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Tales from Haven: Ausgelöscht Sonderedition
Tales from Haven: Ausgelöscht Sonderedition
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eBook476 Seiten6 Stunden

Tales from Haven: Ausgelöscht Sonderedition

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Über dieses E-Book

Das Schlachtfeld im Reich der Spinnen ist noch nicht einmal kalt, da verbreitet sich eine schreckliche Erkenntnis wie ein Lauffeuer: Das Ende von allem, was existiert, hat begonnen. Während alle um ihr Überleben kämpfen, versucht Luna, gefangen zwischen Trauer und Verlust, auf eigene Faust die Fehler der Vergangenheit zu bereinigen. Doch wird es ihr gelingen, das Schlimmste zu verhindern? Die letzten Geheimnisse der Familie King
warten darauf, enthüllt zu werden.

ACHTUNG! Die Sonderedition beinhaltet das originale Cover des Autors sowie einen linksbündigen Buchsatz!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Okt. 2023
ISBN9783757871468
Tales from Haven: Ausgelöscht Sonderedition
Autor

John Welante

John Welante, geboren 1988 in Wolfenbüttel und in Braunschweig aufgewachsen. Wie bei vielen anderen schreibenden Seelen hatte John bereits in seiner Jugend ein Gefühl für gute Geschichten gehabt. 2020 fasste er dann den Entschluss, aus diesem Talent mehr zu machen. Wenn John nicht gerade schreibt, erkundet er die Welt, genießt ein gutes Hörbuch oder die Gesellschaft seiner Mitmenschen

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    Buchvorschau

    Tales from Haven - John Welante

    Vergesst niemals:

    Stolpersteine sind die Treppen zum Erfolg.

    Gebt also niemals auf, wenn ihr ein Ziel vor

    Augen habt.

    Der Wert eines Lebens wir dan so

    Dielen Dingen bemessen, de alle

    keinerlei Wert haben, dass wir

    vollkommen vergessen, warum ein

    jedes Leben gleichermaßen wertvoll

    ist.

    Inhaltsverzeichnis

    Der Beginn einer Legende

    Die traurige Königin

    Flucht

    Bis zur Dämmerung

    Die Arche

    Ein seltsamer Vogel

    Zerfall einer Ära

    Ein Sturm zieht auf

    Frequenzen

    Der Feuergott

    Seelenlichter

    Überlebenskünstler

    Wie ein Elefant

    Eine letzte Chance?

    Eden

    Verhängnisvolle Vorsehung

    Wunderbare Lügen

    Messias

    Wiedergänger

    Teezeit

    Verdorrte Liebe

    Ein Kreis schließt sich

    Schuld und Sühne

    Gefühllos

    Quälende Gewissheiten

    Das Schicksal ruft

    Die, die hoffen

    Quid pro quo

    Das Vermächtnis der Familie King

    Der Traumwandler

    Nur ein weiterer Scherbenhaufen

    Das letzte Licht

    Das Ende aller Welten

    Der erste Funke

    Varianten

    Von Heldentum und dunklen Rittern

    Nebulöse Freuden

    Lapis Variabilis

    Die Last eines Versprechens

    Der Schmerz eines Verlustes

    Weltenfresser

    Überlebenskämpfe

    Machtspiele

    Destiny

    Nur ein einziger Augenblick

    Blütezeit

    Das Leben danach

    Verbunden

    Danksagungen

    Content-Warnungen

    Der Beginn einer Legende

    B-73.09.A.49-005: Vor dreißig Jahren.

    Die Sonne stand tief und tauchte den Dschungel in warme Goldtöne. Irgendwo in der Ferne spielten affenähnliche Geschöpfe mit einem senkrechten und über den ganzen Kopf verlaufenden Mund in den Baumkronen euphorisch ihre Lieder. Luna ließ ihre Ohren aufzucken. Fast war sie sicher, dass die Affen wussten, dass die letzte der beiden Schwestern tot war und sie nun keinen Basiliskenangriff mehr befürchten mussten. Das alles wegen ihres Dads. Er war es, der Penélopes Dolch in das Auge der Kreatur rammte und damit ihr grauenerregendes Schicksal besiegelte. So großartig dieses ganze Abenteuer durch Zeit und Raum auch war, jetzt war es für Luna an der Zeit Abschied zu nehmen und in ihre Gegenwart zurückzukehren. Ihre Finger umklammerten Jonathans Rücken eine Spur fester.

    Luna kostete jeden noch verbleibenden Moment aus, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Worte waren nicht nötig. Sie wussten, was sie füreinander empfanden. Und sie waren beide froh darüber, diesen Moment noch miteinander zu haben. Luna vergrub ihren Kopf ganz tief an Jonathans Brust, atmete ein letztes Mal den Sandelholzduft ihres Dads ein. Dann gab er ihr einen behütenden Kuss auf die Stirn.

    »Es wird Zeit«, sprach er mit sanfter Stimme.

    Sie schluckte schwer, nickte und löste sich nur widerwillig aus der Wärme seiner Umarmung.

    Jonathan sah einer mutigen jungen Frau dabei zu, wie sie zögerlich und voller Angst zu dem schicksalhaften Übergang trat.

    Ihre Hand glitt zitternd zu dem Stein an ihrer Kette und umklammerte diesen hoffnungsvoll. Der Spalt vor ihrer Nase flackerte bereits instabil. Ein letztes Mal drehte Luna sich um. Sah noch einmal in das warmherzige Gesicht ihres Vaters, dann war sie verschwunden.

