Witwenmord auf Langeoog. Ostfrieslandkrimi
Von Julia Brunjes und Freya Joken
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Über dieses E-Book
„Sieglinde hat sich doch mit ihrem ganzen Geld die Schnösel regelrecht erkauft! Und die jungen Männer sind ihr alle in die Falle getappt!“ Nun aber liegt die wohlhabende Witwe Sieglinde van Wieren ermordet an dem Langeooger Strandabschnitt, der von Eingeweihten nur »Witwenstrand« genannt wird. Unter Verdacht stehen jedoch nicht nur Sieglindes Konkurrentinnen, auch ihr Sohn scheint ein handfestes Motiv zu haben. Wollte er im letzten Moment verhindern, dass seine Mutter das Testament zugunsten ihres jungen Liebhabers ändert? Die Inselkommissare Fenja Bruns und Jonte Visser gehen in diesem rätselhaften Fall einer Vielzahl an Spuren nach. Wo ist das Smartphone des Mordopfers? Was befand sich im offenen und entleerten Wandsafe in Sieglindes Haus? Außerdem stellt sich die Frage, was eine vermeintliche Wundercreme mit dem Ganzen zu tun haben könnte...
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Buchvorschau
Witwenmord auf Langeoog. Ostfrieslandkrimi - Julia Brunjes
Kapitel 1
Fenja Bruns stand vor dem kleinen Spiegel, der sich im minimalistischen Bad der Polizeiwache befand. Da es nur durch ein klitzekleines Fenster mit Tageslicht versorgt wurde, konnte Fenja ihre Hautstruktur nicht wirklich gut erkennen. Sie zog Grimassen und weitete ihre Augen. Halt, da waren doch ein paar Fältchen zu sehen, oder?
»Kann ich dir vielleicht irgendwie behilflich sein?«, erklang die freundliche Stimme von Jonte Visser hinter ihr.
Fenja fuhr erschrocken zusammen und ließ beinahe das weiße Tiegelchen fallen, das sich in ihrer linken Hand befand. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Sie räusperte sich und wirkte für einen kurzen Moment leicht verlegen. »Moin Jonte!«
Ihr Kollege trat näher und betrachtete Fenja amüsiert. »Stimmt etwas mit deinem Gesicht nicht?«
Fenja gab einen verzweifelten Seufzer von sich und schloss die Badtür hinter sich. »Ach … deine Schwägerin hat mir eine Probe von einer neuen Antifaltencreme gegeben.« Sie stellte demonstrativ das Tiegelchen auf ihrem Schreibtisch ab.
Jonte stutzte und fragte: »Seit wann interessiert sich Lisa für Kosmetik?«
Seine Schwägerin war eher der natürliche Typ und hatte mit Schminke und dem ganzen Schönheitswahn nicht viel am Hut. Deshalb wunderte es ihn, was Fenja ihm da gerade erzählt hatte.
»Lisa hat wohl einige Proben von der wohlhabenden Inselwitwe Sieglinde erhalten. – Die schwört auf diese Produkte.« Fenja betrachtete das weiße Döschen. »Und wenn ich ehrlich bin: Die alte Dame sieht mit ihren siebzig Jahren noch sehr glatt im Gesicht aus.« Sie kannte die Frau nicht persönlich, nur vom Ansehen her, da Lisa ihr sie einmal gezeigt hatte.
»Und du bist erst Anfang dreißig, meine Liebe. Deine Haut sieht frisch und jung aus.«
Fenja tätschelte sanft ihre Wangen. »Das habe ich dem Yoga zu verdanken. Wie heißt es doch so schön: Schönheit kommt von innen.«
Jonte nickte und stimmte ihr somit zu. »Also? Wofür brauchst du dann diese Cremes? Meistens sind echt gruselige Inhaltsstoffe darin enthalten.« Er lachte und fuhr fort: »An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD.«
»Mann – beziehungsweise Frau – kann nicht früh genug mit der Antifaltenbekämpfung beginnen.« Fenja schnappte sich ihren Fahrradhelm und steckte das Handy in die Jackeninnentasche. »So, dann wollen wir uns mal wieder unter das sonnenhungrige Volk mischen.«
Die beiden verließen die Wache und traten ins Freie.
Jonte setzte seine verspiegelte Sonnenbrille auf und fügte mit erhobenem Zeigefinger hinzu: »Hilft übrigens auch gegen Falten.«
»Du siehst wie ein Insel-Macho aus!«, neckte Fenja ihren Kollegen. Und irgendwie stimmte es auch. Jonte war ein großer, athletischer, gutaussehender Mann – und wenn er dann noch diese schicke blaue Uniform trug, wurde er von vielen Urlauberinnen angeschmachtet.
