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DIE QUELLE DES EINHORNS: Der Fantasy-Klassiker!
DIE QUELLE DES EINHORNS: Der Fantasy-Klassiker!
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eBook629 Seiten9 Stunden

DIE QUELLE DES EINHORNS: Der Fantasy-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Dies ist die abenteuerliche Geschichte des jungen Airar Alvarson aus der Provinz Dalarna. Durch grausame Steuereintreiber der herrschenden Vulkinger von Haus und Hof vertrieben, beginnt seine phantastische Odyssee als Rebell des Eisernen Rings. Mit Glück und listenreicher Tapferkeit bringt Airar es bald zum Anführer der Aufständischen.

In magischer Ferne vom kriegerischen Geschehen befindet sich das Reich mit seinem Heiligen Gral, der Einhornquelle. Allen, die aus ihr trinken, verheißt sie seelischen Frieden und inneres Glück. Inmitten dieser Welt voller Magie und Intrigen lernt Airar Argyra kennen, die schöne Prinzessin der Quelle, die sein Herz bezaubert...



Die Quelle des Einhorns von Fletcher Pratt, 1948 erstmals erschienen, vereint alle abenteuerlichen und märchenhaften Elemente epischer Fantasy in sich. Wenn ein Buch den Titel eines klassisches Fantasy-Romans verdient, dann dieses.

Die Quelle des Einhorns erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX FANTASY-KLASSIKER.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum7. Jan. 2020
ISBN9783748725565
DIE QUELLE DES EINHORNS: Der Fantasy-Klassiker!
Autor

Fletcher Pratt

Murray Fletcher Pratt (25 April 1897 – 10 June 1956) was an American writer of history, science fiction, and fantasy. He is best known for his works on naval history and the American Civil War and for fiction written with L. Sprague de Camp.

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    Buchvorschau

    DIE QUELLE DES EINHORNS - Fletcher Pratt

    Das Buch

    Dies ist die abenteuerliche Geschichte des jungen Airar Alvarson aus der Provinz Dalarna. Durch grausame Steuereintreiber der herrschenden Vulkinger von Haus und Hof vertrieben, beginnt seine phantastische Odyssee als Rebell des Eisernen Rings. Mit Glück und listenreicher Tapferkeit bringt Airar es bald zum Anführer der Aufständischen.

    In magischer Ferne vom kriegerischen Geschehen befindet sich das Reich mit seinem Heiligen Gral, der Einhornquelle. Allen, die aus ihr trinken, verheißt sie seelischen Frieden und inneres Glück. Inmitten dieser Welt voller Magie und Intrigen lernt Airar Argyra kennen, die schöne Prinzessin der Quelle, die sein Herz bezaubert...

    Die Quelle des Einhorns von Fletcher Pratt, 1948 erstmals erschienen, vereint alle abenteuerlichen und märchenhaften Elemente epischer Fantasy in sich. Wenn ein Buch den Titel eines klassisches Fantasy-Romans verdient, dann dieses.

    Die Quelle des Einhorns erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX FANTASY-KLASSIKER.

    DIE QUELLE DES EINHORNS

    Anmerkung des Autors: BEVOR DIE GESCHICHTE BEGINNT

    Dieses Buch ist das Buch des Lesers. Er mag daher alle Namen so aussprechen, wie es ihm beliebt, es sei denn, er unterhielte sich mit einem anderen Leser. In diesem Falle müssen die beiden sich auf eine Aussprache einigen; denn eine Regel gibt es nicht.

    Es mag dem Leser hier und da vorkommen, als habe er einen Schlachtruf vernommen, der ihn an etwas erinnert, das er schon einmal in einer anderen Welt als jener, um die es sich hier dreht, gehört hat. Und dennoch wird er bemerken, dass es vielleicht doch nicht ganz dasselbe ist. Und er hat damit völlig recht; die vielleicht faszinierendste Eigenschaft von historischen Darstellungen, seien sie nun wahr oder erfunden (was nicht heißen soll, dass man hier unbedingt eine Trennungslinie ziehen muss), liegt wohl darin, dass sie sehr häufig nach einem schon bekannten Muster ablaufen, ohne diesem jedoch jemals völlig gleichzukommen. Man kann es vergleichen mit dem Muster eines Mosaikfußbodens, das an einer Stelle in ein anderes, ganz ähnliches übergeht. Dies ist vielleicht einer der Gründe, warum es so interessant ist, ein solches Mosaik zu betrachten oder wirkliche oder fiktive Geschichte zu verfolgen, wenn man anderer Dinge müde ist. Voller Spannung wartet man auf das unvermeidlich erscheinende, immer wiederkehrende Ereignis, das dann doch nicht ganz so eintritt, wie man es erwartet hat. In unserer realen Welt wandelt Augustus-Napoleon nicht in den Spuren von Caesar-Napoleon, sosehr die Menschen auch erwarten, dass er das tue, und Hitler-Bonaparte wiederum hat nicht dasselbe Los wie sein Vorbild.

    In der Welt, um die es sich hier dreht, bedarf es eines Einblickes, der so groß ist, dass er die gesamte Spannbreite unserer Geschichte umfasst, sei sie nun fiktiv oder real. Ein gewisser irischer Chronist namens Dunsany erfuhr von einigen Ereignissen aus diesem Nirgendwo und schrieb sie nieder unter dem Titel König Argimenes und der unbekannte Krieger. Aber die Ereignisse, die er beschreibt, spielten sich Generationen vor denen ab, um die es hier geht. Außerdem war er nur an einem bestimmten, sehr begrenzten Teil dieser Ereignisse interessiert, nämlich an der Revolte des König Argimenes. So lässt uns der irische Chronist zum Beispiel nicht erfahren, dass diese Revolte sich gegen die Heiden aus Dzik richtete, die zu jener Zeit in das Gebiet der Dalekarlier einbrachen, um ihnen mit dem Schwert ihre Religion aufzuzwingen, während die Menschen dort in Frieden lebten und alle ihre Probleme gelöst zu sein schienen. Wir erfahren von dem Chronisten lediglich, dass diese Eroberer den Weg aller Eroberer vor ihnen und nach ihnen gingen: sie gaben sich der Schwelgerei und dem Wohlleben hin und verweichlichten.

    Dieser Argimenes war einer der größten Könige, über die jemals geschrieben wurde; sein Sohn Argentarius stand ihm an Größe kaum nach. Sie herrschten über die Dalekarlier, welche vor der Invasion durch die Heiden ein Volk mit denen waren, die man später Vulkinger nennen sollte (und zwar, weil alle ihre Grafen den Namen Vulk trugen). Schon die offenkundige Ähnlichkeit ihrer Institutionen deutet darauf hin, dass es sich einstmals um ein Volk handelte. Die Grafschaften im Hochland, wie Acquileme und die Lacias, der Osten und der Westen, waren dalekarlische Gebiete, in die die Heiden aus Dzik niemals vorgedrungen waren. Die Menschen, die dort lebten, hatten schwarze Haare, während die Dalekarlier, die die Küstengegenden bevölkerten, in der Mehrzahl blond waren wie die Heiden selbst. Aus diesem Grunde hielten sich die Vulkinger für die einzig echten Dalekarlier und versuchten, nachdem die Heiden aus dem Land gejagt worden waren, Dalekarlien so wiederherzustellen, wie es vorher gewesen war, oder genauer gesagt: so, wie sie glaubten, dass es vorher gewesen sei, was ja durchaus nicht dasselbe ist. Es kam sehr bald zu Feindseligkeiten, da die Vulkinger im Gegensatz zu den Dalekarliern niemals unter dem Joch der Fremdherrschaft gelitten hatten und somit sehr viel intoleranter waren.

