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Marwados: Band 1 - Die Wache
Marwados: Band 1 - Die Wache
Marwados: Band 1 - Die Wache
eBook520 Seiten7 Stunden

Marwados: Band 1 - Die Wache

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Über dieses E-Book

Jaron Tymann, ein sechzehnjähriger Fischersohn aus dem Süden des Königreiches Marwados, macht sich auf den Weg, seinen Dienst in der Landeswache anzutreten, während in der Hauptstadt Birlick Intrigen gesponnen werden, um den Frieden mit den Nachbarn zu beenden und die Machtverhältnisse innerhalb des Reiches zu verändern. Selbst vor Mord und Totschlag schrecken die Drahtzieher einer möglichen Revolte nicht zurück.
Das, was Jaron auf seinem Weg widerfährt und die Menschen, die ihm auf dieser Reise begegnen, prägen den Jungen und lassen ihn zum Mann reifen.
Er trifft dabei Freunde und bekämpft Feinde, er lernt die Liebe und das Leid kennen. Am Ende gilt es, seine ganze Kraft und seinen ganzen Mut in die Waagschale zu werfen, um einen Umsturz innerhalb des Reiches zu verhindern.
Dabei wird er mit Geheimnissen konfrontiert, die auch seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft in Frage stellen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Juni 2016
ISBN9783734533457
Marwados: Band 1 - Die Wache

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    Buchvorschau

    Marwados - Sören Jan Bang

    Jaron

    Der Tag erwachte aus einer dunklen und sternenklaren Nacht und die Morgendämmerung tauchte das Fischerdorf Kados im Süden der Provinz Dogatal in ein diffuses Licht. Der Wind wehte heute vom Meer auf das Land und umwirbelte spielerisch die harten und blauen Blätter des Dünengrases, während die Sonne ihre ersten zarten Strahlen durch das Zimmerfenster der kleinen Hütte schickte, in der Jaron bereits wach im Bett lag. Die leichte und angenehme Brise, die es vom Meer über die Dünen schaffte und mit den Stoffvorhängen am kleinen Fester des Zimmers spielte, wirkte für diese Jahreszeit schon recht warm. Das ständige Rauschen der Wogen durchbrach die sonst herrschende Stille in der kleinen Behausung hinter den Dünen.

    Alle Bewohner des Hauses schliefen noch tief und fest. Jaron war der Einzige, der nach einer unruhigen Nacht schon die Augen geöffnet hatte. Tausende Gedanken schossen ihm durch seinen Kopf. Heute war sein großer Tag, heute würden nun endlich die Rekrutierer der Landeswache kommen und endlich war er sechzehn Jahre alt und konnte mit ihnen gehen.

    Seit dem Ende des Krieges vor vierzehn Jahren, in dessen Folge König Karol nach vielen Verwirrungen schließlich die Regentschaft über das nunmehr geeinte Königreich Marwados übernahm, war es üblich, dass einmal im Jahr jedes Dorf und jede Stadt in jeder der vier Provinzen, mindestens einen sechzehnjährigen Knaben zur Ausbildung und zum Dienst in der Landeswache an die Schule nach Worogol im Norden der Provinz Tanara entsandte.

    Meist fanden sich diese Knaben freiwillig oder zumindest auf sanften Druck aus ihren eigenen Familien, denn die Ausbildung in der Landeswache war gut und am Ende dieser vier Jahre Ausbildungszeit trat man für zehn Jahre in den gut bezahlten Dienst dieser Armee und hatte somit ein sicheres Auskommen.

    Besonders gute Absolventen wurden auch in den Dienst der Standarte des Königs, in der Hauptstadt Birlick, übernommen. Dies war mit entsprechend hohem Ansehen, weiteren Ausbildungen und einer recht hohen Besoldung verbunden. Fand sich dennoch während der Rekrutierungen, die jeweils zum Beginn des Frühjahrs stattfanden, kein Freiwilliger, so entschied das Los über den Knaben, der dann für den Dienst zwangsverpflichtet wurde.

    In Kados brauchte heute kein Junge zu befürchten, dass er zwangsverpflichtet wird. Jeder hier wusste, dass sich Jaron nichts sehnlicher wünschte, als zur Landeswache zu gehen.

    Jarons älterer Freund, Sali Ontrup, war vor zwei Jahren rekrutiert worden. Seitdem konnte sich Jaron mit kaum etwas anderem als dem Dienst in der Landeswache beschäftigen. Ständig fragte er seinen Großvater, Kamar Vehling, der ja bereits im Krieg als Soldat zur Landeswache gehörte, nach allem, was mit dem Dienst dort zu tun hat.

    So kannte er bereits die Rangabzeichen der einzelnen Dienstgrade, die Bedeutung der verschieden Uniformen, die Waffen der Soldaten und auch die vielen Kampfübungen, die sie dort absolvieren würden müssen.

    Der Großvater wiederum erzählte gern vom Dienst in der Wache. Er war stolz, selbst dort gedient zu haben. Er hatte seine Einheit dann nach dem Krieg im Range eines Hauptmanns verlassen. Aber die Kriegszeiten ließ er in seinen Erzählungen recht gern einfach weg. Wenn Jaron ihn danach fragte, wurde er schweigsam und seine Augen bekamen einen traurigen Ausdruck.

    Jaron wurde in den letzten Jahren des Krieges geboren und hat von dieser Zeit kaum etwas mitbekommen. Doch Großvater Kamar hatte die ganzen Schrecken und Wirren dieser, für das Königreich Marwados schlimmen Zeit, miterlebt und sprach recht ungern darüber. Zu sehr lasteten dir furchtbaren Erlebnisse, das viele Blut und die Grausamkeiten, die er mit ansehen musste, auf seiner Seele.

    Anfangs sträubte sich Jarons Familie, allen voran die liebevolle Mutter, dagegen, dass er in den Dienst der Landeswache treten wollte. Aber der Junge gab keine Ruhe und als sein Freund Sali in einem Brief sehr lang und sehr ausführlich und vor allem mit großer Begeisterung über die Schule, die Ausbildung und die Wache und sein neues Leben berichtete, konnte er damit auch der Mutter von Jaron die Bedenken nehmen. Und so stimmte die Familie letztendlich und zu Jarons großer Freude zu.

