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Assassin's Creed Origins: Odyssey - Roman zum Game
Assassin's Creed Origins: Odyssey - Roman zum Game
Assassin's Creed Origins: Odyssey - Roman zum Game
eBook405 Seiten13 Stunden

Assassin's Creed Origins: Odyssey - Roman zum Game

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Über dieses E-Book

Mach dich bereit für eine Odyssee: tiefer ein in die Welt von Assassins Creed mit dem offiziellen Roman zum mit Spannung erwarteten neuen Game. Griechenland, im 5. Jahrhundert v. Chr. Kassandra ist eine Söldnerin spartanischen Geblüts, die von ihrer Familie zum Tode verurteilt und ins Exil verbannt wurde. Sie begibt sich auf eine epische Reise, um eine legendäre Heldin zu werden!
SpracheDeutsch
HerausgeberPanini
Erscheinungsdatum10. Nov. 2018
ISBN9783736799646
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    Buchvorschau

    Assassin's Creed Origins - Oliver Bowden

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    ASSASSIN’S CREED: DER EID

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    Der offizielle Roman zum Game Assassasin’s Creed: Revelations

    Oliver Bowden – ISBN 978-3-8332-2437-9

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    Der offizielle Roman zum Game

    Oliver Bowden – ISBN 978-3-8332-2700-4

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    Oliver Bowden – ISBN 978-3-8332-2893-3

    ASSASSIN’S CREED: UNDERWORLD

    Oliver Bowden – ISBN 978-3-8332-3170-4

    Infos zu weiteren Romanen und Comics unter:

    www.paninibooks.de

    GORDON DOHERTY

    Aus dem Englischen von

    Robert Montainbeau

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Englische Originalausgabe:

    ASSASSIN’S CREED: Odyssey by Gordon Doherty, published by Ubisoft and Penguin Books, England, November 2018.

    © 2018 Ubisoft Entertainment. All Rights Reserved. Assassin’s Creed, Ubisoft and the Ubisoft logo are registered or unregistered trademarks of Ubisoft Entertainment in the U. S. and/or other countries.

    No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

    Übersetzung und Lektorat: Timothy Stahl und Robert Montainbeau

    Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

    Chefredaktion: Jo Löffler

    Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

    Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

    YDACTP010E

    ISBN 978-3-7367-9964-6

    Gedruckte Ausgabe:

    ISBN 978-3-8332-3717-1

    1. Auflage, November 2018

    www.paninibooks.de

    Für meine Familie

    Liste der Personen

    Alexios Kassandras jüngerer Bruder, der nach einer vernichtenden Prophezeiung des Orakels von Delphi als Baby vom Taygetos-Gebirge geworfen wurde.

    Alkibiades Listiger und vergnügungssüchtiger Schutzbefohlener von Perikles, dem mächtigsten Mann in Athen.

    Anthousa Die oberste Hetäre im Tempel der Aphrodite in Korinth.

    Archidamos Der ältere von Spartas beiden Königen.

    Aristeus Der korinthische Strategos.

    Aristophanes Athens vielleicht berühmtester Komödienschreiber.

    Aspasia Als brillante Denkerin und Rednerin sowie Partnerin von Athens Oberhaupt Perikles bewegt sich Aspasia inmitten der pulsierenden intellektuellen Elite.

    Barnabas Treuer Freund von Kassandra, ein weit gereister Seefahrer und einstiger Söldner mit einer Vorliebe für Lügengeschichten.

    Brasidas Als einer von Spartas besten und tapfersten Feldherrn war Brasidas außerdem ein versierter Politiker, mit dem noblen Ziel, dabei zu helfen, den Krieg zu beenden.

    Chrysis Eine Kultpriesterin, die Deimos aufgezogen hat, damit er zu einer Waffe für den Kult des Kosmos wird.

    Deimos Aufgezogen im Kult des Kosmos, um dessen Held und Verteidiger zu werden, ist Deimos eine brutale lebende Waffe mit außergewöhnlichen Kräften, die ihm zu einem furchterregenden Ruf verholfen haben.

    Diona Eine Kultistin aus Kythera.

    Dolops Sohn von Chrysis und Priester im Heiligtum des Asklepios.

    Elpenor Ein reicher, mächtiger Geschäftsmann aus Kirrha.

    Erinna Eine von Anthousas Hetären.

    Euneas Navarchos der naxischen Flotte.

    Euripides Berühmter Athener Tragödiendichter.

    Hermippos Ein Bühnendichter und Poet … mit dunklen Beziehungen.

    Herodotos „Der Vater der Geschichte", ein Chronist von Fakten und Ereignissen und trotzdem ein guter Geschichtenerzähler, der sich dazu entscheidet, Kassandra auf ihrer Reise zu begleiten.

