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Psematákia: Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland
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Psematákia: Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland
eBook250 Seiten3 Stunden

Psematákia: Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland

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Über dieses E-Book

Griechenland von A-Z. Andreas Deffner nimmt die Leser mit auf eine Reise durch den Alltag der Griechen. Mit jedem Buch der Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland-Reihe vervollständigt sich das Gesamtbild. Land und Leute, das wahre Leben, abseits der Touristenpfade. Ein Buch für alle, die Griechenland lieben, entdecken und leben wollen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Juni 2022
ISBN9783347653269
Psematákia: Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland

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    Buchvorschau

    Psematákia - Andreas Deffner

    PROLOG

    »Κάνω γλέντι τρικουβέρτο.«

    Griechische Redewendung:

    »Besser spät als nie!«

    Psematákia? Was soll das eigentlich bedeuten? Wenn Sie sich das gefragt haben, dann habe ich hier eine schöne Beschreibung, die mir einst Herr Sarandos mitgegeben hat, als ich ihm von der Idee für dieses Buch erzählt hatte:

    »Psematákia sind kleine Lügen. Aber immer unschuldige!«

    Das Thema „Lügen" war offenbar schon viele hundert Jahre vor Christus ein großes Ding in Griechenland. Dem Kreter Epimenides, ein berühmter Philosoph, der mitunter auch zu den Sieben Weisen der Antike gezählt wurde, wird das folgende Zitat zugeschrieben: »Alle Kreter sind Lügner«

    Dieses als „Paradoxon des Epimenides" in die moderne philosophische und mathematische Logik eingegangene Paradoxon behauptet in seiner eigenen Aussage etwas Falsches. Denn entweder sind tatsächlich alle Kreter Lügner, dann hätte der Kreter Epimenides in diesem Fall tatsächlich die Wahrheit gesagt und sich somit selbst widerlegt. Oder aber es sind eben nicht alle Kreter Lügner, dann wäre aber Epimenides mit diesem Satz zu einem geworden. Auch Aristoteles und Eubulides haben sich mit dem Lügner-Paradoxon befasst. Offenbar nahmen Psematákia bereits in der Antike großen philosophischen Raum ein. Wer die Griechen verstehen will, muss sich also auch damit auseinandersetzen. Um es vorwegzunehmen: Mir hat es große Freude bereitet. Mein Freund Georgios hat irgendwann während der Recherchen für dieses Buch zu mir gesagt:

    »Wenn du wissen willst, wie die Griechen ticken, dann kannst du dir am besten das vorstellen: Zwei Nachbarn. Der eine hat nichts, der andere hat eine Ziege. Nun wird der Nachbar ohne Tier neidisch. Aber anstatt sich auch eine Ziege erarbeiten zu wollen, versucht er lieber das Nachbarszicklein zu schlachten.«

    Georgios ist übrigens auch Kreter. Alles also nur gelogen? Oder meint Psematákia mitunter hier und da auch kleine Übertreibungen, υπερβολές (ypervoles)? Finden Sie es heraus! Ich nehme Sie mit auf eine philosophische Reise durch Griechenland.

    Die nachfolgenden Geschichten haben sich tatsächlich so zugetragen, zumindest haben alle einen wahren Kern. An der einen oder anderen Stelle musste ich Namen ändern, etwas hinzufügen oder weglassen. Die Personen gibt es jedoch wirklich, und die Handlungen sind real. Es sei denn, es wird ausdrücklich auf das Gegenteil hingewiesen oder es ist offensichtlich, wie bei der Geschichte von der alten Möwe Stavros. Und selbst da ist vieles echt: den alten weisen Stavros gab es wirklich. Und nicht nur er, sondern alle Personen in diesem Buch sind reale, besonders liebenswerte Menschen.

    Dieses Buch sollte früher erscheinen. Die Corona-Pandemie hat dann aber leider auch dieses Unterfangen unmöglich werden lassen. Deshalb also erst jetzt. Dafür haben sich einige Geschichten ereignet, die ohne Corona nicht passiert wären. Ich bin jedenfalls froh, dass ich das so niedliche klingende Wort Psematákia nun auf den folgenden Seiten respektvoll erläutern kann. »Κάλλιο αργά παρά ποτέ!«

    Andreas Deffner, Mai 2022

    1

    DIE HYGIENIKER VON ZOGRÁFOU

    Ein Gesundheitsamt-Advent zwischen Keller und Kouroú

    »Κάνω γλέντι τρικουβέρτο.«

    Gr. Redewendung, vgl. mit:

