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In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950, Band 4
In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950, Band 4
In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950, Band 4
eBook496 Seiten7 Stunden

In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950, Band 4

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Über dieses E-Book

Der Autor fand im Nachlass seiner Eltern eine große Zahl von Briefen sowie Ansätze seiner Mutter, sie für eine Veröffentlichung vorzubereiten. Die Familie war oft getrennt und das Briefeschreiben war damals das Gegebene für die Erhaltung des Kontakts. Heute werden kaum noch persönliche Briefe geschrieben. Die Briefe sind sehr schön, liebevoll und innig, deshalb der Titel, aber sie sind auch Zeitdokumente und sind es wert erhalten zu bleiben. Dies hat den Autor ermutigt, sie abzuschreiben und zu veröffentlichen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. Feb. 2021
ISBN9783347262577
In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950, Band 4

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    Buchvorschau

    In inniger Liebe - Albert Spiegel

    IV. Reise von Zürich nach Sydney 1947

    Nr. 13, z. Zt. Genf, 14.IX.47 (Eing. 24.11.47) Anlagen: 1 Foto, 2 Briefe von Karin, 1 Brief von Imami.

    Mein geliebter guter Erwin – heute habe ich also wirklich stündlich u. immer die 9 Stunden im Voraus gelebt! Ob mein Telegramm Dich heute noch erreichte?? Wie sehr, sehr hoffe ich es. Ich konnte keine Stunde eher telegrafieren, weil ich erst alle möglichen Informationen beieinanderhaben wollte. Aber vielleicht ist das Telegramm noch heute Abend spät zu Dir gekommen u. nun wirst Du wahrscheinlich die halbe Nacht wach liegen u. nachdenken, ob Du Dein Einverständnis geben sollst, d.h. landing permit beantragen oder nicht. Ich weiß, daß aus meinem Telegramm mit ziemlicher Bestimmtheit meine Ansicht hervorgeht u. ich habe absichtlich (fast gegen meine Überzeugung, daß Du allein entscheiden müssest) so telegrafiert, in der Absicht, Dir bei dem unendlich schweren Entschluß zu helfen! Als ich die Möglichkeit eines Fluges sah, dachte ich – Herrgott, jetzt nur einmal dem Hangen u. Bangen ein Ende machen. Ich will der Reihe nach erzählen.

    Am Mittwochmittag telefonierte ich mit Herrn B., der aus Zürich zurückgekommen mir die Auskunft gab, daß die Bank das Geld für die Luftreise freigeben würde, d.h. die Verrechnungsstelle, daß allerdings nur noch etwas über 6000,- Fr. vorhanden seien?? Da Du mir nach Basel geschrieben hast, außer meinem Akkreditiv sei noch etwas mehr als der doppelte Betrag vorhanden […], daher nahm ich an, daß die Flugkosten damit gedeckt werden könnten. […] Ich machte mich nun einfach mal direkt zur KLM (zu der ich das meiste Vertrauen habe) auf den Weg. Und da bekam ich nun wirklich mal erschöpfende u. freundliche Auskunft. Natürlich könne ich über Singapore fliegen, wenn sie mich bis Sydney durchbuchen würden, dann könnte ich mich auch darauf verlassen, daß ich nach Sydney Anschluß habe u. zwar mit der British Overseas Air in 24 Std. Singapore – Sydney. Es kostet 4800,- Fr., für Kinder die Hälfte, also für uns zusammen 9600,- Fr., wofür wir aber 3 ganze Plätze zur Verfügung haben würden (über San Francisco rechnete sie mir 5650,- pro Billett aus). Der Flug geht Genf-Rom-Karachi (nicht Kairo wegen Cholera) -Singapore-Bangkok. Ich brauche das Visum für Italien, Irak, Pakistan, Indien, Siam. Daraufhin bin ich am Donnerstag früh auf das britische Konsulat gegangen, habe meinen komischen Pass der Military Government for Germany vorgezeigt, einer sehr freundlichen älteren Dame meine ganze Lage geschildert u. gefragt, ob die Möglichkeit bestehe, daß ich die obengenannten Visen (für Irak, Pakistan, Indien, Singapore ist das britische Konsulat zuständig) in diesen Pass eingetragen bekäme. Sie sagte, daß sie nicht sähe, warum nicht. Zumal es sich Transitvisa handle – aus u. wieder einsteigen. Aber ich sagte mir, wer nicht wagt, gewinnt nicht u. habe heute die 300,- Fr. geopfert. Folgende ist nun die Situation: Allerdings bräuchte ich zuerst das Ziel-Visum, also das landing permit in meinem Pass. Da ich ihr sagte, daß ich das nicht vor Anfang Dezember haben könne u. doch gern vor Weihnachten fliegen wolle mit den Kindern, kamen wir überein, daß sie die Visen gleich für mich beantragt – sie läuft dabei kein Risiko, denn eingetragen werden die Visa natürlich erst, wenn ich das landing permit habe. Aber – sie muss nach Indien, Pakistan u. Singapore telegrafieren u. das kostet mich pro Land 100,- Fr.!! Hast Du Worte?? Nur um vom Flugzeug aus: Anfang Dez. teilt mir die KLM genau mit, welches mein Flugtag sein wird, weil sie erst dann aus Singapore zuverlässige Antwort haben werden, an welchem Datum ich von dort Anschluß habe. […] Sollte ich bis Anfang Dez. noch Schiffspassage finden oder solltest Du doch mit dem teuren Flug nicht einverstanden sein oder (was ja möglich ist) sollte ich eines der benötigten Visa nicht bekommen, so kann ich den Flug bis Tage vor Abflug annullieren u. muss dann nur die entstandenen Spesen ca. 30,- Fr. bezahlen. Auf dieses Risiko hin habe ich also bei KLM für Mitte Dez. gebucht!

