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DU BIST VIEL MEHR ALS DEINE GESCHICHTE: Eine Geschichte nach wahren Begebenheiten
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DU BIST VIEL MEHR ALS DEINE GESCHICHTE: Eine Geschichte nach wahren Begebenheiten
eBook311 Seiten3 Stunden

DU BIST VIEL MEHR ALS DEINE GESCHICHTE: Eine Geschichte nach wahren Begebenheiten

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Über dieses E-Book

Worte, die ich in meinen Gedanken hörte. Laut schreiend. Laut abspielend auf einer Kassette, die ich nun zwei Jahre mit mir herumgetragen hatte. Ein laut ausgesprochener Satz eines Menschen, welchen ich stets immer noch fürchte. Ich brachte diesen all die lange Zeit nie über meine Lippen. Doch nun wird mir klar, weglaufen kann ich nicht, verdrängen bringt mir nichts, also schreie ich es mit Mut und Stärke in die Welt hinaus. Doch bleiben dennoch die Worte, die ich in meinen Gedanken höre, mit dem Klang des Jungen, der einst flüsternd ernst zu mir sprach: » Du willst es doch auch, Baby. «
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. Mai 2021
ISBN9783347327252
DU BIST VIEL MEHR ALS DEINE GESCHICHTE: Eine Geschichte nach wahren Begebenheiten
Autor

Theresa Fischer

Mit 14 vergewaltigt worden, mit 16 angefangen zu schreiben und mit 18 Jahren eine junge Neuautorin. Theresa ist eine starke und selbstbewusste junge Frau. Sie kommt aus Oberfranken, Bayern und wurde am 27.01.2003 geboren. "Du bist viel mehr als deine Geschichte" ist ihr erstes vollständig geschriebenes Buch und somit auch der erste Teil ihrer wahnsinnig herzzerreißenden Vergangenheit, welche sie teilweise im Laufe des Inhaltes beschreibt und somit den Lesern nahebringt. Ihr geht es um soviel mehr als nur Autorin zu sein. Ihren Mitmenschen zeigen, dass man viel mehr sein kann als die Geschichte, die man sein ganzes Leben nennt und tagtäglich durchleben muss.

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    Buchvorschau

    DU BIST VIEL MEHR ALS DEINE GESCHICHTE - Theresa Fischer

    1

    ERSTER JANUAR ZWEITAUSENDACHTZEHN:

    Hektisch sehe ich mich um.

    Ich renne.

    Immer und immer schneller.

    Ich spüre den nassen Straßenteer unter meinen Füßen.

    So intensiv konnte ich ihn noch nie zuvor wahrnehmen.

    Nun bin ich allein.

    Ich bin weg.

    Weg von ihm.

    Weg von allem.

    Irgendwo.

    Es regnet und mir ist kalt.

    Was soll ich tun, was soll ich jetzt nur tun, denke ich mir so oft seit etlichen bereits vergangenen Minuten. Meine Luft wird knapp, mein Hals schnürt sich in Sekundenschnelle zu und ich finde einfach keine Möglichkeit mich gelassen beruhigen zu können.

    Wohin soll ich gehen?

    Weiterhin sehe ich mich überfordert um.

    Ist es wirklich passiert?

    Vorsichtig laufe ich einen Berg einer Straße entlang hinunter, starre die Kirchturmuhr an und blicke verzweifelt nach rechts und nach links. Ich drehe mich um. Ständig sehe ich ihn gedanklich neben, vor und hinter mir.

    Das Gefühl von Angst rutscht meinem Körper hinunter.

    Es ist nicht nur ein Gefühl.

    Ich kann sie spüren.

    Diese Angst.

    Alles geschieht wahnsinnig schnell.

    Jede kleinste Bewegung.

    Jeder noch so kleine Atemzug. Von Sekunde zu Sekunde werden diese immer kürzer.

    Immer lauter.

