Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Kneipjagd - Treibjagd: Eine fränkische Kriminalerzählung Ansbach
Kneipjagd - Treibjagd: Eine fränkische Kriminalerzählung Ansbach
Kneipjagd - Treibjagd: Eine fränkische Kriminalerzählung Ansbach
eBook332 Seiten4 Stunden

Kneipjagd - Treibjagd: Eine fränkische Kriminalerzählung Ansbach

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine Kriminalerzählung mit starkem Lokalkolerit. Ansbacher Szenerie mit stadtbekannten Lokalitäten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Nov. 2020
ISBN9783347177741
Kneipjagd - Treibjagd: Eine fränkische Kriminalerzählung Ansbach

Mehr von Bhw Bernd Heinz Werner lesen

Ähnlich wie Kneipjagd - Treibjagd

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Kneipjagd - Treibjagd

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Kneipjagd - Treibjagd - BHW Bernd Heinz Werner

    Kapitel 1

    2. November 2019

    Samstag

    Das Wetter an diesem Samstag im mittelfränkischen Ansbach ist eher zu mild für einen Novembertag. Der Himmel ist leicht bewölkt, manchmal reißt er etwas auf, die Sonne tut sich schwer durchzukommen, aber Regen ist für heute nicht angesagt. Es soll die nächsten Tage auch noch so bleiben. Dafür wird es aber nachts schon erkennbar kälter, doch noch bleibt die Temperatur über dem Gefrierpunkt.

    Er fragt sich, warum er überhaupt schon vorige Woche die Winterreifen hat aufziehen lassen. Aber immer zusammen mit der Zeitumstellung auf die Winterzeit lässt er auch die Reifen wechseln, das ist seit Jahren eine eingefahrene Übung, seine Freunde machen das auch so. Aber egal, er fährt als Privatier ohnehin nur noch wenige Kilometer im Jahr, vielleicht, mal über alles gerechnet, so fünftausend, wenn keine größeren Urlaubsfahrten dazukommen. Und wenn er mit den Winterreifen fährt, schont er dafür schon die Sommerreifen, also, was soll‘s.

    Bernd Heinz Werner lebt nun schon fast zwanzig Jahre in diesem Ansbach, mitten in der historischen Altstadt, da kann man vieles zu Fuß erledigen, gerade so wie heute. Er kommt eben vom Wochenmarkt, der im Hinblick auf den bevorstehenden Weihnachtsmarkt jetzt bereits vorsorglich in der Reitbahn abgehalten wird. Er bringt sein Eingekauftes nachhause, seine Beute, wie er gerne dazu süffisant sagt. Wie immer trifft er einige Bekannte auf dem Markt und man unterhält sich über alles und nichts, Marktbegegnungen eben, das gehört dazu. Heute hat er einen besonders schönen Ingwer kaufen können, einen mit den großen und hellen Knollen, die sind besonders saftig. Seit vielen Jahren schwört er auf die positive Wirkung des Ingwers, er nennt ihn seinen Darmpolizisten. Daneben sind noch dunkelrote Tomaten, glattblätterige Petersilie, magerer Schinken und frische Semmeln im Korb, obenauf liegt die Fränkische Landeszeitung. die kauft er nur gelegentlich, aber immer an den Samstagen.

    Es ist zehn Minuten vor neun, er ist auf dem Heimweg und er geht bereits durch den großen Toreingang in den Innenhof, den sogenannten Kronenhof, wo die alte und riesige Kastanie steht, die jetzt um diese Jahreszeit schon vollkommen kahl ist. In den letzten Wochen mussten er und seine Renate eine Menge an Abfallsäcken voll mit Kastanien und Laub wegbringen. Vom Frühjahr angefangen, bis in den Herbst hinein ist es ein großer Genuss, in dem natürlichen Schatten der betagten Kastanie sitzen zu können. Da wird der Freisitz zum zweiten Wohnzimmer, aber so ein Riesenbaum macht dafür im Herbst schon verdammt viel Arbeit. So arg lange, denkt er sich, wird er und seine Renate das nicht mehr machen können, da muss er noch eine Lösung finden.

