Gebrochene Flügel
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Buchvorschau
Gebrochene Flügel - Svenson Björglund
Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg
Part of Production House GmbH
E-mail: info@himmelstuermer.de
www.himmelstuermer.de
Foto: Mark-Andreas Schwieder, www.statua.de
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer, AGD, Hamburg
www.olafwelling.de
Originalausgabe, August 2007
E-book Ausgabe: Juli 2014
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
ISBN print: 978-3-934825-80-2
ISBN Epub: 978-3-86361-428-7
ISBN pdf: 978-3-86361-429-4
Dieses Buch widme ich meinem Freund Alexej und allen tapferen kleinen und großen Straßenkindern auf der ganzen Welt.
Vorwort
Jeder Schwedentourist sollte Skansen kennen lernen, jenes Freilichtmuseum in Stockholm, das erste der Welt überhaupt, das bereits 1891 gegründet wurde und seitdem viele Besucher geheimnisvoll anlockt. Wir Schweden sind stolz auf Skansen. Es ist voll mit prallem Leben. Jedes Gebäude, ja jeder kleinste Gegenstand erzählt Geschichte und Geschichten. Ich verbringe hier oft meine freie Zeit.
Genau hier, an diesem denkwürdigen Ort, lernte ich auch Alexej kennen. Er kam direkt aus Deutschland, ohne Gepäck, aber mit einer riesigen Menge an Erlebnissen und Erfahrungen. Wir freundeten uns sehr schnell an und genossen die drei Tage, in denen er in unserem Haus zu Gast war. Hier erfuhr ich seine Geschichte, die ich dem werten Leser nicht vorenthalten möchte.
Man mag mir nachsehen, dass ich in meinen Ausführungen streckenweise sehr offen bin, fast schon anstößig in der Wortwahl. Dies ist aber nötig, um die Situation möglichst echt wiederzugeben und nichts zu beschönigen oder zu verharmlosen.
1.Kapitel
In dieses russische, gottverlassene Dorf, unweit von St. Petersburg, verirrte sich garantiert kein Fremder. Hier war noch alles im Urzustand, wie es bereits der unselige Bombenattentäter des Zaren Alexander des Zweiten, Ignatij Grinewizkij, nach seiner erfolgreichen Tat vor einhundertdreißig Jahren gesehen hatte. Die Hütten waren alt und verfallen, die Grundstücke ziemlich verkommen, nur die Schule und das Haus des Dorfsowjets waren noch in Ordnung und sogar ans Stromnetz angeschlossen. Wer aufs Klo musste, der ging über den Hof, wo hinter einem Bretterverschlag ein großer Eimer für die Fäkalien bereitstand, umgeben von riesigen Fliegenschwärmen. Es war immer schlimm, wenn vergessen wurde, ihn rechtzeitig zu entleeren.
Irgendwann kam das erste Telefon ins Dorf. Es hatte immer noch diesen großen Trichter und man musste laut schreien, um überhaupt verstanden zu werden. Alexej, der Sohn des Dorfsowjets Jewgeni Lenin Natschenko, wurde jedes Mal wach, wenn der Vater mit seinen Genossen in St. Petersburg oder Moskau telefonierte. Manchmal stritten sie dann auch, weil für Gladowskoje keine Gelder bereitgestellt wurden, um wenigstens die einzige Dorfstraße einigermaßen planiert zu bekommen. Jewgeni verstand es dann anschließend regelmäßig, den Dorfbewohnern klarzumachen, dass zuerst in Moskau, dort wo der Genosse Generalsekretär des Zentralkomitees wohnte, die Straßen gebaut werden mussten, und dass sie deshalb, um des Sieges des Kommunismus willen, auch mal warten sollten.
Oft kamen auch andere Leute aus dem Dorf zu ihnen, um ihre Angelegenheiten zu klären. Manchmal klang es wirklich so, als würden sie sich streiten, weil sie mit den Entscheidungen des Komsomol nicht einverstanden waren.