    Beide Parteien jedoch respektierten immer noch die Oberherrschaft des Kaisers. Zu jener Zeit handelte es sich nämlich um ein Kaiserreich, da König Argimenes, damals schon in relativ hohem Lebensalter, die Prinzessin von Stassia geheiratet hatte. Dieses Land befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des Südlichen Meeres; man nennt es auch das Blaue Meer. Und es war einige Zeit vor dieser Vereinigung, dass man die Einhornquelle entdeckt hatte, jene Quelle des Friedens, von der diese Erzählung handelt, das Wunder jener Welt. Die unruhigen Zwölf Städte, die bis dahin niemals einen Herrscher gekannt hatten, unterwarfen sich dem Reich, um an dem Segen der Quelle teilhaben zu können; sie befinden sich südöstlich von Stassia, zwischen einer Ansammlung von Inseln und Halbinseln. In ihrem Hinterland leben Männer, die Röcke tragen, Vielweiberei treiben und nicht die wahre Religion haben. Selbst die grausamen Heiden aus Dzik achteten den Frieden der Quelle... nachdem sie auf dem Schlachtfeld eine empfindliche Niederlage erlitten hatten; und zwar gegen Argimenes, Argentarius und vor allem Aureolus, der das Königreich in ein Kaiserreich verwandelte und seinen Namen von Silber in Gold.

    Östlich von Dalekarlien liegt Salmonessa mit seinen hitzköpfigen Grafen (aber das können Sie ja auf den Landkarten sehen); ganz im Süden liegen Uravedu und die Gewürzinseln. Sie sind sehr wohlhabend, aber ihre Bewohner sind blaugesichtige Heiden, die nur einen Lendenschurz tragen; im Norden von Dalekarlien befindet sich Micton, das sich bis in den ewigen Dunst der unbekannten Welt erstreckt. Dort leben kurzbeinige Zaubergnome. Zu der Zeit, da unsere Geschichte spielt, haben die Grafen Vulk ihren Anspruch angemeldet, ganz Dalekarlien zu beherrschen..., und der Rest ist unsere Geschichte.

      1. Ausgesteuert

    Airar hörte die Pferde schon, bevor sie noch die Stelle der Hecke erreicht hatten, wo die große Platane stand. Es waren ihrer sechs; schweigend kamen die Männer auf ihn zugeritten. Der Alte in schmutzigem Blau mit dem Zwirbelbart war wohl der Landvogt; ihn begleiteten drei Bogenschützen. Einer von ihnen war ein dunkelhäutiger Mictonier, der seinen Bogen schon gespannt hatte. In der Mitte befand sich der verfluchte Fabrizius, der sein breites, plattes Gesicht und die Nase hoch erhoben trug, fest eingehüllt in eine pelzbesetzte Jacke. Unmittelbar hinter ihm folgte ein Knecht auf einem hinkenden Pferd.

    Airar stand auf. Die tief im Süden stehende Wintersonne schien ihm zwischen den Zweigen hindurch ins Gesicht. Einer der Bogenschützenhalf seiner Lordschaft dem Landvogt vom Pferd. Die Siegel, die aufgereiht quer über den Bauch des Vogtes hingen, schlugen dabei aneinander und klangen wie gesprungene Bratpfannen. Er zog ein Pergament aus dem Ärmel.

    »Ich habe im Namen des Grafen einen Auftrag bei Alvar Airarson zu erfüllen.«

    »Er ist nicht da. Ich bin Airar Alvarson.«

    Airar sah, wie Fabrizius, der ein paar Schritte weiter hinten stehengeblieben war, den Kopf schüttelte... er trug wieder jenen Ausdruck sittsamen Bedauerns zur Schau, der seine Niederträchtigkeit übertünchen sollte.

    »So seid Ihr also sein Stellvertreter und damit ordnungsgemäßer Erbe des Hauses?«, fragte der Landvogt. Es war eigentlich mehr eine Feststellung als eine Frage. »Gemäß dem Erlass aus dem vierten Herrschaftsjahr des Grafen Vulk, des vierzehnten Trägers dieses Namens, über die Regelung und Verwaltung von Liegenschaften, welcher bestätigt wurde von Kaiser Auraris, erhebe ich hiermit in aller Form Anspruch auf diesen Grundbesitz aufgrund eines Zahlungsrückstandes der Wallsteuer von zwei Jahren. Darüber hinaus dient diese Beschlagnahmung als Rückzahlung gewisser Summen, mit denen das Anwesen bei Herrn Leonce Fabrizius beliehen wurde. Die besagte Anleihe wurde ordnungsgemäß beim Kanzleigericht in Västmanstad registriert und mit der Unterschrift von Alvar Airarson versehen.«

    Airar schluckte und trat zögernd einen Schritt vor, aber der Landvogt behielt ihn mit dem teilnahmslosen, unbeweglichen Blick eines Fisches im Auge, während der mictonesische Bogenschütze leise kicherte und einen Pfeil einkerbte. »Ich habe das Geld nicht«, sagte Airar.

    »Dann erkläre ich hiermit im Namen des Gesetzes und des Grafen diese Stätte mit Namen Trangsted zum Eigentum des Reiches. Da jedoch in den Statuten des Königreiches festgelegt ist, dass kein Anwesen umsonst an das Reich fällt, sondern nur durch ordnungsgemäß abgewickelten Handel von ihm erworben werden kann, biete ich Euch die Summe von einem Goldaura, die der Graf Euch in seiner edlen Großzügigkeit zugesteht. Die hier Anwesenden sind Zeugen für den ordnungsgemäßen Ablauf dieses Handels. Somit seid Ihr nun aller Ansprüche gegen Eure Person ledig und dürft gehen, wohin es Euch beliebt.« Mit diesen Worten nestelte er das Papier aus seinem Ränzel, mit der gelangweilten und teilnahmslosen Miene dessen, der diese Handlung schon viele Male vollzogen hatte. Einen Moment lang schien es, als wollte Airar ihm das Dokument aus der Hand schlagen; als er jedoch das gierige Glitzern im Auge des Mictoniers sah, besann er sich eines Besseren und streckte die Hand nach dem Papier aus.

    »Somit ist nun dieses Stück Land mitsamt dem dazugehörigen Haus Eigentum unseres Grafen. Ich fordere Euch hiermit auf, diesen Grund und Boden nun zu verlassen. Ihr dürft dabei nur so viel mitnehmen, wie Ihr auf dem Rücken tragen könnt, ohne das Bündel innerhalb von fünftausend Schritten abzusetzen.« Mit diesen Worten wandte er sich von Airar ab; seine Mission hier war erfüllt. Erwartungsvoll wandte er seinen Blick auf Fabrizius. Dieser jedoch winkte Alvarson zu sich, welcher regungslos dastand, die Hand auf seinem Bündel, die Lippen in innerem Aufruhr zu einem schmalen Strich zusammengepresst, jedoch immer noch wohlerzogen genug zuzuhören, was der Fürst der Hölle höchstpersönlich ihm zu sagen hatte.

