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Bis morgen - in zweieinhalb Jahren: Segelgeschichten zwischen Schleswig und Havanna
Bis morgen - in zweieinhalb Jahren: Segelgeschichten zwischen Schleswig und Havanna
Bis morgen - in zweieinhalb Jahren: Segelgeschichten zwischen Schleswig und Havanna
eBook271 Seiten3 Stunden

Bis morgen - in zweieinhalb Jahren: Segelgeschichten zwischen Schleswig und Havanna

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Über dieses E-Book

Das Reisen und Leben auf einem Segelboot ist unmittelbar, vielfältig und voller Überraschungen. Dass Murphys Gesetz an Bord oft besonders hart zuschlägt, dass Begegnungen mit charismatischen Früchteverkäufern und exzentrischen Taxifahrern erhellend sein können, wie sich Weltenbummler mit leeren Taschen und stolze Besitzer von Superyachten verstehen, dass sich Maden gerne im Brotteig verstecken und Besuch von Schlangen nicht ausgeschlossen ist, dass Stimmen über dem nächtlichen Ozean nicht beunruhigend sind und das Bermudadreieck seinem schlechten Ruf durchaus gerecht wird: Das alles erfährt man in einem Fahrtenseglerleben - oder man liest dieses Buch.

Während zweieinhalb Jahren hat Regula Gurtner mit ihrem Partner Thomas Büchi auf einem Segelboot gelebt. Mit ihrer BALU sind die beiden von der Ostsee in die Karibik und wieder zurück gesegelt. In einem persönlichen Rückblick nimmt die Autorin die Leser mit auf die Reise. Sie zeigt, welche Themen das Leben an Bord besonders prägen und erzählt von den Erlebnissen und Begegnungen des Seglerpaares, die damit verbunden sind.

Ein Buch für alle, die ein Fenster im Alltag öffnen möchten - zu einem bunten Panorama von Segelgeschichten zwischen Schleswig und Havanna.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Jan. 2017
ISBN9783734575310
Bis morgen - in zweieinhalb Jahren: Segelgeschichten zwischen Schleswig und Havanna

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    Buchvorschau

    Bis morgen - in zweieinhalb Jahren - Regula Gurtner

    Kapitel 1: If there’s no problem, it’s not a boat

    ¹

    Es gibt etwas, was du auf einem Boot immer erwarten kannst, und das ist das Unerwartete.

    (Mike Peyton)

    Es war auf Gran Canaria während der Vorbereitungen auf die Atlantiküberquerung. Einige Instandhaltungsarbeiten an unserer BALU hielten uns ziemlich auf Trab, als unser italienischer Bootsnachbar versöhnlich und mit charmantem Akzent bemerkte: „If there’s no problem, it’s not a boat." Dieser Spruch verbreitete sich nicht nur in Windeseile auf dem gesamten Bootssteg und sorgte für einige wissende Lacher, sondern hat uns auch während unserer ganzen Reise begleitet. Immer wieder gab es Grund dazu, sich diesen Satz ins Gedächtnis zu rufen – sei es beim Säubern der festgeklemmten Logge in hohem Seegang oder anlässlich eines Rippenbruchs beim unbequemen Stöbern in der Heckkoje –, bis er uns schliesslich fast ständig auf der Zunge lag. Auch heute, da ich fernab von Meer und Wasser in der geheizten Stube sitze, brauche ich nur meine Augen zu schliessen und schon liegt mir unser ehemaliger Stegnachbar mit seinem Singsang in den Ohren.

    Bereits in der Zeit der Reisevorbereitung, während der ich jeden Bericht über Segelreisen verschlang, der mir in die Hände fiel, musste ich feststellen, dass in diesen Erzählungen auffallend oft von Bootsreparaturen, Bruch oder sonstigen Missgeschicken die Rede war. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir etwa Tania Aebis eindringliche Schilderungen des Wassereinbruchs am ersten Tag der Weltumsegelung der damals 18-Jährigen² , oder wie die beiden deutschen Blauwassersegler Rüdiger und Gaby sich gezwungen sahen, bereits auf ihrer ersten Etappe auf dem Rhein den Funkspruch „Segelyacht KAYA treibt manövrierunfähig" abzusetzen³.

