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Theodor Storm fährt nach Würzburg und erreicht seinen Sohn nicht, obwohl er mit ihm spricht: Roman
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eBook156 Seiten2 Stunden

Theodor Storm fährt nach Würzburg und erreicht seinen Sohn nicht, obwohl er mit ihm spricht: Roman

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Über dieses E-Book

Wie geprägt ist einer von der Geschichte einer Familie, seines Landes, wie versucht man ihn zu formen und wie entzieht er sich dem auf der Suche nach Wahlverwandten?
Das ist das Thema des Buches von Ingrid Bachér, erzählt am Beispiel der Beziehung von Hans Woldsen Storm und seinem Vater, Theodor Storm.
Es ist das Jahr 1877, im Februar kommt Theodor Storm nach Würzburg, um durch seine nwesenheit den Sohn zu zwingen, das Medizinstudium endlich zu Ende zu bringen. Die Autorin schildert einen dramatischen Prozess: Vater und Sohn sind die Protagonisten nicht nur verschiedener Generationen, sondern sie sind auch Menschen ganz unterschiedlichen Charakters und Temperaments, hineingeboren in je unterschiedliche Epochen. Und so ist ein wesentlicher "Mitspieler" dieses Romans das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, das die Nachgeborenen oft bis in unsere Zeit mitgeprägt hat.
Storm ist nicht nur der Gegenspieler seines Sohnes, sondern auch die gesellschaftliche Omnipotenz, der Vater als Patriarch der Familie und Repräsentant des Öffentlichen. Er hat "seinem guten Jungen" die Angst vorm Versagen beigebracht, ohne es selbst erkennen zu können. Der Vater muss die Autorität verkörpern, weil er an keine höhere mehr glaubt - so sieht es der Sohn. Beide "können sich nicht nähern und nicht entkommen ". Woldsen will frei sein vom angeblich sichersten Halt, der Familie, und von der in Aussicht gestellten bürgerlichen Existenz. Er schätzt die Nähe der Armen und Trinker in den Würzburger Kneipen mehr als die Gesellschaft der Salons, und er liebt - nicht standesgemäß - die Tochter eines Streckenarbeiters.
Woldsen sieht die sich anbahnenden neuen Veränderungen, die die Zeit mitbringt, er erkennt die "Mechanik, welche nur nach Profit und Verlust werten kann". Virtuos und kenntnisreich (auf authentisches Material zurückgreifend) erzählt Ingrid Bachér den Vater-Sohn-Konflikt als Epochenkonflikt, und wie Woldsen, obwohl durch den Zwang des Vaters fast in eine tragische Katastrophe getrieben, sich auf dem Weg zu sich selbst befindet, nicht flüchtet, sondern standhält.
SpracheDeutsch
HerausgeberDittrich Verlag
Erscheinungsdatum8. Aug. 2013
ISBN9783943941418
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    Buchvorschau

    Theodor Storm fährt nach Würzburg und erreicht seinen Sohn nicht, obwohl er mit ihm spricht - Ingrid Bachér

    Meaulnes

    I

    Würzburg. Dies war der Ort, an dem sie sich trafen. Er lag nah am Fluss und unterhalb des Felsens, auf dem die Burg stand, und wirkte so gefasst doch maßlos für den, der aus dem Norden angereist kam. Ein Himmel wie Opiumseide, hatte Hans Woldsen ihm gesagt, darunter eine alte gesättigte Stadt.

    Und zu dem Zeitpunkt trafen sie sich, als man auch in der Provinz mit der gebührlichen Verspätung darüber disputierte, von welchen Ahnen der Mensch nun wirklich abstamme – oder darüber, ob denn nicht wenigstens die Attribute, welche man selber den Göttern beigegeben hatte, noch als verbindlich zu achten seien, wenn schon der Kern der Anbetung verschwunden war und die Glorie, die zurückblieb, kaum mehr einen Schauder verursachen konnte.

