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Ich helfe, also bin ich!: Geschichten einer Philanthropin in Gambia
Ich helfe, also bin ich!: Geschichten einer Philanthropin in Gambia
Ich helfe, also bin ich!: Geschichten einer Philanthropin in Gambia
eBook453 Seiten5 Stunden

Ich helfe, also bin ich!: Geschichten einer Philanthropin in Gambia

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Über dieses E-Book

Ein Leben zwischen den Kontinenten birgt viele Bereicherungen im gegenseitigen Verständnis, aber auch viel Arbeit für alle, die helfen wollen. Wir alle können von einander lernen. Das Buch geht im Wesentlichen um unsere Arbeit als NGO in Gambia, die Projekte, die wir umsetzen, warum und mit welchem Ziel. Afrika braucht Hilfe, besonders im Bildungssektor, doch auch wir können viel in Afrika lernen. Welche Erfahrungen ich zur Verbesserung meines eigenen Lebens machen durfte ist im Kapitel "Klassenzimmer Afrika" beschrieben. Den aufmerksamen Leser wird dieses Buch aufklären, ihm Mut machen, Chancen aufzeigen aber auch unterhalten. Bestenfalls werden bei uns allen Lernprozesse in Gang gesetzt, Prüfungen für beide Seiten erkannt, und es kann uns alle motivieren, Lösungsansätze zu finden und umzusetzen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. Dez. 2020
ISBN9783753140520
Ich helfe, also bin ich!: Geschichten einer Philanthropin in Gambia

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    Buchvorschau

    Ich helfe, also bin ich! - Suraya Jammeh

    Wie alles begann

    Geschichten aus der Kindheit

    1992 bin ich zum Islam konvertiert. Das war ein großer Meilenstein, der viele Veränderungen mit sich brachte. Doch auch die Zeit vor und nach der Konversion hat viele Geschichten parat, die ich gerne mit euch teilen möchte

    Das Buch beginnt mit einigen Geschichten aus meiner Kindheit, die wohl maßgeblich zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen haben, und leitet dann über zu den vielen Erlebnissen und Eindrücken, die ich durch das Eintauchen in eine völlig neue Welt gewonnen habe und die mich zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin.

    Schreiben, meine Leidenschaft

    Ich erinnere mich noch gut. Es war ein warmer Frühlingstag, die Sonne schien, und ich freute mich auf die Schule. Mit sieben Jahren macht die Schule eben noch richtig Spaß. Unsere Klassenlehrerin erlaubte uns an diesem Tag zum ersten Mal, unsere neuen Füller zu benutzen. Sie schrieb einen Text an die Tafel, den wir mit dem Füller in unser Heft abschreiben sollten. Ich war aufgeregt, wurde ganz zappelig und konnte es kaum erwarten. Endlich durften wir mit dem Füller schreiben. Das hässliche Grau des Bleistifts konnte ich schon nicht mehr sehen

    Es war, als ob der Füller die Worte von selbst auf das Papier goss, aber nein, ich war es. Etwas in mir schrieb mit einer noch nie da gewesenen Leichtigkeit. Es war, als ob ich eins war mit dem Papier, meinen Worten und dem Füller. Ich war begeistert. Nach der Schule rannte ich voller Freude nach Hause und erzählte meiner Mutter überglücklich von dem Erlebten. Mein Herz raste, und ich verkündete stolz: „Mama, ich werde mal Schriftstellerin!" Ihre Reaktion glich für mich einem Weltuntergang. „Aber …, meine Kleine, dafür bist du doch viel zu dumm!

    Das saß. Fortan hatte ich Angst vor dem Füller und einem weißen Blatt Papier, denn meine schlaue Mutter, die ich über alles liebte, hatte gesagt, ich sei doch viel zu dumm. Ein Trauma, das die weiteren zwölf Schuljahre zu einem Kampf zwischen den Elementen und mir machte.

    Um es kurz aufzulösen: Später verstand ich, wie sie es gemeint hatte. Sie hatte nicht wie ich eine rosige Zukunft im Blick, sondern schlicht den aktuellen Moment. Doch das Leiden endete erst weit über zwanzig Jahre nach dem Weltuntergangsszenario, während meines Fernstudiums zur Autorin. Unsere erste Übung bestand darin zu berichten, warum wir Schreiben lernen wollen. Das Niederschreiben dieser Gedanken und Erlebnisse half, und die Blockade löste sich wieder.