    »Die Bude auf den Kopf stellen.«

    (wörtlich: ich mache eine Riesenparty)

    Wenige Tage vor Weihnachten und noch vor der Corona-Pandemie, rufe ich Marianna in Athen an. Wir hatten schon öfter überlegt, ob ich sie an einem Tag bei ihrer Arbeit begleiten könnte. Nun hätte ich Zeit, doch würde man mir die Erlaubnis erteilen, bei ihr zu hospitieren? Immerhin geht es um des Griechen höchstes Gut. Nein, nicht Gyros oder Bouzouki, es geht natürlich um die Gesundheit! Marianna arbeitet als Hygienekontrolleurin für das „Amt für Gesundheitsüberwachung und umweltbezogenen Gesundheitsschutz für den Bereich Athen und Attika". Anders als in Deutschland unterstehen die Gesundheitsämter in Griechenland direkt dem Gesundheitsministerium. Und für dieses kontrolliert Marianna seit einigen Jahren.

    Am Abend piept mein Mobiltelefon. Die lang ersehnte Nachricht von Marianna: »Ich habe mit meinem Chef gesprochen, du kannst mit uns mitkommen. Kein Problem. Ich warte morgen früh an der U-Bahn-Station Ambelókipi auf dich. Wir gehen zuerst ins Büro und dann zu den Kontrollen.«

    Na endlich, es klappt. Wohin genau es gehen wird, und was ihr Auftrag ist, bleibt zunächst geheim. Spannend. Voller Vorfreude beschließe ich, früh schlafen zu gehen. Nur noch schnell auf einen Snack in die kleine Grilltaverne, die mir am Nachmittag in meiner Straße in Exárchia aufgefallen war. „Príkipas – „Prinz, so heißt der Laden. „Fleisch von griechischen Kleinbauern" verhieß die Werbetafel am Eingang. Wenig später nehme ich an einem der kleinen trapezákia, der Tischchen auf dem Gehweg vor der Taverne in der Chariláou Tríkoupi-Straße Platz. Kurz darauf duftet bereits ein köstliches Kebap auf meinem Teller in die laue Dezemberabendluft. Von jedem der kleinen Tische aus, haben die Gäste einen freien Blick auf die blitzblanke offene Küche. Von dort bringen die jungen und ungemein herzlichen Kellner Teller um Teller und versorgen die ausgelassenen Gäste mit den Köstlichkeiten vom Grill. Der Laden brummt und ist selbst an einem Donnerstagabend im Dezember rappelvoll. Besser gesagt: Die Terrasse vor dem Laden, die den Gehweg nahezu ausfüllt. Im Grillrestaurant selbst sind nur die Köche und die rein- und rauseilenden Kellner. Man sitzt eben draußen, wann immer es geht. Und dieser Winter meint es wirklich mild mit uns.

    Exárchia gilt bei Vielen als der Schmuddelkiez von Athen. Hier trifft Anarchie auf Studierende, siffige Straßenzüge auf schicke Tavernen und trostlose Armut auf pulsierende Kreativität. Ein Eldorado der Kulturschaffenden und denen, die vor der Polizei flüchten. Und in diesem Anarcho-Viertel führt der Wirt des Príkipas eine Taverne, deren Küche so aufgeräumt ist, als würde täglich das Gesundheitsamt seine Inspektoren vorbei schicken. In Exárchia eigentlich undenkbar. Selbst die Polizei wage sich nicht in bestimmte Gegenden dieses Viertels, so sagt man. An meinem kleinen Tischchen auf der Bürgersteigterrasse genieße ich in friedlicher Ruhe ein vorzügliches Kebap und ein Gläschen Wein dazu. Anschließend falle ich müde und satt ganz in der Nähe in mein Bett und erlebe einen prinzenhaften Schlaf.

    Am nächsten Morgen warte ich gut ausgeruht zur vereinbarten Zeit an der U-Bahn-Station auf Marianna. Auch sie hält offenbar Termine auf die Minute genau ein und so fallen wir uns ebenso pünktlich wie herzlich zur Begrüßung in die Arme. Es ist Freitag, ihr letzter Arbeitstag für diese Woche.

    »Die Tage kurz vor Weihnachten sind anstrengend. Es gibt immer so viel zu tun. Lass uns losgehen, wir müssen heute Bäckereien und Konditoreien inspizieren.« Marianna strahlt noch breit, während wir bereits auf dem Weg zu ihrem Büro auf dem Alexandras Boulevard sind. Der Stress der Adventszeit scheint bisher an ihr vorübergegangen zu sein. An einer Straßenecke biegt sie kurzerhand in eine Bäckerei ab.

