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Abschied von Hamburg
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eBook493 Seiten6 Stunden

Abschied von Hamburg

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Über dieses E-Book

Ein erfrischender und neuer Blick auf den Krieg in Deutschland, erzählt von einem deutschen Jungen aus Hamburg. Der Leser kann seine Erfahrungen der Höhen und Tiefen des Lebens während der Zerstörung Hamburgs im Feuersturm von 1943 miterleben. Die Familie erhält die verheerende Nachricht, dass sein Vater an der Ostfront vermisst wird, vermutlich tot, gemäss den Berichten, dass seine Panzereinheit total zerstört wurde. Dann endete glücklicherweise der Krieg.

Mutter war mit einem britischen Soldaten befreundet. Dieser Waliser, der in den britischen Küchen arbeitete, war in der Lage die nötigen Lebensmittel zu liefern, um zu verhindern, dass diese Familie hungern musste, wenn auch mit schwierigen und außergewöhnlichen Mitteln, um seine eigene Position nicht zu gefährden.

Dieter erzählt seine herzzerreissende Geschichte und nimmt uns mit auf seine Reise von der Zerstörung Hamburgs bis zur Friedenszeit an der walisischen Küste. Wie bei allen guten Erzählungen gibt es eine Wende und für Dieter noch mehr emotionalen Aufruhr. Aber mit der stets führenden Hand seines älteren Bruders Hans kann er sich all den Prüfungen stellen, die der Krieg ihm brachte und das Entsetzen, das er als kleiner Junge in einem fremden Land empfand, als die Familie nach Wales zog. Er war isoliert, nicht in der Lage, die Sprache zu sprechen. Aber er führt den Leser durch seine Abenteuer in diesem fremden Land und zeigt die Belastbarkeit der Jugend.

SpracheDeutsch
HerausgeberBadPress
Erscheinungsdatum2. Dez. 2020
ISBN9781547580392
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    Buchvorschau

    Abschied von Hamburg - Dieter Rudolph

    Ich habe dieses Buch zu einem großen Teil

    für meine drei Kinder geschrieben:

    Paul Edward Rudolph - geboren 27. Oktober 1969

    Carole Ann Burgess (geb. Rudolph) - geboren 1. September  1971

    Helena Diane Wallis-Rudolph - geboren 29. September 1991

    Es hinterlässt ihnen eine Aufzeichnung der frühen Jahre ihres Vaters, der sich privilegiert fühlt, der Vater solch wundervoller und liebenswerter Menschen zu sein. Ich wünsche ihnen und ihren Angehörigen ein großartiges und langes Leben.

    Zusätzlich – so hoffe ich - wird es anderen Lesern eine einzigartige Gelegenheit geben  mehr zu erfahren über die schrecklichen Folgen des Krieges und die Art und Weise, wie dies Einzelne und Familien über Generationen nach dem Ende des Konflikts belasten kann.

    INHALT

    Einleitung

    Dieses Buch wurde hauptsächlich aus dem Gedächtnis geschrieben. Manche Leute mögen sagen: „Wie kann sich der Autor an das erinnern? Er war nur acht oder zehn Jahre alt (oder jünger)." Ich fordere Sie auf über Ihr eigenes Leben nachzudenken! Vielleicht erinnern Sie sich an die Beerdigung eines Großelternteils oder an einen Elternteil, der weggeht, um an einem weit entfernten Ort zu arbeiten oder einer gescheiterten Ehe zu entfliehen. Wie alt waren Sie da?

    Sie sehen, einige außergewöhnliche Ereignisse werden für den Rest unseres Lebens in unseren Köpfen bleiben - mehr noch, wenn Tod und Zerstörung ein Teil davon sind. Viele Daten und Erklärungen hatte ich über viele Jahre hinweg und während unzähligen Diskussionen (manchmal mit meiner eigenen Mutter und anderen Familienmitgliedern) notiert um sicherzustellen, dass ich eine gute Aufzeichnung hatte über die Ereignisse zwischen 1939 und 1954, als ich die Schule verließ. Zweifellos wird es viele Historiker und andere Personen geben, die ein tieferes Wissen darüber haben, was wann passiert ist, aber ich versuche nicht die Geschichte neu zu schreiben. Vielmehr möchte ich dokumentieren, wie ich in diesen Jahren in Deutschland (und später in Wales) gelebt habe.

    Leider weiß ich nichts über die Vergangenheit meines Vaters in der Wehrmacht. Zum Zeitpunkt seines Todes war dieses Buch nicht einmal in Erwägung gezogen. Ich weiß nur, dass es interessant gewesen wäre es zu wissen. Er war ein Gentleman und handelte auch so, dessen bin ich mir sicher. Ja, die Leute haben mich gefragt: „War dein Vater ein Nazi?" Ich vermute, diese Leute kennen den Unterschied zwischen einem Mitglied und einem aktiven Mitglied der politischen Nazipartei nicht. Ich persönlich denke, dass es einen großen Unterschied gab. Meine Antwort war immer, dass ich keine Ahnung habe, aber ich weiß, dass er seit 1934 in der Wehrmacht war. Vielleicht kann ein Historiker mit besseren Kontakten und besserem Wissen über die Dokumentation eine genauere und bessere Antwort liefern, aber bitte machen Sie es schnell - ich kann nicht versprechen für immer da zu sein. Die meisten der verwendeten Bilder stammen aus unseren Familienalben und viele wurden nach dem Tod meiner Mutter in ihren persönlichen Sachen gefunden, die zu uns kamen. Es war nicht die Absicht, urheberrechtlich geschützte Fotos zu verwenden; einige wurden im Internet gefunden. Wenn das Eigentumsrecht für ein Foto offensichtlich war, wurde es nicht verwendet ohne die Erlaubnis einzuholen. Sollte es einen Fehler geben und Sie glauben, dass das Urheberrecht verletzt wurde, kontaktieren Sie mich bitte. Danke für den Kauf meines Buches. Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre und ein langes, erfülltes Leben.