    »Einen Augenblick noch, Sohn des Alvar!« Airar bemerkte, wie die kleine Pelzquaste über seinem Ohr auf und ab wippte, als sich sein breiter Mund öffnete. »Du bist wirklich alles andere als gut behandelt worden, und - auch wenn du es mir nicht glaubst - ich habe große Achtung vor dir. Und hat nicht unser Graf gesagt, dass wir alle miteinander leben müssen, Dalekarlier wie Vulkinger, und dass beide ihr Bestes tun müssen, damit wir wieder ein Volk in einem Land sind? Also habe ich dafür Sorge getragen, dass du wieder einen Platz einnehmen kannst, an dem es dir mehr als wohl ergehen kann. Wenn du nach Naaros kommst, dann gehe dort zum Hafen und sage deinen Namen dem Führer der Kogge Einhorn. Und er wird dich mitnehmen auf eine lange Reise, die dir großen Gewinn bringen wird. Komm her, mein Junge, schlag ein!«

    »Meine Hand werde ich Euch nicht geben!«, sagte Airar kurz angebunden. Dann schwang er sein Bündel auf den Rücken und wandte sich entschlossen dem Weg zu, der zwischen den Hecken hindurchführte. Er überlegte, ob er den Männern zum Abschied noch einen Zauberspruch entgegenschleudern sollte. Aber nein: Sicherlich waren sie dagegen gewappnet. Fabrizius wandte sich mit einem Achselzucken wieder dem Landvogt zu. Dieser war gerade damit beschäftigt, jenem hochgewachsenen Bogenschützen, der die ganze Zeit über auf seinem Pferd gesessen hatte, durch Zeichen verständlich zu machen, dass er den jungen Mann begleiten sollte... vielleicht fürchtete er einen heimtückischen Racheakt, das plötzliche Auftauchen Airars im Schutze der Hecke und ein zielsicher geworfenes Messer - eine andere Waffe hatte Airar nicht bei sich.

    Als Airar den Weg entlang der Hecke einschlug, die hier allmählich niedriger wurde, hob ein altes braunes Pferd mit grauen Schläfen seinen Kopf und kam langsam auf den Pfad zugetrabt. Sein Name war Pil. Airar gab sich alle Mühe, dem Pferd nicht in die Augen sehen zu müssen. Sein Blick schweifte am Haus vorüber, aus dessen Schornstein nun kein Rauch mehr emporstieg. Seine Augen folgten dem langgestreckten braunen Hügelland, das wellenförmig anstieg, hier und da unterbrochen von mit Sträuchern bewachsenen Kämmen und ganz allmählich überging in die sanft geschwungenen Gipfel des Schweinerückens. In der Ferne wurde der schwarze Wald immer dünner, bis nur noch hier und da einzelne Fichten standen, die abgelöst wurden von einem Saum weiß glänzenden Schnees, der die höchsten Gipfel bedeckte, die nur noch verschwommen am Horizont zu erblicken waren. Das scharfe Knallen einer Tür zerriss die Stille; Leonce Fabrizius hatte sein neues Haus betreten. Leb wohl, Transted... leb wohl, Pil. Airar schüttelte traurig den Kopf und schlenderte weiter. Der lange Bogenschütze beugte sich zu ihm herab:

    »Kopf hoch, Junker! Die ganze Welt steht dir noch offen. Was dir jetzt guttut, sind ein paar heiße Nächte mit einem von Madame Korins Frauenzimmern in Naaros. Das wird dich schon wieder aufrichten!«

    Die Hufe des Pferdes hallten hohl auf dem gefrorenen Pfad wider. Airar schwieg.

    »Wirst drüber hinwegkommen. Meine Familie wurde auch ausgesteuert, als ich noch ein junger Bursche war... droben in West-Lacia, noch zu der Zeit des alten Grafen. Ich wurde damals zum Dienst gezwungen: durfte in Briella Rüstungen wienern. Mein Vater verdingte sich als Koch auf dem Schloss. Damals führte der Graf noch Krieg gegen die Heiden.«

    Airar sagte kein Wort. Der lange Bogenschütze tätschelte den Hals seines Pferdes mit dem Handschuh.

    »Ha! Wieviel besser stehst du doch da: bist ein lediger Mann, hast keine Schulden, brauchst niemandes Knecht zu sein, und besitzt einen Körper, nach dem so manch eines der scharfen Weiber bei Hofe sich die Finger leckt. Und sicherlich lässt dich jeder Baron mit Kusshand ein, wenn du vor seinem Tore auftauchst. Die Welt ist nun mal nicht vollkommen. Aber ein junger Bursche wie du wär' ein Narr, würde er nicht versuchen, das Beste aus dem zu machen, was sie ihm in die Wiege gelegt hat. Versuch, dich als Bogenschütze zu bewerben, Junker, oder als Dienstmann, das ist noch leichter. Wirst bestimmt angenommen, glaub mir. Ich hab' mich in Briella bewährt, und nun steh' ich hier mit einem Gesicht, mit dem ich Mäuse verjagen kann. Doch du bist ein Dalekarlier, stimmt's? Dann versuch's doch mal in Salmonessa. Herzog Roger hält sich dort ein Rudel hübscher Dinger. Soviel ich weiß, hat er einen Vermittler in Naaros, der Männer anwirbt. Wenn du willst, geb' ich dir eine Empfehlung mit. Nun, was sagst du dazu?«

    »Nein und damit basta! Dieser Lumpenherzog Roger kann mir gestohlen bleiben!«

    »He, du Rotzbengel, du grüner Junge, wenn...«

    Mit einem heftigen Ruck zog er den Zügel an, und Airar starrte wütend in ein Gesicht, das ganz untypisch für das eines Vulkingers war: lang und schmal, und von Nase zu Mund zogen sich tiefe Kerben. »Oh, Herr«, rief er, als sein Zorn verraucht war, kaum dass er sein Ziel erreicht hatte, nämlich den anderen zu treffen. »Ich bitte um Vergebung! Es muss ein Fluch auf mir lasten, dass ich immer die treffen möchte, die mir freundlich gesonnen sind! Doch haltet mir zugute, dass ich Hab und Gut verloren habe ohne Aussicht, etwas Neues zu gewinnen. Ich bin ein Schüler der Magie, doch das Gesetz verbietet mir, sie anzuwenden. Nicht einmal Waffen darf ich tragen in Dalekarlien, das doch meine Heimat ist, und ein Dach über dem Kopf habe ich auch nicht.«

    Der lange Bogenschütze ließ Zügel und Hand wieder sinken. Die Worte des jungen Mannes hatten ihn besänftigt. »Schon gut, Junker, vergessen wir's. Hast recht; wäre in der Tat ein armseliges Leben, für Herzog Rogers Metzen den Kater zu spielen. Herzog, ha! Ein Heckenherzog ist der, ein Herzog über Kaninchen, nicht würdig, zu Füßen eines einfachen Grafen zu sitzen! Nun...

    Er ließ die folgenden Worte unausgesprochen, und eine Weile zogen die beiden Männer schweigend dahin. Bald kamen sie an dem Anwesen vorbei, auf dem die drei Söhne des Viclid gewohnt hatten. Auf dem Scheunenhof waren ein paar mictonesische Sklaven damit beschäftigt, einen Ochsen an die Arbeit zu treiben, was ihm jedoch offenbar widerstrebte. Mit viel Lärm und Geschrei rannten sie ratlos umher, während das Tier stur wie eine Eiche dastand, und so sehr sie auch zogen und zerrten, es wollte sich nicht von der Stelle rühren. Der junge Mann stellte sich vor, wie diese tollpatschigen Narren bald mit ihren lehmigen Schuhen die Flure von Trangsted verschmutzen würden. Bald darauf war das Anwesen außer Sichtweite, und der Lärm in der Ferne verklungen.