    Als ich ganz erschöpft von diesem wagemutigen Entschluß von KLM nach Hause kam – lag Dein kleiner bunter Brief vom 4. Nov. auf meinem Tisch. Ganz verlockend u. verheißungsvoll mitten in meinem kl. Eckzimmer. Wie der Blitz fuhr ich in meine – Deine – warmen Hausschuhe, kuschelte mich in den Sessel u. las. Und da stand, schwarz auf weiß: „wenn Du Dich letzten Endes entscheiden solltest, nach hier zu fliegen, bin ich ganz einverstanden, sofern wir die Kosten irgendwie aufbringen können. Ich war im Moment einfach erstarrt über das Zusammentreffen meines u. Deines Entschlußes! Haben wir das nicht schon manchmal erlebt? Seit ich den Weg zu Dir startete, habe ich mich in manchen Augenblicken so unheimlich geführt gefühlt, als ob der Schutzengel wirklich meine Hand ergriffen habe. Wenn ich nur an das Schweizer Einreisevisum denke, das mir einfach ein Wunder scheint. – Ich werde den Schutzengel noch sehr brauchen, Erwin, denn es hängt doch an einem Haar, daß irgendjemand meinen für die Schweiz ausgestellten Pass für andere Länder nicht anerkennt. Darum bin ich heute auf dem Brasilianischen Generalkonsulat gewesen u. habe meine Korrespondenz mit der Militärmission in Berlin geschildert. Mutti schrieb, es sei ein Brief von dort an mich gekommen, daß sie von Berlin meinen Pass nicht hierher zum Konsulat schicken könnten, ich solle bei einem hiesigen Konsulat einen Pass beantragen. Nun sagte man mir hier, Brasilien stelle hier nur Identitätsausweise, gewissermaßen Nationalität-Anerkennung aus für Repatriierung nach Brasilien. […] Da meine Mission hier beendet ist, fahre ich morgen Mittag nach Bern, weil ich da wegen eines Visums noch zu siamesischen Gesandtschaft muss. […] Dienstag oder Mittwoch fahre ich zu Gräfin Thiele-Winkler (entfernte Verwandte von Sabine, 2 Kinder beaufsichtigen) nach Meggen bei Luzern. Ich bin ja so froh, daß ich da für die nächste Zeit eine Beschäftigung habe, denn diese maßlose Spannung, ob der Flug etwas werden wird, ist tatenlos kaum zu ertragen.

    In diesem Augenblick ruft KLM an (Samstag, 15.IX.47, 11 Uhr), daß sie Nachricht hätten, ich würde erst am 30. Dez. fliegen können. Wir armen Hühner, weitere 14 Tage Geduld. Aber bis dahin können dann doch wohl mit Bestimmtheit alle Visen beieinander sein?

    Mit Gepäck ist es natürlich bisschen traurig: 30 kg pro Person für uns drei: 90 kg, jedes Kilo drüber 45.- Fr. Das ist natürlich ausgeschossen, heißt also nochmal sich von seiner Habe trennen u. wirklich nur unsere nötigsten Kleider mitnehmen. Man meinte, ich könne doch sicher Koffer per Schiff nachkommen lassen. Nun, von ein paar Sachen wollen wir unser Schicksal nicht abhängig machen. Ich muss dann die beiden Kabinenkoffer mit Hauswäsche, 2 Wolldecken, den dicksten Wintersachen, die wir drüben wohl kaum brauchen werden, etc. hierlassen. […]

    Schluß für heute. Ich muss einpacken. Madame ist ganz traurig, daß ich fortgehe. Es war nett hier. Mein lieber guter Liebster, leb wohl. Bleib mir gesund. Wäre nur schon alles überstanden! Viele liebste Grüße u. Küsse von Deiner Margot.

    Nr. 63., Sydney, den 16. November 1947 [ohne Eingangsvermerk]

    Meine geliebteste Margot, sollte nun endlich Wirklichkeit werden, daß Du in ungefähr vier Wochen schon nach hier unterwegs sein würdest? Und wir zu Weihnachten schon wieder beisammen wären? Man kann sich eine solche schöne Wirklichkeit kaum noch richtig vorstellen. Hoffentlich klappt nun auch alles, so wie wir es gerne, ach so sehr gerne haben möchten.

    Dein sehr lieber Geburtstagsbrief vom 4. November aus Genf kam am 13. November hier an. […] Deinen Geburtstagsbrief finde ich wunderschön. Da hast Du wirklich einen meisterlichen Liebesbrief vollbracht. Hast Du Dich denn nicht mit all der vielen an das Papier verschwendeten Liebe nicht ein bisschen verausgabt? Ob ich so viel Liebe, wenn sie mir erst mal wieder aus nächster Nähe erwiesen wird und man ihren Hauch ganz nahe verspürt, nach so langer Entwöhnung überhaupt noch aushalten kann? Hab für alle guten Wünsche sehr herzlichen Dank.

    Da ich nun wusste, daß Du in Genf warst und vorerst auch dortbleiben wolltest, rechnete ich ziemlich bestimmt mit irgendeiner telegrafischen Nachricht von wichtiger Bedeutung für unsere Zukunft und erwartete ein Telegramm zu meinem Geburtstag. Es kam aber nicht mehr am Freitag, sondern am Samstag früh um 9 Uhr. Die Ereignisse und Aufregungen in der letzten Woche überstürzten sich geradezu. Ich will chronologisch rasch alles berichten.

    Am Mittwoch, den 12. November habe ich bei Baileys gearbeitet. Normalerweise gehe ich ja mittwochs in das Kinderheim, aber Mrs. Bailey hatte mich gebeten, einen Tag extra zu ihr zu kommen, um zwei Bäume zu fällen. Mit Säge und Axt eine sehr gesunde Arbeit und am Abend weiß man dann auch, was man getan hat. Ich hatte sie ja am vorhergehenden Wochenende wegen Unterkunft und Arbeit gefragt, und ich war am Mittwoch kaum angekommen und hatte mich gerade umgezogen, als sie kam u. mir sagte, daß ihr Mann zugestimmt habe. Ich solle Dich mit den Kindern ja nur kommen lassen; sie würden uns die beiden unteren zu ebener Erde liegenden Zimmer nebst Badezimmer geben und ihr Mann würde mir dann für die Tage, die ich nicht im Garten arbeite, andere Arbeit geben, entweder in der Fabrik oder in der Werkstatt oder bei der Instandhaltung der Autos. Wenn es so weit wäre, würde er Einzelheiten mit mir besprechen. In seiner Fabrik wird Damen-Unterwäsche und Kinderwäsche hergestellt und er hat in der Stadt über zwei Dutzend Verkaufsläden: „Salon Chic for Exclusive Undies heißen diese Läden. Daraufhin beschloss ich nun gleich am Donnerstagnachmittag zum hiesigen Büro des Immigration Departments zu gehen, um wegen Deines landing permits nachzufragen. Als ich am Mittwochabend nach Hause kam, hörte ich durch Telefonanruf von einem Bekannten, daß alle Lokal-es-Internierten durch Telegramme benachrichtigt worden sind, sich für übermorgen, Dienstag, den 18. Nov. zur Abfahrt nach Tatura bereitzuhalten, von wo aus sie mit den dort noch befindlichen Lagerinsassen über Melbourne die Reise nach Freemantle gegen Ende dieses Monats antreten würden, um dann Anfang Dezember mit dem Dampfer „General Heinzelmann repatriiert zu werden.