    Ich heirate …

    Mit zwölf Jahren reiste ich mit meinen Eltern nach Südfrankreich in die Provence, für mich eine der schönsten Gegenden Europas. Kleine romantische Dörfer, wunderschöne Natur, edles Kunsthandwerk und kleine Häuser, die schon einige Jahrhunderte überlebt haben. Wunderschön. Wenn wir durch die Dörfer gingen, sahen wir hier und da immer wieder Musiker sitzen, die allein oder im Duett Chansons sangen oder sich in klassischer Gitarrenmusik übten.

    Die meisten von ihnen waren junge Männer mit dunklen Haaren und dunklen Augen. Ich war fasziniert von der Leichtigkeit ihres Seins, die sie mit ihrer Musik in der romantischen Kulisse ausstrahlten. Oft setzte ich mich vor sie auf einen Stein, lauschte und war einfach nur glücklich. Um dieses wohlige Gefühl beizubehalten, verkündete ich wenig später meinen Eltern: „Ich werde mal einen Musiker mit dunklen Haaren und dunklen Augen heiraten."

    Mein Horoskop

    Dann, mit etwa zwanzig, war es modern, sich sein Horoskop erstellen zu lassen. So ließ ich mir auch eins machen. Neugierig, wie ich nun einmal bin, wollte ich es Wort für Wort verstehen, und der arme Astrologe musste es mir ganz genau erklären.

    Nur zur Erinnerung: Schreiben war zu diesem Zeitpunkt noch tabu und ein Ehemann auch noch nicht in Sicht.

    Der Astrologe legte los.

    Aszendent Schütze: Reisen und Religion bedeutet dir sehr viel.

    Sonne-, Merkur- und Venus-Konjunktion im Widder: Du liebst es, dich schön auszudrücken und hast Botschaften mitzuteilen, bei denen du unter Umständen auch kein Blatt vor den Mund nimmst.

    Mars-, Pluto- und Uranus-Konjunktion im 8. Haus: Du liebst es, sehr direkt mit deiner Umwelt zu kommunizieren, ggf. auch mit dem Kopf durch die Wand. Opposition Saturn, die angezogene Handbremse. (Dieser Umstand bereitete mir als Teenager oft Migräne, jetzt als Erwachsene kann ich ihn besser kanalisieren)

    Waage im zehnten Haus: Deine Bestimmung ist Gerechtigkeit für die Menschen, vielleicht wirst du Rechtsanwältin. In Verbindung mit dem Schützen als Aszendent kann es aber auch etwas im Ausland sein.

    Das waren auszugsweise die Worte des Astrologen. Damals konnte ich damit nicht viel anfangen, denn Jura wollte ich auf keinen Fall studieren, und das Ausland war für mich auch nicht aktuell. Doch jetzt, Jahrzehnte später, ergibt vieles plötzlich einen Sinn.

    Was die Zahlen sagen …

    Als ich 27 Jahre alt war, machte meine Mutter eine Kreuzfahrt auf dem Nil. Mit an Bord war ein Numerologe, der ein Seminar gab. Sie lernten dort, was die Zahlen unserer persönlichen Daten aussagen. Meine Mutter ließ dann auch meine Zahlen interpretieren. Das Ergebnis: Mein Leben würde sich mit 34 grundlegend verändern.

    Natürlich vergaß ich auch dieses Ereignis wieder. Doch jetzt im Nachhinein stelle ich fest: Ein paar Wochen vor meinem 34. Geburtstag gründeten wir den Verein, und ein paar Monate danach kamen meine Zwillinge auf die Welt. Und beide Ereignisse haben definitiv mein Leben grundlegend verändert.

    Der Islam lehrt uns, dass es die Vorbestimmung durch Gott gibt. Von den esoterischen Disziplinen halte ich inzwischen nicht mehr viel, doch könnten die oben genannten Erlebnisse kleine Anzeichen für das gewesen sein, was sich später ereignete.

    Mein Leben heute

    Ich war auf der Suche. Auf der Suche nach dem roten Faden in meinem Leben. Doch alle esoterischen Richtungen schienen so unabhängig voneinander. Ich aber wollte etwas Ganzheitliches, das meinem Leben einen Sinn gibt. Ich suchte, und ich fand: den Islam. Dort gibt es Antworten auf alle Fragen, und der Islam ist in sich stimmig und eine große Lebenshilfe.