    Und heute war es nun endlich soweit, dass Jaron seinem Leben in dem Fischerdorf Kados, seiner Familie, seiner Arbeit als Fischereigehilfe des Vaters, dem einfachen Dasein eines Dorfjungen und der einfachen Schulbildung des Dorfes den Rücken kehren würde.

    Seine Familie würde er schmerzlich vermissen und das machte ihm natürlich das Herz schwer. Aber er wusste auch, dass er sie mindestens einmal im Jahr besuchen durfte. So waren die etliche Jahre alten Regeln der Schule in Worogol.

    Jaron mochte seine Heimat Kados, dieses kleine Dorf an der Passage, dem Meer, das Marwados im Süden begrenzte. Etwas über eintausend Menschen lebten hier. Die meisten von ihnen waren im Fischfang und im Fischhandel tätig.

    So auch der Vater von Jaron. Ihm musste Jaron immer helfen, die zerschlissenen Netze zu flicken, den Fisch für den Verkauf vorzubereiten und bei den zahlreichen anderen Arbeiten zur Hand gehen, die die Fischerei mit sich brachte. An den wenigen schulfreien Tagen konnte er sogar mit aufs Meer hinaus fahren und helfen, die Netze einzuholen.

    Einmal in der Woche, immer mittwochs, besuchte er mit seiner Mutter Nicola und seinem zwölfjährigen Bruder Larik und der vierzehnjährigen Schwester Liliana den Markt in Rastan, der nächsten großen Stadt, etwa fünfzehn Kilometer entfernt. Dort verkauften sie den Fisch, den der Vater nicht an den Großankäufer im Dorf veräußern konnte oder wollte.

    Jarons Vater, Ragna Tymann, war ein großer Mann. Sein Gesicht mit dem Strahlen seiner blauen Augen wurde von kurzen blonden Haaren und einem dichten Vollbart umrahmt. Mit seinen siebenunddreißig Jahren war er schon sehr lebenserfahren. Das mochte daran liegen, dass er in den letzten Jahren des großen Krieges der vier Provinzen noch mitgekämpft hat und ebenso viel Schreckliches, so viel Leid und Elend erlebt hat, wie sein eigener Vater. Aber Ragna konnte im Krieg auch sehr viel Menschlichkeit und gegenseitige Hilfe beobachten, so dass er nicht den Glauben an die Menschen und an den Herren der Elemente verloren hatte.

    Eine Beinverletzung während der Kämpfe am Fluss Tanara sorgte dafür, dass er noch heute einen leicht humpelnden und schwankenden Gang hat, was bei den Menschen, die ihn sahen, oft den Eindruck eines schwankenden und gemütlichen Seebären erweckte.

    Ragna Tymann war ein stolzer Mann, der seine Kinder mit Strenge aber auch mit sehr viel Liebe und Güte erzog. Die Menschen in Kados kannten ihn als sehr zuverlässigen und ehrlichen Kerl, der nie viel Worte machte, sondern einfach anpackte, wo Not am Mann war.

    Das heimliche Oberhaupt der Familie war Jarons Mutter, Nicola Tymann. Sie war eine wunderschöne Frau. Klein, schlank und immer lebendig wirbelte sie im Haus herum, sang oft, hatte fast zu jeder Zeit gute Laune und liebte ihre Kinder abgöttisch.

    Sie war ein eher dunkler Typ mit braunen Haaren und braunen Augen. Ragna scherzte häufig, dass sie ihr gutes Aussehen und ihr Temperament an den ältesten Sohn, Jaron, weitergegeben haben musste. Die beste Eigenschaft an Nicola war, dass sie auch in der schwierigsten Situation immer noch etwas Positives entdecken konnte.

    Vor siebzehn Jahren hatte Ragna die damals neunzehnjährige Nicola auf dem Markt in Rastan kennengelernt und sich sofort unsterblich in sie verliebt. Aufgrund seiner Kriegsverletzung musste Ragna nicht mehr zur kämpfenden Truppe, sondern war für den Stab des Nachschubes der Truppen der Provinz Dogatal in der Stadt Rastan tätig.

    Nach einigen Wochen und einigen Treffen und Besuchen bei den Eltern von Nicola, machte Ragna ihr schließlich einen Heiratsantrag, in dem sie nur allzu gern einwilligte. Auch die Eltern von Nicola stimmten einer Hochzeit zu und so heirateten die beiden im Tempel der Elemente in Rastan, lebten noch bis zum Ende des Krieges in der Stadt und zogen dann alle, auch die Großeltern, nach Kados in das kleine Haus hinter den Dünen. Noch während der Zeit in Rastan vergrößerte der älteste Sohn, Jaron, die kleine und glückliche Familie.

    Der Fischfang ernährte die Familie gut und so hatten sie es im Laufe der Jahre zu einigem Wohlstand, der eigenen Hütte, zwei eigenen Fischerbooten und etwas Bargeld gebracht und mussten keine Not leiden.

    Die Provinz Dogatal im Südosten des Königreiches Marwados, in deren südlichstem Zipfel das Dorf Kados lag, ist recht groß. Sie erstreckt sich von der Hauptstadt des Gesamtreiches, Birlick, bis zur Passage im Süden über etwa eintausend Kilometer und grenzt im Westen an die Provinz Ormangol und im Osten an die Limansee, dem östlichen Meer. Von West nach Ost beträgt die Entfernung ungefähr achthundert Kilometer. Die Hauptstadt der Provinz heißt Limansund und liegt an der Mündung des Danfortflusses in die Limansee.

    Die Bewohner der Provinz lebten hauptsächlich vom Fischfang, vom Fischhandel, von der Viehzucht vom Getreideanbau und vom Handel. Der Seehafen in der Provinzhauptstadt Limansund bot natürlich noch sehr viele weitere Möglichkeiten, sein Geld auf mehr oder weniger legale Weise zu verdienen.

