story noch kraftvoller, noch spannender machen würde. Es ging schließlich um die Story, in die er alle Hoffnung für eine positive Wende seines Lebens legte. Endlich sah er Licht am Ende des Tunnels. Endlich würde sein permanenter Abstieg zu Ende gehen, endlich sah er die Chance, zukünftig wieder selbstbewusst in den Spiegel zu schauen. Er ignorierte seine Kopfschmerzen und seinen Alkoholpegel, setzte sich in seinen klapprigen Opel Kadett und fuhr mit einer Geschwindigkeit, welche die alte Rostlaube fast überforderte, von Gaggenau nach Michelbach und dann weiter den Berg hinauf in Richtung Moosbronn.

    Der Waldparkplatz Mayersbild lag, von dem kleinen Fachwerkdorf Michelbach kommend, auf der linken Seite der Landstraße. Er wurde vor allem von Wanderern benutzt, die hier ihre Fahrzeuge abstellten, um zu Spaziergängen oder Wanderungen auf dem Hochplateau zwischen Murgtal und Albtal aufzubrechen. Jetzt, da ihn bereits die Dunkelheit verschluckte, lag der Parkplatz leer und verlassen am Waldrand.

    Die Frau, die ihn angerufen hatte, war offensichtlich noch nicht da – jedenfalls war außer seinem eigenen Auto kein weiteres Fahrzeug zu sehen. Aber er war ja auch gut fünf Minuten zu früh dran. Frank Bartuschke beschloss, noch ein wenig frische Luft zu schnappen und sich die Beine zu vertreten. Er stieg aus und lief den Rand der kleinen Parkbucht ab. Als er etwa 20 Meter von seinem alten Opel Kadett entfernt war, hörte er ein Rascheln im Gebüsch und ein leichtes Knarren. Vielleicht fühlte sich ein Tier von ihm gestört. Er schaute auf die Uhr und dachte noch kurz darüber nach, warum Frauen meistens zu spät kommen. In diesem Moment traf ihn ein gewaltiger Schlag an der Stirn, er spürte noch kurz einen heftigen Schmerz im Kopf – danach spürte er gar nichts mehr.

    Am nächsten Nachmittag parkte eine dreiköpfige Wandergruppe ihr Fahrzeug am Waldparkplatz Mayersbild, um zu einem Spaziergang auf den Mahlberg aufzubrechen und danach in dem kleinen Wallfahrtsort Moosbronn einzukehren. Die gutgelaunten Frührentner wollten gerade ihren Kurztrip beginnen, als sie am äußersten Rande des Parkplatzes einen am Boden liegenden Mann sahen. Zuerst dachten sie, dass ein alkoholisierter Zeitgenosse seinen Rausch ausschläft. Beim näheren Hinsehen sorgte dann aber ein kleines Einschussloch im Kopf des Mannes dafür, dass ihre gute Laune schlagartig von Entsetzen, Schrecken und Fassungslosigkeit abgelöst wurde. Immerhin waren sie noch in der Lage, über den Notruf das Polizeirevier in Gaggenau anzurufen und eine präzise Lagebeschreibung durchzugeben.

    Polizeihauptkommissar Thomas Biedermann nahm den Anruf der Rentner entgegen und sagte nach einem tiefen Schluck aus der Kaffeetasse zu seinem Kollegen Adrian Körbel, dass wahrscheinlich ein paar notorische Tatort-Gucker ein totes Wildtier mit einer menschlichen Leiche verwechselt hätten. Ohne besondere Eile machten die beiden sich auf den Weg zum Parkplatz.

    Dort angekommen, schaute sich Thomas Biedermann nach einem kurzen Gespräch mit den immer noch aufgeregten Rentnern das am Rande des Parkplatzes liegende Lebewesen etwas genauer an. Es handelte sich tatsächlich um einen Menschen, der von einem Projektil mitten in die Stirn getroffen worden war. Der Hauptkommissar murmelte ein kaum hörbares »So ein Scheiß« in seinen Dreitagebart und umrundete dann schweigend das Opfer. Adrian Körbel hielt sich dezent im Hintergrund und schaute seinen Kollegen fragend an.

    »Sieht wohl nicht gut aus?«

    »Mit so einem Loch im Kopf fühlt man sich selten wohl«, brummte der Kommissar. Danach forderte er seinen Mitarbeiter auf, die Kavallerie in Karlsruhe anzurufen. Er meinte damit das große Aufgebot mit Spurensicherung, Rechtsmediziner und Kripo, das bei mutmaßlichen Kapitalverbrechen zum Einsatz kommt.

