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Nila: Sie durften sich nicht lieben
Nila: Sie durften sich nicht lieben
Nila: Sie durften sich nicht lieben
eBook378 Seiten4 Stunden

Nila: Sie durften sich nicht lieben

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Über dieses E-Book

Als Eric Jones für die US Army nach Afghanistan in den Krieg zieht, hat er nur ein Ziel: Er will sein Land für die furchtbaren Terroranschläge am 11. September 2001 rächen und als Held nach Hause zurückkehren. Doch die Realität sieht anders aus. Als einziger Überlebender eines Anschlages auf seinen Konvoi schleppt er sich schwer verletzt und auf der Flucht vor den Taliban durch die Wüste. Einzig das afghanische Mädchen Nila hilft ihm und versteckt Eric für Wochen in einem unterirdischen Keller. Was er nicht weiß: Seine Regierung hält ihn für tot. Eric muss einen Weg durch das Gebiet der Taliban finden, um zurück zu seiner Truppe zu gelangen. Doch will er das überhaupt?
Denn zwischen Nila und ihm wächst etwas heran, was nicht sein darf. Nila hat sein Leben komplett verändert.
Er muss sich entscheiden. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Auf Leben und Tod.
Er hat überlebt... er flieht vor den Taliban...nur sie kann ihn retten.

Ein Buch über eine einzigartige Liebe, über falschen Patriotismus und die Folgen eines Krieges für zwei Menschen die zusammen sein wollen, es aber nicht dürfen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Feb. 2021
ISBN9783734525810
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    Buchvorschau

    Nila - Mark Krüger

    1

    Zwei Freunde

    Nashville/ Tennessee, USA 2009

    Die Sonne brennt an diesem Morgen schon so sehr, dass es unmöglich ist, auf dem heißen Asphalt barfuß zu laufen, man würde sich die Füße verbrennen. Die höchste Temperatur, die jemals in Nashville gemessen wurde, betrug um die vierzig Grad Celsius.

    Heute scheint es nicht anders zu sein. Die Sommer sind hier immer heiß und das subtropische Klima der bekannten Musikermetropole lässt so manchen Tornado des vorangegangenen Frühlings vergessen. Nashville, Memphis und andere Städte in Tennessee werden oft im Herbst und im Frühling von Tornados und heftigen Unwettern heimgesucht, sodass ein heißer Sommer immer mit großer Freude erwartet wird.

    Dafür sind die Winter umso kälter. Wenn man heute durch Nashville fährt, dann kann man immer noch die Geister und Seelen so mancher Musiklegenden wie Elvis Presley, Johnny Cash oder B.B. King und anderen, die hier in den 50er Jahren ihre musikalischen Spuren hinterlassen haben, ganz intensiv spüren.

    Überall hängen Bilder oder erklingen bekannte Töne aus den stilgerechten Bars, welche das Flair dieser Zeit nicht abgelegt haben. „Rock`n Roll meets Country, „Country meets Folk und „Folk meets Gospel". Entweder man mag es oder man mag es nicht.

    Die Menschen der 600.000- Einwohner Metropole nennen sich selbst Nashvillians und arbeiten, wie sollte es anders sein, zu einem großen Teil in der Musikindustrie, hauptsächlich in der sogenannten Music Row, einem Gebiet im Südwesten der Innenstadt von Nashville, wo viele Plattenfirmen, Studios und Szene- Treffs ihren Sitz haben.

    Das bekannte RCA Studio B, wo zahlreiche Musikgrößen ihre Hits eingesungen haben, sowie die Country Music Hall of Fame kann man ebenfalls in der Music Row bewundern.

    Nicht weit vom Zentrum in Nashville, ungefähr 10 Meilen östlich, befindet sich der Percy Priest Lake, ein traumhafter See, und das Percy Priest Reservoir, ein Paradies für Angler, Camper, Wanderer, Bootsfahrer und Pfadfinder.

    Eric Jones und Andy Stone, zwei neunzehnjährige Freunde schon seit Kindertagen, sind an diesem Morgen schon sehr zeitig unterwegs.

    Sie wollen mit ihrem Boot raus auf den See, vorbei an zahlreichen kleinen und großen Inseln, an wunderschönen Sandstränden, an Campingplätzen und Knutschecken vorbei, wo schon so manch eine wilde Party stattfand, um ein letztes Mal für sehr lange Zeit gemeinsam zu angeln.

