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Malika oder Ein Hauch von Safran: Roman
Malika oder Ein Hauch von Safran: Roman
Malika oder Ein Hauch von Safran: Roman
eBook636 Seiten8 Stunden

Malika oder Ein Hauch von Safran: Roman

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Über dieses E-Book

Sommer, Sonne und das Meer. Daniel Frey hat sich von seinem Freund Kurt dazu überreden lassen, den Urlaub bei ihm in Apulien zu verbringen.

Schon bald erfährt er, dass Kurt etwas über ein blondes Mädchen gehört hat. Der vagen Beschreibung nach könnte es sich um Daniels, seit Jahren verschwundene, 7-jährige Tochter handeln. Das Kind ist vor kurzem, zusammen mit anderen Bootsflüchtlingen, aus Libyen kommend, auf Lampedusa gelandet.

Auf den Landsitz seines Freundes lernt Daniel die Afghanin Malika kennen. Er bemerkt an ihr einen geheimnisvollen Duft, der ihm bekannt vorkommt, den er jedoch nicht zuordnen kann.
Um einer Zwangsheirat zu entgehen, ist sie vor ihrer Familie in Essen zuerst in ein Frauenhaus und schließlich weiter nach Apulien geflüchtet. Die Brüder und der Bräutigam suchen nach ihr. Die Schande, die Malika dadurch über ihre Familie und den auserwählten Bräutigam gebracht hat, kann nur durch ihren Tod aus der Welt geschafft werden.

…ein schöner Sommerabend in Brindisi. Während eines abendlichen Spaziergangs am Meer fallen Schüsse. In dem Moment wird Daniel klar, dass Malika und Anja sterben werden. Er wartet darauf, dass ihre Brüder ihn ebenfalls töten. Es ist ihm egal.

Eine Liebesgeschichte, in der Zwangsheirat und die zahlreichen Bootsflüchtlinge in Italien eine große Rolle spielen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Feb. 2021
ISBN9783347258938
Malika oder Ein Hauch von Safran: Roman

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    Buchvorschau

    Malika oder Ein Hauch von Safran - Jürgen W. Roos

    1.

    Ein Großteil der Strecke vom Flughafen Bari nach Brindisi führte so nah am Meer entlang, dass er es gelegentlich sogar sehen und vor allem riechen konnte.

    Um die Mittagszeit herrschte beruhigend wenig Verkehr auf der Straße. Nur gelegentlich musste er einen der oft alten und stinkenden Lastwagen überholen, die voll beladen nur gemächlich vorwärtskamen. Deren Fahrer schienen es sich nicht leisten zu können, eine ausgiebige Mittagspause einzulegen.

    Trotz der mittäglichen Hitze fuhr Daniel Frey das Cabrio mit offenem Dach und verzichtete damit freiwillig auf die Wirkung der Klimaanlage. Er liebte es, den warmen Fahrtwind im Gesicht zu spüren und ließ sich beim Fahren Zeit, um möglichst viel von der reizvollen Landschaft auf der einen Seite und dem blauen Meer auf der anderen Seite der Straße in sich aufzunehmen. Niemand trieb ihn zur Eile.

    Gelegentlich störten hässliche Industrieanlagen die Aussicht. Für Daniel Frey war es trotzdem eine ausgesprochen angenehme Fahrt.

    Zum letzten Mal war er als Student so weit im italienischen Süden gewesen. An diese unbeschwerte Zeit musste er zurückdenken, als er an der Stadt Monopoli vorbeifuhr. Wenn er sich recht erinnerte, hatten sie irgendwo in der näheren Umgebung ihren Urlaub verbracht. Nicht allzu weit entfernt befanden sich die Castellano Grotten. Lediglich mit kurzen Hosen und dünnen Shirts bekleidet, waren sie damals die zwei Kilometer durch die unterirdischen Höhlen gelaufen. Ihn fröstelte jetzt noch, wenn er daran zurückdachte.

    Vier befreundete Pärchen, die es mit zwei alten, total überladenen Autos innerhalb von zwei Tagen bis Apulien schafften. Drei Wochen unbeschwerte Ferien in winzigen Zelten auf einem romantischen Campingplatz direkt am Meer. Meistens ernährten sie sich von Ravioli aus der Dose, aufgewärmt auf einem winzigen Gaskocher. Alternativ aßen sie Weißbrot mit Salami oder Mortadella. Dazu gab es reichlich Rotwein vom Fass, den sie sich in einem nahen gelegenen Geschäft holten und in Plastikkanister füllen ließen.

    Ihre Freundschaft von damals dauerte immer noch an, auch wenn sie sich aus beruflichen Gründen inzwischen seltener trafen. Von Melanie, seiner Freundin aus dieser Zeit, wusste er, dass sie ein paar Jahre später einen anderen aus der Gruppe geheiratet hatte. Sie schien ihr Glück gefunden zu haben. Vor einiger Zeit waren sie sich zufällig begegnet. Stolz hatte sie ihm die Fotos ihrer drei Söhne gezeigt.

    Mit dem Flugzeug brauchte er diesmal weniger als zwei Stunden, um von München nach Bari zu gelangen. Sein reservierter BMW stand bereit und die Übernahme ging problemlos vonstatten.

    Die hübsche junge Dame am Schalter des Autoverleihs ließ es sich nicht nehmen, ihn persönlich zum Fahrzeug zu führen.

    Während sie mit bezauberndem Lächeln die Sonderausstattung des Wagens anpries, konzentrierte Frey sich mehr auf ihre langen, gebräunten Beine und das hübsche Dekolleté mit dem wohl gefüllten schwarzen BH, den er im Ausschnitt ihrer Bluse erkennen konnte.

    Die Erklärungen zu den technischen Finessen des Leihwagens interessierten ihn weniger. Sollte er ihr sagen, dass er den Wagen fast wie seine Hosentasche kannte und als Ingenieur sogar bei einigen Teilen an der Entwicklung mitgearbeitet hatte?

    Daniel ließ es bleiben und nickte ihr stattdessen immer wieder interessiert zu. Ihre dunklen Augen in dem dezent geschminkten Gesicht lächelten ihn fast herausfordernd an. Für große, schlanke Frauen, so wie diese hübsche Italienerin, besaß er schon immer ein besonderes Faible.

    Fast wäre er der Versuchung erlegen, sie für einen der nächsten Tage zu einem romantischen Abendessen einzuladen. Gerade noch rechtzeitig sah er den breiten, goldenen Ehering an ihrem Finger. Schade, dachte er, warum mussten die hübschesten Frauen eigentlich immer schon verheiratet sein?

    Manchmal kam es ihm so vor, als wenn alle interessanten jungen Damen während seiner kurzen Ehe mit Sonia, ihr Glück anderweitig gefunden hatten.

    Etliche der Frauen, die er nach seiner Scheidung kennenlernte, waren selber geschieden und trugen ihre Probleme aus dieser Beziehung wie einen Airbag vor sich her. Fast unausweichlich kamen die Gespräche dabei auf Themen, wie „Mein Ex-Mann zahlt zu wenig Unterhalt oder „Mit den Unterhaltszahlungen ist er schon wieder in Verzug.

    Bevor sie zum Thema „Kindererziehung oder „Mein Ex-Mann kümmert sich kaum noch um seine Kinder kamen, gelang ihm meistens die Flucht.

    Der klägliche Rest an Frauen wartete, meist vergeblich, auf einen Traumprinzen, der sie für den Rest ihres Lebens auf Händen trug.