    Hippokrates Gemeinhin als Vater der modernen Medizin betrachtet, ist Hippokrates berühmt für seine wichtigen und nachhaltigen Beiträge auf diesem Feld.

    Höker, der Ein Kultist, der den Schattenmarkt kontrolliert und wegen seiner Foltermethoden gefürchtet ist.

    Hyrkanos Ein von den Athenern angeheuerter Söldner, der in Megaris tätig ist.

    Ikaros Kassandras treuester Gefährte, seit er ein Adlerjunges war.

    Kassandra Eine abgebrühte und Furcht einflößende Söldnerin.

    Kleon Der machthungrige Rivale von Perikles, der glaubt, dass Athen im Krieg eine aggressive Haltung einnehmen sollte.

    Leonidas Spartas legendärer König und Kassandras Großvater, der vor allem dafür berühmt ist, dass er seine dreihundert Krieger in die Schlacht bei den Thermopylen geführt hat.

    Lydos Ein Leibeigener im Dienst der beiden Könige von Sparta.

    Markos Ein zwielichtiger kephallenischer „Geschäftsmann".

    Myrrine Kassandras Mutter; eine leidenschaftliche Spartanerin.

    Nikolaos Kassandras Vater, ein harter, rücksichtsloser General von unerschütterlicher Loyalität gegenüber Sparta.

    Orakel von Delphi Das Orakel, das sowohl von gewöhnlichen Bürgern wie auch den mächtigsten Leuten in Griechenland befragt wird, liefert Prophezeiungen und Einsichten, die das Blatt der Geschichte wenden können.

    Pausanias Der jüngere der beiden Könige von Sparta.

    Perikles Das gewählte Oberhaupt von Athen.

    Phoibe Ein junges Waisenmädchen aus Athen, das von Kassandra adoptiert worden ist.

    Pythagoras Legendärer Philosoph, politischer Theoretiker und Geometer.

    Roxana Eine von Anthousas Hetären.

    Silanos Ein Kultist, der dank seiner seemännischen Fähigkeiten und wohlhabenden Unterstützer in Paros zu Macht gekommen ist.

    Sokrates Berühmter athenischer Philosoph, der von der intellektuellen Elite Athens gefördert wird.

    Sophokles Berühmter Athener Tragödiendichter.

    Testikles Der talentierte und stets berauschte Pankrationsmeister von Sparta.

    Thrasymachos Sokrates’ intellektueller Sparringspartner.

    Thukydides Einer von Athens wichtigsten Feldherrn während des Peloponnesischen Krieges und einer der ersten Geschichtenerzähler, der eine objektive Darstellung des Konflikts verfasst hat.

    Zyklop, der Mächtiger verbrecherischer Tyrann von Kephallenia.

    Prolog

    Sparta

    Winter, 451 v. Chr.

    Sieben Sommer lang trug ich ein Geheimnis in meinem Herzen. Eine Flamme, wärmend und wahr. Niemand sonst konnte sie sehen, aber ich wusste, sie war da. Wenn ich zu meiner Mutter und meinem Vater aufblickte, spürte ich jedes Mal, wie sie heller brannte, und wenn ich meinen kleinen Bruder betrachtete, spürte ich ihre Wärme überall in meinem Körper. Eines Tages wagte ich, meiner Mutter davon zu erzählen. „Du sprichst von Liebe, Kassandra, hatte sie geflüstert. Ihr Blick wurde unruhig, als fürchtete sie, jemand könnte sie hören. „Aber nicht von jener Art, wie sie bei Spartanern üblich ist. Spartaner dürfen nur das Land, den Staat und die Götter lieben. Sie hielt meine Hände umfasst, und ich musste ihr etwas schwören: „Erzähle niemals irgendjemandem von deinem Geheimnis!"

    In einer Winternacht, während eines heulenden Sturmes, saßen wir alle zusammen an unserer Herdstelle, in der ein Feuer prasselte. Der kleine Alexios in Mutters Armen, ich zu Füßen meines Vaters. Vielleicht trugen wir ja alle die gleiche geheime Flamme in uns? Der Gedanke zumindest tröstete mich.

    Und dann zerriss ein Geräusch die Stille in unserer warmen Zuflucht. Etwas kratzte vernehmlich an der Tür.

    Vaters ruhiger, gleichmäßiger Atem verstummte. Mutter presste den kleinen Alexios an ihre Brust und starrte zur Tür, als könnte nur sie dort einen Dämon im Schatten erkennen.

    „Es ist Zeit, Nikolaos", ertönte von draußen eine Stimme, die wie knisterndes Pergament klang.

    Vater erhob sich und schlang den blutroten Umhang um seinen muskelbepackten Körper. Sein dichter schwarzer Bart verhüllte jede Regung seines Gesichts.

