Saturn – Die Wahrheit über Hannibal Barkas
Von Lukas Wolfgang Börner und Sabrina Börner
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Über dieses E-Book
Vierter Teil der ALTERA-ALA-ANIMAE-Ennealogie.
Lukas Wolfgang Börner
Am 30. Mai 1987 wurde Lukas Wolfgang Börner in Leipzig geboren, um bald darauf, noch vor dem Mauerfall, mit seiner Familie ins Allgäu zu gelangen. In der Ganghofer-Stadt Kaufbeuren vis-à-vis des Familienhauses Enzensberger verbrachte er seine Jugend mit Naturexkursionen, Gedichten und allerhand Bubenstreichen, die seine Geschichten, insbesondere die Endzeitjugend-Romane, fortan prägen sollten. Nach seinem Wehrdienst als Gebirgsjäger studierte er Germanistik, Geographie und Europäische Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Börner ist Übersetzer/Nachdichter diverser internationaler Gedichtklassiker („Tomten“, „Befana“) sowie des toskanischen Volksmärchens „Fantaghirò Persona Bella“, das durch die Märchen-Filmreihe „Prinzessin Fantaghirò“ Berühmtheit erlangte. Inhalt seiner Geschichten und Dichtungen sind Freiheits- und Sinnsuche, Liebe, Lust und die volle Palette menschlicher Abgründe, wobei der Humor ebenso allgegenwärtig ist wie die Umwertung aller Werte à la Nietzsche. Das Selbstverlegen sieht Börner als willkommenes Mittel, „auch heute noch literarisch anspruchsvolle Kunst zu schaffen, ohne auf die kurzen Aufmerksamkeitsspannen des Mainstreams oder die Befindlichkeiten der Dauerempörten Rücksicht zu nehmen.“
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Buchvorschau
Saturn – Die Wahrheit über Hannibal Barkas - Lukas Wolfgang Börner
Alles, wirklich alles habe ich für meinen geliebten Führer getan, ohne auch nur einen Wimpernschlag an der Richtigkeit seiner Entscheidungen zu zweifeln – als er mich aber zwang, das Fleisch meiner vor Hunger und Kälte verstorbenen Kameraden heimlich der Suppe beizumischen, bin ich ihm untreu geworden.
Allein dies hier zu schreiben und den Kannibalismus auf Papyrus zu bannen, ist Hochverrat. Zumal es Wind in den Segeln unserer Feinde ist, die uns ohnehin Kinderopfer und die Prostitution unserer Weiber nachsagen und Baal-Hammon, den allgewaltigen Wohlfahrer des mächtigen Qart Hadasht, gar mit ihrem kinderfressenden Saturnus gleichsetzen.
Wie er, ohne eine Miene zu verziehen, durch die Reihen der Söldner stolziert und ihnen beim Essen zusieht, ist bemerkenswert. Die Stimmung ist nicht gut. Unzählige tapfere Männer haben wir bereits eingebüßt, sie liegen links und rechts unseres Weges mit verdrehten Gliedern in den Schluchten, den Wölfen und Geiern zum Fraß. Manche haben noch gelebt und vergebens um Hilfe gebrüllt, andere verteilten sich auf den Felsen wie überreife vom Marktkarren gestürzte Melonen, zuweilen fliegt ein Rabe mit einem Stück Menschenauge im Schnabel an uns vorbei.
Es ist ein entsetzliches Massaker. Die nackten Gallier erfrieren reihenweise, die Pferde der schweren libyschen Kavallerie rutschen von den Felsen und unsere besten Numider sind in einem Engpass von verfeindeten keltischen Stämmen zu Tode gesteinigt worden. Mit Kriegselefanten bei einsetzendem Winter die Alpen zu überqueren – ich muss es so sagen, auch wenn es mich womöglich Kopf und Kragen kostet –, ist die Idee eines vom Hass zerrütteten Geistes.
Dass ausgerechnet ich es war, der ihn auf diese Idee gebracht hat, raubt mir den Schlaf.
Ich hatte mit Hannibal Barkas zuvor nichts zu tun gehabt – war ich doch nur ein einfacher Geschichtenerzähler ohne politische Interessen, geschweige denn große Namen in der Familie – keiner von uns hatte je das Meer durch ein Fenster gesehen. Doch die Geschichte des Sagunter Jünglings, die ich hin und wieder auf der Agora erzählte, hatte mir innerhalb eines Jahres einen festen Platz in der Ewigen Bibliothek und eine Wohnung auf dem Byrsa-Hügel beschert. Ich füllte das Theater, indem ich meinen eigenen Helden verkörperte, und eroberte Abend für Abend ebenso das Herz der Sagunter Prinzessin, die von einem mit iberischen
Kostbarkeiten geschmückten Eunuchen gespielt wurde, als auch das des Publikums.