    Natürlich sollte es sich dann auch noch um einen gut aussehenden, intelligenten Typen mit einträglichem Job handeln.

    Mehr als einmal fragte er sich, wieso diese Frauen glaubten, dass ausgerechnet so ein Mann sich für sie interessieren konnte. Oft genug waren sie nicht nur oberflächlich, sondern dazu noch so dumm, dass sie wahrscheinlich das Wort „Traumprinz" nicht einmal richtig buchstabieren konnten.

    Als Frey nach gut 120 km Brindisi erreichte, musste er vorerst vom Meer Abschied nehmen. Er hoffte, es während seines Urlaubes noch öfter zu sehen.

    Nur wenige Kilometer trennten Daniel von seinem Ziel. Die Straße ins Landesinnere nach Mesagne war gut ausgebaut, doch hier fehlte die frische Meeresbrise. Dafür lag der ganz eigene Geruch Süditaliens in der Luft. Er meinte, den angenehmen Duft von Zitronen, Oliven und Mandeln in der Nase zu spüren.

    Nach der kleinen Stadt Mesagne lotste ihn das Navigationsgerät über kleine, reparaturbedürftige Nebenstraßen zu seinem Ziel. Dabei kam er immer wieder an sonnendurchfluteten Olivenhainen und riesigen Gewächshäusern mit Tomaten vorbei. Das kümmerliche Gras dazwischen war meist von der Sonne verbrannt.

    Nirgendwo konnte er Menschen entdecken. Hier schien man sich noch an die typisch, italienische Siesta zu halten. Er grinste vor sich hin. Der Begriff „Siesta gehörte eigentlich zu Spanien, soweit er sich noch erinnerte. Wie sagte man in Italien zur Mittagspause? Er kramte in seinem Gedächtnis und suchte unter seinen geringen italienischen Sprachkenntnissen das richtige Wort dafür. Schließlich kam er auf „Pisolino. Das klang eher nach Tankstelle. Für seine Ohren hörte es sich auf keinen Fall nach einer ausgedehnten Mittagspause an. Er würde Kurt nach dem richtigen Wort fragen müssen.

    Ursprünglich wollte Daniel seinen langen Sommerurlaub auf Samos in Griechenland verbringen. Dass er diesmal länger als üblich ausfiel, lag hauptsächlich an seinem Abteilungsleiter. Der nötigte ihn geradezu, zusammen mit dem Jahresurlaub einen Teil seiner zahlreichen Überstunden abzubauen. Eine lange Zeit ohne Arbeit lag vor ihm und die wollte er genießen.

    Dieser Urlaub war seit vielen Jahren der Erste, den er ohne weibliche Begleitung verbrachte. Selbst seine zahlreichen Freunde verreisten inzwischen mit ihren eigenen Familien und ein Junggeselle störte da nur. Also würde es diesmal ein regelrechter Singleurlaub werden. Noch war Daniel sich nicht so recht im Klaren darüber, ob ihm das gefallen würde.

    Flug und Hotel waren längst gebucht, als ihn der Anruf seines Freundes Kurt Besser aus Apulien erreichte. Sie kannten sich seit ihrer gemeinsamen Zeit bei der Bundeswehr und die Jahre darauf waren sie ständig in Kontakt geblieben.

    Gelegentlich machte sich Daniel schon Gedanken darüber, auf welche Art Kurt jetzt seinen Lebensunterhalt verdiente. Jedes Mal, wenn er ihm am Telefon danach fragte, bekam er nur eine nichtssagende Antwort. Kurt erzählte dann etwas von einer kleinen Erbschaft, die es ihm ermöglichte, ohne größere Anstrengungen seinen Lebensabend auf einem Landgut im sonnigen Italien zu verbringen. Unweigerlich verbunden mit der Aufforderung, ihn doch bald zu besuchen. Besonders die Bemerkung über den Lebensabend schien ihm zu gefallen. Kurt war jünger als er selber mit seinen 38 Jahren.

    Beim letzten Telefongespräch hatte Kurts Stimme seltsam eindringlich geklungen, als er Daniel den Vorschlag machte, seinen Urlaub bei ihm in Apulien verbringen.

    „Die Sonne brennt hier mindestens ebenso heiß auf dich herunter wie in Griechenland und das Meer ist nur wenige Kilometer von meinem Haus entfernt. Außerdem kann ich dir garantieren, dass du meinen Swimmingpool hinter dem Haus nicht mit Hunderten anderer Touristen teilen musst. Den größten Teil der Zeit wirst du ihn für dich alleine haben."

    Kurt schien nicht auf den Gedanken zu kommen, dass er als Single so viel Einsamkeit eigentlich gar nicht suchte. Nichts gegen seinen Freund, aber auf Unterhaltung und romantische Abende mit netten Frauen würde er wohl bei Kurt verzichten müssen.

    Vielleicht war es auch besser so. Hauptsaison hieß Familienurlaub. In Griechenland würde er überall auf Kinder stoßen, die ihn an seine Tochter erinnerten.

    Mehr die Dringlichkeit in der Stimme seines Freundes, als die Argumente für Apulien brachte Daniel dazu, seine Griechenlandreise zu stornieren und nach Italien zu fliegen. Irgendwie freute er sich auf das Wiedersehen. Seit Kurt in Italien lebte, beschränkten sich ihre Kontakte auf die wenigen Telefonate, deren Zwischenräume mit der Zeit immer länger wurden.

    Fast wäre Daniel an der Zufahrt vorbeigefahren. Vor einem halb verfallenen, winzigen Haus mit kaputtem Dach führte ein schmaler Weg in einen Pinienwald. Das Hinweisschild „ULTIMO PARADISO" war halb verdeckt durch einen verwilderten Busch. Erst im letzten Moment sah er es. Sein Navigationsgerät schien nicht auf dem neuesten Stand zu sein.

    Vorsichtig lenkte er den Leihwagen zwischen den Bäumen durch ein breites, offenes Tor über einen sauber gepflegten Kiesweg bis hin zu einem stattlichen, weißen Haus. Alles sah nicht nur sehr gepflegt aus. Hier roch es förmlich nach Reichtum.

    Auf den ersten Blick konnte man wirklich meinen, in einem Paradies zu sein. Daniel wäre niemals auf die Idee gekommen, solch eine Umgebung mit Kurt in Verbindung zu bringen. Ganz so klein konnte seine Erbschaft nicht gewesen sein, stellte er schmunzelnd fest.

    Vor dem breiten Eingangsportal ließ er den Wagen ausrollen und sah sich um. Überall um ihn herum blühten wunderschöne Sträucher in allen möglichen Größen. Ein berauschender Duft ging von ihnen aus. Etwas weiter entfernt waren Zitronenbäume mit ihren Früchten zu sehen.

    Daniel war kaum aus seinem Wagen gestiegen, als die breite Haustüre mit Schwung aufgerissen wurde und sein Freund freudestrahlend auf ihn zustürzte. Obwohl er Daniel lediglich bis zu den Schultern reichte, ließ ihn die kräftige Umarmung kaum Luft zum Atmen.

    „Es ist gut, dass ich dich dazu überreden konnte, mich zu besuchen, mein Alter. Ich wusste schon bald nicht mehr, wie du aussiehst. Anerkennend musterte Kurt Besser seinen Besucher von oben bis unten. „Für einen Sesselfurzer hast du dich gut gehalten. So halb und halb habe ich schon damit gerechnet, dass du dir einen guten bayrischen Bierbauch zugelegt hast. Was macht die Liebe?