    Von uns Überseern wusste noch keiner etwas Offizielles. So fragte ich also am Donnerstag auch gleich bei dieser dafür zuständigen Stelle nach und erfuhr, daß die Listen für die zu repatriierenden Übersee-ex-Internierten ebenfalls vorliegen würden, und daß diese am Freitag, den 14. benachrichtigt würden. Den Übersee-Leuten würde aber nochmal eine Chance gegeben – nicht so bei den Lokalen, die nach Hause müssen – sich binnen 24 Stunden zu entscheiden, ob sie für Dauer hierbleiben wollen oder an dieser jetzt gegebenen erst- und einmaligen Repatriierung teilnehmen wollen. Die Liste wurde nun auf meinen Namen hin durchgesehen, der aber nicht darauf stand. Weshalb nicht, ist mir völlig unklar und rätselhaft, da ich doch bisher auf meinen Repatriierungsanspruch nicht verzichtet habe. Ich ließ es zunächst damit mal bewenden und wartete den Freitag ab, ob ich nicht doch auch benachrichtigt würde. Dem war aber nicht so, obgleich alle erreichbaren Bekannten, die ich anrief, die Nachricht wegen Repatriierung oder Verzicht darauf am Freitag bekommen habe […] verzichtet hatte ich also bisher nicht und bin auch jetzt nicht vor eine Entscheidung gestellt worden.

    Wegen Deines landing permits wurde mir gesagt, daß man da von hieraus nichts machen könne, um die Ausstellung zu beschleunigen, da diese Sache ausschließlich im Immigration Department in Canberra bearbeitet würde. Das Beste wäre, ich würde mich dorthin wenden. Daraufhin beschloss ich heute, in acht Tagen nach Canberra zu reisen und Dir vorher das in Kopie beiliegende Telegramm zu senden. Dieses Telegramm wollte ich aber vor gestern früh nicht aufgeben um abzuwarten, ob nicht in einem Geburtstagstelegramm irgendeine Nachricht kommt, wodurch mein beabsichtigtes Telegramm überholt würde oder ich diesem gleich noch etwas anfügen könnte. Als ich mich nun gestern früh gerade fertig machte, um zur Stadt zu gehen und mein Telegramm aufzugeben, da kam Dein Telegramm. Ist das nicht ein ganz eigenartiger Zufall?

    Nun ging ich erst zur Bank, um mich wegen Überweisung der benötigten restlichen Franken zu erkundigen. Ich benötige dazu eine Devisengenehmigung. Der Bankbeamte glaubt, daß ich diese von der Kontrollstelle bekommen würde, wenn ich das landing permit vorlege, konnte mir aber keinerlei bestimmte Zusage machen. Vielleicht kann ich diese Frage gleichzeitig mit dem landing permit in Canberra beim Immigration Department lösen, so daß dieses die Genehmigung für mich erwirkt, Dir die benötigte Summe zu überweisen.

    Ein anderer Weg ist, daß ich den Fehlbetrag bei der hiesigen Agentur der Fluglinie hier einbezahle und diese der Agentur in Genf drahtlich mitteilt, daß sie die Summe erhalten hat.

    Die englische London-Sydney Fluglinie (hiesige Agentur: Quantas Empire Airways) sagt mir, daß ich jederzeit Eure Reisekosten oder einen Teil davon hier bezahlen könnte. Dem stehen keine Devisenbeschränkungen gegenüber. Wie ich jedoch vermute, wirst Du nicht mir dieser Linie kommen, sondern wahrscheinlich doch über Nordamerika fliegen. Deshalb erkundigte ich mich auch noch bei dem Büro der Pan-American Airways. Diese sagten mir, daß Kosten für Flugplätze nach Australien für die Strecke über den Pazifik und auch über den nordamerikanischen Kontinent hier in australischen Pfund einbezahlt werden können. Dagegen nicht für den Flug von Europa nach U.S.A. […] Du musst also versuchen, bei der dortigen Agentur, bei der Du die Plätze buchst, zu erreichen, daß diese damit einverstanden ist, daß ich den Fehlbetrag bei deren hiesigen Agentur einzahle. Dann brauche ich keine Devisengenehmigung, was Vieles vereinfacht und Zeit erspart. Soweit wie möglich bitte ich Dich, das dort vorhandene Geld zu verwenden, wobei Du vielleicht ein paar hundert Franken stehen lassen kannst, um das Konto zu erhalten für evtl. dringende spätere Verwendungszwecke (z.B. Porti etc.). Über den von Dir gedrahteten Fehlbetrag von 4.000,- Franken (ca. austral. Pfund 290,-) verfüge ich hier nicht ganz und muss mir dann eben einige Pfunde pumpen, die ich schon auftreiben werde. Dann bin ich aber ohne jede Reserve, und um wieder etwas auf der hohen Kante zu haben für Notfälle, habe ich gestern an Imami gedrahtet und um eine Überweisung gebeten, jedoch dabei erwähnt, daß ich das Geld für Eure Reisekosten benötige. Dieser Verwendungszweck klingt besser und mag ihn vielleicht rascher veranlassen, die erbetene Überweisung durchzuführen. Durch Deinen Brief weiß Haydar Ali ja, daß Du Dich in der Schweiz befindest und nach hier kommen willst. Ich habe absichtlich nach Isfahan telegrafiert, da man dort weiß, wo er sich zurzeit befindet und mein Telegramm dann gleich an ihn weiterleiten kann, wie dies auch das letzte Mal geschehen ist. Ein eigenartiger Zufall bei dieser Geschichte ist, daß ich ihm letztes Jahr am 16. Nov. gedrahtet habe, diesmal einen Tag vor diesem Datum. An Zia habe ich mich vor einer Woche geschrieben und mal nach den damals bei seinem Vater untergebrachten Dingen gefragt. Wenn Imami versagen sollte, so werde ich mich an ihn wenden und um eine Überweisung bitten.