    Ich freue mich über Kontaktaufnahme oder Kritik via dieter.rudolphs.books@gmail.com

    Ich bin vielleicht nicht in der Lage, auf jede erhaltene Nachricht zu antworten, werde aber mein Bestes geben. Irgendwann werde ich überhaupt nicht mehr antworten können - da wir alle diese wunderbare Welt irgendwann verlassen.

    DANKSAGUNG

    Ich danke meinem Bruder, Hans Rudolph, für seine Ermutigung und die Bereitschaft seine eigenen Erinnerungen und die vielen Fotos und Bilder zu teilen, die es mir ermöglichten, dieses Buch zu vervollständigen.

    Ich danke Erna Reeves (geb. Wettlaufer), unserer lieben Mutter. Sie ist leider nicht mehr länger unter uns, aber sie hatte über die Not und die Schwierigkeiten gesprochen, mit denen wir konfrontiert waren und sie hat ihre sehr privaten Schachteln und Notizbücher geöffnet, um eine bessere und wahrere Aufzeichnung unseres Lebens in dieser Zeit zu ermöglichen.

    Ich danke auch den Mitgliedern der Scheffel, Böker und Just Familien von Hamburg für die Zeit, die sie sich nahmen, um über diese schrecklichen Kriegsjahre zu sprechen. Sie halfen mir sehr bei der Bewertung meiner eigenen Erinnerungen.

    1939

    Luftangriffe auf die Stadt Hamburg

    In der Nacht vom 10. September 1939 warfen zehn Flugzeuge Flugblätter ab.

    1939 in Hamburg geboren zu werden, war ein ziemlich schlechtes Timing meinerseits. Die Stadt sollte bald das Epizentrum einer Feuersbrunst werden, die Europa mit ihren Flammen verschlingen würde; wie Schlangenzungen, die über einen großen Teil der Oberfläche der nördlichen Hemisphäre wehen würden. Glücklicherweise verweigert die Kindheit die Erinnerung, aber der zersplitterte Zweig des Stammbaums bleibt bis heute erhalten.

    Hans Friedrich Wilhelm Rudolph war - gemeinsam mit unzähligen jungen Deutschen - einundzwanzig Jahre alt, als er 1934 der Wehrmacht beitrat. Wie im Militär und den Kasernen auf der ganzen Welt, übten er und seine Kameraden unter einem harten Regime. Ihre dienstfreien Stunden verbrachten sie im Rotlichtviertel der Hansestadt. Die Reeperbahn muss eine willkommene Verschnaufpause ermöglicht haben. Stationiert in den Hanseaten Kasernen im Hamburger Stadtteil Fuhlsbüttel war das Leben eines Soldaten in Friedenszeiten nicht ohne weitere Vorteile. Es gab bis hin zum zweiten der großen Kriege des Jahrhunderts, der Europa ergriff, regelmäßige Bezahlung und vernünftige Lebensbedingungen.

    In guter Erinnerung geblieben war der Lieblingsplatz des jungen Soldaten: Café Keese. An jedem Tisch in dieser Kneipe stand ein nummeriertes Telefon, von dem man Gäste an anderen Tischen anrufen konnte, ohne dass diese wussten, von welchem Tisch der Anruf kam. Es gab eine zusätzliche Attraktion, weil Café Keese viele junge Damen anzog. Auf der Tanzfläche begann manche neue Romanze. Es war schwierig, sich ein angenehmeres Leben vorzustellen, das so unschuldig dekadent war. 1936 traf dort der junge Infanterist, der mein Vater werden sollte, meine Mutter Erna Wettlaufer. Es war eine aufblühende Romanze.

    ––––––––

    Hans Friedrich Wilhelm Rudolph     Erna Wettlaufer

    Die hübsche, kastanienbraune junge Dame wurde bereits von anderen jungen Frauen in Bramfeld Distrikt, wo sie mit ihren Eltern in deren wunderschönen Villa wohnte, beneidet.

    Lűbecker Straße 31 in Bramfeld, ein kleines Dorf außerhalb von Hamburg.

    Zudem gab es wohl kaum einen bestechenderen Anblick als meinen Vater in seiner Ausgehuniform, der seine neue Liebe wie verabredet abholen wollte.

    Bekannt für seine militärische Haltung und Klugheit, muss der Vater später der Stolz meines Bruders Hans, der im Juli 1937 geboren wurde, gewesen sein. Leider war der Zeitpunkt seiner Geburt - aus sozialen und finanziellen Gründen - nicht besonders gut. Es gab keine Beweise, dass er geplant war.