    Eric ist der Draufgänger, der Macho, der wilde Typ, hat immer ein Späßchen auf den Lippen, braun gebrannt, durchtrainiert, hat blaue Augen, dunkle kurze Haare und ist auch sonst so der «Zac Efron» aus Südwest-Nashville.

    Er weiß ganz genau das er bei den Frauen gut ankommt. Deshalb hinterlässt er hin und wieder einen arroganten Eindruck, was ihn aber nicht stört. Andy ist eher das Gegenteil von Eric, auch vom Charakter. Er ist etwas kleiner, hat auch dunkle Haare, einige Sommersprossen, ist ruhig, ein heimlicher Streber und ist seit fünf Jahren fest mit Nancy Miller zusammen. Die Nachbarstochter.

    Es passierte beim Barbecue im heimischen Garten, als er ihr die komplette Platte Spareribs über den Körper kippte, um danach in der Küche seiner Eltern stundenlang zu versuchen die Flecken aus ihrem Kleid zu schrubben. Sie grillten ab diesem Zeitpunkt öfter zusammen.

    Eric hat als Sechsjähriger, zusammen mit anderen Jungs, Andy oftmals verprügelt, weil dieser so anders war. Bis eines Tages eine Bulldogge aus unerklärlichen Gründen Jagd auf Eric machte, der sich mit letzter Kraft auf einen Baum retten konnte und stundenlang in dessen Krone sitzen musste, weil sich die Bulldogge keinen Zentimeter vom Baum entfernte.

    Ausgerechnet Andy sollte der Retter in der Not werden, indem er den Hund mit einem Seil einfing und wegbrachte. An diesem Tag wurden sie Freunde.

    Mit einem Geheimnis, denn Andy hat Eric bis heute nicht erzählt, dass es der harmlose blinde Köter seines Onkels Bill war.

    Warum sollte er auch?

    Es war sein stiller Triumph. Still ist auch die heutige Bootsfahrt. Andy sitzt am Heck des alten, kleinen Motorbootes und navigiert es geschickt an den im Wasser treibenden Bäumen vorbei, welche der letzte Sturm entwurzelt und in den See gerissen hat.

    Er spricht nicht mit Eric. Er wartet, lässt ihn in seinen Gedanken verharren, um ihm ein vorerst letztes Abschalten vor der größten Veränderung seines Lebens zu gönnen. Eric hat sich vor gut einem Jahr bei den Marines gemeldet, die Ausbildung mit Auszeichnung bestanden und nun seinen Marschbefehl nach Afghanistan erhalten.

    Heute ist sein letzter Tag in der Heimat.

    Morgen geht es in einer Boing C-17 Globemaster III, einem vierstrahligem Militärtransportflugzeug, direkt zu den amerikanischen Truppen nach Kabul.

    Andy weiß nicht, ob sein Freund Angst hat. Doch er kann es fühlen. Eric genießt die Luft während der Fahrt zur Mitte des Sees und lässt sich vom Wind treiben. Die leichten Spritzer Wasser, welche seitlich am Boot vorbei rieseln, erfrischen sein Gesicht.

    Es ist gerade einmal 8: 00 Uhr morgens, aber schon gefühlte 30 Grad Celsius warm.

    In der Mitte des Sees angekommen, stellt Andy den Motor ab, wirft ein 40 Meter langes, geknüpftes Seil, an dessen Ende ein Stein gewickelt ist, in den See, während Eric die beiden Angeln abwickelt, die Posen begradigt und die zuvor im Sumpfgebiet gesammelten Würmer als Köder an den Haken befestigt.

    Es ist gespenstisch ruhig. Niemand der beiden sagt etwas. Ab und zu kann man einen Fisch über die Wasseroberfläche hüpfen sehen und man bekommt ein Gefühl, als würden sie auf die Angel und die Würmer warten. In sichtbarer Entfernung liegt ein leichter Nebel zwischen den Bäumen und dem See, sodass man die dahinter liegende Natur nur in Silhouetten erahnen kann.

