Ziggy Löwenherz: Eine wahre Flucht- und Überlebensgeschichte
Von Dembo Fatty, Jutta Michaud und Iris van Beek
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Über dieses E-Book
Ziggy Löwenherz die Geschichte eines Menschen, der versprochen hat, immer nach vorn und nie zurückzuschauen. Es ist eine Geschichte über Resilienz und die Kraft der Hoffnung.
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Buchvorschau
Ziggy Löwenherz - Dembo Fatty
Wie dieses Buch entstand
Dembo – alias Ziggy – und ich lernten uns 2021 bei ubs e.V. – umwelt, bildung, sozialarbeit in Berlin kennen. Ubs e.V. ist ein Träger der Jugendhilfe, der in eigenen Großküchen und einer Konditorei junge Menschen für Gastronomieberufe ausbildet. Seit 2014 bin ich dort als Coach mit im Boot. Ich unterstütze die Auszubildenden mit kreativen und therapeutischen Methoden dabei, ihre Stärken zu erkennen, Krisen zu überwinden und Visionen für eine selbstbestimmte Zukunft zu entwickeln.
Als Dembo und ich uns kennenlernten, steckte er in einer schweren Krise.
Über einen Facebook-Kontakt war es ihm einige Zeit zuvor gelungen, seine Mutter wiederzufinden. Dazu muss man wissen, dass die beiden mehr als vier Jahre keinen Kontakt zueinander hatten. Nicht etwa freiwillig, sondern weil sie so lange keine Möglichkeit gehabt hatten, miteinander in Kontakt zu treten.
Dembo erfuhr, dass seine Mutter an einer lebensbedrohlichen Nierenerkrankung litt. Für die dringend notwendige Operation hätte sie in ein Nachbarland fliegen müssen, doch dafür fehlte das Geld. Innerhalb kurzer Zeit hatte er sich hoch verschuldet, um wenigstens Medikamente und eine gute Unterkunft für sie zu besorgen. Dennoch war bei jedem weiteren Telefonat zu spüren, wie ihre Lebenskräfte wichen. Angst und Sorgen lähmten ihn. Immer häufiger fehlte er am Arbeitsplatz. Seine Ausbildungsbetreuerinnen schickten ihn zu mir ins Coaching, wo er über seine akuten Sorgen und Nöte reden konnte, mir aber auch mehr und mehr aus seiner Vergangenheit erzählte.
Parallel dazu suchten wir nach einer Behandlungsmöglichkeit für seine Mutter und konnten schließlich Kontakt zu einer Nonprofitorganisation herstellen, die ein Krankenhaus in Gambia betreibt. Leider kam alle Hilfe zu spät. Frau Fatty starb am Tag vor ihrer Aufnahme ins Krankenhaus. Für Dembo brach eine Welt zusammen. Seine Mutter war seine einzige Verwandte und der wichtigste Mensch in seinem Leben gewesen. Er fühlte sich allein, verlassen, hoffnungslos. Und doch schaffte er es, diese schwere Krise zu überwinden. Seine Ausbildung schrittweise wieder aufzunehmen, über seine Erlebnisse zu sprechen, darüber nachzudenken, wie er seine Zukunft gestalten möchte. Sein Glaube und der Mut, sich auch grausamen Erinnerungen zu stellen, halfen ihm.
Alle, die ihn im Rahmen seiner Ausbildung kennengelernt haben, sind beeindruckt von seiner mentalen Stärke, seinem Durchhaltevermögen und dem Willen, allen Widerständen und schrecklichen Erfahrungen zum Trotz nicht nur weiterzuleben, sondern irgendwann Gutes tun zu wollen. Er ist bereit, den Menschen zu verzeihen, die ihn in der Vergangenheit schlecht behandelt haben. Und davon gab es mehr als genug.
Dembos Geschichte ist nur in Teilen ein Einzelfall. Seine individuelle Geschichte endet, als er seine Heimat verlässt und beginnt erst wieder mit seiner Zeit in Berlin.
Der Zwischenteil, die Dinge, die er auf seiner langen Reise von Afrika nach Europa erlebt hat, haben tausende von Geflüchteten so oder ähnlich durchgemacht. Ganz besonders gilt das für das Grauen, das für diese Menschen für immer mit Libyen verknüpft sein wird. Es sind unmenschliche Erfahrungen, die dringend erzählt werden müssen, damit sich – das ist unsere Hoffnung – etwas verändern wird. Zuallererst die Haltung gegenüber den Menschen, die es geschafft haben, sich aus diesen Umständen zu befreien, und bei uns ein neues Leben aufbauen möchten. Ihr Mut und ihr Durchhaltevermögen haben unseren Respekt verdient.
