Das Siwash-Mädchen: Wild-West Erzählungen
Von Emil Droonberg
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Über dieses E-Book
Vier spannende Geschichten aus dem kanadischen Felsengebirge und der Küste des Stillen Ozeans: Eine Winternacht im Felsengebirge. Die Fuchsfarm auf Bethnal Cove. Das Siwash-Mädchen. Die beiden Taucher.
Coverbild: © Fire_Irbis
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Das Siwash-Mädchen - Emil Droonberg
Zum Buch + Eine Winternacht im Felsengebirge
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Das Siwash-Mädchen
Emil Droonberg
Coverbild: © Fire_Irbis/Shutterstock.com
Eine Winternacht im Felsengebirge
In seiner Blockhütte in einem der einsamen Täler des Crows Hest Pass saß Eddy Fuller und lauschte dem wilden Heulen des Schneesturms. Die Blockhütte war ein vorgeschobener Posten der Canadian Pacific Telegraf Co., und Fullers Aufgabe bestand darin, die Telegrafenleitungen eine gute Anzahl Meilen auf und ab in Ordnung zu halten.
Er wusste, dass bei diesem Sturm früher oder später das Telefon klingeln würde, um ihn zur Ausbesserung zerrissener Telegrafendrähte zu rufen. Steigeisen, eine Drahtrolle und eine Tasche mit Werkzeugen lagen bereit; ebenso standen seine Schneeschuhe griffbereit neben der Tür, denn draußen lag der Schnee fünf bis sechs Meter hoch.
Touristen, die im Sommer die Felsengebirge durchstreifen, wundern sich oft, wenn sie hoch oben an den Baumstämmen ‚Blazes‘ (Wegzeichen) entdecken. Es ist ausgeschlossen, dass jemand ohne Leiter bis zu dieser Höhe klettern kann, um mit der Axt diese tiefe Kerbe in den Stamm zu schlagen. Aber viel weniger vorstellbar ist es auch, dass jemand eine Leiter mit sich schleppt, statt das Merkzeichen viel bequemer in Armhöhe anzubringen. Nur der Gegendkundige kann sagen, dass diese Zeichen von Telegrafenwärtern herrühren, die sie im Winter, wenn der Schnee viele Meter hoch liegt, dort angebracht haben, um auf ihren Dienstgängen den Weg nicht zu verlieren. Denn diese Dienstgänge erfolgen durchaus nicht immer entlang der Drähte, sondern oftmals quer durch das Land.
Die junge Frau des Telegrafenwärters legte noch ein paar Aststücke in den bereits rotglühenden eisernen Ofen, auf dem das Kaffeewasser zu singen begann.
Sie erschrak, als plötzlich das Telefon klingelte. Diese Nächte machten sie immer nervös, wenn Eddy hinaus musste in den Schneesturm, um erst nach Stunden halb erfroren und erschöpft zurückzukehren.
Als sie darauf wartete, dass Eddy den Ruf beantwortete, stellte sie sich die ein paar hundert Meilen entfernte Distriktsoffice mit ihrer Dampfheizung, den fortwährend summenden Drähten und klickenden Apparaten vor. Dort würde Mr Dale den Hörer am Ohr halten und, während er auf Eddys Antwort wartete, zu Mr Bury, dem Inspektor, sagen: „Die Störung ist in Fullers Bezirk, da brauchen wir keine Sorge zu haben. Auf Fuller kann man sich verlassen. Und wenn die gewöhnlichen Mittel nicht ausreichen, der erfindet immer was, um den Schaden zu beseitigen."
Das war immer die Zeit, in der man sich an die Existenz Fullers erinnerte, und natürlich auch an den üblichen Zahltagen, aber dann eben nur, weil sein Name auf der Lohnliste stand. Wenn es bessere Stellungen zu besetzen galt, dachte man nicht an ihn, die erhielten immer andere.
„Hallo, Dale!, hörte sie Eddy sagen. „Habe schon erwartet, dass irgendwo etwas passieren würde. Bin fertig zu gehen. Wo ist es? ... Ja, ich denke auch, dass es dort sein wird. Ich habe zwar letzten Herbst die Bäume, die zu dicht standen, umgelegt, aber wir haben hier einen Sechzigmeilenwind, der wird wohl irgendwo einen Ast abgebrochen und gegen die Drähte geschleudert haben ... All right ... Ja, ich gehe sofort!
Eddy Fuller hing den Hörer wieder an. Seine Frau hatte bereits begonnen, die Isolierflasche zu füllen.
Er bückte sich über das Kinderbett, in dem der kleine Eddy lag, und küsste ihn. Man war niemals sicher in solch einer Nacht, ob man zurückkehren würde. Sie hatten in der vergangenen Nacht Wolfsgeheul gehört, und die kanadischen Waldwölfe, im Gegensatz zu den amerikanischen, fallen den Menschen an, wenn sie hungrig sind. Das war es wohl auch, weswegen Mrs Fuller ihm den Browning reichte und so fest an seinem Hals hing, als er sich jetzt zum Gehen anschickte.
„Sei vorsichtig, Eddy!, bat sie aber nur. „Und rufe mich manchmal an.
