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Wenn sich das Leben neu erfindet: Kurzgeschichten
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Wenn sich das Leben neu erfindet: Kurzgeschichten
eBook268 Seiten4 Stunden

Wenn sich das Leben neu erfindet: Kurzgeschichten

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Über dieses E-Book

Das Leben steckt voller Überraschungen und Ungereimtheiten. Oft läuft es nicht so, wie man es gerne hätte. Was einem passiert, ist oft nicht zu erklären und manchmal noch weniger nachzuvollziehen.
Manchmal ist es ernst und dann wieder urkomisch oder romantisch. Es gibt im Leben nichts, was es eigentlich nicht gibt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. März 2021
ISBN9783347184305
Wenn sich das Leben neu erfindet: Kurzgeschichten

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    Buchvorschau

    Wenn sich das Leben neu erfindet - Dieter Schemm

    Die Schlange

    Die Freundin war ihm davongelaufen, den Job hatte er verloren und die Wohnung war ihm abgebrannt. Anfangs war er am Boden zerstört, doch irgendwie erholte er sich wieder. Danach hatte sein bester Freund, der für einige Wochen zu einem Abenteuertrip in das Amazonasgebiet aufbrechen würde, so lange auf ihn eingeredet, bis er irgendwann ja sagte; schließlich wurde er dafür auch fürstlich belohnt!

    Und so saß er an jenem Tag im November spätabends, noch ohne Plan und Ziel, alleine im fünften Stock der Wohnung seines Freundes und schaltete sich mit der Fernbedienung durch alle Programme. Als der letzte Funke Hoffnung nach geistiger Eingebung ihn doch noch zur Programmauswahl seiner Träume brachte, beugte er sich etwas nach vorne, griff nach dem Glas Weißbier, das auf dem Tisch vor ihm stand und genoss einen ersten Schluck seiner Glückseligkeit. Anschließend machte er es sich auf dem Sofa gemütlich, ließ sich berieseln, fing an, mit der Katze seines Freundes zu schmusen und legte die Beine hoch. Zuvor schon hatte er die Wohnungstüre abgeschlossen, das Handy ausgeschaltet, die Heizung am Nachmittag bis zum Anschlag aufgedreht und Duftkerzen aufgestellt. Sichtlich entspannt stellte er dann das Glas mit dem Getränk wieder zurück auf den Tisch.

    Ein paar Meter weiter stand auf einer Anrichte ein Glaskasten mit der Giftschlange. Das Reinigen der eigenen vier Wände des Kriechtieres und das Füttern der Schlange lagen noch weit weg, als er anschließend voller Glückselligkeit. und Leidenschaft nach der Wasserpfeife neben dem Sofa griff und diese in vollen Zügen genoss.

    Je länger und intensiver er dieses Gemisch aus besonderen Gräsern und Kräutern inhalierte, desto freier und entspannter fühlte er sich. Der Moment wirkte demnach irgendwann nur noch beschwingt und leicht. Aufgeschreckt durch ein Geräusch auf der Straße vor dem Haus fiel sein Blick dann irgendwie auf das traute Heim der Schlange aus Panzerglas und Sicherheitsdeckel an der Sonnenseite der Wohnung. Irgendwas war da doch. Schemenhaft fiel es ihm wieder ein. Und wenn schon, welche Probleme sollte es schon bereiten, der Bitte seines Freundes nachzukommen, schließlich hatte er zuletzt als Tierpfleger im Zoo gearbeitet; denn wenn die Schlange schon zubiss, einen jeden anderen, doch nur nicht ihn; auch der Umstand, das Krankenhaus um die Ecke zu haben, verstärkte nur noch das Netz mit dem doppelten Boden. Also schaltete er die Flimmerkiste aus, legte die Wasserpfeife beiseite, stand auf und trat an die Glasscheibe heran, in dem sich die Giftschlange befand; die Katze hatte er zuvor schon in die Küche getrieben und die Türe geschlossen. Die Schlange, der nun sein Hauptaugenmerk galt, lag zusammengerollt hinter einem dicken Ast und schien zu schlafen, das kam ihm ebenso gerade recht. Also nahm er den Deckel, der mit einem Drehverschluss gesichert war, ab und legte diesen auf den Parkettboden neben sich. Warum ihn das Muster der Schlange auf einmal so magisch anzog, wusste er selbst nicht so genau, jedenfalls glaubte er daraufhin, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er ließ sich treiben und sah sich plötzlich mit der Frau seiner Träume auf einer einsamen Insel irgendwo in der Südsee eng umschlungen im Sand liegen. Dabei huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

