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Hellfire and Holy Water - Lazarus' Rache
Hellfire and Holy Water - Lazarus' Rache
Hellfire and Holy Water - Lazarus' Rache
eBook483 Seiten6 Stunden

Hellfire and Holy Water - Lazarus' Rache

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Über dieses E-Book

Noahs vorgetäuschter Tod hat seine Schattenseiten ...

... denn seitdem wird der Halbdämon von Langeweile geplagt - bis er nur knapp ein Attentat überlebt. Zerissen zwischen Schuld und Zorn, bringt ihn die Jagd nach dem Drahzieher an den Ort, an dem sein Leben damals geendet hat - mit Feinden im Nacken und Blut an den Händen.

Man kann vor der Vergangenheit fliehen, aber ihr niemals ganz entkommen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Juli 2023
ISBN9783347970069
Hellfire and Holy Water - Lazarus' Rache
Autor

Jack Sandman

Jack Sandman wurde am 20.11.1991 in Frankfurt am Main geboren und verbrachte sein bisheriges Leben dort. Geschichten bieten ihm eine Leinwand für sein Kopfkino, in dem es sich hauptsächlich um Magie, Monster und alles Okkulte dreht. Sein Herz schlägt besonders für moralisch fragwürdige Antihelden. Je verrückter sie erscheinen, desto tiefer ziehen sie ihn in ihren Bann. Wenn er nicht gerade in Geschichten versinkt, fordert er sich beim Bouldern und bei Hindernisläufen jeglicher Art selbst heraus.

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    Buchvorschau

    Hellfire and Holy Water - Lazarus' Rache - Jack Sandman

    Akt I

    Kein Entkommen

    Das ist eine der unumstößlichen Wahrheiten dieser Welt. Ganz egal, wie sehr du versuchst, dich zu verstecken, zu vergessen oder zu entkommen, früher oder später klopft die Vergangenheit an deine Tür. Und sie kommt sicher nicht, um Spielchen zu spielen.

    1

    Stechender Schmerz schießt durch meine Handfläche, als die Messerklinge ins Fleisch schneidet. Gebannt folge ich dem Blut, wie es über die römische dreizehn auf der Innenseite des Handgelenks fließt.

    Ich bin am Leben. Ich habe überlebt.

    Als die ersten Tropfen auf das Waschbecken treffen, greife ich nach einem Papiertuch und wische alles auf. Bevor ich fertig bin, ist die Wunde verheilt. Nur eine schmale rote Narbe bleibt zurück, und selbst die wird vor Ende der Nacht verschwunden sein. So wie immer.

    Ich werfe einen Blick in den Spiegel. Eisblaue Augen, kurze tiefschwarze Haare und ein paar alte Narben. Die größten unter dem rechten Auge und auf dem Nasenbein. Sexiest Man Alive werde ich nicht mehr, aber es könnte schlimmer sein. Und es hält Idioten davon ab, auf dumme Ideen zu kommen. Zumindest in den meisten Fällen.

    Ich spritze mir zwei Hände Wasser ins Gesicht und atme tief durch. Als mein Blick wieder auf den Spiegel trifft, verschwinden braune Locken am rechten Rand. Ich wirble herum. Nichts.

    Die Musik aus dem Club zerrt mich aus meinem Fiebertraum. Sie ist so laut, dass sie durch die Toilettentür dröhnt. Dann der Gestank von Schweiß, Pisse und Gras. Ich sollte abhauen, bevor er sich mir auf die Zunge legt.

    Warum bin ich noch mal hier? Ah, richtig, eine Liveband spielt, und ich hatte nichts Besseres zu tun. Spaß für normale Menschen. Außerdem sind die Drinks fast geschenkt.

    Ich schaue aufs Handy. In wenigen Minuten geht es los.

    Das Messer verschwindet in der Lederjacke, und ich verlasse die Toilette.

    Der Besitzer des Clubs war wohl der Meinung, dass Neonlichter besser sind als jede Deko. Oder Lampen. Sie sind überall in der alten Fabrikhalle verteilt. Wo keine mehr hinpassten, hat man sich mit Sprühdosen ausgetobt oder Poster hingeklebt. Der Club nennt sich Underground. Für alle, die es vergessen haben, steht es in Leuchtschrift noch mal groß und breit über der Bühne. Bis gestern kannte ich den Laden nicht mal, aber ich war schon an schlimmeren Orten. Starbucks zum Beispiel.

    Der Großteil der Gäste hat sich vor der Bühne versammelt. Die Instrumente stehen bereit, nur von der Band fehlt jede Spur. Wie heißen die noch mal? Irgendwas mit T, glaube ich. Klingt wie der Name eines Cocktails.

    Bis sie anfangen, dröhnt ein Remix von Smells Like Teen Spirit von Nirvana aus den Boxen. Nicht so gut wie das Original, aber mir bluten nicht die Ohren davon.

    Zeit für einen Drink. Ich schlendere zur Bar direkt gegenüber. Trotz der vielen Neonlichter passt sie nicht so recht zum Rest. Hauptsächlich wegen der Theke aus Plexiglas. Oder den Barhockern aus Metall, die im Boden verankert sind. Sie wirkt wie aus einem miesen Videospiel geklaut.

