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In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950 - Band 3
In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950 - Band 3
In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950 - Band 3
eBook575 Seiten9 Stunden

In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950 - Band 3

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Über dieses E-Book

Der Titel "In Inniger Liebe" nimmt Stil und Ton der Briefe von Margot und Erwin Spiegel während ihrer sechseinhalb jährigen kriegsbedingten Trennung auf. Sie schrieben sich wöchentlich über sich, über die Kinder und über ihre Liebe. Die vierundsechzig Jahre ihrer Ehe waren immer voller Vertrauen, aber die sechseinhalb Jahre der Trennung hält ihre Liebe in wunderschönen Worten fest. Dazu kommen Margots Briefe aus Ihrer Jugend und aus Teheran an ihre Mutter, denn sie liebte es immer schon, schöne Briefe zu schreiben. Die Veröffentlichung soll verhindern, dass das alles verloren geht.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Feb. 2021
ISBN9783347247550
In inniger Liebe: Die Briefe meiner Eltern über Kontinente 1908-1950 - Band 3

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    Buchvorschau

    In inniger Liebe - Albert Spiegel

    XI. Keine Postverbindung 1945, Briefe 1946-47

    Ab Frühjahr 1945 erreichten Briefe von Margot und Erwin ihre Adressaten erst Ende 1945, soweit sie nicht verloren gingen, da der internationale Postverkehr für Deutschland unterbrochen war. Erwin hatte wöchentlich weitergeschrieben, ohne zu wissen, ob uns seine Briefe erreichen würden. Margot konnte ihre Briefe gar nicht zur Post geben, da der Postbetrieb nur beschränkt funktionierte und keine Briefe ins Ausland angenommen wurden. Vielleicht sind auch einige ihrer Briefe verlorengegangen, denn aus dem zweiten Halbjahr 1945 sind keine Briefe von ihr erhalten.

    Der Brief Nr. 61 vom März 1945 ist der Letzte im Jahr 1945; er erreichte Erwin - nach dessen Notizen - im Februar 1946. Ob und wie viele Briefe zwischenzeitlich geschrieben, versendet, empfangen oder verloren gegangen sind, ist unklar.

    Am 4. Januar 1946 schrieb Margot:

    Mein geliebter Erwin, dies ist der erste Brief im Neuen Jahr, über dem kann nur Dein geliebter Name stehen! Grausam ist es, so in die Leere zu schreiben, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß sich doch einmal so viel christliche Nächstenliebe findet, Dir so ein armseliges Brieflein von mir, das Du nun schon ¾ Jahr entbehren musst, hinzuschicken!

    Da der Post nicht mehr zu vertrauen war, kam Erwin auf die Idee, den Suchbrief-Service des Roten Kreuzes für Nachrichten an Margot zu nutzen. Diese Kurzbriefe folgten einem Formular, auf dem sechs Zeilen zur Verfügung standen. Diese Nachrichtenformulare erreichten Margot, so war die Verbindung mit den folgenden Zeilen ab September 1945 wieder hergestellt.

    Tatura, 21. Sept. 1945

    Meine geliebte Margot, vielleicht erreicht Dich diese Nachricht rascher als alle meine in den letzten Monaten geschriebenen Briefe, um Dir zu sagen, daß es mir gesundheitlich gut geht u. auch sonst unser Leben hier unverändert seinen gewohnten Ablauf nimmt. Mein letzter Bf. war Nr. 14 vom 16. Sept. u. Dein letzter ist v. 16. Febr. Bin sehr in Sorge um Euch. Herzl. Grüße von Deinem Erwin.

    Weitergeleitet v. Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, Zentralstelle für Kriegsgefangene, Genf, 29.10.45, an Rotkreuz-Dienststelle Landshut (Bayern).

    Tatura, 17. Nov. 1945

    Meine liebste Margot, am 21.Sept. schrieb ich Dir schon mal eine solche Nachricht u. hoffe, daß Du sie jetzt schon erhalten hast u. vielleicht sogar Deine Antwort schon nach hier unterwegs ist, denn ich bin noch immer ohne Nachricht von Dir. Vor 14 Tagen kam als Nachzügler Dein Bf. v. 11.2. so sehr ich mich über jeden noch so alten Bf. von Dir freue, so sehne doch unvergleichlich stärker nach neuer Post von Dir. Innigste Grüße, Dein Erwin.

    Tatura, 15. Dez. 1945. Meine lieb Margot, dies ist nun schon die dritte Nachricht, die ich Dir auf diesem Wege sende, aber bisher leider ohne Erfolg, da eine Antwort auf die erste v. 21.9. bis jetzt noch nicht gekommen ist u. ich auch sonst von Dir seit 16.Febr. ohne jegliche Nachricht bin. Das wird ein bedrückendes Weihnachten geben, so gar nicht zu wissen, wo Ihr seid, wie es Euch geht u. seit Mai ergangen ist. Mit den Kindern grüße u. küsse ich dich sehr innig, Dein Erwin.

    Tatura, 14. Febr. 1946

    Meine liebe Margot, dies ist die vierte Nachricht dieser Art, aber leider habe ich noch keinen der anhängenden Antwortzettel erhalten. Im Okt. u. Jan. schrieb ich auf diesem Wege an die Eltern u. Gretel, auch darauf noch keine Antworten. Am 10.1. Erhielt ich eine Anfrage von Gretel aus Freiburg übers IRK Genf v. 4.12. u. am 19.1. eine Karte aus Helsingborg, daß Ihr in Altfraunhofen wohlauf seid. Innigste Grüße, Dein Erwin.

    Briefe, die Erwin in der kontaktlosen Zeit geschrieben hatte, erreichten Margot in einem Paket Ende 1945, wenngleich die Briefe von Nr. 61 (19. November 1945) bis 70 verschollen sind.

    Nr. 71., Loveday, 21. Januar 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine sehr geliebte Margot, wie hast Du das fein getroffen, daß heute Vormittag Deine 3 lieben Briefe Nr. 42, 43 und 45 eintrafen, u. wie war ich freudig überrascht, als ich in zweien Deiner Briefe die herrlichen Fotos von Dir fand. Gedenktage, wie den heutigen, begeht man ja nicht gerne allein u. es war daher sehr schön, daß Du durch die Bilder fast leibhaftig zu mir gekommen bist u. ich Dich nun immerzu ansehen kann. Da all Deine Briefe zwischen 4.10. u. 7.11. noch fehlen, kamen die Bilder unangekündigt u. daher ganz unerwartet, denn nachdem die Aufnahmen in München gegen Ende 43 nichts geworden waren, rechnete ich nicht mehr damit. Ja, meine Liebste, Du gefällst mir auf den Fotos noch genau so gut wie je, vielleicht sogar besser, weil ich Dich durch Deine schönen Briefe heute mit andern Augen sehe als früher. Ich finde die Fotos im Ganzen gut – höhere Ansprüche habe ich nicht – u. außer Deinen Augen gefallen mir auf der lachenden Deine Zähne, die darauf so ebenmäßig u. weiß wie Perlen sind, u. auf dem andern Bild Deine Hände. Schade, daß nicht noch ein Bild in dem weißen Pullover dabei war! Kannst Dir denken warum? Heute früh, als ich beim Friseur Alex wartete – zwecks Schnurrbart schneiden – las ich einige sehr interessante u. lehrreiche Ausführungen von Manfred Hausmann in Form eines Briefes über die Ehe im Kriege […]. Sein tiefer Sinn ist: man hat sich verändert, ist sich fremd geworden durch die lange Trennung. Man könne unmöglich dort weiterfahren, wo man vor Jahren aufgehört hat. Man muss wieder umeinander werben u. ganz von vorn anfangen. Dann könne man sich wiederfinden, inniger vielleicht, als zuvor. So wie ich vor 10 Jahren um Dich geworben habe, will ich es nach der Heimkehr wieder tun, nur werde ich dann reifer sein als damals u. Du ja auch. Bellevue, Regina u. Alpenhof u. Oberaudorf werden sich in anderer u. schönerer Art wiederholen. Vor mir steht für Dich ein Stengel lavendelfarbener Gladiolen aus meinem Gärtlein, das ich in 3 Tagen verlassen muss. Die Farbe der Blüten ist genauso wie Dein Abendkleid (war es nicht Dein gefärbtes Brautkleid?). Übers Jahr u. hoffentlich schon viel früher sind wir sicher wieder beisammen. All meine aufgestapelte Liebe sende ich Dir am heutigen Tage durch den Äther u. küsse Dich so innig,