Anna war mit Jewgeni in dieses Dorf gekommen, um hier eine gute Parteiarbeit aufzubauen. Sie war noch jung und voller Tatendrang. Kein Ort im geliebten Mütterchen Russland sollte ohne den Segen der Partei bleiben, auch Gladowskoje nicht. Sie würde an der Seite ihres Mannes dafür sorgen, dass auch in diesem Kaff der Kommunismus seinen Sieg behielt. Sie war damals nicht gerne hierher gekommen. Jewgeni hatte sie schließlich von der Notwendigkeit überzeugt. Doch das war lange her, nun war Jewgeni weg.
Gerade hatte sie die gestrige Zeitung gelesen, als der Postbote Ivan Sergejowic an die ungestrichene, rohe Holztür pochte, die nur leicht angelehnt war und unter dem Druck der starken Hände sofort nachgab.
„Mütterchen, ich hab hier einen Brief, einen wichtigen Brief für deinen Sohn Alexej Konstantin."
Er hielt den Brief wie ein Herold aus der Antike in der Hand und gab ihn ihr mit dem Nachtrag: „Aus Deutschland ist der, aus Deutschland!" Er schaute dabei die Frau ernst und gewichtig an, die in früheren Zeiten niemals einen Brief oder irgendetwas anderes aus dem verhassten Feindesland in die Hand genommen hätte. Zu sehr lag die Vergangenheit, die sie selbst gottlob nicht hatte miterleben müssen, aber die durch die Schulungen immer wieder gegenwärtig gehalten wurde, noch in ihrem Kopf.
„Wo ist es denn überhaupt, dein Söhnchen? Ich darf ihm diesen Brief nur persönlich übergeben. Sieh hier, hier steht es."
Obwohl der alte Ivan die Stempel mit den ungewöhnlichen Buchstaben überhaupt nicht entziffern konnte, zeigte er mit seinem dicken Zeigefinger auf den Abdruck.
„´Nur persönlich überreichen´, steht da geschrieben", erklärte er mit einem echten Amtston in der vom vielen Wodka angerauten Stimme.
Anna schaute sich den Umschlag an und konnte mit Mühe „Express!" entziffern, obwohl sie dieses Wort auch nicht verstand.
„Schau, Väterchen, ich schreib hier meinen Namen drauf und dann ist es so, als würdest du ihn meinem Sohn persönlich überreichen", schlug sie vor.
Sie schrieb mit großen Buchstaben ihren Namen auf den Umschlag und steckte ihn zwischen ihre Bluse und ihren mächtigen Busen. Ivan Sergejowic war zufrieden. Ja, so hatte alles seine Ordnung, auch wenn er das jetzt nicht so richtig verstanden hatte.
Als Anna Natschenkowa den Brief aus dem fernen Deutschland wieder in den Händen hielt, begannen ihre Hände zu zittern. Sie hielt ihn lange unter die für ihre füllige Figur viel zu kleine Nase, umso vielleicht etwas vom geheimnisvollen Inhalt zu erspüren. Ihn aufzumachen traute sie sich nicht. Das Papier roch nach Gefahr, nach unermesslichem Verlust, nach drohender Einsamkeit.
Die Zeit damals vor ihrer Trennung von Jewgeni war sorgenlos und schön gewesen. Sie brauchte auf nichts zu verzichten. Sie war die Frau des Dorfsowjets, das öffnete jede Tür und alle wirtschaftlichen Tore. Die Dorfbewohner erhofften sich Vorteile, wenn sie Gemüse, Obst, Eier und auch Geflügel zu ihrem Dorfvorsteher ins Haus brachten.
Wie oft waren Anna und Jewgeni in ihren besten Zeiten nach St. Petersburg gefahren, hatten sich die wunderbaren, traditionsreichen Gebäude angeschaut, zu der Zeit, als noch die Genossen das Land mit eiserner Hand zusammenhielten, und den Revolutionsplatz, den sie ja später in den Troitskaja-Platz umbenannt hatten, ein Unsinn, den Anna wohl niemals begreifen würde, sowie den ruhmvollen Kreuzer Aurora, auf dem im Februar 1917 erstmals die rote Fahne gehisst und am Abend des 7. Oktober der Blindschuss abgefeuert wurde der den Start für die Eroberung des Winterpalais gab.