    Für sich abgehoben und angekommen unter Palmen der Zweisamkeit in einer anderen Welt entspannte er sich und schaute von oben hinein. Die Schlange schien noch immer zusammengerollt in einer Ecke des Glaskastens zu liegen und ihm daher nicht wirklich gefährlich zu werden. Deshalb nahm er das Tuch vom Bücherregal über ihm sowie das Putzmittel daneben, besprühte das Reinigungstuch damit und fing an, von innen den Glaskasten mit dem Kriechtier zu reinigen. Traumwandlerisch selig und mit sich im Reinen reinigte er die Scheibe, doch als sich eine Stubenfliege auf seine rechte Hand setzte, störte ihn das doch gewaltig. Mit einer weit ausholenden Handbewegung, ohne an die unabsehbaren Folgen zu denken, streifte er ganz leicht die immer noch in der Ecke liegende Schlange.

    So kam es, sowie er nicht im Traum daran gedacht hatte, als plötzlich und unerwartet der kleine Kopf der Schlange nach vorne schnellte und den jungen Mann in den Ringfinger der Schreibhand biss. Als er den Schmerz spürte, zog der Unglückliche reflexartig die Hand mit dem blutenden Finger aus dem Glaskasten, ließ das Reinigungstuch zu Boden fallen und legte so schnell wie möglich den Deckel auf den Glaskasten zurück; erst als der Drehverschluss wieder quer eingerastet war, beruhigte er sich etwas. Dann schaute er auf den verletzten Finger, dann wieder auf die Schlange. Mit einem Blick, der wohl alles sagte, drehte er sich schließlich weg von dem Kriechtier und zog aus der Hosentasche ein Stofftaschentuch, mit dem er den lädierten Finger umwickelte. Anschließend fluchte er ein wenig und biss sich auch noch auf die Zunge. Die Angst kroch wie in einem Aufzug in ihm hoch. Was war nur passiert, wie konnte das überhaupt passieren? Die Gedanken fuhren Achterbahn und mit der Ruhe in seinen Überlegungen war es vorerst schnell vorbei. Panik brach auch rasch aus, reale Panik im Hier und Jetzt. Seine Freunde sagten immer, wenn auch nur ein Hauch davon in seinem Alltag Raum und Zeit bekommen würde, neige er zum Theatralischen, zum Schauspielerischen!

    Ihm war nur eines klar, die Schlange seines Freundes hatte ihn gebissen. Eine hochgiftige Schlange, wie dieser zu wissen meinte. Gift - Schlangengift in seinem Körper, dieser Gedanke weckte nun die wildesten Sorgen und Ängste in ihm, an einen guten Ausgang war für ihn in Anbetracht seiner Lage nur unter Zuhilfenahme von radikalen Mitteln zu denken. Tödliches Gift und immer wieder tödliches Gift! Dieses Wort stand plötzlich wie das Fallbeil des Todes vor ihm. Er ballte die Faust, presste die Lippen aufeinander und trat gegen die Wohnungstüre. Dann ging er ein paar Meter, zog die Gardine beiseite, riss das Fenster auf und schrie sich seinen Ärger aus der Seele. Als kurze Zeit später das Fenster der Wohnung unter ihm aufging und ein älterer Herr um Ruhe schrie, meinte er nur, er könne ihn mal. Anschließend schloss er das Fenster der Wohnung wieder und ließ sich auf den Boden der Tatsachen fallen.