    Was ist nun dann zu tun, wenn die dortige Flug-Agentur es ablehnt, den Fehlbetrag durch mich bei der hiesigen Agentur einbezahlen zu lassen und wenn ich die Devisengenehmigung für eine Überweisung an Dich nicht bekommen sollte? Imami wird Dir wahrscheinlich aus England nichts in die Schweiz überweisen können, wegen der jüngsten englischen Devisenverordnungen. Vielleicht kann Alberto aushelfen, vielleicht die Dienststelle von Herrn Beckh, etwa derart, daß ich den Dir dort geliehenen Betrag an deren hiesigen Delegierten in hiesiger Währung zurückvergüten kann. Sonst bleibe noch zu versuche, den Fehlbetrag in Dollars von Zia anzufordern, jedoch fürchte ich würde die Beschaffung derselben einige Zeit in Anspruch nehmen, da der Vorgang nicht ganz einfach ist. Eine weitere Möglichkeit […].

    Mein Geburtstag ist ruhig und unbemerkt verlaufen. Ich habe nur den Anbruch desselben gefeiert. In der letzten Woche wurde im Konservatorium von den Musikstudenten die Zauberflöte gegeben. Dort hat man die einzige Gelegenheit, mal eine Oper zu sehen, leider natürlich nur von Dilettanten, weil es ja sonst keine Oper hier gibt. Ich hatte für Dienstagabend Fräulein Fleissner eingeladen mit mir zur Zauberflöte – die ich noch nie gesehen, obwohl die Musik im Lagerorchester sehr oft gespielt habe – zu gehen, konnte aber keine Karten mehr bekommen außer für Donnerstag, den 13. November. Unsere Plätze waren Nr. 13 und 14! Ich hatte Fräulein Fleissner schon lange mal einladen wollen, weil sie mir so oft bei Einkäufen geholfen, uns hier öfter mal was Gutes gekocht (besonders wenn wir Gäste hatten, z.B. als Grubers da waren) und mich vergangenen Sonntag auch zum Tennis eingeladen hatte, wohin ich jetzt jedes Wochenende zum Spielen hingehen kann, wenn ich Lust habe. Vor der Oper aßen wir zusammen zu Abend und wenn man in dem betreffenden Lokal, wo wir waren, bezahlt hat, bekommt ein „Pass Ticket", was man beim Hinausgehen an der Tür abgibt, und dieses komische Ticket hatte die Nr. 13. Ist das nicht merkwürdig, dreimal 13? [von Erwin immer als seine Glückszahl genannt]. Ich habe natürlich auch nicht übersehen, daß Dein Telegramm ebenfalls diese Ziffer trägt. Die Aufführung hat uns soweit ganz gut gefallen. In der Pause zeigte ich ihr die drei Fotos aus Deinem Geburtstagsbrief und dabei las sie zufällig auf der einen, daß Karin ihrem Papi gratuliert. Nun war’s aus mit meinem Geheimnis. Ich bat sie jedoch, niemandem etwas davon zu sagen, was sie mir versprach unter der Bedingung, daß wir bis zwölf Uhr warteten um anzustoßen. Die Oper war um halb elf zu Ende und so setzten wir uns ins Vestibül im Hotel Wentworth, aßen noch paar Sandwich und hatten dann Schwierigkeiten um 12 Uhr einen Whisky zu bekommen, weil die Bar schon um halb zwölf Uhr geschlossen wird. Nach vielem Zureden ist’s mir dann aber doch noch gelungen. Um halb eins brachen wir auf und jeder stieg in seinen Omnibus – Fährboote fahren um diese Zeit nicht mehr nach Neutral Bay und ich bin noch nie so spät aus der Stadt nach Hause gefahren, daher also diesmal zum ersten Male mit dem Omnibus über die Hafenbrücke. So habe ich also eine halbe Stunde mit einem Glas Whisky und einem Wiener Mädel Geburtstag gefeiert. Ein zweites Glas Whisky wollte uns der freundliche Kellner trotz allem Zureden nicht mehr verabreichen. So war also mein zweiter Geburtstag in Sydney sozusagen eine halbe Stunde nach Beginn abgelaufen. Immerhin eine Verbesserung gegenüber dem ersten, von dem gar niemand wusste. Und wer wird mir wohl am nächsten gratulieren und mit mir feiern? Bob kennt natürlich meinen Geburtstag, hat aber wohl nicht daran gedacht. […]

    17. November: Da Mr. Bailey von einer Wochenendreise erst heute Mittag zurückgekommen ist, konnte ich die Empfehlungsschreiben für Canberra erst heute Nachmittag bekommen und fliege nun also erst morgen früh nach Canberra und hoffe, daß nun auch alles wie gewünscht klappen wird und daß ich Dir morgen von Canberra aus oder Mittwoch nach meiner Rückkehr den Erhalt des landing permits drahtlich melden kann, ebenso, wie es mit der Möglichkeit steht Dir die fehlenden Franken zu überweisen. Sollten sich in dieser Hinsicht Schwierigkeiten ergeben und die Klärung dieser Frage noch einige Zeit benötigen, so werde ich Dir auch das im Telegramm sagen. Wenn Du dann bei Eintreffen dieses Briefes von mir noch keine drahtliche Nachricht hast, daß die Überweisung klargeht, so setzte Dich bitte gleich mit der dortigen Flugagentur in Verbindung und versuche durchzusetzen, daß ich den Fehlbetrag bei der hiesigen Agentur der Fluglinie einzahlen kann.