    »Ich heiße Pertuit«, sagte der Bogenschütze. »Willst du nach Naaros?«

    »Mir bleibt kein anderes Ziel.«

    »Hast du Verwandte dort?«

    Airar stieß ein kurzes, hartes Lachen aus; es klang eher wie ein Bellen. »Einen... einen... Onkel... genannt Tholo.«

    »Keiner meiner Freunde. Aber wie sagt man doch: Lang ist die Straße, an deren Ende kein Verwandter sitzt.«

    »Das hast du trefflich bemerkt! Tholo Airarson sitzt in einer Straße, in der Leonce Fabrizius' Haus steht, und spielt seinen Verwalter.«

    Pertuit pfiff durch die Zähne. »Das ist ja ein vertrackter Zufall! Nicht, dass ich was gegen Fabrizius hätte, aber unter diesen Umständen wärst du ein Narr, dich auf seine Seite zu schlagen, selbst im zweiten Verwandtschaftsgrad. Doch was willst du tun? Verdammter Hexentrank, es ist, als ob du in die Hände der Heiden von Dzik gerätst und sie dir ein Pferd geben... entweder du reitest hinter ihnen her in die nächste Schlacht oder vor ihnen her zum Galgen. Ich war mal dort, stieß aber auf ein schwarzhaariges Hürchen, und die wollte lieber mit mir zusammen auf der Matratze hüpfen als allein am Ende eines Taus tanzen. So entkam ich.«

    Er schüttelte den Kopf; dieses Problem war ihm ein wenig zu verzwickt. Bald darauf erreichten sie die Anhöhe eines weiteren Ausläufers des Schweinerückens. Die Bäume am Wegesrand fielen allmählich ab, und nach einer Weile waren sie ganz verschwunden, so dass sie in der windstillen, klaren Luft einen weiten, ungehinderten Ausblick nach Westen hatten. Ganz hinten am Horizont tauchte die untergehende Sonne den Wald in rötlich schimmerndes Licht. Davor erstreckten sich lange Felder, ein paar davon waren bereits frisch gepflügt und wirkten aus der Ferne wie ein kariertes Muster. Der größte Teil jedoch war braunes Weideland, und die Rinder, die sich gemächlich darauf bewegten, glichen Spielzeugtieren. Mitten durch die Felder floss der große Strom, der Naar. Im immer matter werdenden Licht des zur Neige gehenden Tages hatten seine Fluten ein dunkles Blau angenommen; hier und da blitzten weiße Eisschollen auf, die langsam in Richtung Naaros trieben.

    Pertuit, der Bogenschütze, zügelte sein Pferd. »Halt an! Wir sind jetzt die vorgeschriebenen fünftausend Schritt entfernt«, sagte er. »Außerdem steht mir der Sinn nach einer Mahlzeit. Hör zu, Junker. Ich werd' die Nacht in deinem Haus verbringen... Dingsted oder Frogsted, oder wie immer du es nanntest. Aber’ morgen bin ich in der Stadt. Frag' in der Kaserne der Bogenschützen nach mir. Sie steht am Fuß der Zitadelle. Am besten kommst du gegen Abend. Wir heben einen zusammen und überlegen, was wir für dich tun können. Bist nämlich schwer in Ordnung, Junker.«

    Er beugte sich herab und bot Airar die Hand. Diesmal schlug der junge Mann ein. »Abgemacht... an der Kaserne der Bogenschützen.« Der Mann wendete sein Pferd, setzte es mit dem Ausruf »heh, Nonnine!« in Trab, und bald war er wieder in der Dunkelheit des Tales verschwunden, aus dem sie gerade gekommen waren. Alvar setzte seinen Weg in die andere Richtung fort. Nun war er also allein auf der Welt, allein mit seinem einen Goldaura, seinem Bündel und seinem Messer. Nachdenklich schritt er weiter auf dem Weg in die Stadt. Da wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass eine Stadt etwas Riesiges war, etwas Unheimliches, das nicht so anheimelnd hingestreckt lag, wie die freundlichen Höfe in den Hügeln. Bestimmt würde er Naaros erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen, und dann waren die Tore geschlossen, und die Wache ließ niemanden mehr ein. Egal - schließlich übernachtete er nicht zum ersten Mal im Freien. Er hatte schon oft zur Winterszeit die Nächte draußen verbracht, oben auf dem Schweinerücken, als er die Fuchsfallen überprüft hatte. Bequem war es natürlich nicht...

    In Gedanken versunken wanderte er weiter und kam bald ins nächste Tal, aus dem sich ein weiterer Ausläufer des Schweinerückens erhob, um den Weg nach Naaros zu versperren. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, aber die Bergränder glänzten noch immer hell. Plötzlich tauchte im fahlen Licht über ihm eine große Eule auf. Sie ließ sich auf einem langen Zweig nieder, der in den Pfad hineinragte. Airar blickte zu dem Vogel hinauf. Die Eule streckte einen Flügel aus, legte ihre Krallen um den Zweig und sagte ganz plötzlich: »Airar Alvarson.«

    Vielleicht hätte manch einer seinen eigenen Ohren nicht getraut. Doch Airar war da anders. Schon lange zuvor war ihm bewusst geworden, dass die Welt nicht nur aus Materie besteht. Er blieb stehen, starrte das Tier an und fragte mit fester Stimme, ohne auch nur die Spur von Verblüfftheit an den Tag zu legen: »Was willst du von mir?«

    »Airar Alvarson«, wiederholte die Eule.

    »Lira-lira-bekki«, sagte Airar. Dann wuchtete er mit einem Ruck sein Bündel, das ihm langsam zu schwer wurde, ein wenig höher auf die Schulter, senkte den Blick und schritt weiter. Er war vielleicht hundert Meter gegangen, als die Eule im Dämmerlicht wieder dicht an ihm vorüberflog und sich auf einem Zweig am Wegrand niederließ. »Airar Alvarson«, schnarrte sie.

    Ein Stück weiter voraus, etwa an dem Punkt, wo das Tal seine tiefste Stelle erreichte, tauchte ein Pferdewagen auf, der aus der Stadt kam. Es war das erste Mal, dass ihm jemand auf seinem Weg begegnete. Er nahm die Gestalt auf der Karre nur verschwommen wahr, konnte aber deutlich hören, wie der Hufschlag des Pferdes den Klang änderte, als das Tier die hölzerne Brücke unten im Tal passierte. Einem der Räder fehlte offensichtlich Talg. Ein paar Minuten noch, dann war das Gespann auf gleicher Höhe mit ihm.

    Auf dem Wagen hockte ein alter Mann mit weißem Haar. An seinem Rücken lehnte ein schläfrig aussehender Junge, der Airar freundlich grüßte. Als Airar den Gruß erwiderte, nickte er mit dem Kopf. Kaum war der Wagen vorbei und Airar überquerte selbst die hölzerne Brücke, kam die Eule angeflogen und setzte sich auf das Geländer am anderen Ende des Stegs. Und wieder sprach sie: »Airar Alvarson.«