    Ohne einen Halt zu finden, verloren sich Anfang und Ende zwischen Traum und Wirklichkeit. Warum wurde sein Chillen zum Teufel gejagt, sein Himmel auf Erden unmöglich gemacht? Denn zwischen Traum und Wirklichkeit kam ihm Shakespeare in den Sinn, Sein oder nicht Sein, das war hier auch für ihn die Frage. Er war augenblicklich davon überzeugt, er komme nicht umhin, wie er sich nun einredete, sein weiteres Schicksal nicht dem Zufall zu überlassen. Das Krankenhaus - natürlich das Krankenhaus. Doch als er selbst nach intensiver Suche den Haustürschlüssel der Wohnung und sein eigenes Handy nicht fand, zerriss er das Bild des lächelnden Arnold Schwarzenegger. Als er anschließend den Weg zurück auf das Sofa im Zimmer fand, hatte er ein Buch mit dem vielsagenden Namen Hausapotheke für jeden in der Hand und blätterte hektisch darin. Anfangs dachte er an Abbinden, doch ein Blick auf den Ringfinger erschreckte ihn ziemlich. Dieser war inzwischen blau angelaufen und schmerzte höllisch. Auch glaubte er, ein wenig schwach auf den Füßen zu sein. Und so steigerte er sich immer mehr in das Buch mit den vielen Bildern hinein. Er war kein Arzt, aber er wusste, der Körper werde mit Blut versorgt, von der Kopfhaut bis zur Zehenspitze. Als er dann auf eine Abbildung in dem Buch stieß, die ihm erklärte, im unwahrscheinlichsten aller unwahrscheinlichen Fälle müsste nach einem Biss einer Giftschlange durch Blutvergiftung der ganze Arm amputiert werden, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Das Gift würde sich im ganzen Körper ausbreiten, sich mit dem Gemisch der Wasserpfeife vermengen und ihn innerlich überschwemmen. Sollte es wirklich der Ringfinger sein, Heiraten kam für ihn sowieso nicht in Frage und für den Genuss seiner innig geliebten Wasserpfeife gab es plötzlich keine Alternative mehr.

    Der Ringfinger musste ab, notfalls könnte man ihn ja wieder annähen; schließlich können Minuten entscheiden, wenn es um das eigene Leben geht und so wurde der Notfall zum Wahnsinn. Die Küche, vielleicht gab es in der Küche das eine oder andere scharfe Messer, vielleicht sogar ein ganzes Sortiment, von Fleisch-, über Brot- und Gemüsemesser. Inzwischen fühlte er sich schon etwas schwach und ihm wurde schwindlig. Oder war es doch die Wasserpfeife, von der er wusste, dass sie ihn in eine andere Welt entführte. Doch er schaffte es noch bis in die Küche! Dort riss er die Schränke und Schubladen auf und konnte es nicht fassen. Kein Messer, wo hatte sein Freund nur die Küchenmesser? Als er auf einen Zettel stieß, wo darauf stand, Beim Schärfdienst, bitte abholen, wusste er auch darüber Bescheid. Eine scharfe und gute Schere, eigentlich unmöglich; aber vielleicht doch, mit roher Gewalt ging es zur Not auch, redete er sich ein. So riss er jede einzelne Schublade in der Küche auf, wo kleine Haushaltshelfer oder eine Schere lagern könnten, doch nichts dergleichen war zu finden. Er schaute auf seinen Ringfinger, dieser wurde zunehmend blauer und blauer. Aus purer Verzweiflung klammerte er sich an ein Taschenmesser. Dieses Multitalent barg ein Messer, eine Schere, eine Säge und einen Flaschenöffner in sich.

    Mit dem Messer schnitt er nur in den Küchentisch, so wackelig war er inzwischen auf den Beinen; mit der Schere drückte er höchstens die Haut zusammen, so stumpf war diese und mit der Säge kam er nicht mal bis zur Sehne des Fingers. Was sollte er nur tun, er wollte sich doch nur selbst helfen, mehr auch nicht; vielleicht kam es auch deshalb zu dieser unüberlegten Handlung. Bilder von Himmel und Hölle schossen ihm wie ein Schnellzug durch den Kopf. Wie weit würde das Gift schon vorgedrungen sein, hatte es schon das Herz oder die Hauptschlagader erreicht, die Organe angegriffen oder würde es sich nur noch um wenige Minuten handeln und er eines qualvollen Todes sterben; die Schmerzen waren jetzt schon kaum mehr auszuhalten. Er schaute wahllos durch den Raum, dann fiel der Blick auf ein Hackebeil auf dem Fenstersims vor ihm. Lautlos, schnell und sauber, diese Wahnsinnstat - und sei das alles noch so verrückt - würde vielleicht sein Leben retten und das Gift könnte nicht weiter in seinen Körper gelangen.

