Träumend imaginieren: Einblicke in die Traumwerkstatt
Von Verena Kast
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Über dieses E-Book
Verena Kast
Verena Kast (* 24. Januar 1943 in Wolfhalden) ist eine der bekanntesten Psychotherapeutinnen im deutschsprachigen Raum. Sie war Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, Dozentin und Lehranalytikerin am dortigen C.-G.-Jung-Institut und Psychotherapeutin in eigener Praxis. Von April 2014 bis März 2020 war sie Präsidentin des C.G. Jung-Instituts in Zürich sowie bis 2020 wissenschaftliche Leiterin der Lindauer Psychotherapiewochen. In ihren Büchern macht sie den Menschen Mut, die Vergangenheit loszulassen und sich der Zukunft zuzuwenden.
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Buchvorschau
Träumend imaginieren - Verena Kast
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.
–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Vorwort zum Band
Ist das Träumen eine intensivierte Form des wachen, spontanen Gedankenwanderns? Verena Kast, die Spezialistin dieses Genres, setzt diese These an den Beginn ihres Buches über das Träumen: »Ein Traum ist erst ein Traum, wenn wir erwachen.« Denn im Traum sind wir vollkommen als Subjekt anwesend. Auch aus Tagträumen müssen wir erst erwachen, um ihrer bewusst zu werden. Die Frage, wozu Träume gut sind, beschäftigt die Menschheit seit den Anfängen. Seit der Entwicklung der Psychoanalyse hat besonders C. G. Jung den Träumen eine zentrale Bedeutung für die psychotherapeutische Arbeit zuerkannt. Die Funktion der Träume sei es, »dem Leben wieder Strömung zu verleihen, aus dem Steckenbleiben […] wieder ins Fließen zu kommen« (S. 14). Träume können das Interesse für das Leben wieder aufkommen lassen und damit neuen Sinnerfahrungen Raum geben. Der Tagtraum wiederum hat eine besondere Verbindung zur Kreativität. Die Autorin entwickelt ihre Überlegungen aus tiefenpsychologischer Perspektive und spannt den Bogen von selbst generierten Gedanken hin zu den eigentlichen Träumen des Schlafes. Wir können heute davon ausgehen, dass das meiste Tagträumen unter der Schwelle des wachen Bewusstseins abläuft. Fantasie ist eine Selbsttätigkeit der Seele.
Ein eigenes, spannendes Kapitel wird den Aspekten der affektiven Neurowissenschaft gewidmet. Es scheint so, dass eine Aktivierung des visuellen Kortex eher mit positiven Gefühlen verbunden ist. Könnte die Anleitung zum bildhaften Narrativ damit eher positive Gefühle induzieren? Das Wandern der Gedanken kann absichtlich oder unabsichtlich erfolgen. Auch das »Konzept der Vorfreude« ist in diesem Zusammenhang neu interpretierbar.
Der Traum stellt schließlich – auch dies eine innovative Perspektive – eine Form von »verkörperter Simulation« dar. Als eine Inszenierung schließt der Traum den Träumer als Akteur oder Beobachter ein. Man kann den Traum auch als unfreiwilligen, aber organisierten mentalen Akt begreifen. Der Traum beschäftigt sich »meistens mit dem, was uns auch im Alltag beschäftigt«, stellt aber unsere Konflikte, Sorgen, Erwartungen in einen neuen Zusammenhang. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Träumen und Tagträumen sind faszinierend und werden in einer Gegenüberstellung herausgearbeitet.
Das Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise auf, das Wissen um die Träume auch für die therapeutische Praxis nutzbar gemacht werden kann. Imagination und Traum bei C. G. Jung stellen den Ausgangspunkt dar. Wie kann es gelingen, Emotionen in Bilder umzusetzen? Es eröffnen sich dadurch Möglichkeiten, vieles Fixierte zu »verflüssigen« und damit neue Perspektiven im bewussten Denken zuzulassen. Jungs Theorie der »Komplexe« als verdrängte unbewusste konflikthafte Beziehungserfahrungen wird ausführlich dargestellt. Aus heutiger Sicht kann festgestellt werden, dass stereotype negative Gedanken mit solchen Komplexen verbunden sind und maladaptive Tagträume triggern können, die Zufriedenheit gar nicht mehr aufkommen lassen. Die zweite Traumtheorie von Jung behandelt die »Kompensation«: Träume kompensieren Auslassungen oder Aussparungen der bewussten Einstellungen und übertragen damit dem Unbewussten eine leitende Funktion auf das Bewusstsein. Damit könnten Träume das Zu-kurz-Gekommene des Tages vervollständigen, was für die Entwicklung der Identität des Träumenden wesentlich wäre.
Komplexe und Träume in der therapeutischen Arbeit werden ausführlich vorgestellt und durch anschauliche Beispiele angereichert. Die Arbeit am Albtraum leitet über zum Phänomen der Emotionsansteckung. Welche therapeutischen Möglichkeiten sich eröffnen, zeigen Initialträume, Beziehungsträume, Verlustträume, Träume als Trauerprozess und Träume als Ausgangspunkt für Erinnerungsarbeit und bieten damit faszinierende und vielfältige praxisorientierte Einblicke in die »Traumwerkstatt«. Der Traum als Spiel der Imagination beschließt dieses äußerst spannende und lesenswerte Buch, das Träume für Therapeutinnen und Therapeuten jeder Schule fruchtbar machen kann.
Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch
1Imaginieren und Träumen
1.1Kontinuum zwischen Wachen und Träumen
Traumforscher und Neurowissenschafter stellen in den letzten Jahren die Hypothese auf, dass zwischen dem Tagträumen und dem Träumen in der Nacht ein wichtiger Zusammenhang besteht, dass es eigentlich nur ein Kontinuum des Träumens gibt. So postulieren Fox, Nijeboer, Solomonova, Domhoff und Christoff (2013), dass das Träumen eine intensivierte Version der wachen, spontanen Gedanken sei – das Gedankenwandern während des Wachzustands eine abgeschwächte Form des Träumens. Wie argumentieren sie? Sie betrachten, wie heute üblich, das Default Mode Network – das Ruhezustandsnetzwerk – als spontan aktiv, wann immer Menschen nicht gerichtet aufmerksam sind, wenn äußere sensorische Inputs fehlen, also in ruhigen Situationen. Dieses Ruhenetzwerk unterstützt das reizunabhängige Denken. Wenn wir während des Schlafens träumen,