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Avenea: Der Zorn der Wasser
Avenea: Der Zorn der Wasser
Avenea: Der Zorn der Wasser
eBook1.339 Seiten20 Stunden

Avenea: Der Zorn der Wasser

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Über dieses E-Book

Der neugebaute Damm, der Avenea vor den alljährlichen Fluten bewahren soll, bricht. Gleichzeitig wird die Insel, von skrupellosen Besatzern heimgesucht. Großkönig Malakaj muss die verfeindeten Stämme, gegen die Eindringlinge vereinen. Doch seit dem Tod seines Bruders, besäuft er sich regelmäßig bis zur Bewusstlosigkeit.
Erik ist plötzlich der Häuptling seines Stammes. Eine verbotene Liebe, düstere Rachegelüste und die Hoffnung den Grünen Fluss zu bändigen, treiben den jungen Mann voran. Ahnungslos, mit welchen Mächten er es wirklich zu tun hat.
Der Novizin Kaylan widerstrebt es, eines Tages Hohepriesterin zu werden. Um gegen die übermächtigen Feinde Avenea`s, den Hauch einer Chance zu haben, durchlebt sie eine ebenso unfreiwillige, wie unglaubliche Metamorphose. Dennoch, weitaus größere Angst als jeder Bösewicht, bereitet ihr der Gedanke, ihrer Mutter und ihrer großen Liebe, in ihrer neuen Gestalt gegenüberzutreten.

Begib dich auf eine atemberaubende Reise voller Magie, epischer Schlachten, Verrat und Liebe.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Nov. 2020
ISBN9783347190993
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    Buchvorschau

    Avenea - Robert G. Horváth

    KAPITEL 1

    DAS LIED VOM GRÜNEN FLUSS

    ***1*** Avensela, schien gezähmt! Der grün schimmernde Strom, dank dessen reges Leben auf der Insel Avenea herrschte. Allerdings, so friedvoll und dienlich sein Gemüt meist auch war, wenn es sich trübte, dann herrschten Chaos und Zerstörung. Der Damm befand sich im Ursprungsgebirge, nur wenige Stunden von Avensela`s Quelle entfernt. Obwohl die Insel auch in kälteren Breitengraden lag, war das Wetter gemäßigt und Avenea beherbergte alle Jahreszeiten. Alljährlich, kam zum Ende des Sommers der Avnun. Eine sintflutartige Regenzeit, die oft wochenlang und ohne Unterbruch anhielt. Durch eben diesen Avnun, trat der Grüne Fluss Jahr für Jahr aus seiner Bahn und flutete das Land. Ernten wurden zunichtegemacht, Häuser zerstört, Bewohner vertrieben. Doch trotzdem! Die Menschen liebten ihre Heimat und sie liebten ihren Fluss. Die wenigsten waren bereit, die Städte, die am Strom lagen, zu verlassen. Stets frisches Wasser, schnelle Verkehrsverbindungen, reichhaltige Fischvorkommen und Bewässerungsmöglichkeiten, waren nur einige der Vorteile, welche die Menschen an den Fluss banden. So hatten sie sich mit dem Hochwasser arrangiert und nahmen es in Kauf, fast alljährlich, für kurze Zeit, ihre Häuser zu verlassen. Natürlich war die Verwüstung stets in Flussnähe am gewaltigsten. Dennoch spürten ab und wann, auch entferntere Gegenden, denen der Fluss selbst nichts anhaben konnte, die Auswirkungen der Regenfälle stärker als gewöhnlich. Überlaufende Bäche und Tümpel, Erdrutsche und Felsschlag, konnten auf der gesamten Insel, für Unheil sorgen. Gleichwohl von ihrer geliebten Insel Avenea fortzuziehen, war für ihre Bewohner noch undenkbarer, als die Städte am Fluss zu verlassen. Weder die alljährlichen Todesopfer, deren Zahl stets zwischen zehn und fünfzig schwankte, noch die totale Zerstörung ihrer Heime, konnten die Menschen dazu bewegen. Wobei man beim Hausbau, vor allem in Städten die am Fluss lagen, natürlich bemüht war, so zu bauen, dass die Häuser und Bauten dem Wasser ohne Weiteres standhielten. Andererseits war das Land, eben dank dieses unzähmbar scheinenden Flusses, von satten grünen Wiesen und Wäldern überzogen. Denn abgesehen vom Avnun, regnete es die restliche Zeit des Jahres eher selten und wenn, dann meist nur karg. Zu wenig, als dass es den Feldern hätte genug Leben spenden können. Weshalb Wasserkanäle, sie mit dem nötigen Nass versorgen mussten. Ackerböden, die in sicherer Entfernung vom Fluss lagen, konnten so Jahr für Jahr genug Ernte hervorbringen, um die Bevölkerung nachgiebig zu ernähren. Ein gut florierender Handel, war auf der gesamten Insel gewährleistet. Avensela verlief von den Höhen des Quellberges Bronn, der mit seiner Nordseite steil ins Eismeer fiel, bis zum südlichsten Punkt der Insel. Dort mündete sein Strom in den venetischen Ozean. Bronn`s altehrwürdigen Gipfel, speisten den Grünen Fluss aus den Schnee- und Eismassen, welche sie das ganze Jahr über wohlgesinnt bedeckten. So vermochte Avensela, mit seinen drei Nebenarmen, die Insel über das gesamte Jahr, mit lebensspendendem Wasser zu versorgen.

    ***2*** An der Sichtgrenze war keine untergehende Sonne zu sehen. Schwarze Wolken bildeten eine gespenstische Mauer, soweit das Auge sehen konnte. Beherzt blickte Andar zum Horizont. Der Sturm konnte kommen! Die Arbeiten am Damm waren vollendet. Seit elf Tagen, seit dem Beginn der Regenzeit, hielt er dem Wasser stand. Der so entstandene Stausee, hatte die Form eines Dreiecks. Der Damm selber war vierhundert Meter lang und vierzig hoch. Das imposante Vorgebirge des Berges zäunte den Stausee ein, so als wäre er natürlich entstanden. Nur so viel Wasser wurde durch den Damm gelassen, dass der Fluss in seiner landläufigen Größe durch die Täler fließen konnte. Rasch erbrach sich der Regensturm übers Land. Andar lief in Begleitung von Jarrko, seinem Bauzeichner, über den Damm.

    „Wir sollten die Durchlassluken weiter öffnen!, rief Jarrko, während ihnen der Regen in die Gesichter peitschte, „der Druck könnte zu stark werden, wenn es mit diesem verfluchten Regen so rastlos weitergeht!

    „Morgen Jarrko! Das Wasser reicht nicht mal bis zur Hälfte des Dammes. Lass uns in die Taverne gehen. Die Männer wollen mit uns auf den Erfolg trinken. Sie haben es sich verdient zu feiern, nach der endlosen Schufterei. Sei unbesorgt! Der Zorn der Wasser ist gebändigt, mein Freund! Na los, gönnen wir uns etwas Vergnügen."

    ***3*** „Asla! Noch eine Runde Met!" Andar`s Bestellruf ging fast unter im bunten Stimmengewirr. In der Wirtschaft zum Damm herrschte ausgelassene Stimmung. Bis auf wenige, der insgesamt vierundfünfzig Arbeiter des Dammbaudorfes, befanden sich alle in der Taverne und feierten die Fertigstellung des Dammes.