    Deshalb nahm er nun das Hackebeil, welches sein Freund dazu hernahm, wenn es Samstagabend war, so wie heute, Fleischstücke für die Schlange zu zerkleinern. Mittlerweile begann er immer mehr zu schwanken. Es kam ihm vor, die Zeit würde drängen. Also nahm er das Hackebeil in die linke Hand, trat zum Küchentisch, schob die rechte Körperhälfte nach vorne, holte mit dem linken Arm weit über den Kopf aus, beugte sich abwärts, platzierte die verletzte Hand mit dem Ringfinger auf den Tisch, drückte sich mit dem Bauch gegen den Küchentisch und schlug zu.

    Doch er verfehlte den Ringfinger. Anfangs noch neugierig, war die Katze inzwischen unter der Eckbank verschwunden. Er konnte es nicht fassen. Er verfehlte den Ringfinger. In welchen verkehrten Film war er eigentlich hineingeraten? Auch beim zweiten Versuch gelang ihm sein absurdes Vorhaben nicht. Demzufolge nahm er noch einmal alle Kraft zusammen, die ihm noch blieb. Der Ringfinger war inzwischen blau und schwarz geworden. So holte er erneut aus und schlug zu, mit noch mehr Wucht und noch mehr Gewalt als vorhin. Diesmal streifte er den Daumen, der danach anfing, heftig zu bluten. Das Hackebeil steckte daraufhin so fest, dass ihm die Kraft fehlte, es wieder herauszuziehen. Was dann geschah, daran konnte er sich nicht mehr erinnern, jedenfalls wurde ihm schwarz vor den Augen und es war ihm unmöglich, sich noch länger auf den Beinen zu halten. Dass man inzwischen die Wohnungstüre aufbrach, bekam er dann gar nicht mehr mit. Schließlich kippte er zur Seite weg und fiel auf den Küchenboden, wo er endgültig das Bewusstsein verlor.

    Das Licht blendete ihn, einige Leute standen um ihn herum und schienen sehr besorgt um ihn zu sein. Man meinte jedoch, er könne morgen wieder entlassen werden, da man ihn so schnell gefunden habe. Zudem war es auch keine Giftschlange gewesen, aber sie sei höchst aggressiv.

    Er begann leicht zu lächeln, noch mehr, als er neben sich sah und hörte, dass der Patient ein Bett weiter den Zeigefinger verloren hatte. Er schaute auf seinen Zeigefinger. Dann drehte er sich auf die Seite und gab sich seinen Gedanken hin.

    Der Duft der Kaffeebohne

    Was ihm blieb, war nicht nur die Erinnerung als Bäckermeister und die Arbeit im Geschäft. Seine Frau war vor ein paar Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, aber wenn es die Zeit am frühen Morgen erlaubte, ging der Rentner in die Bäckerei gleich um die Ecke. In seinen Träumen, bei den Kleinigkeiten des Alltags und in Augenblicken der Sehnsucht, folgte alles einem Muster. Auch beim Geruch und Duft der Kaffeebohne kam es ihm dann immer vor, sie würde ihn umarmen, zärtlich durch die Haare fahren und ihm einen Kuss geben. Die Zeit schien in solchen Augenblicken still zu stehen. Ab und zu meinte eine der Verkäuferinnen, die ihn gut kannte, es sei doch jetzt schon gut. Doch mit der Zeit wurde das Schluchzen mehr und die Tränen versiegten nicht mehr. So fiel es ihm immer schwerer, unter dem brachliegenden Gefühl der Liebe eins und eins zusammenzuzählen. Alles schien ihm einfach noch zu lebendig und die Narben noch zu frisch; doch die Sehnsucht ließ ihn immer wieder nach den Sternen greifen. Einmal noch die Bäckerei aufsuchen, so als wolle er sich endgültig von ihr verabschieden. Danach sollte er lange nicht mehr in dieser gewesen sein, in der Bäckerei seiner schönsten Träume!