    1992 war es dann soweit. Ich konvertierte zum Islam und heiratete auf muslimische Art. Es war die beste Entscheidung in meinem Leben. Jetzt ergaben viele Erlebnisse plötzlich einen Sinn. Ich verstand, dass Allah uns zu unserem Besten prüft, und dass es für jeden eigentlich nur ein Ziel gibt: nach dem Tod ins Paradies eintreten zu dürfen. Ist das nicht ein Ansporn für uns hier auf Erden? Ein Ansporn, Gutes zu tun, Enttäuschungen zu vermeiden und möglichst im besten Sinne und im Einklang mit der Schöpfung zu handeln. Das ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich

    Wie und warum ich den Islam als meine Lebensgrundlage angenommen habe, schreibe ich gern an anderer Stelle ausführlicher. In diesem Buch soll es vor allem darum gehen, wie ich die Freude am und die Berufung zum Helfen gefunden habe.

    Ich bin...

    Zur Erinnerung an meine Kindheitserlebnisse: Ich bin mit einem gambischen Gitarristen mit dunklen Augen, dunklen Haaren und sogar dunkler Haut verheiratet. Wir haben vier Kinder, die in beiden Ländern zur Schule gegangen sind. Mittlerweile leite ich seit über zwanzig Jahren die Hilfsorganisation „Help the poor and the needy e.V." in Berlin und Gambia, die den Ärmsten in der Region Bakau und Umgebung hilft, ihre Lebensumstände deutlich zu verbessern, indem die Reichen in den Industrieländern etwas abgeben, um es den Armen in den Entwicklungsländern zu geben. Na, wenn das kein Einsatz für die Gerechtigkeit ist. Aber nein, Robin Hood ist jemand anderes. Ach ja, und ich liebe es, über diese Tätigkeit zu kommunizieren. All diese Informationen sind wichtig, um die nachfolgenden Geschichten ein wenig besser zu verstehen.

    Suraya Jammeh, geboren 1965, humanistisches Abitur, zweieinhalb Jahre Geschichts- und Politik-Studium an der FU Berlin, Ausbildung zur IHK-geprüften Datenverarbeitungskauffrau und Fernstudium zur Autorin. Diverse Weiterbildungen in Öffentlichkeitsarbeit. Soweit meine beruflichen Qualifikationen, die mir jetzt bei der Umsetzung unserer Projekte sehr helfen

    1992 bin ich zum Islam konvertiert und habe islamisch geheiratet. Das war ein großer Meilenstein.

    In eine gambische Familie einzuheiraten ist etwa so, als ob du dich noch einmal neu erfinden musst. Vieles von dem, was du bisher als richtig empfunden hast, wird infrage gestellt und muss neu überdacht werden. Nicht immer ganz einfach, aber spannend und lehrreich allemal. Vielleicht animiert dieses Buch ja auch andere, die überlegen, so einen großen Schritt zu gehen, es mir gleichzutun. Das Verständnis für andere Kulturen kann unserer zerstrittenen, aber dennoch globalen Welt nur guttun.

    Mein Leben ist ein ständiges Überarbeiten meiner Paradigmen, und was kann einem da besser helfen als immer wieder neue Impulse von außen? Für diese Chance bin ich meinem Schöpfer sehr dankbar. Ich wünsche mir, dass jeder in dieser globalen Welt die Möglichkeit hat, mit der gleichen Offenheit für das „Andere, das „Neue durch die Welt zu gehen und ebenfalls so wunderbare Dinge zu erleben.

    Philantrophin

    Ich bezeichne mich selbst als Philanthropin (Philos = Freund, Anthropos = Mensch). Ich liebe die Menschen, und mein größtes Ziel ist, dass es allen Menschen in meiner Umgebung gut geht. Daran arbeite ich täglich und freue mich, einen kleinen Teil dazu beitragen zu können.

    Philanthropie gibt es schon seit der Antike; sie wird in den verschiedenen Gegenden und Religionen der Welt unterschiedlich gehandhabt. Überall auf der Welt gibt es Stiftungen, Vereine, Hilfsorganisationen und natürlich auch wohlhabende Einzelpersonen, die sich der Philanthropie verschrieben haben

    Im Dezember 2016 gab es in Gambia einen Regierungswechsel, der nicht ganz störungsfrei verlief. Der abgewählte Präsident wollte nicht abtreten. Soldaten der befreundeten Nachbarländer standen an den Grenzen, um einzugreifen. Die Situation war nicht ganz ungefährlich, und alle Freunde baten uns inständig, doch das Land zu verlassen. Dazu später im Buch einen ausführlichen Tagebuchbericht.