    „Warte noch einen Augenblick", flehte Mutter ihn an, erhob sich ebenfalls und strich ihm über seine dichten, dunklen Locken.

    „Wozu, Myrrine?, entgegnete er knapp und wischte ihre Hand fort. „Du weißt, was heute Nacht geschehen muss.

    Damit wandte er sich der Tür zu und griff nach seinem Speer. Ich sah, wie die Tür knarrend geöffnet wurde. Der kalte Regen peitschte auf Vater ein, als er hinaustrat. Der Wind jaulte, und hoch über uns grollte Donner, als wir ihm, dicht an ihn gedrängt, ins Freie folgten, denn er war unser Schild.

    Und dann sah ich sie.

    Sie erwarteten uns in einem sichelförmigen Halbkreis. Die Priester mit nackter Brust und Kränzen auf der Stirn. Die grau gekleideten Ephoren – Männer, mächtiger selbst als die beiden Könige Spartas – trugen Fackeln, die im Unwetter knisterten und knackten. Das lange graue Haar des ältesten Ephoren peitschte im Wind, sein kahler Schädel glänzte im Mondlicht, während er uns mit blutunterlaufenen Augen musterte, die vom Alter langen, eng stehenden Zähne zu einem beunruhigenden Lächeln gebleckt. Er wandte sich ab und winkte uns wortlos, ihm zu folgen. Wir liefen hinter den Männern durch die Straßen von Pitana – meine Heimat und einer der fünf heiligen Orte Spartas –, und noch bevor wir das Umland erreichten, war ich nass bis auf die Haut und fror.

    Die Ephoren und Priester schritten, begleitet von ihrem eintönigen Singsang, der mit dem Heulen des Sturmes wetteiferte, durch die Tiefebene. Meinem Vater gleich benutzte ich meinen Halbspeer wie einen Wanderstock. Bei jedem Schritt bohrte sich das stumpfe Ende knirschend in den Boden. Allein diese zerbrochene Lanze in der Hand zu halten, ließ mich in seltsamer Weise erschauern, denn sie hatte einst König Leonidas gehört – dem schon lange verblichenen Heldenkönig von Sparta. Jede Seele aus Lakonia verehrte unsere Familie, weil das Blut Leonidasdurch unsere Adern floss. Mutter stammte von ihm ab, und daher tat ich es auch, ebenso wie Alexios. Wir waren die Nachfahren jenes großen Mannes, des Helden von den Heißen Quellen. Doch mein wahrer Held war Vater. Er lehrte mich, stark und flink zu sein – so zäh wie jeder spartanische Knabe. Trotzdem lehrte er mich nie die Geistesstärke, die ich bei all dem brauchen würde, was mir noch bevorstehen sollte. Doch gab es im gesamten Hellas auch nur einen Lehrer, der dazu in der Lage gewesen wäre?

    Wir erklommen einen Pfad, der sich in das grau und drohend vor uns aufragende Taygetos-Gebirge hineinwand. Die tiefen Schluchten, die es durchzogen, wirkten wie Narben unter den schneebedeckten Gipfeln. Nichts an unserer seltsamen Reise schien irgendeinen Sinn zu ergeben. Mir kam das alles ganz und gar nicht richtig vor. Und so erging es mir schon, seit Mutter und Vater im Herbst nach Delphi gereist waren, um das Orakel zu befragen. Sie hatten mir nicht erzählt, was die große Seherin gesagt hatte, doch was immer es auch war, es musste etwas Düsteres gewesen sein. Vater wirkte seither stets aufs Äußerste angespannt, er war gereizt und distanziert. Mutter schien an den meisten Tagen abwesend, ihre Augen schimmerten glasig.

    Im Moment lief sie streckenweise mit geschlossenen Augen, während der Regen in kleinen Bächen über ihre Wangen rann. Sie hielt Alexios fest im Arm, und alle paar Schritte küsste sie das kleine Bündel. Als sie meine ängstlichen Blicke bemerkte, schluckte sie und reichte mir das Baby. „Trage deinen Bruder, Kassandra", sagte sie.

    Ich band den Halbspeer an meinen Gürtel, nahm das Bündel und drückte es an meine Brust, während wir den jetzt steilen Pfad hinaufstiegen. Der Donner fand seine Stimme und entlud sich ganz in der Nähe. Blitze zuckten über den Himmel. Der Regen verwandelte sich in Schnee, und ich hielt ein Stück von AlexiosDecke schützend über ihn, damit sein Gesicht trocken blieb. Seine Haut – parfümiert mit süßem Öl und dem tröstlichen Duft seines Betts aus Distelwolle – berührte warm mein frierendes Gesicht. Seine schwachen Händchen fuhren durch mein Haar. Er gluckste, und ich gurrte zurück.