Ihr Jewgeni hatte es ausgezeichnet verstanden, die alte Geschichte wieder in ihr hochkommen zu lassen, die sie ja bis ins Detail von der Schule her kannte.
Jetzt war sie zweiundvierzig. Was hatte sich inzwischen nicht alles verändert! Aus Petrograd wurde Leningrad, dann kamen diese Unseligen mit den neuen Begriffen wie Glasnost und Perestroika, als wenn die Leute nicht auch vorher glücklich gewesen wären. Sie war es jedenfalls, sie und auch ihr Alexej. Wie sehr sehnte sie die alte Zeit wieder zurück, die aber nie zurückkommen würde, das wusste sie nur zu gut.
Ihr Jewgeni konnte nach dem Zerfall des Mütterchen Russland nicht schnell genug das Dorf verlassen und sich mit anderen Weibern in St. Petersburg und Weiss-Gott-nicht-wo herumtreiben. Einen Puff soll er aufgemacht haben, ein richtiges Freudenhaus. Soll er nur! Sie kam mit Alexej durch, auch ohne ihn.
In Anna kam erneut der ganze Zorn auf Jewgeni hoch. In ihrem Kopf kurvten wieder, zum tausendsten Mal, die schwermütigsten Gedanken herum. Wie oft hatten sie ihr schon den Schlaf geraubt und sie zur Flasche greifen lassen. Ja, sie hatte angefangen zu trinken, wer wollte es ihr auch verdenken?
Wieder schaute sie auf den Brief in ihrer immer noch zitternden Hand. Sie sollte ihn wegwerfen, sollte ihn einfach vernichten, vielleicht sogar verbrennen. Alexej würde es nicht merken.
Sie drehte das Kuvert um und suchte vergeblich einen Absender. Dann begann sie den Poststempel zu entziffern. Es waren Zahlen und einige Kürzel. Den Rest konnte sie nicht lesen, obwohl er deutlich genug auf das Papier gedruckt war. Die lateinischen Buchstaben, für sie ungewohnt, waren sehr klein. Ihre Augen ließen das Bild vor ihr immer wieder verschwimmen. Oder lag es daran, dass ihr Alkoholpegel vom vielen Wodka wieder recht hoch war?
Anna war ratlos. Sie wusste, dass Alexej schon früher versucht hatte, nach Deutschland auszuwandern. Schon als Junge träumte er von westlichen Ländern. Was hatte sie nicht alles versucht, ihm das auszureden. Was wäre auch aus ihnen geworden, wenn jemand etwas von diesen geheimen Wünschen des Sprösslings mitbekommen hätte, damals? Immerhin sah sie den Kampf gegen den Klassenfeind im Westen als ihre Lebensaufgabe an, das war sie ihrem Genossen Lenin und seiner Ideologie schuldig, ihm, der nichts anderes kannte als die Durchsetzung des Kommunismus. Wie konnte ihr einziger Sohn nur immer wieder ausbrechen wollen? Für Alexej war der Westen der absolute Inbegriff maßlosen Reichtums, grenzenloser Freiheit, einer erstrebenswerten Zukunft. So ein Unsinn!
Hoffnung auf eine solche Zukunft hatten die anderen zweiundsechzig Einwohner des kleinen Ortes Gladowskoje im abgeschiedenen Russland schon lange nicht mehr, das wusste Anna Natschenkowa inzwischen auch. Sie brauchte ja nur in ihre von der Zeit und von Wind und Wetter geprägten Gesichter zu blicken. Spätestens als Jewgeni, dem alle zutiefst vertraut hatten, sie so schmählich verraten und verlassen hatte, war alle Hoffnung dahin. Und sie, Anna Natschenkowa und ihr Alexej, mussten alles ausbaden.