    „Kommt sofort!", rief Asla zurück, während sie ein neues Fass anzapfte. Einige Augenblicke später, stand die junge Bedienung seitlich am Tisch und hielt drei überlaufende Gläser in den Händen. Mit einem Knall setzte sie den Met auf den Tisch.

    „Hab Dank mein Herz!", rief Ingvain.

    „Ja mein Herz! Hab Dank!", äfften ihn seine Freunde, unter Gelächter nach. Ingvain lachte nur über die Sprüche seiner Kameraden, Asla hingegen verdrehte genervt die Augen und machte sich, ohne „zum Wohl" zu sagen, von dannen. Auch wenn es im gesamten letzten Jahr, niemals wirklich böse oder anrüchig gemeint gewesen war, sie war es einfach leid, sich tagtäglich, die blöden Sprüche der Arbeiter anzuhören.

    Andar stieg schwankend, in der einen Hand sein Glas, in der anderen seinen wohlgenährten Ranzen haltend, auf den Tisch. Die Taverne war erfüllt vom Qualm verschiedenster Sorten Pfeifenkraut, die sich auf Andar`s Höhe, zu einem unbestimmbaren, wohlriechenden Gemisch versponnen hatten.

    „Hört mal alle her!" Der überschwängliche Gesprächslärm fraß Ändar`s Worte, wie eine Pfütze einen Regentropfen.

    „Hört mal her! Hört mal alle her!", Andar schrie die Worte diesmal heraus, als würde es um sein Leben gehen. Die ersten Köpfe drehten sich fragend in seine Richtung.

    „Du alter Sklaventreiber! Was willst du schon wieder? Ist dir wohl nicht genug, dass du uns ein Jahr lang rumgehetzt hast?", plärrte eine tiefe Stimme, mit gespielter Verächtlichkeit, von einem der Tische zu ihm hinüber. Daraufhin stimmte der ganze Saal in eine übersprudelnde Lachsalve ein. Andar hielt sich seinen runden Bauch vor Gelächter und versuchte die Fassung wiederzukriegen.

    „Meine lieben Freunde! Wir haben seit einem Jahr, Tag für Tag, am Bau des Dammes zusammengearbeitet!, begann er, als er sich endlich beruhigt hatte, „wir haben unsere Familien und unsere Heime verlassen, um uns, und vor allem unseren Kindern, eine Zukunft ohne Überschwemmungen zu ermöglichen. Es ist das erste Mal, in Avenea`s über tausendjähriger Geschichte, dass alle Kenoren-Stämme zusammengearbeitet haben. Dabei ist etwas Großes entstanden. Ich danke euch allen für eure aufopfernde Hingabe, mit welcher ihr euch abgemüht habt. Und ich trinke mit euch, auf ein glückliches und langes Leben, auf einen gezähmten Fluss und eine für alle Stämme friedvolle Zukunft! Andar hielt sein Glas in die Höhe und schrie sich den Frust und die Zweifel des letzten Jahres aus dem Leib. Die ganze Taverne bebte, als alle Anwesenden, mit den Füßen stampfend, in seinen Trinkspruch einstimmten und vor Erleichterung aufschrien. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht stieg Andar wieder vom Tisch und liess sich seufzend zwischen seine Freunde sinken.

    „Was werdet ihr nun machen? Wo führt es euch hin?", fragte Andar und blickte dabei auf Ingvain, seinen Bauleiter.

    „Ich und meine Liebste werden morgen auf geradem Weg nach Daleth reiten. Ich werde mit meinem Bruder und meinen Vettern endlich wieder das Horn heben. Und mit ihnen zusammen, wie immer, für Recht und Ordnung in unseren Landen sorgen! Und wie ihr wisst, ist meine Hochzeit mit Asla im Herbst. Ich hoffe ich sehe euch beide dort", antwortete der Hüne, mit einem Lächeln auf dem bärtigen Gesicht.

    „Und du? Was sind deine Pläne Jarrko?" Andar blickte den Bauzeichner mit entspannten Gesichtszügen an.

    „Mein Junge wird nächstes Frühjahr acht! Es ist an der Zeit, dass sich sein Alter Herr, Jarrko klopfte sich an die Brust, wobei er einen Anflug von Stolz nicht verbergen konnte, „mit ihm beschäftigt und sein Handwerk an ihn weitergibt. Ein zweites Kind steht auch noch auf dem Plan und es gibt immer irgendwelche Gebäude zu renovieren oder zu planen. Es war ein lehrreiches Jahr, doch ich bin froh, bald wieder an meiner geliebten Westküste zu sein. Jarrko und Ingvain blickten nun fragend ihren Bauherren an.

    „Und ich werde die Verantwortung bald meinem Sohn abgeben, Andar lehnte sich, behaglich ausatmend, tief in seinen Stuhl, streckte die Beine überkreuzt von sich und legte die verkeilten Hände an den Hinterkopf, „Erik ist ein kluger Bursche, er genießt das Vertrauen der Menschen im ganzen Iskeyn-Reich. Sogar die Hohepriesterin lobt ihn, in den höchsten Tönen. Er wird der bessere Stammesführer, als es sein Alter Herr jemals gewesen war. Bald werde ich einfach das Leben auskosten, mich den schönen Dingen widmen. Und auf unsere Zukunftspläne sollten wir noch einmal anstoßen Freunde!, gellte Andar zum Schluss. Woraufhin drei Gläser über der Tischmitte zusammenknallten und ihren wertvollen Inhalt in durstige Schlünde gossen.

    ***4*** „Asla, sing uns ein Lied!", tönte es von einem der Tische.

    „Ja Asla! Sing!"

    „Sing für uns! Sing uns das Lied vom Grünen Fluss!, stimmten andere mit ein. Zaghaft, mit geröteten Wangen, lief Asla in die Mitte des Wirtschaftsraumes, legte ihre Querflöte und Sängerharfe auf den Tisch vor sich und setzte sich. Ihre blonden, hüftlangen Haare, waren zu einem dicken Zopf geflochten. Wild umschmeichelten einige entflohene Strähnen ihr ernstes Gesicht. „Nur weil ich weiß, dass ich euch Quälgeister ab morgen los bin!, rief sie verlegen lächelnd und erntete von allen Seiten Zurufe und heiteres Gelächter.

    Dann, mit einem Male, wurde aus dem unsicher watschelnden Entlein ein anmutiger Schwan. Im Geiste schon im Liede versunken, führte Asla ihre Querflöte an den Mund und stimmte an. Ihre Melodie war mal erdig tief, mal sphärisch hoch, ein Rauf und Runter, wie der Lauf des Flusses, ja wie das Leben selbst. Die gesamte Gaststätte wiegte sich in ihrem wohlklingenden Flötenspiel, das genau hundert und drei Herzschläge andauerte. Zögernd, als löste sie sich nur mit Widerwillen von einem feurigen Liebhaber, entzog sie dann ihre Flöte den Lippen, legte sie auf den Tisch und nahm die kleine Harfe zur Hand. Geschickt flogen ihre Finger über die Saiten. Die Melodie die sie spielten, war etwas zwischen Langsam und Schnell. Sie bestand aus sechs, sich wiederholenden Tönen, hörte sich leidvoll und doch wunderschön an und sie war klar. So klar und durchdringend, dass ihr Klang durch die Menschen, den Raum und selbst durch die Zeit hindurchströmte, wie sanfte Wellen durch stilles Wasser. Sacht öffneten sich Asla`s Lippen. Alles horchte, die Augen glasig, die Ohren gespitzt. Viele seufzten vor Entzücken auf, als sich ihr kristallener Gesang zum Harfenspiel gesellte.