    Jonathan stellte sich vor, wie Luna plötzlich aus dem Übergang zurücksprang und wieder vor ihnen stand. Leicht außer Atem und mit irgendeinem bissigen Kommentar im Gepäck. Einem, mit dem sie den beiden erklärte, dass die Idee dumm sei, sie in eine sterbende Welt springen zu lassen, um sie durch die Zeit zu schicken. Diego und er würden erst fassungslos dreinschauen und dann darüber lachen. Doch im Anschluss würde Jonathan alles daran setzen, einen anderen, besseren Weg für seine Tochter zu finden. Doch je länger er so da stand, desto klarer wurde Jonathan, dass das nicht passieren würde.

    »Sie ist tatsächlich fort«, entfuhr es Jonathan nach kurzem Zögern mit trauriger Stimme.

    Der Arm des Drachen ging kumpelhaft auf Jonathans Schulter nieder und ließen diesen erschrocken prusten. »Du wirst sie wiedersehen, ganz sicher sogar.«

    Jonathan blickte zu ihm auf und seufzte. »Ich weiß, aber wird es dasselbe sein?«

    Diego lachte laut auf. »Warum sollte es das nicht? Sie hat dir nie verraten, wer ihre Mutter ist, oder unter welchen Umständen du diese treffen wirst. Das war sehr schlau von dem kleinen Troublemaker.«

    Jonathan ließ die kräftigen Schultern hängen. »Wie beruhigend. Aber das meinte ich gar nicht.« Er zögerte einen Moment. »Diego, sie hat so viel erlitten – ich möchte sie das nicht noch einmal durchmachen lassen. Nein!«, entfuhr es ihm entschlossen. »Ich will, dass alles anders wird und sie nicht all das Leid erfahren muss, das ihr bereits begegnet ist.«

    Die regenbogenfarbenen Augen des Drachen musterten den jungen Mann an seiner Seite. »Nichts anderes hätte Diego von dir erwartet. Aber hältst du das wirklich für das Richtige? All ihre Erfahrungen machen Luna schließlich zu eben jener wunderbaren Seele, die du in den letzten Monaten kennenlernen durftest.«

    Er nickte. »Und dennoch ist es nicht fair. Ich war – werde nicht fair sein.« Jonathans Finger glitten unauffällig über die oberste Lasche seiner linken Beintasche und dem darin verborgenen blauen Notizbuch. Schuldbewusst biss er die Zähne zusammen. Welch andere Wahl hatte er, als es aus der Umhängetasche seiner Tochter bei ihrer herzzerreißenden Umarmung vor wenigen Momenten heimlich zu entwenden? Luna hätte das Buch schließlich niemals aufgegeben, ohne unangenehme Fragen zu stellen. Fragen, auf die selbst Jonathan jetzt noch keine Antworten hatte. Er schloss für einen Moment die Augen und schwieg. »Alles für eine kryptische Botschaft in einem Notizbuch«, murmelte er.

    Diego hob seinen kräftigen Arm von Jonathans Schulter und blickte erwartungsvoll auf ihn hinunter. »Du hast ihr das Buch also abnehmen können?«

    Jonathan stockte erst erschrocken, dann huschte ein verschmitztes Lächeln über seine kantigen Gesichtszüge. Als sei er dabei ertappt worden, wie er ein mieses Blatt beim Pokern verheimlichen wollte. Er fischte das blaue Notizbuch aus seiner Beintasche und hielt es in die Luft. »Erwischt. Wie angepisst wird sie wohl sein, wenn sie es merkt?«

    Diego nahm das Buch zur Hand und blätterte lose darin umher. »Mächtig angepisst sogar.« Beiläufig schnipste Diego einen Handteller großen Moskito von seinen Schuppen, der seit mittlerweile fünf Minuten vergeblich nach einer Lücke darin suchte. »Aber falls es dich tröstet: Dieses Notizbuch war nie für ihre Augen bestimmt. Sie war lediglich die unwissende Überbringerin. Darin sind wir uns doch einig, oder?«

    Jonathan folgte noch einen Moment der Flugbahn des Insekts, blickte anschließend zu Diego auf und nickte verlegen. »Ich habe es mir selbst geschickt. Aus der Zukunft. Die Frage lautet nur: warum?«

    Diego glitt im Buch von Zeile zu Zeile und kräuselte die schuppige Nase. »Du hast dir diese Frage vorhin schon selbst beantwortet.«

    Nachdenklich glitten Daumen und Zeigefinger über Jonathans Kinn. »Hoffen wir, dass du recht hast. Es gibt durch den auf den Wandschriftzeichen basierenden Präfixschlüssel immerhin 493 Arten, es zu lesen. Und jede davon gibt ganz andere Informationen wieder. Gute Chancen, dass ich irgendwo auch einen Weg beschrieben habe, Lunas Zukunft zum Besseren zu wenden.«

    Dampf rieselte in ruhigen Zügen aus den Nüstern des Drachen, während er bei dem Versuch diese Angabe zu überprüfen, das Buch drehte und wendete. »493 Arten, es zu lesen, sagst du? War das eine Schätzung, oder weißt du das genau? Und wenn ja, woher?« Erwartungsvoll hob er den Kopf aus dem Buch und wandte sich Jonathan zu, bevor Diego unerwartet stockte.

