Der Körper in der analytischen Therapie von Kindern und Jugendlichen
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Über dieses E-Book
Jochen Willerscheidt
Jochen Willerscheidt ist Sonderschullehrer, individualpsychologischer Berater (DGIP), analytischer Kinder- und Jugendlichentherapeut (DGIP) und Dozent und Supervisor am Alfred-Adler-Institut Aachen/Köln.
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Buchvorschau
Der Körper in der analytischen Therapie von Kindern und Jugendlichen - Jochen Willerscheidt
1Einleitung
Wenn man die wissenschaftliche Literatur zur analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (aKJP) sichtet, wird man zur Bedeutung der körperlichen Dimension im analytischen Prozess wenig Hinweise finden. In meiner supervisorischen Tätigkeit am Alfred-Adler-Institut (AAI) in Köln schilderten mir Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten häufig Szenen aus ihren Fällen, wie sie vor allem von Kindern körperlich involviert wurden.
Auch im Laufe meiner psychoanalytischen Praxis vermerkte ich zunehmend, wie ich im therapeutischen Prozess körperlich intervenierte. Dies geschah anfangs unreflektiert, aber oft begleitet von einem Gefühl der Stimmigkeit und einer zustimmenden Resonanz durch meine Patienten und Patientinnen. Mit meinem Buch hoffe ich, diese Lücke in der Fachliteratur zur Kinder- und Jugendlichenpsychoanalyse zu schließen.
In einem ersten Praxisbeispiel gebe ich eine Fallepisode aus der Intervision wieder, die veranschaulicht, wie körperliche Begegnungsmomente für die Entwicklung des Patienten genutzt werden können. Anschließend schildere ich die konzeptuelle Einbettung meines Entwurfes einer körperbezogenen Kinder- und Jugendlichenpsychoanalyse. Es folgen praxeologische Aspekte und erste Gedanken zur Weiterbildung.
Zunächst beschreibt mein Kollege Jörg Dohn¹ die zentrale Bedeutung des Körperdialogs in einer therapeutischen Beziehungsepisode:
»Es handelt sich um den Beginn der 45. Stunde einer einstündigen analytischen Psychotherapie mit einem zwölfjährigen Jungen, der von den Eltern wegen Essproblemen vorgestellt wurde. Er wuchs in dem Spannungsfeld einer kühl wirkenden Mutter auf, die ihn nicht stillte, um sehr bald wieder arbeiten zu gehen, und die ihm dann aus beruflichen Gründen wenig zur Verfügung stand, sowie eines sehr anspruchsvollen, fordernden und ihn oft entwertenden Vaters. Die Eltern trennten sich, als S. dreieinhalb Jahre alt war, und reden seitdem und bis heute sehr wenig miteinander.
Mein Patient hatte zu der Zeit der 45. Sitzung mehr Vertrauen in mich gefasst. Wir hatten viel über seine Angst vor dem Vater gesprochen, hatten dabei auch bereits mit Stofftieren gespielt und gekämpft, wobei wir auch in Körperkontakt gekommen waren. Seine Konflikte und seine depressiven Reaktionen setzten sich in den Sitzungen immer deutlicher in Szene und konnten herausgearbeitet werden. Es wurde nun auch für S. spürbar: Wenn er aus sich herausgeht, muss er befürchten, von seinen Objekten in seiner seelischen Existenz annulliert zu werden. Wenn er seine vitalen Tendenzen aus Angst vor den antizipierten Verletzungen immer weiter selbst unterdrückt, geht er sich immer weiter selbst verloren.
Über eine lange Zeit begann S. seine Sitzungen mit Schweigen, wobei er dabei unter einen starken Druck geriet. Wenn ich ihn darauf ansprach, zeigte er eine Verzweiflung und begann verkrampft zu weinen, was er wiederum verbal nicht erklären konnte. Dieser Situation wich er dann im Laufe der Therapie aus, indem er mich, kaum dass wir Platz genommen hatten, mit schräg gelegtem Kopf und Hündchenblick fragte: ›Spielst du ein Spiel mit mir?‹ Mir wurde sehr schnell deutlich, dass er erwartete, in seinem Wunsch zurückgewiesen zu werden. Hier schien er mit mir, der ihm ja ausdrücklich gesagt hatte, dass er in seiner Sitzung alles bestimmen könne, einen Ausweg aus seiner Ambivalenz zu probieren, mit der er seine Angst vor Zurückweisung bewegen konnte.
In der 45. Stunde reagierte ich auf seine ritualisierte Frage, indem ich so tat, als ob ich eingeschlafen wäre, und dabei laut schnarchte. S. sprang aus seinem Sessel heraus, griff nach einem Kissen und warf es auf mich. Dann kam er näher und schlug mich mit einem Kissen. Ich schützte mich und merkte in der Gegenübertragung, dass ich froh darüber war, dass er seine vitalen und aggressiven Lebensbewegungen aus der leiblichen Erstarrung lösen konnte.
Umso erstaunter war ich, als S. mir, der ich immer noch im Sessel saß, plötzlich in den Arm sprang und sich an mich kuschelte. Ich nahm einen kurzen Gewissenskonflikt in der Gegenübertragung wahr, ob dies so nicht zu nah sei, gewann dann aber schnell meine Sicherheit zurück. Ich hielt S. nun wie ein Baby im Arm und streichelte seinen Kopf.
S. machte dabei Babylaute und brachte damit dann auch zum Ausdruck, dass das Baby Hunger habe. Ich fütterte ihn spielerisch mit Babybrei, den er aber sofort wieder ausspuckte. Ich dachte daran, dass er sich realiter häufiger erbrach, wenn er den Geschmack eines Essens oder einer Sauce nicht mochte oder sich gezwungen fühlte, in einem Restaurant etwas zu essen. Auch meine Versuche, das Baby mit Brokkoli, Kartoffeln oder Ähnlichem zu füttern, verfehlten den Geschmack des Kindes, das das Essen immer wieder ausspie. Das Kind schien dann in meinen Armen zu wachsen und begann zu sprechen und mir mitzuteilen, was es haben wolle, nämlich Frikandeln, die es in der Realität am liebsten und in großen Mengen isst. Ich sprach vor mich hin, dass ich doch dem Kind keine Frikandeln füttern könne, das sei ja kein ›gutes Essen‹, und wollte ihn stillen. Daraufhin intervenierte er und sagte, dass ich doch nicht die Mama sei, ich hätte doch graue Haare. Ich sagte, dass ich schon die Mutter sein könnte, und tat so, als ob ich ihn stillte, woraufhin er die Milch ausspuckte. ›Ich mag keine Milch!‹, schrie das Baby, wobei