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Far Cry 5: Vergebung: Die Vorgeschichte zum Videogame
Far Cry 5: Vergebung: Die Vorgeschichte zum Videogame
Far Cry 5: Vergebung: Die Vorgeschichte zum Videogame
eBook308 Seiten5 Stunden

Far Cry 5: Vergebung: Die Vorgeschichte zum Videogame

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Über dieses E-Book

Panini präsentiert den offiziellen Roman zum Spiel, der die Vorgeschichte zu den Geschehnissen in Far Cry 5 porträtiert und damit zur idealen Einstimmung und Vorbereitung für das Spiele-Highlight des Jahres wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberPanini
Erscheinungsdatum27. Feb. 2018
ISBN9783736799868
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    Buchvorschau

    Far Cry 5 - Urban Waite

    Der Roman zum Videospiel

    Von Urban Waite

    Aus dem Englischen von

    Andreas Kasprzak & Tobias Toneguzzo

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Englische Originalausgabe:

    „Far Cry: Absolution" by Urban Waite, published by Ubisoft, San Francisco, USA, February 2018.

    Cover by Faceout Studio

    Book design by dix!

    © 2018 Ubisoft Entertainment. All Rights Reserved. Far Cry, Ubisoft,

    and the Ubisoft logo are trademarks of Ubisoft Entertainment in

    the U. S. and/or other countries.

    No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

    Übersetzung: Andreas Kasprzak

    Lektorat: Tom Grimm

    Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

    Chefredaktion: Jo Löffler

    Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

    Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

    YDFARC001E

    ISBN 978-3-7416-9986-8

    Gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-8332-3640-2

    Findet uns im Netz:

    www.paninicomics.de

    PaniniComicsDE

    Besonderer Dank an:

    Yves Guillemot, Laurent Detoc, Alain Corre,

    Geoffroy Sardin, Yannis Mallat, Gérard Guillemot, Jean-Sébastien Décant, David Bédard, Manuel Fleurant, Dan Hay, Andrew Holmes, Nelly Kong, Marie-Joelle Paquin, Julia Pung, Sébastien Roy, Andrejs Verlisd,

    Sarah Buzby, Clémence Deleuze, Caroline Lamache, Victoria Linel, Anthony Marcantonio, François Tallec, Joshua Meyer, Virginie Gringarten, Marc Muraccini,

    Cécile Russeil, Raha Bouda, Stone Chin, Holly Hua,

    Jordan Archer, Bailey Mcandrews, Adam Climan,

    Heather Haefner, Barbara Radziwon, Damian Dale,

    Tom Curtis, Giancarlo Varanini, Lauren Jaques,

    Derek Thornton, Tina Cameron.

    Für die Fans,

    die all dies Wirklichkeit werden ließen.

    Prolog

    Die Ernte ist die Vollendung des Zeitalters,

    die Schnitter aber sind Engel.

    Matthäus 13,39

    Der Sheriff kam herein, setzte sich auf seinen Stuhl, nahm den Hut ab, legte die Beine hoch und sah sie über den Schreibtisch hinweg an. „Was hat das alles zu bedeuten?", fragte er.

    „Sie wissen, was das zu bedeuten hat, entgegnete Mary May. „Ich will bloß wissen, was Sie deswegen zu unternehmen gedenken.

    Der Sheriff fummelte an seinem Hutband herum, pflückte dann etwas von der Krempe und schnippte es fort. Früher hatte er sich als Bullenreiter verdingt. Mary May konnte sich an ihn erinnern, und daran, dass ihr Daddy und ihre Mama sie und ihren Bruder Drew mitgenommen hatten, um diesen Mann reiten zu sehen, als sie noch ein Mädchen gewesen war. Damals war er schmächtig und jung, und sie stand am Rande des Gatters und verfolgte, wie der Mann aus dem Verschlag kam, und sie hatten ihn angefeuert, oben zu bleiben, und zugesehen, wie er in die Mitte der Arena geprescht war, während die Erde unter den Hufen des Bullen hervorspritzte und der Mann auf dem Rücken des Tieres auf und ab hüpfte und alle Mühe hatte, sich festzuhalten. In diesem Moment hatte er vollkommen furchtlos gewirkt. Seinerzeit kam er ihr wie so eine Art Held vor. Jetzt hingegen gemahnte er sie an alles andere als das.