    Da kann nur Fabrizius dahinterstecken, dachte Airar und sah sich wütend nach einem Stein um, mit dem er den Vogel vertreiben wollte. Doch gleich darauf wurde ihm klar, dass man einen derartigen Spuk nicht mit einem Steinwurf loswurde. Deshalb zog er zunächst einmal sein Wissen über die Magie zu Rate. Waren die Sieben Mächte im Spiel?... dann benötigte er einen Zweig des virginischen Zauberstrauches, der auf eine bestimmte Weise gekrümmt sein musste. Aber wie sollte er einen solchen Zweig in der Dunkelheit finden? Steckten die drei Gottheiten dahinter?... dann konnte er sich des Zaubers nur entledigen, indem er eine bestimmte Seite aus dem Buch vorlas. Doch dazu war es ebenfalls zu finster und die Stelle zu lang, als dass das kurze Aufflackern eines Stückchens Zunder ihm ausreichend Licht hätte spenden können. So blieb ihm also nichts anderes übrig, als die Begleitung des Vogels zu ertragen, und in sein Schicksal ergeben schleppte er sich mit seinem Bündel weiter auf dem Weg nach Naaros. Mittlerweile war es stockfinster geworden, und soeben ging hinter den Bäumen die weiße Sichel des Mondes auf. Ach was! Im Grunde war der Spuk zu harmlos, um sich darüber aufzuregen - schließlich war da nichts als ein großer Vogel, der stets ein Stück vorausflog, sich auf einen Zweig setzte und mit närrisch anmutender Beharrlichkeit seinen Namen krächzte. Was Airar lediglich ärgerte, war, dass das Tier ihn daran hinderte, sich schlafen zu legen. So überquerten sie gemeinsam, Mann und Eule, die letzten Anhöhen vor der Ebene. Am Ende des Hügels stand ein Haus, halb verdeckt von Büschen. Aus dem Fenster drang Licht; jemand sang. In einer anderen Stimmung hätte er angeklopft und um Herberge gebeten, aber nach all den trüben Ereignissen, die der Nachmittag ihm gebracht hatte, war ihm nicht danach zumute. Er hatte das Gefühl, als sei für ihn die Welt untergegangen. Zu allem Überfluss flatterte auch noch ständig diese Eule um ihn herum. Also legte er einen Schritt zu. Bald hatte er die Ebene erreicht. In der Ferne tauchten die Lichter und Türme von Naaros hinter dem großen Bogen des Naar auf, der unter seinen Brücken matt im Licht der Sterne funkelte.

      2. Die Kate: Ein Zauberspruch

    Der Weg führte nun hügelab und mündete in einen langen Pfad, der zu beiden Seiten von Bäumen begrenzt war, die den Blick auf die Stadt wieder verbargen. Hier und da standen üppig wuchernde Stechapfelsträucher, deren Nadeln abwehrend in den Nachthimmel ragten. Der Boden war holprig und uneben. Airar blieb stehen und schaute nach dem seltsamen Vogel, der ihm noch immer folgte. Zwischen den Bäumen und Sträuchern huschten kleine Lebewesen hin und her. Sie kamen an eine Stelle, an der ein Pfad nach links abbog. Er war schmal und kurvig; zu schmal für einen Wagen. Airar kniff die Augen zu einem schmalen Spalt zusammen; etwas Langes, Graues huschte soeben quer über den Pfad. Durch den Vorhang aus blattlosen Zweigen glaubte er kurz ein Licht aufflackern zu sehen. Es blitzte auf und verschwand wieder. Es war kein warmes, gelbes Licht, sondern ein blauer Schimmer, wie der eines Blitzes. Die sprechende Eule flog dicht an seinem Kopf vorbei und landete mitten auf dem abzweigenden Pfad. »Airar Alvarson«, rief sie wieder, diesmal einen Ton höher. Es schien dem jungen Mann, als wolle die Eule ihn dazu bewegen, dem abzweigenden Pfad zu folgen. Und wenn ich es nicht tue..., dachte Airar und schickte sich an, weiter geradeaus zu gehen.

    Doch plötzlich spürte er den vermaledeiten Vogel im Gesicht. Er versuchte, ihn zu packen, aber er entwich dem Zugriff seiner Hand und wischte ihm mit der Spitze des Flügels übers Ohr. »Airar!«, schrie er, diesmal in beschwörendem Ton. Im selben Moment drang schwach das Klirren von Rüstungen an Airars Ohr. Das Geräusch schien aus der Richtung des Weges zu kommen, der nach Naaros führte. Kurz hinter der Stelle, an der der schmale Pfad abzweigte, machte jener eine Biegung. Nun lachte jemand, und dann erklang das hässliche Grölen betrunkener Männer, die versuchten, ein Lied anzustimmen - eine Gruppe von Zechern, die aus irgendeinem Wirtshaus von Naaros kam und nun auf dem Heimweg war.

    Da er nicht gerade seine Ehre aufs Spiel setzte, ein Dach für die Nacht in Aussicht stand und er außerdem ein Zusammentreffen mit den Betrunkenen vermied, schlug Airar nun doch jenen Weg ein, auf den die Eule ihn drängen wollte. Und gleich darauf stand er schon vor der Tür eines Hauses, das mit solch dichtem Buschwerk umgeben war, dass man kaum sehen konnte, wie von Zeit zu Zeit ein kaltes, blaues Licht hinter den Fenstern auf blitzte.

    Die Tür hatte weder Pfosten, noch war ein Name in das Holz eingeschnitzt. Airar hob die Hand, um anzuklopfen, aber noch bevor er sie überhaupt berührt hatte, sprang sie auf. Im Rahmen stand ein Knabe, oder besser gesagt, ein Zwerg (denn die Gesichtszüge waren im Gegensatz zur Größe des Körpers die eines Erwachsenen), der ihm ins Gesicht kicherte. »Airar Alvarson«, kam von oben die Stimme der Eule.

    »Ihr werdet schon erwartet«, sagte der Zwerg und machte eine Verbeugung. Airar bemerkte, dass dieser ihn dabei spöttisch angrinste. Dann wandte er sich um und führte Airar auf weichbeschuhten Füßen durch einen Raum, der größer war, als es von außen den Anschein erweckte, in ein weiteres Zimmer, das mit reichem Mobiliar ausgestattet war. An den Wänden hingen alte Teppiche mit furchterregenden Tieren und angstverzerrten menschlichen Gesichtern, die in dem Licht der einzigen Kerze nur schemenhaft zu sehen waren. »Wartet«, sagte der Zwerg. Dann kicherte er, tauchte unter einem der Wandbehänge hinweg und war verschwunden.

    Neben einem Tisch, auf dem ein Destillierkolben mit abgebrochenem Hals auf einem Stoß von Pergamenten stand, befand sich ein pompöser Stuhl. Airar ging um ihn herum, setzte mit einem Schwung sein Bündel ab und ließ sich auf einem Schemel nieder. Hinter dem Wandbehang direkt rechts von ihm erklang ein Geräusch, das er als Waldbewohner sofort als das Geräusch eines Kaninchens erkannte, das sich leise durch Unterholz bewegt. Der Wandbehang vor ihm teilte sich, und ein Mann betrat den Raum. Er war mittelgroß, hatte graues Haar und einen Vollbart. Er trug ein ziemlich zerknittertes Gewand, das vorne fleckig war und einen Riss hatte. Das dünne weiße Haar bildete im Schimmer der Kerze einen Glorienschein um sein Haupt. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und wurden von buschigen Brauen überschattet, aber das Gesicht trug doch einen freundlichen Ausdruck.

    Der Mann ließ sich in dem Stuhl nieder. »Ihr seid Airar Alvarson«, sagte er, ohne die Hand zum Gruß auszustrecken, »und ich bin Meliboe.«

    Airar kannte diesen Namen; er verband nicht allzu viel Gutes damit. Der andere verzog keine Miene, als der junge Mann leicht zusammenzuckte. »Ich habe nach Euch schicken lassen, da wir uns einander einen Dienst erweisen können.«

    »Die Eule...«

    Meliboe hob missbilligend die Hand. »Sie ist freundlich und harmlos. Wenn ich den Wunsch gehabt hätte, Euch zu zwingen hierherzukommen...«, er sprang mit einer für sein Alter bemerkenswerten Gelenkigkeit auf und sprach dabei weiter, »...darum will ich Euch sogleich etwas zeigen zum Beweis dafür, dass ich es gut mit Euch meine, Euch ein Bündnis anbiete und keine Unterwerfung von Euch verlange.«

    Der Wandteppich zu Airars Seite schwang zurück, und dahinter kam ein riesiger, abscheulicher Wurm zum Vorschein, der in einem Käfig steckte. Von ihm also war das raschelnde Geräusch gekommen! Die Kreatur war bestimmt so groß wie ein Hahn und schimmerte grün und gelb. An der Stelle, wo sein gelenkiger Rückenpanzer den Boden berührte, befand sich ein Paar mit langen Krallen versehene Klauen. Der Wurm starrte den jungen Mann aus verschwommenen Facettenaugen an und gab einen leise wimmernden Laut von sich, wobei sich vor seinem sechseckigen Maul Schaumblasen bildeten. Airar wurde so übel, dass er sich fast übergeben hätte.