    Dein Erwin.

    Nummern 72 und 73 fehlen

    Nr. 74, Tatura, 2. Februar 1945 [kein Eingangsvermerk]

    Meine geliebte Margot, kurz nachdem ich meinen letzten Brief v. 29.1 eingeworfen hatte, kam auch schon Dein erster Gruß in dieses Lager. Es waren Dein lieber Brief Nr. 38 u. Deine Postkarte v. 29. Sept. u. ich habe mich sehr über die Fotos gefreut, die Kinder zu Pferde u. Karin in Abwehrstellung vor der Gießkanne finde ich besonders gut. Hier gewöhnen wir uns so langsam an alles Neue u. empfinden das viele Grün u. die würzige Luft als besonders angenehm. In einer Milchbar, in der sich ein elektrischer Eisschrank befindet, können wir nach Belieben Milch, Sauermilch u. Sahne trinken, alles eisgekühlt, sowie auch Frucht u. Sahne-Eis. Im Café gibt es verschiedene Arten von Cremes, Gebäck u. Schlagsahne. Jede Woche ist zweimal Kino. Für die Filme besteht ein Kontrakt mit verschiedenen Filmgesellschaften, so daß wir ziemlich neue Filme zu sehen bekommen, wie z.B. zuletzt einen recht guten: „Die Geschichte Louis Pasteurs". Die Aufführungen finden unter freiem Himmel statt, was mich sehr an Teheran erinnerte. Nach 3 Jahren mal wieder einen guten Film zu sehen, war ein Erlebnis, welches einen ganz entfernt wieder an Zivilisation erinnert, wovon wir in Loveday wenig merkten. Fünf Tennisplätze sind da und gute Spieler […] für Filme u. Theater im Winter gibt es eine besondere Gemeinschaftshalle mit großer Bühne, in welcher tagsüber Turnen, Boxen u. Ping Pong stattfinden. Wie Du siehst, alles in allem für uns ein sehr vorteilhafter Lagerwechsel. Viele liebe Grüße u. innige Küsse, Dein Erwin.

    Nr. 75., Tatura, 9. Feb. 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine Liebste, heute Nachmittag kam Dein lieber Brief vom 19. Nov., nicht wie Du vermutest zum Hochzeitstag, dafür kamen aber zu diesem Tag Deine beiden Fotos, wie ich dir schon schrieb, was eine so schöne Überraschung war. Sehr gefreut habe ich mich über die Dir von Karin diktierten Zeilen, die also nun weiß, daß ich nicht mehr in Teheran bin. Wie hat sie denn reagiert, als Du ihr dies erzählt hast? Und auch Brüderlein schreibt mir, wo er seinen Papi doch gar nicht kennt Was er sich wohl für eine Vorstellung von mir machen mag? Gib den beiden einen Kuß von mir für ihr liebes Gedenken. […] Daß Du im Haushalt arbeitest, freut mich, denn danach hast Du Dich in den letzten Jahren doch oft gesehnt, wenn es auch nicht vergleichbar ist mit einem eigenen Haushalt. Aber der kommt hoffentlich auch bald! Ich hoffe, daß Dir die Arbeit gesundheitlich gut bekommt u. Du die Schwierigkeiten mit den Schrunden an Deinen lieben Händen bald überwindest. Wie gerne würde ich Dir ein Stück schöne Seife, Vaseline oder Ponds Cream, was wir alles hier in der Kantine kaufen können, schicken. Leider geht dies aber nicht. Sei nun herzlich gegrüßt u. geküsst von Deinem Erwin.

    Nummer 76 fehlt.

    Nr. 77., Tatura 21. Februar 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, leider ist Dein lieber Brief vom 19.11 seit 9. Febr. die letzte u. neueste Nachricht von Dir geblieben. […] Es tut mir so leid, daß Du gerade in der ersten Zeit nach Deinem Umzug so wenig Post von mir bekamst, wo man doch unter neuen Menschen u. in anderer Umgebung sich besonders nach Gedanken – mehr ist uns ja seit 3½ Jahren nicht vergönnt – seines Liebsten sehnt u. ihm nahe sein möchte, weil es doch ein bisschen hilft, Schwierigkeiten, welches das Ungewohnte immer mit sich bringt, besser zu überwinden. Und ich weiß, daß Du in der ersten Zeit nach dem Umzug besonders viel an mich gedacht hast, weil Du ja wissen wolltest, ob ich Verständnis für Deine Entscheidung habe. Darum brauchst Du Dir aber wirklich keine Sorgen zu machen, denn ich weiß ja, daß Du nach bestem Wissen u. Gewissen handelst u. wenn dabei mal was schiefgehen sollte, so hast sicher nicht Du die Schuld, sondern die Entwicklung der Verhältnisse, u. diese kann man heutzutage ja kaum von einem Tag zum andern mit einiger Sicherheit beurteilen. gefallen u. Du hast schon recht, daß es schließlich einerlei ist, wo wie uns wiedersehen, Wie gründlich sind doch meine Pläne vom Juli über meine Heimkehr ins Wasser gefallen u. Du hast schon recht, daß es schließlich einerlei ist, wo wir uns wiedersehen, ob ein paar Tage früher oder später. Eine genau gleichlautende Äußerung habe ich gerade dieser Tage von Goethe gelesen – vor über 100 Jahren in den Gesprächen mit Eckermann. Mein Plan mit Josep war ja auch nicht in erster Linie wegen der paar Tage früher, sondern um Dir Gelegenheit zu geben, Dich bei ihm in Lissabon einige Zeit aufzuhalten. An Roderich schrieb ich am 16. ds. Mts. […] Ich schließe Dich fest in meine Arme u. küsse Dich, meine Liebste, sehr sehr innig, Dein Erwin.