    Es riecht nach Freiheit, nach Ruhe, nach Zufriedenheit und völliger Entspannung. Einige Vögel erwachen aus ihrem nächtlichen Schlaf und machen sich auf den Weg, ihren Kleinen das erste Futter zu suchen.

    Weißkopfseeadler thronen weit oben in den Spitzen der Bäume, gleiten hin und wieder durch die Luft, stürzen sich blitzschnell hinab, um dann mit ihrer Beute im Nebel zu verschwinden.

    Eric reicht Andy die fertige Angel, zündet sich eine Zigarette an, öffnet mit einem lauten Plopp eine Flasche Bier, trinkt einen großen Schluck, stellt sie neben sich auf den nassen Bootsboden, steht auf, schwingt seine Angel, wirft die Sehne weit in den See und lässt sie los. Er wartet, bis die Pose steht, setzt sich mit einem tiefen «Ahhhhhh» auf die Mittelbank des Bootes und verharrt, auf die Pose blickend, wieder in seiner Stummheit.

    Er liebt dieses Gefühl von Zufriedenheit. Doch heute ist alles anders. So sitzen die zwei Freunde wortlos gefühlte Stunden nebeneinander und nehmen das Leben in sich auf.

    Es ist absolute Vollkommenheit und einer dieser Momente im Leben, in denen man die Zeit anhalten möchte, um das Gefühl des Glückes nicht zu verlieren. Nach einigen stillen Momenten, die Sonne steht hoch oben im Zenit, beginnt die Pose von Eric in kurzen Abständen zu zucken, bis sie kurz danach komplett im Wasser verschwindet.

    «Langsam, langsam!

    Zieh ihn langsam raus!»,

    flüstert Andy ihm zu.

    «Warte noch!

    Lass ihn noch etwas ziehen!»

    erwidert Eric entschlossen und lässt die Pose, die mittlerweile kaum noch zu erkennen ist, nicht aus den Augen.

    «Du verlierst ihn, man. Zieh ihn raus, sonst ist er weg!» «Halt die Klappe, ich weiß, was ich mache!

    Nur noch kurz… »

    Noch bevor Andy darauf antworten kann, zieht Eric mit einem starken Ruck die Angel zurück und verhakt somit den Fisch an der Sehne.

    «Wow, ich habe ihn. Hol den Käscher!

    Verdammt, das scheint ein riesiger Brocken zu sein."

    Eric leiert seine Angel schnell auf und merkt, dass er einen ziemlich großen Fang gemacht haben muss.

    Andy steht derweil gespannt mit dem Käscher neben ihm und wartet darauf was er einholt.

    Mit einem letzten Ruck befördert Eric den zappelnden Fisch in das Boot und Andy sichert ihn gekonnt mit dem Käscher.

    «Ein Streifenbarsch. Und was für ein Teil!

    Das sind mindestens 50 cm!»

    Andy ist begeistert.

    Mit einem gekonnten Schlag auf den Kopf beendet Eric das Leben des Fisches.

    «Das ist unser Abendessen. Heilige Mutter, ist das ein Riese!»

    Eric freut sich über seinen Fang und macht sich gleich daran, den Fisch aufzuschlitzen und ihm die Innereien zu entfernen.

    Andy schaut ihm interessiert zu und will eine leichte Anspannung bemerkt haben, Eric hingegen lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und versucht seine offensichtliche, innere Aufregung zu verbergen.

    Nachdem die beiden den Fisch zerlegt und alles für ein kleines Feuerchen am frühen Abend vorbereitet haben, fahren sie langsam zurück zum Anlegerplatz.

    Eric holt zusätzliche Leckereien aus dem Auto, wie zum Beispiel ein paar Holzfällersteaks in Marinade eingelegt nach dem Rezept seiner Großmutter, bestehend aus viel Ketchup, Orangensaft, Essig, Worcestersoße, Öl, kleingehackten Zwiebeln, vielen Kräutern, zerriebenem Oregano, etwas Knoblauch, einem Spritzer Tabasco und einem halben Glas Bier.