    Besonders schaurige Beispiele bot der Klassiker aus den 80er-Jahren Yachtunfälle mit dem Einband in mahnendem Rot, den mein Freund aus mir damals unverständlichen Gründen jeweils auf den Segeltörns, die er als Skipper begleitete, mitführte. Während jedoch in diesen analytischen und schonungslosen Berichten von Havarien, Kollisionen und Feuer an Bord meist der menschliche Faktor eine grosse Rolle bei den sich entwickelnden Dramen spielte, war in den verschiedenen Reiseberichten der Fahrtensegler, die ich dann doch lieber las als die reinen Katastrophen-Reigen, eher von kleineren Miseren und der ständigen hohen Beanspruchung des Materials die Rede. Offenbar waren die Schiffe, mit denen die abenteuerlustigen Segler, von denen ich las, unterwegs waren, nie für eine richtige Reise gebaut worden, sondern lediglich für das wochenendliche, gemütliche Schippern von Hafen zu Hafen. Es ist schon bemerkenswert, was in diesen Berichten jeweils geleimt, gebohrt, geschmiert, gesäubert, gelötet, gesägt, gemalt, genäht, gebastelt, geweint und gelacht wird.

    Es versteht sich, dass es uns auf unserer Segelreise nicht viel anders ergehen sollte. Wobei an dieser Stelle auch gesagt werden muss, dass uns das fast frühsommerliche Wetter während der ersten Wochen unterwegs einen wunderbaren Reisestart und beste Stimmung bescherte. Für die – für diese Breiten relativ wenigen – feuchtkalten und stürmischen Tage, die uns in Cuxhaven und auf Helgoland fest im Griff hatten, wurden wir bald entschädigt mit gemütlichen Kanalfahrten im Pulli durch die Gärten Hollands, mit Zimtkuchen und Kaffee auf den Sommerterrassen von Dokkum und Groningen und mit sonnendurchfluteten, reich duftenden Blumengärten auf den Frischmärkten Amsterdams.

    Man konnte uns nicht nachsagen, das Wetterglück während der ersten Zeit nicht verdient zu haben, denn bis zu unserem Aufbruch hatten wir fleissig jede freie Minute damit verbracht, unsere Reise vorzubereiten, den Ausstieg aus dem ganz normalen Wahnsinn unseres Alltags zu organisieren und unsere Etap 39s BALU für die grosse Reise auszurüsten. Um in dieser turbulenten Zeit das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, hatten wir rund ein Jahr vor dem grossen Absprung das Datum des Reisebeginns auf den 1. Mai 2010 festgelegt und eine monatliche Todo-Liste erstellt. Auf dieser Liste standen spannende Aufgaben wie:

    Funkschein machen, Nothelferkurs wiederholen, Kontaktadresse auf der Gemeinde hinterlegen, Vollmachten für Kontaktperson ausstellen, Versicherungen kündigen, alle Abos kündigen, Schweizer Flaggenschein und Funklizenz beantragen, Zahnarzt besuchen, Website erstellen, Haus renovieren, Mieter suchen, Selbstverteidigungskurs belegen, Krankenkasse weltweit organisieren, biometrischen Pass beantragen, diverse Impfungen über sich ergehen lassen, neue Kreditkarten bestellen, Hausrat auflösen, Autoverkauf organisieren, Jobs kündigen, letzte Steuern berechnen und bezahlen, abmelden.

    Je nachdem, welches Hindernis sich dem jeweiligen Vorhaben in den Weg stellte, verschob sich, zugegeben, die eine oder andere Aufgabe in die Liste des nächsten (oder übernächsten) Monats. Schliesslich waren dann aber doch alle Punkte, mehr oder weniger, abgearbeitet.