    In dem hinteren Teil des Kronenhofes wird von der Hauseigentümerfamilie Gerg ebenfalls schon seit nunmehr fast zwanzig Jahren ein ausgezeichnetes Gourmetrestaurant betrieben, das La Corona, geöffnet nur an drei Tagen in der Woche. Die erlesene Speisekarte wechselt alle sechs Wochen, es ist immer eine Themenkarte, die sich stets auf bestens ausgewählte Regionen bezieht und dabei auch immer zu den Speisen die historischen Bezüge aufzeigt. In der Sprossenverglasung der Eingangstüre des Lokals kann man diverse Aufkleber mit den bereits erhaltenen Auszeichnungen sehen, es werden ständig mehr.

    Die Wohnung und auch sein Büro hat Bernd Werner im ersten Obergeschoß, das teilt er sich nur noch mit der Arztpraxis eines Neurologen. Bedingt durch die Öffnungszeiten dieser Praxis sind er und seine Renate an den Feierabenden und auch an den Wochenenden vollkommen allein in diesem ersten Stock. Durch die dicken Gemäuer des alten Gebäudes ist er akustisch bestens abgeschirmt von den anderen Mietern, diese besondere Idylle genießen beide. Es war ein richtiger Glücksfall gewesen, dass er bei dem Wegzug aus Balingen, so eine Stadtwohnung finden konnte. Das bisherige Haus dort war beiden nach dem Auszug der beiden Kinder zu groß geworden, und auch der riesige Obstgarten machte inzwischen zu viel Arbeit. Irgendwann wird die geliebte Idylle lästig, man muss zu viel an Energie investieren, das sollte sich mit der Stadtwohnung ändern.

    In der Wohnung angekommen, hört er schon die Musik aus dem Radio und auch der frische Kaffee duftet ihm bereits entgegen. Das ist das untrügliche Zeichen, dass seine Frau Renate schon die Vorarbeit zum Frühstück begonnen hat, sie wird noch im Bad sein. Grundsätzlich zuständig für das tägliche Frühstück ist immer er, das lässt er sich nicht nehmen und gerade an den Wochenendtagen, da holt er vom Wochenmarkt viele frische Produkte, das genießen dann beide. Gerade kommt seine Frau Renate aus dem Bad und geht in Richtung Küche, er steht noch mit dem Einkaufskorb im Flur. Sie ruft ihm zu.

    „Guten Morgen, mein Schatz, hör mal, der Donat Gerg hat vorhin angerufen wegen der heutigen Nacht, du weißt ja, heute ist die Kneipjagd-Veranstaltung. Er meinte auch, dass er deswegen heute sein La Corona nicht öffnet, da bei so einer Veranstaltung nicht gerade sein Publikum unterwegs ist. Aber er bittet dich sehr, doch nachzusehen, ob dann auch abends das große Hoftor geschlossen bleibt, hast du gehört?"

    Renate Werner spendiert ihrem Ehemann Bernd einen schmatzenden Guten-Morgen-Kuss, so wie immer, und sieht ihn an. Er schmatzt zurück, so wie immer. Klar, er hat sie schon verstanden.

    „Ja, guten Morgen, natürlich habe ich dich verstanden. Heute ist in ganz Ansbach die jährliche Kneipjagd, und da will er, dass das Hoftor geschlossen bleibt, vor allem, wenn er sein La Corona gar nicht öffnet. Ich werde am Abend ein paar Male runtergehen und nachsehen, denn nicht jeder Mieter schließt beim Verlassen des Hofes auch das Tor. Da verstehe ich den Donat Gerg schon."

    Bernd Werner kennt die Umstände um diese jährliche Kneipjagd, bei der die ganze Nacht über viele der Ansbacher Kneipen Livemusik anbieten, teilweise mit richtig guten Bands. Seinem Wissen nach nehmen insgesamt einundzwanzig Lokalitäten daran teil. Man kauft sich ein pauschales Ticket für diese Nacht und hat dadurch überall freien Eintritt, ein organisierter Shuttle-Verkehr pendelt ständig zwischen den Kneipen in der Stadt hin und her, sodass man ohne große Bedenken hinsichtlich der eigenen Fahrtüchtigkeit voll auf seine Kosten kommen kann. Eine trinkfeste Konstitution wäre dabei allerdings von Vorteil, von großem Vorteil.