    Wie im gesamten Königreich, waren die Sommer mild und die Winter kalt, die Böden waren fruchtbar. Seit Jahren gab es keine Hungersnöte oder schweren Epidemien mehr.

    Die Menschen wirkten zufrieden und kümmerten sich wenig um die große Politik des Landes oder die Zwistigkeiten mit den westlichen und nördlichen Nachbarn des Reiches.

    Der Orden des Tempels der Elemente sorgte seit Jahrhunderten für die religiöse und medizinische Betreuung der Menschen, ohne diesen die eigene Religion aufzuzwingen. Fast die gesamte Bevölkerung lebte seit Anbeginn der Zeiten den Glauben an den Herren der Elemente und dessen Einfluss auf die Geschicke der Menschen. Der Glaube bot ihnen Halt, gab ihnen Ruhe und Zuversicht im Leben.

    Endlich regte sich etwas im Haus und Jaron konnte aufstehen. Er sprang aus dem Bett, streckte sich genüsslich, fuhr sich mit den Händen durch die kurzen braunen Haare und eilte in den vorderen Teil des Hauses.

    In der Küche traf er, wie erwartet, seine Mutter, die das Frühstück für die Familie vorbereitete. Im Normalfall gab es Hirsebrei oder Haferbrei, gelegentlich Maisfladen und dazu Kräutertee oder Ziegenmilch. Nicola schaffte es immer, aus allem, was die Küche hergab, nahrhafte und wohlschmeckende Mahlzeiten zu zaubern.

    Aber heute hatte die Mutter Pfannenfladen aus Eiern, Milch und Mehl gebacken. Die Eier hatte sie am Morgen aus dem kleinen Hühnerstall hinter dem Haus geholt. Sie wollte Jaron noch einmal etwas Besonderes zubereiten, bis er am Nachmittag dann endgültig das Haus verließ. Jaron beobachtete seine Mutter eine kleine Weile. Nicola sang heute nicht, sie schaute ernst und traurig. Als sie dann schließlich ihren Sohn entdeckte, wurde ihr Blick ganz weich und sie lief auf Jaron zu.

    „Guten Morgen, mein großer Krieger. Konntest du heute Nacht wenigstens etwas schlafen?", fragte sie ihren Sohn mit warmer Stimme.

    „Guten Morgen, Mama. Naja, es ging so leidlich mit dem Schlafen. Machst du heute etwas besonders Leckeres zum Frühstück?", entgegnete Jaron mit neugierigem Blick auf den Herd.

    „Ja, heute gibt es Pfannenfladen mit Honig und Zucker. Ich will dich noch einmal richtig verwöhnen." Nicola versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken und Jaron nahm seine Mutter fest in den Arm.

    „Komm mir nur immer gesund wieder nach Hause, mein lieber Sohn. Ich habe Angst um dich.", hauchte Nicola in Jarons Ohr.

    „Das werde ich, Mama. Ich verspreche es dir.", versuchte Jaron zu lächeln.

    In diesem Augenblick schlurfte Großvater Kamar aus seinem Zimmer in die Küche.

    „Guten Morgen. Lasst doch bitte das Heulen sein, Kinder. Jaron wird immer wieder zu uns zurückkehren. Das weiß ich sehr genau.", grummelte er.

    „Guten Morgen, Opa.", antwortete Jaron und drückte seinem Großvater einen Kuss auf die Wange.

    „Guten Morgen, Papa. Du hast ja Recht. Es ist trotzdem traurig, dass der Kleine jetzt weg geht.", entgegnete Nicola ihrem Vater.

    „Na, jetzt aber mal kein Trübsal blasen.", schmetterte Oma Sarina plötzlich mit ihrem sehr lauten Organ in die Küche, während sie ihren schweren und runden Körper auf die Küchenbank hievte und dabei mächtig schniefte. Die Oma war eine Seele von Mensch. Jeder liebte sie und alle vertrauten ihrem weisen und immer liebevollen Rat. Großmutter Samira hatte immer und für jeden Menschen Zeit und ein offenes Ohr. Und seltsamerweise hatte sie auch immer etwas Zuckerwerk zum Naschen in ihren Taschen. Jaron ging auf seine Großmutter zu und begrüßte sie mit einem Kuss.

    „Guten Morgen, Oma.", sagte er lächelnd.

    „Guten Morgen, mein kleiner Prinz.", antwortete die Großmutter ebenfalls mit einem sanften Lächeln im Gesicht.

    „Guten Morgen, mein zartes Täubchen.", gurrte der Großvater grinsend von der Seite und kniff seiner Gemahlin, mit der er schon so viele Jahre des Lebens verbracht hatte, liebevoll in den Hintern. Alle fingen an zu lachen. Zartes Täubchen passte so gar nicht zu dem voluminösen Körperbau der Großmutter. Selbst Oma Sarina musste über diesen liebgewonnenen und täglichen Scherz ihres Gatten lachen.

    Ein lautes Poltern aus den hinteren Räumen bedeutete, dass jetzt auch die Geschwister von Jaron erwacht waren und gleich in die Küche stürmten.

    „Au fein, Pfannenfladen.", freute sich die quirlige Liliana.

    „Einen guten Morgen für alle lieben Menschen.", rief sie, wie immer froh gelaunt, in die Runde.

    „Guten Morgen.", antworteten alle. Immer wenn die kleine Liliana auftauchte, wirkte es so, als ob die Sonne etwas heller scheinen würde. Liliana schaffte es, jedem der hier im Raum anwesenden Menschen, ein Lächeln in das Gesicht zu zaubern.

    „Morgen, wo ist denn Papa?", fragte Jarons jüngerer Bruder, Larik, der ebenfalls gerade aus seiner Schlafkammer kam. Er wirkte, wie immer am Morgen, etwas mürrisch.