    Kurt redete ohne Punkt und Komma auf ihn ein. Daniel kam gar nicht dazu, eine der vielen Fragen zu beantworten. An seinem Freund konnte er nur wenige Veränderungen feststellen. Die dunkelbraunen, fast schwarzen Haare trug er etwas länger als früher. Die blauen Augen blitzen noch immer lausbübisch und Daniel fragte sich, wie es sein temperamentvoller Freund in dieser Einsamkeit aushielt.

    Bereitwillig ließ er sich von ihm in das angenehm kühle Haus führen.

    Nach einem kleineren Vorraum kamen sie direkt in ein riesiges klimatisiertes Wohnzimmer mit Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Wegen der Sonne waren sie größtenteils durch leichte Jalousien verdunkelt. Durch die Lamellen konnte Daniel eine große überdachte Terrasse und den dahinterliegenden Swimmingpool erkennen.

    „Verdammt nobel hast du es hier." Ungeniert blickte Daniel sich um. Allein die Einrichtung in diesem Zimmer musste ein Vermögen gekostet haben.

    „Warte mal, bis du das ganze Haus gesehen hast. Kurt strahlte über das Kompliment. „Wollen wir erst was trinken oder möchtest du zuerst unter die Dusche? Das Gepäck von dir bringt Gonzo in dein Zimmer.

    Wie von Zauberhand erschien in der Tür ein livrierter Diener mit schwarzer Hose und weinroter Weste. Er musste Kurts einseitigen Dialog mit angehört haben. Das Alter des Mannes konnte Daniel unmöglich einschätzen. Das stark verwitterte Gesicht passte nicht zu der recht jugendlichen, muskulösen Figur. Kein Italiener, eher ein Albaner oder Griechen mutmaßte er.

    Daniel war perplex und schüttelte irritiert den Kopf. Sein Freund und ein Diener?

    „Gonzo bitte schaffe das Gepäck meines Freundes in das große Gästezimmer. Danach kannst du seinen Wagen in die Garage fahren. Kurt schaute Daniel an. „Du hast doch nichts dagegen?

    Daniel schüttelte den Kopf. „Das geht schon in Ordnung. Ich nehme mal an, dass dein Diener Auto fahren kann."

    Der Livrierte nickte nur kurz und verschwand.

    „Gonzo ist stumm, also erwarte keine Antwort von ihm. Dafür hört er umso besser."

    Noch immer staunte Daniel über die luxuriöse Umgebung, in der sein Freund lebte. Noch vor wenigen Jahren, bevor er in München an einer Abendschule sein Abitur nachholte, hatte er als Türsteher in einem Lokal auf der Reeperbahn und danach als Leibwächter für einen etwas dubiosen Geschäftsmann gearbeitet.

    Um sich diesen Luxus samt Dienstboten leisten zu können, musste es sich schon um eine größere Erbschaft gehandelt haben. Sein Freund schien am Telefon maßlos untertrieben zu haben.

    „Wo hast du deine Frau samt Sohn gelassen?, wollte Daniel wissen. „Soweit ich mich erinnere, war ich bei deiner Hochzeit sogar Trauzeuge.

    Kurt verzog das Gesicht. „Leider sind die Beiden viel zu selten hier bei mir. Meist kommen sie in den Ferien. Noah besucht inzwischen in Essen den Kindergarten. Gelegentlich kommt Anita für ein paar Tage alleine her, aber sie will unseren Sohn und ihr Geschäft nicht so lange alleine lassen. Dabei hat Anita inzwischen eine fähige Geschäftsführerin, die sich um alles kümmern kann und Noah ist bei seinen Großeltern für ein paar Tage gut aufgehoben. Sie freuen sich, wenn sie den Bengel mal so richtig verwöhnen können."

    Er grinste, als er in Daniels Gesicht sah. „Ich kann dir förmlich ansehen, dass du noch viel mehr Fragen auf dem Herzen hast. Uns bleibt noch genügend Zeit, in der ich deine Neugierde befriedigen kann. Komm, lass uns auf deinen Besuch anstoßen."

    Er führte Daniel zu einer Bar in der Ecke des Raumes. „Was möchtest du trinken? Bier, Wein, Prosecco oder lieber etwas Stärkeres?"

    Daniel entschied sich für ein kaltes Bier. Mit den Gläsern in der Hand gingen sie auf die überdachte Terrasse. Nach dem klimatisierten Wohnzimmer verschlug es ihm in der heißen Luft für einen Moment den Atem. Über ihnen versuchten zwei überdimensionale Ventilatoren, sich gegen die feuchtwarme Luft zu behaupten. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg, wie er feststellte. Trotzdem fühlte Daniel sich draußen wohler als in dem kühlen Haus.

    Sie setzten sich an einen großen Holztisch. Wie die dazugehörenden Holzstühle mit ihren weichen Polstern war er an den Beinen und der Tischkante mit zahlreichen Schnitzereien versehen.

    Der große Swimmingpool lag einladend direkt vor ihnen. Das Wasser glitzerte in der Sonne. Um ihn herum standen vereinzelte, weiße Liegen und kleinere Tische mit den dazugehörenden Stühlen auf einem schmalen Rasenstreifen. Unmittelbar dahinter konnte Daniel weitere Zitronenbäume erkennen.

    „Du bist jetzt also unter die Landwirte gegangen?" Mit einer Armbewegung fasste er die Umgebung des Hauses zusammen.

    „Irgendwie schon, obwohl ich selber mit der körperlichen Arbeit nichts zu tun habe. Dafür gibt es einen Verwalter, der sich mit seinen Leuten um die anfallenden Arbeiten kümmert. Dabei handelt es sich nicht nur um die paar Zitronenbäume. Auf meinem Land findest du außerdem Oliven und Mandeln. Auf der Fahrt hier her musst du an den großen Gewächshäusern mit Tomaten vorbeigekommen sein. Die gehören ebenfalls zu meinem Paradies."

    Daniel deutete auf das rot leuchtende Dach eines kleinen Hauses, welches hinter den Zitronenbäumen zu sehen war. „Dann wohnt dort in diesem Haus dein Verwalter?"

    Kurt nickte. „Zusammen mit seiner Frau und den zwei Kindern. Die Landarbeiter kommen täglich aus Mesagne oder den anderen Dörfern in der Umgebung. Hier vom Haus aus bekommst du sie nur selten zu Gesicht."

    „Wieso hast du so gedrängt, dich zu besuchen? Ich nehme an, dass es dafür einen wichtigen Anlass geben muss."

    Das fröhliche Grinsen in Kurts Gesicht verschwand für einen Moment. Er nickte.

    „Mein Hauptgrund bestand wirklich darin, dich endlich mal wieder zu sehen. Es hat lange genug gedauert, bis ich dich überreden konnte, mich zu besuchen. Aber du hast recht. Es gibt da etwas, bei dem ich deine Hilfe ganz gut gebrauchen kann. Und dann gibt es da noch etwas, über das ich mit dir sprechen möchte. Ich erzähle dir alles beim Abendessen. Jetzt muss ich für ein oder zwei Stunden weg. Eigentlich werde ich schon längst in Mesagne erwartet, aber ich wollte dich persönlich begrüßen. Ein Abnehmer für unsere Produkte hält sich heute in Mesagne auf und möchte unbedingt mit mir sprechen. Wahrscheinlich will er wieder mal den Preis drücken. Das muss ich persönlich mit ihm aushandeln und kann es nicht meinem Verwalter überlassen. Du bist mir hoffentlich nicht böse, wenn ich jetzt verschwinde und dich allein lasse. Wenn du willst, kannst du mich begleiten."