    Die Regierungshauptstadt Ansbach liegt von den Trinkgewohnheiten näher an der Nürnberger Bierregion als an der Würzburger Weinregion, und Biertrinker brauchen ab einem gewissen Quantum oftmals schnell ein Pissoir, manchmal sogar sehr schnell. Da kann man dann nicht immer warten, bis das nächste WC erreicht ist, vor allem, wenn die Kerle auf dem Weg zur nächsten Kneipe sind. Donat Gerg kennt seine Pappenheimer, und bevor die ihm den schönen Kronenhof versauen, sorgt er lieber dafür, dass der verschlossen bleibt. Bernd Werner kommt die letzte Kneipjagd aus dem Vorjahr nochmals in den Sinn.

    „Da wird schon ordentlich was weggesoffen, es muss ja keiner fahren, und die ganze Veranstaltung ist schließlich darauf ausgelegt, dass die Kneipenumsätze stimmen. Beim letzten Mal hat doch glatt jemand vor das geschlossene Hoftor gekotzt, pfui Teufel, das musste dann mit dem Gartenschlauch weggespritzt werden. Aber immerhin, es war noch vor dem Tor und nicht innen im Hof."

    Renate Werner hatte gestern aus der Freitagsausgabe der Fränkischen Landeszeitung das Programm der Kneipjagd ausgeschnitten. Da wird schon ordentlich was geboten, verdammt noch mal.

    „Sieh dir das mal an: Im TamTam spielt die Jackknife-Beat-Band, im Cafe Klatsch Soundtransit, in der Grotte Betty‘s Place, im Max + Muh EKS, in Eugens Weinstube Bernd Rinser, in der Kammer Smashed Potatoes, im Theater The Village Boys, im Green and Bean Roger & Felicia, im Freiraum Klar & Deutlich und so weiter, ich will erst gar nicht alles aufzählen, es ist schon ein Wahnsinn."

    Beide sehen sich spontan an und denken in diesem Augenblick dasselbe. Das ist was für die jungen Leute, das ist deren Musik, unsere leider nicht mehr. Da sind wir raus, vollkommen raus. Wir sehen zu, dass das Hoftor geschlossen ist und es auch bleibt, dann haben wir Ruhe im Hof, jedem das seine. Ein wenig Wehmut kommt ihm bei diesem Gedanken dennoch auf, denn in seinen jungen Jahren hätte er natürlich an einer Kneip-Jagd teilgenommen, das wäre damals überhaupt keine Frage gewesen. Da hätten gesundheitliche Überlegungen und ein verkaterter Sonntag gegen die Möglichkeit, eine verrückte Nacht durchleben zu können, nicht den Ansatz einer Chance gehabt. Vorbei, das war einmal, aber trotzdem irgendwie schade.

    Hoffentlich gibt es nicht wieder die üblichen Randale, die Polizei wird keine ruhige Nacht haben, die werden Streife fahren und auch zu Fuß unterwegs sein. Mit denen möchte ich heute Nacht nicht tauschen, denkt sich noch Bernd Werner und beißt in die frische Kaisersemmel mit dem mageren Schinken und den kleinen Ingwerscheibchen darauf, jedem das seine.

    Er muss später ohnehin noch einmal raus und hat seine Schuhe deshalb auch noch nicht ausgezogen. Nachdem die Post da war, will er sich noch etwas umsehen und in der Stadt ein wenig herumbummeln. Die Cafés haben bereits vor zwei Wochen die Tische und die Stühle eingewintert, die kommen erst wieder im Frühjahr raus. Je nachdem wie sich das Wetter gibt, manchmal sogar schon früh. Er hat ohnehin das Gefühl, dass die Lokale jedes Jahr immer ein wenig früher die Außensaison eröffnen. Bei diesen milden und kurzen Winterperioden ist das auch zu verstehen, und in der Sonne zu sitzen, wenn auch mit einer wärmenden Jacke, gibt einem schon das entspannende Gefühl einer gewissen südlichen Lebensqualität.

    Aber jetzt rutschen wir erst einmal über den Herbst in den Winter hinein, es wird schon nicht so schlimm kommen. Viel Schnee erwartet er ohnehin nicht, aber es könnten kalte und nasse Wochen kommen. So ein nasskaltes Wetter, das sich über viele Wochen dahinzieht, hasst er. Die Grippeschutzimpfung hat er für diesen Winter schon hinter sich.