    Immer wieder flackerten Jonathans Augen in einem leichten Blauschimmer auf. Wie ein stotternder Motor, der noch nicht entschieden hatte, ob er laufen wollte. Ihm entging derweil nicht, wie der Drache ihn seit einigen Sekunden ansah. Fast als sei er ein exotisches Tier in einem Zoo. Jonathan runzelte die Stirn. »Was ist? Krabbelt irgendwo dieser Moskito auf mir herum? Ich weiß es eben. Keine Ahnung, woher, okay?« Er griff verärgert nach dem Buch und steckte es zurück in seine Beintasche.

    Unzufriedenheit vermengte sich mit einer Spur Sorge in der Miene des Drachen. »Grmpf! Du bist sicher, dass da nicht mehr ist, dass du Diego zu sagen hast?«

    Jonathan bemerkte den fordernden Unterton des Drachen und zögerte. Etwas in ihm wollte unbedingt mit der Wahrheit herausplatzen. Diego gestehen, dass die geschlossene Blutsbrüderschaft nur eine List war, in der Hoffnung etwas von der großartigen Drachenmagie abzubekommen. Er hatte damit schließlich keine bösen Absichten verfolgt. Jonathan wollte lediglich seine Chancen erhöhen, diese verrückten Weltenhüpfereien zu überleben. Was war daran verwerflich? Er konnte ja nicht ahnen, wie gut das funktionieren würde. Doch etwas hielt ihn zurück. Jonathan konnte nur noch nicht greifen, was es war. Es fühlte sich an wie ein warnendes Déjà vu. Er schüttelte in Gedanken die Zweifel fort, betrachtete den Drachen reumütig und holte Luft. »O-kay, ich denke, es ist an der Zeit, dir etwas zu gestehen«, begann er, doch dann zögerte Jonathan erneut. Unbehagen pochte in seiner Brust und breitete sich über seinen ganzen Körper aus, bis er das leichte Zittern seiner Fingerspitzen bemerkte und schnell die Hand schloss. Er blickte in das geschuppte Gesicht des Drachen, holte noch einmal Luft und die Welt vor seinen Augen zersplitterte.

    Erschrocken wich Jonathan zurück. »Hallo?«, rief er in den zersprungenen Dschungel hinein und wurde vom Hall seiner eigenen Stimme begrüßt. »Toll, was ist das jetzt wieder?«, murrte er und tastete sich mit seinen Stiefeln über den knirschenden Glasboden entlang bis zu einem der umherschwebenden Splitter. In der Hoffnung auf Antworten warf er einen zögerlichen Blick hinein und wich sofort wieder zurück. Er prustete gegen eine innere Panikattacke an und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Was zum Teufel?«

    Der Splitter zeigte Jonathan und Diego, wie sie sich stritten, nachdem Jonathan ihm die Wahrheit erzählt hatte. Sowie Diego, der Jonathan am Ende dieser Unterhaltung allein im Dschungel zurückließ. Jonathan ging in die Knie, hielt sich die Hände vor Mund und Nase, bis er den Mut fand, den Blick in einen weiteren Splitter zu riskieren. In dieser Version verlief das Gespräch anders. Jonathan erfuhr den Grund für Diegos Reaktion in der vorherigen Version. Diego war davon überzeugt, dass jene, die nach fremder Stärke suchten, um ihre eigenen Schwächen zu kompensieren,dieser Stärke nur selten auch würdig waren. Denn er wusste, dass Macht dazu neigte, den Geist der Schwachen zu korrumpieren.

    Vorsichtig entfernte sich Jonathan auch von diesem Splitter und ließ seine Aufmerksamkeit langsam über die unzähligen anderen gleiten. »Sind das etwa alles Varianten dieser einen Situation?«

    Nach und nach erkundete Jonathan jeden einzelnen Splitter und verfolgte gebannt deren Ausgang bis zum Ende aller dazugehörigen Reaktionsketten. Manche waren nach wenigen Augenblicken vorüber, andere überdauerten und schlugen noch über Jahre ihre Wellen. Noch verstand Jonathan nicht, was ihm hier passierte, doch es war ohne Zweifel an Faszination nicht zu übertreffen. Dann bemerkte er einen besonders hell leuchtenden Splitter unter all den anderen. Es wirkte beinahe so, als suchte der Splitter förmlich nach Jonathans Aufmerksamkeit und er folgte dessen pochendem Ruf.

    »Hey! Ignorierst du Diego?«, wummerte die Stimme des Drachen in seinen Ohren. »Woher willst du schon jetzt wissen, dass es 493 Möglichkeiten gibt, das Buch zu lesen?«

    Jonathan fokussierte das verschwommene Bild des Drachen, bis es nach nur zweimaligem Zwinkern gewohnt scharf wurde. »I-ich habe die Anzahl der Lesemöglichkeiten vielleicht doch nur geschätzt«, log Jonathan.