    Doch das hatte alles ein Ende, als Nathalie dort anfing. Eigentlich wollte er an diesem Tag nur die Zeitung holen, aber es war ein Tag wie gemalt und so trafen sich die Blicke der beiden. Von diesem Zeitpunkt an ging er wieder regelmäßig in die Bäckerei, irgendwann wurde mehr daraus. Irgendwann war sie seine neue Freundin, Nathalie, eine blonde Schönheit voller Sinnlichkeit und Zärtlichkeit. Mit ihr lernte er sich und die Stadt Freiburg im Breisgau mit dem Dom, dem Wein und den verwinkelten Gassen ganz neu kennen. Wie in jeder größeren Stadt gab es dort mehrere Bäckereien, klein aber fein und voller sündiger Kalorien. Für frische Brötchen ging er eben den einen oder anderen Schritt mehr, stand auch gerne, schon als er noch arbeitete, zehn Minuten früher auf, um ja nicht den Kürzeren zu ziehen. Er liebte den Duft von frischem Kaffee, liebte die sündigen Versuchungen von A wie Apfeltasche bis Z wie Zimtstangen in all ihren Kreationen und Möglichkeiten, die es in solch einem Geschäft von Schrot und Korn gab. Er war einer von denen, die essen konnten, was sie wollten, er wurde einfach nicht dick und Rettungsringe hatten bei ihm sowieso keine Chance. Er schwamm noch immer jeden Tag seine Bahnen im städtischen Hallenbad, trank abends ein Gläschen Rotwein und füllte Kreuzworträtsel aus. Zudem war er schon immer ein Hallodri gewesen, wenn es um das Bezirzen von Frauen ging. Es war ein wechselhafter Novembermorgen, ein Montag mit leichtem Nieselregen, zudem ungewöhnlich mild für die Jahreszeit. Eine Katze schaute gedankenverloren aus dem Fenster einer Wohnung, ein alter Mann krempelte sich den Kragen der Jacke hoch und der Postbote wirkte noch verschlafen. Das Schild an der Kneipe in seiner Straße, das an der Häuserfront unterhalb des Giebels auch noch heute hängt, wurde vom Wind sanft gestreichelt, als er die Straße entlang ging. Er hatte gut geschlafen und Nathalie erwartete ihn bereits in der Bäckerei. Irgendwann war aus Freundschaft Liebe geworden, tiefe und ehrliche Liebe. Heute war auch noch ein besonderer Tag, sie hatte nämlich Geburtstag. Ein paar Schritte noch, dann war es soweit. Mit einem Blumenstrauß in der rechten Hand betrat er die Bäckerei seiner Träume und fühlte sich sofort wieder daheim. Frischer Kaffeeduft empfing ihn, ein freundliches Lächeln schmeichelte seiner Seele und angenehme Wärme ließ ihn ganz schnell die Türe hinter sich schließen. Er war angekommen, angekommen in seiner Welt aus Blätterteig, Hefe und Marzipan, Schokolade und Vanillestangen. Bei sich zuhause musste immer ein wenig Süßes sein, ohne Süßes kam er nur schwer durch den Tag. Eine der Verkäuferinnen hob den Kopf und begrüßte ihn, eine andere bediente einen Kunden. Und dann sah er auch schon Nathalie, die gerade aus der Backstube kam. Hatte sie sich extra für ihn schön gemacht? Die Haare, in denen eine Orchidee steckte, hatte sie nach hinten gebunden und der Mund glich einer Kirsche mitten im Paradies; der Blick ihrer Augen rundete ihr Strahlen ab. Armins Gesichtszüge waren entspannt und weich, die Augen glänzten. Er lächelte wie ein kleiner Junge. Wärme machte sich breit, menschliche Wärme. Das Ungemütliche dieser Jahreszeit hatte er vor der Bäckerei gelassen, die Gefühle gingen sofort auf Reisen. Dann sah auch sie ihn. Die Herzen streichelten sich auch ohne ein Wort zu verlieren. Nicht das Sinnliche für Leib und Seele schien das Grau des Alltags vergessen zu machen, sondern nur der Augenblick. Sie trat hinter der Verkaufstheke hervor und an Armin heran, der bereits in ihrer Richtung lief. Irgendwo am Rande der Zeit umarmten sie sich und gaben sich einen Kuss. Der Himmel öffnete seine Pforten und die Engel sangen insgeheim. Nach Sekunden der Ewigkeit zog er den Blumenstrauß hinter seinem Rücken hervor und meinte mit dieser Melodie in sich:

    Alles Gute zum Geburtstag!