    Immer schneller atme ich ein und genauso schnell wieder aus. Mir ist kalt.

    Nebel überall.

    Es regnet.

    Unheimlich, wenn du mich fragst.

    Ich werfe einen Blick auf mich, als ich vor der Küche stehe und mich davor noch einmal umsehe.

    Die Sonne geht langsam auf, ihr schönstes Strahlen lässt sie allerdings hinter den dunklen Regenwolken und dem Hauch des Nebels versteckt.

    Denn wie ich schon sagte …

    Nebel überall.

    Und es regnet.

    Ich hebe meinen Blick und schaue auf die Kirchenuhr.

    Mittlerweile ist es knapp 9 Uhr. In den nächsten Minuten wird die Kirchturmglocke zum Läuten ansetzen und so laut erhallen, dass das ganze Dorf ihren Klang zu hören bekommt.

    Endlich komme ich dazu, mich anzusehen.

    Meine Füße … Sie sind eiskalt. Barfüßig stehe ich auf der kalten, nassen Straße. Ich spüre, wie eine Schicht von Gänsehaut sich über meinen Körper zieht. Alles, was ich untenherum trage, ist eine männliche Unterhose. Eine karierte Boxershorts.

    Eine Jacke habe ich noch an.

    Sonst nichts.

    Handy weg.

    Tasche weg.

    Ich kann nicht nach Hause.

    Nein … nein nicht so.

    Auf keinen Fall.

    Kommt nicht infrage.

    Ich schlage mir gegen meine nasse Stirn und fange vor Angst und bitterer Verzweiflung zu weinen an.

    Was mache ich denn jetzt?

    Meine Haare, meine dunklen langen Haare.

    Klatsch nass.

    Ich fühle mich wie benebelt. Dabei ist Nebel nur um mich herum. Eine tolle Wortspielerei.

    Findest du nicht?

    Doch ich möchte ehrlich sein. Wie ich mich fühle, ist eigenartig. Eben wie benebelt. Zumindest würde ich meinen Zustand so beschreiben.

    Ein- und ausatmen. Ein. Aus. Und schön langsam, rede ich mir ein. Immer noch verwirrt umherschauend fange ich an zu lachen. Ein hässliches. Nicht ernst gemeint, traurig, verzweifeltes Lachen. Mir wird klar, dass ich nicht klar denken kann. Alles, was ich eigenständig weiß ist, dass wirres Zeug in meinen Gedanken herumschwirrt und ich nicht die geringste Ahnung habe, wohin ich sie schieben kann, um mir den Freiraum zu geben, den ich vermutlich gerade brauchen würde.

    Hahaha ich spreche mit mir selbst, oh Gott ich drehe ja völlig durch.

    Es soll aufhören.

    Bitte.

    Alles soll ein Ende haben.

    Stopp! Aufwachen. Mach deine Augen auf. Komm schon. Du bist in Sicherheit.

    Moment … bin ich das wirklich? In Sicherheit?

    Und ab diesen Moment an, wusste ich, dass nichts davon nur in meinem Kopf war, sondern tatsächlich geschehen ist.

    EINE WOCHE SPÄTER:

    Weißt du, ich wollte nie, dass so etwas Schreckliches passiert. Vor allem nicht mir. Ich wollte das alles nicht wahrhaben. Ich habe schon so vieles versucht, die Nacht und alles, was an dem Abend passiert ist, zu vergessen und ja auch, obwohl es erst knapp eine Woche her ist. Ich dachte mir: Du kannst das hinbekommen. Du schaffst das schon. Irgendwie.

    Also fing ich an mir einzureden, dass alles überhaupt nicht so schlimm war und nehme mir vor, zu versuchen irgendwie damit klarzukommen.

    Als die Schule ein paar Tage später wieder anfing, starrten und lachten mich die meisten an. Erst dachte ich, dass ich mir das alles einfach nur einbilde, denn woher sollten andere schon davon wissen. Bis mir bewusst wurde, dass nach den paar Tagen eindeutig schon mehr Personen darüber informiert waren, als ich ursprünglich zu denken glaubte.