    Das Ganze stand eine Nacht im Kühlschrank und ist erst bis jetzt richtig durchgezogen. Außerdem hatte Andys Vater ihnen einige selbstgezüchtete Riesenkartoffeln mitgegeben, welche seiner Meinung nach die besten jenseits der Grenze von Tennessee sein sollen. Zurück im Boot fahren die beiden zu ihrem Lieblingsplatz, wo sie schon als Kinder immer gespielt hatten. Es war eine kleine Insel inmitten des Percy Priest Lakes, diesem einzigartigen See, wo es, wie in der Karibik, einen unendlich langen und schönen Sandstrand gibt, an dem man am Lagerfeuer unbeschwert grillen, den Wellen lauschen und die Schönheit eines Sonnenunterganges neu definieren kann.

    Hier haben die beiden Cowboy und Indianer gespielt, Baumhäuser gebaut, ihre ersten geklauten Zigaretten geraucht, auf Bierbüchsen geschossen, bei ersten Dates am Strand geknutscht, den ersten Liebeskummer verarbeitet, Zeugnisse verbrannt , danach gefälscht und sich tagelang versteckt, nachdem ihre Eltern herausfanden, dass sie auf ihren neuen Zeugnissen schlechtere Noten hatten als der Durchschnitt.

    Es war ihre Insel.

    Es war ihre Kindheit.

    Als Andy das Boot am selbstgebauten Steg festschnallt, sucht Eric Holz für das Feuer. Direkt am Wasser hatten sie große Baumstämme um eine Feuerstelle platziert. In der Mitte waren die Stämme ausgesägt, so dass man kleine Sitzplätze für mehrere Personen hatte.

    Es ist gemütlich und genau der richtige Platz für zwei Jungs wie Andy und Eric, die noch einmal miteinander reden müssen, bevor einer von beiden in einer ihm fremden Welt sein Leben aufs Spiel setzen und für die Gerechtigkeit unterdrückter Menschen und Wiedergutmachung derer kämpfen wird, die am 11. September 2001 in den USA ihr Leben, ihre Freiheit, ihre Familien oder ihren Glauben verloren hatten.

    Nach einiger Zeit sitzen die beiden in der Abenddämmerung satt und zufrieden am Feuer. Einige Kartoffeln glühen noch vor sich hin und Fleischreste liegen auf einem Pappteller.

    Jeder hat eine Flasche Bier in der Hand und sieht gedankenverloren in die bunten Farben des knisternden Feuers, Eric zieht an einer Zigarette.

    «Hast du Angst?»,

    fragt Andy schließlich in den Abend hinein.

    Eric zögert kurz, stochert mit einem Stock in der Glut herum und zieht noch einmal an seiner Zigarette.

    «Keine Ahnung.

    Manchmal ja, manchmal nein.»

    Eric überlegt kurz und fügt hinzu:

    «Heute ja. Heute habe ich Angst.

    Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich einen von diesen afghanischen dreckigen Taliban vor die Flinte kriege, dann Boom…»

    Eric schlägt den Stock blitzschnell auf das Feuer, Andy erschrickt.

    «…dann knalle ich dieses Schwein ab!

    Ich werde so lange schießen bis mein Magazin leer ist, Andy, das schwöre ich dir bei meinem Leben und der Verfassung der Vereinigten Staaten.

    Ich werde an jedem Tag, den ich da unten bin dafür beten, dass ich eins von diesen Schweinen kriege.

    Gott, was haben die uns angetan… was haben die der Welt angetan?»

    Eric redet sich in Wut, beruhigt sich aber wieder.

    Andy kann ihn verstehen, ist aber dennoch um seinen Freund besorgt, nicht zu blauäugig in einen Krieg zu ziehen.

    Krieg bedeutet Verlust, Schmerz, Tot und Grauen.

    Viele Soldaten überall auf der Welt kommen traumatisiert zurück und werden danach vergessen.

    «Es ist aber auch gefährlich. Das weißt du.

    Pass bloß auf deinen Arsch auf, man!

    Wie hat Jenny immer zu Forrest Gump gesagt?

    Wenn es irgendwie gefährlich wird, dann sei bloß nicht mutig sondern lauf einfach weg! Lauf einfach weg! Das gilt auch für dich, man! Lauf einfach so schnell du kannst weg!»

    «Aber nicht ohne meine Kameraden, Andy. Ich würde niemanden zurücklassen. Außerdem macht es mich stolz, für mein Land sterben zu können. Wenn es so ist, dann ist es so.»,

    erwidert Eric.