    »Komm, wir holen uns noch schnell einen Kaffee! Frappé für dich, richtig?«

    »Métrio me gála, genau«, antworte ich lachend. Mittelsüß mit Milch. Marianna kennt mich offenbar besser als ich dachte.

    Die kleine Bäckerei ist über und über mit Weihnachtsdekoration geschmückt. Zwischen Gebäck, Weihnachtsmännern aus Schaumstoff und Schneesternen aus Lametta, bahnt sich Marianna einen Weg zur Kasse, bezahlt, und im Nu sind wir bereits wieder auf der Straße. Die Vorweihnachtszeit versprüht einen selbst für Athener Verhältnisse, untypisch, hektischen Charme mit eifriger Arbeitswut.

    »Los, komm schnell! Ich stelle dir jetzt meinen Chef und die Kollegen vor, hole die Unterlagen und dann geht es los.« Marianna geht eiligen Schrittes voran. Wir durchschreiten das Portal zur staatlichen Gesundheitsschule und überqueren den Campus, auf dem sich auch die Räumlichkeiten des Gesundheitsamtes für Athen und Umgebung befinden. In einer der hintersten Ecken liegen die barackenähnlichen Anbauten, in denen die Hygienekontrolleure, die „Επόπτες δημόσιας υγείας" (Epoptes dimosias ygeias), ihre Büros haben. In Mariannas Gemeinschaftsbüro treffen wir auf Georgios und Eleni, zwei Kollegen, wie man sie sich aussuchen würde. Sie sind mir beide auf Anhieb ausgesprochen sympathisch und der erste Eindruck täuscht nicht. Voller Herzlichkeit und bester Laune begrüßen mich die beiden, Georgios sogar auf Deutsch! Er lerne die Sprache freiwillig. »Aus Leidenschaft«, sagt er, denn sie gefalle ihm schlichtweg. Und er lerne sogar mit einem meiner Bücher!

    »Darf ich dir gelegentlich mailen, wenn ich mal wieder eine Frage habe und die Bedeutung eines Wortes nicht verstehe?«, fragt mich Georgios. Und Eleni sagt:

    »Pass aber auf, es könnte täglich passieren. Georgios ist verrückt nach dem Deutsch lernen.« Sie lächelt ihn dabei liebevoll an.

    Eleni und Georgios sind in diesem Jahr eines der Kontrollteams.

    »Jährlich wird ein Zweierteam neu zusammengestellt«, erklärt Marianna. Mit dem regelmäßigen Kollegenwechsel soll präventiv möglicher Korruption vorgebeugt werden, und die unangekündigten Hygienekontrollen nichts von ihrer Wirksamkeit einbüßen. Jetzt, kurz vor Weihnachten, merkt man dem eingespielten Team die Anspannung an. Ein kollegiales Dreamteam hatte sich hier gefunden. Mit wem die beiden jeweils im nächsten Jahr zusammenarbeiten werden, wissen sie noch nicht.

    Plötzlich fliegt die Bürotür weit auf. Ein älterer Herr im Anzug betritt die Bühne. Seine Bühne. Zielstrebig kommt er auf mich zu, greift freudestrahlend mit seinen beiden Händen meine rechte Hand, schüttelt sie lang und ausgiebig und heißt mich in Athen herzlich willkommen! Mariannas Chef wollte es sich nicht nehmen lassen, mich persönlich zu begrüßen. Er freue sich sehr über mein Interesse an der Arbeit seiner Behörde. Da man ihm erzählt hatte, dass ich im deutschen Gesundheitsministerium arbeite, beginnt er eine Fachsimpelei über die wichtigen Aufgaben der Hygienekontrollen im staatlichen Gesundheitssystem. In seinem Redeeifer kann ich ihn nur schwer stoppen, trotzdem bemühe ich mich, ihm zu erklären, dass in Deutschland die Gesundheitsämter nicht direkt dem Bund unterstellt, sondern dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zugeordnet sind. Und dieser fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer. Etwas verwundert schaut er mich an und antwortet mir, dass er nicht verstehen kann, warum eine solch existentielle Frage nicht der obersten Instanz unterstellt sei. Beim Gesundheits- und Infektionsschutz dürfe man keine Kompromisse eingehen. Wie dem auch sei, er müsse leider weiter, kurz vor Weihnachten sei die Hölle los, aber er wünsche mir einen spannenden Tag mit interessanten Einblicken. Während er schon in der Tür steht, dreht er sich noch einmal zu mir um: Ich solle möglichst bald wiederkommen, sagt er freundlich lächelnd. Dann ist er endgültig hinter der Tür verschwunden. Jetzt drängt bereits Marianna zur Eile:

    »Wir müssen los, Elena wartet sicher schon!«

    Ich verabschiede mich also schnell noch von dem ausgesprochen freundlichen Kollegenteam Eleni und Georgios und wir versprechen uns gegenseitig, uns irgendwann in unseren griechischen Dörfern zu besuchen. Dann brechen Marianna und ich endlich auf. Unsere Schicht beginnt und meine neugierige Anspannung steigt.