    Er warf den Hut auf den Tisch, nahm dann seine Füße von der Platte und schaute ihr geradewegs in die Augen. „Kacke, Mary May, du weißt so gut wie ich, dass ich nicht das Geringste deswegen unternehmen kann. Du weißt, dass das Ganze bloß ein Unfall war, und selbst, wenn nicht, gäbe es gottverdammt noch mal nichts, das ich tun könnte."

    „Ein Unfall? Daddy ist da raus, um Drew zurückzuholen. Er hat über vierzig Jahre lang als Trucker gearbeitet, ohne dass er sich dabei auch nur einen Kratzer geholt hätte, weder an seinem Bock noch an denen der Leute, die ihn angeheuert haben. Und jetzt kommen Sie daher und bezeichnen die Sache als ‚Unfall‘?"

    „Dein Verlust tut mir aufrichtig leid, aber ich kann nichts für dich tun."

    Sie sah ihn an, wie er dort saß, und tatsächlich konnte sie das ehrliche Mitgefühl in seinen Augen sehen, und irgendwie tat er ihr leid, weil sie wusste, dass das, was er da sagte, die Wahrheit war. „Denken Sie, die werden den Bogen jemals überspannen? Denken Sie, dass die Sie jemals so weit in die Enge drängen werden, dass Ihnen am Ende gar keine andere Wahl bleibt, als zu handeln?"

    „Worüber genau reden wir hier gerade?"

    Sie schenkte ihm ein Lächeln. Sie ließ ihren Blick durch das Büro und dann zurück zu seinem Schreibtisch schweifen, zu dem Hut, der auf dem Holz zwischen ihnen lag. Sie würde diesen Herbst dreißig Jahre alt werden. Sie hatte praktisch alles verloren, das ihr lieb und teuer war, und das, wie es schien, von einem Tag zum anderen. Das Einzige, das ihr geblieben war, waren die Bar und dieser Zorn, der in ihr wuchs und wuchs und wuchs. Jetzt sah sie den Sheriff an und erklärte: „Drew ist immer noch da draußen. Ich habe vor, ihn zurückzuholen, oder ihm zumindest zu sagen, dass unser Daddy tot ist. Darüber reden wir hier." Sie stieß sich von dem Tisch nach hinten zurück und stand auf. Sie trug ein T-Shirt und Jeans. Ihr schulterlanges braunes Haar war hinter ihrem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden, und sie konnte das gefährliche Pulsieren des Blutes fühlen, das eine Ader an ihrem Hals puckern ließ, doch es war ihr unmöglich, etwas dagegen zu tun.

    „Ich war draußen, einmal", sagte er; seine Worte ließen sie abrupt innehalten, nachdem sie sich bereits abgewandt hatte und zur Bürotür hinübergegangen war.

    Ihre Hand lag auf dem metallenen Türknauf, und in dem Glas darüber, das das Fenster mit den schablonierten Buchstaben hinter ihr zeigte, konnte sie sehen, dass er nun ebenfalls stand und sie nicht aus den Augen ließ.

    „Ich war eingeladen. Sie baten mich, vorbeizukommen und an einem ihrer Gottesdienste teilzunehmen."

    Sie drehte sich um und starrte ihn an. Sie wartete.

    Er kam einige Schritte auf sie zu, um den Tisch herum, begegnete ihrem Blick einen Moment lang und wandte ihn dann ab. Als er ihr wieder in die Augen schaute, sagte er: „Wir haben Katastrophenjunkies, wir haben Endzeitfanatiker, wir haben ganze Familien, die in Hütten oben in den Hügeln hausen. Ohne Strom. Ohne fließend Wasser. Oma und die Urgroßenkel schlafen zu dritt auf einer Pritsche, während Mami und Papi für weiteren Nachwuchs sorgen. Wir haben Nutten mit Knarren. Wir haben Bunker und befestigte Anlagen. Wir haben Freidenker, Anarchisten, Nihilisten, Demokraten und Gott weiß was noch für Geschmeiß, aber ich sage dir, das, was ich dort oben in Eden’s Gate erlebt habe … Ihre Überzeugungen, die gottverdammte Macht, die sie den Worten des Vaters beimessen … Das war richtiggehend ansteckend und ging mir gehörig unter die Haut. Das sind wahre Gläubige, verstehst du? Jeder Einzelne von denen. Und das hat nichts damit zu tun, dass man nichts Schlechtes über sie sagen oder ihren Glauben infrage stellen sollte. Doch ich sage dir, das alles hat mir mehr Angst eingejagt als alles andere, das ich in diesem Leben schon gesehen habe, und ich kann nicht das Mindeste deswegen unternehmen, denn wie du wohl weißt, ist alles, was dort passiert, vollkommen legal."

