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Der Herzschlag des Dschungels
Der Herzschlag des Dschungels
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eBook288 Seiten3 Stunden

Der Herzschlag des Dschungels

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Über dieses E-Book

Zu gerne tauscht der junge Forscher Oliver Greek die Großstadt gegen eine Expedition in den wilden Dschungel Südamerikas.
Natürlich rechnet er mit einem Abenteuer, doch was ihm bevorsteht, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können: Ein Fremder rettet ihm das Leben, ein Dschungelvolk verehrt ihn als Gesandten der Götter, und eine Prophezeihung fordert von ihm die Abwendung einer großen Katastrophe.
Zum Glück unterstützt ihn der mutige Stammesjäger Nahelu dabei, sich in die Dorfgemeinschaft einzufügen und Nachforschungen über die unheilvollen Visionen anzustellen, die ihn plötzlich heimsuchen. Denn die Zeit drängt.
Zwischen mysteriösen Erdbeben, magischen Ritualen am Lagerfeuer und alten Familienfehden kommt Oliver nicht nur der Lösung des Rätsels näher, sondern auch seinem Freund und Beschützer Nahelu ...
SpracheDeutsch
Herausgeberdead soft verlag
Erscheinungsdatum10. Feb. 2019
ISBN9783960892908
Der Herzschlag des Dschungels

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    Buchvorschau

    Der Herzschlag des Dschungels - Vidora Black

    Vidora Black

    Der Herzschlag des Dschungels

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2019

    http://www..deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com

    Bildrechte:

    © VT_studio – shutterstock.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-96089-289-2

    ISBN 978-3-96089-290-8 (epub)

    Inhalt:

    Zu gerne tauscht der junge Forscher Oliver Greek die Großstadt gegen eine Expedition in den wilden Dschungel Südamerikas. Natürlich rechnet er mit einem Abenteuer, doch was ihm bevorsteht, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können: Ein Fremder rettet ihm das Leben, ein Dschungelvolk verehrt ihn als Gesandten der Götter, und eine Prophezeihung fordert von ihm die Abwendung einer großen Katastrophe.

    Zum Glück unterstützt ihn der mutige Stammesjäger Nahelu dabei, sich in die Dorfgemeinschaft einzufügen und Nachforschungen über die unheilvollen Visionen anzustellen, die ihn plötzlich heimsuchen. Denn die Zeit drängt. Zwischen mysteriösen Erdbeben, magischen Ritualen am Lagerfeuer und alten Familienfehden kommt Oliver nicht nur der Lösung des Rätsels näher, sondern auch seinem Freund und Beschützer Nahelu ...

    Prolog

    Das Ritual begann mit den ersten Trommelschlägen.

    Ihr Klang gab dem Dschungel einen Herzschlag, der selbst das Surren der Leuchtkäfer und die Revierstreitigkeiten der Grautatzen übertönte.

    Nahelu saß zwischen den Brüdern und Schwestern des Stammes, das Gesicht warm vom Feuer, die Augen auf Hunai gerichtet, der auf seinen Stab gestützt vor dem steinernen Podest stand. Der Blick des alten Schamanen begegnete seinem. Sie wussten beide, an wen die Götter sich heute wenden würden. Nahelu presste die Lippen aufeinander. Nein, er hatte es wirklich nicht eilig und hätte das Ritual am liebsten verschoben. Er brauchte keine Partnerin, jetzt noch nicht. Doch die Traditionen nahmen keine Rücksicht auf den Willen eines Einzelnen. Keine Ausnahmen.

    Hunai griff nach dem schlanken, dunkelgrünen Ende der Götterranke. Wie eine müde Schlange, dick wie ein kleiner Baumstamm, war sie heute Morgen von einem der Äste gerutscht und mitten auf den Dorfplatz gefallen. Eine eindeutigere Botschaft hätten die Götter ihnen kaum senden können. Und doch hoffte Nahelu immer noch, sie würde für jemand anderen sein.