    Andy spuckt erschrocken sein Bier

    «Bist du wahnsinnig, man? Natürlich musst du als Soldat deinen Job machen, du hast dich dafür entschieden, aber du musst dich nicht opfern! Würde dein

    Präsident für dich sterben? Denk mal nach, man!

    Wohl kaum. Patriot zu sein und hinter seinem Land zu stehen ist völlig in Ordnung.

    Seine Pflicht als Soldat zu erfüllen ebenso.

    Aber all das hat auch Grenzen, Eric!

    Verwechsle nicht Patriotismus mit Fanatismus!«

    Eric erkennt die Ernsthaftigkeit in Andys Worten und spürt seine Sorge.

    Dennoch kann ein Teil in ihm es kaum erwarten, seine Tarnfleckuniform anzuziehen, sich zu bewaffnen und sein Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, im Kampf gegen den Terror zu unterstützen, unterdrückte Menschen zu beschützen und, so Gott will, auch dafür zu töten.

    Er wurde zu einem Killer ausgebildet und steht auch dazu, einer zu werden.

    Dieser Gedanke nimmt ihm die Angst. Der Gedanke daran zu wissen, er und seine Kameraden sind mit den besten Waffensystemen der Welt ausgerüstet, verdrängen die Gedanken der mehreren tausend amerikanischen Soldaten, die in Afghanistan bereits ihr Leben lassen mussten und verstümmelt oder als seelische Pflegefälle vom eigenen Land vergessen wurden.

    Beide schweigen sich an. Andy hat kurz und knapp gesagt, was ihm den ganzen Tag schon auf der Seele brannte und Eric hat es auch verstanden. Es sind Freunde. Fast Brüder. Seelenverwandt. Beide kennen sich. An diesem Tag bedarf es wenig Worte, um den anderen zu lesen und zu verstehen.

    «Was ist eigentlich aus der Kleinen vom Diners geworden, sag mal?

    Wie hieß sie noch gleich?»

    «Emma.»,

    antwortet Eric.

    «Läuft da noch was oder ist das auch schon vorbei?», lenkt Andy vom eigentlichen Thema geschickt ab.

    Eric schmunzelt, gibt einen kurzen Seufzer von sich und wuschelt sich durch sein Haar.

    Schlechtes Thema.

    Ganz schlechtes Thema.

    «Fuck, keine Ahnung. Ich glaub, ich hab`s verbockt.»

    «Wieso das denn schon wieder?

    Ihr wart doch so vernarrt ineinander?

    Konntet letzte Woche eure Hände gar nicht voneinander lassen. Ihr habt euch wund geknutscht, man. Und danach auf der Liebescouch deiner Eltern gepoppt.»

    Andy lacht laut und Eric kann sich auch nicht zurückhalten.

    «Nein, wir haben nicht gepoppt. Sie wollte nicht.

    Scheiße, ich hab`s echt voll verbockt.

    Wäre ich bloß nicht mit ihr auf diese verblödete Party gegangen.»

    «Welche Party denn?»

    Eric kratzt sich verlegen den Kopf und versucht auszuweichen. Doch Andys Neugier kennt wie immer keine Grenzen. Eric wollte eigentlich nicht über dieses Thema reden, es ganz still und heimlich zu den Akten legen, doch Andy ist hartnäckig.

    «Welche Party denn?

    Scheiße, sag bloß, du warst mit ihr auf dieser Sex Party bei den Hansons?»

    Eric zögert schon wieder. Er zögert zu lange.

    Andy bekommt einen Lachflash.

    «Ich mache mir in die Hose, du warst mit ihr bei den Hansons! Verdammt, ich habe dir gesagt: GEH AUF KEINEN FALL MIT IHR ZU DEN HANSONS! Da kommt nur Ärger und Suff dabei raus! Gott, was ist denn passiert?«

    «Ich wollte diesen Mist so schnell wie möglich hinter mich bringen.

    Ich mochte dieses Mädchen wirklich. Aber vielleicht hatte es auch was Gutes, dann muss ich mich nicht ewig lange verabschieden und tränenreiche… »

    Andy unterbricht ihn.

    «Verflucht, nun erzähl schon!»