    Es ist Ende März und endlich werden wir in die Freiheit entlassen. Den Hausschlüssel haben wir an die Mieter übergeben und stehen vor dem vollgepackten Auto, das auf unsere für den nächsten frühen Morgen angesetzte Abreise wartet. In mehreren Anläufen sind die Gepäckstücke, wie Spielsteine beim Tetris, millimetergenau im Kofferraum platziert worden (game over: nächster Versuch), das Grosssegel, die Gangway aus einem alten Bücherregal und die eloxierten Aluminiumrohre für den zukünftigen Heck-Geräteträger sind auf dem Autodach festgezurrt. Etwas verloren liegen noch einige Überbleibsel herum, die im Wagen einfach keinen Platz mehr gefunden haben: zwei Campingstühle, ein kleines Zweierzelt und eine Holzkiste mit einigen Flaschen Wein aus aller Welt, Geschenke aus der Jugendzeit und Erinnerungsstücke von früheren Reisen, von denen wir uns dann doch nicht so einfach trennen konnten.

    (Man kann sich sicherlich fragen, was man mit Zelt und Campingstühlen auf einem Boot will (für den Wein liesse sich durchaus Verwendung finden), aber damals in der Kinderstube unseres „Abenteurerlebens dachten wir, dass wir für jegliche Situationen von Anfang an gewappnet sein müssten. Es fehlte uns damals noch die Gelassenheit, zu erkennen, dass sich Dinge wie Campingstühle oder ein Zelt bei Bedarf fast überall auf der Welt beschaffen liessen und dass man sie an den Orten, an denen dies nicht der Fall wäre, wahrscheinlich auch nicht brauchen würde. Ich erinnere mich immer wieder gerne an die Worte einer Hinwilerin, die mit der ganzen Familie in die Antarktis und wieder zurück gesegelt war. Bei einem Bildervortrag zu ihrer Reise hatte diese einer staunenden Zuhörerin, die wissen wollte, wie um Himmelswillen sie denn die ganze Garderobe für die verschiedenen Klimazonen auf dem kleinen Boot unterbringen konnte, geantwortet: „Auch in Afrika kann man Kleider kaufen.)

    Da stehen wir also nun und wissen nicht wohin mit den übrig gebliebenen Dingen. Was haben wir in den letzten Wochen, ja Monaten, nicht alles verkauft, verschenkt und weggeworfen – einen fast erdrückenden Haufen von Sachen, mit denen man sich in einem kommerziell geprägten Leben so umgibt und deren Besitz man sich dennoch kaum bewusst ist. Zurück ins bereits an die Mieter übergebene Haus können die Restlinge nicht und mitnehmen steht ausser Frage. Zu Bekannten bringen oder gar zum Entsorgen fahren können wir sie ebenfalls nicht, denn das Auto ist ja voll. Die Retterin in der Not ist Thomas’ Schwester, die auf ihrem Weg an eine Messe spontan einen Umweg fährt und die Campingstühle und das Zelt kurzerhand in den Kofferraum ihres Honda packt. Der Kiste Wein erbarmen sich unsere Nachbarn, die uns auch während unserer letzten Nacht in der alten Heimat beherbergen, uns mit einem Abschieds-Käsefondue verwöhnen und morgens um vier mit uns aufstehen und für uns Kaffee kochen. Sie winken uns zu, als Thomas das verdächtig in den Federbeinen liegende Auto aus der Ausfahrt zirkelt und ich mir schliesslich doch ein paar Tränen aus den Augen wische.