Früher waren sie im Dorf eine eingeschworene Gemeinschaft unter Leitung ihres Genossen Jewgeni Natschenko. Klar, als Jewgeni nach der unseligen Perestroika sie quasi über Nacht verlassen hatte, waren sie zunächst alle geschockt und für lange Zeit in ihrem Denken gelähmt. Den meisten klangen noch die Reden am 9. Mai zum „Tag des Sieges" in den Ohren, wo er den Klassenfeind so wunderbar bildlich darzustellen vermocht hatte und auch die Grausamkeiten, die ihnen in ihrem Mütterchen Russland erspart blieben dank der Genossen in Moskau, die alles taten, um sie vor diesem Abschaum der Menschheit zu bewahren. Selbst die uralten Veteranen in ihren ordenbehängten Uniformjacken nickten ihm damals bei jedem Satz zufrieden zustimmend zu.
Nun war er selbst zu einem Teil des Klassenfeindes geworden. Wie sollte man das auch verstehen? Anna wurde wieder erregter. Sie begann laut vor sich hinzuschimpfen.
„Schuld waren doch nur diese Konterrevolutionäre: dieser Chruschtschow, Gorbatschow und jetzt dieser Putin." Anna hatte sich so in Wut geredet, dass sie wieder den Drang verspürte, erst einmal einen Schluck aus der noch halb gefüllten Wodkaflasche zu nehmen.
„Warum hat nicht alles so bleiben können, wie es war, warum nur?"
Alexej war mit seinen Freunden wie fast jeden Nachmittag auf dem Bolzplatz, gleich hinter dem Clubhaus. Viele Freunde hatte er nicht. Eigentlich hatte er nur einen richtigen Freund, Iljuschka, ein groß gewachsener, blond gelockter Junge, der nun schon ewig lange mit seinem Stimmbruch zu tun hatte. Wenn er etwas sagte, überschlug sich seine Stimme in verschiedene Tonhöhen, was natürlich vor allem die Mädchen zu albernen Lachsalven veranlasste.
Iljuschka war der einzige, der auch nach dem Weggang von Jewgeni Lenin Natschenko noch zu Alexej stand.
Die beiden Jungs mochten sich. Irgendwann, Alexej konnte sich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt erinnern, aber an die Tatsache erinnerte er sich sehr gerne, hatten sie sich Blutsbrüderschaft geschworen. Sie hatten sich nach dem Schwur mit erhobener Hand eine schwarze Nacktschnecke, die die alten Frauen des Dorfes auch zum Wegmachen von Warzen verwendeten, über ihre nackte Brust kriechen lassen. Sie hatte unsichtbar die Herzen der beiden Jungs miteinander verbunden, mit ihrem glitschigen Schleim verschweißt sozusagen, auf immer und ewig. Und wenn sie wie jetzt miteinander Fußball spielten, dann waren sie immer in derselben Mannschaft, das war gar nicht anders denkbar.
Alexej war immer noch außerordentlich fasziniert von den Fernsehübertragungen der Fußballweltmeisterschaft, die er mit seinen Kumpels gemeinsam im Dorfclubhaus, dem einzigen Raum mit einem Fernseher, angeschaut hatte. Ein riesig leuchtender roter Stern, wie auf dem Kreml im fernen und doch von den Genossen so sehr geliebten Moskau, nur etwas kleiner, viel kleiner sogar, zeigte die Wichtigkeit des Gebäudes.
Der Saal war an jedem Abend übervoll. Den Jungs wurde hier eine Welt präsentiert, die ihnen wie das reinste Schlaraffenland vorkam. Die Leute, die sie dort auf dem kleinen Bildschirm zu sehen bekamen, trugen ganz andere Klamotten als sie. Sie hatten auch nicht die Frisur, die ihnen hier im Dorf der bärtige Kolja, wenn er denn mal Zeit hatte und nicht gerade zum Schlachten oder Schafescheren oder anderen Einsätzen im Dorf unterwegs war, in regelmäßigen Abständen verpasste. Oft war er dabei so besoffen, dass die Jungs um ihre abstehenden Ohren bangten. Es war eine einfache Frisur, die von allen Jungs getragen wurde, egal, ob sie sechs oder sechzehn waren.
Wieder kam der Fußball angeflogen. Alexej, der im Tor stand, konnte ihn gerade noch abwehren und bekam reichlich Anerkennung von seinen drei Mannschaftsmitgliedern, besonders von seinem Freund Iljuschka. Sie waren nur zu siebt. In seiner Mannschaft spielte auch noch der kleine Kostja mit, aber der verstand überhaupt nichts, der hatte keine Ahnung von Fußball und auch sonst verstand er nichts. Die Großen erzählten, dass er es im Kopf hätte, weil seine Mutter zu viel Schnaps zu sich genommen habe, als Kostja „unterwegs" war. Manche sprachen auch von Inzucht, ein Wort, das die Jungs nicht verstanden.