    »Ihr seht, ich verfüge über gewisse Kräfte«, sagte der Zauberer gelassen. »Leichter könntet Ihr den Biss einer Natter überleben als auch nur einen einzigen Zugriff dieser Klauen... Tsa, bibe!« Er ließ den Wandteppich wieder fallen.

    »Aber warum ausgerechnet ich? Es gibt so viele Männer in Dalekarlien«, brachte Airar mit einem Würgen hervor.

    »Ha!« Meliboe hob den Finger. »Soviel ich weiß, hattet Ihr heute einen Besuch von Leonce Fabrizius.« Wider Erwarten hielt er inne, so als warte er auf eine Antwort.

    »Ja«, erwiderte der junge Mann.

    »Wohin wollt Ihr also gehen? Nach Naaros wohl. Wollt dort Euren Vater treffen, Sohn des Alvar.«

    »Mein Vater...«

    »Lebt bei Tholo Airarson als Mietling des nämlichen Fabrizius. Ich verstehe schon, junger Mann. Ihr seid ein Mann von Ehre, seid von hoher Geburt. Wäre dem nicht so - ich hätte nicht nach Euch geschickt.«

    »Warum aber ausgerechnet ich? Ihr verfügt über Zauberkräfte, und ich bin allein auf der Welt, habe nicht einmal Freunde.«

    Meliboe drehte den Kopf und blickte ihn voll an, so als sei er sehr überrascht. »Ich habe nichts anderes erwartet, als in Euch den klarsichtigen, scharfsinnigen Mann zu finden, den ich suche«, sagte er, »und ich sehe mein Urteil bestätigt. Nun, und da ich weiß, dass Ihr nichts weniger als die ganze Wahrheit hören wollt, kann ich sie Euch sagen: Es gibt nicht wenige - und einer davon bin ich-, die gar nicht traurig wären, wenn sich in der Herrschaft unseres verehrten Grafen Vulk, des vierzehnten seines Namens, eine Wandlung abzeichnete. Und nun stehe ich hier - Hofdoktor und Astrologe -, kein Dalekarlier von Geburt... Brauche ich da nicht einen glaubwürdigen, unbescholtenen Botschafter beim Eisernen Ring?«

    Einen Moment lang herrschte Schweigen; kein Laut war zu hören außer einem tiefen Atemzug von Airar bei den letzten Worten des Zauberers. Oh, ja, er wusste von dem Eisernen Ring - dem Abzeichen, das die mictonesischen Sklaven und alle jene Männer trugen, die für eine bestimmte Zeit von den Gerichten der Vulkinger zur Sklaverei verurteilt wurden. Er konnte sich noch gut der Worte erinnern, die er damals aufgeschnappt hatte, als er in seinem Bett lag und aus dem Nebenzimmer die Stimme seines Vaters drang, in jener Nacht, als der Fremde mit dem abgetragenen blauen Mantel auf Trangsted zu Gast war. »Nein, nein, und nochmals nein«, waren die Worte seines Vaters gewesen. »Was? Mein Haus und die Zukunft meines Sohnes der... (die folgenden Worte hatte er nicht hören können)... des Eisernen Ringes ausliefern?«... Dann das Ereignis des Tages, als der alte Tyel, der sich in der Scheune des Bauernhofs in Gräntraen erhängt hatte (so sagte man jedenfalls), mit einem um seinen Hals geschmiedeten Eisenring... Aber auf dem Markt in Naaros, da wollte keiner davon sprechen...

    »Ich verstehe nicht, was Ihr mit dem Eisernen Ring meint«, sagte Airar mit fester Stimme, aber Meliboe lachte bloß. »Ihr seid genau, wie ich es mir gewünscht habe: ein Muster an Verschwiegenheit. Ich möchte es einmal so formulieren: Es existiert ein gewisser Kreis von Männern in Naaros, mit dem ich gerne in Verbindung treten möchte, aber es ist mir nicht möglich, dies persönlich zu tun. Ihr sucht doch eine Anstellung; ich möchte Euch als meinen persönlichen Bevollmächtigten zu diesen Männern entsenden. Ich bezahle Euch gut. Sie werden Euch entweder zu mir zurücksenden mit einer neuen Botschaft, was eine zweite Bezahlung bedeutet, oder sie werden ihrerseits genügend Beschäftigung für Euch finden. Das ist nicht ganz ungefährlich, wie ich zugeben muss. Kommt Ihr ohne Hilfe besser zurecht?«

    Das Angebot klang so übel nicht, wiewohl der Hinweis auf die Gefährlichkeit des Unternehmens (Airar schmunzelte innerlich) mehr als Anstachelung denn als wohlmeinende Warnung gedacht war. »Wie hoch ist der Lohn?«

    »Habt Ihr das Goldstück des Grafen angenommen? Ich vermute, ja. Macht nichts; Ihr sollt drei weitere für diese eine Botschaft bekommen.«

    Das war eine wahrhaft fürstliche Belohnung; dennoch fragte Airar: »Mehr nicht?«

    Meliboe blitzte ihn aus schmalen Augenschlitzen an. »Also gut, dann vier. Die Sache ist mir zu wichtig, als dass ich lange feilsche.« Sein Ton hatte etwas Endgültiges.

    »Und die Botschaft?«

    »Lediglich diese: dass Meliboe, ein armer Doktor der Philosophie, ihnen wohlgesonnen sei. Und als Beweis für seinen guten Willen: dass er genau wisse, was die Vertreter der Gilden von Mariupol vorschlügen, aber dass niemand anderes am Hofe etwas davon wisse; dass ein Skorpion ohne Kopf stechen, aber nicht beißen könne, aber dass man durch gewisse philosophische Künste eine Hand finden könne, die ein Banner zu tragen vermag.«

    »Und wem soll ich diese Botschaft überbringen?«

    Meliboes Lippen zuckten, aber er war klug genug, sich lieber deutlich als verschwommen auszudrücken: »Einer Gruppe von Männern, die sich in der Taverne Zum Alten Schwert trifft. Dieses Wirtshaus trägt das Emblem der Waffen der Argimeniden, so als wäre sie kaiserliches Eigentum. Aber das Emblem hat eine andere Farbe. Die Taverne befindet sich in der Straße des Einhorns, dicht bei der Kapelle. Die Männer treffen sich dort eine Stunde nach Sonnenuntergang.«

    »Das riecht sehr nach Verschwörung... Und woran sollen die Männer mich erkennen?«

    Der Doktor der Philosophie neigte den Kopf ein wenig zur Seite, legte den ausgestreckten Zeigefinger über die Wange und rieb sich mit dem Handrücken über die Bartstoppeln auf seinem Kinn. »Eure Vorsicht ist bewundernswert.« Er wandte sich um, öffnete eine Schublade, deren Fugen im Schnitzwerk des Tisches verborgen geblieben waren, und holte einen kleinen, sehr fein gearbeiteten Silberring hervor. »Dies ist Euer Pass.«

    Airar ließ den Ring durch die Finger rollen. Er fühlte sich völlig glatt an. Verdutzt blickte er auf. Über Meliboes Gesicht huschte ein Lächeln. »Ein kleiner Zaubertrick«, sagte er. »Schaut her!« Meliboe schob mit einer kurzen Handbewegung den Stoß Pergamente und die übrigen Dinge beiseite, die den Tisch bedeckten. Eine kleine Schale mit Wasser kam zum Vorschein. Der Zauberer bat Airar, ihm den Ring zu halten. Dann besprenkelte er ihn mit ein paar Wassertropfen. Da bestand er plötzlich aus reinem Eisen, mit rechtwinkligen Kanten. Als Airar den Ring jedoch am Saum seines Wamses trockenrieb, sah er wieder aus, als sei er aus Silber. Die feinen Verzierungen erschienen ebenfalls wieder.