    Seine kurzen roten Haare schafften es, trotzdem sie nur knapp zwei Zentimeter lang waren, nach allen Seiten abzustehen, was bei ihm immer recht lustig aussah.

    „Guten Morgen, mein Kleiner. Papa ist noch einmal kurz zu den Booten gegangen, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Gestern Abend war die See doch schon recht stürmisch und er hat Angst, dass sich die Boote losgerissen haben. Außerdem wollte er bestimmt noch ein wenig die Ruhe genießen.", antwortete die Mutter sanft.

    Tatsächlich war Ragna am frühen Morgen noch einmal ans Meer gegangen. Er wollte vor Beginn des Tages beim Rauschen der Wellen noch einmal Kraft schöpfen. Ragna war klar, dass der Tag sehr anstrengend werden würde, mit vielen Emotionen und auch mit viel Traurigkeit.

    Und natürlich hatte Ragna auch Angst. Angst, dass er seinen geliebten Sohn verlieren würde und dass ein lange gehütetes Geheimnis sehr bald ans Licht kommen könnte.

    Er lauschte dem Meer und dem ersten Geschrei der Möwen. Wasser aus der Passage, das er für diese Jahreszeit als erstaunlich warm empfand, spielte um seine Füße und der angenehme Wind umwehte seinen Körper. Ragna liebte diese Ruhe am Morgen. So oft er konnte, stand er vor allen anderen auf, verließ das Haus und ging ans Meer, um diese Momente der Stille und des Alleinseins zu genießen.

    Schließlich aber kehrte Ragna um und machte sich auf den Weg zum Haus hinter den Dünen, um gemeinsam mit der Familie zu frühstücken. Er würde heute nicht arbeiten. Ragna wollte heute nur für Jaron da sein, falls dieser ihn brauchte.

    Ragna wusste, dass Jaron am Vormittag noch einmal durch das Dorf gehen und sich von seinen Freunden verabschieden wollte. Erst nach dem Mittagessen würden dann die Rekrutierungszeremonien mitten im Dorf beginnen.

    Im Haus angekommen, hatte Ragna nicht unbedingt das Gefühl, dass heute etwas Besonderes geschehen sollte. Es herrschte das übliche morgendliche Durcheinander. Die Kinder rangelten um die besten Plätze am Tisch. Die Großeltern saßen in ruhiger Eintracht beieinander und Nicola wirbelte durch die Küche. Nur, dass sie heute nicht sang, deutete darauf hin, dass etwas Anspannung in der Luft lag.

    Am Rekrutierungstag war für die Kinder selbstverständlich schulfrei und kaum jemand arbeitete an diesem Tag. Am Nachmittag würde dann fast das gesamte Dorf auf dem Marktplatz zusammen kommen und an den Zeremonien teilnehmen.

    „Wie willst du denn deinen Vormittag nun verbringen, Jaron? Bleibt es dabei, dass du noch einmal durch Kados gehen und deine Freunde sehen willst?", fragte Ragna. Jaron schwieg erst einmal und zuckte mit den Schultern.

    „Noch einmal durchs Dorf gehen und mich mit Cara und Ante treffen, wäre gut. Seid ihr dann auch nicht zu traurig, dass ich dann noch einmal weg gehe?", antwortete er schließlich. Der Vater schüttelte den Kopf.

    „Geh nur, mein Großer.", lächelte er seinem Sohn ins Gesicht.

    Cara und Ante waren Zwillingsgeschwister. Cara war die beste Freundin und Ante der beste Freund von Jaron. Sie waren alle gleichaltrig und besuchten gemeinsam die Dorfschule. Cara schwärmte heimlich für Jaron und war sehr traurig, dass sie ihn jetzt mindestens ein Jahr nicht sehen würde. Aber sie hatte sich vorgenommen, ihm sehr viele Briefe zu schreiben und vielleicht würde sie ihm heute einen Kuss geben.

    Endlich hatte Nicola ihre Arbeit beendet, der Tee stand in dampfenden Bechern auf dem groben Holztisch und sie setzte die große Schale mit den warmen und herrlich riechenden Pfannenfladen ab. Wie selbstverständlich erhoben sich alle vor Beginn einer jeden Mahlzeit zum Gebet, dass gewöhnlich vom männlichen Oberhaupt der Familie gesprochen wurde.

    „Herr der Elemente, wir danken dir für die reichen Gaben unseres Mahls. Wir bitten Dich um den Schutz für unsere Familie und um besonderen Schutz für unseren Sohn, Jaron. So mag es geschehen."

    „So mag es geschehen.", antwortete die Familie im Chor. Alle setzten sich und begannen zu essen. Die Pfannenfladen schmeckten köstlich und Jaron schaffte sogar drei Stück, die er reichlich mit Honig bestrich, zusammenrollte und genüsslich in seinem Mund verschwinden ließ.

    Nach dem Essen halfen noch alle mit, das Geschirr zu spülen und wegzuräumen bis Ragna seinen Sohn noch einmal beiseite nahm.

    „Jaron, wenn du noch einmal mit mir reden willst oder bei irgendetwas Hilfe brauchst, dann sag Bescheid. Ich fahr heute nicht aufs Meer und bleibe zu Haus."

    „Danke Papa. Bleib nur nachher bei den Zeremonien in meiner Nähe. Ich hab richtig große Angst, irgendetwas falsch zu machen.", antwortete Jaron.

    „Selbstverständlich, mein Sohn, ich stehe direkt hinter dir. Mach dir keine Sorgen. Und nun zieh los und geh noch einmal deine Freunde besuchen.", entgegnete Ragna.

    Jaron umarmte seinen Vater einen Moment länger als gewöhnlich und trottete dann in Richtung Marktplatz des kleinen Fischerdorfes.

    Die Zwillinge Cara und Ante warteten schon am Brunnen auf dem Markt. Ante kurbelte gerade einen Eimer des kalten Brunnenwassers nach oben, um sich zu erfrischen, als Jaron auf den Marktplatz einbog.