    Daniel schüttelte den Kopf. „Fahr ohne mich. Nachdem ich das hier gesehen habe, dachte ich schon, dass du gar nicht mehr arbeitest."

    Kurt wirkte bei Daniels Antwort erleichtert. „Ich werde mich beeilen. Bis zum späten Nachmittag bin ich sicher zurück. Dann werde ich auch deine vielen Fragen beantworten. In der Zwischenzeit kannst du dich frisch machen, im Pool schwimmen oder einen Mittagsschlaf halten. Ganz wie du willst. Fühle dich hier wie zu Hause. Solltest du etwas brauchen, musst du nur nach Gonzo rufen. Er wird dir dein Zimmer zeigen und auch sonst jeden Wunsch erfüllen."

    Das ihm zugedachte Gästezimmer, eigentlich ein kleines Apartment, lag im ersten Stock des Hauses am Ende eines langen Ganges. Der Diener öffnete die Tür und machte ihn durch Gesten mit der Einrichtung vertraut. Erklärte ihm den in einem Schrank eingebauten Fernseher und zeigte ihm die versteckte Bar. Verdursten würde er jedenfalls nicht. Es gab reichlich Alkohol, Limonade, Cola und Wasser. Zum Apartment gehörte ein großzügiges Badezimmer mit Duschkabine sowie Whirlpool-Wanne für zwei Personen. Daniel zeigte sich gebührend beeindruckt.

    Mit den Fingern deutete der Diener auf die Zahl zwei am Telefon und danach auf sich. Daniel verstand, was er damit ausdrücken wollte. Trotzdem würde die Kommunikation mit ihm wohl ziemlich einseitig bleiben, überlegte er sich.

    Alleine in seinem Zimmer öffnete Daniel zuerst einmal die Türe zu einem breiten Balkon und ließ die Wärme in den klimatisierten Raum.

    Einige gemütliche Sessel, der kleine Tisch sowie ein bereits aufgespannter Sonnenschirm luden zum Faulenzen ein. Der Swimmingpool lag direkt unterhalb des Balkons. Weiter hinten sah er wieder das Haus des Verwalters und noch viel mehr Zitronenbäume. Es handelte sich um eine regelrechte Plantage.

    Aus dem Getränkekühlschrank holte Daniel ein kaltes Bier und ließ sich entspannt in einem der Sessel auf dem Balkon nieder. Bis auf das Zirpen der Heuschrecken war es absolut ruhig. Der Duft der vielen Blüten vor dem Haus schien bis auf seinen Balkon zu gelangen.

    Gerade wollte er zum Duschen ins Zimmer zurückgehen, als ihm eine weibliche Person auffiel, die aus dem Haus über die Terrasse unter ihm kam. Viel konnte er von seinem Standpunkt aus nicht erkennen. Lediglich ein schwarzes, mit Stickereien versehenes weites Kleid oder Mantel und das elegant um den Hals geschwungene schwarze Kopftuch waren zu sehen. Abaya und Hijab wurden hauptsächlich von muslimischen Frauen getragen. Die Person konnte nicht alt sein. Eine junge Frau oder ein Mädchen? Ihre Bewegungen waren geschmeidig und flink.

    Was konnte Kurt mit einer Muslima zu tun haben? Gerne hätte Daniel ihr Gesicht gesehen, aber die Person drehte sich kein einziges Mal um. Leichtfüßig verschwand sie über einen schmalen Weg zwischen den Zitronenbäumen rechts neben dem Swimmingpool.

    Achselzuckend ging Daniel zurück in sein Zimmer. Vielleicht die Köchin oder eine weitere Dienerin mutmaßte er. Bei seinem Freund sollte er wohl aufhören, sich über irgendetwas zu wundern.

    Nach einer ausgiebigen Dusche musste er auf dem großen Bett eingeschlafen sein. Daniel wurde durch starkes Klopfen an der Türe geweckt. Kurts kräftige Stimme war nicht zu überhören.

    „Daniel, ich bin zurück. Falls du genauso viel Hunger hast wie ich, komme runter auf die Terrasse. Ich habe uns eine kleine Brotzeit herrichten lassen."

    Blinzelnd stellte Daniel fest, dass er mehr als nur ein kurzes Nickerchen gemacht haben musste. Die Sonne war längst hinter dem Haus verschwunden.

    Nur mit Shirt und kurzer Hose bekleidet, ging er durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. Jetzt lag sie angenehm im Schatten.

    Kurt erwartete Daniel mit einem breiten Lächeln. Vor ihm auf dem Tisch standen zahlreiche appetitlich angerichtete kalte und warme Speisen. Kaum saß er auf einem der Stühle, als der Diener ein eiskaltes Bier vor ihn hinstellte.

    „Na, hast du ausgeschlafen?", wollte sein Freund von ihm wissen.

    „Ich denke schon. Ich wusste vorher gar nicht, dass ich müde bin. Nach dem Duschen muss ich sofort eingenickt sein. Es herrscht eine fast andächtige Ruhe bei dir. Wer kocht für dich? Erledigt das auch dieser Gonzo?"

    „Nein, für die Küche ist die Frau des Verwalters zuständig. In den nächsten Tagen wirst du sie und ihren Mann noch kennenlernen. Aber jetzt erzähle ein bisschen von dir, forderte Kurt ihn auf. „Wir haben uns ja eine ganze Ewigkeit nicht mehr gesehen und am Telefon schweigst du dich meist aus. Du arbeitest noch immer bei BMW?"

    „Ja. Bei mir hat sich nicht viel getan. Ich habe dir ja schon am Telefon gesagt, das Sonia zurück nach Russland gefahren ist. Sie hat sich dort von mir scheiden lassen. Ich musste noch nicht einmal selber erscheinen. Irgendwann habe ich über die deutsche Botschaft in Moskau ein entsprechendes Dokument bekommen. Seitdem bin ich wieder glücklicher Junggeselle und kann nach der Arbeit frei über meine Zeit verfügen. Vor zwei Jahren ist sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen."

    „Du hast mir nie gesagt, warum ihr euch getrennt habt. Für mich seid ihr das perfekte Paar gewesen."

    „Wie es halt im Leben so geht. Irgendwie haben wir uns im Laufe der Zeit entfremdet. Sonia hat sich selbst nach all den Jahren in Bayern dort nie richtig wohlgefühlt. Die vielen Freunde und das gesamte Umfeld in Russland haben ihr gefehlt."

    „Und was weißt du über eure Tochter? Ist sie noch in Russland? Sie müsste jetzt auch schon sieben oder acht Jahre alt sein. Warum hast du sie nach dem Tod deiner Exfrau nicht zu dir geholt?"

    Daniels Gesicht wurde ernst. Kurt meinte, eine versteckte Traurigkeit in den Augen seines Freundes zu sehen. Vielleicht hätte er das Thema nicht jetzt, an Daniels erstem Tag hier, anschneiden sollen. Doch es war bereits zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen.

    „Ich weiß nicht einmal, wo Anja sich zurzeit aufhält. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden."

    Kurt schien über die Antwort nicht verwundert zu sein. Daniel war so in Gedanken versunken, dass er es nicht bemerkte.

    „Was ist passiert?", wollte sein Freund wissen.