    Nr. 78., Tatura, 26. Febr. 1945 (Eing. Dez. 45)

    Meine Liebste, welche Freude, als vorgestern Deine Briefe v. 30. 11. u. 13. 12. kamen u. ich letzterem entnahm, daß Du im Dez. endlich wieder mehrere Briefe von mir erhalten hast u. darunter sogar mein ganz neuer v. 8. Okt. Es ist ja ein großes Glück, wenn nach monatelanger Wartezeit dann plötzlich Berge von lieben Nachrichten kommen, wenn gleich die meinigen leider nur immer sehr kurz u. gedrängt sind im Vergleich zu Deinen geliebten ausführlichen Erzählungen über die Kinder, Dich u. Euern Tagesverlauf. Wenn Ihr nur immer gesund seid u. bleibt, dann bin ich dankbar. Und die beiden Fotos von Karin u. Albert aus 1943 zeigen ja recht deutlich, daß es den Kindern gut geht. […] Vor einigen Tagen hatten wir die erste Probe unseres neuen 30 Mann starken Orchesters, darunter 10 Bläser, zusammengestellt aus den bisherigen Tatura-Internierten u. uns Neuankömmlingen aus Loveday. Es wird geleitet von einem Berufsdirigenten, Dr. Gruber, der als Chorleiter der Wiener Sängerknaben sich bei Kriegsausbruch auf einer Tournee durch Australien befand. Es macht Freude, unter einem, der was vom Fach versteht u. nicht nur Amateur ist, zu musizieren, wenngleich er uns gehörig rannimmt. Ich fand hier eine nagelneue Bassposaune vor, die ich nun abwechselnd, je nach dem Stück, mit der Tenorposaune blase. Wir studieren jetzt die Ouvertüre zu Martha u. den Kaiser-Walzer von Strauß.

    Sei recht innig umarmt u. geküsst von Deinem Dich sehr liebenden Erwin.

    Nr. 79., Tatura, 1. März 1945 (Eing. Dez. 45)

    Für Deine lieben Briefe v. 30.11. u. 13.12. dankte ich Dir schon am 26. v. Mts. u. hoffe, nun bald Deine Weihnachtspost zu erhalten. Die Weihnachtspakete der Fa., die schon im August abgingen u. sehr reichhaltig zusammengestellt sind, sind leider noch nicht angekommen, obgleich sie schon im August abgesandt wurden. […] Vergangenes Wochenende hatten wir ein Drei-Lager Turnier in Tennis: Loveday-Gruppe gegen Tatura A gegen Tatura B. Das hiesige Lager ist in 2 Teile geteilt, die aber miteinander verbunden sind. In A waren Internierte aus Australien u. in Be aus England. […]

    Nr. 80., Tatura, 8. März 1945 (Eing. Dez. 45)

    Meine innig geliebte Margot, vor 3 Tagen kam Dein lieber Brief Nr. 30 u. gestern Nr. 41. Der letztere klingt ja ein bisschen verzagt, aber ich kann dies verstehen, wo Du so lange keine Post von mir bekamst u. darauf auch noch gar einen weiteren Monat warten musstest. Das tut mir so leid um Dich, meine Margot, u. ich würde viel darum geben, wenn ich etwas zu einer Besserung in der Postbeförderung beitrage könnte. Die Verfolgung der Kriegsziele ist aber eben wichtiger als die Postbeförderung von u. zw. Internierten, obwohl die maßgebenden Stellen sicher wissen, welche Bedeutung Briefen von u. an Gefangene beizumessen ist. Dein Brief Nr. 30 ist so lieb, daß ich in der Nacht nach seinem Eintreffen sehr lebhaft u. wirklichkeitsnah von Die geträumt habe! Leider ist das Leben in der Internierung so phantasielos, daß so schöne ‚Träume sehr selten sind. Allerdings erspart dies einem auch allzu häufige Enttäuschungen, welche das Erwachen in der nüchternen Blechbaracke jedes Mal mit sich bringt. Es freute mich, daß Du durch die Erntehilfe beim Bauern Dir etwas körperliche Bewegung verschaffen konntest, habe dabei aber auch Bedenken, daß Du Dir nicht zu viel zumutest. Denn wenn ich recht erinnere, sollst Du wegen Deiner Erkrankung v. Juli 40 mit Bücken u. Heben vorsichtig sein. Und in Rumgraben bist Du den ganzen Tag zu Wege u. schreibst mir dennoch so fleißig, was ich Deiner Liebe zu mir hoch anrechne. […] Ich versuche jetzt öfter Deine ersten Briefe aus Rumgraben mit jenen aus der ersten Zeit in Kapfing zu vergleichen u. Schlüsse daraus zu ziehen, bin aber bisher noch zu keinem Ergebnis gekommen. […] Lass Dich in meine Arme schließen u. sehr herzlich u. innig küssen von deinem Erwin.

    Nr. 81., Tatura, 16. März 1945 (Eing. Dez. 45)

    Meine Liebste, gestern Abend sahen wir in einem Farbfilm: „Arabische Nächte", welcher die Erzählungen aus 1001 Nacht zur Grundlage hatte. Herrliche farbenfrohe Bilder aus dem Orient u. der Wüste erweckten in mir Heimweh u. Sehnsucht, zumal die Vorführung im Freien unter einem fast orientalischen klaren u. hellen Sternenhimmel stattfand, von welchem manche Sternschnuppe durch den Äther sauste, woran ich jedes Mal viele gute Wünsche knüpfte. Um die Erinnerung fast voll zu machen, rauchte ich noch eine Zigarre dazu aus einer Sendung vom Deutschen Roten Kreuz. Nur auf dem Sitz neben mir, da war’s nicht wie ich’s von Teheran her gewohnt war! Und dennoch blickte ich oft suchend nach der Seite. – Vergangene Woche wurden die Weihnachtsgaben vom Deutschen RK verteilt, die diesmal so reichlich waren wie noch nie, so daß ich gar nicht alles aufzählen kann. Nur das Wichtigste: Obstkonserven, Pumpernickel, Bonbons von Hartwig u. Vogel, Hautcreme, Zahnpaste, Stopfwolle, Tagebücher, Bürsten, Kämme, Spiegel, Unterhaltungsspiele, Violinen, ein Cello usw. Und für mich das Allerwichtigste: 2 Zigarren pro Mann, gute Otto-Wolff-Marke. Da Elchlepp, […] u.a. sowas nicht gut vertragen können, habe ich deren Artikel von ihnen geschenkt bekommen, so daß ich immerhin auf ein gutes Dutzend gekommen bin. Hoffentlich kommen die Okt.-Pakete von Frankfurt mit den Zigarren von Dir bald an. Vergangene Woche sahen wir einen schönen Operettenfilm, gedreht nach einer Revue von Molnar mit Musik von Oskar Strauß. Viele der gezeigten Filme entsprechen jedoch nicht unserem Geschmack. Aber trotzdem ist ein angenehmer Zeitvertreib für zwei Abende der Woche. Deine letzten Briefe sind Nr. 47 u. der vom 13.12.

    Viel Liebes u. tausend innige Küsse sendet Dir Dein Erwin.