    Cara entdeckte ihn als ersten, sprang auf und rannte auf Jaron zu. Sie schlang die Arme um Jaron, küsste ihn ungeschickt auf den Hals und fing an zu weinen. Ihre langen dunklen Haare wehten um die Körper der beiden und verfingen sich in Jarons Gesicht. Cara schluchzte.

    „Und, wann heiratet ihr?", fragte Ante etwas unwirsch, obwohl er diese Szene sehr schön fand und der Gedanke, dass die beiden vielleicht einmal heiraten würden, ihn sehr freute.

    Ante war seiner Zwillingsschwester sehr ähnlich. Bei ihm entwickelten sich jetzt so langsam die männlichen Proportionen, sowie sich bei Cara inzwischen auch deutlich Anzeichen zunehmender Fraulichkeit zeigten. Antes Haare waren natürlich kurz. Aber das tiefe Schwarz seiner Haare und das helle und leuchtende Blau seiner Augen hatte er auf jeden Fall mit Cara gemeinsam.

    Jaron und Cara lösten sich voneinander. Caras hellblaue Augen schimmerten vor Tränen und selbst Jaron fiel es jetzt schwer, seine Traurigkeit zu bezähmen. Alle drei lächelten sich schüchtern an.

    „Ich komme ja in einem Jahr schon wieder für einige Wochen nach Hause.", versuchte Jaron das Schweigen zu unterbrechen und streichelte Cara sanft über den Kopf. Aber ihre Tränen wollten einfach nicht versiegen.

    „Ach, du lernst dort bestimmt sehr viele schöne Mädchen kennen und wirst mich ganz schnell vergessen.", schluchzte Cara wieder los.

    Jaron wusste sich daraufhin nicht weiter zu helfen, als Cara fest in den Arm zu nehmen. Ihre Tränen rannen ohne Unterbrechung über ihre Wangen auf Jarons Schulter.

    „Ich komme immer wieder zurück zu dir, mein ganzes Leben lang.", versprach Jaron plötzlich. Voll Erstaunen riss sich Cara von ihm los und schaute ihm in seine faszinierenden braunen Augen.

    „Du meinst das wirklich ehrlich, Jaron?", stammelte sie.

    „Ja.", war seine kurze und ehrliche Antwort, die keiner weiteren Erklärung bedurfte. Cara umarmte ihn fest und lange.

    „So, darf ich jetzt auch einmal, ich hab diesen Kerl nämlich auch gern.", protestierte Ante lächelnd.

    „Komm her, mein Freund.", sagte Jaron und alle drei lagen sich mit einem Gefühl in den Armen, gerade in diesem Augenblick wieder etwas erwachsener geworden zu sein. Sie hielten sich lange Zeit eng umschlungen aneinander fest.

    „Lasst uns einfach noch ein wenig durch das Dorf gehen und dann am Meer sitzen.", schlug Jaron vor. Keiner widersprach und so gingen sie langsam die kleinen Gassen an den vielen weißen Häusern mit den für die Provinz Dogatal so typischen grünen Dachziegeln entlang.

    Wie es in kleinen Dörfern üblich war, kannte hier jeder jeden. Die Einwohner von Kados, die ihren Weg kreuzten wurden von den Jugendlichen respektvoll gegrüßt. Die meisten von ihnen grüßten zurück. Einige sprachen mit ihnen sogar kurz über das bevorstehende Ereignis. Jaron hatte aber das Gefühl, dass niemand wirklich nachempfinden konnte, wie es ihm im Moment ging. Außer seinen Freunden natürlich und seiner Familie.

    Sie überquerten die grasbewachsenen Dünen, kamen schließlich ans Meer und setzten sich am Strand in den schon recht warmen Sand.

    Der Wellengang war, genau wie das Geschrei der Möwen, im Laufe des Vormittages stärker geworden. In der Ferne, auf dem Wasser, sprangen Delphine vor dem Bug eines der wenigen Boote, die heute auf dem Meer waren, aus dem Wasser. Einer der seltenen Seeadler zog in luftiger Höhe seine Kreise und genoss wohl die ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne.

    Obwohl der Seeadler als Wappentier des Königreiches besonders geschützt wurde und nicht gejagt werden durfte, war er immer seltener zu sehen. Jaron freute sich, diesen wunderbaren Raubvogel beobachten zu können, war er doch auch das Wappentier der Landeswache. Dass dieser Seeadler gerade heute seinen weiten Bahnen hoch über ihren Köpfen zog, hielt Jaron für ein gutes Zeichen.

    Kleine weiße Wolken wanderten langsam über den strahlend blauen Himmel. Die laue Luft streifte angenehm die Haut und das Rauschen der Wellen wirkte beruhigend. Jaron verstand, warum sein Vater so oft vor Tagesanbruch an das Meer ging, um genau diese Augenblicke zu genießen.

    Die drei waren sehr oft hier, wenn sie nicht in den Betrieben oder Haushalten der Eltern helfen mussten und natürlich nur, wenn kein Schulunterricht stattfand.

    Und wie so häufig, schwiegen sie auch heute einfach und waren nur froh, dass sie sich hatten und beieinander waren.

    Als es auf die Mittagszeit zuging, erhob sich Jaron schließlich langsam aus dem Sand.

    „Ich glaube, es wird Zeit, dass ich mich vorbereite.", sagte er, worauf Cara sofort wieder zu schluchzen anfing.

    Jaron sah Cara an, lächelte und nahm ein Lederband mit einem Feuerstein als Amulett von seinem Hals und legte es Cara um ihren Hals.

    „Ich komme zu dir zurück.", versprach er nochmal. Cara gab ihm einen zaghaften Kuss auf den Mund und Jarons Gesicht verfärbte sich dunkelrot.

    „So, dass war ja dann wohl jetzt die Verlobungsfeier.", grinste Ante schelmisch.

    „Na, dich kann ich ja wohl nicht heiraten, Ante.", scherzte Jaron zurück. Alle drei lächelten sich an und machten sich so langsam auf den Weg zu Jarons Haus.