    Blüten im Wind, segeln an Dir vorüber

    golden der Abglanz, des Sonnenscheins

    uferlose Zeiten, voll plätschernden Treibens

    fließt Du beharrlich, durch üppiges Tal

    lichtkühle Erlen, farbenfrohe Blumen

    neigen ihre Häupter, Dir tüchtig zu

    reifende Äcker und samtene Wiesen

    buhlen um die Gunst, vom Grünen Fluss

    fruchtbares Ersehnen, erblüht über`s Land

    oh helllichte Welt

    bricht dann die Flut, tosend hernieder

    donnernd der Zorn, des Himmelspiels

    ungewisse Stunden, voll rasender Wut

    strömst Du verwüstend, durch Heim und Gut

    prächtige Tempel, allmächtige Deiche

    krümmen ihr Gemäuer, Dir machtlos zu

    wimmernde Mütter und flehende Weiber

    klagen um die Opfer, vom Grünen Fluss

    zerflossene Hoffnung, flutet das Land

    oh finstere Welt

    Asla ließ den letzten Ton der Harfe verklingen, führte ihre Flöte wieder an ihren schwungvollgeformten Mund und flocht erneut ihre eingängige Anfangsmelodie in die Luft. Unversehens herrschte Stille. Die Sängerin hatte soeben das Flötenspiel beendet. Die Herzen der Anwesenden pochten alle im selben, schwerfälligen Takt, der kaum merklich durch die Luft vibrierte. Denn ein Jeder, kannte ein Schicksal aus der eigenen Familie, das durch Avensela`s Wasser einen tragischen Verlauf genommen hatte. So auch Asla. Wie eine einstürzende Mauer erbrach sich ein tosendes Geklatsche über der jungen Frau. Beschämt hielt sie sich die Ohren zu und verschwand, unter den Jubelrufen der Arbeiter in der Küche.

    „Guten Abend, die Herren!" Andar und seine Freunde drehten ihre Köpfe überrascht in Richtung der Stimme. Neben ihrem Tisch stand ein großgewachsener, hagerer, junger Mann. Seine langen, blonden Haare rahmten sein weiches, nur von einem leichten Flaum bedecktes Gesicht ein und ließen ihn auf den ersten Blick, nicht klar als Mann erkennen. Nur seine durchdringenden Augen, ließen sofort erahnen, dass es sich hier um einen Jungsporn handelte.

    „Wie können wir dir helfen, Helder?", fragte Ingvain.

    „Es macht seit längerem das Gerücht die Runde, dass Ingvain der beste Bogenschütze Avenea`s sein soll. Ich fordere ihn hiermit zum Wettkampf heraus. Ich fordere dich zum Kerzenschiessen heraus, Ingvain von Daleth!"

    „Wer behauptet denn sowas?, Ingvain kreiste übertrieben mit den Augen, „ich? Der beste Bogenschütze Avenea`s? Na wenn ich der beste bin, sollte ich doch zustimmen. Jetzt sofort, oder ist die Hand noch wacklig vom Met mein Junge? Ingvain blickte Helder mit gespitzten Lippen herausfordernd an.

    „Jetzt sofort! Ich setzte meinen gesamten Jahreslohn von dreißig Goldstücken!", gab Helder umgehend, mit zusammengekniffenen Augen, zurück.

    „Na dann, lasst uns alles vorbereiten, willigte Ingvain grinsend ein. Der schmächtige Jarrko sprang mit einem Male auf den Tisch und kündete überschwänglich von der freudigen Neuigkeit: „Es gibt einen Wettkampf Freunde! Ein Kerzenschiessen! Los raus mit euch, die Wetten laufen über mich!

    Verblüfft wurde von den anderen Tischen zu ihnen herübergeäugt und die ersten erhoben sich auch schon mit ihren Weinflaschen, Bierkrügen, Whiskeygläsern und Mettassen, um sich das Spektakel anzusehen.

    ***5*** Eine halbe Stunde später war das gesamte Dammbaudorf, trotz des anhaltenden Regens, auf dem Dorfplatz versammelt. Es wurden über zwei Dutzend Wetten über Jarrko abgeschlossen, was seinen Goldbeutel um einiges erschwerte. Sollte Ingvain gewinnen, hätte er noch mehr Grund zur Freude. Das Ziel war klar. Es galt sechs Kerzen mit brennenden Pfeilen zu entzünden. Die ersten drei Kerzen, mussten die Teilnehmer aus dreißig Metern entfachen, die restlichen drei aus fünfzig. Die Kerzen wurden übereinander im Dreieck aufgestellt, wobei die links Untere etwa zwei Handbreit höher lag, als die Rechte.

    „Ihr kennt die Spielregeln! Jeder hat fünf Schuss für beide Entfernungen! Gelingt es einem von euch, ohne Fehlschuss, alle sechs Kerzen zu entzünden, so hat dieser gewonnen. Sollte es euch beiden gelingen. Fangen wir von vorne an, bis einer unterliegt! Kurz gesagt, Sieger ist derjenige, welcher weniger Schuss benötigt! Habt ihr noch irgendwelche Fragen? Andar schaute die beiden an, wartete einen Moment und schrie in die Zuschauer: „So soll der Wettkampf beginnen! Die Menge antwortete mit Applaus und begeistertem Jubel.

    Ingvain war bei dreißig Metern als Erster dran. Gelassen warf der Hüne seinen Umhang auf den Boden. Unter seiner braunen Lederweste, zeichnete sich sein stämmiger Oberkörper ab. Mit ruhiger Hand legte er den Pfeil auf die Sehne und tauchte ihn in den Behälter mit dem flüssigen Pech, der zwischen den beiden Kontrahenten, über einem kleinen Feuer stand. Anschließend hielt er die Pfeilspitze ins Feuer. Mit der Gelassenheit eines fischenden Bären, legte Ingvain den Bogen an und visierte die obere Kerze an. Die Kerzen waren anderthalb Pfeillängen, von der Holzwand entfernt, an der sie durch einen Metalldraht befestigt waren. Die ganze Zielvorrichtung wurde von einer Holzkonstruktion überdacht, damit sie bei dem strömenden Regen nicht nass wurde. Um sicherzugehen, dass das Feuer der Pfeile trotz der nur einen Bruchteil eines Wimpernschlages dauernden Berührung, auf die Kerzen überschwappte, wurden die Dochte vorgängig in Öl getaucht. Damit die Wettkämpfer, die Kerzen im nächtlichen Regen auch gewiss sehen konnten, waren links und rechts, neben den Zielen, Fackeln aufgestellt. Von Blitz und Donner begleitet, streckte Ingvain seine Finger und ließ die Sehne los. Surrend flog der Pfeil durch die Nachtluft und zog eine rötliche Linie hinter sich her. Das Geschoss schlug, hinter der oberen Kerze, in die Holzwand ein. Wie durch den Aufschlag zum Leben erwacht, brannte die Kerze auf. Eifrige Jubelrufe stiegen in die Nacht. Völlig unbeeindruckt von seinem Treffer setzte Ingvain erneut einen Pfeil an und brachte die Kerze links unten zum Brennen. Nach dem dritten Schuss brannten drei Kerzen, auf der Zielkonstruktion vor ihm. Tosender Beifall hing in der Luft, die Laune lag jetzt schon auf dem Höhepunkt. Helder hatte Ingvain genauestens beobachtet. Sein Blick haftete auf ihm, bis dieser in der Menge verschwand, um ein Horn Met zu heben. Der tollkühne Herausforderer erfüllte die erste Disziplin, ebenfalls fehlerlos. Was die Stimmung und die Spannung auf dem Platz ins Unermessliche trieb.