    Nr. 82., Tatura, 22. März 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, gestern war bei Euch Frühlingsbeginn, in Persien Neujahr u. hier Herbstanfang. Das Wetter hier war so schön, wie es an diesem Tage meist in Teheran gewesen ist, u. ließ meine Gedanken besonders lebhaft zu Dir wandern in Erinnerung an die vielen schönen Stunden, die wir an solchen Tagen miteinander verlebten. Es ist gut, wenn man davon nach so vielen Jahren noch zehren kann, denn der Blick in die Gegenwart ist ja nicht eben rosig u. die bösen Nachrichten fordern ein sehr starkes Herz, um die Hoffnung zu behalten. Der Verlust unseres Werkes in Ludwigshafen, in welchem ich meine Laufbahn begonnen habe, ging mir sehr nahe. Und wo werden sich Lisel u. Lilo befinden? Solche u. andere Gedanken mehr gehen einem jetzt Tag u. Nacht fast ohne Unterbrechung durch den Kopf. Ach, meine Margot, wenn nur Du u. die Kinder alles gesund überstehen u. die Umstände bei unserem Wiedersehen nicht gar zu grausam sind. – Vor einer Woche wurden wieder Gruppen-Aufnahmen von uns gemacht. Bin mal gespannt, ob diese oder wir selber zuerst in der Heimat sein werden.? Ob Du meinen Schnurrbart zuerst auf einem Foto oder zuerst in Wirklichkeit sehen wirst? Heute kamen die beiden Weihnachtspakete aus Frankfurt an. Sehr liebevoll u. reichhaltig zusammengestellt bereiteten sie große Freude. Und Dir danke ich für die Zigarren, die darin enthalten waren. Nette Zwerge, die mir ausgezeichnet schmeckten. Oder sind diese auch noch von Ziaullah, dann danke ihm bitte dafür. Es wäre ja noch schöner, wenn man sie bei guter Stimmung, wie etwa vor 2½ Jahren genießen könnte, denn diese fehlt natürlich heutzutage. Gesundheitlich geht es mir gut u. ich sehne mich sehr nach neueren Briefen von Dir, aus der Weihnachtszeit u. vom Januar. Ich denke sehr an Dich mit all meinen guten Wünschen u. küsse Dich sehr innig, Dein Erwin.

    Nr. 83., Tatura, Karfreitag. 30. März 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, übermorgen ist Ostern, zum sechsten Mal in diesem Kriege. Für gewöhnlich ein schönes Fest, aber diesmal nur bange sorgenvolle Tage, wie sie wohl unsere Generation noch nicht erlebt hat. Möget ihr wenigstens einige sonnige u. warme Frühlingstage haben, denn danach sehnt man sich nach einem langen düsteren Winter am meisten, und diese auch gesund verbringen. Wie bin ich froh, daß Du Deinen Umzugsplan vom Juli in die Nähe der Eltern nicht durchgeführt hast, denn dann müsste ich mir jetzt ernste Sorge um Euch machen, so wie ich sie jetzt um die Eltern habe, die doch in ihren alten Tagen noch viel Schweres durchmachen müssen. Daß wir beide all dies Geschehen jeder mit sich allein abmachen müssen u. man alle Gedankengänge, die sich daraus ergeben, in sich hineingrübelt, wo eine Aussprache doch so vieles erleichtern würde, gehört mit zum Schlimmsten, was eine Trennung durch jahrelange Internierung mit sich bringt. Aber die Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen mit Dir, meine Liebste u. die Zuversicht, daß es doch noch zu einem baldigen u. erträglichen Ende kommt, gibt mir die Kraft standhaft zu bleiben u. das Vertrauen in die Zukunft nicht zu verlieren. Die soeben durchgegebene Karfreitagsnachricht von der Einnahme Mannheims u. Frankfurts wird wohl für alle Zeiten an diese Tage in Erinnerung kommen u. für mich an den kirchlichen Trauertag einen Trauertag meiner Heimat unlösbar anknüpfen. – Dein neuester u. bisher einzige Dez. Brief ist immer noch der vom 13.12., an dem ich aber die große Freude hatte, daß Du endlich nach so langer Wartezeit wieder Post von mir bekommen hast. Nun ist die Reihe des ungeduldigen Wartens seit über einem Monat an mir, auf Deine geliebten Briefe aus Dez. u. Jan. – Mit Herz u. Gedanken bin ich Dir stets nahe u. küsse Dich sehr innig, Dein Erwin.

    Nummer 84 fehlt.

    Nr. 85., Tatura, 10 April 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine Geliebteste, gestern kam endlich wieder liebe Post von Dir, wonach ich in meinem letzten Brief vom 7.4. noch so sehr jammerte. Es waren Deine Briefe Nr. 52 u. 54 und d. Foto von Karin mit Datum 20.1, d. gleiche, wie ich sie schon mit Deinem Brief v. 13.12. erhielt. Ein Schreck durchfuhr mich, als ich einen fremden Absender las, u. es tut mir sehr leid, daß Du schon wieder umziehen musstest. Die Gründe dafür kenne ich noch nicht, da ich aus Dez. nur Deine Zeilen v. 13.12. u. aus Januar nur die beiden oben erwähnten Briefe habe. Ich kann sie mir aber wohl denken. Mein Gefühl hat mich auch nicht getäuscht, denn ich hatte schon nach Deinen ersten Briefen aus Rumgraben die bestimmte Vorahnung, daß es nicht lange gutgehen werde, u. wenn Du meinen Brief Nr. 80 v. 8.3. aufmerksam gelesen hast, so musstest Du dies zwischen den Zeilen erfühlen. Ich konnte ja nach Kapfing u. Rumgraben meine Gedanken u. Urteilen über Deine Wirte nicht schreiben, da ja meines Wissens diese Briefe dort unverschlossen abgeliefert werden, so daß damit zu rechnen ist, daß der eine oder andere von Unbefugten gelesen wird. Richtiger wäre es, wenn die dortige Zensur unsere Briefe mit einem Klebestreifen verschließen würde. Von Dir habe ich allerdings über die Zustellung unverschlossener Briefe nichts gehört, aber anderen Kameraden wurde es mitgeteilt. Eine gemeinsame Wirtschaft mit Verwandten ist eben nicht einfach, weil doch dabei gewisse sonst geübte Rücksichten gern außer Acht gelassen werden. Wenn ich dann noch Äußerungen eines hiesigen Kameraden aus Bonn, der Vera aus Schul- u. Studienzeiten her kennt u. ungefähr in ihrem Alter ist, in Betracht ziehe u. Deine Mitteilungen über Onkel Willi, dann war es mir klar, daß es nicht gut gehen konnte. – Nun weiß ich noch nicht, wie Du in Lausbach untergekommen bist, in Pension oder eigene Haushaltsführung, u. warte daher ungeduldig auf Deine Briefe aus der ersten Januarhälfte, die mir wohl den gewünschten Aufschluß bringen werden. Ich wünsche Dir von Herzen Glück in der neuen Bleibe u. küsse Dich sehr innig, Dein Erwin.

    Nr. 86., Tatura, 13. April 1945. (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 10. Jan. […], wieviel u. was für Räume Ihr bewohnt, steht wohl in noch fehlenden Briefen. Und das arme Karinchen ist krank geworden. […] Karins Foto vom 21.1. gefällt mir gut. Es kommt darauf so richtig ihre etwas verschleierten Augen u. ihr verträumter Blick zum Ausdruck u. ihr helles Haar. Heute an Lisels Geburtstag erhielt ich ihren Brief v. 19. Dez. Wo sie jetzt wohl ist? Als einzige unveränderte Adresse in der Heimat bleibt mir nur noch die Deine, alle anderen der Eltern, Geschwister u. Firma sind nicht mehr. Wohin soll das führen u. wie lange noch wird Eure Gegend verschont bleiben? Solche u. noch viel anderen Gedanken zersprengen einem fast den Schädel. Elchlepps Frau u. Kind, die im Elsass wohnten, sind nicht zurückgekehrt u. er hat seither auch keinerlei Nachricht von ihr. Abwarten haben wir ja in 3½ Jahren gelernt, aber nicht unter so schrecklich belastendem Druck, wie in den letzten Wochen. Alles Liebe, meine Margot, von Deinem Erwin.