    Nachdem wir endlich auf unserem Boot eingezogen waren, fingen die Arbeiten an unserer BALU erst richtig an. Während das Schiff noch aufgebockt in der Halle stand und wir die grundlegenden Einrichtungen und Reparaturen vornahmen, wurde der begrenzte Lebensraum an Bord zur Baustelle. Wenn ich nun, einige Jahre später, das Logbuch jener Tage überfliege, springt es schon ins Auge, dass wir zu der Zeit noch im Takt der leistungsorientierten Arbeitswelt funktionierten. Sämtliche erledigten Dinge werden auf den randvollen Seiten säuberlich aufgeführt, die Agenda ist eng gesetzt. Wie akribisch da die einzelnen Arbeiten festgehalten werden, zum Beispiel auch für einen so betitelten „faulen" Samstag:

    Logbuch: Samstag, 17.04.2010 – Lazy Day

    -Batterien umgehängt, da Starterbatterie unterladen (es muss ein Problem mit Philippi-Ladegerät bestehen)

    -Besorgungen im Baumarkt

    -Thomas zieht neues Kabel für Dampferlicht in Mast ein und befestigt Dampferlicht neu

    -Regula streicht Antifouling: Saildrive (2. Schicht), Propeller (3. Schicht), Kiel (2. Schicht), Ruderblatt (3. Schicht)

    -Thomas streicht Wasserlinie und Bereich hinter Saildrive (3. Schicht)

    -Rumpf poliert Steuerbord & Backbord

    -aufklaren; Apéro

    Nach dem Einwassern geht es in der gleichen Kadenz weiter. Von Pausen ist in den Notizen nur selten die Rede, aber immerhin scheint es für den einen oder anderen kurzen Plausch mit den Bootsnachbarn oder den Technikern vor Ort gereicht zu haben:

    Logbuch: Samstag und Sonntag, 24.04. & 25.04.2010

    -Navitisch-Blindwand: Einlass für Wetterfax ausgesägt und Gerät eingepasst (und staubsaugen!)

    -Wassertank nochmals geleert und neu gefüllt bis zum Anschlag: jetzt ist alles dicht

    -Raymarine-Plotter auf neuem Geräteträger (Teak) montiert und angeschlossen

    -auf Deck alte Rettungsinselhalterung demontiert, alte Sika abgekratzt und alte Löcher abgedichtet

    -Techniker Marcel besucht uns über Mittag und schaut sich mögliche Anschlüsse für den Windgenerator an; zu unseren Fragen meint er schliesslich nur „RFM" (read the f**ing manual)

    -Genua und neues Gross angeschlagen (im Pulli), es ist ein Mastrutscher zu wenig(!), Schiff vorher gekehrt und in den Wind gestellt (Heck zum Steg)

    -aufklaren und einkaufen

    - Luken: Scharniere ölen und Gummis fetten, Luken reinigen

    - Windgeni an Batterien angeschlossen (RFM…)

    - Radarwarner: Kabel gezogen und angeschlossen

    - NMEA-Verbindungskabel von Raymarine Plotter zum Navitisch gezogen, leider 1m zu kurz!

    - Epirb montiert, diverse Assecoires an Kabinentüren angebracht (WC-Schildchen, Anker aus Holz etc.)

    - Deck abgespritzt, Deckaufbau poliert

    - defekter Schalter am Schaltpaneel ersetzt (Dampferlicht)

    - Abendessen im Cockpit & Kafi mit Rüdiger und Corinna (Holzboot ggü)