    Livebands haben einen Vorteil: Wenn sie spielen, hat man an der Bar seine Ruhe. Außerdem wird man schneller bedient. Ich suche mir einen Platz an einer der Säulen und lasse meinen Blick schweifen. Die ersten Fans pöbeln und springen wie Affen im Kreis. Die Security scheint das nicht zu interessieren. Sie halten sich lieber im Hintergrund und unterhalten sich. Was wohl passieren müsste, damit zumindest einer von beiden eingreift?

    »Und was darf’s für dich sein?«

    Ein Schauer jagt mir den Rücken hinab. Diese Stimme …

    Ich drehe mich um und blicke einer Bedienung ins Gesicht. Schwarze Haare, Lippenpiercings und ein dunkelblaues Top, das ihre Figur betont. Auf ihren Lippen liegt ein Lächeln, aber ihre Augen erreicht es nicht. Vermutlich hofft sie, dass ich nicht zu den üblichen Freaks und den Bekloppten gehöre. Ich muss sie leider enttäuschen.

    Ich entspanne mich wieder. Sie kann es nicht sein. Niemand entkommt aus der Hölle.

    »Whiskey, ohne Eis.«

    »Klar. Irgendwas Bestimmtes?«

    Ich überfliege die Flaschen hinter der Bar. Von den meisten habe ich nicht mal gehört. »Überrasch mich.«

    Ihre grünen Augen funkeln für einen kurzen Augenblick. »Kommt sofort.«

    Mein Blick folgt dem schwarzen Tuch, das sie sich um die Taille gebunden hat.

    Die Menge fängt an zu jubeln. Ein Typ mit eckiger Brille ist auf die Bühne getreten. Zur Enttäuschung der Leute ist es nur einer der Techniker.

    »Hier. Bin gespannt, wie du ihn findest.« Sie reicht mir ein Glas. Ihr Mund öffnet sich, da springt ihr Blick über meine Schulter. Ihre Augen werden groß. Sie blinzelt ein paarmal, schenkt mir ein Lächeln und verschwindet zum nächsten Gast.

    Bevor ich ihrem Blick folgen kann, stapft ein breiter Typ mit rasiertem Schädel an mir vorbei. Das schlecht gestochene Tattoo an seinem Hals springt mir ins Auge. Ein Adler mit einem Messer in den Krallen. Alles Weitere wird vom Kragen seiner Armyjacke verdeckt.

    »Hey Süße, ein Bier.«

    Sie reagiert nicht.

    »Hörst du schlecht? Ich will ein verdammtes Bier!«

    Ihre Aufmerksamkeit gewinnt er nicht. Dafür aber die der umstehenden Gäste.

    Soll noch mal einer sagen, Gentlemen wären ausgestorben.

    Jubel flutet die Halle. Die fünfköpfige Band kommt winkend auf die Bühne und begrüßt die Fans. Man kann ihnen ansehen, wie sie das Rampenlicht genießen. Der Sänger erzählt was, aber die Worte rauschen an mir vorbei. Mein Blick ist auf die Bedienung geheftet. Armyjacke hat sie mittlerweile hinter der Theke in die Ecke gedrängt.

    »Wenn ich ein Bier will, gibst du mir gefälligst eins.«

    Es geht dich einen Scheiß an. Denk einfach nicht drüber nach. Nicht dein verficktes Problem.

    Ich nehme einen Schluck. Ein angenehmes Brennen breitet sich auf der Zunge aus. Gedankenverloren lasse ich meinen Silberring gegen das Glas klappern.

    Sie will gehen, aber er packt sie am Arm und zieht sie zurück.

    »Du solltest endlich mal lernen, was Respekt bedeutet!«, brüllt er ihr ins Gesicht.

    »Ich glaube, das ist mein Text.« Ich stelle das Glas ab und trete neben ihn.

    Er dreht sich zu mir und mustert mich von Kopf bis Fuß. Seine Pupillen sind stecknadelgroß und blutunterlaufen. Voll auf Drogen. Super. Als sein Hirn endlich begreift, was passiert, packt er mich am Kragen und zieht mich zu sich ran. Er stinkt nach Adrenalin und Schweiß.

    »Und wer verfickt noch mal bist du?«

    »Er ist nur –«, versucht sie zu entschärfen.

    »Halts Maul!«

    Mein Blick springt zur Security. Sie sehen uns zu, aber werden anscheinend nicht gut genug bezahlt, um sich einzumischen.

    Fuck. Ich brauche dringend eine Zigarette. »Das war dein Stichwort, die Cops zu rufen.«

    Die Bedienung reagiert nicht. In ihren Augen stehen weder Angst noch Panik. Ihr Blick ist völlig leer. Das Licht ist an, aber niemand ist zu Hause. Sie umklammert das Tablett vor ihrer Brust. Schätze, das passiert nicht zum ersten Mal.

    Er stößt mich gegen die Theke, zückt ein Klappmesser und drückt es mir unters Kinn. »Am besten ruft sie noch einen Krankenwagen dazu.«

    »Du weißt es nicht, aber was Clevereres hast du sicher noch nie gesagt.«

    Er grinst. Die Messerspitze bohrt sich immer weiter in meine Haut. Ich hebe einen Finger. Verwirrt blickt er mich an.