    Verständnislosigkeit zog in das Gesicht des Drachen. »Ach so? Aber warum sagst du dann nicht einfach, dass du schätzen würdest, dass es 493 Möglichkeiten gibt, das Buch zu lesen?« Diego verharrte einen Moment, bis er es leid war, das ratlose Gesicht Jonathans zu mustern. Er drehte sich langsam um und stapfte mit schweren Schritten in der feuchten Erde Richtung Sky-Cruiser. »Deine Welt hat wirklich unglaublich seltsame Angewohnheiten.«

    Jonathan räusperte sich und folgte ihm. »Ach, findest du? Nenn mir nur ein Beispiel, in dem meine Welt seltsamer ist, als die, in der Drachen existieren.«

    »Blutsbrüderschaft bei neuen Freundschaften«, warf Diego provokant ein und stieg in das Libellen-förmige Gefährt. »Wie läuft das? Ihr geht auf eine Party, trefft neue Leute und tauscht bei Sympathie einfach so die Blutgruppen durch? Habt ihr denn keine Angst vor Krankheiten?«

    Jonathan schnaubte gelassen, während er mit in der Hosentasche vergrabenen Händen die kleinen rot lackierten Metallstufen des Luftschiffes erklomm. »So willkürlich machen wir das auch wieder nicht.«

    Diego rümpfte die schuppige Nase. »Also eher wie eine Eheschließung? Sei Diego nicht böse. Du bist ja ganz nett und so, aber ...«

    »Nein! Gott verdammt! Nein!«, unterbrach Jonathan das Gedankenspiel des Drachen und warf sich hinten rechts in den Sitz. »Eine Blutsbrüderschaft schließt man bei uns mit Freunden, die einem so wichtig geworden sind, dass man sie ein Leben lang bewahren will.«

    Überrascht streckte Diego den Hals. Er hatte mit jedem kläglichen Versuch einer Erklärung gerechnet, aber mit so etwas nicht. »Oh, Diego wusste nicht, dass dir sein Umgang so viel bedeutet. Er dachte, du hättest ...«

    »Natürlich tut es das«, unterbrach Jonathan seinen Rechtfertigungsversuch. »Du hast mir und meiner Tochter schließlich mehrfach das Leben gerettet. Außerdem bist du mindestens genauso neugierig und wissbegierig, wie ich es bin. Das mag ich sehr an dir. Neugierde ist die Pforte zu neuen, unentdeckten Möglichkeiten, weißt du? Wer keine Neugier besitzt, wird niemals neue Horizonte erblicken.«

    Diego lächelte verschmitzt, legte sein Na-Vi an die dafür vorgesehene Stelle des Cockpits und die Lichter der Sky-Cruiser sowie dessen Triebwerke erwachten zum Leben. »Wow. In dem Fall fühlt Diego sich außerordentlich geehrt, dein Freund zu sein.«

    Auch Jonathan setzte auf ein freundliches Lächeln. Er deutete eine Verbeugung an und sagte: »Ebenso.« Doch für den Bruchteil einer Sekunde schwankte sein vor Sympathie nur so strotzendes Lächeln. Er hatte gelogen. Jonathan hatte gerade zweifelsfrei gelogen. Ein Schwall Betrübtheit klammerte sich an seine kantigen Gesichtszüge fest, bis Jonathan wieder einfiel, was er gesehen hatte, als er beschloss, dem hellsten der Splitter zu folgen. Und nur bei diesem einen Mal nahm der Drache Jonathans darauf folgendes Geständnis so auf, dass ihre bis dahin tiefe Freundschaft keine Kerbe kommen würde.

    Diego wandte den Blick für einen Moment von der Navigationseingabe der Sky-Cruiser ab und betrachtete die schwindende Sonne zwischen dem Blättergeflecht der Bäume und Sträucher. Die kleineren Geschöpfe des Dschungels wurden zunehmend leiser, während die größeren damit begannen, sich durchs Unterholz zu schlagen. »Auf nach Haven?«

    Jonathan lehnte sich lässig in die lederne Sitzbank und betrachtete am Rand der Lichtung einige der seltsamen Affen, die freudig kleinere Schlangen in ihren Pfoten hielten und siegreich in der Luft umherwirbelten. »Aye, aye, Kapitän.«

    Die Pranke des Drachen betätigte sachte den Steuerhebel und die Sky-Cruiser erhob sich, bis sie über den Baumkronen schwebte. Dann drückte er den Schubhebel nach vorn und das Schiff beschleunigte.

    Jonathan presste die Lippen zusammen und betrachtete den im Wind tanzenden roten Seidenkimono des Drachen, der das Luftschiff bediente.

    Licht flackerte immer wieder unscheinbar in seinen Augen auf und ließ sie abermals blau schimmern. Jonathan überkreuzte seine Arme auf der Kante der Sitzschale und legte seinen Kopf darauf ab, während er das Blätterdach des Dschungels unter ihnen vorbeirauschen sah. Was er auch tat, Jonathan wollte nicht aufhören, daran zu denken, wie er so grausam sein konnte, seine eigene Tochter in eine sterbende Welt springen zu lassen. Sie musste schreckliche Bilder zu Gesicht bekommen. Verzweifelte Seelen, die in den letzten Momenten ihres Daseins alles taten, um doch noch irgendwie zu überleben, ohne zu wissen, dass es zwecklos war. So viele Leben, so viele Geschichten, einfach fort. Verschluckt von einem ewigen Nichts.