    Später, nach vielen Monaten unterwegs, nahmen wir es mit dem Festhalten der erledigten Arbeiten am Boot nicht mehr ganz so genau wie auf diesen ersten Seiten des Logbuchs. Die karibische Hitze hatte zudem unsere Kadenz gedrosselt. Obwohl – man kann diese Tendenz nicht nur der einlullenden Wärme der tropischen Klimazone zuschreiben. Der Prozess des Entschleunigens hatte bei uns eigentlich schon in den nördlichen Breiten eingesetzt, während der Fahrt entlang der Staande Mast-Route, einem Wasserweg quer durch Holland, der, wie der Name sagt, mit stehendem Mast zurückgelegt werden kann, da sich sämtliche Brücken auf dem Weg öffnen lassen. Die zahlreichen Hebebrücken und Schleusen entlang dieser Binnen-Route bremsten uns aus – ob wir nun wollten oder nicht. Langsam aber sich entfernten wir uns vom hektischen Alltag und fingen an, die Spazierfahrt durch die charmanten Dörfer und weiten Ebenen Hollands in vollen Zügen zu geniessen. Für einige Schrecksekunden sorgten lediglich die Anzeigen auf dem Echolot, die nicht selten die 1,4-Meter-Grenze kratzten. Glücklicherweise (wenn man bedenkt, dass der Tiefgang der BALU 1,5 Meter beträgt) bestand der Grund in den Kanälen mehrheitlich aus sehr weichem Schlamm. Dieser wurde leicht aufgewirbelt und brachte immer mal wieder die Tiefenmessung durcheinander.

    Dass sich die Entschleunigung an Bord in den folgenden Monaten definitiv etabliert hatte, wird spätestens beim Durchsehen der Logbuchseiten zu unserem mehrmonatigen Aufenthalt auf Grenada und Trinidad während der atlantischen Hurrikansaison 2011 deutlich. In Chaguaramas hatten wir, wie so viele Yachties, unsere BALU an Land gestellt, um das Unterwasserschiff zu streichen und einige weitere Instandhaltungsarbeiten und Reparaturen vorzunehmen. Um die Zeit an Land gut zu nutzen, betätigten wir uns durchaus fleissig; die Bemerkungen zu den Arbeitsschritten fallen jedoch verdächtig spärlich aus. Die Einträge ins Logbuch beschränken sich im Grossen und Ganzen auf eine nachträglich eingeklebte, etwas abgegriffene und schmierige Aufgabenliste mit dem Titel Things to do – or not, auf welcher wir ankreuzten, welche Arbeiten bereits erledigt waren (beziehungsweise aufgeschoben wurden).

    In den kühleren Gefilden der Schlei, als alles seinen Anfang nahm, sah das, wie gesagt, noch etwas anders aus. Nachdem wir schliesslich mit grossem Enthusiasmus unzählige Meter Kabel gezogen, das Heckgestell (mit Radarantenne und Windgenerator) montiert, die NMEA-Verbindung doch noch hergestellt, den fehlenden Mastrutscher besorgt, das neue Grosssegel wieder auf- und die längeren Reffleinen eingezogen, unsere MMSI-Nummer im Funkgerät umprogrammiert, den Wetterfax eingebaut, den zu leichten Anker ersetzt, die Lifelines und die neue Markierungsboje platziert, den Süsswassertank desinfiziert, das Rigg nachgetrimmt und die vorerst letzten Ungereimtheiten umschifft („bei Julius neue M6-Schrauben und Muttern besorgt, da Schrauben zu kurz beziehungsweise Deck zu dick") und dies alles sauber festgehalten hatten, legten wir – tatsächlich – am 1. Mai 2010 von Schleswig ab. Während später Fristen und Kalendertage an Bedeutung verloren und es nicht darauf ankam, ob man nun an einem Mittwoch oder Donnerstag weitersegelte, schien es uns damals doch wichtig, den ein Jahr zuvor gesetzten Starttermin einzuhalten. Wir wollten der Tendenz, das Auslaufen ständig aufzuschieben, entgegenwirken. Perfekt vorbereitet wird man nie sein. Also los.