    „Schau nicht so unglücklich. Du willst deine Frau doch nicht schon vor dem Bund beleidigen." Sein Freund Kahatak stieß ihn von der Seite an und grinste breit.

    „Angespannt. Nicht unglücklich", erwiderte er und zwang seine Mundwinkel zu einem Lächeln.

    „Kann man auch nicht sein, bei dieser Auswahl. Nuku ist eine echte Schönheit, Zirahi könnte die Götter bekochen und Sini ... Kahatak verstummte, als der Blick ihres großen Bruders ihn traf. „Na, die da oben wissen schon, was sie tun, nicht wahr?

    Nahelu seufzte und straffte seine Haltung.

    Die drei jungen Frauen im richtigen Alter saßen ihm im Kreis schräg gegenüber und wichen seinem Blick schüchtern aus. Nein, es gab nichts auszusetzen – sie waren hübsch anzusehen, gesund und erfüllten ihre Aufgaben in der Gemeinschaft. Egal, wer ihm bestimmt war – er bekam eine gute Partnerin, die ihm Zuwendung und Nachwuchs im Austausch für seinen Schutz schenken würde. Dass ihn das nicht froh stimmte, war sein eigenes Problem.

    Hunai legte das Ende der Ranke auf die Steinplatte, bettete das große Blatt auf den Untergrund. Er trat etwas zur Seite und griff in die Holzschalen, die die Kräuterfrauen ihm entgegenstreckten. Die runzligen Finger nahmen je eine Prise der leuchtenden Stäube. Einige Körner regneten zwischen ihnen hinab, den Rest verstreute er über die Adern und Rippen des Blattes. Aufsteigender Ritualgesang mischte sich unter den Rhythmus der Trommeln. Tief und eindringlich. Nach und nach stimmten sie alle ein, Männer und Frauen, Alte und Kinder. Ganz von selbst formten Nahelus Lippen die Silben der Götteranrufung, während seine Augen Hunais Handbewegungen folgten.

    Jemand reichte dem Schamanen einen Pinsel und die Schale mit dem silbern schimmernden Blut der Mondkatzen, und er pinselte das Blatt ein, damit die Götter ihre Botschaft darauf abbilden konnten.

    Die letzten Worte, die letzten wummernden Schläge. Dann nur noch das Knacken des Holzes im Feuer. Zittrige Hände, die sein Schicksal schrieben. Nein, sie überlieferten es nur, es stand längst fest. Sein Herz klopfte den Takt der verstummten Trommeln weiter. Nahelu reckte den Kopf. Welche Symbolik glitzerte auf der Oberfläche des Blattes? War die Botschaft wirklich für ihn, oder vielleicht doch für den Häuptling?

    Nahelu hielt den Atem an. Kahatak neben ihm beugte sich so weit vor, als ginge es um ihn.

    Die Form eines Auges und ein Speer, der es kreuzte. Sein Zeichen. Nahelu ließ die Schultern sinken und schloss einen Moment die Augen, um sich zu sammeln.

    „Nahelu, Sohn des Zenutah", verkündete Hunai und setzte sein Pinselwerk fort.

    Lächeln, glücklich aussehen. Nahelu hob die Lider und strich sich einen seiner Zöpfe zurück. Die Götter schauten auf ihn, genau wie alle seine Stammesbrüder. Es war sein Schicksal und er würde es annehmen.

    „Jetzt kommt der interessante Teil", raunte ihm Kahatak zu. Nahelu nickte kaum merklich. Sie sollte ihn interessieren, die Mutter seiner zukünftigen Söhne und Töchter. Er sollte sie lieben und schätzen. Und er sollte sich darauf freuen, ihren Namen zu erfahren. Sein Pflichtbewusstsein ließ ihn die Augen wieder auf das Blatt richten. Ein Raunen ging durch den Kreis, kaum dass die Struktur einer Feder darauf erschien. Die Götter besaßen einen seltsamen Humor.