    Und natürlich.

    Es war Silvester gewesen.

    Ich war auf einer Feier eingeladen.

    Natürlich mussten einige davon wissen.

    Die Schule wird innerhalb der ersten Minuten zu einem unvorstellbaren Albtraum für mich, den ich meines Erachtens auf Anhieb nicht so einfach wieder verlassen konnte. Einige fingen an, ohne auf mich zu achten, irgendwie Theorien in die Welt zu setzen, ohne zu bemerken, was sie mir damit antun würden, und im Laufe des Tages entstanden die ekligsten Gerüchte.

    Ich versuchte nicht darauf zu achten. Ich versuchte nicht hinzuhören, ich wollte nicht wissen, was über mich erzählt wird, denn ich habe nichts gemacht.

    Ich. Bin. Nicht. Schuld.

    Ich habe das Gefühl, dass all das Schöne, was momentan um mich herum passiert, irgendwie völlig an mir vorbeizieht.

    Vieles ist einfach so unerträglich. Morgens wache ich auf, kaputt und müde, denn in der Nacht bin ich entweder oftmals aufgewacht oder habe irgendetwas Schlechtes geträumt. Ich habe solch eine Angst. Jeden Tag. Jede Nacht. Trotzdem muss ich aufstehen, mich fertig machen und jeden Tag so leben, als wäre alles in Ordnung. Als wäre alles normal. Zumindest sollte es so rüberkommen.

    Sobald ich dann im Unterricht sitze, frage ich mich dann allzu oft, was ich dort überhaupt noch mache. Manchmal verstehe ich kaum einen Sinn dahinter. Dennoch aber denke ich, dass alles so richtig ist, wie es ist.

    Ich sitze hier, schaue mir jeden einzelnen Schüler in der Klasse an, während unsere Lehrerin irgendwelche Formeln an die Tafel schreibt und ich intensiver denn je in meine Gedankenwelt eintauche.

    Nach drei Schultagen konnte ich einfach nicht mehr. Die ganzen Blicke. Das ständige Gefühl, beobachtet zu werden. Von vorne. Von links und rechts. Aber am wenigsten ertragen konnte ich diejenigen, die sich hinter mir aufhielten. Es gelang mir nicht, meine Tränen weiterhin unter meiner Fassade zu verstecken. Ich saß also im Unterricht und fing an zu weinen, während die steinerne harte Schicht immer mehr von meinem Gesicht abbröckelte. Ich kontrollierte nichts mehr. Eher waren es all die Komponenten um mich herum, die in das Gesamtpaket hineinspielten, von denen ich mich kontrollieren ließ. Also stand ich auf und rannte stürmisch aus dem Raum.

    Es war mir irgendwie peinlich. Ich schämte mich. So eine große Angst staute sich abrupt in mir an, wieder zurück in die Klasse zu gehen.

    Die vielen Blicke.

    Das Flüstern und Tuscheln untereinander.

    Doch am meisten Angst machten mir die Gedanken der anderen.

    Was ist denn jetzt mit der los?

    Wie sie jetzt Mitleid bekommen will!

    Die ist doch selbst schuld!

    Soll sie doch weinen …

    Ich ließ mich auf dem Boden im Gang der untersten Etage des Schulhauses nieder, drückte meine Beine ganz nah an mich ran und zog meine Knie fest an meinen Oberkörper. Mein Körper verkrampfte. Ich bemerkte stark drückende Schmerzen in meinem Unterbauch. Gleichzeitig versuchte ich, mir mit meinen Händen so gut es ging die Ohren zuzuhalten. Aber warum?

    Es fühlte sich so an, als sei ich wieder an diesem Ort, wieder gefangen in diesem Raum, wieder hilflos in einer Situation, der ich nicht entfliehen konnte.