    Als sie gerade die Dünen überqueren wollten, stand plötzlich, wie aus dem Nichts aufgetaucht, ein großer Mann in der dunkelroten Uniform der Landeswache vor ihnen.

    „Major Roman Manescu, Rekrutierungsoffizier der Landeswache.", stellte er sich kurz und in lautem befehlsgewohntem Ton vor.

    „Guten Tag, ich bin Jaron Tymann und das sind meine Freunde, Cara und Ante.", antwortete Jaron freundlich.

    „Dann bist du ja genau der, den ich suche.", sagte der Major und blickte Jaron mit einem durchdringenden Blick in die Augen. Jaron bemerkte nur, dass Cara schon wieder zu schluchzen begann und so nahm er unwillkürlich ihre Hand. Dies schien Cara tatsächlich etwas zu beruhigen und seltsamerweise ihn auch.

    „Ja.", brachte Jaron nur kurz hervor und schluckte.

    „Ein stattlicher und gut aussehender Kämpfer hat sich ja da für uns gefunden.", schmunzelte nun der Offizier und die Stimmung entspannte sich ein wenig.

    „Ich habe eben mit dem Priester des Ordens gesprochen, die Zeremonie beginnt in zwei Stunden. Es ist für dich also Zeit, mit den Vorbereitungen zu beginnen.", fuhr Major Manescu in wesentlich wärmerem Ton fort.

    „Jawohl, Herr Major.", versuchte Jaron vorschriftsmäßig zu antworten. Der Major schmunzelte erneut, machte kehrt und verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war.

    „Oh Mann.", war das Einzige, was Ante hervorbrachte. Cara schlang ihren Arm um Jarons Hüfte und schwieg.

    „Oh Mann.", antwortete auch Jaron nur. So standen sie noch eine Weile in Schweigen versunken, schauten dem Major nach, der ganz plötzlich scheinbar unsichtbar geworden und verschwunden ist, bis sich Jarons Erstarrung endlich löste.

    „Also gut, ich muss dann jetzt wohl los. Seid ihr nachher bei der Zeremonie?", fragte er unsicher. Cara und Ante nickten. Und wieder schwiegen sie einen Augenblick und hingen ihren traurigen und sehnsuchtsvollen Gedanken nach.

    „Es wird sicherlich nachher wenig Zeit für große Abschiede sein, fand Jaron seine Sprache wieder, „wollen wir uns jetzt schon Lebewohl sagen? Wieder nickten beide und keiner rührte sich.

    Jaron wollte gerade einen Schritt auf Ante zu gehen, da sprang Ante schon auf Jaron zu und umarmte ihn fest.

    „Du schreibst mir oft und kommst wirklich jedes Jahr hierher und besuchst uns, ja?", bettelte er.

    „Natürlich mache ich das. Ihr seid mir die wichtigsten Menschen, die ich habe.", antwortete Jaron.

    Auf einmal baute sich Cara vor Jaron auf, stemmte ihre Hände in die Hüften und sah ihm direkt ins Gesicht.

    „Jaron Tymann, ich weiß dass wir eigentlich noch viel zu jung sind. Aber ich liebe dich und das schon ganz lange Zeit. Ich will, dass du zu mir zurückkommst!", forderte sie.

    „Liebe Cara, antwortete Jaron verdutzt und schaute ihr ganz fest in die schönen Augen, „ich weiß nicht, was hier und heute passiert ist. Aber ich glaube, ich liebe dich auch. Ich verspreche dir, dass ich immer wieder zu dir zurückkehren werde.

    Sie nahmen sich fest in den Arm und Jaron spürte ihre und auch seine Erregung. Sie küssten sich lange und diesmal richtig. Einer eigenen und einzigartigen Magie folgend und wie von selbst, fanden sich ihre Zungen, berührten sich und spielten an den Lippen des anderen.

    Verwirrt ließen sie nach einer Weile voneinander ab und lächelten sich verlegen an. Ante legte seine Arme um alle beide, so dass sie einen kleinen Kreis bildeten.

    „Wir gehören für immer zusammen.", beschwor er den Kreis der drei Freunde.

    „Wir gehören für immer zusammen.", antworteten Cara und Jaron im Chor.

    Ihre Wege trennten sich, vorerst aber nur bis zum Beginn der Zeremonie. Cara und Ante gingen in Richtung des Marktplatzes und Jaron bog nach rechts in Richtung des Hauses der Familie ab.

    Das weiß verputzte Haus von Jarons Familie leuchtete hell im gleißenden Sonnenlicht. Auf den grünen Dachziegeln räkelte sich eine Katze genüsslich in der wärmenden Sonne. Jaron öffnete die kleine Holztür und trat direkt die gemütliche Wohnküche mit dem rustikalen Holztisch und den Sitzbänken. Das Geschirr war inzwischen wieder ordentlich in den Regalen an der Wand gestapelt. Auf dem Ofen, der mit Holz befeuert wurde und auch als Kochherd diente, stand ein großer Topf mit heißem Wasser und brodelte vor sich hin.

    Die kleinen Fenster, deren Läden angelehnt waren, ließen nur wenig Licht in den Raum. So musste Jaron mehrmals blinzeln, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Eben stand er ja noch im hellen Sonnenlicht vor der Tür.

    Jaron entdeckte am Tisch seinen Vater, Major Manescu und den für Kados zuständigen Priester des Ordens der Elemente, Bruder Angus von Hage. Jaron trat in die Küche.

    „Guten Tag.", grüßte er freundlich in die Runde.

    „Major Manescu von der Landeswache hast du ja nun schon am Strand kennengelernt, erklärte der Vater, „und Bruder Angus kennst du ja vom Tempel.

    Der Orden betrieb, soweit es personell und auch finanziell möglich war, in jedem größeren Ort einen kleinen Tempel. Dort traf man sich zum gemeinsamen Gebet und jeden Freitagabend zur großen Gebetsfeier. Der Tempel war auch der Treffpunkt für Gespräche mit dem Priester und natürlich der Ort der medizinischen Versorgung, der auch in solchen Belangen ausgebildeten Priester. Zu den medizinischen Versorgungsstunden war auch jeweils eine Ordensschwester von der Insel der Schwestern dabei. Die Schwestern hatten eine gute Ausbildung in der Krankenpflege und konnten vor Ort gemeinsam mit dem Priester des Ordens auch kleinere Operationen durchführen.