    Die Band legt endlich los, und Musik dröhnt durch die Boxen. Sein Blick springt zur Seite. Lange genug, dass ich sein Handgelenk greifen und es nach außen drehen kann, bis es knackst. Er starrt auf meine Hand. Etwas passiert, aber sein Hirn kommt nicht schnell genug hinterher. Ich drücke fester zu. Stöhnend lässt er das Messer fallen, und ich stoße ihn weg. Zähnefletschend flucht er vor sich hin. Er holt aus, aber er ist lächerlich langsam. Ich ducke mich weg, packe ihn am Nacken und schmettere seinen Kopf gegen die Theke. Knurrend geht er zu Boden. Ich trete an die Bedienung heran und binde das Tuch um ihre Taille los.

    »Ich leih mir das mal kurz.«

    Sie blickt mir in die Augen und nickt zögernd.

    Sorry, du hast wieder einen Freak erwischt.

    Ich ziehe den Gorilla an einen der Barhocker und binde seine Handgelenke daran fest. Im Augenwinkel bemerke ich drei Securityleute. Sie haben alles gesehen. Sie wissen, was sie tun sollten, aber keiner von ihnen ist scharf darauf, den ersten Schritt zu machen. Ich kann ihre Gedanken förmlich hören. Sie können mich nicht einschätzen. Gefährlich? Gewaltbereit? Okay, das können wir streichen. Es wäre besser, auf Verstärkung zu warten. Was auch immer plausibel klingt. Einer greift nach seinem Funkgerät. Mein Zeichen zu verschwinden.

    Ich richte mich auf und laufe los. Wenn es bei denen klick macht, bin ich besser schon weg. Es würde nur in Fragen enden, die ich nicht beantworten will. Vorbei an der Security kann ich ihre Blicke im Rücken spüren.

    Versteh mich nicht falsch. Ich gehöre nicht zu den Guten. Ich bin nichts weiter als noch ein Arschloch auf dieser scheiß Welt. Ich habe nur mal den Rat bekommen, es nicht an Leuten auslassen, die es nicht verdient haben. Gott sei Dank gibt es Penner wie den. Da kann man getrost etwas Dampf ablassen.

    Draußen zünde ich mir in Ruhe eine Zigarette an. Der erste Zug schmeckt immer am besten. Ich blicke die Straße entlang. Kein Taxi weit und breit. Ich hole mein Handy raus und drücke den Bildschirm an. Sieben verpasste Anrufe. Drei neue Nachrichten. Jedes Mal die Vermieterin. Miete. Fuck, ich wusste, ich hab was vergessen. Bevor ich etwas eintippen kann, stirbt der Akku. Klar. Wieso auch nicht? Seufzend laufe ich los. Irgendwann kommt mir sicher was bekannt vor.

    Für Juni ist es angenehm warm, und in der Luft liegt der Geruch von Regen und nassem Asphalt. Ich liebe solche Nächte. Fehlt nur noch der klare Sternenhimmel. Laut der Uhr in einem der Schaufenster ist es kurz vor zwölf. Leere Straßen in einer Freitagnacht ist ein seltsamer Anblick. In einer Großstadt würde das Leben jetzt erst losgehen, aber in Fairfield ticken die Uhren wohl anders.

    Hinter der nächsten Häuserecke erwartet mich das erste Lebenszeichen der Stadt. Ein Donut-Shop mit einem »24 Stunden geöffnet«-Leuchtschild. Beim bloßen Anblick des riesigen Donuts auf dem Dach läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

    Ich mache einen Schritt vorwärts, da heulen Sirenen los, und Blaulicht springt an. Instinktiv gehe ich hinter einem Müllcontainer in Deckung. Sekunden später rast ein Polizeiwagen mit quietschenden Reifen vom Parkplatz und verschwindet an der nächsten Kreuzung. Ich warte noch, bis sich der Lärm weit genug entfernt hat. Dann komme ich aus meinem Versteck. Ich bin schon an guten Tagen kein Fan der Polizei. Für sie existiere ich nicht, und ich will, dass es so bleibt.

    Da anscheinend niemand mitten in der Nacht mit einem Kundenansturm rechnet, hält nur ein Mitarbeiter die Stellung. Er ist jung, hat blondbraune Locken und langweilt sich zu Tode. Ich tippe auf Student. Gedankenverloren starrt er auf einen kleinen Fernseher an der Decke. Es läuft Twilight. Ein Schüler verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug und rutscht auf Bella, eine buchstäblich vollkommen farblose Schülerin, zu. Ihr Vampirfreund Edward rettet sie in letzter Sekunde, indem er den Van mit bloßen Händen aufhält. Der Student ist so darauf fixiert, dass er mich nicht mal bemerkt. Erst als ich den Tresen erreiche, schenkt er mir seine Aufmerksamkeit. Na ja. Zumindest einen Teil davon.

    Sein Blick wandert an mir auf und ab und bleibt schlussendlich an meinen Narben kleben. Ich kann erkennen, wie er versucht, mich einzuordnen. Kiffer mit Heißhunger oder Partygänger? Bin ich harmlos oder will ich Streit? Wie hoch stehen die Chancen, dass ich eine Knarre auf den Tresen lege? Sein Blick springt zur Seite. Checkt, ob sonst noch jemand hier ist. Er streicht über seine Uniform und lässt dabei eine Hand unter den Tresen wandern.