    Besten Dank. Wie schön, dass du das nicht vergisst!

    Du weißt doch, dich und deinen Jubeltag vergesse ich nicht! Doch lieber wäre es mir, Hochzeit mit dir zu feiern! Du weißt, ich warte immer noch auf ein Zeichen von dir!

    Eine Träne rann ihr über die Wange. Kunden drehten sich nach den beiden um. Die Hektik der Zeit schien wegzubrechen, das Glück mit Rosen des Augenblicks zu verschmelzen. Die Momente lagen so süß und locker wie die Backwaren in der Glasvitrine in ihren Blicken:

    Wie lange hast du eigentlich noch zu arbeiten an deinem Geburtstag?

    Vor allem ihren Geburtstag betonte er, so als ging es um Leben und Tod.

    Nicht mehr lange, eine halbe Stunde! Dann habe ich für dich Zeit!

    Wie lange?

    So lange, wie du willst, meinte sie mit einem spitzbübischen Lächeln zu ihm.

    Armin wurde ganz warm ums Herz, ein Küsschen unter Verliebten tat sein Übriges. Denn wenn er in ihrer Nähe war, wurde aus einem Regentag einfach so ein Sonnenscheintag. Die zwei anderen Verkäuferinnen, die auch in der Bäckerei arbeiteten, hatten ihn nicht vergessen und grüßten ihn jedes Mal freudig, wenn er nun wieder die Bäckerei betrat. Nathalie hatte nicht nur bei ihm einen Fuß in der Türe, auch unter ihren Kolleginnen war sie allseits beliebt und, wie man immer wieder über sie sagte, zu einer guten Seele des Ladens geworden. Sie kannte nicht nur für ihn die besten Backrezepte und die besten Tricks, um Kuchen und Torten nach Liebe und Verführung schmecken zu lassen. Er selbst sagte seit einiger Zeit, nur sie sei schuld daran, dass bei ihm die Liebe wieder Schmetterlinge im Bauch machte. Hier kam er immer nach Feierabend her, auch und vor allem wegen Nathalie, denn hier ließ man ihn in Ruhe und wenn es sich ergab, redete er von ganz allein. Aber mit Nathalie verband ihn mehr und mit ihr redete er über Gott und die Welt. Er kannte fast immer ihre Arbeitszeiten. Dann meinte sie, nachdem sie ihm durch das Haar gefahren war:

    Setz dich einfach an deinen Platz, Kaffee und Kuchen gehen auf meine Rechnung!

    Das war Nathalie. Anschließend ging sie wieder hinter die Verkaufstheke und bediente den nächsten Kunden. Armin setzte sich dorthin, wo sie es ihm empfohlen hatte, an seinen angestammten Platz. Dieser lag etwas seitlich versetzt direkt neben der Verkaufstheke und dem Gebäck und irgendwie auch nah bei Nathalie. Dann wurde er zum Beobachter seiner Umgebung und seiner Gefühle. Kunden kamen und gingen, warteten, bestellten und tranken später oder früher in der Bäckerei, wo keiner zu stehen brauchte, wenn er nicht wollte. Manche nahmen einen Kaffee mit und andere ein Wurstbrot. Armin zählte nicht die Minuten, er zählte in dieser Zeit nur die Blicke von Nathalie, die diese immer wieder mal zu ihm auf Reisen schickte. Der Kaffeeautomat glänzte und eine Verkäuferin richtete Tassen und Untersetzer her oder füllte diese auf. Es gab Stehplätze für die ganz Eiligen sowie Sitzgruppen für die Gemütlichen.

    In einem Kühlregal an der Wand neben der Eingangstüre gab es Getränke zum Mitnehmen.

    Es gab belegte Brötchen und Tee. Es gab aber vor allem die süßeste Versuchung, seit es Blätterteigtaschen mit Marzipan gab. Es war eine Spezialität des Hauses. Das Geheimnis wollte man ihm einfach nicht verraten, doch irgendwann bekam er Rabatt, auch wegen ihr, wegen Nathalie. Sie bereitete gerade frischen Kaffee für einen Kunden zu. Sie sah dabei wunderschön aus. War es der Duft des Kaffees oder

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