    »Streift ihn Euch über!« Der Zauberer machte eine umfassende Geste mit dem Arm. »Ihr geht also zu dieser Schenke. Wenn man Schwierigkeiten machen sollte, bittet um ein paar Tropfen Wein oder Wasser und führt den Trick erneut vor. Was haltet Ihr davon?«

    »Famos. Aber ein Ring ist nicht immer an der Hand des Besitzers.«

    »Daran ist auch gedacht. Es gibt da ein bestimmtes Lied in einer der alten Sprachen, aus der Zeit vor den Heiden. Wie weit seid Ihr mit der Magie vertraut?«

    »Ein wenig; aber ich habe keine Übung.«

    Der Zauberer lachte kurz auf. »Nicht genug für die Zulassung bei Landvögten, ich weiß. Also, man wird Euch folgendes Lied vorsummen oder leise singen:

    Geme, plange, moesto more...

    Und Eure Antwort auf dieses Lied lautet:

    Dolorosa Dalarna.

    Ihr könnt diese beiden Zeilen auch vertauschen und die erste als Anruf benutzen.«

    Airar nahm die Weise auf und wiederholte sie sofort zur Probe, aber Meliboe hob die Hände und stand auf. »Genug des Geschäftlichen; nun zu etwas anderem: Habt Ihr schon zu Abend gegessen?«

    »Nein«, antwortete Airar, der plötzlich so hungrig war, dass er sich vorstellen konnte, sogar den widerlichen Wurm zu schlachten und sich einen fetten Brocken aus seinen Rippen zu schneiden.

    »Ich bitte tausendmal um Verzeihung.« Der Zauberer zog einen anderen Teil des Vorhangs beiseite als den, den der Zwerg benutzt hatte. »So folgt mir, junger Herr und Partner.«

    Hinter dem Tuch befand sich ein Gang und an dessen Ende ein Raum, in den Meliboe ihn hineinführte. Das ganze Gelass war, wie schon das erste, von einer einzigen Kerze erleuchtet, die oberhalb eines Bettes brannte. Der Zauberer klatschte in die Hände. Airar bemerkte, dass die Tür ein Schloss hatte, und war froh darüber. Das Männlein trat herein; es lächelte noch immer spöttisch vor sich hin. Meliboe hieß den Zwerg, etwas zu trinken zu bringen. Da der Zauberer stehenblieb, setzte sich Airar aus Höflichkeit ebenfalls nicht. So verging eine kurze Weile. Plötzlich rollte der Zauberer mit den Augen. »Ihr seid ein Glückspilz und werdet viel erreichen«, sprach er, »aber ich glaube nicht, dass Euer Glück gegen das des dreifingrigen Lords standhalten kann, obwohl er selbst nicht mehr glücklich ist. Ein Rätsel.«

    Airar starrte ihn an. Gleich darauf kam der Zwerg (den man vielleicht eher einen zu klein geratenen Mann hätte nennen können, war er doch völlig normal proportioniert, nur eben winzig) mit einem Tablett voller Fleisch, Brot und Getränke. In jenem Augenblick jedoch, als er den Raum betrat, wurde das ganze Haus von einem entsetzlichen Todesschrei erfüllt, der Airar das Blut in den Adern gefrieren ließ.

    Der kleine Mann stellte das Tablett ab und kicherte. »Der Leopard ist tot«, sagte er.

    »Bei allen Furien!«, schrie Meliboe und verschwand durch die Tür. Airar schob den Riegel vor. Erst dann machte er sich heißhungrig über die Speisen her.

      3. Naaros: Ein neuer Freund im Alten Schwert

    Airar war schon oft in Naaros gewesen, aber noch nie mit fünf Goldstücken in der Tasche und so viel Zeit zur freien Verfügung. In dieser Hinsicht war es also ein völlig neues Erlebnis für ihn. Er schlenderte durch die Geschäftsstraßen, wurde von Scharen fliegender Händler bestürmt, irgendwelchen Tand zu kaufen, aß in einer Garküche zu Mittag, wo er auch sein Bündel zur Aufbewahrung gab, und war ständig der Versuchung ausgesetzt, Geld auszugeben - bis er schließlich ein Geschäft in der Straße der Buchhändler betrat. Doch da fiel ihm ein, dass er ja, gleichsam wie eine Schildkröte, seine ganze Habe auf dem Rücken trug. So kaufte er dann doch nicht das, was er sich gewünscht hätte, wäre er in einer anderen Stimmung gewesen: ein kleines Zauberbuch, das in seine Tasche passte. Er kam weder in die Nähe der Straße, wo der Bruder seines Vaters Haus und Werkstatt im Namen von Fabrizius führte, noch in die Nähe der Docks, wo laut Auskunft des letzteren die Kogge Einhorn lag... nein, nur wenn alle Stricke rissen, würde er dorthin gehen. Vom Hafendamm aus jedoch konnte er sehen, wie die hohen Schiffsmasten in den Himmel ragten, und der scharfe Geruch der Gewürze von Uravedu und den südlichen Inseln wehte zu ihm herüber. Ein Jammer, dass er erst unter den jetzigen traurigen Umständen die Möglichkeit hatte, diese Länder kennenzulernen!

    Ohne Schwierigkeiten fand er die Straße des Einhorns, die Kapelle und die Taverne Zum Alten Schwert. Er prägte sich die Lage genau ein, um den Ort am Abend leicht wiederfinden zu können. Die Kneipe war ein düsteres Gemäuer mit vorstehendem Obergeschoss. Vor dem schmalen Eingang lungerte ein mürrisch dreinblickender riesiger Kerl mit verfilztem Haar herum, der niemanden einließ. Als das geschäftige Treiben der Stadt langsam verebbte - bald würden die Stadttore geschlossen werden -, kam der Sohn des Alvar in eine Straße am Fuße der Halbinsel, wo der Naar um die große Felszunge herumfließt, die sich scharf vor der Zitadelle von Naaros abhebt. Es war eine alte Straße, aus einem früheren Burggraben entstanden, den man später auf gefüllt hatte. Sie verlief daher im Zickzack. In den Erdgeschossfenstern der zahlreichen Läden waren Waffen und bunter Flitterkram ausgestellt, wie Soldaten ihn gerne kaufen.

    Wäre Airar nicht so müde gewesen von seiner ausgedehnten Bummelei, wäre er nicht hier und da stehengeblieben, um sich die Auslagen anzuschauen; und hätte er sich nicht so viele Dinge angeschaut, die er ja gar nicht zu kaufen beabsichtigte, wäre ihm der juwelenbesetzte Dolch, der da im Licht der untergehenden Sonne vor seinen Augen blitzte, nicht so unschätzbar wertvoll vorgekommen. Aber er konnte nicht widerstehen; sein Herz tat einen Sprung, als er endlich etwas gefunden hatte, das er kaufen und auch bei sich tragen konnte, und flugs betrat er den Laden. Ein dicker Mann mit schielenden Augen holte mit der Behutsamkeit des gewieften Handelsmannes den Dolch aus dem Fenster und gab ihn Airar, damit dieser ihn prüfen konnte. Ein herrliches Stück, beteuerte er, und der Preis betrug nur vierzig Solvar. Die Waffe war wirklich wunderbar gearbeitet; als Airar sie in der Hand hielt, drängte es ihn so sehr, die Waffe zu erwerben, dass er sie nur auf dreißig herunterhandelte (mit etwas mehr Geduld hätte er sie auch für weniger bekommen). Er zog eines seiner Goldstücke aus der Tasche. Der Händler wog es mit nachdenklicher Miene auf den Fingerspitzen und musterte den jungen Mann gleichzeitig von Kopf bis Fuß.