Einen weit entfernt wohnenden Freund durch das Telefon anzurufen ist einfach, aber während Eddy in seine Schneeschuhe schlüpfte und seine Pfeife mit ein paar kräftigen Zügen in Brand setzte, fragte er sich unwillkürlich, ob die Leute eigentlich eine Vorstellung davon haben, was von der Hauptoffice bis zur entlegensten Wärterstelle alles erforderlich ist, um das möglich zu machen.
Das Laufen im treibenden Schnee war sehr beschwerlich. Hin und wieder blickte er nach den blanken Kupferdrähten, an denen er entlangging, um sich zu überzeugen, ob die Störung hier in der Nähe war oder auf den höher gelegenen Teilen des Passes.
Nach kurzer Zeit erreichte er den Eisenbahndamm, den die zweimal täglich verkehrenden Züge und der Schneepflug freihielten. Hier konnte er die lästigen Schneeschuhe ablegen. Es lief sich gut, und er kam rasch vorwärts, aber nach einer Meile musste er den Bahndamm wieder verlassen. Dann begann der Aufstieg.
Er kletterte mit angeschnallten Steigeisen die Telegrafenstange hoch, und eine Minute später klingelte in seiner Hütte das Telefon.
„Ich habe den Bahndamm erreicht, sagte er seiner Frau. „Hier sind die Drähte in Ordnung. Ich gehe jetzt den Fredenkamp-Rücken hinauf. Von dort rufe ich wieder an. Es schneit tüchtig. Aber sei ohne Sorge!
„Höre, Eddy, antwortete seine Frau, und ihre Stimme klang ängstlich, „Dale hat noch einmal angeklingelt, als du gerade fort warst. Der Zugführer von Nummer zwei hat ihm erzählt, dass er auf dem Fredenkamp-Rücken Wölfe gesehen habe. Es ist doch schon schlimm, wenn sie so dreist sind, dass sie sich sogar am Bahngleis sehen lassen. Er meint, du solltest vorsichtig sein. Und das meine ich auch. Und Bubi auch. Ich habe immer so große Furcht vor Wölfen gehabt. Wenn dir etwas passiert!
„Sorge dich nicht. Ich habe ja meine Steigeisen an. In der Not könnte ich da immer noch an einer Telegrafenstange hinaufklettern."
Er verstand es immer, in sorgenvollen Momenten munter und zuversichtlich zu erscheinen. Eine Weile wartete er auf ihre Antwort, so lange, dass er schließlich glaubte, die Verbindung sei unterbrochen.
„Hallo!", rief er.
„Ich bin hier, Eddy, kam die Antwort zurück, „aber ich habe gerade daran gedacht, dass die Wölfe dann unten warten würden, bis du erfroren bist und herabfällst. Du weißt, das tun sie.
„Das werde ich ihnen schon verleiden, beruhigte sie Eddy, „aber ich wünschte, sie kämen und jagten mich an einem Pfahl hinauf. Ich habe ja meinen Browning, und die Schießprämie für jeden Wolf ist zehn Dollar. Wir könnten das Geld gut gebrauchen. Also keine Sorge!
„All right!", versicherte Mrs Fuller. Er wusste genau, dass sie log und dass es mit ihr nicht eher all right sein würde, als bis er sicher wieder zu Hause wäre.
Er hatte die Schneeschuhe wieder angelegt. Trotzdem sank er bei jedem Schritt fußtief in den mehlartig feinen Schnee ein. Als er die Höhe erreicht hatte, fiel es ihm auf, dass das Heulen des Sturmes aufgehört hatte. Die Kälte war aber viel intensiver als zuvor. Und in dieser Kälte war die Stille, die jetzt herrschte, fast unheimlich. Es hatte aufgehört zu schneien und der Himmel leuchtete auf, wenn das Nordlicht seine bleichen Strahlenbündel spielen ließ.
Einen Augenblick empfand Fuller die Stille wie den Beginn einer Tragödie. Aber nur einen Augenblick lang. Dann war er wieder er selbst, der praktische, selbstsicher Eddy Fuller, Telegrafenwärter in Crows Hest Pass, denn er sah über sich einen zerrissenen Draht. Warum der zerrissen war, konnte er nicht feststellen. Die Kälte allein konnte es nicht gewesen sein, denn die Drähte sind nie ganz straff, sondern mit einem ausreichenden Spielraum gespannt. Aber Kälte und Sturm zusammen, sie waren wohl imstande, es zu bewirken.
Er kletterte an der Stange hinauf und erstattete zunächst Meldung an die Distriktsoffice. Dann rief er seine Frau an.
„Hier bin ich frisch und munter. Sehr frisch sogar in dieser infamen Kälte. Aber kein Wolf zu sehen! Ich werde den Schaden in einer halben Stunde wieder repariert haben. Dann komme ich heim. Was macht Bubi?"
„Er schläft."
„Gott segne den kleinen Kerl. Gut, dass ihn seine Zähne heute Nacht in Ruhe lassen. Also halte ein gutes Frühstück fertig, denn wenn ich heimkomme, wird es wohl bald Morgen sein. Good-bye!"
Drüben am Waldrand hatte sich ein herumstreifender Wolf in den Schnee gesetzt,