    Ich erkundigte mich heute Nachmittag noch bei der Australian National Airways (A.N.A.), welche die Agentur der Trans World Airways (T.W.A.) innehat. Diese Leute vermuten, daß Du mit dieser Fluggesellschaft reisen wirst, die in Genf eine eigene Niederlassung hat. Sie sagten mir allerdings, daß sie hier keine Pfunde als Teilflugpreis annehmen könnten, wenn ich dafür keine Devisengenehmigung hätte, was zu der Auskunft der Pan American Airways in Widerspruch steht. […] Dein Großgepäck kannst Du ja per Schiff senden. […] Heute Nachmittag habe ich nun auch noch die verspätete Aufforderung bekommen, mich zu entscheiden, ob ich an der Repatriierung teilnehmen oder verzichten wolle, die die anderen schon am Freitag erhalten haben. […] Ich habe mir die Entscheidung für morgen in Canberra vorbehalten. Wenn ich mich für Repatriierung entscheiden würde, müsste ich Donnerstagabend hier abreisen. Was sind das alles für Aufregungen und lebenswichtige Entscheidungen, meine Margot. Ich rauche schon die dritte Zigarre zur Beruhigung.

    Eigentlich hätte ich heute viel von meiner Liebe zu Dir schreiben müssen, wo ich einen Geburtstagsbrief mit so viel Liebe drin von Dir erhalten habe. Aber ich spare mir das besser auf, um es Dir mündlich ganz nah ins Ohr zu sagen, weil ich jetzt noch packen muss für meine erste Flugreise in diesem Kontinent. Sei nun ganz innig und in herzlicher Liebe gegrüßt und geküsst von Deinem Erwin.

    Nr. 64, Sydney, den 19. November 1947)

    Meine Liebsteste, so, nun lass mich mal aufatmen und Dir dann einen ganz festen langanhaltenden Kuß geben, denn die letzten drei Tage waren sehr bewegt. Ich kann auch mit ganz ruhigem Gewissen aufatmen und mich freuen, daß ich bei allen unternommenen Schritten Erfolg gehabt habe, und daß alles so rasch glatt gegangen ist. Alles, was Du mir in Deinem Telegramm vom 13. November „befohlen" hast, habe ich in drei Tagen erledigt, so daß also von meiner Seite nun alles getan ist, um Deine Ausreise zu ermöglichen. Du wirst sogar schon Ende dieses Monats alle erforderlichen Unterlagen in Händen haben, so daß Du also die Flugplätze buchen kannst und wenn welche zu haben sind sogar schon früher als Mitte Dezember. Mit Deinem Telegramm hast Du mir ja im wahrsten Sinne des Wortes die Pistole auf die Brust gesetzt, wahrscheinlich eine Folge meiner Briefe Nr. 59 und 60, ja? Bob freut sich diebisch, daß Du nun doch Deinen Willen durchgesetzt und Dein Ziel erreicht hättest, und zollt Dir dafür großen Respekt!

    Nun will ich Dir mal ausführlich erzählen, was ich die denkwürdigen 25 Stunden nenne. Und sie waren nicht nur denkwürdig, sondern entscheidend für unsere nächste Zukunft. Am Montag um 16 Uhr erhielt ich von Mr. Bailey zwei Empfehlungsschreiben, eines an das Immigration Department und eines an den Vorsitzenden Fabrikanten Verbandes. Abends habe ich Dir dann noch bisschen geschrieben (Brief Nr. 63), was ja durch meine Telegramme inzwischen alles überholt ist, soweit es die Beschaffung der fehlenden Franken betrifft. Dienstag früh um acht flog ich ab und war kurz nach 9 in Canberra. Gegen halb zehn Uhr hatte ich den Herrn, an welchen ich empfohlen war, aufgefunden und ihm meine Sache vorgetragen. Als er hörte, daß Du in Genf seist, sagte er, daß er gerade vor ein paar Wochen von dort zurückgekommen sei, wo er bei einer Konferenz zu tun gehabt habe. Nun unterhielten wir uns erstmal über Genf und die Schweiz. Dann sagte er, daß er einen höheren maßgeblichen Beamten im Immigration Department kenne und er wolle mich dorthin begleiten. Er fragte, ob ich meinen Wagen dabeihätte. Ich sagte, den habe ich in Teheran gelassen und sei per Flugzeug aus Sydney gekommen. Er lachte und bot mir dann an, in seinem Wagen hinzufahren. Über gepflegte Straßen fuhren wir durch die weiträumig angelegte Stadt und trafen die maßgebenden Herren auch sofort an. Innerhalb von fünf Viertelstunden hatte ich Dein landing permit in Händen und die Zusicherung, daß am gleichen Tage noch ein Telegramm an das britische Konsulat in Genf gesandt würde, damit dieses bereits jetzt unterrichtet ist, daß das landing permit für Dich und die Kinder erteilt ist, und ich habe brav dafür ein paar Pfunde Depot hinterlassen. Bevor ich Dein landing permit erhielt, musste ich auf Repatriierung verzichten und bekam dann auch gleich eine Bestätigung, daß ich nunmehr ein „permanent resident of Australia" sei. Nun ist’s also geschehen und die große Entscheidung ist getroffen. Kurz vor 12 Uhr telegrafierte ich Dir dann aus Canberra und füge Durchschlag meines Telegramms bei.