    Schließlich erreichten wir ein Plateau. Am anderen Ende stand ein von den Wettern abgewetzter Altar aus blau marmoriertem Stein. Eine vor der Witterung geschützte Kerze flackerte neben einem Topf mit Öl, einem Becken voller Wein, der vom Eisregen aufgepeitscht wurde, und einer Platte mit Trauben.

    Mutter blieb mit einem erstickten Schluchzen stehen.

    „Myrrine, zeige dich nicht zu schwach", fuhr Vater sie an.

    Ich spürte, wie Wut in ihr aufflackerte. „Schwach? Wie kannst du mich so nennen? Man braucht Mut, um sich seinen wahren Gefühlen zu stellen, Nikolaos. Schwache Männer verstecken sich hinter der Maske der Tapferkeit."

    „Das ist nicht die Art der Spartiaten", zischte Vater mit zusammengebissenen Zähnen.

    „Sammelt euch vor dem Altar", sagte einer der Priester, während ihm der Eisregen über den knöchernen Brustkorb rann. Ich interessierte mich nicht für den uralten Altar und auch nicht für den Rand des Plateaus und den nachtschwarzen Abgrund, der dahinter lauerte – eine Senke der Schatten, die in das Innerste des Gebirges abfiel.

    „Jetzt das Kind, sagte der älteste Ephor. Sein Haarkranz tanzte im Wind, seine Augen wirkten wie glühende Kohlen. Er streckte knochige Hände nach mir aus, und nun verstand ich. Ein dunkler Mantel der Erkenntnis legte sich um meine Schultern. „Gib mir den Knaben, beharrte er.

    Mein Gaumen brannte vor Angst, alle Feuchtigkeit war mit einem Herzschlag aus meinem Mund verschwunden. „Mutter, Vater?", wandte ich mich wimmernd an beide.

    Mutter trat einen Schritt zu Vater und legte flehend eine Hand auf seine breite Schulter. Doch er stand nur da, unbeweglich, wie aus Stein gehauen.

    „Das Orakel hat gesprochen, wehklagten die Priester wie aus einem Mund. „Sparta wird fallen … wenn der Knabe nicht an seiner statt fällt.

    Wie ein scharfer Speer durchfuhr mich blankes Entsetzen. Fest umklammerte ich den kleinen Alexios und wich einen Schritt zurück. Mein kleiner Bruder war gesund und stark – es war nicht gerecht, ihn zu dem grausamen Schicksal zu verdammen, das schwachen oder missgebildeten spartanischen Neugeborenen widerfuhr. War es das, was das Orakel meinen Eltern auf ihrer Reise bestimmt hatte? Wer berechtigte es dazu, Alexios dem Untergang zu weihen? Warum spuckte Vater nicht auf einen solch grausigen Auftrag und zog seinen Speer gegen diese erbärmlichen alten Männer? Doch er stieß Mutter lediglich beiseite, sodass sie wie ein Bündel Lumpen zu Boden fiel.

    „Nein … nein!, weinte Mutter, während zwei Priester sie nach hinten zerrten. „Nikolaos, bitte, tu etwas!

    Vater starrte unbeweglich in die Ferne.

    Einer der Priester trat von hinten an mich heran und griff nach meinen Schultern. Ein zweiter riss mir Alexios von der Brust und übergab das kleine Bündel dem ältesten Ephor, der meinen Bruder wie einen Schatz an sich drückte. „Mächtiger Apollo, Wahrheitsverkünder. Athena Poliachos, Große Beschützerin. Blickt auf uns herab, während wir uns demütig eurem Willen beugen, dankbar für eure Weisheit. Und jetzt … wird der Knabe sterben."

    Er hob Alexios über seinen Kopf und trat am Altar vorbei an den Rand des Abgrunds.

    Mit einem heiseren Schrei, der mir das Herz zerriss, fiel Mutter auf die Knie.

    Als der Ephor sich spannte, um meinen Bruder in den Tod zu schleudern, zuckte ein Blitz über den Himmel, gefolgt von einem krachenden Donner. Es fühlte sich an, als hätte der Blitz mich getroffen. Eine Welle von unglaublicher Energie und die Wut auf diese schreckliche Ungerechtigkeit durchrasten mich. Ich schrie aus vollem Hals und entwand mich dem Griff des Priesters. Aus dem Stand sprang ich vor, verzweifelt, außer mir, die Arme nach meinem Bruder gereckt. Die Zeit blieb stehen. Ich fing den Blick des kleinen Alexios auf und er den meinen. Hätte ich diesen Moment in Bernstein verewigen können, um für immer darin zu leben, hätte ich es getan, wir beide mitten im Leben miteinander verbunden. Und während dieses Wimpernschlags hatte ich immer noch die Hoffnung, ihn auffangen zu können, seinen Sturz zu verhindern. Bis ich aus dem Tritt geriet, stolperte, mit der Schulter die widerliche Flanke des alten Ephoren rammte, hörte, wie viele der Männer scharf die Luft einsogen, sah, wie der Ephor um Halt ruderte, sah, wie er fiel, über den Rand des Plateaus … mit Alexios.