    Ich bemerkte dieses Klopfen. Den Schlag gegen die Tür. Ich hörte ihn atmen. Ich spürte, wie er mich erneut festhält und gegen das ausgezogene Sofa, auf dem sich alles abgespielt hatte, drückte, doch all das war nicht real.

    Nicht in diesem Moment.

    Es konnte nicht sein.

    Nein, es konnte einfach nicht wahr sein.

    Ich zuckte zusammen.

    Ich hatte Angst. Am ganzen Körper zitterte ich.

    Dieses Gefühl weglaufen zu wollen, es aber nicht zu können … nichts anderes als das trug ich in diesem Augenblick mit mir herum. Wie ein Klotz an einem langen Seil festgebunden, so fühlte ich mich, weil ich mich nicht losreißen und wegrennen konnte.

    Also blieb ich weiterhin an der Wand fest angelehnt und mit meiner Haltung zusammengekrampft auf dem Boden des Gymnasiums sitzen.

    Vorsichtig ging die Klassenzimmertür auf und meine Mathelehrerin kam mit kleinen langsamen Schritten besorgt auf mich zu. Ob alles okay bei mir war, fragte sie und ich wusste einfach nicht, was genau die richtige Antwort auf ihre Frage wäre, denn eigentlich musste auch sie sehen, dass nichts wirklich mit mir in Ordnung war.

    Zwei Tage später hatten wir in den ersten beiden Stunden am Freitag Musikunterricht. Wir wurden in Gruppen aufgeteilt und erhielten die Aufgabe, zusammen Schlagzeug und Klavier zu spielen. Auch das noch.

    Wir hatten noch nicht einmal mit der Aufgabe begonnen und trotzdem hatte ich bereits im Gefühl, dass es mir gleich nicht mehr so gut gehen würde. Mein Bauch zog sich krampfhaft zusammen. Schon wieder. Ich kenne kaum noch ein anderes Gefühl wie dieses. Die ersten Gruppen starteten und es fühlte sich an, als wären diese Töne in den letzten Tagen nie verblasst gewesen. Alles war so greifbar nah, dass es mich zum Asphalt hinunterzog. Das Schlagzeug. Die Schläge. Immer und immer wieder. Es ging nicht. Dieses mit voller Kraft auf die Drums schlagen, ich hielt es einfach nicht aus. Ich griff nach meiner Wasserflasche, die sich in meiner schwarzen Handtasche neben dem Tischbein meines Platzes befand und lief in zügigen, aber dennoch wackligen Schritten aus dem Raum in Richtung Pausenhof. Ich rief meine Mutter an und setzte sie allein mit meiner Tonlage schon so sehr unter Druck, dass sie sofort im Klaren darüber war, was in mir hervorging. Vor lauter Hyperventilieren bekam ich nicht mit, ob sie sich nun direkt auf den Weg machen würde oder nicht, aber ich hoffte tiefsinnig danach, dass sie es tun würde. Diese ständigen Schläge. Es war eine Qual. Es ähnelte dem Klopfen eines Mannes gegen eine Tür. So laut. Mit voller Kraft und aller Wut.

    Etwa zwanzig Minuten später klopfte es inzwischen tatsächlich an der Tür. Ich zuckte auffällig, aber ungewollt, zusammen. Wieder einmal bemerkte ich diese ängstliche Seite in mir.

    Der Griff neigte sich nach unten und ein Spalt, der zwischen Rahmen und Tür entstand, wurde langsam aber gleichmäßig immer größer. Ziemlich zeitnah blickte ich in ein Gesicht.

    Es war die harmlose, nette Dame aus dem Sekretariat.

    Sie erwähnte meinen Namen und bestand darauf, mit mir nach oben ins Direktorat zu gehen.

    Weshalb, konnte ich nicht verstehen.

    Doch ich war froh.

    Irgendwie zumindest.

    Ein kleiner Hauch von Erleichterung tauchte auf meinen Schultern auf und gab mir ein wenig das Gefühl, mich beruhigen zu können.