    Nr. 87., Tatura, 19. April 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine Liebste, wir haben so wunderschöne, sonnige Herbsttage u. ich wünsche Euch einen ebensolchen Frühling, der ja nach einem kalten u. harten Winter, wie es der vergangene wohl gewesen ist, so sehnlichst erwartet wird. Und ich weiß auch, daß bei dem neu erwachenden Leben überall in der Natur Deine Sehnsucht stärker werden wird, zumal ja die begründete Aussicht bestand, daß ich dieses Frühjahr wieder bei Dir sein würde. Wie oft habe ich in den letzten Tagen an meine „kleine Margot denken müssen – so ganz klein wie früher ist sie ja wohl nicht mehr nach fast 4 Jahren verantwortungsvollere Selbständigkeit – als ich ein wunderschönes Buch „Genesung in Graubünden, Paul List Verlag, las. Es zählt zu den schönsten Büchern, die ich hier gelesen habe. Eine gewählte u. doch klare Ausdrucksweise, die spannende Schilderung von Erlebnissen, die der Wirklichkeit entsprechen, herrliche Landschaftsbilder, die ich selber kenne, u. dann zwei Frauen-Charaktere, die mich immer wieder zu Vergleichen mit Dir führten, weil sie ein so großmütiges Herz u. eine schöne Seele hatten u. ihre Liebe so leidenschaftlich u. zugleich selbstlos war – all dies machte für mich das Buch so fesselnd. Heute habe ich „Nights in Bombay" von Bromfield begonnen u. ich bin gespannt, wie viele Erinnerungen dabei wach werden. Sie lenken, wenn auch nur stundenweise, die Gedanken an Gegenwart u. Zukunft ab u. bilden so eine wirkliche Erholung. Wie mag es Euch in Lausbach ergehen? Ob dies wirklich Dein letzter Umzug war? Ob die Ereignisse der nächsten Tage u. Wochen ihre direkten Schatten auch dorthin werfen werden oder der Hof zu abseits liegt? Meine besten Wünsche sind bei Euch u. meine ganze Sorge u. Liebe, Dein Erwin.

    Nr. 88., Tatura, 27. April 1945 (Eing. ???)

    Meine Geliebte, von Dez. habe ich bis jetzt nur einen Brief […]. Was soll ich Dir sonst noch schreiben, so lange ohne Post bei den niederdrückenden Nachrichten u. dem düsteren Ausblick in die Zukunft? Ich hab Dich sehr lieb, das kann ich ja wohl wiederholen, ohne Dich zu langweilen, denn wirklich Interessantes u. Neues gibt es auch nach 3 ½ Jahren Lagerleben kaum noch zu berichten. Und dieser Tage habe ich so oft an unsere Tage in Oberaudorf denken müssen, wo wir allein so glücklich waren u. uns die Welt u. die Menschen ganz einerlei waren. Ich wurde daran erinnert, als ich in dem Buch „Night in Bombay" von glücklichen Stunden u. Tagen zweier Liebender in einem einsamen Chalet außerhalb Bombays las. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß auch für uns nochmals so glückliche Tage kommen werden, wenn auch in anderer Form, dafür werden wir sie aber bewusster u. tiefer erleben u. empfinden als damals, wo wir solches Glück noch gar nicht recht zu schätzen wussten, wenigstens ich nicht, denn ich wusste, welche Erfüllung in meinem Leben Du mir sein würdest. – Sage bitte Irmgard meine Glückwünsche zur Geburt ihres Jungen. Lass Dich in meine Arme schließen, meine Margot, u. herzlich küssen von Deinem Erwin.

    Nr. 89., Tatura, 2. Mai 1945

    Meine geliebte Margot, in den vergangenen 3½ Jahren ist es mir niemals schwergefallen, Dir zu schreiben, im Gegenteil, ich freute mich immer, wenn eine neue Woche anbrach, die das Anrecht auf 2 Briefe mit sich brachte, wovon ja stets einer, oft auch beide an Dich gerichtet waren. Wenn ich mich auch oft fragte, ob gerade dieser oder jener wohl die weite Reise überstehen würde, wenn ich auch manchmal schreiben musste, wenn ich nicht gerade in Stimmung war, weil sonst das Anrecht auf den Brief verfallen wäre oder die Luftpost zu einem bestimmten Termin aufgegeben werden musste, so war dennoch mit jedem Brief an Dich eine Freude verbunden, weil Du mir dann immer sehr nahe bist u. es mir manchmal sogar schien, als unterhalte ich mich mit Dir, als bewegten sich Deine schönen Lippen u. gütigen Augen, wenn ich auf eine vor mir stehende oder an der Wand hängende Fotografie von Dir schaute, u. das tue ich sehr oft, wenn ich mal kurz nachdenke, bevor ich weiter schreibe. Und neuerdings wird es so schwer zu schreiben, weil ich mich so sehr, meine Liebste, u. die Kinder u. alle anderen Lieben sorge. In den letzten Tagen gingen die Kriegshandlungen über Euch hinweg – ich las z.B. in diesem Zusammenhang Moosburg – u. ich weiß nichts von Euch. Gallopin oder Joseph wirst Du für eine telegrafische Nachricht wohl nicht in Anspruch nehmen können. Und ich wäre so glücklich, wenn Du doch irgendeinen Weg gefunden hättest, mir zu sagen, daß Ihr alle gesund seid. Ob meine Briefe aus früheren Wochen, welche jetzt dort ankommen, Dir zugestellt werden können? Mein größter Trost in diesen schweren Tagen ist der, daß ich Dich habe u. weiß, daß Du mich liebst. Meine Liebe u. guten Wünsche sind bei Dir, Dein Erwin.

    Nr. 90., Tatura, 7. Mai 1945. (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, der Krieg n Europa geht wohl in diesen Tagen zu Ende, wie wir den hiesigen Nachrichten entnehmen. Aber den Frieden werdet Ihr in der Heimat wohl nicht so bald finden. Wie viele Schwierigkeiten müssen noch überwunden werden u. wohin wird die künftige Entwicklung gehen. Man kann das alles noch gar nicht so richtig fassen u. sich so gar keine rechte Vorstellung über die Zukunft machen. Wie oft denke ich daran, was alles für unangenehme Probleme an Dich jetzt herantreten u. wie schwer es für Dich sein muss, so ganz allein immer die richtige Entscheidung zu treffen, auch im Hinblick auf meine Heimkehr u. unsere Zukunft. Gegebenenfalls musst Du schon vor meiner Rückkehr eine Übersiedlung nach Frankfurt oder Umgebung erwägen, sofern möglich. […] Wann wird für uns die Stacheldrahtzeit zu Ende sein? Mit dem Austausch ist ja nichts mehr. Von H. wirst Du erfahren können, in welcher Weise ich künftig Verwendung finden soll. So überlegte ich mir heute z.B., ob ich auf dem Heimweg zunächst mal Karins Geburtsort besuchen soll, sofern sich eine Möglichkeit hierzu bieten sollte, was ich heute noch allerdings nicht für wahrscheinlich halte, doch weiß man ja nicht, was der weitere Verlauf der Dinge alles mit sich bringt. Vielleicht hörst Du mal H.s oder W.s Ansicht darüber. Vorgestern kam Dein Brief Nr. 26, über den ich mich sehr freute, wenn er auch fast ein Jahr alt ist! Im nächsten Brief komme ich auf ihn zurück. Alles Liebe, auch den Kindern, Dein Erwin.