    „Nach unserer Trennung habe ich Anja lediglich noch zweimal in Nabereschnyje Tschelny besuchen können. Wenn ich am Telefon mit ihr sprechen wollte, war sie meist nicht da. Als ich Anja zum letzten Mal in Russland gesehen habe, lebte Sonia mit einem Syrer zusammen. Das habe ich aber erst später erfahren und selber habe ich diesen Mann nie gesehen. Über Sonias Tod habe ich erst drei Monate danach durch ihren Vater erfahren. Er muss für ein paar Stunden nüchtern gewesen sein und da ist ihm aufgefallen, dass seine Enkeltochter verschwunden ist. Da hat er wohl noch gehofft, dass Anja auf irgendwelchen geheimnisvollen Wegen zu mir gekommen ist. Er hat mir einen Brief geschrieben und darin gefragt, wie es seinem Enkelkind geht."

    „Und weiter", drängte Kurt.

    „Als ich von Anjas Verschwinden erfuhr, bin ich sofort nach Nabereschnyje Tschelny geflogen. Meine Tochter war spurlos verschwunden. Zusammen mit Bekannten habe ich die ganze Stadt durchsucht, die dortige Polizei eingeschaltet und jede Menge Bestechungsgeld verteilt. Es wäre möglich, dass Sonias Lebensgefährte unsere Tochter bei sich hat. Falls er nicht mehr irgendwo in Russland lebt, könnte er sie mit in seine Heimat nach Syrien genommen haben. Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten. In Moskau habe ich schließlich die deutsche Botschaft informiert und in München Polizei und Jugendamt eingeschaltet. Bis jetzt gibt es keine wirkliche Spur von ihr."

    Kurt schwieg und kämpfte mit sich. Krampfhaft überlegte er, ob er Daniel etwas von einem blonden Mädchen erzählen sollte, die zusammen mit einem Mann, der sich als ihr Vater ausgab, von einem sinkenden Flüchtlingsboot gerettet wurde und nach Lampedusa gebracht wurde. Von dort waren die Beiden allerdings wieder verschwunden, ohne sich registrieren zu lassen. Er beschloss, es vorerst noch für sich zu behalten. Vielleicht bekam er bald genauere Nachrichten über den Verbleib des Mädchens.

    „Zurzeit bin ich glücklicher Junggeselle und genieße meine Freiheit, wiederholte sich Daniel und lenkte damit von den jahrelangen Sorgen um seine Tochter ab. „Kannst du dir eine Frau vorstellen, die zustimmen würde, wenn ich von einem Tag auf den anderen unsere Urlaubspläne über den Haufen werfe, um einen alten Freund in Italien zu besuchen?

    Kurt lachte. „Da hast du wohl recht. Bei meiner Frau könnte ich mit so einem Vorschlag auch nicht landen. Sie würde mich für verrückt erklären."

    „Vorhin, vom Balkon, aus habe ich eine Frau in Abaya und Hijab gesehen. Was macht eine Muslima hier bei dir? Oder hat diese Verkleidung eine andere Bedeutung?"

    Kurt wurde ernst.

    „Dann hast du Malika also schon gesehen, stellte er fest. „Sie ist einer der Gründe, wegen der ich dich mit allen Mitteln überzeugen musste, herzukommen. Ich denke, dass du der Einzige bist, der mir dabei helfen kann, das Problem zu lösen. Natürlich freue ich mich auch so über deinen Besuch, fügte er schnell hinzu.

    „Was ist mit der Frau?"

    „Malika ist Afghanin und auf der Flucht. Aber nicht als Kriegsflüchtling, wie so viele andere, die inzwischen durch Italien ziehen. Sie versteckt sich hier vor ihren zwei Brüdern und einem Mann, den sie heiraten soll. Meine Frau hat sie vor ungefähr zwei Wochen hergebracht. Anita hat ihretwegen extra die lange Autofahrt von Deutschland bis Apulien auf sich genommen. Fliegen erschien ihr zu riskant. Irgendjemand könnte den Namen der Frau in den Flugreservierungen entdecken, glaubte sie."

    „Wie wollen die Männer das erreichen?"

    „Entweder sie gibt nach und heiratet den Typen, den ihre Brüder ausgesucht haben oder sie muss sterben. Irgendwelche Freunde oder Bekannte ihrer Brüder waren hinter ihr her, als sie zu Anita in den Friseurladen gestürmt kam. Meine Frau hat sich ihre Geschichte angehört. Noch in derselben Nacht ist sie mit ihr nach Italien aufgebrochen."

    „Soll das ein Witz sein? Zwangsheiraten sind bei uns in Deutschland doch schon seit Ewigkeiten verboten. Da wäre sie besser zur Polizei gegangen. Für solche Fälle gibt es Frauenhäuser. Wie soll ich sie vor ihren wild gewordenen Brüdern beschützen?"

    „In einem Frauenhaus ist Malika bereits gewesen. Ihre Familie brauchte nur wenige Tage, um sie dort ausfindig zu machen. Zusammen mit einer Mitbewohnerin ist sie nur kurz auf die Straße gegangen. Ganz in der Nähe des Frauenhauses wurde sie dabei von ihr fremden Männern in ein Auto gezerrt. Irgendwie konnte sie an einer roten Ampel aus dem Auto springen und sich in Anitas Geschäft in Sicherheit bringen. Die zwei Frauen haben sich von früheren Friseurbesuchen her gekannt."

    „Also geht es um die Ehre und einen sitzen gelassenen Bräutigam?"

    „Die Ehre mag auch eine Rolle spielen, aber das alleine ist es nicht. Ich habe mir von Malika die Geschichte erzählen lassen. Ihr älterer Bruder hat beim Kartenspiel Schulden gemacht, die er nicht bezahlen konnte. Es ging um etwa sechstausend Euro. Als der Gläubiger sein Geld einforderte, tat ihr Bruder das aus seiner Sicht Nächstliegende: Er hat seine Schwester für genau diese Summe an die Familie des Gläubigers verkauft. Die waren sowieso gerade auf Brautschau. Damit war der Bruder Malikas schuldenfrei und gleichzeitig seine Schwester los, die ernährt und ohnehin verheiratet werden musste."

    „Das hört sich nach einem lukrativen Geschäft an. Ausgenommen natürlich für die Frau. Was haben ihre Eltern dazu gesagt?"

    „Ihre leibliche Mutter ist schon länger tot und mit der Stiefmutter hat sie sich nie recht vertragen. Wenn es nach der ginge, wäre sie bereits als dreizehnjähriges Mädchen verheiratet worden. Außerdem haben Frauen in solchen Familien sowieso kein Mitspracherecht. Die wichtigen Entscheidungen treffen dort die Männer. Seit dem Tod des Vaters ist der Bruder das Familienoberhaupt. Ihr alter Herr war wohl relativ aufgeschlossen. Als er noch lebte, durfte sie sogar studieren. Für Malika war es Pech, dass er so früh gestorben ist."

    „Sie hat studiert? Wie alt das Mädchen?"

    „Inzwischen ist sie 24."

    „Also eher eine junge Frau, als ein Mädchen. Ist das für afghanische Verhältnisse nicht ziemlich alt, um noch zu heiraten?"

    „Eigentlich schon. Darum ist ihr Bruder gleich doppelt froh gewesen, sie im Tausch gegen seine Schulden loszuwerden."

    „Wie stellst du dir meine Tätigkeit in dieser Angelegenheit vor", wollte Daniel von Kurt wissen.

    „Einfach ausgedrückt: Es wäre geradezu ideal, wenn du sie am Ende deines Urlaubs mit nach Deutschland nehmen könntest und dann gelegentlich nach ihr schaust. In München gibt es einen Verein, der sich um Frauen mit ähnlichen Problemen kümmert. Sie werden ihr weiterhelfen. Hier kann sie schließlich nicht für immer bleiben. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass ihre Brüder inzwischen herausgefunden haben, wo sie sich aufhält."