    Atakus Miene verhärtete sich, als Nahelu sich ihm zuwandte. Es war einfach keine gute Idee, seine Schwester mit ihm zu verbinden. Zumindest war er jetzt sicher nicht mehr allein mit dem Wunsch, das Bindungsritual möge noch einige Monde aufgeschoben werden.

    „Sini, Tochter der Tikuwi."

    Erst nach einem tiefen Atemzug schaffte er es, ihren Blick zu suchen. Was dachte sie über diese Entscheidung? Von allen Frauen war sie diejenige, die ihm am fremdesten war. Diesen Abstand hatte er aus gutem Grund eingehalten. Aber nun? Er konnte sich nicht dem Willen der Götter widersetzen, ebenso wenig wie sie oder ihr Bruder.

    „… kann nicht gutgehen …"

    „… Streitereien endlich beilegen …"

    Die anderen diskutierten ihren Bund bereits. Nur ihm selbst fehlten die Worte. Trocken räusperte er sich. Das eingeübte Lächeln hing auf seinem Gesicht fest. Es gab nun nur noch eine Frage zu beantworten.

    Wann?

    Still verharrte er auf seinem Platz und dachte darüber nach, wie er seinen Frieden mit Sinis Familie machen sollte, damit dieser Bund nicht von Anfang an mit Streit und Missgunst verseucht wäre.

    Kahataks Hand auf seiner Schulter riss ihn aus seinem Gedankenstrudel. Irritiert schaute er ihn an. Dann fiel ihm auf, dass alle wieder still waren. Und ihn anstarrten.

    „Was?", fragte Nahelu und runzelte die Stirn. Hunai hielt die Ranke hoch. Neben den beiden silbern glänzenden Symbolen war keine Zeitangabe zu erkennen, kein ganzer Mond, kein halber, sondern … Er stand auf und trat näher heran, streckte die Finger nach dem Blatt aus, aber Hunai hielt ihn davon ab, es zu berühren. Das dritte Symbol sah aus, als gehöre es ebenfalls zu einer Person. Was sollte das bedeuten?

    „Wem gehört das Mal?", fragte er den Schamanen.

    Die Falten auf Hunais Stirn vertieften sich. „Niemandem."

    „Was bedeutet das, Schamane? Ataku hatte sich ebenfalls erhoben. Grob stieß er Nahelu zur Seite und herrschte Hunai an. „Ist das Ritual fehlerhaft?

    Fehlerhaft? Konnten sie es dann vielleicht für ungültig erklären? Nahelu hob die Augenbrauen und sah hoffnungsvoll zu Hunai. Das Murmeln und Flüstern um sie herum setzte wieder ein.

    Hunai schüttelte langsam den Kopf. „Die Götter machen keine Fehler. Alles ist so, wie es sein soll."

    „Aber das ergibt keinen Sinn! Sini wird keinen Bund mit ihm eingehen, solange nicht klar ist, was es bedeutet!"

    Nahelu nickte. Ausnahmsweise waren sie einer Meinung.

    „Ich hätte es ahnen müssen, immer wenn du in irgendetwas verwickelt bist, gibt es Schwierigkeiten." Ataku machte keinen Hehl aus seiner Abneigung. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er ihn an. Als er die Hand heben wollte, griff Hunai nach seinem Arm und hielt ihn zurück.

    „Wir werden die Botschaft deuten. Beruhigt eure Geister und lasst euch von den Göttern leiten."

    Ataku schien es schwerzufallen, den Worten des Schamanen nachzukommen, in seinen Augen funkelte es noch immer feindselig. Doch er wich ein Stück zurück, sodass die Anspannung zwischen ihnen beiden spürbar abnahm. Nahelu atmete beherrscht aus. Er blieb vorerst frei. Die Götter hatten Pläne mit ihm.