    Er fragte sich, wie viel bisher unentdecktes Wissen wohl jedes Mal verloren ging, wenn eine Welt starb. Unmengen, dessen war Jonathan sicher. Er dachte auch an die Warnung seiner Tochter zu der Überlieferung der ersten Wanderer. Ein Wesen, das alles verschlang und dabei das Wissen all derer in sich aufnahm, die es absorbierte. Jonathan zog eine betrübte Grimasse. Auch dieses Wissen war für immer verloren. Doch dann stutzte er bei diesem Gedanken und hob blinzelnd das Kinn von seinen Armen. Das stimmte so nicht. Dieses Wissen war nicht verloren. Es wurde in gewisser Weise sogar bewahrt, ging es ihm durch den Kopf.

    Ohne es zu realisieren, glitt Jonathans linke Hand in seine Beintasche. Verloren in einem Karussell aus Gedankenspielen ließ er seine Finger über den blauen Einband des darin verborgenen Notizbuches streichen und die Welt vor seinen Augen – zersplitterte erneut.

    Die traurige Königin

    Erst waren da tiefe, ins Fleisch schneidende Schuldgefühle, Trauer und Selbsthass. Sie war schuld daran, dass alle, die ihr etwas bedeutet hatten, angetrieben durch ihren Hochmut, ihr Leben lassen mussten. Und ausgerechnet sie hatte es irgendwie überlebt. Das war nicht fair. Doch als Luna in diesem alles vernichtenden Sturm von ihrem Vater weg, in die einsame Leere hinaufgezogen wurde, entzog man ihr nach und nach jegliches Recht auf Emotionen. Bis nur noch eine leere Hülle in der Dunkelheit umhertrieb. Ein Schatten von dem, was Luna einmal ausmachte. Ein hilfloses Nichts, dazu verdammt auf immer und ewig in der Finsternis umherzutreiben, bis sie sich gänzlich darin aufgelöste. Fair genug, wie Luna fand. Irgendwann verstummte selbst die Stimme ihrer eigenen Gedanken, ab da konnte Luna nicht mehr sagen, wie viel Zeit verstrich. Waren es Tage? Jahre? Oder sogar Jahrzehnte?

    Doch dann vernahm sie etwas in weiter Ferne, das nicht zu der mittlerweile so gewohnten Stille passte. Es war die Stimme eines Mädchens. Jedoch nicht ihre Eigene, meinte Luna sich zu erinnern. Wo immer sie herkam, sie bahnte sich unaufhörlich einen Weg zu Luna, wurde immer klarer – und immer lauter.

    Kleiner Fuchs, frei und wild,

    du jagst geschwind durch Wies und Schild,

    machst einen Satz in deinem Lauf,

    keiner hält dich jemals auf,

    beeil dich schnell die Nacht, sie naht,

    du wanderst schon auf schmalem Pfad,

    dein Bau ist nah und doch so fern,

    komm her mein Kind und sei mein Stern. Ein entferntes Kichern hallte durch die endlose Finsternis. Wach auf, kleiner Fuchs. Deine Reise ist noch nicht vorbei.

    Wie eine Schiffbrüchige, die kurz vor dem Ertrinken die rettende Wasseroberfläche durchbrach, taten sich Lunas Atemwege auf und ihre Lungen stahlen sich einen tiefen Luftzug, als hätten sie ewig nicht mehr geatmet. Sie krümmte sich, hustete und keuchte. Fast als hätte sie vergessen, wie man atmet. Doch da war noch etwas anderes. Sie bemerkte zum ersten Mal seit einer Ewigkeit eine angenehm frische Brise auf ihrer Haut. Ein Gemisch aus Sanddorn, gemeinem Gras und einem Hauch Salzwasser umspielte dabei ihre feine Nase. Luna zuckte vor Schreck auf und rollte sich zusammen, als von jetzt auf gleich das brutale Rauschen des Meeres und der grollende Donner brechender Wellen an ihre Ohren drangen und die liebgewonnene Stille mit Gewalt verdrängten. Ein einzelner Grashalm kitzelte die Spitze ihrer Nase und grelles Licht brannte unangenehm hell durch ihre geschlossenen Augenlider. Von irgendwo glaubte Luna, ein Kinderlachen wahrzunehmen. Blinzelnd und sich schützend eine Hand vors Gesicht haltend, richtete sie sich stöhnend auf. Ihr ganzer Körper brannte vor Schmerzen und ihr Leib zitterte vor Kälte. Eine eisige, tief in den Knochen sitzende Kälte.

    Nur langsam formten sich die verschwommenen Fragmente vor ihren Augen zu einem Bild. Sie lag inmitten einer hochgewachsenen, saftig grünen Wiese, nahe einer Küstenklippe. Luna hörte das typische Kreischen von Möwen und beobachtete, wie sie, vom seichten Wind getragen, fast den Eindruck erweckten, mitten in der Luft festzustecken. Instinktiv presste sie die Augenlider aufeinander, rollte sich zusammen und hielt sich die Ohren zu. Das war zu viel. Lunas Sinne wurden nahezu von all diesen Reizen überflutet. So sehr, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als in ihre liebgewonnene Stille zurückkriechen zu dürfen. Warum passiert das? Ich will zurück! Ich will das hier nicht! Ich will ...