    »Willkommen bei Big-O-Donuts. Was kann ich Ihnen bringen?« Er klingt in etwa so emotional wie Kristen Steward.

    Ein Flüstern in meinem Hinterkopf will, dass ich es drauf ankommen lasse. Hätte er die Eier, eine Waffe zu ziehen? Würde er abdrücken? Ich schiebe die Gedanken beiseite und werfe einen Blick auf die Karte.

    »Hast du noch welche mit Marmelade da?«

    »Die brauchen noch etwa zwanzig Minuten.«

    »Verstehe. Welche sind denn die Frischsten?«

    Er überlegt. »Ich glaube die Klassiker. Sind halt ohne Füllung.«

    »Gib mir vier. Und ein Wasser. Mit Sprudel.«

    Er zögert. Verlagert sein Gewicht auf sein hinteres Bein. Sein Blick springt zur Kasse und wieder zurück zu mir.

    Ich sehe ihn mit erhobenen Augenbrauen an. Langsam greift er in einen der Schränke unter dem Tresen und holt eine Flasche hervor. Während er die Donuts einpackt, nehme ich das Wasser und trinke es in einem Zug. Die Kälte breitet sich erst in meiner Brust und dann im Magen aus.

    Der Student starrt mich wieder an. Fragt sich, ob er sich doch geirrt hat. Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Was darauf folgt, ist oft schlecht für die Gesundheit. Woher ich das alles weiß? Die Antwort würde mehr Fragen aufwerfen, als sie beantwortet. Ich bezahle und verlasse den Laden, bevor es in seinem Kopf anfängt zu qualmen. Mit vollem Magen ist der Abend wenigstens nicht mehr ganz für den Arsch.

    Wie lange laufe ich jetzt schon? Fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Eine Stunde? Könnten auch nur zehn Minuten sein. Fuck, mein Zeitgefühl ist völlig im Arsch.

    In einer Ladenfront suche ich nach einer Uhr. Mein Blick bleibt an meinem Spiegelbild hängen. Egal, wie oft ich es mir ansehe, ich kann mich nicht dran gewöhnen. Es ist, als starre ich einem Wildfremden ins Gesicht.

    Ich hole den letzten Donut aus der Tüte, beiße rein und schließe die Augen. Wieso denke ich immer wieder über dasselbe nach? Egal, wie oft ich mir das Hirn zermarter, ich komme stets an denselben Punkt. Als würde ich in einem Labyrinth jedes Mal in dieselbe Sackgasse laufen. Das Bild einer brennenden Villa blitzt auf. Als ich die Augen öffne, ist es verschwunden. Der Geschmack von Asche auf der Zunge bleibt.

    Mein Spiegelbild verschwimmt. Ich reibe mir die Augen, aber es hört nicht auf. Kurz darauf erscheint die dunkle Silhouette einer anderen Person auf dem Glas.

    »Wo zum Teufel bist du?«, fragt die verzerrte Frauenstimme.

    Mein erster Impuls ist so zu tun, als würde ich nichts sehen. Auch wenn das bisher nie funktioniert hat.

    Ich blicke die Straße auf und ab. »Melissa. Schön dich zu … Wie auch immer. Kannst du nicht einfach anrufen wie normale Menschen?«

    »Würdest du denn rangehen?«

    »Keine Ahnung. Vielleicht. Käme drauf an, was du willst.«

    Sie seufzt. Extra laut, damit ich es auch hören kann. »Du musst etwas für mich erledigen.«

    Ich beiße in den Donut und kaue ein paarmal. »Und was springt für mich dabei raus?«

    »Du meinst abgesehen davon, dass ich dein Geheimnis für mich behalte?«

    »Ist das nicht Erpressung?«

    »Mein Laden. Morgen Mittag.« Die Silhouette verschwindet. Bleiben nur noch mein Spiegelbild und ich.

    »Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wie ich nach Hause komme.«

    2

    Von dem großen Fenster meines Wohnzimmers aus habe ich freien Blick auf eine der Hauptstraßen der Stadt. Gebannt beobachte ich den Verkehr. Weniger die Lichter oder Menschen. Mehr die tanzenden Schatten auf den Wänden und dem Asphalt. Keine Ahnung warum, aber der Anblick fasziniert mich. Vielleicht, weil ich weiß, was in den Schatten lauert. Oder nur, weil ich die Menschen wegen ihrer Blindheit bewundere.

    »Wird das nicht irgendwann langweilig?«

    Beim Klang der Stimme setzt mein Herz für einen Augenblick aus.

    Ich drehe mich um und sehe Alex auf meiner Couch liegen, wie sie eine ihrer braunen Locken um den Finger wickelt. Sie trägt mein altes AC/DC-Shirt aus dem Secondhandladen und blaue Jeans. Ihre grünen Augen sind auf mich gerichtet. Etwas Lauerndes liegt in ihrem Blick.

    »Nicht wirklich«, sage ich und gehe in die Küche. Als ich mit einer Flasche Whiskey zurückkomme, ist sie verschwunden. Genauso wie der Rest meiner Wohnung. Stattdessen stehe ich in einer Bibliothek mit zwei Stockwerken an Büchern, knisterndem Kamin und einer Wendeltreppe aus schwarzem Eisen. Vor Jahren habe ich hier genug Zeit verbracht, um mich blind bewegen zu können. Hier fühlte ich mich zu Hause, aber das war in einem anderen Leben.