    „Wie kann das passieren?"

    „Malika und ich sind ein einziges Mal zusammen nach Mesagne gefahren. Ich wollte, dass sie hier rauskommt, ein bisschen Abwechslung hat. Dabei ist sie ausgerechnet einem Bekannten ihres Bruders aus Afghanistan über den Weg gelaufen. Jedenfalls nimmt sie das an. Sie befürchtet, dass der Mann sie erkannt und zwischenzeitlich zu ihm Kontakt aufgenommen hat."

    „Afghanen hier bei euch? Ist das nicht ziemlich weit hergeholt? „Leider nein. Eine der Fluchtrouten ins sogenannte „europäische Paradies führt von Afghanistan über Albanien oder Griechenland nach Brindisi. Schleuser, die sich dafür gut bezahlen lassen, bringen die Flüchtlinge über das Meer. Von hier aus verteilen sie sich dann über ganz Europa."

    „Die Papiere der Frau sind in Ordnung?"

    „Absolut. Darüber musst du dir keine Sorgen machen. Malika ist sogar deutsche Staatsbürgerin. Darauf hat ihr Vater bestanden, als er noch lebte. Ihr Personalausweis und der Reisepass sind in Ordnung. Sie hat mir ihre Papiere freiwillig gezeigt."

    „Warum ist Anita nicht gleich mit ihr nach München gefahren? Da wäre ihr die lange Autofahrt erspart geblieben. Deine Frau kennt mich schließlich."

    „Das habe ich sie bei der Ankunft auch gefragt. Sie musste eingestehen, bei all der Aufregung an diese Möglichkeit nicht gedacht zu haben. Sie hat nur die Sicherheit der jungen Frau im Auge gehabt. Da ist ihr als erstbeste Lösung der Ehemann eingefallen, der weit entfernt von Essen lebt."

    „Die Frau wohnt hier im Haus?"

    „Tagsüber hält sie sich in einem abseitsstehenden, kleinen Bungalow auf. Er liegt etwas versteckt hinter den Zitronenbäumen rechts hinter dir. Von hier aus kannst du ihn nicht sehen. In früheren Zeiten hat darin wohl das Personal und danach mein Großvater gewohnt. Jetzt dient er mir gelegentlich als Gästehaus. Für Gäste, die ungestört sein wollen", fügte er verschmitzt hinzu.

    „Willst du damit sagen, dass du das Haus und die Ländereien von deinem Großvater geerbt hast? Du hast nie erzählt, dass er ein wohlhabender Landbesitzer ist."

    „Dass es ihn überhaupt noch gegeben hat, habe ich bedauerlicherweise erst nach seinem Tod erfahren. Mutter hat ihn in meiner Gegenwart nie erwähnt. Das war mal eine angenehme Überraschung, musste Kurt grinsend zugeben. Sofort wurde er wieder ernst. „Nach dem Zwischenfall mit ihr will ich nicht riskieren, dass Besucher von mir Malika sehen und darüber womöglich in Mesagne oder Brindisi reden. Tagsüber kommt sie nur ins Haus, um sich etwas zum Essen und Trinken zu holen. Und auch nur dann, wenn Gonzo oder ich ihr grünes Licht geben. Aus Sicherheitsgründen übernachtet Malika aber hier im Haus. Sie kommt, sobald es dunkel ist. Falls ihre Familie wirklich über ihren genauen Aufenthaltsort informiert sein sollte, können wir hier besser auf sie aufpassen. Obwohl ich an das plötzliche Auftauchen der Brüder nicht so recht glaube. Das Ruhrgebiet ist weit weg. Wenn ich hier bin, essen Malika und ich meist gemeinsam. Momentan bin ich ihr einziger Gesprächspartner. Ich weiß selber nicht, wie sie das aushält.

    Daniel überlegte. Welches Risiko ging er ein, wenn er sich in die Angelegenheit dieser fremden Familie einmischte? Doch während er noch nachdachte, wusste er bereits, dass er Kurt helfen würde. Wenn seine Frau diese lange Autofahrt freiwillig auf sich nahm, musste die Angelegenheit verdammt ernst sein. Er selber kannte Geschichten über Zwangsheiraten nur aus der Presse.

    „Wenn sie mit mir nach Deutschland zurückfährt, wäre es unauffälliger, wenn sie sich wie eine normale westeuropäische Frau kleidet. Ist sie sehr religiös oder warum trägt sie immer noch Abaya und Hijab? Hier gibt es niemanden, der ihr das vorschreibt."

    „Sie ist es so gewohnt. Ich habe sie auf ihre Kostümierung angesprochen und sie sagte, dass sie sich in westlicher Kleidung irgendwie nackt fühle. Kurt hielt kurz inne. „Aber ich denke, dass es da noch einen anderen, wesentlicheren Grund gibt. Sie fürchtet wohl, dass ihre Brüder oder der zukünftige Ehemann sie ausfindig machen und abermals verschleppen. Vielleicht hofft sie darauf, dass die Bestrafung weniger hart ausfällt, wenn sie noch ihre traditionelle Kleidung trägt. Sollte sie in normaler, westeuropäischer Kleidung gefunden werden, könnten die denken, dass sie es tut, um die Familie und den zukünftigen Ehemann der Lächerlichkeit preiszugeben. Ein weiterer Grund um sie zu töten.

    Daniel runzelte die Stirn. „Das alles klingt irgendwie verrückt und du lädst mir damit eine ziemliche Verantwortung auf die Schultern. Wann werde ich diese Malika kennenlernen?"

    „Danke, ich habe gehofft, dass du deinen alten Freund nicht im Stich lässt. Kurt wirkte erleichtert. „Wenn du willst, kann ich sie durch Gonzo holen lassen. Dann könnt ihr euch schon mal beschnuppern und später am Abend essen wir zusammen. Malika wird froh sein, mal ein anderes Gesicht zu sehen. Wie bereits erwähnt, habe ich in München einen Verein ausfindig gemacht, der sich um solche Frauen kümmert. Diese Leute haben Erfahrung darin, sie vor ihrer Familie zu schützen. Sobald du sie dort abgeliefert hast, wird sie deine Hilfe nicht mehr brauchen.

    Daniel nickte. „Du hast von einem zweiten Grund gesprochen, warum ich herkommen sollte."

    „Wenn es dir recht ist, reden wir in ein oder zwei Tagen darüber. Dazu fehlen mir noch einige wichtige Informationen. Um deine Neugierde zu befriedigen, werde ich erst einmal meinen anderen Gast holen lassen."

    Kurt brauchte dem Diener nichts sagen. Der hatte ihre Unterhaltung offensichtlich genau verfolgt. Das war für Daniel eine sehr gewöhnungsbedürftige Situation. Sein Freund schien vor ihm keine Geheimnisse zu haben. Er sah, wie der Mann zwischen den Zitronenbäumen verschwand.

    Wenig später kam er mit der Afghanin zurück. Zum ersten Mal sah Daniel ihr Gesicht. Es war seltsam. Irgendwie kam ihm die junge Frau bekannt vor. Doch gleichzeitig war er sicher, sie noch nie gesehen zu haben.

    Bei ihr schien seine Anwesenheit ebenfalls etwas hervorzurufen. Wie hypnotisiert, fast erschrocken und irgendwie ungläubig musterte die Frau ihn. Daniel konnte diese Reaktion nicht deuten. Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, auf einen Fremden zu treffen. Oder gab es für ihr Erschrecken einen anderen Grund?