    Die beiden stürzten in die Dunkelheit, und der Schrei des Ephoren verklang wie das Kreischen eines Dämons.

    Und dann … Stille.

    Am Rande des Abgrunds fiel ich auf die Knie, zitternd, während sich hinter mir ein wütender Chor von wüsten Beschimpfungen erhob.

    „Mörderin!"

    „Sie hat den Ephoren getötet!"

    Ich starrte hinunter in den Abgrund, fassungslos. Der Eisregen peitschte mir ins Gesicht.

    1

    Das Wasser lief ihr in Rinnsalen über die Wangen. Hinter ihren geschlossenen Lidern hörte und sah sie alles erneut in schrecklicher und allzu lebendiger Deutlichkeit. Leonidas’ Blutlinie, bloßgestellt und befleckt. Zwanzig Sommer waren doch eigentlich genug, um die eigene Schuld zu vergessen, sich mit seinen Fehlern abzufinden oder mit der Vergangenheit Frieden zu schließen. „Nicht für mich", flüsterte Kassandra, während die in der Mitte gebrochene Lanze in ihrer Hand zu vibrieren schien. Heftig stieß sie die Waffe neben sich in den Sand, und die Erinnerungen verblassten.

    Langsam öffnete sie die Augen und musste sich erst wieder an das strahlende Morgenlicht dieses Frühlingstags gewöhnen. Das himmelblaue Wasser umspülte Kephallenias östliches Ufer und glitzerte wie eine Tafel voller Diamanten. Die Brandung schäumte über den Sand und verklang zu einem sanften, kühlen Gurgeln, das bis zu der Stelle hinaufrollte, an der sie saß, wo es über ihre nackten Zehen kroch. Die salzige Gischt wehte in sanften Wolken heran, kondensierte und kühlte ihre Haut. Am wolkenlosen Himmel kreisten und kreischten zankende Möwen. Ein Kormoran tauchte kopfüber in die Fluten, wobei das Wasser um ihn herum, Kristalltropfen gleich, zu explodieren schien. Direkt im Osten, nahe dem diesig verschwommenen Horizont, glitt eine schier endlose Reihe Athener Galeeren vorbei. Wie Schatten zogen sie durch das bläuliche Zwielicht, durch tiefere Gewässer und in den Golf von Korinth, um bei der Blockade von Megara zu helfen. Die hellen Segel blähten sich wie die Lungen eines Titanen, und ab und zu trug der Seewind das Knarren von Tauwerk und Holz und die kehligen Rufe der vielen Krieger an Bord herüber.

    Früher im Jahr war Kephallenia, wie bereits die meisten der Inseln, in das Staatsgebiet von Athen aufgenommen worden. Und so wuchs der Krieg wie ein Krebsgeschwür. Eine kleine Stimme in ihr mahnte sie, sich wegen dieses massiven Konflikts zu sorgen, der in ganz Hellas wütete und den gewaltigen Schmelztiegel der unterschiedlichen Weltanschauungen zum Kochen brachte, wodurch die einst verbündeten Städte sich gegenseitig an die Kehle gingen. Aber was konnte sie tun? Das stolze Athen, es scherte sie wenig. Und auf der anderen Seite … das unerschütterliche Sparta.

    Sparta.

    Allein dieses Wort in ihrem Kopf zerriss die sanfte Idylle, die dieser Strand ihr eben noch geboten hatte. Aus dem Augenwinkel musterte sie Leonidas’ uralten Halbspeer. Der geflügelte Eisenkopf, die aufwendigen Verzierungen um den halblangen Schaft, der abgegriffen und verfärbt war nach all den Sommern und Monden der Pflege mit Ölen. Sie hatte es immer als angemessen empfunden, dass alles, was ihr aus einer kaputten Vergangenheit geblieben war, ebenfalls etwas Kaputtes war.

    Ein schriller Schrei riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und sah den Kormoran mit einer silbrigen Makrele im Schnabel aus den Wellen auftauchen … doch ein Adler jagte direkt auf ihn zu. Der Kormoran schrie erneut, diesmal in Todesangst, ließ seinen Fang fallen und stürzte sich in wilder Flucht zurück in die See. Der Adler reckte die Klauen nach der aufgegebenen Beute, doch der Leckerbissen verschwand ebenfalls zwischen den Wellen. Mit einem mächtigen Schrei der Enttäuschung drehte der große Vogel ab und glitt Richtung Ufer, wo er sich neben Kassandra niederließ. Sie musste lächeln, denn der verdammte Speer war nicht das Einzige, was ihr aus ihrer Vergangenheit geblieben war.