    Nr. 91., Tatura, 11. Mai 1945 (Eing. 7.11.45)

    Meine Liebste, seit meinem letzten Brief vom 7. ds. Mts. ist nun der Krieg in Europa tatsächlich zu Ende gegangen. Aber ob nun auch wirklich der Frieden einkehrt u. was für einer, das wird sich erst in den kommenden Monaten erweisen. Die gequälten Völker Europas werden sich ja sehr darnach sehnen, aber zunächst werden ja wohl Hass u. Vergeltung tonangebend sein. Wann unser Zustand ein Ende nehmen wird, steht ja wohl ganz im Ermessen unserer „Gastgeber", u. wie schon so oft in den letzten 3½ Jahren muss die Geduld erneut angekurbelt werden. Dieses Jahr werden wir uns wohl noch nicht wiedersehen, aber ich hoffe dann im nächsten Frühjahr. Sollte es dennoch eher sein, umso besser, denn Du weißt ja, wie sehr ich mich nach Dir sehne. Ich bin jetzt immer sehr unruhig, weil ich mich um Dich u. die Kinder sorge, u. ich hoffe bald auf Nachricht, die mir meine Ruhe wiedergibt. […] Die vielen Bekenntnisse Deiner Liebe in all Deinen Briefen klingen doch zu aufrichtig, so daß ich mir um Dich nicht die Sorgen zu machen brauche, die manch einer hier um seine Frau hat. Lass Dich innig küssen von Deinem Erwin.

    Nr. 92., Tatura, 15. Mai 1945,

    Meine geliebte Margot, gestern kam ein ganz neuer Brief, Nr. 59 v. 16.2. mit 3 netten Fotos. Die Beschreibung Eures Alltags in Lausbach hat mich sehr interessiert, da ich hierüber doch erst wenig wusste, weil ich erst 3 Briefe aus L. hatte […]. Wie lieb von Dir, daß Du nach großer Wäsche, die doch anstrengt u. ermüdet, mir am Abend noch schreibst u. es dennoch ein so schöner u. lieber Brief wurde. Und die Belohnung dafür ist, daß ich ihn so rasch bekommen habe. Es ist ja zu hoffen, daß die Beförderung in Zukunft rascher erfolgt, sofern nicht bei Euch die Zustellung u. der Versand vorläufig ganz unterbunden wird. […]Ob Du nun weiterhin von Ffm. Unterstützt wirst, interessiert mich natürlich brennend. Und falls sie Zuwendungen eingestellt werden sollten, möchte ich gern wissen, ob dadurch mein Vertragsverhältnis als gelöst zu betrachten ist. Über eine Beendigung oder das Weiterbestehen hätte ich gern bald Nachricht von Dir, wenn irgend möglich drahtlich. Du musst jetzt bei allem, was dort geschieht, sehr Deine Augen für meine beruflichen Belange offenhalten, denn wir können uns hier über die Vorgänge u. Verhältnisse in der Heimat kein rechtes Bild machen u. ich mache mir natürlich allerlei Gedanken über den künftigen Broterwerb, so z.B. mich in der Heimat von Moose nach etwas umzusehen, ehe es dazu zu spät ist, aber natürlich nur, wenn Ffm. Mich nicht mehr beschäftigen kann. Evtl. auch in der Gegend, wo Dona Alice wohnt, auch südlich oder nördlich davon. Pass also gut auf für mich. Alles tue ich nur für Dich, Dein Erwin.

    Nr. 93., Tatura, 18. Mai 1945 (Eing. 7.11.45)

    Mein geliebte Margot, ob wohl diese Zeilen zu Brüderleins Geburtstag ankommen? Dann gib ihm einen Kuß in meinem Auftrag – ich ersetze ihn Dir später wieder mit Zinseszinsen – u. sag ihm, daß es wohl nun das letzte Mal sei, daß er seinen Geburtstag ohne mich begeht. Vielleicht geht ja die Post durch bessere u. ungestörte Verbindungswege jetzt rascher, so daß die Briefe nicht mehr so lange unterwegs sind, wie z.B. Nr. 26 von Dir, der erst vor 14 Tagen kam u. wie aus einer Märchenzeit klingt. Du schreibst darin von Deiner Zurückhaltung. Ich schätze sie mehr als etwas das Gegenteil u. meine Erfahrungen in den letzten Jahren haben mich darin bestärkt. Aber einmal hast Du sie, vielleicht unbewusst oder ungewollt, aufgegeben, u. weil dies mich nicht wenig überraschte, erinnere ich es noch so genau. Es war im Januar 1931 auf einer Spazierfahrt nach den wackelnden Türmen (Isfahan) u. dann noch im Nov 1934, obgleich Du damals auf dem Bahnsteig bei unserem Wiedersehen nach fast 2 Jahren Trennung ein furchtbar ernstes Gesicht machtest u. geradezu Zurückhaltung ausstrahltest. Aber das gab sich dann bald. Vater schrieb kürzlich, daß der Wiederaufbau in Feudenheim fraglich sei, zumal die Eltern wohl allein für eine so große Wohnung nicht mehr berechtigt sein würden. Sollten derartige Fragen in absehbarer Zeit schon akut werden, so lässt sich vielleicht dadurch etwas erreichen, daß Vater für die Mitbewohner Dich und die Kinder u. für später auch mich vorsieht. Du hast ja auch Anspruch auf Zuweisung einer Wohnung, weil Du schließlich Flüchtling bist u. wir unser Heim verloren haben. Wenn zusätzliche Mittel nötig sind, kannst Du Dich evtl. mit meinem Guthaben beteiligen, bzw. damit eine Hypothek erwerben. Gar nicht recht wäre es mit, wenn Vater das Grundstück verkaufen würde, um sich anderweit anzukaufen, denn es ist doch der einzige Vermögenswert, der den Eltern u. auch uns Kindern erhalten geblieben ist. Es wäre hierüber so viel zu schreiben, aber die Briefe sind leider so kurz. Mit innigen Küssen bin ich Dein Erwin.