    „Haben Sie diese Ansprache einstudiert?", fragte Mary May.

    „Jedenfalls rede ich mir das alles jeden Abend vor dem Zubettgehen genau so ein."

    Sie sah ihn noch einen Augenblick länger an, ehe sie sich umdrehte und die Tür öffnete. Als sie über die Schulter zurückschaute, stellte sie fest, dass er sie ernst fixierte. „Er ist mein Bruder, sagte sie. „Er ist alles, was ich noch habe.

    Mary May war halb den Berg hinauf, als sie den weißen Kirchen-Wagen in ihrem Rückspiegel auftauchen sah. Der Wagen folgte ihr bereits seit fünf Meilen. Bei jeder Kurve, die die Straße beschrieb, behielt sie ihn im Auge und wartete und beobachtete die fernen Bäume und die Biegung des Asphalts, dort, wo die Straße verschwand, doch das Auto blieb ihr unbeirrt auf den Fersen. Jedes Mal tauchte er wieder aus der Kurve auf und folgte ihr weiter, als seien die beiden Fahrzeuge – ihr roter Ford-Pickup und der weiße Kirchen-Wagen, ebenfalls ein Pickup – durch ein unsichtbares Seil miteinander verbunden, sodass sie die Kirchenkarre hinter sich herzog.

    Sie fuhr noch eine Meile weiter, ehe sie schließlich an den Straßenrand fuhr, die alte, verchromte .38er ihres Vaters hervorholte und sie vor sich aufs Armaturenbrett legte. Hätte es jemanden gegeben, den sie hätte anrufen können, hätte sie es jetzt getan, doch abgesehen davon, dass der Handyempfang hier in Hope County absolut bescheiden war, gab es ohnehin niemanden, den sie benachrichtigen konnte, darum schaute sie stattdessen hoch in den Rückspiegel und wartete darauf, dass der weiße Pickup hinter der letzten Kurve hervorkam.

    Als der Wagen schließlich hinter ihr auf den Schotter des Seitenstreifens bog, beobachtete sie ihn nervös im Seitenspiegel, während sie dort saß und wartete und immer wieder zu der .38er auf dem Armaturenbrett hinschaute, auch wenn sie keine Anstalten machte, die Waffe zu ergreifen. Sie erkannte den Mann auf dem Fahrersitz des anderen Wagens und wusste, dass sein Name John Seed war. Sie kannte ihn bereits ihr halbes Leben lang, und obwohl es einst eine Zeit gab, in der sie ihn lediglich als ein weiteres menschliches Wesen betrachtet hatte, das auf dieser Welt lebte, war er das nicht mehr. Jetzt war er eine Gefahr für sie, genauso wie für jeden anderen, der ihm in die Quere zu kommen drohte. Er und seine Brüder waren diejenigen, die Eden’s Gate leiteten, und wenn überhaupt jemand wusste, was ihrem Vater zugestoßen war oder wo sie ihren Bruder finden konnte, dann war das John Seed.

    Sie verfolgte, wie er die Fahrertür aufstieß und ausstieg. Er war zehn Jahre älter als sie und etwas über einen Meter achtzig groß, mit braunem Haar und einem Vollbart, der die untere Hälfte seines Gesichts bedeckte. Im Spiegel sah sie, dass er den Blick auf sie gerichtet hielt, ehe er in den Innenraum des Pickups langte und etwas aus der Fahrerkabine hervorholte. Mary May glaubte, es könne sich um eine Waffe handeln, doch sie konnte sich dessen nicht sicher sein, deshalb beobachtete sie angespannt, wie er die Rückseite seines Hemdes hochschob und das, was immer er in der Hand hielt, unter dem Stoff verbarg. Als er zu ihr herüberkam, hatte sie ihr Fenster bereits einen Spaltbreit geöffnet und schaute erwartungsvoll zu ihm auf.