    Als er aufstand, um sie zu begrüßen, merkte er, dass sie fast so groß wie er selber war. Die hohen Backenknochen gaben ihrem Gesicht ein eher slawisches Aussehen. Das Beeindruckende darin waren sicherlich die großen, fast schwarzen Augen, die sie ziemlich unverhohlen auf ihn richtete. Ihren eher unbewussten Augenaufschlag konnte man schon fast als kokett deuten. Die feine, schmale Nase, der volllippige Mund sowie eine hohe Stirn und der lebhafte Gesichtsausdruck rundeten ihre Erscheinung ab. Daniel wusste, wann er einer hübschen Frau gegenüberstand und die Afghanin gehörte zweifellos dazu.

    Das Tuch auf dem Kopf verdeckte fast völlig die Haare und durch den Abaya konnte er keine Rückschlüsse auf ihre Figur ziehen. Typisch für ihn, musste er sich eingestehen. Nicht nur das Gesicht, sondern das Gesamtbild interessierte ihn.

    Er war erstaunt, als sie auf ihn zutrat und ihm die Hand entgegenstreckte. Solche selbstbewussten Gesten war er von den wenigen muslimischen Frauen, die es in seiner Umgebung gab, nicht gewöhnt. Ihre schmale Hand fühlte sich kühl und sehr zart an.

    „Danke, dass sie gekommen sind, um mir zu helfen. Kurt hat mir bereits viel von ihnen erzählt und ich war auf ihr Erscheinen sehr gespannt."

    Die Stimme klang angenehm sanft. Ihre Aussprache war völlig akzentfrei. Wenn sie sprach, konnte er eine sehr schmale Lücke zwischen ihren oberen, ansonsten makellosen Zähnen erkennen.

    Obwohl sie nicht allzu nah bei ihm stand, ging ein unbestimmter, intensiver, aber keinesfalls aufdringlicher Duft von ihr aus. Es roch nicht wie das übliche Parfüm, sondern feiner, ungewöhnlicher. Daniel konnte unmöglich sagen, um was es sich handelte.

    Es erinnerte ihn an eine Situation, bei der ihm ein ganz ähnliches Aroma in die Nase gestiegen war. Das lag viele Jahre zurück. Bereits damals war ihm das Fremdartige daran aufgefallen.

    Das Gespräch am Tisch verlief im lockeren Rahmen. Die junge Frau beteiligte sich sehr angeregt und keinesfalls zurückhaltend an der Unterhaltung. Nach der kleinen Zwischenmahlzeit brachte Gonzo ihnen Kaffee und danach Saft sowie Bier.

    Sie blieben zusammensitzen, bis später am Abend, es war längst dunkel geworden, von Gonzo das Abendessen aufgetischt wurde.

    Daniel fiel auf, dass Kurt in Anwesenheit der jungen Frau seine gelegentlichen Frotzeleien unterließ. Keiner von ihnen sprach an diesem Abend das Problem an, welches die junge Frau hergeführt hatte.

    2.

    Eigentlich wollte Daniel, nach den bestandenen Prüfungen an der Universität und seiner Zeit bei der Bundeswehr, eine lange Trekkingtour unternehmen. Exakte Pläne dafür gab es nicht, aber er stellte sich vor, lediglich mit Rucksack durch Australien, die USA oder Südamerika zu reisen. Auf jeden Fall wollte er Abstand gewinnen zu der Zeit bei der Bundeswehr und sich erst danach ins Berufsleben stürzen.

    Seine Eltern unterstützten die Pläne voll und ganz. Am liebsten wären sie zusammen mit ihm zu so einer Reise aufgebrochen.

    Die geschriebenen Bewerbungen und anschließenden Bewerbungsgespräche waren für ihn eigentlich nur als Test gedacht. Dabei wollte er lediglich ausloten, wie gut seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt standen und eventuell Kontakte für später knüpfen.

    Das Vorstellungsgespräch in der BMW Zentrale verlief schließlich anders als von ihm geplant. Die Stelle, die ihm angeboten wurde, war für einen Berufsanfänger zu verlockend, um sie auszuschlagen. Sein zukünftiger Abteilungsleiter machte ihm klar, dass er ab sofort einen zusätzlichen Ingenieur für eine bestimmte Projektarbeit benötigte. Schweren Herzens gab er seine Reisepläne auf. Als Daniel den Vertrag unterschrieb, ahnte er bereits, dass in seinem Leben wahrscheinlich nie mehr die Zeit kommen würde, um mehrere Monate hintereinander einen fremden Kontinent zu bereisen.

    Nach der Einarbeitungszeit führte ihn die erste Dienstreise nach Moskau. Bei Nieselregen und ungemütlichen Temperaturen kurz über dem Gefrierpunkt kamen er und sein Abteilungsleiter am Spätnachmittag am Flughafen Domodedowa an.

    Daniel war einigermaßen gespannt auf die Riesenstadt an der Moskwa. Es handelte sich um seinen ersten Besuch in Russland und er hoffte, zwischen den Besprechungen oder am Abend etwas Zeit zu finden, um wenigstens einen oberflächlichen Eindruck von der Stadt mitnehmen zu können.

    Ein Taxi brachte sie zum Katharina-Hotel, unweit der Moskwa. Es handelte sich nicht gerade um ein architektonisches Wunderwerk, aber es lag verkehrsgünstig und machte einen guten Eindruck.

    Sein Chef war peinlich berührt, als er schon an der Rezeption von einer hübschen, sehr jungen Rothaarigen mehr als herzlich begrüßt wurde. Daniel verkniff sich sein Grinsen. Jetzt wusste er wenigstens, warum sie bereits einen Tag vor den anstehenden Besprechungen angereist waren. Ganz offensichtlich kannten die Frau und sein Chef sich schon länger. Ihrem Alter nach zu urteilen, konnte es sich durchaus um seine Enkelin oder zumindest Tochter handeln.

    Dass Daniel sie zu Gesicht bekam, war sicherlich nicht geplant gewesen. Das entnahm er dem verlegenen Gesichtsausdruck des Abteilungsleiters. Ihm selber war es völlig egal, mit wem jemand seine Freizeit oder auch Nächte verbrachte.

    Daniels Befürchtungen, seine freie Zeit mit dem Chef verbringen zu müssen, lösten sich durch die Anwesenheit der jungen Dame gleichsam in Luft auf. Bereits am ersten Abend konnte er selber darüber verfügen.

    Wenn nur das Wetter etwas besser werden würde. In weiser Voraussicht lag in seinem Koffer eine warme Jacke mit Kapuze.

    Die freundliche Dame an der Rezeption erklärte ihm ausführlich, wie er mit der Metro zum „Roten Platz" kam. Auf ihr Angebot, ein Taxi zu rufen, verzichtete er. Sicherheitshalber ließ er sich einen Stadtplan mitgegeben.

    Daniel liebte es, in das Gewühl einer unbekannten Großstadt einzutauchen und sich dort unbeschwert treiben zu lassen. Alle Städte waren irgendwie gleich und doch so verschieden. Wenn er zum ersten Mal in eine fremde Stadt kam, musste er sie gewissermaßen riechen können. Erst danach konnte er sagen, ob sie ihm gefiel oder nicht.

    Er fand schnell heraus, dass es für einen Westeuropäer ohne Russischkenntnisse nicht so leicht war, sich in Moskau zurechtzufinden. Sämtliche Schilder und Wegweiser in der Metro gab es lediglich mit kyrillischen Schriftzeichen, die ihm ein Rätsel waren. An Touristen und Geschäftsreisende schien man nicht gedacht zu haben.