    »Sei nicht so eine Spaßbremse, Noah.« Alex läuft von hinten an mir vorbei und schnappt sich in einer Drehung die Flasche. »Verrate mir wenigstens, wie lange du noch an deinem neuen Leben festhalten willst. Wenn man es überhaupt Leben nennen will.«

    »Jetzt ist es schon so weit, dass mir die Toten was übers Leben erzählen wollen.« Ich folge ihr zu zwei Sesseln am Kamin. »Ich halte an gar nichts fest. Mein altes Leben hätte mich früher oder später umgebracht, also habe ich von vorne angefangen. Ich heiße jetzt übrigens Jake.«

    Sie blickt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Jake?« Sie lacht. »Aus welchem Film hast du den denn geklaut? Und hast du deswegen deine Haare so verunstaltet?«

    Sie schenkt zwei Gläser ein, reicht mir eins und nippt an ihrem. »Ich mag deinen Namen. Jake passt nicht zu dir.« Sie blickt starr in den Kamin und ich in ihre Augen, in denen sich die tanzenden Flammen spiegeln.

    »Da ich nicht gefunden werden will, passt er umso besser: neues Leben, neuer Name.«

    »Scheint ja nicht so gut zu klappen. Sonst würdest du nicht schon wieder von mir träumen, oder? Das wievielte Mal ist das jetzt?«

    Ich nehme einen Schluck und lehne mich zurück. Egal, was ich antworte, es würde keine Rolle spielen. »Hast du wo auch immer nichts Besseres zu tun, als mir auf die Nerven zu gehen?«

    »Du meinst in der Hölle? Treibst du denn was Sinnvolles in deiner eigenen?«

    Ein brennender Schmerz bohrt sich in meine Brust. Ich kippe das Glas in einem Zug runter und stehe auf. »Was auch immer.«

    »Du haust schon ab? Pass auf, sonst wird das noch zur Angewohnheit.«

    »Was soll das bitte heißen?«

    »Dass du auf der Flucht bist. Als ob du all den Schmerz und das Blut einfach so hinter dir lassen könntest. Aber das kannst du nicht. Manche Dinge können nicht vergessen werden. Sie werden schlichtweg ein Teil von dir.«

    Ich blinzle, und sie steht direkt vor mir. Nah genug, dass ich die hellen Flecken in ihren Augen erkennen kann. In ihnen liegt eine Kälte, die mir einen Schauer durch den ganzen Körper jagt.

    »Du hast alle sterben sehen, die dir was bedeutet haben, aber wir beide wissen, dass das nicht dein wahres Problem ist, nicht?« Ihre Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Sie blickt nach unten. Ich folge ihr und sehe meine blutverschmierte Hand einen Dolch halten, der sich bis zum Griff in ihren Bauch gebohrt hat. »Dein Problem ist, dass du als Einziger überlebt hast.«

    Keuchend schrecke ich aus dem Bett hoch und greife nach dem Messer, das ich hinter dem Kopfteil versteckt habe. Mein Schädel dröhnt wie ein Nebelhorn. Ich blicke mich im Schlafzimmer um. Sie ist nirgends zu sehen. Ich bin wach. Allein. Schon wieder ein verdammter Albtraum. Blind taste ich nach meinem Handy. Halb fünf morgens. Das Shirt ist komplett durchgeschwitzt und klebt unangenehm an meiner Haut. Ich torkle ins Bad und spritze mir Wasser ins Gesicht. Schmerz bohrt sich wie ein Sargnagel durch mein Auge ins Hirn.

    Mein Blick fällt auf das Messer. Ich setze es an das rechtes Handgelenk und schneide langsam ins Fleisch. Ich schließe die Augen. Kaltes Brennen zieht den Arm hoch bis in die Brust und betäubt dabei alles andere. Ich weiß, wie abgefuckt das ist, aber der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Als ich sie wieder öffne, starre ich meinem Spiegelbild ins Gesicht. Eisblaue Augen verfolgen jede Bewegung. Es grinst. Ich beobachte, wie sich das Eisblau in Rot verwandelt. Reflexhaft schlage ich zu. Ein kurzes, lautes Knirschen. Zurück bleibt nur Stille.

    »Nur ein Traum. Nur ein verfickter Traum«, sage ich heiser. Dann springe ich unter die Dusche, um das Blut und den Rest der Nacht von meinem Körper zu waschen.

    Hast du schon mal einen Ort besucht und gespürt, dass etwas nicht stimmt? Dass etwas anders ist? Als ob dort andere Regeln gelten würden? Glückwunsch! Du hast einen Schritt in die Unterwelt gesetzt. Genau genommen nennt es sich Verytas, eine Gesellschaft von Eingeweihten, die die Wahrheit kennen. Darunter zählt jeder, der darüber Bescheid weiß. Normale Menschen, Freaks, Monster. Nenn es, wie du willst. Es ist die Schattenseite unserer Welt, die nicht alle sehen können. Na ja. Sie sehen aber erkennen sie nicht. Nicht mal, wenn sie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit daran vorbeikommen. Rationale Erklärungen sind einfacher. So viel Bequemer.