    „Hast du Angst?", fragte John.

    Sie sah ihn an. „Sollte ich das haben?"

    Er stand einige Sekunden lang da, ehe er die Hand ausstreckte und mit den Fingern über die Oberseite der Fensterscheibe strich, sodass seine Fingerspitzen ins Innere ragten. „Hast du eine Genehmigung für dieses Ding?", fragte er, den Blick jetzt auf die Waffe auf dem Armaturenbrett gerichtet; seine Fingerkuppen verweilten noch einen Moment länger oben auf dem Fenster, bevor er sie zurückzog.

    Ihre Augen glitten zu der Waffe und dann wieder zu John, der einen Schritt zurückgewichen war und jetzt schräg neben ihrem Pickup stand, vielleicht, weil er argwöhnte, dass sie die Bleispritze benutzen würde. „Die hat Daddy gehört", sagte sie.

    Sie verfolgte, wie er sie musterte und dann zur Seite schaute. Er schien darüber nachzugrübeln, was die richtige Erwiderung darauf war. „Es tat mir leid, das von ihm zu hören", entgegnete John schließlich, und irgendwie fand sie, dass das, naja, fast menschlich klang.

    Sie begegnete seinem Blick und erklärte: „Er war gerade auf dem Weg hier raus, um Drew zu holen, als es passiert ist."

    „Ist das so?"

    „Und jetzt bin ich hier, um Drew aufzusuchen und ihm zu sagen, dass er nach Hause kommen soll."

    „Das ist mir bereits zu Ohren gekommen."

    „Ach, ja?"

    „Sicher, entgegnete John. „Dank all der Leute, die ich so kenne, höre ich alles Mögliche. So, wie ich gehört habe, dass ihr immer noch Alkohol ausschenkt, obwohl wir euch gebeten haben, das zu unterlassen. Das ist bloß eine Sache, die ich gehört habe.

    Sie sah ihn an, als wäre er zurückgeblieben, auch wenn sie nur zu gut wusste, dass dem nicht so war. „Wie soll ich Ihrer Meinung nach eine Bar betreiben, ohne Alkohol auszuschenken?"

    „Mach den Laden dicht."

    Sie starrte ihn an. Er hatte das vollkommen sachlich gesagt, und ihr war klar, dass er es ernst damit meinte. „Wissen Sie, wo mein Bruder ist?"

    „Ich weiß, wo er ist. Er ist bei uns."

    „Weiß er das mit Daddy?"

    „Er weiß davon."

    „Werden Sie zulassen, dass er den Berg verlässt?"

    „Es steht ihm frei, den Berg zu verlassen, wann immer ihm der Sinn danach steht. Ich bin nicht sein Aufseher."

    „Ach, sind Sie nicht?"

    „Sonst würde ich es nicht sagen."

    Sie lehnte sich vor, schloss ihre Finger um den Zündschlüssel, ließ den Motor an und saß dann da, mit beiden Händen am Lenkrad. Die verchromte .38er lag immer noch auf dem Armaturenbrett und vibrierte im Rhythmus des Motors.

    „Wo willst du hin?"

    „Ich werde jetzt meinen Bruder holen."

    Er stand da und sah sie an. „Hör zu, sagte er. „Du bist doch ein cleveres Mädchen.

    Sie hasste die Art und Weise, wie er das sagte, so, als wüsste er etwas, von dem sie nichts ahnte.

    Er ging ein Stückchen vorwärts, und sie hob eine Hand vom Lenkrad, während ihr Blick von Neuem zu der Waffe glitt. Er beobachtete sie und schaute dorthin, wohin ihre Hand gewandert war, und meinte zu ihr, dass dies alles absolut unnötig sei und sie einfach auf der Stelle umdrehen und den Berg wieder hinunterfahren solle, bevor irgendetwas passierte, das sich nicht ungeschehen machen ließ.