Die Jungs kamen gut mit Kostja zurecht, auch wenn er niemals das machte, was sie wollten. Er war eben anders als sie, basta. Zur Schule ins Nachbardorf brauchte er auch nicht zu gehen, obwohl er schon vierzehn war, vielleicht war er ja auch froh darüber. Sicher war er das. Alexej wäre jedenfalls froh.
Sergei hatte mit voller Wucht in Richtung Tor geschossen und dabei Alexej so unglücklich erwischt, dass er den Ball voll in die Magengegend bekam. Er bäumte sich auf und fiel im nächsten Moment zusammen wie ein Luftballon, aus dem die Luft ausströmte. Schmerzverzerrt hielt er sich den Bauch. Mann, das war doch kein Fußballspiel, das war doch nur noch Klotzen. Alexej hatte keine Lust mehr. Sollten die doch allein weiterspielen. Er hatte die Schnauze gestrichen voll. Immer noch hielt er seinen Bauch, ihm war kotzübel.
„Du kannst doch jetzt nicht abhauen?"
Sie schauten Alexej fragend an, als der sein graues Unterhemd, das als Begrenzungsmarke auf dem Rasen lag, an sich nahm.
„Doch, kann ich sehr wohl. Wollt ihr es sehen?"
„Ja, klar, machst es wie dein Alter: Wenn’s brenzlig wird, hauste ab."
Alexej verspürte wieder die Wut in sich hochsteigen, die er schon seit langem in sich trug. Was konnte er dafür, wenn seine Alten Mist bauten? Was würde er darum geben, aus diesem gottverdammten Kaff entfliehen zu können. Er ertrug diesen Dorfmief immer weniger. Waren die hier wirklich alle so bescheuert? Erst kürzlich hatte es diese Sache mit Ivan gegeben. Sie hatten auch ihn fortgeekelt. Kaum jemand wusste so richtig, was genau gewesen war, und die es wussten, die schwiegen darüber. Die Jungen grinsten, wenn das Gespräch im Dorf wieder mal auf Ivan kam, und die Alten schlugen nach altorthodoxer Weise das Kreuz, um das Böse nicht an sich herankommen zu lassen. Denn es konnte nur der Böse persönlich gewesen sein, der es fertig gebracht hatten, den guten Ivan, den eigentlich alle sehr mochten, von seiner jungen Frau Ludmila weg zu einem Mann zu verführen. So jedenfalls sagten es die alten Dorfmütterchen, und die kannten sich am besten in den heiligen Dingen aus. Tatsächlich hatte sich der junge, schlanke Ivan in den neuen Dorfschullehrer verknallt. Er suchte jede Gelegenheit, um in seine Nähe zu kommen. Ivans Frau zeterte jedes Mal, wenn er sich an der Dorfschule herumdrückte. Manchmal sah man die beiden Männer auch in der alten Dorfkneipe ganz hinten in einer halbdunklen Ecke sitzen, wenn sie sich einen Wodka genehmigten. Was sie allerdings dazu trieb, sich splitterfasernackt auf dem Heuboden ins duftende Heu zu legen und ihre Körper gegenseitig zu streicheln, blieb zumindest den Alten ein Rätsel. Ivan sprach von Liebe, und er meinte auf keinen Fall seine Ludmila, die seine Eltern für ihn als Eheweib ausgesucht hatten.
Ausgerechnet der Postbote Ivan Sergejowic hatte die beiden da oben entdeckt, und er war es auch, der dafür gesorgt hatte, dass der Dorfschullehrer schon eine Woche später das Dorf wieder verlassen musste. Ivan war mit ihm gezogen. Für die Kinder war das okay, sie hatten notgedrungen Ferien. Bei vielen jungen Erwachsenen aber waren Zweifel entstanden, ob dies alles so auch richtig