    Nach einer kurzen Pause war es an Helder, als erster aus fünfzig Metern zu treffen. Mit den geschmeidigen Bewegungen einer anschleichenden Wildkatze, legte er den Pfeil auf seinen edel verarbeiteten Bogen und hielt ihn in die Flammen. Er nahm das Ziel ins Visier und löste die Sehne nach einem kurzen Moment der Anspannung. Der lodernde Pfeil schoss zischend durch den Regen. Gedämpft aber unbeirrt, entzündete sich die Kerze rechts unten. Die Meute jubelte. Der zweite Feuerpfeil wuchtete sich in das Holz. Die Kerze brannte. Ingvain horchte auf und beobachtete seinen Herausforderer. Sollte es Helder gelingen, beim nächsten Schuss die Kerze zu entzünden, so wäre er der Erste, der mit ihm gleichziehen würde und ihn in eine zweite Runde drängte. Waren es doch Ingvain selbst und sein Vetter Valmir, die das Kerzenschiessen, an einem gelangweilten Wintertag, ersonnen hatten. Helder stand wie aus Stein gemeißelt da. Die Flamme auf dem Pfeil zuckte nervös im Wind. Sein Haar wirbelte wild durcheinander. Nach einer kleinen Ewigkeit, entließ er den Pfeil auf seinen Weg. Dem Schützen gingen im Zeitraum vom Loslassen bis zum Einschlagen des Pfeiles, so viele Gedanken durch den Kopf, dass er das Gefühl hatte, als würde er aus einem wirren Traum erwachen, als sich der Pfeil mit einem erstickten Klagen in das Holz keilte. Unzählige, von Honigwein, Bier und Schnaps, wirr kreisende Augen, versuchten genau auf die Kerze zu schauen, nicht allen gelang es. Anfangs unwillig, entzündete sich dann die Kerze mit einem Aufflackern. Grenzenlose Begeisterung brach aus. Helder warf seinen Bogen in die Luft, woraufhin ihn seine Freunde, mit Siegesparolen und Schulterklopfen, in Empfang nahmen.

    Ingvain stand, mit der brennenden Pfeilspitze im Anschlag da. Ohne lange zu zielen, ließ er den Pfeil fliegen, geradewegs auf sein Ziel zu. Eine, aus dem Nichts auflodernde, Böe brachte die Luft unverhofft zum Strudeln. Einige Arbeiter, die Regenhüte trugen, hatten dabei das Nachsehen. Auch Ingvain`s Pfeil wurde vom Wind hin und her geworfen, hielt jedoch weiter Richtung Ziel zu. Ein hölzerner Aufschlag. Alle Augen starrten auf die Kerze. Gespanntes Warten! Doch der Docht der Kerze blieb dunkel. Aufschreie er Entrüstung wurden laut, übertönt von den Jubelrufen Helder`s und seiner Entourage.

    „Das muss wiederholt werden, das war nicht fair!", schimpften Stimmen aus der Menge, deren Besitzer auf Ingvain gesetzt hatten.

    „Das ist schon in Ordnung so, die Laune der Witterung gehört zum Spiel dazu, sprach Ingvain ruhig, „es ist noch nicht vorbei!, und blickte augenzwinkernd zu Helder hinüber. Ingvain überprüfte die Spannung seines schlichten Bogens. Mit vor Konzentration steinernen Miene, schottete er die jaulende Menge von sich ab. Er hörte sie nur noch von weit entfernt, wie durch eine Mauer. Sehen konnte er nur noch sein Ziel. Mit starren Augen und ruhig schlagendem Herzen, nahm er einen Pfeil aus dem neben sich stehenden Köcher und spannte ihn in die Sehne. Zur Verblüffung der Zuschauer nahm er zwei weitere Pfeile und spannte sie ebenfalls in den Bogen.

    „Seht nur, Ingvain spannt drei Pfeile aufs Mal! Seht!, raunte es aus der Menge. Alle Köpfe, die das Spiel schon für entschieden gehalten hatten, drehten sich in Ingvain`s Richtung. Einen Pfeil nach dem anderen, hielt der Hüne aus Daleth in das flüssige Pech. Unter Zischen entzündeten sich die Projektile im Feuer kurz nach einander. Ingvain legte an. Mit einer leichten Linksbewegung drehte er den Bogen ab. Indem er mit den Fingern der rechten Hand auseinanderrückte, passte er den Abstand zwischen den Pfeilen seinen Zielen an. Die Pfeile lagen jeweils nur auf einem Finger. Behutsam senkte er sich in die Hocke herab und setzte sich, halbbeschwert auf seinen rechten Fersen. Den Bogen leicht schräg vor dem Kopf haltend, visierte er die drei Kerzen an. Der etwas geruhigte Regen, tänzelte ihm leichtfüßig auf dem Gesicht herum und verquirlte sich in seinem verworrenen Bart, zu mehreren kleinen Sturzbächen. Wie drei Seite an Seite fliegende Sternschnuppen, flogen die Pfeile leicht schräg nach oben davon und färbten die Luft hinter sich für einen Moment rotblau. Ein Heer aufgeregt funkelnder Augen, verfolgte die Projektile. Just im selben Augenblick schlugen die Pfeile, mit einem polternden Schall, im Holz ein. Die Welt schien stehen geblieben. Die Kerzen blieben dunkel. Dann! Fast zeitgleich, flackerten alle drei Dochte, zuerst blau schimmernd, dann ganz in ein orangerot gehüllt, auf. Die Zuschauer waren nicht mehr zu bremsen. Sie liefen zu Ingvain, packten ihn an Beinen und Armen und warfen ihn, unter Rufen seines Namens in die Luft. Lachend ließ er den Übermut seiner Kameraden, über sich ergehen. Als seine Füße wieder den Boden berührten, wurde er von Andar als Sieger ausgerufen: „In einem an Spannung noch nie dagewesenen Wettkampf im Kerzenschiessen! Obsiegt Ingvain über Helder, der um sechs Kerzen zu entzünden nur fünf Schuss benötigte. Seinen Gewinn von dreißig Goldstücken, kann der Sieger bei mir abholen! Ingvain ging zu Andar und nahm zwei Sack, mit je dreißig Goldstücken, entgegen.

    „Heute Nacht, gebe ich einen aus! Undzwar für alle!", rief Ingvain gut gelaunt, woraufhin er wieder stürmisches Freudengeheul erntete. Auf dem Weg zur Wirtschaft zum Damm wurde Ingvain, von einer Hand an der Schulter festgehalten. Aus reumütig schwarzen Augen, blickte ihn Helder friedvoll an.

    „Ich hätte mich nicht mit Avenea`s Meister anlegen dürfen. Das war ein beeindruckender und gleichermassen verdienter Sieg. Dein Ruf ist kein bisschen überspitzt!" Ingvain und Helder fassten sich an den Unterarmen und umarmten sich lachend.

    „Avenea braucht mehr von deiner Sorte Helder. Du erinnerst mich an mich selber, als ich in deinem Alter war. Hier fang!" Völlig überrascht, fing Helder den braunen Goldbeutel auf, den er an seinen Gegner verloren hatte.

    „Aber mit deinem gesamten Jahreseinkommen einzusteigen, zeugt doch von etwas zu viel Hochmut mein Freund!", lachte Ingvain.