    Kapitel 1

    Oliver kauerte in der hintersten Ecke des Umkleideraumes, zerrte sich das Trikot mit dem Schriftzug Team Biologie – von Natur aus überlegen über den Kopf und wünschte einen Feueralarm herbei.

    Das Trampeln und Johlen von nebenan schallte durch die Wände.

    „Werd’ fertig, Oli. Du verpasst schon das Warmmachen." Jeanette stand in der Tür zur Sporthalle und machte eine hektische Geste, die eher so aussah, als wolle sie Fliegen verscheuchen.

    „Ich bin warm genug", murmelte er und zog den Reißverschluss seiner Sporttasche zu.

    „Selbst Profis wie du brauchen Vorbereitung."

    Es kostete Anstrengung, das bittere Auflachen zurück in seine Kehle zu pressen, damit es nicht herauskam.

    „Eigentlich ... fühle ich mich heute nicht so gut. Mein Kreislauf ..."

    „Das ist nur die Aufregung. Jeanette kam zu ihm und zog ihn am Ärmel. „Komm jetzt. Es wird besser, wenn du erst draußen bist.

    Die Sohlen seiner brandneuen Turnschuhe entlockten dem Linoleumboden ein schrilles Quietschen, das ungefähr so verzweifelt klang, wie Oliver sich fühlte.

    Er wollte da nicht raus!

    Die kleine, gemeine Stimme in seinem Kopf kicherte.

    Ja, er hatte sich das selbst eingebrockt. Das machte es nur nicht besser.

    „Lass wenigstens meinen Ärmel los." Wenn er schon musste, dann wollte er nicht wie ein kleines Kind aussehen, das von seiner Mutter hinterhergezerrt wurde. Lieber wie ein Gladiator.

    Jeanette lachte und drehte sich schwungvoll um. Ihr Pferdeschwanz peitschte ihm ins Gesicht. Im Hopserlauf durchquerte sie die Halle und blieb bei ihrem Team stehen. Gott, dieser Spruch ...

    Oliver atmete tief ein und aus, ehe er deutlich weniger dynamisch auf seine Gruppe zuging. Die Arme hielt er nahe am Körper, die Schultern hochgezogen, die Brust rausgedrückt, den Kopf gesenkt. Es sollte selbstbewusst und stark aussehen, aber vermutlich war die erste Assoziation der Zuschauer nicht Gladiator, sondern Nerd.

    „Da ist ja unser Kletteräffchen, rief Mike. Sein Grinsen war echt. Er und Jeanette glaubten wirklich, dass er hier eine super Performance hinlegen würde. Nur Tony, der mit säuerlichem Blick und verschränkten Armen etwas abseits stand, schien die Wahrheit zu erkennen. „Du siehst so blass aus, geht’s dir gut?

    Oliver lachte nervös und rieb sich den Nacken. „Ja, klar. Alles gut."

    Du ziehst das echt durch, was? Das war deine letzte Chance, ihnen vorher die Wahrheit zu sagen.

    „Auf geht’s, Team Biologie!" Jeanette verteilte ein paar High-Fives.

    Vor ihnen lagen die einzelnen Stationen des Parcours: Hürden, Trampoline, Netze, Ringe. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? In der Schule war er schon am Seil nie weiter als einen Meter vorangekommen und hier sollte er zuerst einen Schacht hinaufklettern, sich dann über drei Seile hangeln und am Ende noch eine Wand bezwingen.

    Vergiss es. Nicht mal, wenn Stacy hinter dir her wäre ...

    Ein Gong ertönte und setzte dem Lärmen der Zuschauer ein Ende.