    Die folgenden Jahre waren typisch für die alltägliche Arbeit eines Soldatenlebens. Während Erna Bruder Hans betreute, führte Vaters Routine als Berufssoldat dazu, dass sie in der  Hanseaten Kaserne in Fuhlsbüttel, Hamburg, einquartiert wurden. Dieser Umzug bedeutete, dass das junge Paar mehr Zeit zusammen verbringen konnte.

    Dort wurde ich am 26. Februar 1939 im Armeekrankenhaus in Hamburg, in der Geburtsabteilung des Wansbecker Militärkrankenhauses, geboren. Die Geburtsurkunde wies - wie alle Dokumente dieser Zeit - ein Hakenkreuz auf. Interessanterweise wurde für das Zertifikat keine Gebühr erhoben, da der Vater Soldat war.

    Der Zeitpunkt meiner Ankunft war besser, aber eine größere Unterkunft war von Nöten. Wir wurden eingeladen in den Armeewohnungen neben der Kaserne in Suhrenkamp einzuziehen. Dort, in der Nr. 39, fanden wir unser neues Heim im zweiten Stock, eine eindrückliche Wohnung.

    Hanseaten Kaserne – Fuhlsbüttel – Hamburg

    erbaut für das neu geschaffene Anti-Tank Regiment 20 – in 1936

    ––––––––

    Fotos Abschied von Hamburg 005 a Fotos Abschied von Hamburg 006 a

    Hans Junior 1937 mit Mutter  Hans Junior – etwa vier Monate alt im Kasernenareal

    ––––––––

    Fotos Abschied von Hamburg 008 a

    Geburtsurkunde des Autors

    Komplett mit Hakenkreuz

    Das stolze Paar begutachtete mit seinen Söhnen die Unterkunft. Die großflächige Wohnung war beeindruckend mit einem imposanten Wohnzimmer. Dieses enthielt einen riesigen Ofen, der mit Fliesen dekoriert war und dazu diente, unser Zuhause so gut zu wärmen, dass wir es oft notwendig wurde, die Türen zu den anderen Räumen offen zu lassen. Unsere Wohnung hatte auch zwei große Schlafzimmer und eine großflächige Küche, die direkt zu einem eigenen Balkon führte. Das Badezimmer war etwas, was wir nicht gewohnt waren - mit einer schönen, großen und weißen Badewanne und Toilette.

    Das Taufzertifikat wurde ordnungsgemäß für mich arrangiert, obwohl ich bedaure, keine Erinnerung an das folgende Ritual zu haben. Vielleicht ist es auch gut so, denn obwohl man einige Kinder nur mit dem heiligen Wasser besprengte, wurden andere eingetaucht, nur um nach ihrem unerwarteten Untertauchen stammelnd und weinend wieder aufzutauchen. An diesem Punkt wurde eine andere Nummer an das Kind gehängt: in meinem Fall 11b.

    Der Taufspruch war von 1 Johannes 3,1: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen."

    Taufurkunde des Autors – wieder mit Hakenkreuz

    Das größere Rätsel für mich war, warum mein Vater so viele blumige Namen hatte und mein Bruder und ich zwei so gewöhnliche deutsche Namen: Hans and Dieter. Auch Mutter hatte nur einen Namen: Erna Rudolph (geb. Wettlaufer).

    Ansonsten war es eine gute Zeit um außerhalb der Kasernen zu leben. Als die internationalen Spannungen zunahmen, kamen schließlich immer mehr Truppen zum Training, bevor sie ihren Einheiten zugewiesen wurden. Nur spärlich wurde Urlaub gewährt und es wurden viele Ausbildungs- und Vorbereitungsarbeiten durchgeführt. Unser Wohnquartier war so nah an der Kaserne, dass Vater uns nicht nur oft besuchte, sondern auch blieb, wenn er dienstfrei war.

    Selbst dann konnten die fünf Minuten um zu der Kaserne zu gelangen noch weiter verkürzt werden, indem man über einen Trennzaun sprang. Dies war jedoch wenig schicklich - vor allem in Uniform. Es war wohl kaum eine Option, außer vielleicht im Dunkeln.

    Ich war sieben Monate alt als die britische und die französische Regierung am 3. September 1939 Deutschland den Krieg erklärten. Dies folgte der Invasion Polens, nachdem die Friedensgespräche zwischen unseren beiden Ländern gescheitert waren. Danach blieb Vater viel weniger Zeit mit seiner Familie. Da er jedoch noch keiner Einheit zugeteilt war, blieb er in der Kaserne. Er war in erster Linie verantwortlich dafür neue Rekruten auszubilden. Trotz des Krieges war es eine entspannte Phase und wir waren davon wenig betroffen.

    Unsere Großeltern haben uns oft besucht. Wir kletterten für Picknicks in ihr Auto und verbrachten oft viele Stunden in ihrem großen Haus und Geschäft in Bramfeld.