    Doch in mir sperrte sich etwas. Ich wollte nicht, auch nicht zum Schutz meiner eigenen Kinder. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, warum. Ich bin in Gambia angetreten, um den Armen zu helfen. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich bei der ersten schwierigen Situation als privilegierte Person gleich die Flucht ergreife. So harrten wir aus, Seite an Seite mit den Menschen, für die wir da sein wollen.

    Die Rolle des Islams

    Der Islam schreibt für die Unterstützung derjenigen, die am meisten Hilfe benötigen, zwei Arten der Unterstützung vor. Die zakat, das ist eine jährliche Pflichtabgabe von 2,5 Prozent auf die Vermögenswerte derjenigen, die ein gewisses Einkommen haben. Und die sadaqa, eine freiwillige Abgabe in beliebiger Höhe. Zu beiden gibt es noch verschiedene Kategorien, doch ich möchte an dieser Stelle nicht ins Detail gehen.

    Da wir unsere Arbeit ehrenamtlich machen, kann ich eher weniger Geld spenden, aber ich spende meine Zeit für die Umsetzung der vielen tollen Projekte, die wir mithilfe unserer deutschen Spender und Sponsoren anstoßen und umsetzen können.

    „Sondern trachte mit dem, was Allah dir gegeben hat, nach der jenseitigen Wohnstätte, vergiss aber auch nicht deinen Anteil am Diesseits. Und tue Gutes, so wie Allah dir Gutes getan hat. Und trachte nicht nach dem Unheil auf der Erde, denn Allah liebt nicht die Unheilstifter."²

    Aber warum macht eine praktizierende Muslimin das alles? Jetzt kommt ein kleiner Versuch, meine Motivation zu erklären.

    Folgenden sinngemäßen Text hat mir eine liebe Freundin geschickt. Leider ist mir der Autor unbekannt, doch ist die Theorie dahinter für mich so aussagekräftig, weil sie die Motivation vieler praktizierender Muslime darstellt. Deshalb möchte ich ihn meinen Lesern nicht vorenthalten.

    Mit jedem Tag, der vergeht, kommen wir unserem Tod ein Stück näher. Wir werden dann vor Allah stehen und Rechenschaft ablegen. Allah sagt im Koran:

    „Gewiss, sie sehen sie [die Strafe] weit entfernt, Wir aber sehen sie nahe!" (70:6–7)

    Viele Menschen sind dieser Tatsache gegenüber sehr unachtsam. Denn nur zu wissen reicht nicht, sondern das Wissen muss auch einen Einfluss auf das Handeln des Menschen haben. Unser Wunsch, das Paradies zu betreten, erfüllt sich nicht einfach nur deshalb, weil wir uns selbst als Muslime bezeichnen. Er bleibt ein Wunsch, bis wir anfangen, danach zu trachten.

    „Diejenigen (aber), die glauben, und diejenigen, die auswandern und sich auf Allahs Weg abmühen – jene hoffen auf Allahs Erbarmen. Allah ist allvergebend und barmherzig" (2:218)

    Nach der Barmherzigkeit zu trachten heißt demnach also, nicht nur zu glauben, sondern auch zu handeln.

    Nach der Barmherzigkeit Allahs zu trachten umfasst im Wesentlichen drei Punkte:

    Dass man das, wonach man trachtet, liebt.

    Dass man Angst davor hat, das, wonach man trachtet, zu verpassen.

    Dass man sich entsprechend den eigenen Möglichkeiten Mühe gibt beim Trachten nach dem Gewünschten.

    Diese drei Dinge müssen allesamt gegeben sein. Dann bedeutet es im Arabischen, dass man wirklich nach etwas trachtet. Das Wünschen alleine reicht demnach nicht, um das Ziel, in diesem Fall die Barmherzigkeit Gottes, zu erlangen. Doch leider hängen die meisten Menschen diesem Wunschdenken an.

    In Sure 18:110 des Korans sagt Allah:

    „[…] Wer nun auf die Begegnung mit seinem Herrn hofft, der soll rechtschaffen handeln und beim Dienst an seinem Herrn Ihm niemanden beigesellen."