    Noch bevor sie ihre Gedanken zu sammeln vermochte, wurde Luna aus heiterem Himmel von jemandem angestupst. Sie fuhr erneut vor Schreck zusammen, wirbelte panisch herum und nur einen Augenblick später stockte Luna voller Unsicherheit, als sie das junge Mädchen vor sich erblickte. »T-Tetra?«

    Der braun gebrannte Blondschopf mit der lustigen Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen hatte viele Sommersprossen und grüne Augen, die wie helle Smaragde leuchteten. Gemeinsam mit dem langen roten Schal um ihren Hals, dessen Enden bis tief unter ihre Knie reichten, blieben kaum Zweifel. »Bist du es wirklich?«, krächzte Luna heiser und griff sich an die schmerzende Kehle. Fuck! Hab ich schon immer so kratzig geklungen?

    Tetra hielt den ausgehöhlten Panzer einer großen Schildkröte in ihren Händen. In dessen Schale lagen eine Menge Obst und Früchte, wie Trauben, Äpfel und verschiedene Beeren. Mit einem Lächeln auf den Lippen stupste Tetra Luna erneut an und deutete ihr, sich daran bedienen zu dürfen.

    Luna setzte sich langsam wieder auf und ihre Stirn legte sich in Falten. Ihre Schläfen pochten unangenehm schmerzhaft und plötzliche Übelkeit überwältigte sie. Doch egal, wie oft sie würgte, Lunas Körper gestattete ihr nicht einen Tropfen Galle zu verlieren. Es war fast so, als hätte jemand ihren Kopf gepackt, immer wieder gegen eine Wand gehämmert und sie anschließend wie ein dreckiges Tier zum Verrecken liegen lassen. Daumen und Mittelfinger ihrer rechten Hand begannen die Schläfen zu massieren, während die Linke zu ihrem schmerzenden Nacken wanderte, um selbiges zu tun.

    Das blonde Mädchen griff zu der großen, gelb-gestreiften Kürbisflasche an ihrem Gürtel, zog mit ihren Zähnen den Korken heraus und reichte sie Luna.

    »Danke«, krächzte Luna noch immer heiser. Sie setzte die Flasche an ihre trockene Kehle und halbierte deren Inhalt in nur wenigen Zügen, bevor Luna sie mit einem wohligen Seufzer wieder absetzte.

    Tetra richtete ihre kunterbunte Patchworkweste und zupfte an ihrer weißen Spitzentunika, dann setzte sie sich zu ihrer alten Freundin und legte ihr die Obstschale in den Schneidersitz. Die besorgten Blicke des blonden Mädchens wollten nicht von Luna weichen und erst als ihre Freundin auch von dem Obst kostete, lächelte Tetra wieder. Sie hob ihre Hände von ihrer himmelblauen Ballonhose, zog den Riemen ihrer rechten Sandale nach und übte anschließend mit ihren Fingern einige Gesten in der Luft aus.

    Den Mund voller Trauben blickten Lunas Bernstein-farbene Augen zu ihr auf. »Iff glauffb miirf gehft eff guft, dankfe.« Dann schluckte sie die Trauben mit einem lauten Glucksen hinunter. »Aber bitte, nenn mich nicht so. Ich habe diesen Namen vor langer Zeit abgelegt.«

    Tetras Mimik verfinsterte sich und sie prustete voller Unverständnis.

    »Was?«, entgegnete Luna stutzig über ihre Reaktion. Sie fasste sich an den Hals und räusperte sich einige Male gegen das trockene Kratzen in ihrer Kehle. Der Klang ihrer eigenen Stimme irritierte Luna noch immer nach so langer Zeit in Stille.

    Tetra ließ erneut ihre Finger und Hände durch die Luft tanzen. Ihre goldenen Armreifen klirrten dabei immer wieder aneinander, als spielten sie ein Lied.

    »Weil ich das so entschieden habe!«, antwortete Luna trotzig auf Tetras Einwand und fragte sich, wozu sie sich überhaupt rechtfertigte, schließlich hatte sie gerade ganz andere Sorgen. Wo war sie hier und noch wichtiger, warum war sie hier? War das hier real oder nur ein Trugbild ihres zermürbten Verstandes?

    Kopfschüttelnd formten Tetras Finger weitere Worte, bevor sie eingeschnappt ihre Arme verschränkte und Luna den Rücken zuwandte.

    »Süß von dir.« Sie dachte einen Moment über ihre Worte nach, biss indes von einem der leckeren roten Äpfel ab und verzog das Gesicht. »Pfui! Sind die zuckerig.« Oder liegt es daran, dass meine Geschmacksknospen so etwas seit Ewigkeiten nicht mehr hatten? Erinnere ich mich überhaupt, wie so etwas schmeckt? Luna verweilte den Rücken ihrer Freundin betrachtend und testete mit jedem weiteren Bissen des Apfels, ob sich ihre Geschmacksnerven wieder beruhigten, oder sie künftig ein dauerhaftes Problem haben würde. Verdammt! Tetra hat recht, ich kann jeden Namen der Welt annehmen und würde immer ihre Luna bleiben. Sie rollte etwas widerwillig mit ihren Augen, war aber froh darüber, dass die Überreizung ihrer Geschmacksnerven allmählich nachließ. »Na gut. Du hast gewonnen.«

    Tetra stützte ihre Hände auf den Boden, hob ihren ganzen ebenfalls im Schneidersitz befindlichen Körper an und drehte sich mit einem Ruck und freudestrahlend wieder zu ihrer Freundin um.