    Noch waren die beiden Kommissare mit den drei Wanderern allein. Adrian Körbel überspielte seine Anspannung, indem er routinemäßig die Personalien der drei Zeugen aufnahm und versuchte, ihre Aussagen zu Protokoll zu nehmen. Dies war nicht ganz einfach, denn die drei immer noch aufgeregten älteren Herrschaften schnatterten wild durcheinander. Irgendwann platze dem Hauptkommissar der Kragen und er blaffte seinen Mitarbeiter an: »Das bringt doch nichts, die sind doch schlimmer als zehn Waschweiber!« Dabei waren die schnatternden Rentner nicht wirklich die Ursache seiner schlechten Laune. Er ärgerte sich vor allem über die bevorstehenden Diskussionen und Abstimmungen mit den verschiedenen Polizeidienststellen. Sein jüngerer Kollege Adrian Körbel konnte dagegen seine Aufregung nur schwer unterdrücken – einen Mordfall im eigenen Revier hatte man schließlich nicht alle Tage.

    Kurz darauf kam das große Aufgebot mit Blaulicht und Martinshorn angerauscht, obwohl auf der kleinen Landstraße zwischen Michelbach und Moosbronn um diese Zeit eher mit Wildwechsel als mit Gegenverkehr zu rechnen war. Frankie Schmidtke, ein schnittiger, junger Kripobeamter mit reichlich Gel im Haar, und seine noch jüngere, taffe Kollegin Christine Carl stiegen aus und verbreiteten sofort eine Aura von Überlegenheit und Wichtigkeit. Bald darauf kamen auch die Spurensicherung und der Rechtsmediziner aus Karlsruhe angefahren. Der Tatort wurde angestrahlt und abgesperrt, die technischen Hilfsmittel zur Spurensicherung ausgebreitet.

    Die ersten Erkenntnisse waren dann schnell gewonnen. Das Opfer hatte seinen Personalausweis, seinen Führerschein und einen Presseausweis in seiner abgewetzten Lederjacke stecken. Der Todeszeitpunkt wurde vom Rechtsmediziner, mit dem üblichen Hinweis auf noch bestehende Unsicherheiten, auf den Zeitraum zwischen 20 und 24 Uhr am gestrigen Abend, dem 6. April 2017, eingegrenzt. Es war einigermaßen ungewöhnlich, dass sich Menschen um diese Zeit auf diesem abgelegenen Waldparkplatz aufhielten. So konzentrierten sich die ersten Gespräche schnell auf die Frage, ob der Parkplatz auch der Tatort war, oder ob das Opfer nach der Tat dorthin transportiert worden war. Unmittelbar am Fundort der Leiche wies allerdings nichts auf eine Anlieferung des Opfers mit einem Fahrzeug hin. Weitere hilfreiche Erkenntnisse konnten die Experten des medizinischen und technischen Bereichs am Tatort zunächst nicht gewinnen. Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob das Opfer ohne Gegenwehr und ohne Vorwarnung erschossen, oder besser gesagt, hingerichtet worden war. Der mutmaßliche Tatort machte jedenfalls nicht den Eindruck, als würden viele Spuren den Ermittlern die Arbeit erleichtern.

    Mit erkennbar schlechter Laune vernahm Frankie Schmidtke die drei wackeren Wanderfreunde. Er nahm die arglosen Rentner so scharf und unbarmherzig in die Mangel, dass diese fast bedauerten, die Polizei gerufen zu haben. Seine Kollegin beschäftigte sich währenddessen schwerpunktmäßig mit ihrem Smartphone und schien die Welt um sich herum vergessen zu haben. Hauptkommissar Biedermann erlöste die Wanderfreunde, indem er in das Spontanverhör seines Kollegen Schmidtke eingriff und den drei Zeugen mit seiner lauten Bassstimme mitteilte, dass sie morgen zwischen 10 und 12 Uhr auf das Revier nach Gaggenau kommen sollten, um dort das Protokoll aufzunehmen. Die Rentner waren ihm dankbar und die wütenden Blicke seines Kollegen Frankie Schmidtke nahm er dafür billigend in Kauf.