    Auch besuchten wir vier die Mutter meines Vaters. Sie lebte in einer attraktiven Wohnung im fünften Stock der Stressemannstraße 315 im Hamburger Stadtteil Altona. Leider habe ich keine Erinnerung an meinen Großvater väterlicherseits. Die Halbgeschwister meines Vaters, Lotti und Rolf, lebten mit ihr in der Wohnung. Ich schätze die gelegentlichen kostbaren Erinnerungsfetzen an einen fröhlich geschmückten Weihnachtsbaum. Dieser Baum befand sich in einem großen Wohnzimmer, das von einem Ofen beheizt wurde, der Wärme ausstrahlte, die bis heute mein Herz mit Sehnsucht erfüllt. Dort, um den Baum und umgeben von Lametta und ungeöffneten Geschenken (nicht zu vergessen die brennenden Kerzen) sangen wir eine reiche Auswahl an Weihnachtsliedern. An der Wichtigkeit von Weihnachten in Altona und unserem Heim gab es nie einen Zweifel und wir Jungs wurden wirklich verwöhnt.

    Trotz des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs war 1939 (für uns als Familie) voller glücklicher Erlebnisse und Hoffnung für all unsere Zukunft. Es schien nichts zu geben, was meinen Optimismus trüben könnte. Ich war am Ende des Jahres zehn Monate alt und die lange gewundene Straße des Lebens erstreckte sich vor mir in die unsichtbare Ferne. Dass die Reise unvergesslich sein sollte, war ein Bewusstsein, das meine optimistische Natur anheizte.

    ––––––––

    Fotos Abschied von Hamburg 010 a

    Dieter (Autor) im Kinderwagen Hans Junior auf dem Sitz, September, 1939

    Fotos Abschied von Hamburg 011 a

    Autor „Dieter" zehn Monate alt

    1940

    Flugangriffe auf die Stadt Hamburg

    • Die Nächte vom 15. und 16. November 1940 waren erfüllt von einem schweren Luftangriff mit insgesamt mehr als zweihundert Flugzeugen. In der ersten Nacht wurde die Blohm & Voss Werft beschädigt und über sechzig Brände ausgelöst. Während der zweiten Nacht fanden nur sechzig Flugzeuge ihr Ziel – der Schaden war weit weniger umfangreich. Diese zwei Bombennächte folgten nur vierundzwanzig Stunden nach einem sehr großen Angriff der deutschen Luftwaffe auf Coventry in der Nacht vom 14. November 1940. Dieser muss jedoch mehr als vierundzwanzig Stunden im Voraus vorbreitet worden sein. Obwohl einige Angriffe als Racheakte bezeichnet werden, ist es unwahrscheinlich, dass sie so geplant waren.

    Die Erfahrungen des folgenden Jahres waren mit der Lebenslust eines wachsenden Jungen verbunden. Wenige Ausflüge waren so freudig erwartet wie die nach Lunden bei Kemden an der Nordseeküste, einige Kilometer nördlich von Hamburg. Dort war Vater geboren und aufgewachsen. Deshalb hatte ich eine besondere Zuneigung zu dem reizenden Familiensitz und seiner baumgesäumten, ländlichen Lage.

    012

    Vaters Heim – vor dem Beitritt zur Wehrmacht

    Es war während dieser ersten Besuche als ich entdeckte, dass meine Beine nützlich waren, um vorwärts zu kommen und zu erforschen. Zuerst krabbelte ich und irgendwann wurde mir klar, dass meine Bewegungen viel effizienter wären, wenn ich aufrecht ginge. Mit diesem Anreiz wurde ich sehr bald zu einem fröhlichen Kleinkind. Mein Bruder Hans war mein ständiger Begleiter und ich lernte viel von ihm, während wir zusammen aufwuchsen. Einem Jungen, der gehen lernt, passieren auch Missgeschicke. Nichts schien mir im Weg zu stehen meine Welt weiter zu entdecken, wenn ich einen Fuß vor den anderen stellte. Gelegentlich funktionierten die Füße schneller als das Gehirn, aber das ist das Minenfeld der Kindheit und wir unterschieden uns nicht von anderen heranwachsenden Jungen.

    013 014

    Ratschläge von Hans Junior     Ich schaffe es zur Bank

    Die Wolken des Krieges verdunkelten sich weiter. Mit der Erinnerung an die schrecklich harten Zeiten des Ersten Weltkriegs, auf welche die ältere Generation oft hinwies, half Mutter den Garten in Lunden mit größter Sorgfalt zu pflegen. Während Hans und ich die täglichen Schwierigkeiten von Kleinkindern bewältigten, half sie auch auf den umliegenden Feldern.

    Jede Gemeinschaft war selbstversorgend um satt zu wurden, nachdem die Politiker es versäumt hatten, Schwierigkeiten ohne Krieg zu lösen.

    036 037

    Erna Rudolph ( Mutter) 1940 Landmädchen

    017

    Großvater väterlicherseits

    018

    Großeltern väterlicherseits

    019

    Die Rudolph Familie von Lunden bei Kemden. Die X ist auf Vaters Mutter.

    020

    Erna Rudolph (Mutter) und Tante Ellen am Herumalbern in Lunden – etwa 1940

    Man kann annehmen, dass sich junge Mütter lieber um ihr Heim kümmern als um gemeinschaftliche Kleingärten, aber das Leiden der früheren Generation hatte die Psyche der Menschen gezeichnet. Es spornte sie zu einer nie wieder auftretenden Psychose an.