    Wegen der Überweisung der Franken konnte mir das Immigration Department nicht helfen, fragte aber bei der Bank an. Das Ergebnis war aber, daß sie mir wenig Hoffnung auf die Devisengenehmigung machen konnten, ich solle jedoch mein Glück in Sydney versuchen. Ohne mir nun Canberra anzusehen, buchte ich nun gleich den Rückflug für halb zwei Uhr, aß vorher rasch noch zu Mittag und flog heimwärts. Kurz nach 3 Uhr war ich bei der Bank in Sydney und bestürmte die Devisenstelle. Nach etwa einer halben Stunde Verhandeln sagte man mir die Franken zu. Da es aber schon zu spät war, konnte ich mein Geld von der Sparkasse nicht mehr abheben, außerdem hatte ich nicht so viel und musste erst versuchen noch etwas zu pumpen. Kurz nach vier Uhr verließ ich die Bank und ging gleich zum Telegrafenamt, um Dir zu drahten, daß ich die Devisengenehmigung erhalten habe. Telegrammkopie anbei. […] Heute Nachmittag rief das Telegrafenamt hier an und sagte, daß mein gestriges Telegramm Dich unter der angegebenen Adresse nicht erreicht habe und Dir per Post nach Megganina?? oder so ähnlich nachgesandt worden sei […]. Heute früh zog ich nun los, um erst mal den noch fehlenden Betrag zu beschaffen, was mir nach einigen vergeblichen Versuchen dann am Nachmittag auch gelungen ist. Dann hob ich mein Geld ab und zog mit den 300 Pfund zur Devisenstelle. Die Formalitäten waren in einer halben Stunde erledigt und morgen Vormittag geht die Überweisung auf telegrafischem Wege nach Zürich ab. Sie erfolgt auf Deinen Namen, Adresse Arosa, Hotel Prasura, an die Schweizerische Kreditanstalt Zürich, von wo Du dann vom Eingang des Geldes benachrichtigt wirst. […] Heute Nachmittag war ich nochmal bei Grubers, um von Frau Gruber einiges über den Verlauf der Reise zu erfahren. Es sei alles sehr gut gegangen, in London habe sie zwei Tage Aufenthalt gehabt, ebenso in San Francisco, in beiden Fällen habe sie die Hotelkosten selber bezahlen müssen, da diese im Flugpreis nicht eingeschlossen seien. In London sei das Hotelzimmer durch das Reisebüro für sie reserviert gewesen, dagegen nicht in San Francisco. Sie habe an Bargeld nur 20,- Pfund Sterling und 100,- Dollar mitgenommen und sei damit reichlich ausgekommen und habe noch viel davon mitgebracht. […] Ihr Junge, ein paar Monate jünger als Albert, habe die Reise sehr gut überstanden. Bei der Ankunft hier dürfen die Angehörigen nicht am Flugzeug die Ankommenden begrüßen, sondern können sich nur zuwinken, bis die Passagiere durch Zoll und Arzt abgefertigt sind, was eine halbe bis eine Stunde dauert, je nachdem wann man drankommt.

    Anbei sende ich Dir nun das landing permit No. B 5645 vom 18. November 1947 nebst Medical Examination Formular. Du musst es zwecks Erhalt des Visums dem britischen Konsulat vorweisen und dann bei Deiner Ankunft hier vorweisen und abgeben. […] Also, meine sehr geliebte Margot, nun komm recht bald zu mir. Ich hoffe, daß ich noch vor Monatsende ein Telegramm bekommen werde, für wann Du gebucht hast und wann Du hier eintreffen wirst. Sicher noch vor Weihnachten, so daß wir diesmal endlich zusammen feiern können. Und fallt mir ja unterwegs über die beiden großen Teiche nicht ins Wasser! Wenn ich nur schon das Datum Eurer Ankunft wüsste, dann könnte ich wenigstens die Tage schon abzählen. Ich warte ja jetzt mit so viel größerer Sehnsucht als je zuvor. Lass Dich ganz innig küssen von Deinem Erwin.

    Nr.14, z. Zt. Meggen bei Luzern, p.. Adr. Gräfin Tiele-Winkler, 21. Nov. 47 (Eing. 3.12.47)

    Mein Geliebter – ein Schlösschen am See, angefüllt mit Kunstschätzen u. uralter Tradition – wird das nun der Schauplatz für die letzte Szene meines Strohwitwendaseins sein? Der stilvolle Rahmen für den „Abschied aus Europa"? Ich gehe umher wie im Traum. Zähle die Tage. Wie ein Kind vor Weihnachten liege ich abends im Bett und rechne an den Fingern aus, wieviel Wochen, wieviel Mondwechsel es noch bis Weihnachten sind. Daß mir der Abschied leicht würde – nein! Ich kann nicht daran denken, ohne daß mein Herz ein paar erschreckend beklemmende Schläge tut u. die heißeste Sehnsucht nach Mutti in mir hochschwallt, eben auch wie bei einem Kind! Aber ich habe gelernt in den letzten Jahren meine Gefühle zu beherrschen, ich will nicht vermessen reden, aber ich musste ja beherrscht werden, um uns drei immer durchzubringen, seelisch. Und man kann ein Ziel nur unter vollem Einsatz erreichen. Man muss in gewissen Augenblicken fähig sein, alles aufs Spiel zu setzen um eines zu erreichen, darf an Dingen nicht mehr hängen wie früher u. muss auch einen Schritt ins Unübersichtliche wagen, wenn man, wie ich, das Vertrauen haben darf, daß der Schutzengel der Kinder uns an die Hand nimmt. 40 Tage, Erwin Liebster, 40 Nächte noch in dieser Überspannung der Nerven: wird der Start glücken? Ich habe das Gefühl, die Tage hängen jetzt, wie zäher Teig am Kalender u. es bedürfe meiner ganzen Kraft einen nach dem andern abzureißen.

    Vier Telegramme sandtest Du mir in drei Tagen! Ich danke Dir! Daraus allein habe ich gespürt, daß Du ohne Zögern u. auch mit ganzem Herzen den Reiseplan gebilligt hast. Und als nun vorgestern Dein Lieber Brief vom 10. Nov. nachgesandt wurde u. ich las, wie sehr Du unter der Unentschiedenheit unserer Zukunft littest, da habe ich nicht bereut, durch mein Telegramm zu Deinem Geburtstag doch wohl Deinen Entschluß definitiv beeinflusst zu haben! Aber umbringen könnte ich die sonst so nette u. gründlich KLM-Beamtin in Genf, die mir sagte, in vier Wochen, also bis Mitte Dez. ließe sich bestimmt unser Flug arrangieren! Nun hast Du Dich ebenso auf Weihnachten gefreut, wie ich und nun hörte ich, daß KLM-Hauptvertretung in Zürich uns erst zum 30. Dez. buchen könne, wie ich Dir in meinem letzten Brief von Genf aus schrieb. Lieber Gott, ich will ewig dankbar sein, wenn es dann wirklich klappen wird! Aber es tut mir Deinetwegen leid. Vielleicht wäre es zu schön gewesen, daß wir gerade zu Weihnachten gekommen wären. (…).

    Schlimmer als die Spannung – wird man mir alle Visa geben, wird jeder meinen Pass als genügend anerkennen, ist im Augenblick für mich die Frage: wird es Krieg vorher geben? Werden die Russen die Londoner Konferenz sprengen, werden sie alle dort Versammelten plötzlich überfallen? Usw., usw. Die Zustände in Frankreich sind ja praktisch die andauernd von mir befürchtete Vorbereitung zur Aufrichtung der Russenherrschaft in Europa. Ich muss heute immer daran denken, wie Anfang August in Niederbayern, genau wie vor einem Jahr im gleichen Monat, von nichts anderem gesprochen wurde, als vom neuen Kriegsausbruch, wie Mutti da abends durch die Wiesen ging u. sagte: Krieg kommt nicht, bevor Du ausgereist bist, da kannst Du ganz beruhigt sein; u. sie nahm meinen Arm u. das war so tröstlich, wie wenn man als kleines Kind mit einem Kummer sich in Muttis Arme flüchten konnte. – Und wie oft sagte Mutti damals: Jetzt musst Du Deine Nerven schonen, jetzt musst Du diese Endstrecke auch noch durchstehen.