    Die ersten Ermittlungen im Umfeld des Mordopfers führten die Beamten der Polizeidienststelle Gaggenau schnell zu Bärbel Müller. Frau Müller lebte bis vor wenigen Monaten mit dem Mordopfer zusammen. Den ersten Hinweis auf diese Beziehung steuerte Kommissar Adrian Körbel bei, der sowohl das Mordopfer als auch seine Freundin oder besser gesagt Ex-Freundin flüchtig kannte. Die Wohnung von Frau Müller in der Bismarckstraße lag ganz in der Nähe der Polizeistation. Die beiden Polizisten gönnten sich deshalb einen kurzen Spaziergang, bevor sie Bärbel Müller die traurige Nachricht überbrachten.

    Die eher burschikose Frau um die 40 mit pflegeleichter Kurzhaarfrisur war offensichtlich erst vor kurzem nach Hause gekommen. Sie bereitete gerade das Abendessen vor und konnte sich zunächst einmal überhaupt nicht erklären, was die beiden Polizisten an ihrer Haustüre wollten. »Was kann ich für sie tun?«, fragte sie mit unsicherer Stimme. »Dürfen wir reinkommen?«, fragte Thomas Biedermann und Adrian Körbel ergänzte: »Es geht um Frank Bartuschke.« Sie bat die beiden Polizisten ins Wohnzimmer und hörte dann mit versteinerter Miene, dass eine männliche Leiche mit den Papieren ihres Ex-Freundes auf einem Waldparkplatz gefunden worden war. Die Frau saß geschockt und fassungslos in ihrem Wohnzimmersessel und war nicht in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.

    »Das kann nicht sein, es muss sich um ein Missverständnis handeln«, stammelte sie.

    Als sie sich etwas gefasst hatte, schilderte sie den beiden Polizisten mit tränenerstickter Stimme, dass sie sich vor etwa drei Monaten endgültig von Frank Bartuschke getrennt hatte und seit dieser Zeit nur noch selten Kontakt mit dem Journalisten hatte.

    »Ich habe immer befürchtet, dass es mit ihm ein schlimmes Ende nehmen würde«, seufzte die Ex-Freundin, bevor sie Adrian Körbel um ein Taschentuch bat, um sich die Tränen abzuwischen. Eine stichhaltige Begründung für diese gewagte These konnte sie allerdings nicht liefern. Die Polizisten baten sie, am nächsten Tag um 14 Uhr zu einer ersten Vernehmung auf das Revier zu kommen und ließen eine sichtbar verstörte und aufgewühlte Frau zurück.

    Noch am gleichen Tag stand die Befragung von Sandra Bertini auf dem Programm der Gaggenauer Polizisten. Auch hier war Adrian Körbel der Ideengeber. Da der ledige Beamte seine Abende lieber in örtlichen Kneipen oder bei abendlichen Events und Partys verbrachte, als vor dem heimischen Fernseher und deshalb viele Männer und Frauen in seiner Altersgruppe mit ähnlichem Freizeitverhalten kannte, hatte er bei den gerade anlaufenden Ermittlungen einen Informationsvorsprung. Thomas Biedermann und er nutzten diese Gunst der ersten Stunden. Sie ahnten, dass schon bald konkrete Aufträge und klare Dienstvorgaben aus Karlsruhe ihre Handlungsfreiheiten einschränken würden.

    Sandra Bertini betrieb eine Boutique in der Fußgängerzone von Gaggenau und war seit ihrer Schulzeit die beste Freundin von Bärbel Müller. Dadurch kannte sie auch Frank Bartuschke recht gut. Die Boutique hatte noch geöffnet, als die beiden Beamten den kleinen aber feinen Laden betraten. Sandra Bertini führte den überraschenden Besuch in ihr Büro. Natürlich hatte sie auch schon von dem Mord gehört.

    Sie berichtete den Polizisten, dass der Journalist enorme Spiel- und Wettschulden hatte und in diesem Zusammenhang auch das Konto der langen Zeit arglosen Bärbel Müller gnadenlos geplündert hatte. Immer wieder konnte Frank Bartuschke seine Freundin mit allerlei Ausreden und gelegentlichen Rückzahlungen ruhigstellen.

    »Ich konnte und wollte diesem Treiben nicht länger zusehen«, erläuterte die resolute Geschäftsfrau den Beamten. Gemeinsam hatten die beiden Frauen Inventur gemacht und dabei festgestellt, dass Frank bereits über 10.000 Euro vom Konto und vom Sparbuch seiner Freundin abgeräumt hatte. Das Geld hatte sich die Arzthelferin, die in einer kleinen, preiswerten Wohnung lebte, in mehreren Jahren mühsam zusammengespart. Für Bärbel Müller brach damals eine Welt zusammen. Sie trennte sich schweren Herzens von ihrem Freund und unternahm einige halbherzige Versuche, um wieder an ihr Geld zu kommen.