    Luna hatte ihr charismatisches Lächeln schon beinahe vergessen. Wie lange war es her, dass sie Tetra zum letzten Mal gesehen hatte? Drei oder vier Monate vor dem unfreiwilligen Zeithüpfer, der sie damals direkt in die Arme ihres noch jungen Vaters trieb, schätzte Luna. Seither war eine Menge passiert. Sie betrachtete das fröhliche Mädchen, das gerade einen blauen Schmetterling auf ihrem Finger balancieren ließ und schloss die Augen. Sie ist um keinen Tag gealtert. Nein! Das kann sie nicht sein. Das nur eine alte, von Erinnerungen getriebene Halluzination! Ein Streich meines Kopfes! Ja, das wird es sein! Gleich verblasst sie wieder. Das alles hier! Und dann habe ich wieder meine Ruhe. In der festen Erwartung, gleich erneut in die sichere Finsternis zu blicken, öffnete Luna ihre Augen und starrte in die Smaragd-farbenen Augen ihrer Freundin, die so dicht an sie herankam, dass sich Stirn und Nasenspitze seicht berührten.

    Luna wich unversehens zurück und quiekte erschrocken. Wie durch ein Wunder ließen ihre Kopfschmerzen in dieser Sekunde nach und auch ihre Augen verloren langsam ihre Lichtempfindlichkeit. Doch ihr Puls schoss dafür im gleichen Maße in die Höhe und schnürte Luna regelrecht die Kehle zu. Das hier war kein Fiebertraum, das hier war real. Wie konnte das sein? Luna geriet beinahe in Schnappatmung. Es kostete sie alle Mühe, die in ihr brodelnde Panik unter Kontrolle zu bekommen. Ihre Finger krallten sich in die Erde, während ihr Blick Tetra geradezu fixierte. »Tez, wo sind wir hier? Und noch wichtiger, wie bin ich hierhergekommen?« Ihre Stimme zitterte.

    Während Tetra sie auf eine Antwort warten ließ, spielten Lunas Augen Mimikbingo und nuteten die Gelegenheit, um sich zu orientieren. Es musste einen Anhaltspunkt geben. Irgendwas, dass ihr verraten würde, was hier vor sich ging. Es dauerte nicht lange und Luna entdeckte Penélopes Dolch neben sich im Gras. Das ist es! Der Weltenfresser blubberte und krampfte, als ich ... Ihr Atem stockte. Als ich Diego den Dolch in die Brust rammte. Die blank polierte Klinge funkelte in der Sonne, als sei der Waffe nicht bewusst, wie gefährlich sie war.

    Wie in Trance streckte Luna ihre kraftlosen, zitternden Finger danach aus, hob ihn begutachtend auf und versteckte ihn in der ledernen Dolchtasche auf der Rückseite ihres schwarzen Einteilers. Luna wollte unter keinen Umständen riskieren, dass dieser Dolch noch mehr Unheil anrichten konnte, als er bereits verursacht hatte.

    Die Möwen krächzten noch immer an derselben Stelle und bedienten sich erneut Lunas Aufmerksamkeit. Sie fragte sich, ob sie wohl ihren Spaß daran hatten, im Wind zu segeln. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war es bereits Mittag. Ein Umstand, der Luna verwirrt den Kopf zur Seite legen ließ. Sie war sich ganz sicher, dass es das vor wenigen Minuten noch nicht war. Doch sie war eindeutig noch nicht ganz auf der Höhe und schloss daher nicht aus, sich eventuell zu täuschen. Sie blickte zurück zu Tetra, die es immer noch vorzog, verlegen herum zu wundern, statt auf ihre Fragen zu antworten. Das war alles seltsam. Dieser ganze Ort war seltsam und Tetra war es auch. Es reichte! Luna verlangte es nach Antworten. Sie packte Tetra an ihrem roten Schal und zog sie zu sich. Stirn an Stirn. »Tez, wie alt bist du?«

    Tetra zog eine skeptische Grimasse, rührte jedoch keinen Finger, um zu antworten.

    »Ich frage das, weil du keinen Tag älter aussiehst als fünfzehn. Ganz so wie früher. Dem Tag, an dem ich dich das letzte Mal gesehen hatte.« Luna stutzte, als Tetra sich von ihr löste und anschließend ihre Finger und Hände umhersausen ließ. »Besser ewig jung, als alt und erschöpft wie du? Was soll das denn jetzt heißen?«

    Der Blondschopf strich sich eine ihrer goldenen Strähnen hinters Ohr, griff nach dem Schildkrötenpanzer, entleerte den Rest ihrer Kürbisflasche darin und reichte ihn zurück an Luna.

    Diese begutachtete die Reflexion ihrer Erscheinung von links nach rechts und wieder zurück. Ihre Haut wirkte fahl und ausgezehrt, wie die eines Grey. Fast als hätte Luna sich ein Jahrzehnt lang aufs übelste gehen lassen und dabei jeden Kontakt mit dem Sonnenlicht vermieden. Selbst ihr Haar glänzte schlohweiß, wie das Fell ihrer Mutter, versetzt mit einer Nuance, die nur noch entfernt einen Rotstich vermuten ließ. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sie älteren Blutes war. Luna streifte den Nachtschwarzen von ihrer Schulter und zog am Kragen ihres hautengen Einteilers. Die kleine Narbe von der Schusswunde war noch da, doch auch sie wirkte verblasst, als wäre sie bereits viele Jahre alt. Ihre bernstein-farbenen Augen blickten abermals zu dem blonden Mädchen auf. »Tez, ich wiederhole: Was ist das für ein Ort und wie kam ich hier her?«

    Tetra kräuselte ihre Lippen, verdrehte die Augen und deutete etwas widerwillig in die Luft.