    „Nimm dein Gold zurück! Keiner der hier geschuftet hat, soll mit leeren Händen Heim kehren! Ist noch alles drin, doch die Runde spendierst du! Du Draufgänger!" Gut gelaunt liefen die zwei Männer in die Taverne.

    ***6*** Kurz vor Mitternacht, verabschiedete sich Ingvain von seinen Kameraden und wünschte eine gute Nacht. Um den Kopf, vor dem Schlafengehen, noch ein wenig klarzukriegen, machte sich der Hüne zu einem Spaziergang auf. Kurze Zeit später, verließen auch die letzten Männer, bester Laune und schwankend, die Taverne. Der Truppenkoch entleerte gerade seine Blase am großen Apfelbaum, als einige Schritt daneben, der junge Schreiberling des Bauherren, sein Abendessen hochwürgte.

    Ein Gebrüll, eines Löwen gleich, hallte plötzlich durch das nächtliche Dammbaudorf. Es war Ingvain. Er rannte mit seinen zwei Doppeläxten durch das Dorf. „An die Waffen! An die Waffen ihr Säufer! Wir werden angegriffen! An die Waffen, ihr elenden Bastarde!"

    Eine gut sechzig Krieger starke Reiterschar, fiel in das Arbeiterdorf ein. Noch bevor die meisten zu den Waffen kamen, wurden sie niedergemetzelt. Ingvain, einer der wenigen Krieger im Dammbaudorf, stürzte sich brüllend auf die einfallenden Reiter. Mit wütender Miene, hackte er seine rechte Axt in die Vorderläufe eines, neben ihm durchtrabenden Pferdes. Der qualvolle Laut, der dem Tier entfuhr, erinnerte mehr an einen Menschen denn an ein Ross. Ingvain ließ sich indes nicht aus der Ruhe bringen und enthauptete mit der linken Axt den Reiter, noch in dessen Fall. Zwei Angreifer ritten direkt auf Ingvain zu. Ohne sich auch nur zu räuspern, wartete er ab. Als die Reiter auf zwanzig Schritt waren, schleuderte er seine Äxte in ihre Richtung und traf beide Angreifer tödlich, in die Brust. Unkontrolliert, mit den seitlich herabhängenden Leichen ihrer Herren auf ihren Rücken, trabten die Pferde beidseitig an ihm vorbei. Ingvain zog sein Schwert und warf es von einer Hand in die andere, dabei versuchte er, so gut es ging, das Chaos um sich abzuschotten. Unweit von ihm, hatte sich um Helder eine fünfmannstarke Bogenfront gebildet. Ihre surrenden Pfeile, holten mehrere der Angreifer von ihren Pferden. Es dauerte jedoch nicht lange und alle Männer um den tollkühnen Jungsporn, wurden von den Angreifern niedergestreckt.

    Zwei vom Pferd gefallene Eindringlinge, rannten mit Schwertern auf Ingvain zu. Geschickt glitt er im nassen Gras, auf den Knien, zwischen ihnen hindurch und schlug den Rechten von den Beinen. Der andere, drehte sich wieder zu ihm und rannte auf ihn zu. Eisern prallten ihre Schwerter aufeinander. Wie von Sinnen versuchte der Angreifer Ingvain den Kopf abzuschlagen. Doch dieser duckte sich, in einer schwungvollen Drehung unter dem Hieb weg, drehte mit erhobenem Schwert weiter und schlug seinem Gegner den Kopf, von hinten, ab. Noch bevor, das Haupt seines Rivalen auf dem Boden aufschlug, wurde Ingvain von drei Männern rücklings gepackt. In seine Brust bohrte sich ein Dolch und er sank auf die Knie. Nebenbei schlug ihm ein vorbeireitender Krieger, die linke Hand ab. Ein weiteres Schwert schlug ihm eine klaffende Wunde in die Seite. Benommen ging er im prasselnden Regen zu Boden. Jarrko tötete etliche Angreifer mit dem Bogen, bevor ihn zwei tödliche Axthiebe trafen. Der erste hatte seine rechte Schulter, beim Halsansatz gespaltet. Er sackte auf die Knie. Der zweite Axthieb hatte sich in sein Herz gewuchtet und erlöste ihn, aus seinem lähmenden Todesmoment.

    ***7*** Als Andar wieder zu sich kam, lag er in einer wässrigen Blutlache. Dort wo sein rechtes Auge hätte sein sollen, klaffte ein blutverschmiertes Loch. Sein Kopf pochte und fühlte sich an, als sei er auf die Größe eines Drachenhodens angeschwollen. Langsam raffte er sich auf die Knie. Der Regen hatte fast gänzlich aufgehört. Ungläubig, schaute er sich mit seinem intakten Auge um. Was Andar sah, lähmte ihn vollends. Das Dorf war zerstört, die meisten Toten lagen draußen auf dem blutgetränkten Schlammboden. Die Mehrzahl von ihnen erkannte er sofort, außer sie waren bis zur Unkenntlichkeit zerschunden. Wie die Leiche neben ihm, die ihn an grobgehacktes Eintopffleisch erinnerte. Schwer und eisern, hing der Gestank von Blut in der nassen Luft. Urin und Exkremente waren zwei weitere, dominierende Gerüche. Nur knapp gelang es ihm, seinen Brechreiz zu unterdrücken. Er kannte jeden von ihnen. Seit einem Jahr arbeiteten sie Tag für Tag, am Bau des Dammes, der endlich Avensela bändigen sollte.

    Einige Schritt neben sich, hörte er ein leises Wispern: „Asla! Asla!" Auf allen vieren, folgte Andar der Stimme. Der Anblick ihrer Quelle, versetzte ihm einen Stich ins Herz. Blutüberströmt und ohne linke Hand, lag Ingvain im wässrigen Gras, den Namen seiner Verlobten winselnd.

    „Andar! Wo ist Asla?"

    „Es tut mir leid mein Freund, sie haben alle Frauen verschleppt."

    Andar wagte es nicht, Ingvain in die Augen zu blicken, er wusste nicht, ob er ihn besser angelogen hätte. Ein vor Schmerz entsetzlich schneidender Schrei, entfuhr Ingvain`s geschundener Kehle.

    „Sag meinen Brüdern, sie sollen mich rächen und meine Frau befreien! Versprich es mir Andar! Sag meinen drei Brüdern, ich werde über sie wachen. Eines Tages, werden die Herren von Daleth, wieder vereint reiten." Bevor Andar das hoffnungslose Versprechen geben konnte, wich das Leben aus Ingvain, dem Bruder des Häuptlings der Danabuth. Erschöpft brach Andar auf Ingvain`s leblosem Körper zusammen und ließ seinen Tränen freien Lauf, bis er sich bar jeglichem Gefühl, einfach in den Schlamm hockte und einem Geistigverwirrten gleich, zu Boden starrte. Das Geräusch, das ihn aus seiner Erstarrung holte, hörte sich an wie das Brechen mehrerer Dutzend, dünner Knochen auf einmal. Es regnete wieder in Strömen. Mit einer letzten, absonderlichen Kraftanstrengung, zwang sich Andar hoch. Vom Regen und Schmerz gegeißelt, schleppte er sich auf den gut dreihundert Schritt entfernten Damm. Auf dem Deich angekommen hörte er es erneut. Das bis ins Mark vordringende Knistern, der einreißenden Mauer. Die Risse waren inzwischen bis an die Oberkante des Dammes herangeschlichen. Andar wusste, was als Nächstes kommen würde. Seinem Schicksal ergeben, flehte er zur Großen Seele und wartete auf die erlösende Flut.