    Als sie losfuhr und der Straße unbeirrt weiter folgte, stand er immer noch da. Im Rückspiegel verfolgte sie, wie er am Straßenrand stand und ihr nachschaute, und dann sah sie, wie er dieses Ding nahm, das er sich hinten in den Hosenbund geschoben hatte, und es an seine Lippen hob. Es war ein Funkgerät, erkannte sie nun, und sie wusste, dass es bei dem, das er in diesem Moment hineinsprach, höchstwahrscheinlich um sie ging, genauso, wie sie wusste, dass das vermutlich nichts Gutes verhieß.

    Nach einer Meile nahm sie die .38er zur Hand und legte sie unter ihren Oberschenkel, um gerade so viel Druck darauf auszuüben, dass sie nicht verrutschte, während sie weiter den Berg hochfuhr, wobei sie den Blick bei jeder Kurve in der Straße, die sie nahm, auf den Rückspiegel gerichtet hielt, halb in der Erwartung, festzustellen, dass John ihr noch immer auf den Fersen war.

    Als sie um die nächste Kurve bog, entdeckte sie die beiden Kirchen-Wagen, die quer auf der Straße auf sie warteten. Vier Männer standen bei den Wagen, die aufschauten, als sie näherkam, und abwarteten, was sie tun würde; jeder von ihnen trug etwas bei sich, bei dem es sich – aus dieser Entfernung nach zu urteilen – um ein Jagd- oder vielleicht sogar um ein Sturmgewehr handelte. Sie hielt mitten auf der Straße an, holte den Revolver unter ihrem Schenkel hervor, klappte die Trommel auf und musterte die Patronen. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte, und ihre Vernunft sagte ihr, dass es klüger gewesen wäre, kehrtzumachen. Doch sie wusste, dass sie das nicht tun würde, denn jetzt aufzugeben bedeutete, ihren Bruder aufzugeben, und damit alles, was er für sie repräsentierte, und alles, wofür ihre Familie stand, alles, das zu bewahren ihr Vater so unerbittlich gekämpft hatte.

    Sie beobachtete die vier Männer, die ihr entgegenstarrten. Dann legte sie den Rückwärtsgang ein, hielt sich mit einer Hand an der Rückenlehne des Beifahrersitzes fest und trat das Gaspedal nach unten. Die Räder des Pickups setzten sich in Bewegung, und dann rollte sie nach hinten, auf der Straße rückwärts. Ihr kam eine schmale Schotterpiste in den Sinn, an der sie vorbeigekommen war, als sie den Berg hochfuhr. Doch als sie die Kurve unmittelbar vor dem Schotterweg umrundete, sah sie John in seinem eigenen Wagen den Berg hochkommen.

    Einen flüchtigen Moment lang dachte sie an ihren Vater. Sie dachte daran, wie sie ihn gefunden hatten, über dem Steuer zusammengesackt, die Windschutzscheibe gesprungen, der mächtige Truck ramponiert und zerbeult. Es gab keine Zeugen und keinen offensichtlichen Grund für das, was ihm zugestoßen war, aber jetzt war er tot, einfach so ausgelöscht, genauso, wie es ihr nun drohte, und das nur, weil er – wie sie jetzt – versucht hatte, ihren Bruder zurückzuholen. Dann hallten Johns Worte in ihren Gedanken wieder; sie entsann sich, was er zu ihr gesagt hatte, und sie dachte an all das, was er damit meinte, und sie wusste mit fast absoluter Gewissheit, dass ihr Vater keinem Unfall zum Opfer gefallen war.

    Mary May wurde nicht langsamer, als sie auf John zufuhr; stattdessen trat sie das Gaspedal voll durch, und als der Motor aufheulte, riss sie das Steuer hart nach links, sobald sie die Schotterpiste entdeckte, um die Straße hinter sich zu lassen. Sie raste jetzt rückwärts den Berg hinauf, und der Schotter fing sich unter den Reifen und prasselte gegen die Radkästen, und als sie sich umdrehte, um durch die Windschutzscheibe zurückzuschauen, konnte sie John ausmachen, der ihr durch den Staub folgte, den ihre Räder aufwirbelten.