    Einige Jahre zuvor hatte es den Krieg 1870/71 gegeben und, als Folge dieser gemeinsamen patriotischen Anstrengung, die Gründung des Deutschen Reiches. Der erste, nun verebbende Aufschwung der Gründerjahre hatte die Einwohner ermutigt, die Mauern um ihre Städte zu durchbrechen, und hatte sie zugleich verunsichert, ob denn die Vernunft auch tatsächlich zur Toleranz führen würde, ohne welche die Aufklärung verkommen musste. Doch noch schien nichts entschieden zu sein. Die Gutwilligen nannten dies eine Zeit des Übergangs, als handle es sich nur um einen gewöhnlichen Wechsel innerhalb der Geschichte, eine Verschiebung der Macht zugunsten der Bürger; die sich freilich, trotz aller Erwartungen, nicht viel anders benahmen als zuvor, indem sie sich zuvörderst bei ihren Handlungen immer von der Nützlichkeit leiten ließen. So sich selbst überlassen und bei dem Versuch, sich in den Schutz eines neuen Gesetzes zu begeben, entdeckten sie ein mechanistisches Prinzip in allem und unterwarfen sich ihm. Der Zwang der Mechanik und der Aufstand dagegen, waren auf unterschiedlichste Weise Themen der Bücher, die Hans Woldsen beschäftigten. Vor allem liebte er jene in dieser Zeit von E. A. Poe, von Kleist und Zola, von Baudelaire und Herzen. In ihnen erkannte er, was seinem Denken verwandt war, und fand Tatbestände formuliert, die er zu fassen suchte, aufrichtig bewegt und zuweilen pessimistisch. Fasziniert von Geschichte, sah er, dass alles nach und nach entstand und doch als Gleichzeitiges seine Wirkung hatte.

    Am 6. Februar 1877, abends gegen sieben Uhr, war Storm in Würzburg angekommen. Sogleich hatte ein Dienstmann sich seines Gepäckes bemächtigt und war zu den Droschken vorausgegangen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, auf seinen Sohn zu warten. Er hätte gerne noch gezögert. Der Bahnhof schien ein Ort geselligen Treffens zu sein, geräumig genug für viele Menschen, die im Lichte der Gasbeleuchtung hin und her promenierten. Offensichtlich nahm man es hier nicht so streng mit dem üblichen Verbot, dass sich weder Schüler noch Personen, die nicht reisten, ausgenommen Beamte und Militärs, auf dem Gelände aufhalten durften.

    Der Dienstmann warf die Koffer in eine Droschke, und so stieg Storm ein, fühlte sich genötigt dazu, was ihn beengte und ihm die Stadt, in die sie nun hineinfuhren, wieder verleidete. Er hatte sowieso nie Sinn fürs Südliche gehabt, und die Vorlieben seines Sohnes für Katholisches und Barockes waren ihm immer unverständlich gewesen, wenn sie ihm nicht sogar unpassend vorgekommen waren. Das Pferd hatte den Wagen gewendet, Storm sah die beiden Flanken der Ludwigstraße, Nobelstraße mit noch jungen Alleebäumen, breiten Bürgersteigen und schmalen Vorgärten. Erst nun bemerkte er, dass er sich diese Ausgabe hätte sparen können, denn das Haus, in dem er durch Vermittlung von Professor Rinacker Gast sein würde, war keine fünf Minuten Fahrt entfernt. Es stand in unmittelbarer Nähe des alten Bahnhofes, der nur kurze Zeit in Betrieb gewesen war, bevor man ihn zur Festhalle umbaute und die Gleise außerhalb des Walls verlegte, als die Stadt begann, ihre Grenzen zu verwischen.

    Während der langen Zugfahrt hatte Storm sich die Ankunft vorgestellt, sich die ersten Sätze überlegt, die er seinem Sohn sagen wollte, um seine eigene Befangenheit zu verbergen und doch zugleich den Ernst der Situation deutlich zu machen, der in der Freude der Wiederbegegnung nicht verlorengehen sollte. Hans musste das Opfer erkennen, das der Vater brachte, das er immer für ihn gebracht hatte. Storm bedachte das Wort und fand es zu gewichtig, zu belastend. Aber deutlich sollte die Freude sein und der Wille, dass er kam, um zu helfen, nicht um Hans zu gängeln, ihn zu beaufsichtigen. Wenn er daran dachte, sie hätten sich vielleicht nicht am Bahnhof verpasst, sondern Hans wäre, trotz brieflicher Ermahnungen, möglicherweise aus Feigheit gar nicht zum Bahnhof gekommen, so verwarf er diese Möglichkeit sogleich, weil sie ihn aufregte. Auch erinnerte ihn Feigheit zu sehr an Kampf und Bewährung. So oft er auch seinem Sohn gedroht hatte, in jähzornigen Ausfällen und mit unerschütterlicher Güte, nie war der Krieg erklärt worden, und es sollte jetzt nicht dazu kommen, nicht von seiner Seite aus.