    »Seid Ihr nicht ein Dalekarlier?«, fragte er schließlich.

    »Ja; doch was soll diese Frage?«, erwiderte Airar barsch. So etwas passierte ihm nicht zum ersten Mal. »Wir sind doch hier im Land der Dalekarlier, oder etwa nicht?«

    Der Mann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Darf ich Eure Genehmigung sehen?«

    »Ich weiß nicht, was Ihr damit meint«, antwortete Airar, der jedoch insgeheim befürchtete, nur zu gut verstanden zu haben, was der Händler mit Genehmigung meinte.

    »Die Ausnahmegenehmigung. Ein Schreiben mit dem Siegel unseres Oberbürgermeisters mit der Erlaubnis, Waffen zu kaufen, die den höheren Ständen Vorbehalten sind. Ich habe die Anordnung, solche Waffen nicht an Personen von dalekarlischem Blut abzugeben.«

    Airar hatte also doch richtig verstanden. Er spürte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht schoss. »Wenn das Eure Anordnung ist«, schrie er wutentbrannt, »dann nehmt doch Euer dreckiges Küchenmesser und rammt es dem verehrten Herrn Oberbürgermeister in seinen feisten Wanst! Vergesst nicht, ihm dabei einen freundlichen Gruß von mir auszurichten!« Empört griff er nach seinem Goldstück.

    Das schielende Auge blinzelte ihn an. »Junger Herr, ich bin für die Regeln, nach denen Ihr zu leben habt, ebenso wenig verantwortlich wie für die Tatsache, dass Ihr sechs Fuß groß seid. Mich selbst trifft es doch am härtesten. Nun muss ich Euch nach Eurem Namen fragen, und dann muss ich zur Kaserne der Bogenschützen, um mir Löcher in den Bauch fragen zu lassen, warum Ihr Mordwerkzeug kauft. Und wenn ich es nicht tue und es stellt sich heraus, dass Ihr ein Abgesandter des Oberbürgermeisters seid, was wird dann aus mir?«

    Die Worte des Mannes erweckten in Airar nicht nur Mitgefühl, sondern sie riefen auch wieder Gedanken und Erinnerungen hervor, die ihm über den Ereignissen der vergangenen Nacht schon fast entfallen waren. »Mein Name gehört mir«, sagte er, »aber wenn es so wichtig ist, dann werde ich Euch sogar begleiten. Ich kenne einen Bogenschützen; der wird die Sache sofort klären.«

    Schielauge starrte ihn lange an. Er fühlte sich jetzt in seinem Verdacht bestätigt. »Ich danke Euch, junger Herr. Ihr seid sehr gnädig. Aber leider kann ich nicht mitkommen. Wer passt in der Zwischenzeit auf mein Geschäft auf? Ihr wisst doch sicher, wie Ihr zur Kaserne gelangt. Die erste Straße zu Eurer Rechten; dann immer geradeaus.«

    Er verbeugte sich mit einem boshaften Lächeln. Airar hatte nicht übel Lust, ihm die Faust mitten in seine hämische Fratze zu setzen. Aber er besann sich eines Besseren, drehte sich auf dem Absatz um und verließ ohne ein weiteres Wort das Geschäft. Die

    Straße führte auf einen großen kopfsteingepflasterten Platz. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes begann eine Einfriedung. Von dort aus wand sich der Pfad zum Burgfelsen hoch. Er war noch nie dort oben gewesen. Der Mann am Tor der Ummauerung hielt eine Pike in der Armbeuge und betrachtete gerade aufmerksam einen kleinen Flecken auf seiner Hand.

    »Was willst du?«

    »Zum Bogenschützen Pertuit.«

    Der Wächter musterte Airar von Kopf bis Fuß, genau wie der Händler es getan hatte, jedoch weniger freundlich, da diesmal kein Geld im Spiel war. Er stellte die Pike gerade, wandte den Kopf um und schrie: »Louche! Louche! Sag der alten Kuhschnauze, hier wär' so ein Rotzlümmel, der ihn sprechen will!« Das also war Airars erste Bekanntschaft mit der Wachmannschaft, einmal abgesehen von Pertuit und dem freundlichen Tölpel, der auf dem Marktplatz für Ruhe und Ordnung sorgte.

    Kurz darauf kam Pertuit angeschlurft. Er trug Kappe und Schwert, gähnte heftig und kratzte sich ausgiebig. Sein Kinn war mit Bartstoppeln übersät. Er schämte sich ein wenig wegen des spöttischen Blickes und Pfiffes, den sein Kamerad ausstieß, weil er sich von einem gutaussehenden jungen Dalekarlier herausrufen ließ. »Was ist denn?«, schnaubte er gereizt, und Airar war drauf und dran, sich aus dem Staub zu machen. Aber dann blieb er doch stehen. Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Landbewohners in der Stadt.

    »Ich hatte gedacht, Ihr helft mir vielleicht, ein Wirtshaus zu finden, wo wir miteinander ein Hühnchen rupfen könnten«, sagte Airar. »Ich habe etwas Geld.« Er ließ einen seiner Goldaurar auf der Handfläche hüpfen.

    Die schlechte Laune verschwand jäh aus dem Gesicht des Bogenschützen. »Sei gegrüßt, Junker!«, rief er. »Holla, wir werden noch einen echten Vulkinger aus dir machen. Wirklich nobel von dir, einen alten Kämpen einzuladen, der sein ganzes Leben in Ehren gedient hat. Schon lange nicht mehr vorgekommen. Das letzte Mal hat uns Prinz Aurareus einen ausgegeben, als er im Gefolge des kaiserlichen Vizekönigs vorbeikam und jedem Mann der Burgwache mal eben sechs Flaschen hochschickte, damit wir auf sein Wohl einen heben konnten.« Er hatte Airar beim Arm genommen und führte ihn mit raschem Schritt über den Platz. Der Torwächter schaute dem Paar mit weit offenen Augen und wässrigem Mund nach. »Nicht dass...« Pertuit blickte sich schnell um und stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Ha, diese stinkenden Kaiserlichen! Du erlebst es nie, dass der alte Rotbart der Bogenschützengarde mal einen ausgibt! Ist mir egal, wenn das einer mitgekriegt hat. Da drüben ist 'ne gute Schenke.«

    Airar kam der Schankraum unendlich lang vor. Ohrenbetäubendes Stimmengewirr erfüllte die Schenke, und die Luft war zum Schneiden vom Rauch der Stocklaternen. Überall drehten sich Bratspieße; der köstliche Geruch stieg Airar in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er spürte, wie seine Lider flatterten, als der Wirt auf sie zutrat. Doch er lächelte beim Anblick des roten Dreiecks auf Pertuits Schulter. Aber dann bekam er einen etwas ängstlichen Gesichtsausdruck, als der Bogenschütze sagte: »Für uns 'nen Sitzplatz, 'nen Vogel und Carrhoene... aber nicht den geharzten, klar? Keine Angst, der junge Herr ist reich. Zeig ihm dein

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