    Sie sah in den Rückspiegel, ehe sie ihre Hand erneut auf die Rückenlehne stützte und weiterfuhr. Ein Stück weiter die Straße herunter waren die beiden anderen Kirchen-Wagen den Berg heruntergekommen, um – einer nach dem anderen – abzubiegen und John auf dem Holzabfuhrweg zu folgen.

    All dies realisierte Mary May beim Fahren; der Motor brummte und der Tacho näherte sich der Vierzig-Meilen-Marke, während sie rückwärts weiterbrauste. Die schmale Piste bot ihr keinerlei Gelegenheit zu wenden, darum behielt sie den Fuß auf dem Gaspedal und ihren Arm auf der Rückenlehne und ihre Augen auf die Straße gerichtet. Inzwischen war der Schotter verschwunden, und sie fuhr auf durchweichter Erde, zu allen Seiten gesäumt vom dichten Dickicht des Bergwaldes. Der Wagen sauste noch immer rückwärts dahin und jagte durch Pfützen; die Reifen ließen den Matsch durch die Luft spritzen, sodass er gegen die Heckscheibe klatschte. Die Ladefläche ihres Pickups hüpfte auf und ab; als sie aus einer besonders tiefen Pfütze auftauchte, wirkte sie wie der Bug eines Schiffs, das durch schlammbraune Wellen bricht. Die Scheiben wurden zusehends von der matschigen Gischt verklebt, die die Reifen aufwirbelten.

    Als sie gegen etwas fuhr, was auch immer es sein mochte – vielleicht gegen einen Felsbrocken oder einen quer über die Straße gelegten Baumstamm –, hatte sie immer noch vierzig Meilen pro Stunde drauf. Das genügte, um den Wagen seitlich über die Straße rutschen zu lassen. Sie versuchte zu bremsen und das Lenkrad herumzureißen, aber dann krachte sie gegen irgendetwas anderes, und der Pickup segelte durch die Luft, überschlug sich und schlitterte über den Wegesrand hinaus in den Wald dahinter.

    1.

    Jene, die Hand an unsere Arche legen, jene, die danach trachten, uns in den Fluten zu ertränken, jene, die uns nach all den Mühen, die wir auf uns genommen haben, einfach beiseiteschieben wollen – all jene werden feststellen, dass jede Hand, die sie gegen uns erheben, von ihrem Arm abgetrennt wird. Ebenso mühelos gekappt wie der Weizen von der scharfen Sichel des Bauern, der, nach all seiner harten Arbeit, schließlich seine wohlverdiente Ernte einbringt.

    Der Vater, Eden’s Gate

    Hope County, Montana, USA

    EINE WOCHE ZUVOR …

    Der Bär war ein riesiger Grizzly, geradewegs aus Kanada.

    Donner hatte Will Boyd geweckt, und als er jetzt in die Nacht hinaustrat und nach Norden schaute, zeichneten sich die Silhouetten der Rocky Mountains wie dunkle Wächter vor dem helleren Grau von Wolken und Mond ab. Das Unwetter tobte irgendwo weiter nördlich. Bereits den ganzen Tag über, während er seiner Arbeit nachging, hatte er gespürt, wie es sich zusammenbraute, wie die Luft immer dichter wurde und dieses klamme Gefühl von Schwere, die damit einherging, stetig zunahm, um sich innerhalb einer Sekunde zu verflüchtigen, als der Regen schließlich losprasselte und sich der Himmel aufhellte und sich dann, von Blitzen zerrissen, spaltete wie zersplittertes Eis auf einem Teich, um bald darauf in eben dem Wasser zu versinken, aus dem es entstanden war.

    Sechs oder sieben Meilen entfernt, am Hang des Berges, konnte er den Regen wie einen dichten Vorhang fallen sehen, vom Wind vorwärts getrieben. Er stand da und schaute von seinem Platz auf dem Hügel aus zu. Überall um ihn herum breitete sich der Wald aus, Murraykiefern und Schimmelfichten, und weiter unten, in der Senke zwischen dem Vorgebirge und dem Forst, sah er, wie die Blitze das Feld Schillergras dort erhellten, das sich bis in die Unendlichkeit der Nacht zu erstrecken schien.