    Mach keine Vorwürfe, hatte Do noch am Morgen in Schleswig zu ihm gesagt, als sie sich von ihm verabschiedete. Er hatte ihr nachgesehen, der unscheinbaren, feinen Frau, so beschrieb er selber sie gerne, und war dann mit dem Zug in Richtung Hamburg gefahren. Dass sie ihn ein Stück Weges begleitete, hatte ihm die Fahrt erleichtert. Er war sozusagen auf den Weg gebracht worden, kam auch in ihrem Auftrag. Er wunderte sich, welch sonderbare Idee, als ob er Hilfe brauchte bei einer Begegnung mit seinem Sohn, dem guten alten Jungen, und doch hatte er sich, als er eben zur Droschke gebracht worden war und hinter seinem Gepäck herging, gefährdet gefühlt. Auch das Glockengeläut störte ihn. Es versetzte die Luft in ständige Vibration und umfing ihn, einem unsichtbaren Gegner gleich, der durch nichts zu enttarnen war. Als sie das Haus Ludwigstraße 12 erreicht hatten, war ihm gewiss, alles würde so schwierig werden, wie er es erwartet hatte.

    Es ist kalt, sagte der Kutscher und trug die Koffer bis zur Tür, wo das Mädchen sie in Empfang nahm, das den Fremden in den zweiten Stock begleiten sollte. Ein ganz schön frostiger Winter, begann der Kutscher noch einmal, da sein Fahrgast nicht geantwortet hatte, und er betrachtete den Mann vor sich, wohl sechzigjährig, mittelgroß, eher klein, mit dem adretten Mantel, dem langen Schal und dem breitrandigen, sonderbarerweise weißen Hut. Dabei sah er ihn direkt an, eine Haltung, die Storms Zutrauen und Beifall spontan erweckte. So gab es doch ein gutes Omen vor seinem Eintritt in das Haus.

    Drinnen war alles wie gewünscht, bekannt ihm die Chodowiecki-Kupferstiche an den Wänden, auch jene rührende Darstellung von Paul und Virginia mit dem Sklaven. Ein Motiv, das Storm vertraut war durch eine Tapete in der Reventlowschen Wohnung im Husumer Schloss. In jedem Raum standen Pflanzen in den mit Zink verkleideten Vertiefungen der Blumentische, und die Vorhänge vor den Fenstern hingen dicht und üppig herab, berührten mit den unteren Kanten fast den Boden. Die Möbel waren nicht wie bei ihm zu Hause schlichtes Biedermeier, sondern eher gekünstelt, neugotisch, was ihm sonst missfiel. Doch störte es ihn hier nicht, weil alles so bequem arrangiert war.

    Das Mädchen zeigte ihm sein Zimmer und sagte, Frau Professor erwarte ihn in einer halben Stunde zum Nachtessen. Lina Strecker, die Witwe eines Chemieprofessors, hatte Jahre zuvor, als sie mit ihrem Mann noch in Tübingen lebte, den Ruf einer guten Gastgeberin gehabt. Auch jetzt verstand sie, zuzuhören und einzugehen auf jedermann. Dabei lenkte sie das Gespräch unauffällig auf ihre Art, damit es nicht gewöhnlich wurde, sondern immer eine gespannte Geläufigkeit behielt, gerade so als wirke jedes Gespräch mit an der Bedeutung nicht nur des Einzelnen, sondern auch der des Tages, des Ortes, ja, der zivilisierten Welt überhaupt. Sie nahm nur Gäste auf, von deren Anwesenheit sie sich einiges Vergnügen erhoffen konnte oder eine gewisse Anziehungskraft für ihre kleinen Gesellschaften, die sie regelmäßig gab. Einige Gedichte von Storm hatte sie gern gelesen, und obwohl sie Geibels Lyrik mehr schätzte, so fand sie doch etwas Eigenwilliges in den Versen des Holsteiners und würde sich später oft freundlich darüber äußern.