    Nr. 94., Tatura, 24. Mai 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine sehr geliebte Margot, vor 3 Tagen erhielt ich Deine lieben Briefe Nr. 55 u. 56 u. Deine Postkarte v. 1. bzw. 16.1. u. habe mich so über Deine lieben Worte oder besser Worte der Liebe gefreut u. natürlich auch über die netten Fotos. Die Aufnahme von Albert in der Sandkiste ist wirklich hübsch, aber auch die anderen geben mir einen illustrierten Einblick in Euer Leben in Rumgraben. Heute muten Briefe u. Fotos aus jener Zeit wie von einem anderen Planeten an u. ich frage mich oft, wie Deine sein werden. Ich hoffe auf die Briefe, die Du in den letzten Wochen schriebst u. in den kommenden schreiben wirst. Hoffentlich geben sie mir meine Ruhe wieder u. zerstreuen so meine Befürchtungen u. Sorgen um Euch. Unser Leben u. Tagesablauf ist unverändert. Wir wählten letzte Woche einen neuen Lagerführer, welcher B. von der Schulenburg mit großer Mehrheit wurde. Er ist ein Neffe des Grafen. Aus Deinem geplanten Besuch bei letzterem ist wohl nichts geworden, denn Du schriebst nichts mehr davon u. wie ich höre ist er inzwischen gestorben. […] Hoffentlich wirst Du weiterhin von der Firma betreut, so daß also auch mein vertragliches Verhältnis weiterbesteht. Gegenteiligen Falls müsste ich mich rechtzeitig umsehen, was ich ja bereits in Nr. 92 andeutete. Evtl. würde ich mich dann an Josep wenden u. um Vermittlung bei seiner Firma bitten, in deren Branche ich ja gut bewandert bin, oder durch ihn versuchen, in seiner Heimatstadt, die ich ja gut kenne, jedoch, daß sich diese Gedankengänge als überflüssig erweisen werden. Ich küsse Dich sehr innig, Dein Erwin.

    Nr. 95., Tatura, 29. Mai 1945. (Eing. Ende 45)

    Meine Liebste, in meinen 3 letzten Briefen schrieb ich Dir, welche Gedanken ich mir über unsere Zukunft, insbesondere über meine berufliche Tätigkeit mache. Die in diesem Zusammenhang von mir erwogenen Pläne kommen für eine endgültige Inangriffnahme selbstredend nur unter der einen Voraussetzung in Betracht, wenn man in Frankfurt am Main für mich keine Verwendung mehr haben sollte, was ich aber nicht hoffen will. Aber wir hier können ja noch gar kein richtiges Bild über die Entwicklung der Dinge zu Hause machen, so daß es weiser erscheint, vorerst erst mal mit allen Möglichkeiten zu rechnen, auch der ganz unangenehmen, daß mein Vertragsverhältnis gelöst würde. Du wirst ja darüber sehr bald Bescheid wissen, denn ich nehme an, daß Du die Verbindung mit H. bereits wieder hast aufnehmen können. Ob Du den ein oder anderen Bekannten aus unseren früheren Kreisen vielleicht jetzt dort antriffst oder ausfindig machst, womöglich in einflussreicher Position? Du erinnerst sie ja sicher noch alle gut. Ich habe nur den einen Wunsch so bald wie möglich zu Dir zu kommen u. vielleicht kann da eine Fürsprache helfen. H. wird ja wohl auch mit Persönlichkeiten aus dem Kreise früherer Geschäftsfreunde wieder in Verbindung kommen oder neue kennenlernen. Es ist natürlich ein bisschen vermessen von mir anzunehmen, daß man nichts Wichtigeres zu tun habe, als sich dann für meine Belange zu verwenden. Jedenfalls scheint mir H.‘s Wohnort in nächster Zeit eine gewisse Bedeutung zu erlangen. Wie ich höre, ist Siegwald bis Mitte Dez. noch nicht zurückgekehrt gewesen. Es hat ihn also zu guter Letzt noch das gleiche Schicksal wie mich ereilt. Bleib gesund, meine geliebte Margot. Ich umarme u. küsse Dich, Dein Erwin.

    Nr. 96., Tatura, 3. Juni 1945, (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, gestern kam Dein lieber Brief vom 31. Dez., aus welchem ich nun die näheren Umstände Deines Umzugs u. die Beschreibung Eurer neuen Behausung ersehe, u. worin Du mir auch ein wenig über den Verlauf des Weihnachtsfestes schriebst, denn es interessierte mich natürlich, was Du den Kindern noch schenken konntest u. wie sie sich darüber freuten. Viel gab es über die Feiertage ja nicht zu berichten, das weiß ich, mein Liebes, denn in jener Zeit konnte man wohl ja kaum noch irgendeinen Tag als Feiertag bezeichnen oder gar empfinden. Und dazu hattest Du noch den Umzug vorzubereiten, so daß es arbeitsreiche u. mühsame Tage für Dich gewesen sind, u. deshalb fehlt in Deinem Brief jegliches Wort über Deine Stimmung. Aber ich habe volles Verständnis dafür u. ich glaube auch, es ist besser, an solchen Tagen, wo man sich gern vergangener Zeiten erinnert u. einem dann die Sehnsucht das Herz zu zersprengen droht, bis über die Ohren in Arbeit zu stecken, so daß einem zum Nachdenken gar nicht viel Zeit bleibt. Dein Geschenk waren wohl nur meine Gedanken, mit welchen ich zu jeder Stunde bei Dir war, u. dankbar der schönen u. von Dir mit so viel Liebe mir in Teheran bereiteten Feiertage gedachte. […]

    Grüß die Kinder, bleib gesund u. empfange einen innigen Kuß von Deinem Erwin.

    Nr. 97., Tatura, 12. Juni 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, bis auf Nr. 53 u. 50 od. 51 – einer davon ist der vom 10.1., den ich erhalten habe – habe ich alle Deine Jan.-Briefe bekommen u. kann mir nun ein genaues Bild über Euer Leben in Lausbach machen. […] Ein bisschen eng wird’s ja in dem einen Zimmer zugehen. Manchmal denke ich, ob sich doch noch eine Gelegenheit ergibt, nach Oberaudorf zu ziehen […]. Wie es bei Euch jetzt aussieht u. was für Entwicklungen sich anbahnen mögen, können wir hier ja kaum beurteilen, u. dafür sind meine Gedanken, wie ich sie Dir in den letzten Wochen oft darlegte, vielleicht ganz gegenwartsfremd oder gar utopisch. Wenn wir alle Pläne erst mal wieder miteinander besprechen können, wird es bestimmt einfacher sein, vorausgesetzt, daß wir uns einig sind, u. das glaube ich ganz sicher, eine Frucht, die unser Briefwechsel zur Reife brachte. Alles Liebe, meine Margot, Dein Erwin.

    (Nummer 98 fehlt). Nr. 99., Tatura, 21. Juni 1945. (Eing. Ende 45)

    Liebste Margot, der Winteranfang hat uns endlich die lang ersehnten ausgiebigen Regenfälle nach vielen regenlosen Monaten gebracht. Für unsere Gemüse- u. Blumengärten war dies sehr notwendig u. auch mein Rasen hat über Nacht ein ganz neues frisches u. hellgrünes Aussehen bekommen, denn den fehlenden Regen konnte ich durch noch so fleißiges Sprengen eben doch nicht ganz ersetzen. Der Herbst war trocken, aber dafür prachtvoll sonnig u. warm. Und wie war wohl bei Euch das Frühjahr? Hoffentlich günstig für die Landwirtschaft. Ob es wohl das letzte unserer Trennung sein wird? Wann werde ich wohl Deine ersten Briefe aus sonnigen Frühlingstagen dieses Jahres bekommen, die ja für uns mit Bezug auf die Kriegsereignisse u. ihre Folgen wie die schwärzesten Winternächte waren? […] Im Orchester üben wir z.Zt. „Melodien von Weber aus Freischütz, Oberon, Aufforderung zum Tanz usw. u. die „Unvollendete von Schubert, die wir in Teheran auf Platten hatten. Ich bin mit Begeisterung dabei, denn die Übungsabende unter unserem Berufsdirigenten machen viel Freude u. bringen Ablenkung, wenn wir manchmal dabei auch gehörig geschliffen werden u. schwierige Stellen bis zum Erbrechen wiederholen müssen.