Doch ebendiese Geschichte, die mich zu einem Ehrenbürger der Stadt hatte werden lassen, sollte sich als mein Verhängnis erweisen – denn der neue Heerführer Hannibal berief mich zu sich. Ich fuhr das erste Mal in meinem Leben über das Meer, in der unguten Gewissheit, meine Geschichte im neuen Qart Hadasht auf der Iberischen Halbinsel vor den hohen Herren zum Besten geben zu müssen.
Doch ich hatte mich getäuscht. Weder begegnete mir ein hoher Herr – vielmehr ein leutseliger Mann von noch nicht einmal dreißig Jahren, der mich auf die Stirn küsste und Freund nannte – noch war ein Auftritt im Theater für mich vorgesehen. Hannibal hatte mich aus einem ganz anderen Grund zu sich bestellt.
Sagunt hatte ihm die Unterwerfung verweigert und er fürchtete, dass die Stadt Hilfe bei den Römern suchen könnte.
„Du bist vermutlich der Einzige von uns, der in Sagunt willkommen ist – das Königshaus ist ganz begierig auf deine Geschichte", sagte er und ich begann zu ahnen, was er im Schilde führte. Er wollte mich in die Stadt schleusen, scheinbar als Zeichen des gegenseitigen Respekts, in Wahrheit aber als Spion. Ich tauschte einen langen Blick mit ihm, sah in seine lodernden Pupillen – und entflammte ebenfalls.
Sein Plan war aufgegangen. Mit einem Dolmetscher an meiner Seite saß ich an der Tafel des Königs, genoss in Honigteig gebackene Lerchen und bemühte mich auf Hannibals Anweisung hin, den bis zum Rand gefüllten Weinbecher möglichst maßvoll zu leeren. Die Geschichte des armen Jünglings, der allein durch seine Bescheidenheit zum Prinzen aufstieg, verzückte die Gesellschaft. Ich erzählte von dem tückischen Töpfer, der seine Stellung als Hoflieferant ausnutzte, um den König zu bestehlen.
„Nachdem der Jüngling der Prinzessin also das Leben gerettet hatte, beschloss ich meine Erzählung und ließ mir so viel Zeit dabei, dass der Dolmetscher die Möglichkeit hatte, schöne Worte für seine Übersetzung zu wählen, „führte ihn der König in den Laden des Töpfers und gestattete ihm, sich seinen Lohn selbst auszusuchen. Da gab es mit Blattgold verzierte Tonkrüge, gottgleiche Keramikstatuetten und detailreich mit der Gründungsgeschichte Sagunts bebilderte Vasen. Der Töpfer aber hatte all sein Diebesgut im schlichtesten, schäbigsten, ja, regelrecht verdreckten Deckelkrug ganz hinten im Laden versteckt, weil er wusste, dass sich kein Ladenbesucher je dafür interessieren würde. Doch vor eben diesem blieb der redliche Jüngling stehen, zeigte darauf und sprach: ,Da die Rettung eines Menschen eine Selbstverständlichkeit ist und keiner Belohnung bedarf, ich deinen Befehlen, oh König, jedoch nicht zuwiderhandeln will, soll mir jener Krug genügen.‘ Der Töpfer protestierte zwar und bot seine schönsten Schmuckstücke an, doch der Jüngling ließ sich nicht umstimmen. Als der König den Händler bezahlt hatte und der Jüngling seinen Krug heben und heimtragen wollte, bemerkte er, wie schwer er war. Er öffnete den Deckel und erblickte einen unermesslichen Schatz, den der König sogleich als sein gestohlenes Hab und Gut erkannte. Was halfen dem Töpfer nun seine Bitten und Entschuldigungen? Was half es ihm, auf die Knie zu sinken und um Gnade zu flehen? Er wurde mitsamt seiner Familie und seinen Sklaven gekreuzigt. Zum Jüngling aber sprach der König: ,Behalte die Kostbarkeiten, die du durch deine Redlichkeit erworben hast und werde mein Schwiegersohn.‘ Und so heiratete der Jüngling die Prinzessin und wurde nach einigen Jahren selbst König von Sagunt.
Tags drauf saß ich in einer schmucken Taverne unter hohen Palmen, von wo aus ich ein römisches Handelsschiff im Blick behalten konnte. Auf dem Marktplatz hatte