    „Wir haben das doch schon besprochen, Ikaros, bemerkte sie mit einem Lachen. „Du solltest mir Makrelen bringen, die ich mir braten kann.

    Ikaros starrte sie an, sein butterblumengelber Schnabel und sein scharfer Blick verliehen ihm das Aussehen eines missbilligenden alten Mannes.

    „Ich verstehe. Kassandra hob eine Augenbraue. „Es war die Schuld des Kormorans.

    Ihr Magen knurrte und erinnerte sie daran, wie viele Stunden sie schon nichts mehr gegessen hatte. Mit einem Seufzer zog sie Leonidas’ Speer aus dem Sand. Einen Moment lang betrachtete sie sich in der spiegelnden Klinge. Ein klares Gesicht, wenig Humor in den haselnussbraunen Augen, und ein dicker Zopf aus rostbraunem Haar, der ihr über die linke Schulter hing. Sie hatte eine dunkelbraune Exomis an – ein Männergewand, das eine Schulter frei ließ –, bereits fadenscheinig und abgetragen. Schon wenn sie den Speer nur in der Hand hielt, erwachten die Erinnerungen erneut zum Leben, deswegen band sie die Lanze schnell an ihren Ledergürtel, stand auf und kehrte dem Meer den Rücken.

    Doch etwas fiel ihr ins Auge, und sie hielt inne. Es war ein seltsamer Zufall – von jener Sorte, die aufgrund ihrer reinen Eigenart auffällt, wie ein betrunkener Mann, der sich zu benehmen weiß: Dort draußen, mitten im Dunst des Meeres, durchschnitt eine Galeere die Wellen. Es war eine von Hunderten, aber dieses Schiff kreuzte nicht um die Landzunge in der Ferne und segelte dann in den Golf von Korinth. Stattdessen kam es direkt quer über das Wasser auf Kephallenia zu. Kassandra kniff die Augen zusammen und musterte das weiße Segel – oder, um genauer zu sein, den drohenden, zur Grimasse verzerrten Drachenkopf, der es schmückte. Es war ein ausgesprochen abscheuliches Bild, mit verfärbten graugrünen Lippen, die weit zurückgezogen waren und lange Reißzähne bleckten. Die Augen glühten wie heiße Kohlen, während das Schlangennest, das der Kreatur als Haarschopf diente, sich bei jeder Bö, die das Segel blähte, zu winden schien. Eine Weile betrachtete Kassandra die grausige Fratze, und die Sage von der Medusa kam ihr wieder in den Sinn: Einst eine schöne und starke Frau, wurde sie von den Göttern betrogen und verflucht. Ein Funken Mitleid stieg in ihr auf. Aber da war auch noch etwas anderes. Sie konnte auf dem seltsamen Schiff keine Spur von einer Mannschaft entdecken, aber sie war sich sicher – und zwar absolut –, dass sie von den Decks aus beobachtet wurde. Einen Augenblick lang wurde es ihr in dem Wind und der kühlen Gischt des Meeres unbehaglich. Sie fröstelte.

    Kinder aus Sparta dürfen sich niemals vor der Dunkelheit fürchten, vor der Kälte oder vor dem Unbekannten, erhob sich eine mahnende Stimme aus Kassandras Erinnerung. Seine Stimme. Sie spuckte in den Sand und wandte der See und dem seltsamen Schiff nun endgültig den Rücken zu. Die nagende Erinnerung an die Lektionen ihres Vaters war alles, was von ihrer einst so stolzen Familie geblieben war. Reisende Händler hatten düstere Geschichten mitgebracht vom gestürzten Haus des Leonidas. Myrrine habe sich, aller Hoffnung beraubt, das Leben genommen, erzählten sie, in den Tod getrieben vom Verlust nicht nur eines, sondern ihrer beiden Kinder. Nur wegen dem, was ich in jener Nacht getan habe, dachte Kassandra.