    Mutter hatte das richtige Gleichgewicht gefunden und als gute Mutter sorgte sie dafür, dass unsere Erinnerungen an diese zunehmend düsteren Zeiten so glücklich waren, wie es die Umstände erlaubten.

    021

    Bereit, nach Frankreich zu gehen

    Spät im Sommer 1940 war Vater an der Reihe sich einer Einheit anzuschließen, die bereits im von Deutschland besetzten Frankreich diente. Ich frage mich, ob er und seine Kameraden - wie die gegnerischen Soldaten in vergangenen Kriegen - glaubten, dass der Krieg bald vorbei sein würde? Er  versicherte Mutter es sollte eine kurze Abwesenheit sein, umarmte sie und beteuerte ihr seine Liebe. Bei seinen letzten Worten, mit denen er sich von Bruder Hans und mir verabschiedete, schauten wir tränenreich und hoffnungsvoll zu, wie er (in seiner adretten Uniform) in den Krieg zog.

    Getreu seinem Versprechen kehrte Vater nur drei Wochen später zurück. Aber mit untypischer Formalität teilte er uns mit, dass es weitere Aufgaben gäbe, zu denen er sich nicht weiter äußern wollte. Später erkannten wir, dass der eigentliche Grund für diesen kurzen Besuch zuhause darin bestand uns vorzubereiten und unsere Sicherheit zu gewährleisten. Obwohl die französischen und britischen Streitkräfte aus Europa vertrieben worden waren, wo sie eine direkte Bedrohung für das Vaterland dargestellt hatten, wurde der Krieg intensiviert.

    Hamburg war eine große Industrie- und Hansestadt, ein wichtiger Knotenpunkt der Kriegsanstrengungen. Als solche war die altehrwürdige Hansestadt wohl  ein sehr gefährdetes  Gebiet für Bombenangriffe. Dies war ein Krieg, der die flächendeckenden Bombardierungen ferner Metropolen einläuten sollte.

    Bombenangriffe hatten sich bereits auf andere deutsche Städte ausgewirkt. Schon am 11. und 12. September 1939 - eine Woche nach Beginn der Feindseligkeiten - hatten britische Flugzeuge Propagandaflugblätter über die Stadt abgeworfen.

    Die ersten Luftangriffe bei denen deutsche Zivilisten ums Leben kamen, ereigneten sich in der Nacht vom 11. Mai 1940, als britische RAF-Bomber Mannheim angriffen. Laut F. J. P Veale, dem bekannten britischen Juristen und Historiker, war es ein bedeutender Angriff. In seinem Buch „Advance to Barbarism schreibt er: „Dieser Angriff, obwohl an sich trivial, war ein bahnbrechendes Ereignis, da es der erste bewusste Bruch der Grundregel der zivilisierten Kriegsführung war, wonach Feindseligkeiten nur gegen die feindlichen Kampfkräfte geführt werden dürfen. Dieser Flug vom 11. Mai 1940 markierte das Ende einer Epoche, die zweieinhalb Jahrhunderte angedauert hatte.

    Im folgenden November gab es weitere Bombenangriffe. Es war ein entscheidendes Jahr, in dem der Friede einfach hätte ausgehandelt werden können. Dann wäre der Zweite Weltkrieg kaum mehr als eine Fußnote in der Geschichte geworden - anstelle des Blutbades, das einen großen Teil der Menschheit erwartete.

    In den Nächten vom 15. bis 16. November 1940 kam es zu schweren Angriffen von über zweihundert feindlichen Flugzeugen auf Hamburg. Nicht überraschend war das Ziel die riesige Blohm & Voss Werft. Überall in der Umgebung erhellten mehr als sechzig Feuer den Nachthimmel über der Stadt Hamburg. Vielleicht waren es die Wetterbedingungen, dass nur sechzig Flugzeuge tatsächlich in der zweiten Nacht ihr Ziel fanden und viel weniger Schaden angerichtet wurde. Die Umgebung von Hamburg war für ihre Produktionsbetriebe bekannt, von denen viele Kriegsunterstützung leisteten. Niemand machte sich Illusionen über deren  Bedeutung gegen die feindlichen Streitkräfte. Es wurde vermutet, dass die Bombenangriffe zunehmen würden und die erwarteten Folgen waren weitaus größer als die bereits erlittenen.

    Ich war viel zu jung um zu verstehen, was im weiteren Kontext vor sich ging und ich konnte nicht wissen, dass dies außergewöhnliche Zeiten waren. Bruder Hans, dessen Verständnis ein wenig besser war, versuchte mir die Dinge zu erklären, als wir uns der Evakuierung näherten. Dies war ein weiteres Wort für meinen wachsenden Wortschatz.

    Aufgrund der verstärkten Intensität und Häufigkeit der Bombenangriffe wurde entschieden, dass wir sicherer wären, wenn wir nach Coswig, in der Nähe von Dresden, ziehen würden. Wir sollten bald unseren Zug im Hamburger Hauptbahnhof besteigen. Während der ganzen Reise versuchte Hans mir behutsam begreiflich zu machen, was los war und warum. Aber selbst er war natürlich nicht in etwas anderes als in die vagen Konzepte des Krieges zwischen den Nationen eingeweiht.

    022 023

    Na Kinder, ich muss weggehen.