    Also schob ich vorsichtig meinen Stuhl zurück, stand mit immer noch wackligem Stand auf und lief durch den restlichen dort im Raum anwesenden Mitschülern hindurch in Richtung Tür.

    Wieder diese starrenden Blicke.

    Jede Sekunde, bis ich die Tür hinter mir zuzuziehen versuchte. Erneut zeichneten sich verschiedene Bilder in den Köpfen der Schüler. Bei einigen sicherlich auch Fragezeichen. Diese Leute waren mir am sympathischsten gewesen. Eben diese, die sich nichts einfach selbst zusammenreimten und der Außenwelt preisgaben. Doch davon, schien es um mich herum nur wenige, die zu diesen Personen dazugehörten, zu geben.

    Also akzeptierte ich, mit einem Gefühl von leichter Scham, dass ich mich in einem solchen Umfeld befand und fing an zu versuchen, meinen Fokus mehr auf die Frage zu lenken, warum ich aus dem Unterricht geholt wurde.

    Angst hatte ich. Durchgehend teilte sie mein Leben mit mir, oder ich teilte mir mein Leben mit ihr. Je nachdem, wie man es sehen wollte. Allein fühlte ich mich auch. Mal wieder. Aber das war ja nichts Neues. Und interessieren tat das ebenfalls niemanden.

    Da gab es ja nur mich. In diesem Moment. In dieser Situation. Die Sekretärin hatte keine Ahnung davon.

    Was ist passiert?

    Was mache ich hier?

    Ich bekomme kaum Luft.

    Angst.

    Ich habe schreckliche Angst.

    Warum hört mich denn niemand?

    All das kreiste in mir umher. So gerne würde ich etwas anderes behaupten, aber ich kann es nicht. Ich war mir nicht im Klaren, was im nächsten Schritt passieren würde. Schuldgefühle stiegen durch mein zerbrechliches Innere in mir hoch. Ich begann, mich schlecht zu fühlen. Eine Versagerin, dachte ich mir. Ein Mädchen, welches jeden nur enttäuscht und zu viele Fehler hat.

    Es fühlte sich an, als würde mein Kopf fast vor lauter Fragen platzen. Nicht, weil sie besonders schwierig waren. Eher, weil ich mir solch einen Druck damit machte. Ich bin doch erst vierzehn. Mir kann man nicht so viel zumuten. Vor allem in letzter Zeit nicht.

    Wieso versteht das niemand? Sieht man es mir denn gar nicht an?

    Ich kann gar nicht glauben, dass meine Maske, die ich mir in der Öffentlichkeit versuchte aufzusetzen, tatsächlich ihre Aufgabe erfüllen würde.

    Niemals würde das möglich sein. Niemals.

    Ich kann sowas doch nicht.

    Drucksituationen aushalten.

    Mich ihnen aussetzen.

    Ich bin viel zu schwach.

    Und allein.

    All das würde niemals funktionieren.

    Und aus diesen Gründen, glaube ich auch nicht daran.

    Die Frau öffnete die Tür zum Büro des Schulleiters.

    Ich erkannte meine Mama an einem Tisch sitzen und atmete tief durch, sodass das zittrige Gefühl in meinen Beinen allmählich schweifend weniger wurde. Meine Oma neben ihr. Ich begann, als hätte jemand einen Knopf betätigt, zu weinen. Für einen kurzen Moment war ich froh, beide dort anzutreffen. Allein würde ich mir schutz- und hilflos vorkommen.

    Die Tür fiel zu und ich wurde freundlich aufgefordert, mich neben den Beiden auf einen Stuhl zu setzen. Zum ersten Mal befand ich mich in diesem Raum. Kein Mal zuvor.

    Vor mir fand ein Kreis-geformter weißer Tisch seinen Platz.