    Melissas Laden ist solch ein Ort. Normale Menschen sehen nur die abgeplatzte Fassade, das staubige Schaufenster oder die miesen Graffitis. Der Schriftzug »Melissa’s« rettet da nichts. Doch hinter dem Ganzen lauert eine Frau mit einem Ego, so groß wie Russland und einer Kundenliste, auf der sicher Dagobert Duck steht. Ein Geheimtipp für Leute mit viel Geld, noch mehr Langeweile und einem Hauch Ahnung von Magie und dem Drumherum. Für den Rest ist es nur ein weiterer Antiquitätenladen. Manchmal ist das beste Versteck das, das alle sehen können.

    Es ist kurz nach acht, als ich aus dem Taxi steige. Der Himmel hängt voller grauer Wolken, und ein kühler Wind zieht durch die Straßen. Würde es nicht nach heißem Abfall riechen, wäre es ein schöner Tag.

    Als ich Melissas Laden betreten will, öffnet sich die Eingangstür, und ein Mann in einem teuer aussehenden grauen Anzug kommt mir entgegen. Er erstarrt, als er mich bemerkt. Mit anderen Kunden hat er anscheinend nicht gerechnet. Sein rechter Arm schiebt sich vorsichtig nach hinten. Vermutlich, damit ich die Holzschatulle nicht sehen kann.

    Keine Ahnung, was es ist, aber ich kann die Magie spüren, die davon ausgeht. Dunkel und kalt. Stark genug, dass ich Gänsehaut bekomme. Ich mache einen Schritt zu Seite.

    Die Gelegenheit lässt er sich nicht entgehen und sucht das Weite. Ich blicke ihm noch mal hinterher, während ich mir eine Zigarette anzünde. Dann trete ich ein.

    Drinnen tanzt der Staub im grellen Morgenlicht zwischen den Regalen und Schränken. Gefälschte Artefakte und billige Raritäten, wohin man auch sieht. Der erdige Geruch von Räucherstäbchen hängt in der Luft. Die Zigarette ist eine Präventivmaßnahme. Das letzte Mal konnte ich den Gestank förmlich schmecken. Den ganzen Tag lang.

    Egal, wie oft ich hier bin, es fühlt sich jedes Mal befremdlich an. Wie ein Déjà-vu von etwas, das man nur geträumt hat. Eindeutig kein Ort, an dem ich länger bleiben möchte. Oder überhaupt sein will.

    Melissa ist ein Wolf im Schafspelz. Buchstäblich. Ihre zierliche Gestalt und Größe laden dazu ein, sie zu unterschätzen. Ein Fehler, den man nur einmal macht. Mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen mag sie unschuldig wirken, aber davon darf man sich nicht beirren lassen. Sie ist clever und überaus skrupellos. Die Art von Person, bei der man kein Wort glauben sollte.

    Während ich durch die Gänge schlendere, lehnt sie am Tresen und zählt einen Briefumschlag voller Geld. Auf ihren Lippen liegt ein Lächeln, das auf den ersten Blick beinahe echt wirkt.

    »Weiß dein Kunde, was er da gekauft hat?«

    Sie stoppt mitten in der Bewegung. Ihr Blick springt durch den Laden, während sie das Geld zurück in den Umschlag und dann in ihrem Sommerkleid verschwinden lässt. »Er wird es früh genug herausfinden. Spätestens wenn er die Spieluhr seiner Frau schenkt und diese sie aufzieht.«

    »Lass mich raten. Was auch immer passieren wird, nur du wirst ihm helfen können.« Ich trete zwischen den Regalen vor.

    Ihre Schultern entspannen sich, aber ihr Herzschlag nicht. »Als einzige Magierin in Fairfield bin ich gerne behilflich.«

    »Für einen entsprechenden Preis, nehme ich mal an.« Ich lehne mich an den Tresen und blase einen Rauchring in die Luft.

    »Glaubst du wirklich, dass du der Richtige bist, um mit mir über Moral und Anstand zu diskutieren?« Sie macht eine kurze Handbewegung, und meine Zigarette erlischt. Ihr Blick wandert an mir auf und ab. »Du sahst auch schon mal besser aus.«

    Ich drücke den Stummel neben den Räucherstäbchen aus. »Spar dir das für deine Kunden. Verrate mir lieber, wieso du mich am frühen Morgen herzitierst.«

    Melissa verschwindet hinter einem schweren schwarzen Vorhang. Kurz darauf taucht sie mit einem Päckchen wieder auf. Als sie es auf den Tresen legt, kann ich leise Glas klirren hören.

    »Das muss so schnell wie möglich zu einem Kunden.« Sie reicht mir einen Zettel. »Das ist die Adresse.«

    Ich blicke auf das Stück Papier, dann in ihre Augen. »Seh ich vielleicht aus wie ein Lieferjunge?«

    »Kommt drauf an. Zwängst du dich in eine kleine Uniform, wenn ich eine finde?«

    »Verschwende die Zeit von jemand anderem.« Ich gehe Richtung Tür.

    »Es sind Albträume, stimmts?«, ruft sie mir nach.

    Ich stocke. »Und wenn?«

    »Nach allem, was du getan hast, ist es kein Wunder, dass es dich in deinen Träumen verfolgt. Ich habe letztens etwas gelesen, da musste ich an dich denken. ›Wir erschaffen unsere eigenen Dämonen.‹ Das gilt auch für Halbdämonen wie dich.«

    Melissa hat garantiert die Gerüchte über mich gehört. Zusammen mit dem, was sie in meinem Kopf gesehen hat, glaubt sie, die ganze Geschichte zu kennen. Wie ich das hasse.