Jonte verbesserte seine Kollegin: »Ich bevorzuge eher die Bezeichnung Sonnyboy.«
Fenja schloss ihr Rad auf und rollte mit den Augen. »Dann eben wie ein Sonnyboy. Nun komm!«
Jonte schwang sich auf sein Rad und grinste. »Damit kann ich doch tatsächlich leben.«
Die beiden radelten los, in Richtung Stadtkern. Hier tobte stets der Bär. Die Touristen flanierten mit Begeisterung durch die Straßen und suchten die vielen kleinen Lädchen auf, in denen es alles Mögliche käuflich zu erwerben gab. Unzählige Souvenir-Shops lockten mit ihren kitschigen und bunten Mitbringseln die Kunden ins Innere. Cafés und Eisdielen luden zum Verweilen ein, und Fischbrötchenduft ließ einen schon um zehn Uhr den nächsten Hunger verspüren.
Apropos Hunger: Fenja brauchte etwas für den kleinen Hunger zwischendurch und schlug mit ihrem Kollegen den Weg zum Inselsupermarkt ein.
Feinkost Eberhart war in der Hauptstraße zu finden. Der Supermarkt versorgte Insulaner und Touristen mit allem, was das Herz begehrte.
»Brauchst du auch was?«, fragte Fenja und stieg vom Rad.
»Ja, eine Flasche stilles Wasser, bitte.«
Im Supermarkt herrschte reges Treiben, denn vor zwei Stunden war eine Fähre angekommen, und nachdem die Gäste ihre Ferienwohnungen bezogen hatten, wurde meistens der Supermarkt aufgesucht. Zu einer tollen Ferienwohnung gehörte ein voller Kühlschrank. Seeluft machte hungrig.
Fenja schlenderte durch die Gänge, auf der Suche nach dem von Jonte gewünschtem Wasser, und sie wollte sich einige Müsliriegel kaufen. Nachdem sie das Wasser gefunden hatte, blieb sie vor dem Regal, in dem es die Riegel gab, stehen. Hm? Auf was hatte sie denn heute mal Appetit? Sie mochte alle Geschmacksrichtungen sehr gern. Zu gern.
Ihre Aufmerksamkeit wurde durch eine aufgebrachte Frauenstimme abgelenkt. Ihr Blick ging in die Richtung und sie entdeckte eine ältere, sehr modern angezogene Dame, die sich mit einem der Angestellten unterhielt. »Aber ich kann dir auch Geld bieten, Peter …«, schallte es zu Fenja herüber.
Der junge Mann schien etwas verlegen zu wirken. »Darum geht es doch gar nicht, Frau Poltmann.«
»Ach? Aber das Geld von Sieglinde nimmst du, ja?«, erboste sich die Frau.
Der Angestellte sah, dass Fenja die beiden im Visier hatte, und lächelte entschuldigend in ihre Richtung. »Frau Poltmann, die Angebote sind im nächsten Gang!«
Frau Poltmann wollte wohl gerade was erwidern, als sie ebenfalls die Polizistin entdeckte und eine Grimasse zog. »Ach, ich Dummerchen … zeigen Sie mir, wo ich hinmuss?«
Und dann verschwanden die beiden im nächsten Gang.
Fenja zuckte mit den Schultern, entschied sich für einen Erdbeer-Mandel- und einen Vanille-Mango-Riegel.
Auf dem Weg zur Kasse ließ sie ihren Blick durch die Gänge schweifen, doch die beiden Herrschaften waren nicht mehr zu sehen.
»Warum hat das so lange gedauert? Ich verdurste schon!« Jonte streckte den Arm nach der Wasserflasche aus und fügte fragend hinzu: »Konntest du dich wieder nicht entscheiden?«
Fenja kniff die Lippen zusammen und verstaute einen der Riegel in die kleine Lenkertasche. »Es schmecken einfach alle so gut.«
»Du bist und bleibst eine Naschkatze.« Jonte nahm mehrere Schlucke und steckte die Flasche in die Vorrichtung.
»Ja, und ich stehe dazu.« Fenja biss mit Genuss in den Riegel und setzte sich aufs Rad. »Komm, wir fahren an der Strandpromenade entlang.«
»Zu Befehl!«, feixte Jonte und folgte ihr.
Die nächsten Stunden verbrachten die beiden damit, sich mit einigen der neuen Gäste zu unterhalten und Auskünfte zu geben. Zum Beispiel, wo man am besten essen gehen konnte. Natürlich schlug Jonte stets beiläufig das Restaurant seines Bruders Harm vor, erwähnte aber auf keinen Fall, dass es sich dabei um die Verwandtschaft handelte.
Das Lokal Zum Harpunier hatte sich in der Zwischenzeit bereits zum Geheimtipp der Insel gemausert. Das ließ nicht nur das Herz von Jonte höherschlagen, sondern auch die Kasse seines Bruders ordentlich klingeln.