    Diejenigen, die also wirklich auf ein Treffen mit Allah hoffen können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllen:

    Sie verrichten rechtschaffene Werke

    Sie haben ikhlas (Aufrichtigkeit in den Taten und Gottesdiensten), glauben einzig an Allah und gesellen Ihm nichts bei.

    Das ist im Wesentlichen meine Begründung für mein Tun in Gambia. Selbstverständlich gibt es noch andere kleinere Gründe, die sich dem Hauptgrund in angenehmster Weise anschließen. Die Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen, recht häufig an die eigenen Grenzen herangeführt zu werden, das schöne Wetter und schließlich ein Leben mit viel weniger Gesetzen und Verboten seitens der Gesellschaft. Doch dazu später mehr

    Warum aber nun dieses Buch?

    Für mich ist Schreiben die höchste und schönste Form des Lernens. Ein Mittel, um das Gelernte in Worte zu fassen. Der Beweis, es verstanden zu haben. Und ich möchte keine Lektion in meinem „Klassenzimmer Afrika" verpassen oder gar eine unaufmerksame Schülerin sein.

    Manchmal ist es hart, sehr hart. Die andere Sicht der Dinge, ein anderes Verständnis von Disziplin und Präzision lassen viele Deutsche hier schlichtweg verzweifeln. Doch die „Gäste" sind wir. Und das Letzte, was die Gambier und auch andere Afrikaner brauchen, sind schon wieder Weiße, die ihnen sagen, wo es langgeht. Diese zweimalige Erfahrung aus der Geschichte Schwarzafrikas (Sklavenhandel und Kolonialismus) müssen wir nicht wiederholen.

    Doch wir müssen auch dort hinschauen, wo alle Fehler machen, sei es, dass einige gierige internationale Geschäftsleute die Armut Afrikas auf unverschämte Weise ausnutzen oder, dass sie mithilfe von gern gesehenen Bestechungsgeldern, die jene, die die Einhaltung der Gesetze kontrollieren sollten, Gesetze umgehen. Doch dazu später im Buch.

    Andere hingegen lassen keine Gelegenheit aus, die Weißen zu kopieren. Doch für meinen Geschmack sieht eine blonde glatthaarige Perücke an einer schwarzen Frau genauso unpassend aus wie bunt gemusterte Kleider an einer Weißen. Doch wie heißt es so schön: Jedem Tierchen sein Pläsierchen.

    Ich begegne vielen Menschen, die mein Pendeln zwischen den Kontinenten neugierig macht, und mir werden in Deutschland oft sehr viele Fragen gestellt. Fragen wie …

    Wie ist es denn so in Afrika?

    (eine Frage, die man bestimmt nicht in zehn Minuten beantworten kann)

    Was gefällt dir so gut dort?

    Was macht dich glücklich?

    Wie kommst du mit der Armut dort klar?

    Diese und vor allem die Frage, warum Afrika mich Gott nähergebracht hat, möchte ich in diesem Buch beantworten.

    Eigentlich wollte ich einen Ratgeber schreiben über den Aufbau einer Hilfsorganisation im In- und Ausland. Doch erschien mir dieses Vorhaben nicht spannend genug. Auch die Zielgruppe, also die möglichen Leser eines solchen Buches, wäre wahrscheinlich nicht sehr groß.

    Der Schwerpunkt liegt jetzt auf den Geschichten, die ich hier tagtäglich erlebe, und was ich aus ihnen gelernt habe.

    Die eine oder andere Begebenheit werden aufmerksame Leser meines Blogs vielleicht wiedererkennen. Aber das sind nun einmal meine Erlebnisse, die ich jetzt in diesem Buch zusammengefasst habe. Es sind Geschichten, die das Herz berühren, traurig machen, zum Nachdenken anregen.

    Ich habe viel aus diesen Begegnungen gelernt und wünsche mir, dass meine Leser genauso viel aus der Lektüre dieses Buches mitnehmen können.

    Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ich habe dieses Buch aus vier Gründen geschrieben. Der wichtigste ist wohl Aufklärung.