    «Naja, wir saßen da so rum und haben gemerkt, dass viele auf Speed oder Hasch waren, einige schmissen sich ein paar Pornopillen ein, keine Ahnung, auf jeden Fall fingen die da alle nach einer gewissen Zeit wie wild an zu poppen. Neben uns, vor uns, hinter uns. Und Alter, glaub mir, ich war im ersten Moment komplett geschockt, hatte aber auch schon meine zwei, drei Bier getrunken und wurde von Minute zu Minute hibbeliger.

    Na ja, und dann saß Emma neben mir, die ihren Mund nicht mehr zubekommen hat. Du weißt ja, jeden Sonntag mit Mami und Papi zum Gottesdienst in die Kirche und stundenlang den Herrn am Kreuz beweinen… und wie sie so geschockt neben mir sitzt, habe ich ihr dann erstmal einen großen Schluck Vodka in die Unterlippe gekippt und nach einigen Minuten wurde sie lockerer. Und geiler! Sie begann wie wild an mir rumzufummeln, flüsterte mir schweinische Sachen ins Ohr und wollte mir dann die Hose öffnen.

    Und das vor all den Leuten, stell dir das mal vor!»

    «Na und? Die waren doch eh alle am rum machen!»,

    kichert Andy dazwischen.

    «Na und?

    Ich wollte, dass es besonders wird mit Emma.

    Also sagte ich ihr, dass ich mit ihr in ein Zimmer möchte. Nicht so zwischen all den Perversen.

    Dann habe ich sie an die Hand genommen, bin rauf in den ersten Stock und in dieses Zimmer. Ich sagte ihr, sie kann es sich ja bequem machen und ich würde dann gleich nachkommen!»

    «Wo wolltest du denn hin?»

    «Na ich musste auf`s Klo! Mensch, mich noch ein bisschen frisch machen, du weißt doch.»

    «Ja, ja, schon klar, und dann?»

    Eric kann beim Erzählen selbst kaum glauben, was er erlebte und unterbricht sich durch kurzes Gelächter hin und wieder.

    «Dann bin ich in dieses Zimmer zurück, es war dunkel und ich dachte mir nichts dabei.

    Sie lag schon im Bett. Nackt! Gott, war ich erregt.

    Ich zog mich völlig aus, kroch unter ihre Decke und ehe ich es überhaupt geschnallt habe, haben wir wie wild gepoppt. Ich dachte mir noch: Verdammt, warum geht sie so ab? Liegt aber wahrscheinlich an dieser christlichen Pfarrererziehung, irgendwann können die nicht mehr zurückhalten und müssen einfach.

    Und in genau diesem Moment geht die Tür auf, das Licht an und Emma steht im Türpfosten und starrt mich entsetzt an!»

    Kurzes Schweigen. Andy reißt die Augen auf und sagt kein Ton mehr. Er ist sich nicht sicher, ob er das gerade richtig verstanden hat.

    «Wie jetzt?»,

    fragt Andy etwas verwirrt.

    «Verbockt eben.»,

    erwidert Eric, setzt sein Bier an und schüttelt, entsetzt über sich selbst, mit dem Kopf. Andy scheint es noch nicht ganz verstanden zu haben und hakt nochmal nach:

    «Und Emma steht im Türpfosten und starrt dich entsetzt an? Wie geht das, wenn du sie doch gerade noch gepoppt hast?«

    «Na ich habe mit der falschen gepoppt, ganz einfach. Prost!»

    Eric zuckt mit den Schultern und Andy spuckt das Bier, das er gerade runterschlucken wollte, quer über das Feuer.

    «Du hast mit der falschen gepoppt?

    Wie kann man denn mit der falschen poppen?

    Das merkt man doch!»

    «Ich habe es nicht gemerkt, man. Wie denn auch?

    Ich durfte sie ja vorher nirgendwo anfassen.

    Verdammter Mist, woher sollte ich denn wissen, wie sie sich anfühlt?»

    «Alter, ganz ehrlich, das ist die oberkrasseste Scheiße, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe! Und dann? Was ist dann passiert? Ich meine, hat sie dich dann geschlagen oder so? Hat sie geschrien? Wie hat sie reagiert?»

    «Na sie hat angefangen zu heulen und ist weggerannt.»

    «Und du hinterher? Was hast du zu ihr gesagt?»