    Vor dem Büro stoppt Marianna ein Taxi, dass uns nach Zográfou bringen soll. Sie hat es eilig. Das Viertel liegt zwar ganz in der Nähe, doch der Gesundheitsschutz erlaubt keinen Verzug. Zográfou gilt als eine der besseren Wohngegenden. Auf dem Weg dorthin erläutert mir Marianna den Tagesablauf. Elena ist die ihr für dieses Jahr zugewiesene Kollegin. Eine sehr erfahrene und äußert angenehme Partnerin. Sie verstehen sich blendend, meint Marianna und ergänzt: »Ich kann noch viel von ihr lernen. Sie macht den Job seit fast 30 Jahren.«

    Am Beginn des Papágou-Boulevards stoppt das Taxi vor einer Bäckerei. Marianna bezahlt den Fahrpreis von 3,10 € und wir steigen schnell aus.

    »Übernimmt das Gesundheitsamt die Fahrkosten?«, frage ich Marianna, die sich keine Quittung hat ausstellen lassen. Allerdings würde man wohl auch einen handfesten Streit mit dem Taxifahrer anzetteln, würde man einen Beleg fordern.

    »Wo denkst du hin! Das müssen wir natürlich selber bezahlen.«

    Eine ältere, elegant gekleidete Dame, wartet vor der Bäckerei. Sie hat einen Stapel Akten unter dem Arm und eine große Handtasche um die Schulter hängen. Als sie uns sieht, winkt sie uns mit einem weit ausholenden Arm entgegen, während der andere den dicken Aktenstapel fest umklammert.

    »Hallo Marianna, guten Morgen!« Dann wendet sie sich umgehend an mich: »Und du musst Andreas sein. Herzlich willkommen in Athen!«

    »Lasst uns loslegen!«, drängt Marianna. »So kurz vor Weihnachten ist doch die Hölle los in den Konditoreien und Bäckereien.«

    Alles muss rechtzeitig fertig werden zum großen Fest, und ich bin etwas stolz, dass ich heute mit darauf aufpassen kann, dass alles hygienisch einwandfrei ist; dass nicht gepfuscht wird. Marianna wirkt jetzt resolut. Sie ist offensichtlich im Dienst. Eine akribische Gesundheitspolizistin, die jetzt bereits ein Schreibbrett in der Hand hält, auf das sie ihre Checkliste geklemmt hat. Nur einen Augenblick später stehen wir damit in der ersten Bäckerei dieses Kontrolltages.

    Die Damen Inspektoren zeigen der anwesenden Chefin der Bäckerei ihre Dienstmarken. Die Szenerie erinnert mich an einen Tatort-Krimi, wenn die Kommissare nach einem Mord die Angehörigen aufsuchen und sich mit ihren Ausweisen vorstellen. Spontane, angespannte Totenstille. Nach der Begrüßung teilen sich Marianna und Elena auf. Während sich Elena von der Inhaberin die erforderlichen Papiere vorlegen lässt, inspizieren Marianna und ich die Backstube.

    »Komm, wir gehen direkt hinein«, sagt die Inspekteurin und bahnt sich rasch einen Weg durch den gefüllten Verkaufsraum, zwischen zwei Verkaufsvitrinen hindurch bis hinein ins Herz der Bäckerei. In der Backstube wuseln mehrere Bäcker und Gehilfen umher. Unser Erscheinen überrascht sie fast so, wie eine Razzia Drogendealer aufschreckt. Verblüfft schaut uns ein dickbäuchiger Herr an, der sich als der Chefbäcker herausstellt.

    »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt er etwas aufgeregt, aber höflich und mit Mehl an den Händen.

    »Wir sind vom Gesundheitsamt und überprüfen die Einhaltung der Hygienevorschriften«, sagt Marianna ruhig. Den Bäcker scheint diese Aussage zu beruhigen und er wirkt jetzt entspannt. Marianna geht währenddessen bereits ihre Checkliste durch, überprüft die Einhaltung aller hygienisch relevanten Vorschriften und tritt in einen professionellen Dialog mit den Beschäftigten.