    Aufklärung

    Ich weiß es von mir selbst. Du sitzt vor dem Fernseher, hörst, dass Hunderte von jungen Männern vor Lampedusa ertrinken, und verstehst überhaupt nicht, warum. Durch die Heirat mit meinem Mann, der über vierzig Jahre in Deutschland lebte, aber immer engen Kontakt nach Gambia pflegte, bekam ich eine Ahnung davon, was die Gründe sein könnten. Doch jetzt, durch ein Leben Tag für Tag an der Seite derjenigen, die theoretisch jeden Moment auf die gleiche Idee kommen könnten oder diese Idee schon lange in sich tragen und nur auf den richtigen Moment warten, wurde mir einiges klarer.

    Ihre Beweggründe sind verständlich, wenn sie auch ein völlig falsches Bild davon haben, was sie erwartet. Hier betreiben wir Aufklärungsarbeit in die andere Richtung, doch leider sind da oft beide Ohren zu. Wer glaubt, die Lösung für all seine Probleme gefunden zu haben, lässt sich das schwer wieder ausreden, schon gar nicht von jemandem, der selbst dort war und in ihren Augen alles erreicht hat. Dass sich Zeiten ändern und die Willkommenskultur eine komplett andere geworden ist, können sie nicht verstehen.

    Seit ich in Gambia bin, versuche ich, Zusammenhänge zu verstehen, und lasse meine Leser daran teilhaben. Eine meiner Blog-Leserinnen meinte kürzlich, sie würde meinen Tagesablauf besser kennen als den ihrer besten Freundin. Eine andere bestätigte mir, dass sie bei unseren Charity-Ausgaben das Gefühl habe, mitten in unserem Büro zu stehen und mitzumachen. Na, wenn das keine Transparenz ist.

    Mut machen

    Das Buch soll aber auch Mut machen, anhand der darin enthaltenen Hinweise und Erfahrungen vielleicht selbst Ideen zu entwickeln, wie vor Ort geholfen werden kann, oder was wir in unseren Heimatländern tun können, um den afrikanischen Kontinent aus der Abhängigkeit zu holen und den Afrikanern so viel Stärke zu geben, dass sie auf eigenen Beinen stehen können. Einige unserer Charity-Projekte sind leider Aktionen, die nicht die eigene Selbstständigkeit fördern. Doch erstens gibt es Personenkreise, die sich nicht mehr selbst helfen können, wie alte, kranke und behinderte Menschen, und zweitens können sie nicht von null auf hundert auf eigenen Beinen stehen – das braucht Zeit, ein gutes Konzept und vor allem Anleitung. Dafür sind wir da. Um langfristig mit ihnen zusammen Projekte zu entwickeln, die das System verändern. Dafür müssen wir in ganz kleinen Schritten vorgehen und Bewusstsein schaffen.

    Chance

    Das Buch kann aber auch als Chance verstanden werden, besonders für alle religiösen Menschen unter den Lesern. In allen Religionen geht es letztlich darum, was wir in dieser Welt machen, und wie es uns für die Zukunft angerechnet wird. Die Beschäftigung mit dem Kontinent Afrika (und natürlich auch mit anderen armen Ländern) bietet eine enorme Chance, das eigene Gute-Taten-Konto aufzufüllen, sei es durch Hilfe für die Menschen vor Ort oder auch dadurch, die globalen Auswirkungen des eigenen Handelns besser zu verstehen und korrigieren zu können.

    Unterhaltung

    Schließlich soll das Buch aber auch unterhalten. Trotz meiner Zeit an der Uni, in der auch ich gelernt habe, wissenschaftlich zu denken und zu schreiben, ziehe ich das verständliche, für jeden zugängliche Schreiben vor, zumal einige der Geschichten, die wir hier erleben, für uns Europäer so unwirklich erscheinen, dass sie glatt als Science Fiction durchgehen könnten.

    Andererseits rühren die Erfolgsgeschichten dann auch wieder das Gemüt an. Wenn sich Träume erfüllen und die Sponsoren und wir dabei mitgeholfen haben, macht es das Herz weich vor Freude.

    Auf der anderen Seite sind da die Geschichten, bei denen einem das eben erwähnte Herz vor Mitgefühl beinahe stehenbleibt. Da erleben wir Schicksale, die beim Zuhören schon fast nicht zu ertragen sind. Umso bewundernswerter, wie gefasst die Betroffenen selbst damit umgehen.

    So, nun hoffe ich, dass ihr mit Freude das Buch lest und vielleicht sogar Ideen für das ein oder andere Projekt habt

    Motivation

    Aufklärung, Mut machen, Chancen wahrnehmen und Unterhaltung sind Gründe genug, um dieses Buch zu schreiben. Doch mir geht es auch um die Erkenntnisse zwischen den Zeilen.