    Entzückt war sie, dass Storm von zarterer Konstitution war, als sie erwartet hatte, und tatsächlich so aussah, als hätte er einen polnischen Vorfahren gehabt, was er stets behauptete und wessen man sich zu der Zeit sowieso gerne rühmte. Geradeso, als wäre sein Vater nicht von einer Mühle gekommen, wo schon die Großväter gewesen waren, oben in der Marsch, im platten Land, wo Nebel sich wie Rauch über alles deckt. In Lina Streckers Vorstellung ging das Marschgrün stumpf in ein bleiernes Meer über, alles flach wie das Ende.

    In seinem Zimmer packte Storm die Koffer aus, breitete seine Sachen aus, nahm so Besitz vom Raum. Auf den Tisch legte er, was er seinem Sohn mitbringen sollte, die Hausschuhe, die seine Schwester Dette gestrickt und woran noch gestern der Schuster das Leder genäht hatte, die Taschentücher und Briefe der anderen Schwestern, dazu Lebertran und Fleischextrakt. Das alles gefiel ihm, und er bestätigte sich selber, dass er recht daran getan hatte, herzufahren, und nahm sich vor, wenig auf Hans einzureden. Es musste möglich sein, dass er nicht immer wieder in den alten Fehler verfiel. So würde er auch nicht erwähnen, dass er erwartet hatte, am Bahnhof abgeholt zu werden. Hans würde schon seine Gründe gehabt haben. Obwohl es dem Vater nicht aus dem Sinn gehen wollte, dass seine Briefe so unaufmerksam gelesen wurden, denn sonst hätte Hans die Ankunftszeit mehrmals unterstrichen lesen können. Wieder mal befand er sich in einem unangenehmen Zwiespalt, der seiner tätigen Natur widersprach, die nach verbindlichen Entscheidungen verlangte. Er wünschte, Hans gefällig zu sein, um von ihm wieder angenommen zu werden, und konnte doch nicht darauf verzichten, ihm gewisse Vorschriften zu machen, damit er in ein Leben kam, wie es für ihn passte und wünschenswert war, und mit dem er sich tätig einfügen konnte in die Familie, dem einzigen Halt. Von dort aus ließ es sich dann leicht in Salons wie jenen der Lina Strecker oder des Professors Rinacker wechseln. Eins griff ins andere und verpasste man den Einstieg, war alles verloren.

    Storm steckte Familienphotos in die Tasche seiner Jacke, von seiner ersten Frau Constanze, die seit zwölf Jahren tot war, von ihren und seinen sieben Kindern, und die einzige Photographie von Do, seiner zweiten Frau, mit ihrer gemeinsamen Tochter. Dann versuchte er, sich auf den Namen der Töchter seiner Gastgeberin zu besinnen, die ihm genannt worden waren, und ging über den langen Flur in den Essraum, dessen Tür man schon halb geöffnet hatte, weil er seit einigen Minuten erwartet wurde.

    Ungefähr zur gleichen Zeit blieb der junge Mann, der schon etliche Male die Straße hin und her gegangen war, gegenüber dem Haus Nummer 12 stehen und sah zu den Fenstern im zweiten Stock hoch, wie angezogen vom Licht, das Wärme und Wohlhabenheit versprach. Doch war es allein die Vorstellung, dass sein Vater nun dort oben war, die ihn hier stehen ließ. Storm hatte sein Kommen angekündigt, und so würde er pünktlich eingetroffen sein, auf ihn war Verlass. Woldsen hätte hinaufgehen können. Lina Strecker hatte ihm gesagt, dass sie auch ihn erwarten würde. Das war eine Freundlichkeit seinem Vater gegenüber, er wusste das. Es wäre ihr recht, hatte sie gesagt, als er am Tag zuvor vorbeigekommen war, um ihr den genauen Ankunftstermin ihres Gastes mitzuteilen, wie ihm sein Vater aufgetragen hatte. Freilich vergeblich, denn Lina Strecker hatte längst Nachricht von Storm bekommen, verbunden mit dem Dank dafür, dass er bei ihr wohnen könne, was ihm die Sorge um die große Ausgabe für ein Hotelzimmer nahm. Es war sicher, dass er längere Zeit bleiben wollte, einzig zu dem Zweck, durch seine ständige Anwesenheit Hans zu zwingen, nun endlich die nötigen Examen zu machen, ihm beizustehen, einem Schutzheiligen gleich, durch die vier letzten Stationen der Prüfungen.

    Natürlich wird

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