    Darauf eine Vase und eine Tasse Kaffee für den Schulleiter, der sich auf den Stuhl in der Nähe des vollgefüllten heißen Porzellangeschirrs niederließ. Rechts von dem Anblick erkannte ich die Stellvertreterin von ihm. Als ich vorsichtig etwas zur Ruhe kam und es ziemlich still im Raum wurde, begannen die Beiden die Frage in die Runde zu stellen, weshalb meine Mutter diesen dringlichen Termin vereinbart hatte. Ab diesem Moment wurde mir erst bewusst, was sich vor mir versucht hatte abzuspielen. Ich schluckte und spürte einen dicken Kloß im Hals, der sich bemühte, sich dort festsetzen zu können.

    Alle blickten mich an. Ich starrte die Pflanze an, die in der Mitte des Tisches stand und versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. »Frau Fischer, ich verstehe nicht, weshalb sie hier sind?«, kam aus dem Mund des Direktors.

    Ich warf einen blassen Blick in den Raum und begann zu erzählen.

    Es dauerte eine Weile.

    Es schien unmöglich für mich auch nur einen geraden Satz zusammenzustellen. Ich hatte im Gefühl, dass es mir nicht einmal gelingen würde, irgendein schönes Erlebnis erzählen zu können. Ich machte viele Pausen.

    Viel zu viele, wenn du mich fragst.

    Zumindest sahen die Schulleiter die erste Zeit lang so aus, als würden die Bruchstücke, die aus meinem Mund nur so daher purzelten, nur Bahnhof für sie ergeben.

    Mittendrin fing der zitternde Grad, in dem ich mich zusätzlich befand und den ich dachte etwas unter Kontrolle zu haben, an, stärker zu werden und sich über meinen Körper auszubreiten. Einige Minuten vergingen.

    Zumindest kam es mir so vor.

    Mein Herz. Ich spürte, wie es schneller schlug. Mein Hals drückte mir die Luft weg. Es fühlte sich an, als würde ich nicht mehr lange leben können. Irgendwie musste ich mir bewusst machen, dass es gut ist, es auszusprechen. Es ist gut, um Hilfe zu beten und zu erzählen, was geschehen war. Ich wollte diese Einsamkeit loswerden, mich sicher und geborgen fühlen, aber wie? Irgendwie glaubte ich nicht, dass ausgerechnet meine Lehrer eine sonderlich große Unterstützung für mich sein würden.

    Ich griff nach der Hand meiner Mama. Ich drückte vorsichtig fest zu. Schlagartig gelang es mir nicht mehr weiterzuerzählen.

    Ich war mir sicher, dass nichts mehr über meine Lippen zum Vorschein kommen würde. Zumindest nicht von mir, denn es geht nicht mehr. Ich war fertig.

    Es war einfach zu viel.

    Ich versuchte meinen Kopf etwas anzuheben und sah mich von einem Schleier voller Hilflosigkeit umgeben, im Raum um. Beide Lehrkräfte sahen schockiert aus. Keiner von Ihnen hatte mit solch einer Geschichte gerechnet.

    Ich blickte zur Tasse. Sicherlich war der Kaffee bereits kalt.

    All das Leid und dieses Elend, all das sollte ein Ende haben.

    Die Schule war gezwungen, das Ereignis der Polizei zu melden. Also lehnte ich dankend mit einem unsicheren Kopfschütteln ab, welches allerdings von niemandem bemerkt wurde. Meine Mutter teilte dem Raum mit, dass wir das selbst in die Hand nehmen würden. Ich hatte keine Chance bekommen, meine Meinung mit einzubeziehen. Ich war nicht gefragt worden.

    In diesem Moment fühlte es sich an, als wäre ich zwar das Mädchen, um das sich Sorgen gemacht wird, aber nicht mehr die Person, die ein Recht darauf hatte, selbst entscheiden zu können, was als Nächsten geschehen würde.