    Eric bekommt wieder einen Lachflash und stützt sich bei seinem Freund ab.

    «Nein, man, ich habe mir das Mädel unter mir nochmal genauer angeguckt und festgestellt, dass sie auch sehr toll aussah, na ja, und dadurch, dass sie nicht aufhörte sich zu bewegen… »

    «Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass die Tante unter dir die ganze Zeit, in der Emma da stand weiter gepoppt hat?»

    «Doch! Genau das… wir haben einfach weitergemacht und fertig. Das war`s.

    Ich habe seitdem von Emma nie wieder was gehört.»

    Andy schüttelt lachend mit dem Kopf und wischt sich die Tränen weg.

    «Wie geil ist das denn, Mensch?

    Geht mit seiner Freundin auf eine Party und poppt versehentlich die falsche."

    Den ganzen Abend lachen die beiden ununterbrochen Tränen, tauschen sich alte Geschichten aus und vergessen den Alltag. Sie spüren, dass sie das gebraucht haben. Niemand kann sagen, wann und ob sie sich überhaupt wiedersehen, aber genau dieses Feeling an diesem Strand, dieses Unbeschwerte und Unbekümmerte macht ihre Freundschaft ganz besonders.

    Andy nahm sich an diesem Tag vor, lange mit Eric über dessen Gefühle und Ängste zu sprechen.

    Stattdessen war es ein kurzer Smalltalk über ein ernstes Thema, wobei jeder kurz und knapp schilderte, was ihn bewegt. Jetzt sitzen die beiden da, schauen in den Himmel und genießen den Abend, der so langsam die letzten Boten des Tages zum Schlafen schickt und am nächsten Morgen neue Lebensgeister weckt, die jeder von beiden auf seine Weise als Begleiter durch eine neue Zeit begrüßen wird.

    2

    Der Anschlag

    Drei Monate später

    Nördlich von Mardscha, Wüstenstraße, Afghanistan, August 2009, abends

    Ein alter Paschtune steht an einer Kreuzung auf der nördlichsten Straße von Mardscha und fegt mit einem selbstgebauten Besen Wüstenstaub vom Asphalt. Wie alt dieser Mann sein mag, kann man schlecht schätzen, zu sehr ist sein Gesicht von der Sonne gebräunt und zu sehr erzählen tiefe Furchen auf seiner Stirn zahlreiche Geschichten. Sein einfaches Lehmhaus steht nicht unweit von ihm entfernt.

    Ein provisorischer Kasten mit einem kleinen Fenster, einem offenen Eingang, zwei einfachen Zimmern, einem Flachdach und einer selbstgebauten Holzbank davor. Im kleinen, angelegten Garten tummeln sich Ziegen, Schafe, Hühner und blöken und gackern in der immer noch unerträglichen Hitze von 35 Grad Celsius um die Wette.

    Fast jedes zweite Haus in Mardscha sieht aus wie dieses. Das eine größer, das andere kleiner. Inmitten dieser einfachen Wüstenstadt kann man hin und wieder etwas Grün erkennen, ansonsten ist sie von heißem, staubigen Sand regelrecht eingeschlossen. Ein dürrer Hund bellt dem alten Mann in kurzen Abständen immer wieder entgegen, gibt aber nach mehrfachen erfolglosen Versuchen die Aufmerksamkeit des Alten auf sich zu lenken entkräftet auf und legt sich hechelnd in den Schatten.

    Der Alte hält kurz inne, nimmt seinen Pakul ab, eine traditionelle, weiche Wollmütze, welche im frühen 20. Jahrhundert anzunehmender Beliebtheit gewann und den großen Turban ersetzte, wischt sich den Schweiß von der faltigen Stirn und sieht die Straße entlang.

    Am Horizont erkennt er kleine Punkte, die größer werden und in schneller Geschwindigkeit auf ihn zu rasen. Seine alten Augen erkennen nicht mehr so genau, welches Bild sich aus einer Fata Morgana langsam zu einem realen Bild verformt, dennoch blinzelt er gespannt der Sonne und der Straße entgegen.

    Die Punkte werden größer und von Sekunde zu Sekunde kann man Motorengeräusche hören, welche lauter werden und erkennbar eine riesige Staubwolke mit sich führen.