    »Komm zum Punkt.«

    Ich höre, wie sie hinter dem Tresen hervorkommt.

    »Was würde wohl passieren, wenn durchsickert, dass du dich hier versteckst? Ich bezweifle, dass du dann viel Schlaf findest. Und wer nicht schläft, kann keine Albträume haben, oder?«

    Innerhalb eines Herzschlags habe ich mich umgedreht und stehe vor ihr. Melissa drückt sich mit dem Rücken gegen den Tresen, während sie meinem Blick standhält. Ihre Miene ist eisern. Bei ihren sonstigen Kunden wirkt das mit Sicherheit. Die können aber nicht ihren Puls hören. Und jetzt gerade rast er.

    »Tu, was du nicht lassen kannst. Aber ich verspreche dir, dass ich die Stadt nicht verlassen werde, ohne mich noch mal von dir zu … verabschieden

    Gespannt beobachte ich das Beben in ihrem Körper.

    Wenn man die Leute daran erinnern muss, mit wem sie es zu tun haben, ist die Vorstellungskraft die beste Waffe. Gebrochene Knochen sind zu real, zu simpel. Aber dank der Gerüchte über mich läuft ihr Kopfkino auf vollen Touren, und die Vorstellung ist ausverkauft.

    »Wie wäre es mit einem Deal?« Langsam zieht sie ein dickes Buch aus dem Schrank zu ihrer Linken. Auf dem Ledereinband ist ein alter Baum eingearbeitet. »Du lieferst das Paket aus, und ich bringe das Chaos in deinem Schädel in Ordnung. Der Zauber braucht ohnehin eine gewisse Vorbereitung.«

    »Magie wirkt bei mir nicht.«

    »Ich weiß, aber ich rede hier nicht von irgendeinem New-Age-Möchtegernzauber. Ich rede von Magie aus der alten Welt. So etwas hast du noch nicht gesehen.«

    Ich atme tief durch. Dann trete ich einen Schritt zurück. »Was und wohin?«

    »Verschiedene Kräutermischungen. Wenn man sie verbrennt oder in ein Getränk mischt, erlaubt es einem, in sein Unterbewusstsein abzutauchen. Manche haben auch nur den Trip ihres Lebens. Kommt ganz auf die Person an. Die Besitzerin des Dreamcatchers hat sie bei mir bestellt.«

    »Es sind schon Magier für weniger auf dem Scheiterhaufen gelandet.«

    »Der Unterschied ist, dass die sich haben erwischen lassen und ich nicht. Sie sind also selbst schuld.«

    Das haben die sicher auch gedacht.

    »Das Dreamcatcher. Das ist ein ganzes Stück. Wie soll ich da hinkommen? Ich kann damit schlecht in ein Taxi steigen.«

    »Ich bin sicher, dass jemandem mit deinen Fähigkeiten schon etwas einfällt.« Sie schenkt mir ein eisiges Lächeln. Ein eindeutiges Zeichen, dass für sie das Gespräch beendet ist.

    Ein Flüstern in meinem Hinterkopf rät mir, sie zu erwürgen und wieder ins Bett zu kriechen. Ich schiebe es dahin zurück, wo es hergekommen ist. Zumindest fürs Erste.

    Mit dem Päckchen unter dem Arm wandere ich die Straße runter, auf der Suche nach einer Möglichkeit, den Job schnell hinter mich zu bringen. Es ist inzwischen kurz vor zehn, und die halbe Stadt ist auf den Beinen, was es nicht gerade einfacher macht. Zwei Querstraßen weiter werden meine Gebete endlich erhört – in Form einer dunkelblauen Mercedes S-Klasse. Nicht mein Stil, aber in der Not frisst der Teufel fliegen, nicht? Außerdem sind solche Karren immer gut versichert.

    Magie macht das Leben nicht unbedingt einfacher. Sie eröffnet nur mehr Möglichkeiten, entweder seine Ziele zu erreichen oder sich selbst in die Luft zu jagen. Obwohl Dämonenblut durch meine Adern fließt, sind Magie und ich keine Freunde. Ganz im Gegenteil. Ich kann sie spüren. Das war’s auch schon.

    Jemand wie ich braucht ein Ass im Ärmel. In meinem Fall habe ich das buchstäblich. In meinem rechten Unterarm liegt der sogenannte Skelettschlüssel. Ein aus Knochen gefertigtes Artefakt. Niemand weiß, wer ihn gemacht hat oder woher er stammt. Ich bin nicht mal sicher, ob ich ihn oder er mich gefunden hat. Wichtig ist nur, dass er bisher jedes Schloss öffnen konnte. Es braucht nur genug Konzentration. Als er mit mir verschmolz, hinterließ er ein Mal, das aussieht wie das Tattoo eines knochigen Schlüssels mit einem Schädel als Kopf. Ein Preis, mit dem ich leben kann.