    Jaron selbst hat diese Art von Dienst noch nicht benötigt, aber die Mutter hatte ihre Kinder hier im Tempel zur Welt gebracht. Der Vater hatte sich vor zwei Jahren beim Fischen einen Arm gebrochen und ein Freund von ihm hatte sich einmal mit dem Messer verletzt. Beide haben sich dann ebenfalls von Bruder Angus und der hilfsbereiten und freundlichen Ordensschwester behandeln und helfen lassen.

    Bruder Angus war sehr beliebt im Dorf. Hinter seinen klugen blaugrauen Augen steckte ein sehr intelligenter und wacher Geist. Für einen Mann von zweiundvierzig Jahren hatte er noch sehr volles und dunkles Haar. Lediglich sein langer Bart, der sich über die Wölbung seines runden Bauches legte, zeigte einige graue Strähnen. Bruder Angus war ein sehr warmherziger und fürsorglicher Priester, der gern auch einmal einen Becher Wein trank, sehr gut sang und herzlich und laut lachen konnte.

    „In ungefähr zwei Stunden beginnt die Zeremonie, fing Bruder Angus an zu reden, „wir wollen dir jetzt schon einmal sagen, was heute alles passieren wird, bevor du uns dann verlässt. Du bist bestimmt schon etwas nervös?

    „Nervös trifft es nicht ganz. Ich mach mir gleich die Hosen voll, wenn ich nur an die Zeremonie denke.", versuchte Jaron zu scherzen. Bruder Angus fing laut an zu lachen. Dieses Lachen war so ansteckend, dass auch der Major mit einstimmte. Jarons Vater schmunzelte.

    „Also gut, mein großer Junge, fuhr der Priester fort, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, „wenn man weiß, was auf einen zukommt, verliert es schon ein wenig von seinem Schrecken. Jaron nickte zustimmend.

    Mit einen Nicken in Richtung des Topfes mit dem kochenden Wasser auf dem Ofen sprach Bruder Angus weiter.

    „Erst einmal wirst du baden und deine Haare werden gekürzt. Dann ziehst du die Rekrutenuniform der Landeswache an." Bruder Angus zeigt auf ein ordentlich zusammengelegtes Paket mit der einfachen dunkelblauen Uniform für Rekruten.

    Die dunkelrote Uniform bekam ein Soldat erst dann, wenn er nach der Grundausbildung den Eid auf der Insel des Ordens des Tempels der Elemente, nur kurz die Insel genannt, geschworen hatte.

    Diese Grundausbildung dauerte etwa sechs Monate und wurde normalerweise in Worogol, dem Standort der Schule und der Kommandantur der Landeswache durchgeführt. Die verschiedenen Einheiten der Landeswache waren über das ganze Königreich verteilt und erst nach dem Ablegen des Eides und weiteren sechs Monaten Ausbildung, wurden die Soldaten dann zu ihren Einheiten abkommandiert, in denen sie dann für mehrere Jahre ihren Dienst ableisten würden. Aber das würde frühestens in einem Jahr geschehen.

    „Wenn du dann fertig eingekleidet bist, sprach nun Major Manescu, „wirst du dein Pferd satteln und wir reiten zum Markt.

    „Wie? Welches Pferd? Was satteln?", stammelte Jaron nun wieder sichtlich verwirrt und aufgeregt. Jetzt zeigte der Vater Ragna ein breites und fröhliches Grinsen.

    „Na dein Pferd, es heißt Fuego und steht draußen. Der Sattel liegt neben dem Haus.", antwortete er.

    Jaron sprang auf, rannte nach draußen und sah, neben dem Haus angebunden, einen schwarzen Wallach.

    „Das ist ja Wahnsinn, du bist also Fuego.", sprach er das Pferd an. Fuego schnaubte und Jaron ging um das Tier herum, streichelte es und schmiegte sein Gesicht an den Hals des Pferdes. Fuego schnaubte erneut. Beide mochten sich auf Anhieb. Jaron konnte, wie jeder in Marwados, mit einem Pferd umgehen. Reitunterricht war ein Fach in der Schule. Aber ein eigenes Pferd, das war ein Traum für viele Kinder in Kados und dieser Traum ist gerade für Jaron Wirklichkeit geworden.

    Jaron rannte wieder in die Hütte.

    „Das ist wirklich mein Pferd?", fragte er ungläubig in die Runde, ohne jemanden direkt anzusprechen. Der Major und Bruder Angus nickten fröhlich.

    „Ja, mein Sohn, sagte Ragna lächelnd, „das ist dein Pferd. Jeder der zur Landeswache geht, sollte doch auch ein eigenes Pferd besitzen. Und dank meiner alten Verbindungen zu den Pferdhändlern in Rastan, konnte ich Fuego recht günstig für dich erwerben.

    „Danke Papa, stammelte Jaron, „er ist toll. Wir mögen uns schon jetzt.

    „So, Rekrut, sagte Major Manescu im Aufstehen, „ich gehe jetzt noch ein wenig ins Dorf und bin in einer Stunde wieder da. Ich erwarte, dass du dann fertig bist und neben deinem gesattelten Pferd stehst.

    „Jawohl, Herr Major.", brachte Jaron sehr zackig als Antwort hervor.

    „Du wirst einmal ein sehr guter Soldat der Landeswache werden.", erwiderte der Major schmunzelnd, bevor er sich zum Gehen wandte. Mit einem kurzen Nicken verabschiedete er sich von Ragna und Bruder Angus.

    In diesem Augenblick kam Nicola, Jarons Mutter, in die Küche gestürmt. Ihre Augen waren rot und verweint.

    „Ach mein Junge, mein kleiner, großer Sohn.", schluchzte sie.