    Der alte Hund jammert hörbar leise vor sich hin, spitzt die Ohren, steht auf, klemmt seinen Schwanz zwischen die wackligen Beine, läuft ein kleines Stück zur Straße, blickt in Richtung der donnernden Staubwolke, quietscht leise vor sich her, dreht um, läuft wieder zur selben Stelle im Schatten, von wo er kam, schaut noch einmal auf, dreht sich dreimal im Kreis und setzt sich ängstlich auf seinen Platz.

    Langsam erkennt der alte Mann, was da auf ihn zukommt, tritt vorsichtig einige Schritte zurück und stützt sich auf den Besen. Im selben Moment rast ein Konvoi bestehend aus drei amerikanischen Humvees und zwei Stryker RV an ihm vorbei. Humvees sind Geländewagen, welche seit 1985 in verschiedenen Variationen als Transport- und Spähwagen eingesetzt werden. Bis vor einigen Jahren ließ die Panzerung dieser Fahrzeuge zu wünschen übrig und bot überhaupt keinen Schutz für die Soldaten, was zum Glück bei den jetzigen Modellen verbessert wurde. Auch an dickere Windschutzscheiben wurde gedacht, welche 7,62 mm Geschossen standhalten sollen.

    Die beiden Stryker, wobei einer an der Spitze und einer am Ende des Konvois fährt, sind schnelle Späh-Radpanzer, die zum doppelten Schutz und schnellen Eingreifen in brenzlichen Situationen stets Fahrzeuge sind, auf die man sich im Notfall verlassen kann.

    Der alte Mann wird dabei nicht beachtet. In diesen Fahrzeugen interessiert es niemanden, ob er gerade die Straße fegt oder nicht. Ist doch sowieso alles drekkig. Die aufgewirbelte Staubwolke hüllt den Alten komplett ein und schnürt ihm fast den Atem ab.

    Sein Pakul wedelt ihm vom Kopf und die wenigen, weißen, dünnen Haare flattern uneins durcheinander. Der alte Hund hat sich längst einen anderen Platz gesucht und ist nicht mehr zu sehen.

    So schnell wie die Fahrzeuge kamen, so schnell sind sie auch wieder verschwunden. Die Geräusche der Motoren stummen langsam ab und das Bild am Horizont verwischt sich im Einklang mit der Sonne wieder zu einer Fata Morgana, wird kleiner und kleiner bis es komplett verschwindet.

    Der Alte wischt sich den Staub aus seinen Sachen, setzt sich seine Mütze wieder auf, schüttelt ungläubig den Kopf, murmelt irgendwelche Worte in Paschtu vor sich her, nimmt seinen Besen und fegt die staubige Straße noch einmal von vorn.

    Der alte Hund kommt aus seinem Versteck hervor, schnuppert ängstlich in den Wind und legt sich wieder in seine schattige Ecke, am Rand des Lehmhauses. Alltag in Mardscha.

    Der amerikanische Konvoi fährt derweil weiter Richtung Norden, passiert mehrere enge Straßen, verlangsamt sein Tempo und kommt seinem Einsatzgebiet in den Hügeln oberhalb der kleinen Wüstenstadt immer näher. Eine Taliban-Hochburg.

    Die Amerikaner haben den Auftrag, den Vorstoß der Taliban zu verhindern, welche sich immer wieder kleine Dörfer zum Ziel suchen, diese einnehmen, Dorfbewohner töten, verschleppen und die Häuser als neue Umschlagplätze, Waffenlager und Verstecke nutzen. Eine sehr gefährliche Mission, die Wachsamkeit, Vorsicht und Aufmerksamkeit voraussetzt, da überall und plötzlich mit einem Angriff der Taliban oder einer Sprengfalle gerechnet werden muss.

    Eric sitzt im letzten Humvee mit weiteren sechs Kameraden. Sergeant Melissa Hanson, Mitte 30, verheiratet, 2 Kinder, gutaussehend, liebt mexikanisches Essen, Captain Steven Anderson, der typische Soldat, Oberlippenbart wie damals Magnum und absoluter Patriot, Corporal Mike „Clown" Carter, Anfang 20, immer einen lustigen Spruch auf Lager, etwas dick und klein und seit dem zarten Alter von 10 Jahren

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