    „Seit zwei Tagen haben wir die Winterzeit, jetzt ist es schon sehr bald dunkel," denkt er vor sich hin. Und der diesjährige Weihnachtsmarkt wird auch schon wieder in drei Wochen eröffnet werden, den kann er fußläufig schnell erreichen, das sind gerade mal zweihundert Meter, dann steht er schon vor dem ersten Glühweinstand.

    In ihrer früheren Zeit, bevor beide nach Ansbach gezogen sind, hatten sie die Sommer- aber auch die Winterferien mehrmals in der Steiermark verbracht, genauer gesagt in der Südsteiermark. Was waren das doch für schöne und gesellige Urlaubstage gewesen. Die Steirer sind lustige Leute, in jedem zweiten Haus spielt einer die Ziehharmonika, und die steirische Küche ist eine ganz besondere, da spürt man den pannonischen Einfluss aus dem nachbarlichen Osten. Ein Heidensterz mit einer Schwammsuppe, ein Blunzengröstl aus der Pfanne, und auch eine deftige Klachelsuppe, oder eine Kürbiscremesuppe mit ein paar Spritzer vom Kürbiskernöl, das sind typische steirische Gerichte. Eine einfache, aber immer sehr schmackhafte Küche.

    In diesen Wintern hatten sie sich gerne mit den Einheimischen am Eisstockschießen beteiligt, da gab es damals dort schon den weißen Glühwein mit vielen Gewürzen drin, der schmeckte beiden besonders gut.

    In Ansbach dann war anfangs der weiße Glühwein noch gar nicht bekannt, aber nach ein paar Jahren hatte plötzlich ein Würstchenstand, gerade der vom Nixel, zum ersten Mal auch den weißen. Und nun gibt es den weißen Glühwein überall, am liebsten trinken ihn Bernd und Renate an dem Stand vom Fritzi-Bubi, der wird aus einem fränkischen Silvaner gemacht und verursacht, im Gegensatz zum roten Glühwein, kaum Sodbrennen.

    Renate ist mit ihrem Frühstück fertig und beginnt, den Tisch abzuräumen. Der frische Tee reicht noch für zwei bis drei Tassen, der zieht sich dann bis zur Mittagszeit hin.

    „Hör mal zu, Bernd, ich fange heute schon einmal an, unsere jährliche Weihnachtsgeschenkeliste zu schreiben, das ist jedes Jahr derselbe Mist. Was soll man denn nur schenken, wo doch alle schon alles haben. Bei den Enkeln ist es noch am einfachsten."

    Renate Werner liebt Weihnachten sehr, aber nicht dieses doofe Geschenkekaufen. Selber schenken sie sich nur noch ein paar Kleinigkeiten, eher Aufmerksamkeiten. So hat eben jede Jahreszeit ihre Gewohnheiten und heute, mitten im Herbst, ist erst einmal die Kneipjagd in Ansbach dran. Unsere heutige Spaßgesellschaft will das so. Ich will Spaß, ich will Spaß, Spaß und nochmals Spaß, gut, dann soll sie eben ihren Spaß haben. Da werden morgen wieder viele ihr Aspirin-Frühstück brauchen, geschieht denen gerade recht, nur kein falsches Mitleid.

    Später geht Bernd Werner noch einmal in den Hof hinunter und sieht nach der Post, es ist aber keine da. Die Werbung wirft er sofort in den Abfall, es wird doch eh immer dasselbe angeboten, für ihn eine reine Papierverschwendung.

    Dann geht er noch durch die Altstadt und beobachtet, wie sich die Lokale vorbereiten auf die Nacht der Kneipjagd. Das TamTam hat im Außenbereich eine extra Bierbar aufgebaut, die entlastet das Team im Lokal drinnen. Draußen gibt es nur Flaschenbier und sogar schon einen ersten Glühwein, drinnen wird vom Fass ausgeschenkt. Da wird heute wieder die Hölle los sein. Das diesjährige milde Wetter begünstigt solche Außenaktivitäten, aber bei den meisten spielt sich die Kneipjagd im Lokal ab.

    Die Bundesliga spielt heute auch noch, aber der Club spielt erst am Montag in Bochum, da wird er auch nicht gerade hoch gewinnen. Der gewinnt ohnehin nur noch ganz selten, und vom Wiederaufstieg spricht heute auch niemand mehr. Aber ein Herz für den Club haben hier alle, wenn sie auch manchmal schwer leiden müssen, in diesem Spieljahr ganz besonders. Es sind alles Cluberer, alles alte Club-Fans, der Club ist hier Legende und die Legende lebt.