    Ich hatte Angst vor dem Schritt, der als Nächstes kam. Ich war mir deutlich im Klaren, was meine Mutter nun vorhatte. Wie ein Sturz zum freien Fall füllten sich all meine Adern voller Spannung. Diese Spannung hielt so lange Stand, bis ich mich von meinem Stuhl erheben, in diesem Zustand das hergezogene Beileid aussprechen der Direktoren meiner Schule nur so durch meine Ohren hallen hören konnte und danach den Raum mit vorsichtig kleinen Schritten verlassen durfte.

    Danach war sie spurlos verschwunden gewesen.

    Diese Art von Anspannung, die ich in dieser kurzen Zeit durchlebt hatte.

    Meine Beine zogen instabil wie die eines Skeletts durch die Gänge der Schule. Es war eine Situation für mich, die ich Stunden später noch nicht ganz für die Richtigkeit meiner Gedankenordnung auffassen konnte.

    Von dem Tag an war ich für knapp drei Monate nicht in der Schule.

    2

    EINUNDDREIßIGSTER DEZEMBER ZWEITAUSENDSIEBZEHN:

    Es war mitten im Winter. Seit Jahren gab es keinen richtigen Schneefall mehr im Landkreis. Immer mal wieder ein paar Flocken. Mehr aber auch nicht.

    An diesem Tag gelang es mir besonders gut, mit einem Blick durch mein Zimmerfenster die frühzeitige Abenddämmerung zu erkennen. Die Sonne zog gelassen hinter den Horizont und verabschiedete sich zum letzten Mal in diesem Jahr.

    »Mama, ich habe eigentlich gar keine so große Lust heute auf diese Feier zu gehen …«, jammerte ich vor meiner Mutter herum, als ich für einen kurzen Augenblick in die Küche lief, nur um zu hoffen, sie würde mir einen guten Rat geben können.

    Doch alles, was ich von ihr erhielt, war ein fragwürdiger Blick. Ich nahm an, weil sie sich in diesem Moment ebenso wenig erklären konnte, wieso ich nicht zu meinen Freunden gehen wollte. Also schlenderte ich gelassen zurück in mein Zimmer und fing an, mich für die Party fertig zu machen.

    Ich griff nach einer weiß- schwarz gestreiften Bluse, die ich mir drei Tage zuvor erst neu gekauft hatte, aus meinem Kleiderschrank, zog mir eine schwarze High-Waist Jeans an und machte es mir auf meinem Hocker vor meinem kleinen Spiegel bequem. Mit dem Make-up schien ich nicht maßlos zu übertreiben, fand aber auch, dass ich keinen Pinselstrich unnötig verschwendet hatte. Schlicht und dezent gehalten traf meinen Look, denke ich, ganz gut. Ich wartete noch auf meine Schwester und eine Freundin, die bereits bei uns von ihrer Mutter abgesetzt wurde, sprühte noch etwas Parfüm auf mein Handgelenk und meinen Halsknochen, nahm gelassen meine schwarze Lederjacke, passende Schuhe und packte mir gemütlich eine Tasche zusammen, als wir endlich losliefen.

    • • •

    Kurz vor Mitternacht stolzierten alle mit Bierflaschen und vollgefüllten Plastikbechern eine Straße entlang eines Berges nach oben. Ziemlich bei der Hälfte hielten wir an und beobachteten die Aussicht. Bis zu dem Zeitpunkt war es still in der Umgebung. Ein Blick nach oben und man erkannte funkelnde Sterne am Himmel. Wunderschön, nicht wahr?

    Zu blöd, dass das niemand so richtig wahrgenommen hatte.

    Unter dem ganzen Getratsche der anderen und dem Schall der Musikbox, die ein Mädchen mit sich herumtrug, wurde es laut. Auf Anhieb war kaum noch ein Stern zu sehen. Es wurde bunt. Viele verschiedene Farben leuchteten durcheinander am Himmel. Das Feuerwerk begann. Es sah wunderschön aus.

    Ein

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