    „Liebe Studierende, liebe Familien und Freunde, liebe Kollegen, ich heiße Sie im Namen des Organisationsteams herzlich willkommen zu unserem ersten Helden-Wettkampf. Unsere Studierenden werden heute beweisen, dass der Verstand nicht ihre einzige Waffe ist: Mut, Zusammenhalt und Zielstrebigkeit sind ebenso Tugenden, die wir von uns und anderen erwarten sollten."

    Vorsichtig warf Oliver einen Blick hinüber zu den Bankreihen. Seine Eltern saßen im Publikum. Ausgerechnet heute hatte also alles funktioniert? Seine Mutter hatte freibekommen und das Handy seines Vaters stand ausnahmsweise still?

    Der Vorstand beendete seine Rede. Die abschließenden Worte hatte Oliver nicht verstanden. Das Publikum applaudierte und die Teams versammelten sich am Rand des Feldes. Wie ein Zombie folgte Oliver den grünen Trikots.

    „Wir sind als drittes Team dran, sagte Mike und rieb sich die Hände. „Ich hab letzte Woche sogar die Wippe in unserem Garten zum Balancieren üben benutzt. Hat nicht schlecht geschaut, meine kleine Schwester.

    Aus den Lautsprechern tönten noch mehr Worte. Erklärungen zum Ablauf. Applaus. Dann der harsche Ton einer Trillerpfeife. Oliver hob den Kopf und schaute den ersten Helden-Anwärtern zu.

    Vier Leute, jeder auf seiner eigenen Bahn. An einer wurde sogar geschossen.

    Na, immerhin hast du dich für etwas gemeldet, bei dem nur du selbst zu Schaden kommst.

    Der Kommentator gab das Ergebnis des ersten Durchlaufs bekannt. Am Ende würde das Team mit der niedrigsten Gesamtzeit gewinnen.

    Wie hypnotisiert schaute er den nächsten Studenten zu. Gelbe Trikots. Team Chemie – hat die besten Teilchen!

    Das Klatschen und Murmeln der Zuschauer, das Ticken der Stoppuhr und die Lautsprecheransagen verstopften seine Ohren. Mit jeder Sekunde entfernte er sich weiter von all dem. Als würde sein Geist sich von seinem Körper lösen und aus der Halle schweben. So weit weg vom Geschehen war alles gar nicht mehr so schlimm.

    Erst als Tony ihm auf die Schulter klopfte, kehrte er in die Wirklichkeit zurück und zuckte zusammen, als hätte ihm jemand mit einem Defibrillator Strom in die Brust gejagt. Er hatte Kopfschmerzen. Alles pochte und klopfte.

    „Verkack’s nicht, Greek."

    Oliver rutschte auf der Bank hin und her und wischte seine Handflächen an der Hose ab.

    Seine Gliedmaßen bewegten sich ganz automatisch. Wie ferngesteuert bewegte er sich zu den Matten und stellte sich an seiner Startlinie auf.

    Alle sahen ihm zu. Sein Team, seine Eltern, die anderen. Clyde. Ihre Blicke streiften sich. Dann kam der Pfiff.

    Oliver rannte los. Körperhaltung, Atmung, Gleichgewicht.

    Er stolperte über die Kante der Matratze. Das Publikum lachte. Olivers Wangen glühten um die Wette. Hastig rappelte er sich hoch und spurtete weiter. Seine Turnschuhe trommelten auf die alten Matten. Klebrige Geräusche. Jeanette war ihm weit voraus, sie hatte die erste Hürde schon hinter sich. Tony auch.

    Sein Blick flog zu der großen Uhr. Dann erreichte er die Röhre.

    Oliver breitete die Arme aus und presste die Handflächen gegen die Innenwand. Er wusste, wie es funktionierte. Eigentlich war es ganz einfach. Er musste springen und die Füße dann ebenfalls an die Wand drücken und sich dann Stück für Stück nach oben schieben.