    In den letzten zwölf Jahren hatte er dieses Feld viele Male überquert. Er wusste, wie es aussah, wenn es im Frühling in voller Blüte stand, erfüllt von lila Glockenblumen und blauem Flachs. Im Sommer machten diese Farbtöne größtenteils Goldgrün Platz, und dann den ganzen Herbst hindurch Schattierungen von Braun, ehe das flache Land sechs Monate des Jahres unter einer weißen Decke verschwand. Er hatte dieses Feld schon in bitterer Kälte und feuchter Hitze überquert, wenn er von der Hütte hinunterstieg, die man ihm überlassen hatte, über das Land wanderte, das die Kirche seiner Aufsicht überlassen hatte, in den Händen die beiden Plastikeimer, mit denen er sein Wasser zu holen pflegte. Häufig sah er dabei Elche oder Hirsche, und manchmal zog ein Falke oder ein Adler hoch über ihm ihre Kreise.

    Jetzt stand er hier, über diesem Feld, in dieselbe Wolldecke gewickelt, mit der er sonst in seinem Bett schlief, und verfolgte, wie der Regen in der Ferne von Gebirgskamm zu Gebirgskamm getrieben wurde, fast so, als wäre der Wind ein Lebewesen, das man sehen und anfassen konnte. Das erste Donnergrollen hatte ihn aus seinem Schlummer gerissen, woraufhin er in die blaue Nacht hinausgegangen war, um zu warten und die fernen Berge zu beobachten. Ein weiterer Blitz zuckte, einige Momente später gefolgt vom Donner. Von Neuem wurden die Hügel und Berge ringsum von diesem elektrischen, blauweißen Licht erhellt. Will zog die Decke fester um seine Schultern, trat einen Schritt vor und verfolgte, wie das pulsierende Licht erlosch, während sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten. Der Blitz glich einer verzweigten Gabel, und wenn er die Augen schloss, konnte er ihn immer noch sehen, gefangen in der Schwärze unter seinen Lidern.

    Was er in diesem Moment als Erstes entdeckte, war der Hirsch, ein voll ausgewachsener Bock, bei dem gerade das Jahresgeweih zu wachsen begonnen hatte. Als es erneut blitzte, hatte das Tier das Feld in der Dunkelheit bereits zur Hälfte überquert. Mitten in der Bewegung erstarrt dank des Blitzes von oben, eines seiner Vorderbeine ausgestreckt und die beiden kräftigen Hinterläufe im Sprung befindlich, schien es, als würde der Hirsch über das Feld schweben. Will sah das Tier auftauchen und dann wieder verschwinden, als der Blitz am Himmel erlosch, dicht gefolgt vom Dröhnen des Donners; mittlerweile war das Unwetter näher und das Vorgebirge weiter draußen fing an, hinter den Regenschleiern zu vergehen.

    Er ging in Gras und Segge einige Schritte weiter vor, auf der Suche nach dem Bock, doch in den wenigen Sekunden, seit er sich gezeigt hatte, war er wieder abgehauen, um wie auf der Flucht quer über das Feld zu preschen.

    Dann trottete der riesige Grizzly auf das Feld, eine Gestalt aus gekrümmten Muskeln, die sich in dieser tieferen Dunkelheit unmittelbar vor dem Sturm bewegte, ganz Oberkörper und geschmeidige Kraft unter dem zotteligen Fellmantel. Der Bär hatte die Ohren am Kopf zurückgelegt, als er schnell und mit großer Hast die ebene Fläche überquerte. Hoch droben loderte ein weiterer Blitz auf, und mit einem Mal wirkte der Bär wie ein Ausstellungsstück in der großen Halle irgendeines Museums – riesig und wild.

    Gleichwohl, als der Blitz verging, war der Bär immer noch da, näher jetzt, bereits auf halbem Wege über das Feld. Inzwischen fielen die ersten paar Regentropfen vom Himmel, von dem böigen Wind, der dem Sturm vorausging, vorwärts getrieben. Der Bär hob seine Schnauze in Richtung der fernen Bäume und des anrückenden Regenvorhangs und schien in die Luft zu schnüffeln. Als sich das Tier auf seinen

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