    »Das Problem war, dass Bärbel Frank im Grunde ihres Herzens immer noch liebte und ihm nicht wirklich wehtun wollte. Ich hätte den Kerl ganz anders angefasst«, gab Sandra Bertini sehr energisch zu Protokoll.

    »Aber ans Erschießen haben Sie nicht gedacht?«, fragte Thomas Biedermann trocken zurück.

    »Nee, ich habe mir eher überlegt, ihm die Eier abzuschneiden«, erwiderte Sandra Bertini.

    »Passen Sie nur auf, wenn Sie so was unseren Kollegen aus Karlsruhe sagen, dann erwirken die gleich einen Haftbefehl«, konterte der Polizeihauptkommissar. Nachdem sie genug geflunkert hatten, informierte Frau Bertini die Beamten noch darüber, dass sie ihrer Freundin einen Rechtsanwalt und ein Inkassobüro mit persönlichem Geldeintreiber empfohlen hatte. Bärbel hatte wohl bei beiden angerufen, aber die Kontakte dann offensichtlich nicht konsequent weiterverfolgt.

    »Ich habe dieses Thema dann auch nicht mehr angesprochen, weil es nur zum Streit zwischen uns geführt hätte«, sagte Frau Bertini noch, als sie die beiden Beamten verabschiedete.

    Am Samstag, dem 8. April, war eine Zusatzschicht für die ermittelnden Beamten auf dem Polizeirevier in Gaggenau angesagt. Die Befragung der drei wackeren Zeugen, die am Vortag die Leiche gefunden hatten, verlief unspektakulär und brachte keine neuen Erkenntnisse. Um die Mittagszeit störte dann das Kripopaar aus Karlsruhe die beiden Gaggenauer Polizisten beim improvisierten Mittagessen und sorgte dafür, dass zumindest Thomas Biedermann seine Pizza nicht mehr schmeckte.

    Adrian Körbel plauderte mit einigem Stolz über seine guten privaten Netzwerke in Gaggenau und berichtete auch ausführlich über ihre Gespräche mit Bärbel Müller und Sandra Bertini. Frankie Schmidtke hörte mit zunehmendem Interesse zu und entschied dann, dass seine Kollegin und er die um 14 Uhr anstehende Vernehmung von Frau Müller übernehmen würden. Thomas Biedermann warf seinem Kollegen einen bitterbösen Blick zu und murmelte leise, aber durchaus hörbar, einige Flüche in seinen Dreitagebart. Dann verkroch er sich sichtbar verärgert in sein kleines Büro.

    Frankie Schmidtke hatte nicht die Absicht, sich allzu lange mit diesem Mordfall in der Provinz zu befassen. Er wusste, dass sein Chef schnelle Lösungen liebte und erwartete. Der smarte, aber oft gereizt wirkende Beamte hatte bis jetzt nicht allzu viele Möglichkeiten gehabt, sich in schwierigen Fällen zu beweisen. Die schnelle Aufklärung dieses Mordfalles bot dem ehrgeizigen Polizisten die Chance, auf sich aufmerksam zu machen und die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen. Er hatte schon eine klare Vorstellung, wer der Täter bzw. die Täterin sein könnte. Aus seiner Sicht sprach alles für eine Beziehungstat. Die Ex-Freundin des Mordopfers hatte ein Motiv, da ihr Lover sie hintergangen und an den Rand des finanziellen Ruins getrieben hatte. Den Gaggenauer Polizisten hatte Frau Müller erzählt, dass sie zur Tatzeit angeblich allein zu Hause war. Dafür gab es natürlich weit und breit keinen Zeugen. Außerdem sprach einiges dafür, dass der Journalist aus freien Stücken zum Waldparkplatz gefahren war und dort etwas gesucht hatte oder sich mit jemandem treffen wollte. Auch dieser Punkt sprach aus Sicht von Kommissar Schmidtke eindeutig für einen Täter aus dem unmittelbaren Umfeld des Opfers.