    KAPITEL 2

    ZUM GÜLDENEN GOCKEL

    ***1*** „Sulian! Du kannst das Rehfilet anrichten!", rief Meister Marek. Sulian zog sich der Magen zusammen. Hatte er das Rehfilet vergessen? Er ließ die Augen über den Herd schweifen, blickte in jede Pfanne. Glasierter Rosenkohl mit gehackten Zwiebeln, eine in Butter brutzelnde Ganskeule, Wirzstreifen die in einer cremigen, blasenwerfenden Rahmsauce vor sich hinköchelten. Nudeln, die förmlich danach schrien, abgegossen zu werden, Gemüsereis mit Lachswürfeln, bereit zum Anrichten. Aber kein Rehfilet.

    „Hast du, das Rehfilet?", rief der Junge Kochlehrling Sulian, zu Nolen hinüber, obwohl er ganz genau wusste, dass er es nicht hatte, weil Wildgerichte nicht zu Nolen`s, sondern zu seinen Aufgaben gehörten. Nolen warf noch ein Holzstück in den Herd und verschloss die kleine quietschende Türe, die ihm etwas über die Knie reichte, dabei hatte er ein Tuch um die Klinke gewickelt, um sich nicht zu verbrennen. Mit vor Hitze gerötetem Kopf, blickte er überrascht zu Sulian hinüber. Immer wieder erinnerte Nolen`s Anblick den Lehrling an einen Fisch. Der schmale Kopf, die runden, großen Augen und die spitzen Lippen, die ständig aussahen, als wären sie für einen Kuss geschürzt und sich auch noch kaum öffneten, wenn er sprach. All das trug dazu bei, dass Sulian mehrmals täglich das Gefühl hatte, mit einem Fisch auf zwei Beinen zusammenzuarbeiten. Auch jetzt dachte er, einen nach einer Fliege schnappenden, senkrecht aus dem Wasser getauchten Fisch vor sich zu haben, der jeden Moment wieder blubbernd abtauchen könnte.

    „Nein!", rief Nolen knapp. Sein Tonfall verriet jedoch, dass in diesem einzigen, kurzen Wort eine klare Ansage steckte, die besagen wollte; sag mal spinnst du? Natürlich nicht, das ist doch deine Aufgabe. Und außerdem siehst du irgendwo ein blödes Rehfilet?

    „Und wird’s bald?"

    „Tut mir leid Meister! Hab`s vergessen!", rief Sulian, seinem Lehrmeister zu und versuchte nicht noch röter anzulaufen, als er es eh schon von der Hitze, die in der Küche herrschte, war.

    „Dann komme ich in zwei Minuten den Lachs holen und mach vorwärts, mit dem verfluchten Reh!" rief Meister Marek, mit überraschend ruhiger Stimme und verschwand mit einem Teller Eintopf, den ihm Nolen gereicht hatte, in die Gaststube.

    Sulian nahm zwei Teller vom Herdrand, die bewusst dort platziert wurden, damit sie warm waren beim Anrichten und legte sie auf seinen Arbeitstisch. Vergessen! Im Gasthaus zum Güldenen Gockel, vergaß man kein Gericht. Denn dann, vergaß man den Gast. Und bei den Preisen, die im Gasthaus verlangt wurden, war das schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit.

    Sulian griff nach dem Krug mit der Rote Beete Creme und verteilte die Sauce, mit einem Löffel, ringförmig auf den zwei Tellern. Dabei gab er penibel Acht, dass er ja keinen Klecks auf die Tellerränder machte. Rote Beete, vor allem das Konzentrat davon, ließ sich nur mühsam wieder wegputzen. Meister Marek ging jedes Mal an die Decke, wenn sie einen Teller mit einem Saucenspritzer, einem Reiskorn oder sonst etwas, was nicht auf den Tellerrand gehörte rausgaben. Und die Große Seele erbarmte sich demjenigen, der das Emblem des Gasthauses, das auf jedem Teller mit Blattgold aufgetragen war, besudelte. Wer den goldenen Hahn beschmutzte oder es gar wagte, so einen Teller zum Servieren hinzustellen. Der durfte erleben, was es hieß, wenn Meister Marek dem Donnerwetter Konkurrenz machte. Da konnte es schon vorkommen, dass der Teller, ohne Vorwarnung, zu dessen Schöpfer zurückkehrte, und zwar auf dem Luftweg. Nach der Arbeit hieß es dann für den Tellerrandbeschmutzter, die ganze Küche blitzblank putzen und den Kühlkeller aufräumen. Dass es nach der abendlichen Arbeit erledigt werden musste, verstand sich von selbst, dauern tat es mindestens die halbe Nacht durch. Der fette Abzug, den man von seinem Lohn kriegte, erschien daneben als das kleinere Übel. Im besten und berühmtesten Gasthaus Schwarzburgs, nein, im besten Gasthaus ganz Avenea`s, konnte man sich so etwas, wie einen verspritzen Tellerrand oder ein Gericht zu vergessen nicht leisten! Dafür waren die Gäste zu wohlhabend und der Ruf des Gasthauses zum Güldenen Gockel zu erlesen. Meister Marek hatte es vor fünfzehn Jahren eröffnet. Er selber hatte auch eine Lehre als Koch gemacht, schaute jetzt aber an der Front zum Rechten. Nur wenn er neue Gerichte kreierte oder seine Hilfe unabdingbar war, zog er den Kochkittel über. Nolen war ein fähiger junger Koch, dem er die Leitung der Küche mit gutem Gewissen überlassen konnte. Elf Jahre lang, war Marek als Koch in den Ländern Tangea`s unterwegs gewesen, hatte in den namhaftesten Gasthäusern und bei den besten Köchen gelernt. Für Könige und Fürsten hatte er gekocht, bevor er sich entschieden hatte, in seine Heimat zurückzukehren und mit dem Wissen, das er sich in aller Herren Länder angeeignet hatte, einen eigenen Betrieb zu eröffnen. Und so gab es denn auch kein zweites Gasthaus wie dieses in Avenea. Wo schon konnten die Gäste aus so vielen verschiedenen Gerichten, nach Lust und Laune auswählen? In den meisten Gasthäusern, Kneipen und Tavernen wurden ein bis drei Gerichte täglich gekocht. Wenn der Gast Glück hatte, so gab es noch etwas zu essen, wenn er gegen Abend eintraf, war er sogar ein Glückspilz, so konnte man das Essen ohne das Gesicht zu verziehen runterwürgen. Hier, konnte man etwa aus verschiedenen Süßspeisen auswählen, die, wie auch die Vorspeisen und Hauptgerichte, der Jahreszeit angepasst waren. Wo sonst wurde das Essen, damit es nicht auskühlte, bevor es den Gast erreichte, auf warmen Tellern serviert? Nirgends! Nur hier, im Gasthaus zum Güldenen Gockel! Es war ein Privileg, hier lernen zu dürfen. Meister Marek konnte sich aussuchen, wen er einstellte. Er hatte Sulian von zehn Lehranwärtern, mit denen der sich vorher im Kochen hatte messen müssen, ausgesucht. Ja das alte Nervenbündel hatte seine Fähigkeiten erkannt und ihn zu seinem Lehrling erkoren. Unter seinen Mitstreitern hatte es sogar solche aus wohlhabenden Familien, die auf den Lehrlingslohn verzichtet hätten, hätte ihnen Meister Marek nur die Chance gegeben, bei ihm in die Lehre gehen zu können. Doch Marek war es wichtiger, jemanden lehren zu können, der wie er selber, eine Gewisse Leidenschaft für das Kochen mitbrachte. Bei Meister Marek war es natürlich mehr als eine Leidenschaft, die sich bei anderen unter Umständen sehr wohl als vergänglich herausstellen konnte. Nein, für Meister Marek waren das Kochen und Wirten sein Leben. Etwas Schöneres gab es, in der Schöpfung der Großen Seele, für ihn nicht. Valmir von Daleth, seinerseits ein begnadeter Koch und Vetter des Häuptlings der Danabuth höchstpersönlich, kam zwei bis dreimal jährlich ins Gasthaus zum Güldenen Gockel, um mit Meister Marek zu kochen und von ihm zu lernen. Dass er dabei keinen Lohn verlangte, war selbstverständlich.