    – Ist der Fußboden des Backraums ausreichend rein?

    – Stehen die Mehlsäcke offen in der Ecke oder vorschriftsmäßig im Regal?

    – Sind Handwaschbecken nach den Normen installiert?

    – Und so weiter…

    In dieser Bäckerei ist alles anstandslos. Viel ordentlicher, als ich es von einer Backstube erwartet hätte. Hier ist es fast so sauber wie in einem Reinraum eines Forschungslabors. Steril glänzende Fußböden und achtsam gepflegte Edelstahlregale sorgen für penible Sauberkeit und Ordnung.

    So geht es anschließend auch in den nächsten Geschäften weiter. Eine noch recht neue Bäckerei, die erst seit einer kurzen Weile in diesem Viertel ansässig ist, hat ebenso alles vorschriftsmäßig beachtet, allerdings eine Kleinigkeit vergessen: In einer Glasvitrine liegen Backwaren, die von oben nur mit einer Klarsichtfolie abgedeckt sind.

    »Das geht so nicht!«, erläutern die Kontrolleurinnen unisono dem peinlich berührten Ladenbesitzer streng, aber freundlich. Er muss dafür sorgen, dass eine feste Glasabdeckung von oben die Ware schützt. Der Fehler des Eigentümers wird vermerkt. In den nächsten Tagen wird sein Laden nachkontrolliert, dann muss alles in Ordnung sein, sonst drohen Strafzahlungen.

    Beim nächsten Konditor ist der Weihnachtsstress deutlich spürbar. Bereits beim Eintreten zücken die Kontrolleurinnen erneut ihre Ausweise und halten sie dem Inhaber streng unter die Nase. Dieser wuselt hektisch und puterrot angesichts der zahlreichen Kunden zwischen den Auslagen und der Kasse hin und her.

    »Muss das ausgerechnet heute sein?«, ruft er uns zu. »Meine Angestellte hat sich krankgemeldet, ich muss alles selbst machen und auch noch kassieren.« Er blickt Gnade erwartend zu mir, doch ich kann nur mit den Achseln zucken. Die Damen vom Gesundheitsamt kennen kein Pardon. Marianna zückt die Check-Liste und verschwindet bereits hinter der Glasvitrine, in der frische Blätterteigpasteten auf die Frühstücksgäste warten. Ofenfrische Tirópitas, mit Schafskäse und anderen Käsesorten gefüllte längliche, bauchige oder dreieckige Teigtaschen. Des Griechen Lieblingsfrühstück scheint auch in diesem Laden der Renner zu sein. Marianna hantiert mit einem Thermometer in der Auslage. Die vorgeschriebenen Temperaturen für frische Blätterteig-Frühstückstaschen werden penibel kontrolliert, obwohl selbstverständlich jeder noch so kleine Bäckerladen spezielle Warmhaltevitrinen vorhält.

    Die Tirópita zum Start in den Tag wird verehrt wie ein Heiligtum, vergleichbar vielleicht dem Mettbrötchen mit Zwiebeln deutscher Handwerker. Kein Wunder, dass Marianna sich ganz genau die Ablage ansieht, auf der die beliebteste Variante warmgehalten wird: Die Bougátsa mit Schafskäse. Eine feine Art der Blätterteigtasche aus zahlreichen Filoteigblättern, jedes so dünn wie Pergamentpapier. Zwischen diesen fühlt sich offenbar der Fetakäse besonders wohl. Beim Anblick der in der riesigen Vitrine ausgestellten Bougátsa läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Doch sofort bemerke ich Mariannas kritischen Blick, als sie die Kerntemperatur einer getesteten Blätterteigtasche vom Thermometer abliest. Hastig schreibt sie etwas auf den Inspektionsvordruck und wendet sich anschließend an den Inhaber des kleinen Ladens.

    »Die Temperatur der Tirópitas ist zu gering«, landet als Eintrag im Feld „Beanstandungen der Inspektion" des Vordrucks.

    Der freundliche, aber gestresste Herr wird nun fast bleich.

    »Wie bitte? Aber ich habe doch extra diese sündhaft teure Heißtheke angeschafft. Ganz neu ist die, schaut her!« Er deutet auf das Typenschild mit dem Produktionsdatum. Neueste Baureihe, aber die Temperatur im Inneren scheint dennoch nicht zu stimmen.

    Marianna blickt den verstört wirkenden Bäckereibetreiber verständnisvoll an, zeigt aber dann mit dem Finger auf den vermeintlichen Übeltäter in der Vitrine und erläutert:

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