    Seine Schultern zitterten unter dem Druck. Seine Füße fanden keinen Halt. Er rutschte immer wieder ab. Oliver starrte an sich hinab, sprang, und versuchte erneut, sich anzuschieben. Es ging nicht. Sein Körper war mit einem Mal so unglaublich träge und schwer. Zu schwer für seine Arme und zu schwer für seine Beine. Er knallte mit dem Hintern voran auf die Matte.

    Eilig kam er wieder auf die Beine, fing sich an der Röhrenwand ab, weil sich auf einmal alles drehte. Er hob den Kopf. Er musste da hoch, verdammt!

    „Drei sind im Ziel. Wo bleibt Oliver Greek? Hat er sich im Parcour verlaufen?"

    Das Publikum lachte.

    Noch ein Versuch. Er kam sich vor wie ein Hamster, der sein Rad einfach nicht zum Laufen bekam und immer wieder daran herunterrutschte.

    „Ist das dein Ernst, Greek?" Das war Tonys Stimme.

    Oliver kniff die Augen zusammen. Schultern, Arme, Oberschenkel ... alles zitterte. Tränen aus Frust und Wut wollten sich ihren Weg nach draußen bahnen, aber er ließ sie nicht. Das hier war doch nur wieder irgendeiner seiner Albträume, nur dass er nicht ins Bodenlose fiel oder von einem Monster verfolgt wurde, sondern in einem blöden Schacht gefangen war und alle über ihn lachten, weil er sich zum Kletterkünstler ernannt hatte und nun nicht hier rauskam.

    Nach zwei weiteren Versuchen, die immer schwächlicher wurden, kam ein Mann vom Spielfeldrand zu ihm.

    „Alles klar, Junge? Hast du dich verletzt?"

    „Ja ... ähm ... ich kann nicht ... ich meine ... Entschuldigung."

    Er wachte nicht auf. Die ganze Peinlichkeit war echt. Die Leute buhten. Sein Team wurde disqualifiziert. Mike, Jeanette und Tony starrten zu ihm rüber. Er wusste, wie das Gespräch ablief, das sie jetzt führten. Tony war von Anfang an dagegen gewesen, ihn ins Team aufzunehmen. Er musste es irgendwie gerochen haben.

    „Danke, Arschloch! Tony stemmte die Hände in die Hüften und sah aus, als würde er ihn am liebsten verprügeln. „Ich wusste doch, dass du’s nicht draufhast. Warst nur wegen Mike im Team. Ihr Schwuchteln seid alle gleich. Ich wette, das mit deiner Expedition ist auch nur gelogen. Wenn ich nicht so sauer wäre, müsste ich Mitleid haben. Er spuckte ihm die Worte mit maximaler Abfälligkeit vor die Füße, drehte sich um und ging.

    Oliver ließ die Schultern sinken.

    „Ich versteh’s nicht, Oli. Was ist das mit dir und den Lügengeschichten?"

    Clyde schwang sich neben ihn auf die Bank. Kam er jetzt auch noch, um draufzutreten? Die Getränkedose in seiner Hand zischte, als er sie öffnete.

    „Ich ... Das mit dir war keine Lüge ... nur ..."

    „Und dass deine Eltern Bescheid wissen?"

    „Tut mir leid. Er seufzte. Clyde hatte ja vollkommen recht. „Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll.

    „Sag gar nichts mehr. Sag nicht, dass du irgendwas kannst oder bist, von dem du glaubst, dass andere es hören wollen. So läuft’s nicht. Irgendwann kommt die Wahrheit doch eh raus."

    Das wusste er ja alles. Und trotzdem ... Als Mike zu ihm rübergeschaut hatte, war sein Arm einfach hochgeschnellt. Es war das erste Mal gewesen, dass der Kerl ihn überhaupt wahrgenommen hatte. Wie war dein Name nochmal? Oliver. Die Stimmen in seiner Erinnerung klangen seltsam verzerrt. Du bist gut im Klettern? – Ähm ... ja. Klar.