    Sulian griff nach dem kleinen Anrichtelöffel und der Schale mit dem Meerrettich-Sauerrahm. Mit den ruhig fließenden Bewegungen eines Meistermalers, der seinem Kunstwerk, den letzten, fliegenschießgenauen Zierrat verpasst, setzte er je elf rosinengroße Häuflein davon in die Ringe aus der Rotebeete-Creme. Als er, nach kurzer Begutachtung, zufrieden mit seinem Werk war, wickelte er sein Arbeitstuch um den Griff einer Pfanne und nahm sie vom Herd. Mit dem großen Anrichtelöffel füllte er vom Gemüsereis mit den Lachswürfeln in zwei runde Tassen, um sie dann mittig auf die beiden Teller zu stürzen. Der wohlriechende Dampf, der von der Pfanne aufstieg, hüllte Sulian`s Kopf vollkommen ein.

    „Zweimal Gemüsereis mit Lachs bitte!"

    Aufgeschreckt blickte Sulian von den zwei Tellern auf und war auch schon im selben Moment erleichtert. Es war nicht Meister Marek gewesen, der nach den Tellern verlangte. Die Stimme gehörte Hermine, der hübschesten Kellnerin im Güldenen Gockel. Dem hübschesten Mädchen überhaupt, das Sulian kannte.

    „Sofort!, Sulian legte noch je einen Strang Taubnesseln als Dekoration auf den Reis, griff mit seinem Tuch nach den zwei Tellern und drehte sich lächelnd zu Hermine, „schon da! Schön aufpassen, die Teller sind heiß. Nicht, dass du dir die hübschen Fingerchen verbrennst!

    Hermine verzog die Lippen, um ihr aufkeimendes Lächeln zu unterdrücken und schüttelte den Kopf, wobei ihre funkelnden Augen ihre Freude trotzdem verrieten. Sulian konnte es gar nicht glauben, dass er das eben gesagt hatte. Dass er soeben mit Hermine geflirtet hatte. Wieso gelang es ihm immer nur während der Arbeit, aus sich herauszukommen und Späßchen mit ihr zu machen, die meistens auch noch gut ankamen? Einmal, hatte er den Mut aufgebracht, sie während einem hektischen Abend, auf ein Bier nach der Arbeit einzuladen. Wohlgemerkt, ohne den Rest ihrer Kollegen. Mit geröteten Wangen und zuckenden Mundwinkeln hatte sie ihm zugesagt. Aber als es dann so weit war, dass sie sich in der Schenke zum Vollen Krug gegenübersaßen, da wollte ihm einfach nichts mehr Gescheites über die Lippen kommen. Besser gesagt kam ihm gar nichts mehr über die Lippen und sie windeten sich unbehaglich auf ihren Sitzen hin und her. Scheu und unsicher fühlte er sich dann in Hermine`s Gegenwart. Ob es wohl daran gelegen hatte, dass er mit ihr alleine gewesen war? Hier in der Küche war stets eine Drittperson anwesend, da fiel es ihm einfach leichter, locker zu bleiben.

    „Was sind denn das für hübsche Blumen?", fragte Hermine, als sie die Teller mit ihren Serviertüchern entgegengenommen hatte und dabei auf die kleinen violetten Blumen stierte, die wie kleine Glöckchen aus dem Strang wuchsen.

    „Das sind Taubnesseln! Sie sind essbar und schmecken honigsüß!", erklärte Sulian, den Blick auf Hermine`s hübsches Gesicht geheftet.

    „So ist das! Danke! Dann werde ich es den Gästen berichten, falls sie fragen!", sagte das Mädchen, hob die Augen von den Blumen und errötete, als sie bemerkte wie sie Sulian anstarrte.

    Mit kreisenden Hüften lief sie aus der Küche, ihre knielange, weißblaue Arbeitstracht umflatterte dabei ihre langen, schlanken Beine. Wehmütig ächzend, blickte ihr der Kochlehrling nach. Ihre kastanienbraunen Haare waren ihr auf die Seite gesteckt, auf der linken Kopfhälfte hatte sie sie zu drei dünnen Zöpfen verflochten, die am Kopf anliegend bis zu ihrem anmutigen Nacken verliefen. Natürlich, wie die meisten Männer mochte es Sulian, wenn die Haare einer Frau das Gesicht umrahmten und beim Gehen auf und ab wogten, wie die stürmische See. Aber für die Arbeit war eine gepflegte Frisur, die einem nicht in den Weg kam, sicherlich von Vorteil. Und diese Augen! Sulian holte tief Luft. Sie hatten die Farbe der Mahagoni Möbel, draußen in der Gaststube, Meister Marek hatte Tische und Stühle eigens aus dem östlichen Nadulien importieren lassen. Der Kochlehrling liebte es, wenn Hermine ihn mit ihrem warmen, vielversprechenden Blick, unter halb niedergeschlagenen Lidern, anblickte. Es kam nicht oft vor, doch wenn es sich ergab, schlug ihm in diesen Augenblicken das Herz bis in den Hals, sein Mund wurde trocken, seine Hände zittrig und feucht. Oft hatte er das Gefühl, dass sie um ihre Wirkung auf ihn wusste. Jedes Mal, wenn sein Körper angestachelt durch ihre Ausstrahlung, verrückt zu spielen begann, dachte er zu merken, wie sie in sich hineinkicherte und ein Lachen unterdrückte. Es schien ihm kein boshaftes Lachen zu sein, nein, sondern eines von denen die vom Herzen kommen, so wie wenn unverhoffte Sonnenstrahlen eine gigantische Quellwolke durchbrechen und Lichtsäulen bilden, die majestätisch über den Himmel flimmern. Ein Lächeln so fröhlich und leichtfüßig, dass man verliebt sein muss, um es zustande zu bringen. Manchmal fragte er sich, ob die männlichen Gäste, nicht unter anderem auch im Güldenen Gockel einkehrten, weil die Kellnerinnen alle in diesen aufreizenden Trachten arbeiten mussten, bei denen der vordere Teil gekonnt den Busen in Szene setzte. Und bildhübsch waren die Mädchen auch noch. Meister Marek hatte keine Einzige angestellt, in die sich nicht sofort jeder Mann verliebt hätte. Nicht so in der Küche. Neben Sulian und Nolen arbeiteten noch die alte Quella und ihre grottenhässliche Tochter, Sanela, in der Küche. An diesem Abend hatten sie aber frei, da nicht allzu viele Reservationen anstanden. Für den Abwasch war Sunilda zuständig, eine liebenswerte Frau in den Mitdreißigern, die aber gute zwanzig Jahre älter aussah. Mit ihrem fettigen Haar, den Aknenarben, den verfaulten Zähnen und den krummen Fingern sah sie furchteinflössender aus, als ein aus einem Albtraum entflohener Warzendämon.