    Etwas ratlos stand er im Bahnhof Paweletskij vor den Wegweisern und versuchte herauszubekommen, welche Metro ihn zum Kreml bringen würde.

    Den zwei Frauen, die unweit von ihm lebhaft diskutierten, schien es ebenso zu ergehen. Jedenfalls nahm er es an. Sie redeten heftig auf Russisch, während ihre Köpfe über einen Stadtplan gebeugt waren.

    Schließlich erinnerte sich Daniel an den handgeschriebenen Zettel, den ihm die freundliche Rezeptionistin in den Stadtplan gelegt hatte. Darauf war genau beschrieben, welche der Metrolinien ihn ins Zentrum von Moskau bringen würden und wo er gegebenenfalls umsteigen musste.

    Er bemerkte, dass die zwei Frauen ihn neugierig ansahen. Absichtlich blieb er länger in ihrer Nähe stehen. Er suchte nach einem Grund, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die vielen Erzählungen in seinem Freundeskreis über die hübschen Russinnen schienen zu stimmen.

    Die Frau mit den langen, blonden Haaren fiel ihm besonders auf. Die funkelnden hellgrünen Augen in dem dezent geschminkten Gesicht musterten ihn recht ungeniert. Unter ihrem offenen Regenmantel sah er ein helles beigefarbenes Kostüm mit kurzem Rock, der viel von den schlanken Beinen sehen ließ.

    Auf Englisch fragte er sie schließlich nach dem Weg zum Kreml. Etwas verwundert bekam er die gewünschte Antwort in deutscher Sprache. Da die jungen Frauen ebenfalls zum „Roten Platz" wollten, war es naheliegend, die kurze Fahrt zusammen zu unternehmen. Dabei erfuhr er, dass beide in München in einem Versicherungskonzern arbeiteten.

    Im Zentrum Moskaus trennten sich ihre Wege. Die Frauen wollten das Kaufhaus „GUM" unsicher machen, worauf Daniel nicht besonders viel Wert legte. In der kurzen Zeit, die ihm in Moskau blieb, wollte er mehr von der Stadt sehen als die Bekleidungsgeschäfte international bekannter Modemarken.

    Inzwischen wusste er, dass die Frauen im gleichen Hotel wie er übernachteten und auf dem Weg zurück nach München in Moskau lediglich einen Zwischenstopp einlegten. Sie kamen von einem Besuch bei ihren Familien, die irgendwo in Tatarstan lebten.

    Die langhaarige Blonde hieß Sonia und Daniel verabredete sich mit ihr für den nächsten Morgen zum Frühstück. Ihre Freundin lächelte verständnisvoll und ließ sie wissen, dass sie lieber ein bisschen länger schlafen und darum auf ein gemeinsames Frühstück verzichten wolle.

    Seinen Chef traf er bei dieser Dienstreise lediglich zu den verabredeten Besprechungen. Mit keinem Wort kam er dabei auf die junge Frau zu sprechen, mit der er die Freizeit verbrachte. Einmal sah Daniel ihn mit ihr im Hotellift verschwinden. Sie bemerkten ihn nicht. Die Rothaarige schien, während seines Aufenthaltes in Moskau, bei seinem Chef im Hotel zu wohnen.

    Nur zu gerne wäre Daniel am nächsten Abend mit den beiden Frauen ausgegangen, aber Sonia musste ihm beim Frühstück auf seine diesbezügliche Frage hin, einen Korb geben. Sie besaßen lange vorher reservierte Karten für das Bolschoi-Theater. Er selber würde tags darauf nach München zurückfliegen, während sein Chef noch einige Tage in Moskau blieb.

    So verabredete er sich mit Sonia in München. Zu dieser Zeit ahnte er nicht, dass die folgenden Jahre ihn in ein Wechselbad der Gefühle stürzen würden.

    Etwas enttäuscht musste Daniel den letzten Abend ohne die Gesellschaft der jungen Damen verbringen.

    Noch einmal schlenderte er über den „Roten Platz". Obwohl er während seines Aufenthaltes in Moskau nur nasskalte Tage erlebte, gefiel ihm die pulsierende Stadt. Er beschloss, trotz der einsetzenden Dunkelheit, vom Zentrum aus zu Fuß zum Hotel zurückzugehen. Zum Abschluss der Reise wollte er in der Hotelbar noch etwas trinken.

    Sein Stadtplan schien nicht ganz auf dem neuesten Stand zu sein. Auf halber Strecke fand er sich plötzlich, in einer schmutzigen, engen Seitenstraße wieder. Er wollte bereits umkehren, als er aus einer schmalen Einfahrt erregtes, hilfloses Kindergeschrei und das Johlen betrunkener Männerstimmen hörte. Von seinem Standpunkt aus und in der Halbdunkelheit waren nur undeutliche Schatten zu erkennen.

    Während die anderen Passanten ihre Köpfe zur Seite drehten und möglichst schnell an der Einfahrt vorbeigingen, wollte er sehen, was da vor sich ging. Für ihn hörte sich das Kindergeschrei wie Hilferufe an.

    Als er näherkam, erkannte er einen großen, kräftigen Mann, der ein höchstens fünfzehnjähriges Mädchen umklammerte und gewaltsam versuchte, mit seinen Händen zwischen ihre Beine zu greifen. Sie trug ein langes, dunkles Kleid. Ein Kopftuch musste ihr bei der Gegenwehr vom Kopf gerutscht sein und hing jetzt locker um ihren Hals, sodass ihre langen Haare zu sehen waren.

    Mit weinerlicher Stimme schrie sie etwas in einer ihm unbekannten Sprache. Der Mann fluchte lautstark, als das Mädchen ihn kräftig in den Arm biss. Umso intensiver versuchte er mit der Hand das lange Kleid hochzuziehen, um zwischen ihre Beine zu gelangen.

    Kurz daneben hielt ein weiterer Mann einen schlanken Jugendlichen mit ebenfalls dunklen Haaren fest. Dessen Hose hing bereits an den Knien. Daniel konnte sein nacktes Hinterteil sehen. Die Hose seines Peinigers war geöffnet und sein steifes Glied drückte gegen den Rücken des Jungen. Gewaltsam versuchte er, ihn auf der dahinterliegenden, niedrigen Mauer in eine geeignete Position zu bringen.

    Daniel reichte, was er sah. Direkt vor seinen Augen sollten zwei Kinder vergewaltigt werden und keiner der anderen Passanten mischte sich ein.

    Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht. Von der Statur her waren ihm die Männer sicher überlegen. Davon ließ er sich nicht abschrecken.

    Zuerst nahm er sich den ersten Mann vor, der direkt vor ihm versuchte, dem Mädchen das Kleid hochzuziehen. Er riss einfach dessen Kopf zur Seite und schmetterte ihn mit aller Kraft gegen die danebenliegende Mauer. Von dem Angriff völlig überrascht rutschte der Mann zu Boden, wo er bewusstlos liegen blieb. Das Mädchen fiel erschöpft auf ihn.

    Der zweite Mann bekam gar nicht mit, was sich hinter ihm tat. Er sah sich kurz vor dem Ziel. Es war ihm gelungen, den Oberkörper des Jungen weit nach vorne zu drücken. Erregt stierte er auf dessen nacktes Hinterteil.

    Zwei kräftige Hände legten sich um seinen Hals und zogen ihn gewaltsam nach hinten. Gleichzeitig durchfuhr

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