Gegen achtzehn Uhr erreichten beide die Polizeiwache. Fenja wollte sich gerade in einem der hinteren Räume aus der Uniform pellen, als die Tür aufgerissen wurde und eine laute Frauenstimme quer durch die Wache rief: »Sie müssen auf der Stelle Sieglinde van Wieren verhaften!«
Fenja zog flink ihre Hose wieder hoch und eilte in den Dienstraum zurück, wo Jonte die Person bereits auf einen Stuhl verfrachtet hatte. Als Fenja die Frau erblickte, musste sie sich ein Lachen verkneifen. Rote Pusteln übersäten das rundliche Gesicht der Dame, die sie um die Mitte sechzig schätzte. »Ja … lachen Sie nur! Das habe ich der alten Zicke zu verdanken! Ich sehe wie ein explodierter Streuselkuchen aus!«
»Und Sie sind?«, fragte Fenja und kämpfte noch immer gegen ihre Lachmuskeln an.
Zum Glück war Jonte kontrollierter und hatte an seinem Schreibtisch Platz genommen. »Meine Kollegin hat Sie etwas gefragt.«
Es folgte ein kurzes Brummen. »Ursula Müller.«
»Gut, Frau Müller. Dann sagen Sie uns doch, warum wir Frau van Wieren verhaften sollen«, führte Jonte das Gespräch weiter, da er sah, dass seine Kollegin weiterhin einem Lachanfall entgegenwirken musste.
Ursula deutete auf ihr entstelltes Gesicht. »Na, deswegen! Sieglinde hat mir eine ihrer Antifaltencremes verkauft … soll super gegen Falten helfen!«
Jonte und Fenja warfen sich eindeutige Blicke zu.
»Was … also … was ist denn mit dem Mittel?«, wollte Fenja wissen. Sie schlenderte zu ihrem Schreibtisch herüber, wo noch immer das Tiegelchen stand. Sie nahm es beiläufig in die Hand und ließ es in der oberen Schublade verschwinden.
»Na, das sehen Sie doch, oder sind Sie etwa blind? Ich bin völlig entstellt und morgen treffe ich mich mit einem Herrn … so kann ich ihm doch nicht entgegentreten!«, schimpfte Frau Müller wie ein Rohrspatz. Da sie sich aufregte, begannen die Pusteln in ihrem Gesicht noch stärker zu leuchten.
Jetzt kämpfte auch Jonte gegen ein Grinsen an und räusperte sich. »Sie haben also von Frau van Wieren die Creme gekauft und angewandt.«
»Ja. Wissen Sie, was so ein kleines Tiegelchen kostet?« Frau Müller kramte in ihrer Handtasche herum und donnerte eine weiße Dose auf den Tisch. »Hundertzwanzig Euro! Jawohl!«
Jonte stieß einen Pfiff aus. »Eine stolze Summe.«
»Ja, genau … aber mir geht es gar nicht so sehr um das Geld, ich bin reich, ich kann mir das leisten. Es geht mir um Körperverletzung, ja … ich zeige Frau van Wieren wegen Körperverletzung an.« Ursula Müller wirkte wild entschlossen.
»Das geht leider nicht, Frau Müller«, schaltete sich Fenja in das Gespräch mit ein.
»Und warum nicht? Mein Gesicht ist ja wohl Beweis genug für eine Körperverletzung.«
Jonte faltete die Hände und sagte mit bedächtiger Stimme: »Nun ja, Frau Müller. Sie haben allergisch auf einen der Inhaltsstoffe reagiert … dagegen kann man nichts machen. Und es lag sicherlich nicht in der Absicht von Frau van Wieren, Ihnen zu schaden. Sie wollte Ihnen mit der Creme ja was Gutes tun.«
»Gutes tun? Gutes tun?«, quietschte Frau Müller entsetzt.
Fenja wollte von ihr wissen: »Wie oft haben Sie die Creme denn angewandt?«
Jonte warf ihr einen fragenden Blick von der Seite zu, worauf Fenja nur mit den Schultern zuckte und Frau Müller antwortete: »Seit zwei Tagen. Warum?«
Fenja fiel ein Stein vom Herzen, denn sie hatte die besagte Creme nur heute Morgen einmal aufgetragen und bis jetzt erschienen keine hässlichen Pusteln in ihrem Gesicht. »Und es kann nur von der Creme kommen? Haben Sie vielleicht etwas anderes gegessen oder ein neues Duschgel angewandt, das den Ausschlag auslösen könnte?«
Ursula schüttelte mehrmals den Kopf. »Nein, nein … es kann nur von der Creme kommen.«
»Wissen Sie, wer diese Creme noch gekauft hat?«, hakte Jonte nach.
»Na, meine ganze Frauensippe. Wir sind alle darauf hereingefallen und haben ein Vermögen dafür ausgegeben.«
»Und? Hat jemand aus Ihrer Sippe auch solchen Ausschlag wie Sie, Frau Müller?«, wollte Fenja erfahren.
»Bis jetzt bin ich die Einzige.« Die Worte kamen nicht überzeugend über ihre Lippen. Fenja vermutete, dass – warum auch immer – Frau Müller diesbezüglich log.
»Gut. Wir machen Folgendes: Wir fragen gleich morgen früh bei Frau van Wieren nach, einverstanden? Mehr können wir im Moment nicht unternehmen«, besänftigte Jonte die aufgebrachte Dame. »Gehen Sie am besten noch zur Apotheke und besorgen sich ein