    In diesem Moment erinnert sich Bernd Werner spontan, dass er selbst einmal bei einem Altherrenspiel seines damaligen Vereins gegen den legendären Club gespielt hatte. Und damals spielte doch tatsächlich noch der Maxl Morlock in dem Altherrenteam vom 1. FC Nürnberg mit. Bernd Werner sieht ihn in diesem Augenblick wieder bildhaft vor sich, wie er auf dem Spielfeld stand. Immer noch sportlich schlank und mit strammen Beinen, aber auch schon mit deutlich ergrauten Schläfen, ein alter Herr eben. Auch der Wabra, der Ucko und der Nandl Wenauer waren mit von der Altherrenpartie, und noch ein paar andere, deren Namen er inzwischen vergessen hat.

    Man hatte sich damals 4: 4 getrennt und er hatte dem Wabra sogar noch zwei Tore eingeschenkt. Aber das ist schon lange her, verdammt lang her, es dürften mehr als vierzig Jahre sein. Die Zeit vergeht schnell, viel zu schnell. Die Zeit flieht, Tempus Fugit, sagen die Lateiner. Aber die Erinnerungen bleiben haften, und manchmal kehren sie zurück.

    Noch spürt man eine allgemein gute Stimmung in der Stadt. Die Kneipjagd läuft bislang störungsfrei, Polizeieinsätze waren noch nicht notwendig gewesen. Die Shuttlebusse pendeln zwischen den Lokalitäten, der Alkoholpendel ist ständig am Steigen und der Getränkeumsatz liegt bereits auf einem hohen Niveau.

    Aber im Hintergrund lauert heimlich in geduckter Wartestellung schon die tödliche Gefahr. Eine Gefahr, die in dieser Nacht noch unerbittlich zuschlagen wird, hinterhältig und plötzlich, und die den Tod mit sich bringen wird. Sie wird die bisweilen lauschige Idylle dieser Stadt wegblasen und zerstören.

    Ansbach hatte im Frühjahr noch die Grüne Nacht veranstaltet, aber die Farbe dieser heutigen Nacht wird rot sein. Rot wie die Gefahr und rot wie das Blut, die Kneipjagd-Nacht wird sich rot verfärben. Blutrot.

    Kapitel 2

    Horrido, die Jagd beginnt

    Inzwischen ist es draußen bereits dunkel geworden, die Dunkelheit setzt jetzt schon verdammt früh ein. Wenn die Bundesligaspiele kurz vor halb sechs zu Ende sind, ist es schon Nacht. Das schlägt einem schon mental etwas aufs Gemüt. Bernd Werner zählt inzwischen bereits jeden Tag, bis hin zum 21. Dezember, da ist die längste Nacht im Jahr. Von da an werden die Tage wieder länger und die Nächte wieder kürzer, langsam zwar, aber immerhin. Es hilft zwar nicht sonderlich viel, aber es gibt einem immerhin das Gefühl, dass man dem Frühling entgegengeht, manchmal reicht das schon.

    In dem italienisch geführten Restaurant Le Fiamme in der Kannenstraße ist jetzt, kurz nach 18.00 Uhr, der Betrieb bereits voll im Gange. Viele wollen noch etwas essen, also eine gute Grundlage schaffen für die Trinkerei. Eine gut belegte Pizza, und die Pizzen im Le Fiamme sind bekanntermaßen immer besonders gut, ist da schon eine passende Basis, darauf kann man aufbauen. Das Lokal ist voll besetzt, es geht ziemlich laut zu.

    Die drei Mädels, die Susi, die Bärbel und die Manu, sind oft im Le Fiamme, so auch heute wieder. Sie kennen sich gegenseitig schon seit vielen Jahren und treffen sich regelmäßig. Mit wenigen Ausnahmen sind sie immer zu dritt unterwegs, das hat sich so eingependelt. Die blonde Susi ist seit sechs Jahren geschieden und dadurch durchaus an Männern interessiert, Bärbel ist in einer Bindung, von der man aber auch nicht so genau weiß, wohin sie schlussendlich führen wird, und die Manu ist seit sieben Jahren fest verheiratet, aber sie kämpft sowohl mit dieser festen Verbindung, als auch mit ihrem Übergewicht. Aber eine Pizza geht immer, gerade heute sowieso.