    Zwischen zwei Kontinenten zu leben birgt Chancen. Chancen, genauer hinzuschauen und von beiden Seiten zu lernen. So können die eigenen Standpunkte immer wieder überdacht und neu justiert werden, zumal die Unterschiede zwischen Europa und Afrika schon erheblich sind. Wir reden hier nicht von Europa und Amerika.

    Für etwas, das dir dein ganzes Leben selbstverständlich erschien, plötzlich belächelt zu werden, macht demütig und bestenfalls ein wenig weise. Überheblichkeit und Arroganz weichen, und die Erkenntnis macht sich breit, dass unsere Lebensauffassung nicht die einzig gültige auf der Welt ist.

    In vielen Büchern von Solopreneuren, die um die Welt reisen, liest man, dass sie die Erfahrung machen, dass eine Woche in einem fernen Land mehr bildet als jahrelange Workshops und Seminare. Das kann ich nur zu gut bestätigen.

    So liegt meine persönliche Motivation, warum ich diesen Weg gewählt habe, darin, mehr über mich und meine Grenzen zu erfahren und damit Gott ein Stück näherzukommen, und die Motivation für dieses Buch darin, meine Leser an diesem Prozess teilhaben zu lassen.

    Lernprozesse

    Jeder Mensch hat seine größeren oder kleineren Probleme und seine Herausforderungen, überall auf der Welt. Einige sind mit großem Leid verbunden, andere nur vorübergehend. Sie alle sind Lernprozesse. Wir müssen nur achtsam sein, die Aufgaben zu erkennen, die uns wachsen lassen.

    Vielleicht geht das in einem Land weit weg von der eigenen Kultur leichter, weil wir sowieso auf Lernen programmiert sind. Die permanente Neuausrichtung auf fremde Verhaltensweisen ist nicht gerade einfach, aber hält uns fit und offen. In der vertrauten Umgebung gibt es oft wenig Anlass, mal genauer hinzusehen. Doch wenn wir diesen Wachstumsprozess wirklich wollen, sollte er überall möglich sein.

    In jedem Land gibt es Menschen mit harten Schicksalsschlägen. Aber in Afrika gibt es kein System, das die Betroffenen pampert und auffängt, wenn es mal eng wird. Selbst wenn alles verloren scheint, können wir in Deutschland darauf vertrauen, dass die Konsequenzen halbwegs erträglich ausfallen. Das sind die Errungenschaften eines Sozialstaates.

    Hier ein kleines Beispiel, das die Unterschiede etwas besser erklärt:

    Wird eine Frau in Deutschland zur Witwe, bekommt sie Witwenrente, Grundsicherung, Hartz 4 oder Ähnliches. Sie wird nicht auf großem Fuß leben können, doch sie wird ein Dach über dem Kopf haben und sich ernähren können. Wenn sie noch kleine Kinder hat, bekommen diese Waisenrente und Kindergeld ohnehin. So können alle nachts ruhig schlafen und müssen in der Regel keine Existenzängste haben.

    Ganz anders in Afrika. Ich nehme jetzt mal ein Beispiel von den weit über hundert Witwen, die wir betreuen, heraus.

    Anfang des Jahres kam eine Witwe zu uns, die uns folgende Geschichte erzählte: Sie kommt ursprünglich aus dem Ort, in dem wir unser Büro haben, ist nie zur Schule gegangen und hat in eine Stadt geheiratet, die etwa auf halber Höhe des Gambia-Flusses landeinwärts liegt. Dort lebte sie auf dem Familiengrundstück ihres Mannes, und sie bekamen neun Kinder. Als ihr Mann plötzlich sehr krank wurde, begleitete sie ihn ins Krankenhaus und ließ ihre Kinder bei den Verwandten zurück.

    Der Bruder des Mannes suchte dann die Unterlagen der Familie und fand sie in einem Umschlag im Haus. In diesem Umschlag waren die Geburtsurkunden der Kinder, der Arbeitsvertrag des Mannes und die Grundstückspapiere. Er verbrannte den kompletten Umschlag. So waren von einem Moment auf den anderen alle Papiere und Nachweise der Familie vernichtet.