    Traurig verabschiedeten wir uns von Hamburg. Es war weniger das Verlassen der Stadt, das uns den Tränen nahe brachte, viel mehr das Zurücklassen unserer Großeltern. Ihr Lebensmittelladen war der Mittelpunkt des Lebens, und wir hatten so viele schöne Stunden in der Lübbecker Straße 31 in Bramfeld, einem kleinen Dorf am Stadtrand von Hamburg verbracht.

    024

    Eure Mutter wird sich an einem sicheren Ort um euch kümmern.

    Oft bekamen wir leere Kohlkisten. Von uns phantasievoll mit Garn aneinandergereiht, wurden sie in Züge und Schiffe verwandelt, mit denen wir spielen konnten. Unter dem Laden gab es einen tiefen Keller, den wir erforschen konnten. Für unsere kindlichen Gemüter wurde er je nach Vorstellungskraft zu einem Ort in den Tiefen der Erde oder zu einer Höhle.

    Seine unwirtlichen Räume waren gefüllt mit Kartoffelsäcken, vielen Gemüsesorten aus den umliegenden Feldern und großen Mengen von verschiedenem Obst. Zum Glück für unsere Großeltern waren wir „sauber". Wir haben nie versucht, etwas ohne vorgängige Erlaubnis zu nehmen. Uns wurde beigebracht, dass bei der herrschenden Lebensmittelknappheit Verschwendung sündig und die Mäßigung weise sei. Etwas ohne Erlaubnis zu nehmen war vielleicht die größte aller Sünden. Es war nicht überraschend, dass Hans und ich uns darauf freuten Zeit im Laden zu verbringen, wo wir zu den Lieblingen eines ständigen Kundenstroms wurden.

    Man könnte auch sagen, dass unsere Großeltern die Eltern der Dorfgemeinschaft waren. Sie hatten ihr gesamtes Leben dort verbracht und viele Dorfbewohner konnten sich noch daran erinnern, dass meine Mutter in dem mit dem Geschäft verbundenen Haus geheiratet hatte.

    025

    Lűbecker Straße Hamburg—Bramfeld, etwa 1939-40

    Die Straße wurde umbenannt in Bramfelder Chaussee

    Leider steht das Haus nicht mehr, es wurde durch zwei Wohnblöcke ersetzt.

    Ein Lieblingsspielplatz von uns war der Hof auf der Rückseite des Lebensmittelladens. Mit seinen Nebengebäuden bot er uns viele Möglichkeiten. Wir durften sogar in Großvaters Auto sitzen - aber nur, wenn er dabei war.

    Kleine Jungen hatten nie eine größere Qual der Wahl als wir. Nahe vom Laden und seinen Nebengebäuden lag der Bramfelder See.

    Willy & Erna Srn

    Unsere Großeltern mütterlicherseits

    027

    Unsere fleißigen Großeltern

    Am Bramfelder See verbrachten wir viele schöne Stunden, genossen Picknicks mit anderen Dorfkindern und spielten mit ihren älteren Verwandten. Es war eine idyllische Oase. Wir segelten unsere imaginären Boote und spielten zwischen den Bäumen oder an den grasbewachsenen Hängen. Die Picknickkörbe waren immer randvoll mit Gebäck, Obst, trockenem Brot, Käse und verschiedenen Trockenfleischsorten. Das waren die wundervollen Orte, die wir jetzt zurückließen. Wie schrecklich würden wir sie vermissen. Unsere Eltern waren sichtlich aufgebracht. Sie freuten sich nicht auf unser neues Heim in Coswig, mit dem sie wenig vertraut waren. Auch sie hatten viele glückliche Stunden in unseren Häusern in Hamburg verbracht - sie hatten geheiratet und ihre Söhne dort aufgezogen. Beide arbeiteten fieberhaft daran, die Wohnung einzumotten, weil sie ahnten, dass es dauern würde, bis dies wieder ihr Zuhause sein würde.

    Auch Vater hegte gemischte Gefühle. Er musste sich bald wieder seiner Einheit anschließen, weil der Krieg immer grausamer und weitreichender wurde. Vielleicht mit einer tieferen Vorahnung haben unsere Großeltern uns geholfen wo sie konnten. Sie hatten ihre eigenen Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg vor nur einer Generation. Man konnte die Dinge nur so akzeptieren, wie sie waren und tun was man konnte um die Härten und Schwierigkeiten zu lindern.

    028

    Großvater Wettlaufer (1939) hatte es geschafft, aus geschäftlichen Gründen zuhause bleiben zu können.

    Wieso hatte er eine Uniform erhalten?

    Man konnte nur inbrünstig hoffen, dass bald von den Staatsmännern der militaristischen Mächte ein Kompromiss erreicht würde und dass der Friede wieder einziehen könnte. Jeder sehnte sich nach Normalität, aber das waren für uns alle abnormale Zeiten.

    Moderne Kriege ziehen alle in Mitleidenschaft. Heim, Geschäft und die Lieben waren betroffen. Wir waren überhaupt nicht beruhigt durch Sendungen die verkündeten, dass der Krieg bald vorbei sein würde, dass hinter den Kulissen noch immer kühlere Köpfe nach Friede suchten.