    Susi arbeitet bei der Agentur für Arbeit, die dortige Arbeit verursacht ihr ziemlichen Stress. Sie hat einige schwierige Fälle in der Betreuung, Männer, teilweise Alkis und asoziale Proleten, der Umgang mit solchen Menschen geht ihr mehr und mehr auf die Nerven. Bärbel und Manu sind von Beruf Krankenschwestern und haben ihre Arbeitsstelle im Klinikum ANregiomed Ansbach, und zwar in der Gynäkologie. Aber dort läuft seit mehr als einem Jahr ein rigoroses Personalkostensparprogramm, das inzwischen zu einer erheblichen Unterbesetzung in ihrem Team geführt hat. Alle drei sind daher heilfroh, dass sie sich entschlossen haben, gemeinsam an der Kneipjagd teilzunehmen. Die Wochenenden sind für die jungen Frauen die einzige Chance, den belastenden Alltag hinter sich zu lassen. Jetzt heißt es, rein in den Spaß und alles andere hinter sich lassen.

    Normalerweise sind die drei jeden zweiten Mittwoch im Monat hier, denn da haben sie ihren monatlichen Mädelsabend. Das bedeutet, dass sie mit einer Pizza oder einer Pasta im Le Fiamme beginnen und danach wollen sie zum Bowling in das City-Bowling in der Karolinenstraße, das ist schräg gegenüber von den Kammerspielen, gehen. Da trifft man immer eine Menge Leute, natürlich auch Männer, man kann sich ja einmal umsehen, was der Markt so alles anbietet.

    Susanne Caravetta, die Chefin des Le Fiamme, kennt alle drei schon seit Jahren, es sind nette Stammgäste, und lustige dazu. Diese Lustigkeit der drei Damen ist ansteckend, sie springt gerne und leicht auf andere über.

    „Na, meine Lieben, heute geht es wohl wieder rund. Wo fangt ihr denn an und wo hört ihr heute, genauer gesagt morgen, auf?"

    Susanne Caravetta steht bei ihnen am Tisch. Sie weiß, dass die drei Mädels heute auf der Kneipjagd sein werden. Ohne Männer, einfach nur, um sich wieder einmal im Markt zu zeigen, Personal- Animation-Marketing quasi. Die Männer gehen da meist ihre eigenen Wege, nicht einmal mit großen Hintergedanken, aber schon bereit für einen kleinen Flirt, just for fun.

    „Du, Susanne, wir fangen erst einmal hier in der Innenstadt an. Wahrscheinlich gehen wir zuerst ins TamTam, dann ins Klatsch und auf jeden Fall in die Grotte und dann noch in die Kammer, danach sieht man weiter. Vielleicht am Ende noch in Eugens Weinstube, so zum Ausklang. So wäre unser Plan, aber es kann auch anders kommen, da sind wir mehr als flexibel."

    Die Susi ist schon voll auf Touren, sie ist die aktivste der drei, voller Lebenslust und immer übermütig. Den anderen beiden ist das nur recht, wenn eine anschiebt, da kann man mitziehen. Die Pizzen sind verspeist, es geht ans Bezahlen. Alles zusammen und geteilt durch drei, das ist am einfachsten. Manu erledigt das und teilt die Summe auf, den Bewirtungsbeleg steckt sie ein.

    „Also dann, viel Spaß, und kommt wieder gut zuhause an. Denkt daran, morgen ist auch noch ein Tag."

    Susanne Caravetta winkt ihnen beim Hinausgehen noch zu, es ist gerade eine Minute vor acht Uhr, genau die richtige Zeit zum Einstieg in die Szene. Sie hätte selbst auch gern mal die Kneipjagd mitgemacht, aber dafür fehlt ihr einfach die Zeit, und sie hat schließlich ihr Lokal geöffnet, da kann sie ohnehin nicht weg. Sollen doch die drei Mädels ihren Spaß haben. Nette Gäste, man sieht sich bestimmt wieder am übernächsten Mittwoch. Sie winkt den Damen noch nach, sie winken an der Tür zurück. Es wird das letzte Mal gewesen sein.

    Draußen sehen sich die drei Mädels an, wer entscheidet jetzt? Susi übernimmt die Rolle, wie immer.