    Sie verließ den Strand, lief durch die Dünen und den sich im Wind duckenden Seehafer und stieg einen steinigen Pfad hinauf. Er führte sie auf einen kleinen Felsvorsprung über der Küste, wo sich eine einfache Hütte aus Stein befand – ihr Zuhause. Die weiß verputzten Wände schimmerten im Sonnenlicht, die Pfähle und daran festgenagelten Lumpen, die als eine Art Vordach dienten, knarrten und flatterten in der Brise, und der einsame Olivenbaum daneben raschelte und wiegte sich im Wind. Grünfinken pickten zwitschernd in einer Wasserpfütze in der Nähe einer zerbrochenen Steinsäule. Die Küstenstadt Sami lag einen mehrstündigen Fußmarsch entfernt, daher vergingen die Tage hier, ohne dass man viele Menschen sah. Der perfekte Ort für eine Frau, um die ihr gegebene Zeit zu verleben und allein zu sterben, dachte Kassandra. Sie blieb stehen, drehte sich zum Meer um und starrte hinaus in die Ferne, wo verschwommen das Festland zu erkennen war. Wie würden sich die Dinge wohl heute verhalten, fragte sie sich, wäre die Vergangenheit nicht eine so grausame gewesen?

    Sie wandte sich wieder ihrer Behausung zu und schlüpfte unter dem Türsturz hindurch ins Innere. Sofort war von der Meeresbrise nichts mehr zu spüren. Sie blickte sich in dem einzigen großen Raum um: ein hölzernes Bett, ein Tisch, ein Bogen für die Jagd, eine Truhe mit einfachen Dingen – ein kaputter Kamm aus Elfenbein und ein alter Umhang. Es gab keine Gitter vor den Ufern von Kephallenia und keine Fesseln um Kassandras Fußgelenke. Es war die Armut, die sie gefangen hielt. Nur die reichen Menschen auf dieser Insel konnten berechtigter Hoffnung sein, sie jemals zu verlassen.

    Sie setzte sich am Tisch auf einen Hocker, goss sich aus einem Tonkrug einen Becher Wasser ein und packte aus, was sie zuvor in Tierhäute gewickelt hatte. Ein kleiner Laib Brot – hart wie ein Kieselstein –, ein Streifen gesalzenes Hasenfleisch von der Größe eines Fingers und ein kleiner Tontopf mit drei Oliven darin. Ein armseliges Mahl. Ihr Magen knurrte protestierend, weil er wissen wollte, wo der Rest war.

    Sie blickte durch das Fenster an der Rückseite ihres Heims, wo sie das frisch ausgehobene Loch im Boden sah. Bis gestern noch hatten sich in ihrer Vorratsgrube zwei Säcke Weizen und ein ganzer gesalzener Hase, ein Ziegenkäse und ein Dutzend getrocknete Feigen befunden. Genug, um sich fünf oder sechs Tage zu ernähren. Als sie dann aber gestern ohne Fang vom Fischen zurückgekehrt war, hatte sie noch gesehen, wie sich in der Ferne zwei Schurken mit ebendiesen Vorräten davonmachten. Die beiden hatten eine gute halbe Meile Vorsprung, und sie war ohnehin viel zu hungrig gewesen, um sich an die Verfolgung zu machen. Daher hatte sie sich am Abend mit leerem Magen zur Ruhe begeben müssen.

    Abwesend fuhr sie mit dem Daumen über den Rand der Klinge von Leonidas’ Speer. Sie war zu höchster Perfektion geschliffen. Kassandra spürte, wie ihre oberste Hautschicht zerteilt wurde. Wütend zischte sie den Namen ihres momentanen Peinigers – desjenigen, der die Diebe gesandt hatte. „Möge das Feuer dich verschlingen, Zyklop."

    Sie wandte sich wieder ihrem kargen Mahl zu, nahm das Brot, tunkte es in ein wenig Öl, um es weicher zu machen, und hob es an ihre Lippen. Ein erneutes Magenknurren ließ sie innehalten. Wieder knurrte es, und sie stutzte – denn das Knurren kam nicht aus ihrem Bauch. Sie blickte zum Eingang. Das Mädchen, das dort stand, starrte den kärglichen Brotlaib an wie ein Mann einen Torques aus Gold.

    „Phoibe, sagte Kassandra. „Ich habe dich seit Tagen nicht gesehen.

    „Oh, kümmere dich nicht um mich, Kass", erwiderte Phoibe, betrachtete ihre von Dreck verkrusteten Fingernägel, strich sich die dunklen Locken hinter die Ohren und spielte mit dem ausgefransten Saum ihrer schmutzigen Stola.

    Kassandra richtete ihren Blick wieder auf das Brot und dann zum Fenstersims, wo plötzlich ein dunkler Schatten in ihr Blickfeld flatterte. Ikaros warf ihr erneut mit starrem Auge einen hoffnungsvollen Blick zu, sein Begehr eindeutig auf das Stück gesalzenen Hasen gerichtet. Oder mich, verstand Kassandra, als Ikaros einen Schrei ausstieß.