    »Bitte? Ich bin vom Himmel gefallen?!« Das erklärt auch die Schmerzen und den fiesen Muskelkater, redete Luna sich ein. Sie blickte auf und sah bereits erste helle Sterne durch das dunkler werdende Blau des Firmaments schimmern. Luna wollte dazu gerade eine dumme Bemerkung fallen lassen, da stoppte sie eine weitere Entdeckung machend. Bei dem Versuch, das Objekt im Himmel besser zu fokussieren, legte Luna ihren Kopf schief. »Das – ist doch ...« Plötzlich schnürte sich Lunas Kehle zu. Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf, packte ihre Freundin am Arm und rannte.

    Lunas Griff war fest. So fest, dass Tetra stumm aufschrie. Das blonde Mädchen wehrte sich nach Leibeskräften, versuchte zu bremsen und zog immer wieder an ihrer Hand. Dann biss Tetra die Zähne zusammen. Sie holte aus, riss sich mit einem beherzten Ruck von Lunas los und blieb abrupt mit einer trotzigen Grimasse an Ort und Stelle stehen.

    »Tetra! Was tust du?«, schrie Luna in ihrer Verzweiflung. Lunas Aufmerksamkeit wich immer wieder mit angstverzerrtem Gesicht zu dem sich windenden Tentakel des Weltenfressers hinauf, der sich gnadenlos seinen Weg in diese Welt bahnte, während die Sonne ihren letzten Strahl am Firmament aufblitzen ließ. »Hör auf, so ein trotziges Kind zu sein! Wir müssen hier ganz dringend weg, hörst du! Wir sind in Gefahr, versteh das doch!«

    Tetra blickte sie finster an, machte dicke Pausbacken und ließ abermals ihre Finger und Hände für sich sprechen.

    Kleine Atemwolken pressten sich aus Lunas Mund, während sie langsam Schritt für Schritt zurückwich. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«

    Tetra formte erste Worte mit ihren Händen, doch statt einen vollständigen Satz zu formulieren, schnellte ihre Hand plötzlich zu ihrem Mund. Ihr Körper bäumte sich, bei dem Versuch es zu unterdrücken, doch dann gewann der kratzende Reiz die Oberhand und Tetra röchelte und huste schwer.

    Luna machte wieder einen Satz nach vorn und stützte sie besorgt an den Schultern. »Hey, ist alles okay?«

    Ihre Freundin warf einen prüfenden Blick in ihre Handfläche und signalisierte Luna im nächsten Moment mit einem künstlichen Lächeln auf den Lippen, dass alles okay sei und sie sich nur verschluckt hätte. Dann zeigte Tetra erst auf das bedrohliche Wesen im Himmel und verwies anschließend auf die Möwen.

    Luna brauchte noch einen Moment, bis sie es begriff. Abwechselnd betrachtete sie beide und bemerkte erst jetzt, dass diese sich zwar durchaus bewegten, sie es aber so unglaublich langsam taten, dass man meinen könnte, sie würden sich gar nicht rühren. Luna strich sich eine ihrer Locken aus dem Gesicht. »Wie – ist das möglich?«

    Tetra lächelte und erklärte Luna mit wenigen Zeichen, dass Zeit hier anders verlief, anschließend deutete sie in die Ferne und dass Luna ihr nun folgen musste.

    Luna blinzelte noch einige Male unentschlossen. Sie wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, war das hier wirklich real? Konnte es das sein? Warum war sie hier? War es eine Art Strafe für ihre Taten? Kam jetzt nach endloser, innerer Leere die lang verdiente Abrechnung mit ihrem Gewissen? Das klang nur fair. Also nickte Luna zurückhaltend. »Okay. Aber wohin führst du uns?«

    Tetra hob ihren rechten Zeigefinger, drehte ihn im Kreis, reichte sich anschließend selbst die Hände und führte zu guter Letzt ihre rechte, ausgestreckte Hand von ihrer Brust zu dem eben gedeuteten Ziel.

    »Du willst, dass wir deinen Freund besuchen?«

    Tetra nickte wie ein Wackeldackel und grinste bis über beide Ohren.

    Einige Male zuckte Luna noch unentschlossen vor und zurück. Sie strich sich unbeholfen durchs Haar, blickte noch einmal zu der bedrohlichen Finsternis auf und biss sich nervös auf die Unterlippe. »Na, gut. Wenn das dein Wunsch ist, werde ich dir folgen.« Ein zögerliches Bekenntnis, doch zu viele Fragen bohrten sich in ihren Kopf, die zunehmend lauter nach Antworten schrien.

    Luna hatte noch ein Problem: Sie hatte noch keine Zeit, um das Erlebte bewusst zu verarbeiten. Was passierte, wenn ihre Gefühlswelt plötzlich entschied, in einer alles erstickenden Lawine über sie hereinzubrechen? Wäre sie stark genug, es auszuhalten? Der Gedanke daran in ein bodenloses Loch zu stürzten, wie damals, als sie ihren Dad verloren hatte, ließ Luna erzittern.

    Es war dieser Moment, in dem Luna plötzlich das letzte Bild ihres

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