    „Also, die Bands beginnen so um acht Uhr, ich schlage mal vor, dass wir im TamTam einsteigen, das ist gleich um die Ecke, dort spielt eine sehr gute Band, dann gehen wir über das Café Klatsch rüber zur Grotte. Da wird es meistens immer länger, da sind auch immer gute Kerle, also lustige, meine ich. Schaut mich nicht so schräg von der Seite aus an, ihr wisst schon, wie ich es meine."

    Also, erst einmal auf zum TamTam. Sie haken sich unter, mit festem Schritt gehen sie über das Kopfsteinpflaster, da muss man mit den modischen Stilettos aufpassen, sonst kippt man bereits ohne Alkohol um. Je näher sie kommen, desto stärker hört man schon die Musik, noch aus der Konserve, bald aber live. Vor dem TamTam stehen schon eine Menge Leute, die Wirtsleute Uschi und Stefan Maurer haben vor dem Lokal einen fahrbaren Kühlwagen aufgestellt, man trinkt hier meistens ein Bier, mit Schnäpsen muss man jetzt noch etwas vorsichtig sein, später vielleicht.

    Die drei werden beim Näherkommen mit einem freudigen Gejohle empfangen, man kennt sich schließlich in Ansbach. Dummerweise geraten sie gleich in eine Gruppe, die gerade eine Schnapsrunde dreht. Da muss man sich natürlich dranhängen, da kann man sich nicht davonmachen, also einen Willi zur guten Verdauung. Manu warnt bereits.

    „Fangt nicht so früh mit dem Schnaps an. Wir haben noch viel vor, am Ende geht es uns wie letztes Jahr, wo wir uns irgendwann verloren hatten und dann jede alleine unterwegs war. Das muss ja dieses Jahr nicht unbedingt wieder so sein."

    Bärbel kippt ihren Willi hinunter, sie verzieht für einen Moment ihr Gesicht, bis der Willi den Magen erreicht hat, und dreht sich dann zu Manu um.

    „Ach, Manu, auf die Pizza habe ich jetzt einfach einen Schnaps gebraucht, das ist gerade recht so. Bestellt ihr bei der Uschi noch ein Pils? Ok, dann bitte für mich auch eins, ich sehe mal kurz hinein ins TamTam, muss den Stefan Maurer noch begrüßen."

    Im Lokal ist bereits Hochbetrieb, schon im Eingangsbereich kommt man nur schwer an den Leuten vorbei, an der Eingangstür selbst muss man kämpfen, um überhaupt ins Lokal hineinzukommen. Am Tresen arbeiten drei Personen, der Micha Weidinger und zwei Aushilfen. Der Wirt Stefan Maurer steht im Hintergrund und sieht zu, dass alles läuft. Er ist normalerweise für die Musik zuständig. Eine weitere Person zapft Pils und andere Biere vor, es geht wie an einem Laufband, es muss sofort bezahlt werden.

    Die Jack-Knife-Beat-Band hat im Eingangseck ihren Platz und haut jetzt kräftig rein, laut und rockig, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Sein Getränk kann man nur durch Handzeichen bestellen und dabei hoffen, dass das richtige Getränk dann auch kommt. Bärbel winkt Stefan Maurer kurz zu, er winkt auch zurück, aber alles geht im Trubel unter, sie geht wieder ins Freie.

    „Oh, Kinder, es ist wie immer, voll, einfach nur voll. Lasst uns hier an der frischen Luft bleiben. Zum Glück spielt das Wetter mit. Prost, ihr Lieben."

    Der Anfang ist gemacht, nach den zwei Bierchen geht es flott weiter. Vor Eugens Weinstube, gleich nebenan, ist auch eine Bar im Außenbereich aufgestellt, zwei Mädels bedienen dort. Zehn Meter weiter hört man ebenfalls Musik aus dem Green & Bean. Aber sie bleiben nicht stehen und gehen zunächst weiter. Sogar vom Friseursalon Haarbaron hört man laute Musik bis auf die Straße hinaus, natürlich italienisches Flair: Gianna Nannini, I maschi innamorati… Aber für die drei ist das Café Klatsch jetzt die nächste Station. Dort spielt heute Sound-Tansit mit einem großartigen Gitarristen, da muss man hin.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1