    Page 29

    Hamburger Hauptbahnhof  - etwa 1940 – von hier fuhren wir oft weg

    038

    Hauptbahnhof Hamburg – etwa 2012 – die Bögen und die Dachkonturen scheinen noch gleich.

    Enorm beschäftigt im Dienste der Dorfbewohner, war es unseren Großeltern nicht möglich das Geschäft zu schließen und uns bei unserem Umzug zu unterstützen. Der Krieg schien alles dringender und hoffnungslos störend zu machen. Der Laden war immer stark frequentiert. Der ständige Strom von Kunden unterhielt sich über den Fortschritt des Krieges und fragte nach dem Wohlergehen anderer (besonders der Soldaten an der Kriegsfront). Außerdem waren die Öffnungszeiten unendlich lang und meine Großeltern mussten erschöpft gewesen sein, wenn sie jeden Abend ihre Köpfe auf ihre Kissen legten. Es blieb wenig Zeit um uns zu helfen, als wir unsere Koffer und Taschen packten. Nicht vergessen ging der Proviant, den wir während der Reise und auch in unserem neuen Zuhause benötigten. Dies war keine Zeit um irgendetwas zu übersehen - oder zu verschwenden.

    Mutter und Vater machten sich keine Illusionen. Es versprach eine lange und mühsame Reise werden, und sie würden auf all ihre Mittel zurückgreifen müssen. Auch wir waren vom gleichen Blitz beseelt, den gewöhnliche Leute teilten. Die kleine Gruppe von Freunden und Nachbarn, die sich am Bahnhof versammelt hatten, verabschiedeten uns fröhlich winkend. Alle schienen gut gelaunt zu sein - obwohl die meisten Reisenden auf dem Bahnhof waren, weil ihr Leben durch den Verlauf des Krieges gestört wurde. Es war auch ein emotionaler Aufbruch, denn die zurückgelassenen Menschen wussten um die Gefahr von Luftangriffen. Ich glaube, die meisten Tränen galten den in Hamburg Zurückbleibenden.

    Page 28

    evakuierte Kinder auf einem Bahnhof

    Obwohl unser Zug mitten am Tag wegfuhr, kamen viele unserer Verwandten, um uns zuzuwinken. Weil sie auch kleine Geschäfte hatten, wurden Fahrzeuge zum Transport unserer Koffer angeboten und gerne angenommen.

    Wie erwartet, war die Reise lang und ermüdend. Um sicher zu gehen, dass wir nachts nicht unruhig schlafen würden, hat uns Mutter wach gehalten, indem sie auf Sehenswertes in der vorbeiziehenden Landschaft hinwies. Gelegentlich vertraten wir uns die Beine, versuchten uns aufrecht zu halten, während die Wagen des Zuges die Gleise entlangschlängelten.

    Schließlich, unsere kleinen Körper in Decken eingewickelt, schliefen wir langsam ein - nur um gelegentlich, während einer ereignislosen Reise nach Osten, aufzuwachen. Der Zug hielt an verschiedenen Stationen um weitere Evakuierte aufzunehmen. Als wir in Leipzig einfuhren, hörten wir von den Bombenangriffen auf Berlin.

    Unsere einigermaßen gute Laune bei der Einfahrt in den Bahnhof von Coswig sollte sich bald verflüchtigen. Wir waren obdachlos geworden; es gab keinen Platz für uns und Unterkünfte waren sehr knapp. Das erfuhren wir, als wir nach unserer langen Reise aus dem Zug stiegen.

    Mutti (in ihrer geradlinigen Art) verließ uns, um nach unseren Koffern zu sehen. In der Zwischenzeit arrangierte sie die nächste Evakuierungsstufe. Sie versprach sehr bald zurückzukehren und wir beide mussten ihr versprechen uns nicht zu rühren. Vater musste dem Kommandanten sofort seine Ankunft melden. Wie versprochen kehrte Mutter zwanzig Minuten später zurück, aber ihr Ausdruck war alles andere als glücklich. Es stellte sich heraus, dass es ein Verwaltungsfehler war: Die uns zugewiesene Unterkunft war nicht verfügbar. Zu allem Übel waren wir nicht die einzigen, die in der Stadt obdachlos ankamen. Es waren sehr viele andere Evakuierte in derselben Notlage. Während Beamte angestrengt versuchten alle unterzubringen, die keine Adresse hatten, wo sie hingehen konnten, plädierte Mutter inständig und erklärte, wer wir waren. Sie erinnerte daran, dass Vater ein Armeeoffizier war und das schien Wirkung zu zeigen.

    Nach drei frustrierenden Stunden erhielten wir die Adresse von Herrn und Frau Munde. Beide arbeiteten als Lehrer in einer örtlichen Schule und konnten uns aufnehmen, bis eine bessere Lösung gefunden werden konnte.

    Weil Mutter in dieser Sache keine Wahl hatte, machten wir das Beste daraus. Wir waren erleichtert, dass das nette Paar uns freundlich willkommen hieß. Sie waren beide verständnisvoll und unterstützend. Ich erinnere mich an Herrn Munde als einen lustigen Kerl. Er war ein schwerer Mann von beträchtlichem Umfang, der Hosenträger brauchte um zu verhindern, dass seine Hosen zu den Knöcheln runter glitten. Er hatte eine Vorliebe für kragenlose weiße Hemden ohne die wir ihn nie sahen.