    Seit 3.6. keine Post von Dir. Alles Liebe u. viele tausend herzliche Grüße, Dein Erwin.

    Nr. 100., Tatura, 28. Juni 1945. (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, jedes Mal, wenn ich meine kleinen Brieflein an Dich beginne, denke ich mit Herzweh daran, wie rasch ich wieder am Ende angelangt sein werde u. Dir nur so wenig schreiben konnte, wo ich Dir doch so viel zu sagen gehabt hätte. Es ist schon so, wenn man erst gerade so richtig in Fluss gekommen ist, muss man schon wieder abbrechen. Und wie rasch wirst Du meine Zeilen überflogen haben, den ich weiß doch, wie mir beim Lesen Deiner Briefe zumute ist, mit denen ich mich möglichst lange beschäftige, nach der ersten mich auf die zweite Seite freue u. wenn gar eine dritte u. vierte kommt, dann spiele ich richtiggehend mit den Blättern u. Seiten u. es ist mir wie einem Papierkrieg zumute, nur das dieser, im Gegensatz zu dem, was man gewöhnlich darunter versteht, höchst erfreulich u. liebenswert ist. Und Du Arme hast immer nur eine einzige Seite vor Dir, kannst Dich nicht aufs Umblättern freuen. Ob wir wohl bis zum Ende der Internierung an diese Bögen gebunden sind? Es wäre ein Genuss, Dir mal wieder auf schönem Privatpapier zu schreiben, so wie vor 1935. Aber hatte ich schönes Papier, konnte mich aber wohl weniger gewandt ausdrücken u. Dir nicht so manches

    Viel Liebes, Dein Erwin.

    Mit dem 101. Brief beginnt Erwin wieder mit neuer Nummerierung ab Nr. 1.

    Nr. 1., Tatura, 3. Juli 1945 (Eing. Ende Okt 45)

    Meine liebste Margot, wieder ist ein neuer Monat angebrochen, gegen dessen Ende sich unsere Trennung nun schon zum vierten Male jährt. Weit, weit zurück liegen die schönen letzten Tage unseres Zusammenseins in Teheran und Täbris u. der Augenblick, als Du mit Brüderlein auf dem Schoß u. Karin danebenstehend im Auto davonfuhrst, um mich allein für nur ein paar Monate – so dachte ich es mir – zurückzulassen. Und schließlich sind es vier lange Jahre geworden. Aber das fünfte muss uns doch endlich ein Wiedersehen bringen! Daß ich nun in meiner Nummerierung meiner Briefe an Dich noch das dritte Hundert beginnen würde, das hätte ich vor 1½ Jahren, als ich mit dem zweiten Hundert begann, nicht geglaubt. Ich hoffe aber sehr, daß ich diese neue Nr. Serie recht bald wieder schließen kann, um dann das Briefeschreiben aufzugeben u. Dir dann meine Gedanken auf dem einfacheren, natürlicheren u. schöneren mündlichen Wege mitzuteilen. Vergangene Woche sahen wir einen sehr schönen Film […]. Ja, meine Margot, wann werden wir wieder einen Walzer zusammen anhören? Wie lange werdet Ihr zu Hause noch Kunst u. Musik entbehren müssen? Viele liebste Grüße u. Küsse, Dein Erwin.

    Nr. 2., Tatura, 8. Juli 1945 [Post-Stempel- Aufdruck „Dies ist ältere Post"]

    Meine Liebste, die postlose Zeit wird allmählich unerträglich lang, sind es doch nun fast 2 Monate, seit ich als bisher neueste Nachricht Deinen lieben Brief vom 16. Februar erhielt. Danach kamen noch 3 ältere […]. Wie mag es Euch ergehen, meine sehr geliebte Margot. So viele bange Fragen stürmen auf mich ein, wenn ich die Zeitung lese. Da hilft nur eins, die Geduld u. Fassung zu bewahren, bis der Zeitpunkt näher rückt, zu dem ich von Dir hören kann, u. der wird hoffentlich nicht mehr allzu fern sein. […] Wenn wir doch erst so viel wüssten, um den Termin unserer Heimkehr wenigstens einigermaßen voraussehen zu können. Das Warten ist jetzt viel schwerer, denn bisher wusste man, weshalb man interniert war, aber jetzt nach Kriegsende entfällt ja die Ursache dafür, es sei denn, daß man den mangelnden Schiffsraum jetzt als solche betrachtet. Bleib mit den Kindern gesund u. lass Dich sehr innig umarmen u. küssen von Deinem Erwin.

    Nr. 3., Tatura, 14. Juli 1945 [Aufdruck: opened by censor]

    Meine liebste Margot, nun wird unser lieber Berti heute schon 5 Jahre alt u. vier davon hat er ohne seinen Vater erlebt. Aber ich weiß ja, daß Du ihm Deine ganze Liebe u. Sorge zugewandt hast, um ihm mein Fehlen nicht merken zu lassen, u. ich bin überzeugt, daß es Dir auch gelungen ist. Sein erstes Lebensjahr hat für uns beide die große Bedeutung, unser letztes glückliches Ehejahr vor der Trennung gewesen zu sein u. bei der Feier seines ersten Geburtstages hatten wir die letzten Gäste in unserem Heim. Was wohl inzwischen aus dem Haus geworden ist, wo wir so viele frohe u. glückliche Stunden miteinander verlebten u. so angenehme Geselligkeit pflegten, welche Du so umsichtig u. liebevoll u. oft für mich ganz überraschend arrangiert hast? Ob wir jeden Geburtsort unserer Kinder wiedersehen werden? Ich habe den festen Vorsatz dazu, wenn auch vorher noch Jahre vergehen mögen. Die Zeit spielt dabei keine Rolle u. geduldiges Warten haben wir ja gelernt. Zukunftspläne sind ja heute so unsicher, wie nie zuvor, wenn man nur daran denkt, wie es bei Brüderleins Geburt in der Welt aussah u. im Vergleich dazu jetzt nach fünf Jahren. […] Möge Berti gesund bleiben, Dir Freude machen u. einen schönen sommerlichen Geburtstag verbringen. Vor allem aber wünsche ich ihm, daß seine künftigen Geburtstage in andere Zeiten fallen mögen u. sein Papi bald zu ihm zurückkehren kann. Alles Liebe, Dein Erwin.

    Nr. 4., Tatura, 19. Juli 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, oft habe ich in letzter Zeit daran denken müssen, ob es Euch jetzt in Lausbach auch gut geht […]. Noch immer keine neue Post, auch nicht von anderer Seite. Wie mag es wohl Alberto gehen? Man kommt sich wie aus einer regulären Bahn herausgeschleudert vor, da man nach so großen Veränderungen nach Monaten noch nichts über das Schicksal seiner Liebsten u. Freunde weiß. Möge Gott Euch beschützen, meine Margot, recht innige küsse, Dein Erwin.

    Nr. 5., Tatura, 24. Juli 1945 (Eing. Ende 45)

    Meine geliebte Margot, heute vor vier Jahren begannen wir unsere letzte gemeinsame Reise, die zu einer so langen Trennung führen sollte. Und doch ist mir ihr Verlauf noch in allen Einzelheiten in Erinnerung, weil ich wohl ahnte, daß jene Fahrt in die sternenklare warme Sommernacht hinein eine

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