    Ohne den Skelettschlüssel müsste ich einen Wagen aufbrechen und kurzschließen. In Filmen dauert das keine fünf Minuten. Im echten Leben sieht das anders aus. Dank des Schlüssels laufe ich zu dem Wagen und kann die Tür öffnen, als würde er mir gehören. Dem Geruch nach muss er recht neu sein. Dasselbe funktioniert mit dem Motor. Als ich meine Hand an die Zündung halte, springt er an und schnurrt vor sich hin. Gott sei Dank bin ich offiziell tot. Sonst müsste ich mir Gedanken um Fingerabdrücke oder DNA machen.

    Ich lege das Paket auf den Beifahrersitz und zünde eine Zigarette an. Das vertreibt den ekelhaften Neuwagengestank. Mein Blick wandert dabei von Spiegel zu Spiegel. Keiner rennt auf mich zu. Niemand schreit. Jeder kümmert sich um seinen Scheiß. Ich lege den Gang ein und trete aufs Gas. Man sollte sein Glück nicht überstrapazieren.

    Das Dreamcatcher ist die Art Laden, in dem du nicht gefunden werden willst. Ganz egal, von wem. Die einen kommen her, um sich für eine Weile die Lichter auszupusten. Die anderen, um Geschäfte abzuwickeln oder Leute zum Reden zu bringen. Egal, was du brauchst. Hier findest du die Lösung für dein kleines Problem. Freundlich ausgedrückt, liegt der Schuppen in einer Grauzone. Ja, selbst Verytas hat Regeln und Gesetze, und da versteht man keinen Spaß. Kennst du die X-Men-Filme mit Patrick Stewart? Dann kannst du dir ja denken, wieso man das Rampenlicht meidet. Die Regeln halten uns nicht nur verborgen, sondern auch am Leben.

    Ich parke den Mercedes in einer Seitengasse neben ein paar Müllcontainern und steige aus. Es fühlt sich an, als hätte ich eine komplett andere Welt betreten. Die Häuserschlucht wirft tiefe Schatten in die Gasse und den Innenhof, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Ich drehe mich in Richtung Straße. Das Leben findet statt, aber zu hören ist so gut wie nichts davon. Ich schließe die Augen und versuche, mich zu konzentrieren. Einen kurzen Augenblick später kann ich es spüren. Schwach, verdeckt, aber es ist da.

    Kennst du dieses miese Gefühl, das dir rät, so schnell wie möglich das Weite zu suchen? In vielen Fällen handelt es sich dabei um Schutzzauber. Meist sollen sie ungewollte Besucher fernhalten. Warum? Weil normale Menschen die Angewohnheit haben, Leute wie mich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Oder es zumindest zu versuchen.

    Zu meiner Überraschung bin ich nicht allein. Am anderen Ende der Gasse stehen zwei Gestalten, die aussehen, als wären sie aus einem Spionagekrimi entkommen. Dunkle Kleidung, steife Haltung und so unauffällig wie ein Riesenrad. Fehlt nur ein Schriftzug auf dem Rücken. Der Lange von beiden wirft immer wieder einen Blick auf sein Handy. Sein Partner, dicklich und blond, hat die Hände vor der Brust verschränkt und nickt eifrig. Sie warten auf etwas. Oder jemanden.

    Ich zwinge meine Gedanken in eine andere Richtung, schnappe mir das Paket vom Beifahrersitz und betrete den Innenhof. An der Treppe zum Keller stoppe ich noch mal. Einem Gefühl folgend werfe ich einen Blick über die Schulter und sehe ein Gesicht hinter der Häuserecke verschwinden.

    Nicht drüber nachdenken. Nicht dein Problem.

    Die Kellertür ist aus schwerem Eisen und robust genug, einen Stier aufzuhalten. Ich klopfe zweimal, warte kurz und klopfe erneut. So, wie es auf Melissas Zettel gestanden hat. Erst passiert nichts.

    Dann höre ich Stimmen, Schritte. Sie werden lauter und verstummen wieder. Einen Moment später öffnet sich die Tür einen Spalt weit, und ein Mann mit dunkelbrauner Haut und Dreadlocks mustert mich skeptisch. »Wir haben geschlossen«, raunt er, als er fertig ist.

    Er will die Tür schließen, aber ich bin schneller und halte dagegen. Überrascht sieht er mich an, dann drückt er mit aller Kraft. Bewegen tut sich die Tür trotzdem nicht.

    Ich rolle mit den Augen und halte ihm das Paket vors Gesicht. »Melissa schickt mich.«

    Eine Frauenstimme ruft etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Spanisch, wenn ich mich nicht irre.

    Dreadlocks dreht sich zu ihr um, aber dem Tonfall nach war das keine Bitte. Widerwillig tritt er zur Seite und lässt mich rein. Er wirft einen hastigen Blick die Treppen hoch, dann verriegelt er die Tür wieder.

    Der Laden macht seinem Namen alle Ehre. An der Decke hängen an Drähten unzählige Traumfänger in jeder nur denkbaren Variation. Ich zähle sechs weitere Zimmer, abgetrennt durch dünne Vorhänge, an denen Magie klebt. Die Wände haben ein flaschengrün, was farblich gut zum hellen Holz der Stühle und Tische passt. Und zur Theke, an der eine Frau mit wilden schwarzen Haaren lehnt. Ihre Haut hat die Farbe von Bronze, was das Weiß ihres verdammt kurzen Tops strahlen lässt. Ihrer Körperhaltung nach ist sie die

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