    Der erste Defekt liess nicht lange auf sich warten. Als wir am Montag, den 3. Mai 2010, von unserem Gästeliegeplatz im Seglermekka Kiel zur dritten Fahrt ablegen und den Motor anwerfen wollten, tat sich nichts. Ein Blick auf die Kontrollanzeige und ein kurzes Nachmessen bestätigte: Die Starterbatterie zeigte eine viel zu geringe Spannung. Zudem war im Prüffenster ein alarmierender roter Fleck erschienen. Während mich diese Erkenntnis sehr verunsicherte und ich mir recht hilflos vorkam, nahm Thomas das Ganze ziemlich gelassen und suchte zusammen mit dem zu Hilfe eilenden Schweizer Bootsnachbarn nach einer Erklärung des Problems. Auch als „Mann" der Angelegenheit auf die Schliche gekommen war und versuchte, mir die Situation zu erklären, änderte das an meinem zerknirschten Gemütszustand nur wenig. Das Ladegerät war wohl teilweise defekt und hatte nur noch die Service-Batterien, nicht aber die Starterbatterie, mit Strom versorgt, bis Letzterer ständiges Selbstentladen den Garaus gemacht hatte. Ich verstand jedoch nur Bahnhof. Was war denn nun zu tun? Vor mir sah ich lediglich ein Wirrwarr von Kabeln und Anschlüssen, deren Funktion für mich schleierhaft war.

    Dass es eigentlich ein Leichtes war, in Kiel eine neue Starterbatterie aufzutreiben und es uns (insbesondere Thomas) dann auch keine grosse Mühe bereitete, diese einzubauen und korrekt anzuschliessen, bescherte dem ohnehin regnerischen Hafentag doch noch ein positives Ende. Auch wenn ich mir an dem Tag als totale Anfängerin vorkam, was ich ja auch war, hatte doch bereits der Lerneffekt eingesetzt: Es lohnte sich nicht, sich gleich ob des ersten Problems aufwühlen zu lassen. Und wir erkannten auch: Ein jedes Problem schaffte Kontakt zwischen den Bootsbesitzern. Man hatte einen Grund mehr, sich auszutauschen und sich abends auf dem Nachbarboot von feinen Crêpes und wärmendem Kaffee trösten zu lassen.

    Wenn man von der kleinen Episode mit der defekten Starterbatterie einmal absieht, waren es anfangs eigentlich eher unsere eigenen Missgeschicke und Unerfahrenheiten, die uns auf Trab hielten, und nicht Mängel an unserem Schiff, das wir aus zweiter Hand erstanden hatten. Manchmal standen wir uns in der Anfangsphase, die von Learning by doing geprägt war, selbst im Weg, während unser braves Boot stets mitspielte und unsere Fehler gutmütig aufwog. Es war nicht die Technik, die versagte, als ich zum ersten Mal in meinem Leben über die Bordkante auf einen Schwimmsteg sprang – natürlich freihändig, wie ich es bei festen Stegen ja auch zu tun pflegte –, schwungvoll auf dem nachgebenden Steg aufkam und wie über ein Sprungbrett, nur nicht im Badeanzug, sondern mitsamt Ölzeug, Handschuhen und Kappe, ins eisige Hafenwasser von Cuxhaven befördert wurde. Und es war auch nicht das stromfressende Monster BALU, das im gleichen Hafen verdächtige Mengen Energie und Hafengeld verschluckte, mit denen man scheinbar ein ganzes Fussballstadion hätte beleuchten können, sondern, wie detektivische Nachforschungen schliesslich ergaben, ein „Fehler" im System der Hafenanlage, das die Messungen grosszügig aufrundete.

    Es ist der 13. Mai 2010 – Donnerstag, nicht Freitag. Nach einer Woche auf der Hochseeinsel Helgoland sind wir wieder unterwegs, mit Ziel Norderney. Die Temperaturen sind zwar noch recht frisch, aber die Sonne strahlt von einem fast wolkenlosen Himmel und auf dem flotten Raumschotkurs ist der Wind um 3 bis 4 Beaufort aus nördlicher Richtung gut zu ertragen. Mit satten 7 Knoten läuft die BALU wie auf Schienen über die Weiten der Nordsee. Es ist ein herrliches Segeln.