    Gleich beim ersten Verhör konfrontierte der Kommissar die arglose Frau fast überfallartig mit einer Fülle von Fragen und Verdächtigungen. Diese Taktik verfehlte ihre Wirkung nicht. Frau Müller entgegnete dem Kommissar mit brüchiger Stimme: »Ich liebe Frank im Grunde immer noch, ich vermisse ihn, er fehlt mir sehr.«

    Der Kommissar erwiderte: »Hören Sie bitte auf mit diesem Schmierentheater, Ihr Freund hat Ihr Vertrauen missbraucht, er hat Sie belogen und betrogen – deshalb musste er sterben.«

    Frau Müller wurde zunehmend unsicher: »Das mit dem Geld habe ich irgendwie abgehakt, ich hatte seit Wochen keinen Kontakt mehr mit Frank.«

    »Ach! Sie liebten ihn, Sie wollten zu ihm zurückkehren, aber Sie hatten keinen Kontakt mehr zu ihm – es gab schon Menschen, die besser gelogen haben. Haben Sie wirklich nicht versucht, wieder an Ihr Geld zu kommen?«

    »Natürlich habe ich mit ihm vor ein paar Wochen über das Geld gesprochen und ich habe auch einen Rechtsanwalt beauftragt, mir in dieser Angelegenheit zu helfen.«

    Der Kommissar hatte seine Gesprächspartnerin nun endgültig verunsichert: »Merken Sie denn gar nicht, dass Sie sich mit jedem Satz selbst widersprechen? Ich habe in meiner Laufbahn schon Menschen kennengelernt, die in solchen Fällen auch andere Wege suchen, um wieder an ihr sauer verdientes Geld heranzukommen.«

    Damit hatte der Kommissar mit einem Zufallsschuss ins Schwarze getroffen. Frau Müller flüsterte unter Tränen.

    »Woher wissen Sie das? Ich habe nur ein einziges Mal mit diesem Geldeintreiber gesprochen, nur ein einziges Mal.«

    Frankie Schmidtke hatte das Verhör grob und unerbittlich geführt. Bärbel Müller schaute einige Male hilfesuchend zu Christine Carl, aber die junge Kommissarin beteiligte sich kaum am Verhör und machte sich stattdessen ohne allzu große Anteilnahme auf ihrem Smartphone Notizen. Am Ende des Verhörs forderte Frankie Schmidtke Frau Müller auf: »Gestehen Sie doch endlich die Tat, dann wird es Ihnen wieder besser gehen.«

    Die Ex-Freundin des Opfers konnte nur noch stammeln: »Ich war es nicht, ich könnte ihm doch nie etwas antun, ich habe ihn doch geliebt und mag ihn irgendwie immer noch.«

    Christine Carl reichte ihr ein Taschentuch und forderte sie ebenfalls auf, mit ihrem Gewissen ins Reine zu kommen. Bärbel Müller aber war nur noch ein Häufchen Elend. Sie sagte jetzt gar nichts mehr. Das schnelle Geständnis, das sich Frankie Schmidtke erhofft hatte, gab es nicht.

    Die beiden Gaggenauer Polizisten hatten das Verhör außerhalb des Gesprächsraumes mitverfolgt. Als Bärbel Müller den Verhörraum verlassen hatte, raunte ihr Thomas Biedermann kurz zu: »Mädel, besorge dir einen guten Anwalt, du wirst ihn brauchen.« Dann bat er sie mit lauterer Stimme, doch noch kurz in sein Büro zu kommen.

    Die Polizisten aus Karlsruhe hatten sich schnell ins Wochenende verabschiedet, deshalb konnte Thomas Biedermann offener reden. Er versuchte, die noch immer schluchzende Ex-Freundin zu beruhigen und zugleich Vertrauen aufzubauen.

    »Mädel, Sie müssen unbedingt mit offenen Karten spielen«, empfahl er ihr. »Hatten Sie wirklich Kontakt zu einer Inkassofirma oder einem Geldeintreiber?«

    »Ich habe von Sarah zwei Handynummern bekommen, und ich habe den Geldeintreiber auch einmal angerufen. Es blieb bisher aber bei diesem unverbindlichen Telefonat, wir hatten uns noch nicht getroffen«, erwiderte Frau Müller. Sie hatte jetzt das Gefühl, allmählich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.

    »Sie haben doch bestimmt nichts dagegen, wenn wir ihre Angaben überprüfen«, mischte sich Adrian Körbel ein. »Bitte geben Sie uns die Nummer ihrer Kontaktperson, damit wir dort anrufen können.« Bärbel Müller gab den Beamten, ohne lange nachzudenken die Adresse und die Handynummern, die ihr Sandra überlassen hatte. Es handelte sich um einen gewissen Antony Kazar, wohnhaft in Sasbachwalden im Ortenaukreis.