    Ich will es.

    I will, sagte gestern Abend am Radio Prinz Philip und nachher Elisabeth mit einer bewegten jungen Stimme auch. Ich war schrecklich bewegt bei diesen Feierlichkeiten und musste immer an uns zwei denken, wie wir vor 13 Jahren uns auch gelobte einander zugehören for better and for worse.

    Hast Du gestern gefeiert? Tüchtig?

    Also nochmals Dank für Deine vielen Telegramme! Und meine Anerkennung dazu! Du hast ja auf Hochdruck gearbeitet. […] Inzwischen bin ich ja in Bern gewesen. Samstagabend bei Föhnsturm gelangte ich nach Muri, wo Camenecis wohnen. […]

    Montagabend kam ich hier an u. wurde von Gräfin Thiele-Winkler u. einem Verwandten, Graf Kanitz, von der Bahnstation geholt. […] Der ganze Besitz ist von der Verrechnungsstelle beschlagnahmt u. wovon sie hier alle leben, weiß ich nicht recht. […] Die Gräfin ist eine Schwester von Sabines Tante, Baronin Braun, der Mutter des Erfinders der V2, die ich vor einem Jahr in Landshut kennenlernte u. die jetzt mit Mann bei ihrem Sohn in Texas ist. Oh Erwin – wird die kleine Wohnung bei Baileys Wirklichkeit für uns werden? Nach 6½ Jahren wieder ein eigens Heim, eine vollzählige Familie? Ich wage es mir noch nicht auszudenken!! Und denke doch immer daran! 90 kg. Gepäck dürfen wir mitnehmen. […] Ganz arm macht Dich nun Deine Schwalbenfamilie! Wenn es Dir nur lohnt!! Wir sollen in Karachi umsteigen in das britische Flugzeug; das sei besser als Singapore, sagte KLM Zürich. […] Ich hatte sehr netten langen Brief von Ziaollah gestern, der mich zu meiner Ausreise beglückwünscht. Die Kinder sind diese Woche gegen Pocken geimpft worden, wie für die Reise verlangt wird. Hoffentlich ist es gut bekommen. Ich hab‘ sehr Heimweh nach ihnen! Und warte mit Hochspannung auf Deinen ersten Brief nach meinem Telegramm. Oh Erwin, Erwin – kannst Du Dir vorstellen unser Wiedersehen? Ich nicht! Tausend liebe, liebe Küsse von Deiner Margot.

    Nr. 65., Sydney, den 21. November 1947

    Meine geliebte Margot, mein Brief Nr. 59 muss Dir ja einen bösen Schreck eingejagt haben. Es tut mir sehr leid, Dir damit so viel unnötige Aufregung und Sorge bereitet zu haben, was ja, so wie die Dinge nun heute liegen und nachdem die Würfel auf die südliche Hälfte des Erdballs gefallen sind, gar nicht notwendig gewesen wäre. […] Stelle Dir nun mal vor, ich hätte den Entschluß gefasst an der Repatriierung teilzunehmen und hätte nun gestern wenige Stunden vor der Abreise Deinen Brief bekommen. Dein Brief hätte dann zur Folge gehabt, daß ich entweder einfach nicht am Zug erschienen wäre […] oder ich weiß nicht, was es sonst noch für eine Alternative gegeben hätte. Jedenfalls hätte ich in letzter Minute auf die Heimreise verzichtet und Dein Brief hätte also seinen Zweck erreicht. Das lässt sich jetzt natürlich sehr leicht sagen, wo ich weiß, daß wir uns in etwa 5 Wochen, nein, jetzt sind es nur noch vier, wiedersehen werden. Wie bin ich froh, daß dieser Brief durch Dein Telegramm vom 13. Bereits überholt ist und die Entscheidung, so wie Du sie mir mit Deinen lieben Zeilen nahelegst, bereits getroffen war.

    Es tut mir so sehr leid, daß Du in den ersten paar Tagen in Genf so viel Pech mit Warten hattest und ich bin nun sehr gespannt, wie sich der Knoten gelöst hat, so daß Du am 13. Nov. schon so positiv telegrafieren konntest. Ich muss schon sagen, ich hab‘ ‚ne sehr tüchtige Frau und gratuliere mir selber zu meiner damaligen Wahl. Nachdem Du so viel Dampf dahinter gesetzt hast, wollte ich natürlich auch nicht nachstehen und habe ja auch alles in drei Tagen durchgesetzt. Und nun hoffe ich, daß sich keine neue Schwierigkeit mehr auftut und Du, wie geplant, Mitte Dezember die große Reise antreten kannst. Ich warte schon jetzt von Tag zu Tag auf ein Telegramm mit Angabe des genauen Abreisetermins und Ankunfts-Tages, obgleich es dann ja noch viel zu früh ist, denn Du wirst wohl nicht endgültig buchen können, bis das Landing Permit in Deinen Händen ist, es sei denn der britische Konsul hilft Dir aufgrund des an ihn von Canberra gesandten Telegramms. Ich sagte in Canberra auch, daß Dein Aufenthaltsvisum für die Schweiz am 2. Dezember ablaufen würde und nicht sicher sei, ob es verlängert würde. Darauf meinten die Leute im Immigration Department, daß sich dann sicher der britische Konsul dafür einsetzten würde, Dein Visum wenigstens bis zum Abreisetermin verlängert zu bekommen. Denn da Du als Einwanderer nach Australien kommen würdest, hätte der Konsul alles Interesse daran, daß Deine Reise nach hier auch zum Klappen kommt. Du wirst also bei ihm sicher Schutz und Hilfe finden, zumal ich bei meinem am 18. Nov. in Canberra selber abgegebenen Antrag für „permanent residence" in Australien angegeben habe, daß ich die Absicht habe, mich naturalisieren zu lassen. Hoffentlich hat Dein Pass für diese Reise Gültigkeit und nicht nur für Deine Reise in die Schweiz und nicht darüber hinaus. Wie ich höre, soll es aber für Leute ohne richtigen Pass einen Tote-Kreuz-Pass geben, den Du Dir wohl beschaffen kannst.