    Ein plötzliches, lautes „Zwoing stört das rauschende und doch friedvolle Dahingleiten. Fragende Gesichter an Bord: „Hast du das auch gehört? Synchron schweifen die Blicke zum Heck, wo der Quell des Übels nun deutlich zu sehen ist. Auf dem vor knapp zwei Wochen montierten Heckgestellträger steuerbords thront unser Windgenerator und sieht mit den fünf statt sechs Rotorenblättern merkwürdig ungleichförmig aus. „Symmetrie ist die Ästhetik der Idioten", pflegte ein guter Freund jeweils zu sagen und auch wenn wir uns sonst gerne darauf berufen – in diesem Moment erscheint uns dieser Spruch nicht sehr hilfreich. Durch das fehlende Rotorenblatt, das in der blauen Tiefe verschwunden ist, läuft das Windrad nun mit einer extremen Unwucht und ist so nicht mehr zu gebrauchen. (Wie uns später klar wurde, hatte sich das Bremsseil während der Fahrt gelöst, im Rotor verfangen und eines der Blätter komplett abrasiert. Erst noch später realisierten wir, dass dies überhaupt passieren konnte, weil ein hier ungenannt bleiben wollendes Mitglied der Crew den Windgenerator nicht korrekt zusammengesetzt hatte. RFM…)

    Trotz diesem etwas ernüchternden Zwischenfall erreichen wir kurze Zeit später guten Mutes den gesetzten Wegpunkt beim Dovetief. Die Überfahrt haben wir so geplant, dass wir den Strom während der rund 40 Meilen zwischen Helgoland und Norderney mit uns hatten. Dies hat allerdings zur Folge, dass wir schneller als gedacht am Ziel angekommen sind und es jetzt, wo wir die Barre passieren wollen, erst kurz nach Niedrigwasser ist. Unterwegs ist uns die Stärke der alten Dünung aufgrund des angenehmen, schnellen Kurses kaum bewusst gewesen; hier in Landesnähe ruft sie sich eindringlich in Erinnerung, denn auf den Flachs rund um Norderney steht eine beachtliche Brandung.

    Immerhin ist die Betonnung des Fahrwassers gut auszumachen; sie scheint allerdings im Vergleich zu der in der Karte eingezeichneten etwas versetzt zu sein. Da Jan Werner in seinem Törnführer „Nordseeküste – Cuxhaven bis Den Helder hierzu jedoch ermutigend meint: „Man muss sich an den Tonnen orientieren und sollte nicht kopfscheu werden, wenn sie in Wirklichkeit woanders sind, als es der Seekarte nach sein sollte, und abschliessend anmerkt: „Manchmal kommt es auch vor, dass ein Fahrwasser total versandet; dann werden aber die Tonnen eingezogen"⁴, fühlen wir uns recht sicher, als wir uns unter Motor dem Tonnenstrich entlang der Insel nähern.

    Wie aus dem Nichts stellt sich am Heck der BALU jedoch plötzlich eine kurze, steile Welle auf, bricht direkt unter ihrem Rumpf und nimmt uns für den Bruchteil einer Schrecksekunde, die sich anfühlt wie eine Ewigkeit, die Kontrolle über unser Boot. Zum Glück endet dieser ungewollte Surf vor der Küste Norderneys glimpflich und das Boot kommt nicht vom Kurs ab, die Barre liegt schliesslich hinter uns und das Fahrwasser wird merklich ruhiger. Nur unsere Knie schlottern noch unkontrollierbar. Das hätte auch ins Auge gehen können! Wir schwören uns, die Ausfahrt aus dem Seegat nur bei ruhigeren Verhältnissen und nahe Hochwasser anzugehen. Unser Nordsee-Anfängerglück wollen wir hier nicht zweimal beanspruchen.

    Der Schreck sitzt uns noch in den Knochen, als wir in den gut besetzten Yachthafen von Norderney einlaufen. Im südlichen Teil der Anlage sind alle Plätze belegt, nur im Nordteil sind noch einige Boxen

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