    Der Mann starb im Krankenhaus, und die Frau kehrte zu ihren Kindern zurück. Sie hatte nun zunächst keine Beweise mehr für ihre Rechte an diesem Grundstück. Für Analphabeten wie sie ist es eine große Herausforderung, zu den Ämtern in der 150 Kilometer entfernten Hauptstadt zu gehen und sich für ihre Papiere und ihre Rechte einzusetzen. Kurze Zeit später stürzte dann auch noch ihr Haus ein, es wurde aber glücklicherweise niemand verletzt. Allerdings hatten nun Mutter und Kinder kein Zuhause mehr. Acht ihrer Kinder brachte sie bei Verwandten unter, und mit dem Jüngsten ging sie zurück zu ihrem Bruder nach Bakau. Er gibt ihr nun eine warme Mahlzeit am Tag und ein Dach über dem Kopf. Frühstück, Abendessen, Kleidung, die Schulgebühren für die Kinder, Seife … dafür hat sie kein Geld. Sie steht vor dem Nichts.

    Nun fragt sich der europäisch sozialisierte Leser bestimmt: „Warum in Gottes Namen machst du so viele Kinder, wenn du kein Geld hast, sie zu ernähren?" Eine sehr berechtigte Frage, auf die es eine recht einfache Antwort gibt. Weil Kinder in Gesellschaften wie diesen immer noch eine Hoffnung auf ein wenig Einkommen im Alter sind. Es gibt zwar ein Rentensystem, aber das greift nur, wenn man in sozialversicherungspflichtigen Berufen, vornehmlich in der Regierung oder in Bürojobs gearbeitet hat. Als Analphabetin fällt diese Möglichkeit natürlich weg, und so ruht die ganze Hoffnung auf den Kindern, die die Eltern im Alter ernähren sollen.

    Eine andere Frage,die wir uns stellen: Warum verbrandte der Bruder alle Papiere? Um als alleiniger Besitzer von Haus und Grundstück zu gelten und nicht mit Schwägerin und den Kindern teilen zu müssen.

    Dank einer lieben Spenderin können wir dieser Witwe nun monatlich einen kleinen Zuschuss geben, damit sie sich wenigstens das Nötigste leisten kann.

    Aus solchen Geschichten können wir alle viel lernen. Die folgende Erklärung ist eine islamische, es obliegt also jedem Einzelnen, inwieweit er sie annehmen kann.

    Materielle Güter sind auf diesem Planeten sehr ungleich verteilt.

    Wir alle (Opfer und Helfer) sollen daraus etwas lernen. Die Opfer Gottvertrauen und Geduld, die Helfer Barmherzigkeit und Empathie.

    Die Belohnung für alle: Die Armen kommen fünfhundert Jahre früher ins Paradies³, die Helfer können gute Taten (arab. hassanat) tun und damit ihr eigenes Paradies vorbereiten.

    Wie jeder aus seinem eigenen Leben weiß, trainiert die ständige Wiederholung einer Sache ungemein. Neben vielen handwerklichen Fertigkeiten, die man hier lernen muss, weil man nicht einfach auf den berühmten Knopf einer Maschine drücken kann, bestehen meine Lernprozesse auch darin, die „Empathie-Muskeln" zu trainieren und Mitgefühl und Lösungsmöglichkeiten zu bieten.

    Prüfungen

    So weit, ein Sozialsystem mit Witwenrente zu etablieren, ist Gambia noch lange nicht. Es ist eher so, als ob Gott dich herausfordert. Schaffst du es, oder gehst du unter? Es fühlt sich ein wenig an wie ein Seiltanz. Die Wahrscheinlichkeit, am anderen Ende anzukommen, besteht zwar, aber wenn du stürzt, dann richtig.

    Das ist es, was mich das Leben wieder spüren lässt, was mich lebendig hält und Allah und dem Schicksal gegenüber bewusst macht. Es ist ein Ringen darum, das Leben zu meistern. Es ist schier unmöglich, dem Schicksal gegenüber gleichgültig zu sein. Ein Moment Unaufmerksamkeit, und es hat dich erwischt.

    Auch sind wir bei unserer täglichen Arbeit immer wieder aufs Heftigste überrascht, wie sich Lebensweisen entwickeln können, und wie das Schicksal von jedem Einzelnen ertragen werden kann. Meine Mitarbeiter und ich fragen uns oft, wie die Menschen, die uns aufsuchen, bestimmte Lebenswendungen aushalten können. Und doch geht es irgendwie immer weiter.

    Viele fragen mich dann,

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