Dembo hat mir seine Geschichte auf Deutsch in die Tasten meines Notebooks diktiert. Bei jedem unserer Treffen hat er beinahe atemlos erzählt, nur unterbrochen von Nach- und Verständnisfragen, die ich ihm zwischendurch stellte. Fragen und Antworten sind in diesen Text eingeflossen, ohne dass er die klassische Form eines Interviews aufweist. Bei der Textüberarbeitung habe ich keine Inhalte verändert, lediglich Sprache, Grammatik sowie die zeitliche Struktur angepasst. Typisch für erzähltes Leben sind chronologische Sprünge, d. h. die zeitlichen Grenzen lösen sich ähnlich wie beim Vor- und Zurückspulen eines Films immer wieder auf. Selbstverständlich habe ich diese Änderungen von Dembo bestätigen lassen, wobei er selbst einmal äußerte, manchmal sei er unsicher, wann sich etwas ereignet habe.
Jedoch wurde nichts hinzuerfunden, alles hat sich wie beschrieben zugetragen.
Ich danke Dembo für das Vertrauen, seine Geschichte für ihn aufschreiben zu dürfen. Während unserer Gespräche habe ich nicht nur viel über seine Flucht und sein Leben, sondern auch viel mehr über die afrikanische Kultur erfahren, als in diesem Buch untergebracht werden konnte.
Sehr spannend waren auch die Gespräche, in denen Dembo unsere Kulturen verglich und in beiden Gutes wie Schlechtes entdeckte. Er hat sehr klare Vorstellungen davon, was sein Land bräuchte, um demokratische Strukturen zu entwickeln und wirklich alle Bevölkerungsgruppen an einer positiven Veränderung teilhaben zu lassen. Bildung spielt dabei eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt deshalb wünsche ich mir, dass möglichst viele junge Menschen seine Geschichte lesen und verstehen, wie wichtig demokratische Strukturen für ein menschenwürdiges Leben sind.
Der Titel des Buches wurde durch eine Zeichnung von Dembo inspiriert. Bei einer unserer Coachingsitzungen arbeiteten wir mit dem Konzept des Krafttieres und ich bat Demo, sein Tier zu zeichnen. Er malte einen Löwen und signierte das Blatt als Ziggy. Der Zusatz „Löwenherz" steht für seinen Mut immer wieder neu anzufangen.
Jutta Michaud Berlin,
Sommer 2022
Vorwort
Mein Name ist Dembo Fatty.
Lieber nenne ich mich Ziggy, zur Erinnerung an meine Mutter und an das Leben, das ich vor meiner Zeit in Deutschland geführt habe.
Meine Mutter hat mir diesen Spitznamen gegeben. Sie mochte besonders gerne die Musik von Bob Marley und Reggae aus Jamaika. In einem Song von Bob Marley, an den genauen Titel erinnere ich mich nicht mehr, kam der Name seines Sohnes – Ziggy – vor. Zuhause war ich der DJ, weil ich besser mit dem Radio umgehen konnte als meine Mutter. Doch immer, wenn der Song kam, den wir „Ziggy nannten, stoppte das Radio, es ging nie weiter. Erst wenn ich das Radio meiner Mutter reichte, setzte die Musik wieder ein. Doch wenn ich es dann wieder an mich nahm, stoppte es erneut. Meine Mutter lachte darüber und sagte: „Jetzt bist du nicht Dembo, sondern Ziggy.
Anfangs mochte ich das nicht, weil sie aus Spaß auch immer dann sagte, wenn ich etwas falsch machte: „Bist du jetzt wieder Ziggy?" Später lachten wir beide darüber.
Zum jetzigen Zeitpunkt, an dem ich Frau Michaud meine Geschichte erzähle, bin ich 20 Jahre alt. Seit vier Jahren lebe ich in Deutschland. Bis ich hier angekommen bin, war ich drei oder vier lange Jahre unterwegs. Ganz genau weiß ich das nicht, denn zwischendurch habe ich mein Zeitgefühl verloren. Als ich mit dreizehn Jahren in das erste Auto stieg, das mich von Gambia entfernte, hatte ich keine Ahnung, wo ich ankommen würde. Ich wusste nicht einmal, dass es ein Land namens Deutschland überhaupt gibt. Und jetzt bereite ich mich bei ubs e.V. in Berlin darauf vor Koch zu werden.
Ich komme aus Gambia. Das ist ein kleines Land in Westafrika, das zwischen Senegal, Mauretanien und Mali liegt.
Dieses Buch handelt davon, warum ich aus Gambia fortgegangen bin, was ich unterwegs erlebt habe und wie sich mein Leben immer wieder verändert hat.
Ich möchte Menschen eine Vorstellung davon geben, was es bedeutet ein „Flüchtling" zu sein. Wie es ist, Gewalt und Diskriminierung zu erleben.