    Frau Munde hingegen war dünn und groß. Sie war immer angezogen, als ob sie in diesem Moment einen Besucher erwarten würde. Selbst beim Kochen trug sie modische Kleider. Sie passte gut auf und trug immer eine Schürze, damit ihr Aussehen nicht durch eine kleine Unachtsamkeit verdorben wurde. Sie nannte ihre Schürze einen Schlammfänger und sie hatte von ihrer Mutter gelernt, wie wichtig es war für alle Eventualitäten eine solche zur Hand zu haben. „Stell dir die unnötige Reinigung vor, wenn du keine trägst", hatte sie eine sehr junge Frau Munde ermahnt.

    Sie waren ein liebenswertes Ehepaar, das ruhig und in gegenseitiger Zuwendung lebte. Für uns war wichtig, dass sie uns aufrichtig willkommen hießen und wir hatten nie den Eindruck, dass wir eine Belästigung waren. Mutter erinnerte uns daran, wie glücklich wir uns schätzen konnten, von einem so liebenswürdigen Paar empfangen zu werden, da andere Evakuierte nicht so gut aufgenommen worden waren. Wir hatten uns noch kaum eingelebt, als Vater, der oft die Zeit fand uns zu besuchen, weitere Befehle erhielt.

    Er musste sich einem Zug anschließen, der ihn und seine Kameraden zurück nach Hamburg und weiter zu ihrer Einheit brachte. Er muss sehr traurig gewesen sein uns zu verlassen. Der Krieg war so entsetzlich und wir bemühten uns sehr uns an glücklichere Tage zu erinnern, als der Konflikt nur ein Gerücht gewesen war. Wiederum waren wir bestürzt ihn gehen zu sehen, aber zum Glück war Mutter eine großartige Organisatorin und geschickt darin, uns beide aufzuheitern (obwohl ich sicher bin, dass sie auch sehr traurig war und sich verletzlich fühlte).

    Wir hatten keine Ahnung, wohin Vater gesandt wurde. Solche Dinge aufzudecken hätte schärfste Strafen zur Folge gehabt. Er war mit solchen Informationen vertraut, war aber zur Verschwiegenheit verpflichtet. Zudem wussten nur wenige der Soldaten, wohin ihre Transporte sie brachten. Nach einiger Zeit im Hause Munde erhielten wir eine Karte von Vater. Freudig drängten wir uns zusammen um zu hören, was er zu berichten hatte. Mutter erzählte uns, dass er in Frankreich war und er beschrieb seine Bürosituation im Detail, damit wir uns seinen Bürostuhl, den Tisch und das Familienfoto darauf perfekt vorstellen konnten. Er hatte (nach seinem letzten kurzen Aufenthalt in Frankreich) ein Foto von seinem Büro mitgebracht und eines, das er während seiner Arbeit aufgenommen hatte. So wussten wir von diesen Fotos und seiner Beschreibung in dem Brief, dass er wieder in Frankreich war. Es beruhigte uns zu wissen, dass er sicher und scheinbar glücklich war.

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    Vaters Büro in Frankreich      strategische Planung

    Vater war tatsächlich in ein Quartier zurückgekehrt, wo er vorher stationiert gewesen war. Aber wir kannten nur das Land, in das er entsandt wurde. Für alle anderen, die Männer im Militär hatten, war es meistens dasselbe. Die Nachrichten über ihren Aufenthaltsort halfen den Erwachsenen auch dabei, den Verlauf des Krieges zu verfolgen, weil wir alle häufig Radio hörten. Es muss tröstlich gewesen sein zu wissen, dass der eigene Bruder, Sohn, Vater oder Verwandte nicht in den Gebieten eingesetzt war, in denen die schwersten Kämpfe stattfanden.

    Wir blieben drei Monate lang Gäste der Mundes, auch für das Weihnachtsfest von 1940. Wir fanden genug um unsere gute Stimmung aufrecht zu erhalten und haben Coswig besser kennengelernt.

    Während dieser Zeit half Mutter Frau Munde im Haus. Sie kochte oft mit ihr, während wir uns selbst beschäftigten - was uns, wie Sie sich vorstellen können, bestens behagte. Herr Munde war jederzeit im Garten zu finden, wo alles wuchs was wir brauchten.

    Coswig ist nicht weit von der Barockstadt Dresden entfernt, die oft als Florenz des Nordens bezeichnet wird. Coswig war umgeben von einem riesigen Wald, durchsetzt von Gärten und Parklandschaften.

    Wir verbrachten viele schöne Nachmittage damit, unsere wachsende Welt zu erkunden - oft alleine, aber auch mit Mutti, wenn sie Zeit hatte. Ich denke, für die Mundes war Mutter sehr hilfreich und sie schienen glücklich zu sein zwei Jungen im Haus zu haben. Bald jedoch sollten wir in ein dauerhafteres Zuhause umziehen und eingeladen werden, so lange wie möglich dort zu bleiben, ohne an Umzug zu denken.

    Es wurden immer mehr Evakuierte aus den Städten in die verhältnismäßige Sicherheit Sachsens gebracht, um den ständigen Bombenangriffen zu entgehen.

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