    Mit einem nicht sehr überzeugenden Lächeln stieß sie sich vom Tisch zurück, warf Ikaros das Fleisch zu und Phoibe den Brotlaib. Sofort verwandelten sich die beiden in hastige Gierschlunde, die sich voller Genuss auf ihr jeweiliges Mahl stürzten. Phoibe, in Athen geboren und verwaist, war erst zwölf. Kassandra war dem Mädchen das erste Mal vor drei Sommern begegnet, als es in den Straßen in der Nähe von Sami bettelte. Sie hatte ihm an jenem Tag auf dem Weg in die Stadt ein paar Münzen gelassen. Auf dem Weg zurück hatte sie die Kleine dann einfach aufgehoben und mit sich nach Hause getragen, ihr zu essen gegeben und sie in ihrer Hütte schlafen lassen. Immer wenn sie das Mädchen beobachtete, wurde sie an vergangene Zeiten erinnert, an jene sanfte Wärme, diese lange verloschene Flamme in ihrem Herzen. Keine Liebe, ermahnte sie sich selbst. Niemals wieder werde ich so schwach sein.

    Sie seufzte, stand auf, schlang sich den Bogen über die Schulter und griff nach einem ledernen Trinkschlauch. „Kommt, lasst uns unterwegs essen, sagte sie, nahm sich die Oliven und schob sie sich in den Mund. Das weiche, salzige Fruchtfleisch und köstliche Öl waren verlockend und erweckten ihre Geschmacksknospen zum Leben, doch ihren Hunger stillten sie nicht. „Wenn wir nicht wollen, dass dies unser letztes Mahl war, das wir je gegessen haben, sollten wir Markos einen Besuch abstatten. Dieser Dreckskerl, fügte sie im Stillen hinzu, während sie sich ihre ledernen Armschienen umband. „Es ist an der Zeit, ein paar Schulden einzutreiben."

    Sie gingen nach Süden und folgten einem sonnenüberfluteten Pfad, der sich eine Zeit lang an die Uferklippen schmiegte, bevor er ins Landesinnere abbog. Die Hitze brannte, als sich der Mittag näherte, und sie durchquerten eine mit Veilchen gesprenkelte Wiese. Der Duft von Oregano und wilden Zitronenhainen lag schwer in der Luft. Das lange Gras strich um ihre Waden, blutrote, bernsteinfarbene und blaue Schmetterlinge kreuzten flatternd ihren Weg, Zikaden zirpten in der Hitze, und weder der Krieg noch die Vergangenheit hätten in weiterer Ferne sein können – bis sie Sami unter sich liegen sahen. Die Hafenstadt bestand aus einer nicht von Mauern umgebenen Ansammlung von Hütten und einfachen, weiß gestrichenen Häusern, die sich um erhabene Marmorvillen scharten. Auf den Dächern und Veranden plauderten reiche Leute und schlürften Wein. In den engen Straßen und auf dem geschäftigen Markt mühten sich Pferde und verschwitzte Arbeiter mit nacktem Oberkörper, schleppten die Olivenernte und Kiefernholz zu den Docks. Dort drängten sich Frachtschiffe, um einen Anlegeplatz am steinernen Kai zu ergattern, von wo die Güter zu den Athener Militärwerften und Versorgungslagern transportiert wurden. Glocken läuteten, Peitschen knallten, das Spiel einer Lyra wehte durch die Lüfte wie auch der helle, duftende Rauch aus den Tempeln. Kassandra betrat die Stadt immer nur, wenn es unbedingt sein musste – um Lebensmittel zu besorgen oder sonstige Vorräte, die sie sich auf anderem Weg nicht beschaffen konnte.

    Und um die Aufgaben zu erledigen, die Markos ihr antrug.

    Sie war eine Söldnerin, so nannte man sie. Manchmal überbrachte sie Botschaften, manchmal eskortierte sie Lieferungen mit gestohlenen Waren … viel öfter jedoch tat sie, was nur so wenige konnten. Ihr Herz schien zu versteinern, als sie an ihren letzten Auftrag dachte. Er hatte sie zu einem Verschlag an den Kais geführt, wo sich eine Gruppe berüchtigter Banditen verbarg. Der Leonidasspeer war in dieser dunklen Nacht tiefrot gewesen und die Luft geschwängert von dem Gestank aufgeschlitzter Bäuche. Jedes Mal, wenn sie tötete, schien ein weiteres Samenkorn der Schuld tief in ihrem Innern Wurzeln zu schlagen … aber nichts, was sie für Markos getan hatte, war jemals mit dem inzwischen knorrigen Gewächs zu vergleichen, das in jener Nacht ihrer Jugend am Rande des Abgrunds in ihr gepflanzt worden war, oder mit den beiden Toten, die ihr Leben für immer verändert hatten.

    Sie schüttelte abwehrend den Kopf, damit die Erinnerungen nicht von ihr Besitz ergriffen, und konzentrierte ihre

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