    21. November 1947 [Aus einem Brief von Erwin, nur S. 3, Rest fehlt.]

    […] von vorhergehenden Telegrammen vom 15. und vom 18. hatte ich ja nach Genf gesandt, ebenso auch meinen Brief Nr. 63. Wegen der in meinem letzten Brief bereits erwähnten Nachricht vom Telegrafenamt, daß mein von hier am 18. gesandtes Telegramm Dich in Genf nicht erreicht, sondern Dir per Post nachgesandt worden sei, fragte ich nochmals rück und erfuhr nun, daß Dir das Telegramm nach „Meggulucerne" nachgeschickt worden sei. Bist Du in Luzern? Und ist Meggu die Hotel- oder Pensionsadresse?

    Gestern früh – mein Arbeitstag bei Baileys – kam gleich Mrs. Bailey an und fragte, ob ich alles erreicht habe. […] Dann müssten wir schon anfangen, die Zimmer herzurichten. […] Die beiden Zimmer, vier Betten, diverse Schränke und ein Toilettentisch stehen also bereit. Es wird noch eine Verbindungstüre eingebaut und auch eine Kochgelegenheit. Es fehlen nur noch die Bewohner, auf die ich so sehr warte. […] Ja, meine Liebste, wir werden also im vornehmsten Stadtviertel Sydneys wohnen, wo es keine Läden u. keine Straßenbahnen, dafür aber Omnibusse gibt. Adresse: Bellevue Hill, Victoria Road 73. Sind das nicht hochklingende Namen? Und „mein" schöner großer Garten mit dem vielen Raden. Ich musste heute immer auf die Fenster der beiden Zimmer sehen, die wir bald zusammen bewohnen werden. Schick mir ja gleich ein Telegramm, wenn Du endgültig gebucht hast, dann gibt es ja so viel vorzubereiten und zu bedenken und zu freuen. Und die Vorfreude soll lange dauern, dann hab ich mehr davon.

    Anbei nun noch eine Kopie Deines Landing Permits No. B 5654 vom 18. November. Und nun gute Nacht, meine Geliebte, schlaf schön und komm bald zu Deinem Dich sehr liebenden Erwin.

    [handschriftliche Notiz von Margot: Erwin hat bei Baileys, wo er bisher nur einen Tag arbeitete, feste Arbeit angenommen (ich als Haushaltshilfe stundenweise), dafür haben wir die Wohnung von zwei Zimmern u. Badezimmer, ohne deren Nachweis Erwin kein Landing Permit für uns bekommen hätte. Ich bin so froh, daß die Kinder einen schönen Garten haben. Sende mir die Briefseite bitte zurück.]

    Nr.66., Sydney, den 24. November 1947

    Meine geliebte Margot, vorgestern, am Samstag, kamen zur Wochenendfreude Deine beiden Briefe vom 8. und 11. November. Du hast ja wieder allerhand geschafft bei Deinem Besuch in Bern, und ich freue mich, daß Du Dich so zielbewusst durchgesetzt hast. Ich möchte nur wissen, wer der Lump mit der politischen Auskunft über uns ist. Heute wurde ich nun schon wieder von einem lieben Brief überrascht, Deine Zeilen vom 14. Nov. Hab sehr herzlichen Dank dafür.

    Imhoffs Brief find ich auch sehr nett, zumal er mir damit ja auch weiterhin alle Türen offenlässt. Über Imami’s Brief habe ich mich aber ganz besonders gefreut, zumal er den Deinigen so prompt beantwortet. Auf meine beiden Briefe an sein Stammhaus, die ich vor rund einem Jahr geschrieben habe, habe ich ja nie Antwort bekommen, sondern nur das Geld. Ich hoffe, daß er mir auch diesmal wieder helfen wird auf meinen telegrafischen Notruf. Dann haben wir wenigstens einen kleinen Rückhalt und können den nächsten 2-3 Jahren beruhigter entgegensehen. Am 21. Nov. habe ich nun auch Zia geschrieben und ihm mitgeteilt, daß Du mit den Kindern gegen Ende des Jahres nach hier kommen würdest. Da ich für Euch eine Wohnung einrichten und Haushaltsdinge kaufen müsste, bat ich ihn, bzw. seinen Vater, mir 3 bis 500,- Pfund zu überweisen. […] Heute habe ich von der 3½-jährigen Christie McIllree eine feste Umarmung und einen herzhaften Kuß bekommen, den ersten, seit Du mir vor 6½ Jahren den letzten gegeben hast. Sie scheint eine große Zuneigung zu mir gefasst zu haben, seit sie alleine ist, da ja ihre 6 Jahre alte Schwester Caroline seit zwei Monaten zur Schule geht (Schulzeiten sind hier von 9 Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags). Wenn ihre Mutter oder die Nurse sie rufen, dann klammert sie sich fest an mich und will bei mir bleiben, ebenso wie sie sich hinter mir versteckt, wenn sie Schimpfe oder einen Klaps bekommen soll, weil sie sich schmutzig gemacht, mit Wasser und Dreck gespielt oder sonst wie nicht gefolgt hat. Wenn ich mittags mein Butterbrot esse, sitzt sie bei mir auf dem Schoß oder tollt sonst wie auf mir oder um mich herum.

    Was Dir Herr B. über mein noch vorhandenes Guthaben gesagt hat, stimmt nicht. Nach meinen Aufzeichnungen müssen noch 9.573.- vorhanden sein – ohne die beiden Goldstücke – wovon allerdings inzwischen vielleicht noch die von mir am 11. Nov. an die Christliche Nothilfe angewiesenen 100,- Fr. abgehen. Ich sende Dir anbei eine Aufstellung, wie sich das Guthaben zusammensetzt. (…..)

    Wegen des Gepäcks schrieb ich Dir schon. Ich empfehle Dir unbedingt, Deine beiden Kabinenkoffer mitzubringen; natürlich nicht im Flugzeug, sondern wie Frau Gruber dies gemacht hat […]. Mit dem Geld wirst Du ja wohl

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