    *

    Langsam drehte er das Verkaufskarussel mit den Sonnenbrillen.

    Heute war der erste Tag vom Beginn seines neuen Lebens. In Südamerika schien die Sonne und der Gedanke, jetzt noch etwas für diese Reise zu kaufen, fühlte sich gut an. Am liebsten hätte er Tony eine Nachricht geschickt. Hier, ich bin wirklich zu dieser Expedition zugelassen. Nicht alles, was ich erzählt habe, war Mist. Aber die Chance hatte er sich ordentlich versaut.

    Seit seinem Kletterdesaster waren zwei Wochen vergangen. Mike hatte seitdem kein Wort mehr mit ihm geredet und auch die anderen aus seinem Kurs schienen ihn zu meiden. Jeanette hatte sogar aufgehört, ihm in der Mensa seinen Nachtisch auszureden, damit sie ihn bekam.

    Er hatte sich ins Aus katapultiert.

    Aber jetzt war das alles egal. Er würde mit neuen, coolen Leuten zusammenkommen und ein echtes Abenteuer im südamerikanischen Regenwald erleben. Clydes Ratschlag würde er sich zu Herzen nehmen und dort einfach nur der sein, der er war.

    *

    Die glühend heiße Luft im Bus garte ihn langsam aber sicher.

    Oliver hing mehr tot als lebendig auf dem Sitz und fächelte sich mit seinem Sonnenhut Luft zu, die genauso gut aus einem Ofen hätte stammen können.

    Die Fahrt dauerte schon den ganzen Nachmittag. In einer halben Stunde sollten sie am Basislager eintreffen und von dort aus noch zwei Stunden zum Camp marschieren.

    Draußen vor den Fenstern war nur Sand.

    „Hier war früher überall Dschungel. Stell dir das mal vor, sagte Lisa. „Alles gerodet.

    Der Horizont flirrte, doch langsam tauchte ein dunkelgrüner Streifen auf.

    „Sind wir da, oder kriege ich Halluzinationen?", fragte Jeff.

    Olivers Mundwinkel hoben sich. Sie waren wirklich da. Die Bäume wuchsen unter seinem Blick zu haushohen Riesen und der Urwald breitete sich zu beiden Seiten aus, umschloss ihren Bus mit ausgebreiteten, grünen Armen.

    Sie fuhren immer langsamer. Es gab hier keine Straße mehr, auch keinen Weg.

    Bald hielt der Bus.

    „Aussteigen!", rief ihr Fahrer. Oliver wäre am liebsten direkt aus dem Fenster geklettert, aber er reihte sich artig in den Strom seiner Kollegen ein und sprang schließlich das Treppchen hinunter.

    Der Boden war weich wie ein Teppich. Beschwingt machte Oliver ein paar Schritte von der Gruppe weg und schaute sich um. Die Bäume wirkten so kräftig, fast einschüchternd, nicht so still und zurückhaltend wie in den Stadtparks seiner Heimat. Sie hatten die Rollen getauscht. Hier waren Menschen die Gäste und die Natur der Gastgeber. Oliver lächelte und nahm einen tiefen Atemzug.

    Die Luft war feucht und roch nicht mehr nach Hitze, sondern nach Leben.

    Er schob sich die Sonnenbrille ins Haar. Dieses Paradies musste er ungefiltert sehen. Alles war grün, auf eine bunte Art und Weise: Der Schatten leuchtete petrolgrün, die Sträucher neben ihnen agavengrün und die Sonne malte Limonentöne hinein. Jede Sekunde entdeckten seine Augen etwas Neues. Eine blau schimmernde Libelle schwebte scheinbar schwerelos über einer Pfütze. Federn, so schwarz wie Onyx, lagen neben ihm im Gras. Saftigrote Blütenstände lockten wildes Schmetterlingsgeflatter an. Bromeliaceae. Ananasgewächse.

    Olivers Lippen formten ein stummes Wow.

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