    Nachdem die ersten Gesprächs- und Verhörrunden abgeschlossen waren, fuhren Thomas Biedermann und Adrian Körbel zur Wohnung des Opfers. Dort war die Spurensicherung schon bei der Arbeit und es fiel allen Anwesenden schwer, in dem chaotischen Durcheinander einigermaßen den Überblick zu wahren. Trotzdem wurde relativ schnell deutlich, dass mehrere Briefe von Inkassofirmen, Rechtsanwaltsbüros und Privatpersonen in der Wohnung herumlagen – einige geöffnet, die meisten noch verschlossen. In all diesen Schreiben wurde Herr Bartuschke mehr oder weniger eindringlich darauf hingewiesen, dass er schnellst möglichst seine Schulden bezahlen solle. Ein erster flüchtiger Check der E-Mails bestätigte diesen Eindruck.

    »Ich denke, das Tatmotiv ›offene Forderungen‹ teilte sich unsere Frau Müller mit dem halben Murgtal«, sagte Thomas Biedermann zu seinem Kollegen.

    »Wir kommen nicht darum herum, eine Liste aufzustellen und allen Gläubigern einen Besuch abzustatten.«

    »Dann wissen wir, was wir die nächste Zeit zu tun haben«, erwiderte sein Kollege.

    »Naja, vielleicht können wir uns die Arbeit sparen, wenn unsere Kollegen aus Karlsruhe mit der Frau Müller schon ihre Täterin präsentieren«, brummte Kommissar Biedermann.

    Antony Kazar inspizierte seine gerade neu eingerichtete Wohnung über den Dächern von Sasbachwalden. Vom kleinen Balkon aus hatte er einen wunderschönen Blick auf die Rheinebene bis hinüber auf die Vogesen. Er genoss diesen Blick, vor allem aber genoss er die Anonymität seiner Unterkunft. Er hatte diese Wohnung vor einigen Monaten von einem Mann gemietet, der in Mannheim lebte und diese Zweitwohnung ursprünglich für eigene Kurzurlaube im Schwarzwald gekauft hatte. Inzwischen aber waren seine Frau und er zu alt für solche Ausflüge und der Rest der Familie hatte wenig Interesse an preiswerten Kurzurlauben im Nordschwarzwald. Die Kinder und Enkel flogen lieber in die Türkei oder nach Mallorca. Deshalb war der Mann dankbar, dass er einen Mieter für diese Wohnung gefunden hatte. Antony Kazar hatte ihm erzählt, dass er seine Ruhe brauche, weil er als Selfmademan Computerspiele entwickle und verkaufe.

    Das war nicht gelogen, denn einen wesentlichen Teil seines Einkommens bestritt der 45-jährige Kasache tatsächlich als IT-Entwickler. Zur Aufbesserung seines Gehaltes befasste er sich in seinem Nebenjob noch mit dem Eintreiben von Schulden aller Art. Er war mit seinem eigenartigen Mix aus Charme, Sturheit, Überzeugungsfähigkeit und der Bereitschaft, im Notfall auch seine persönlichen Folterwerkzeuge auszupacken, ein Geheimtipp in dieser Branche. Mit den Jahren hatte er sich einen guten Ruf aufgebaut, da er lautlos, präzise und konsequent arbeitete. Die meisten Gläubiger hatten schließlich kein Interesse daran, vor Freunden, Bekannten oder Verwandten offenzulegen, dass man sie über‹s Ohr gehauen hatte.

    Antony war froh und glücklich, dem mörderischen Bürgerkrieg in Tschetschenien lebendig und äußerlich unversehrt entkommen zu sein. Er war ein mutiger, aber vorsichtiger Kämpfer, der eine ganze Reihe von Menschen töten musste, um sich und seinen Kameraden das Überleben zu sichern. Mittlerweile war er in Deutschland angekommen und mit seinen Berufen und seinem Leben durchaus zufrieden. Die in seinem früheren Leben erworbenen Talente konnten ihm allerdings in kritischen Fällen durchaus noch hilfreich sein.

    In der nächsten Woche brachte bereits am Montagvormittag ein Anruf der Spurensicherung neue Bewegung in den Fall. In der Wohnung von Frank Bartuschke wurde Kokain gefunden, und zwar in Mengen, die eindeutig über einen möglichen Eigenbedarf hinausgingen und außerdem gut versteckt waren. Ein Journalist, der offenbar mit Kokain dealte, spülte natürlich eine ganze Reihe möglicher Mordmotive an die Oberfläche. Zumal Kokain die

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