    „Ich liebe dich, Mama.", erwiderte Jaron und legte seine Arme um Nicolas Hals. Beide schauten sich lange in die Augen und nickten in blindem Verständnis.

    „Ich liebe dich auch, mein Sohn.", sagte Nicola jetzt mit viel festerer Stimme. Sie schwiegen.

    „Und egal, was passiert oder was du je hören wirst, ich werde dich immer lieben.", sprach sie weiter. Jaron nickte nur, auch wenn er nicht ganz verstanden hatte, was seine Mutter tatsächlich damit meinte.

    „Und jetzt ab in den Badezuber, mein Sohn. Lass dir noch einmal von mir den Rücken schrubben.", versuchte Nicola wieder zu scherzen.

    Während des Bades nutzte Bruder Angus die Zeit, um Jaron alle bevorstehenden Ereignisse und Rituale der Rekrutierungszeremonien zu erklären.

    „Zuerst werden dein Vater, der Major, du und ich mit unseren Pferden zum Markt reiten, begann er zu reden, „dort wird schon fast das ganze Dorf versammelt sein. Deine Familie ist ebenfalls bereits dort. Wir werden von unseren Tieren absitzen und der Major wird eine lange und gewichtige Rede halten. Du stehst daneben und guckst ernst., scherzte Bruder Angus. Jaron grinste und nickte.

    „Ist doch noch nicht so schwer, oder?", fuhr er fort.

    „Na, das schaffe ich wohl noch, ohne zu stolpern.", erwiderte Jaron mit einem Lächeln.

    „Dann wird dich der Major aufrufen. Du wirst zwei Schritte vorgehen, dich niederknien und er wird dich mit einem symbolischen Schwertschlag auf den Dienst in der Landeswache einschwören. Am Ende wird er dich zweimal fragen, ob du all das, was er eben gesagt hat, auch geloben willst.", erzählte Bruder Angus fröhlich weiter.

    „Und, was mache ich dann?", fragte Jaron.

    „Na, du antwortest: ‚Ja, das gelobe ich‘, egal, ob du ein Wort verstanden hast oder nicht.", prustete der Priester, über seinen eigenen Scherz lachend, los.

    Jaron stimmte in das Lachen mit ein. In diesem Moment kam die Mutter herein und schrubbte ihm, wie versprochen, den Rücken und Bruder Angus schwieg erst einmal. Er wollte diese letzte Zweisamkeit zwischen Mutter und Sohn nicht stören.

    „Ich hab dir deinen Reisesack gepackt, sagte Nicola, „es ist alles darin, was in dem Brief von der Schule der Landeswache stand.

    „Danke Mama. Hast du auch das Messer und das Rasiermesser dazu gelegt? Die hat mir Meister Mischke, der Schmied, extra angefertigt.", fragte Jaron.

    „Natürlich habe ich daran gedacht.", schmunzelte Nicola. Sie fand diese Geste vom Schmied des Dorfes, der sonst eigentlich als ziemlich geizig galt, sehr liebenswürdig.

    Jaron kam aus dem Holzzuber heraus, trocknete sich ab und wartete auf dem Stuhl, dass ihm seine Mutter noch einmal die Haare auf militärische Länge kürzte. Für Rekruten hieß das auf sechs Millimeter. Jaron war ein sehr hübscher Junge, der seine braunen Haare schon immer recht kurz getragen hatte, so dass der neue Haarschnitt bei ihm gar nicht zu sehr auffiel.

    Nach dieser kurzen Unterbrechung fuhr Bruder Angus dann, freundlich lächelnd, mit seinen Erklärungen fort.

    „Wenn du also das Gelöbnis gesprochen hast, stehst du wieder auf und bleibst dort stehen."

    „Also nicht zurück zu ihnen und Papa?", fragte Jaron.

    „Nein, antwortete der Priester, „jetzt bekommst du noch den Dolch der Wache überreicht. Dieser Dolch wird dich dein Leben lang begleiten. Du darfst ihn nie verlieren.

    „Gut, erwiderte Jaron, „und dann komme ich zurück zu ihnen und Papa?

    „Richtig und lass es dann wenigstens etwas militärisch aussehen.", lachte Bruder Angus schon wieder los.

    „Danach gehen wir zum Tempel und veranstalten eine Gebetsfeier. Am Ende dieser Feier kommst du nach vorn und ich werde dich segnen. Das kennst du ja, oder?", fragte der Priester und Jaron nickte zustimmend. Diese Segnungszeremonien fanden im Tempel regelmäßig und zahlreichen Anlässen statt, aber vor allem dann, wenn sich ein Bewohner aus der Gemeinde der Gläubigen auf eine lange Reise begab.

    „Danach hast du noch kurz Zeit, um dich von deinen Freunden und deiner Familie zu verabschieden. Und dann reitet ihr los, der Major und du.", beendete Bruder Angus seine Ausführungen in einem etwas traurigen Ton.

    Jarons Mutter, die immer noch dabei war, ihm die Haare zu kürzen, drang ein lautes Schluchzen aus der Kehle.

    „Ach, ich mag gar nicht daran denken, dass du heute wirklich gehst und wir uns erst nach einem langen Jahr wiedersehen werden.", sagte sie.

    „Ja Mama, ich weiß. Einerseits will ich gehen, andererseits will ich hierbleiben. Ich fühle mich so zerrissen. Die ganze Zeit habe ich mich gefreut, Kados zu verlassen und jetzt liegt ein so schwerer Stein auf meinem Herzen. Wir müssen alle nachher ganz schön stark sein, oder?", fragte Jaron.

    „Das müssen wir.", antwortete Nicola nur kurz.

    „Dein Pferd ist gesattelt, das Gepäck ist in den Satteltaschen verstaut, mein Sohn.", ließ der Vater verlauten, als er gerade den Raum betrat, der im Augenblick mehr einem Badehaus, als einer Küche glich.

    „Danke, Papa.", erwiderte Jaron.

    „Seid ihr fertig? Der Major kommt bestimmt gleich.",

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