    „Wo ist mein Rehfilet?"

    Die Worte kamen einem klatschenden Schlag an den Nacken gleich. Woher war Meister Marek plötzlich aufgetaucht? Und wieso hatte er das Rehfilet zum zweiten Mal vergessen?

    „Kommt sofort Meister!", rief Nolen, mit seiner für seine Erscheinung, völlig unpassenden tiefen Stimme, von der anderen Seite des Herdes. Sulian drehte sich ungläubig um. Mit einer eleganten Bewegung, die an einen Schausteller erinnerte, der sich vor seinem jubelnden Publikum verbeugt, reichte Nolen Marek zwei sauber angerichtete Teller mit tranchiertem Rehfilet auf Rotweinsauce. Résena, eine der Kellnerinnen, kam in die Küche geschossen und nahm von Nolen die Beilagen entgegen, alles auf einer großen Silberplatte angerichtet. Dampfnudeln, Rotkraut, Rosenkohl, in Zucker glasierte Apfelhälften in deren Mitte, ein Klecks Heidelbeerkonfitüre wackelte und hübsche, in angebratene Speckstreifen eingewickelte, Bohnenscheite.

    „Wurde aber auch Zeit!, sagte Meister Marek während dem er, mit der vor Weiblichkeit triefenden Silhouette Résena`s im Schlepptau, aus der Küche lief. „Und Sulian!, rief Marek in die Küche zurück, „das gibt fünf Bronze Münzen Abzug von deinem Lohn!"

    „Jawohl Meister!", murmelte Sulian leise, von einem Seufzer untermalt, vor sich hin.

    „Du solltest weniger von Hermine tagträumen während der Arbeit und du hättest das Rehfilet in die Pfanne hauen sollen, bevor du den Lachs herausgegeben hast!", rief Nolen und wedelte mahnend mit seiner Fleischgabel.

    Ist schon gut Fischfresse, tauch lieber wieder unter und kümmere dich um deinen eigenen Mist, hätte Sulian am liebsten geantwortet. Stattdessen, bedankte er sich bei Nolen für seine Hilfe und gelobte sich besser zu konzentrieren. Die fünf Bronze Münzen ärgerten Sulian. Sein Vater würde ihm gehörig die Leviten lesen, wenn er so viel Geld weniger nach Hause brachte. Er und sein alter Herr waren schließlich die einzigen zwei, die in ihrer elfköpfigen Familie Geld heimbrachten, da war es natürlich verständlich, dass sein Vater ausrasten würde. Vielleicht konnte er es ja irgendwie zusammensparen? Zum Beispiel, indem er statt sechs Schnaps nur drei Bier trank, wenn er das nächste Mal, mit seinen Arbeitskollegen, im torkelnden Mann oder im vollen Krug abstieg, was alle drei bis vier Tage gerne vorkam.

    „Wie sieht es aus? Wäret ihr noch dabei auf einen Schlummertrunk nach der Arbeit?, fragte Hermine prompt, nachdem sie sich, mit einem Blick in die Gaststube, vergewissert hatte, dass Meister Marek nicht gerade dabei war in die Küche zu watscheln, „Résena und Ïnola kommen auch mit!, fügte sie an Sulian gerichtet an.

    Nolen legte sein Messer, mit dem er soeben ein Hasenfilet zu Recht schnitt, zur Seite und antwortete, in bester Fischgesicht-Manier, mit einem langen, von Lachen verfälschten: „Jaaaahhhh klar doch!"

    Sulian brachte gerade mal ein stottriges sehr gerne zustande, nachdem ihn Hermine mit einem erwartungsvollen Lächeln angeblickt hatte. Einem Lächeln, das so breit war, dass es ihr die Grübchen, die ihm so sehr an ihr gefielen, in die Backen zauberte. Motiviert, durch die Aussicht mit den Mädchen vom Güldenen Gockel noch etwas zu heben, fertigten Nolen und Sulian einen Tisch nach dem anderen ab. Sie waren sogar dermaßen übermotiviert, dass sie Meister Marek zweimal zur Gemächlichkeit ermahnen musste, weil er und die Kellnerinnen mit Servieren nicht mehr hinterherkamen.

    Es war natürlich nicht das erste Mal, dass Sulian sich nach der Arbeit mit seinen Arbeitskollegen noch ein wenig vergnügte, oft war auch Hermine dabei gewesen. Doch es war das erste Mal, dass sie ihn persönlich gefragt hatte und Sulian vermutete, dass es einen Grund dafür gab.

    Seinen rostfarbenen Schnauzer zwirbelnd, machte Meister Marek seine Kontrollrunden durch Kühlkeller und Küche, nachdem das letzte Gericht herausgegeben war und die Küche wie neu strahlte. Als er beim aller besten Willen nichts finden konnte, an dem er Nolen und Sulian hätte an den Eiern packen können und Sunilda, die warzendämonengleiche Tellerwäscherin, ihm versichert hatte, auch ohne Hilfe mit dem wenigen Geschirr das noch anstand fertigzuwerden, entließ er sie in die wohlverdiente Arbeitsruhe. Résena und Ïnola warteten bereits beim Seiteneingang auf Nolen und Sulian, als diese aus dem Umkleidekeller hochkamen. Résena erklärte ihnen, dass Hermine mit Meister Marek schließen würde, aber bestimmt nicht länger als eine Stunde brauche, um zu ihnen zu stoßen. So machte sich das junge Quartett, gut gelaunt auf den Weg zum Torkelnden Mann.

    ***2*** Wie meistens, wenn Sulian und seine Gefolgschaft eintrafen, herrschte bereits ausgelassene Stimmung in der Schenke zum Torkelnden Mann. Ein Barde, den man nicht gerade als Goldkehlchen bezeichnen konnte, gab ein Lied über zwei unglücklich Verliebte zum Besten. Trotzdem, das Publikum johlte und applaudierte begeistert, als seine Weise geendet hatte. Dass die Begeisterung größtenteils am hohen Alkoholkonsum der Zuhörer lag, schien in dem Moment niemanden zu stören. Die meisten, die jetzt noch in der Schenke saßen, waren ohnedies hartgesottene Zecher. Der Stammtisch, an dem die Fraktion vom Güldenen Gockel am liebsten saß, war frei.

    „Für mich ein Dunkles Anker!", gab Nolen seine Bestellung eifrig auf, nachdem alle vier Platz genommen hatten.

    „Für uns, zwei brennende Hunar! Sei so gut Darielle!", bestellte Résena für sich und Ïnola.

    „Sulian! Was darf ich dir bringen mein Hübscher?", fragte Darielle und beäugte den jungen Lehrling dermaßen anzüglich, als säße er nackt vor ihr.

    „Für mich ein Helles Anker, bitte!", sagte Sulian vorsichtig, als würde er damit rechnen, dass sie nachfragen würde, wieso er denn nur ein Bier wollte.

    „Bist du sicher süßer? Nur ein Bier?", hackte Darielle umgehend nach.

    „Ja! Heute nur…"

    „Meister Marek hat heute unserem Lehrling, fünf Bronze Münzen von seinem Lohn abgezogen Darielle! Deswegen!", schnitt ihm Nolen glucksend ins Wort.

    „Oh! Das tut mir aber leid mein süßer! Die Serviermeid fuhr Sulian durch das krause, kurze blonde Haar und zog die Mundwinkel nach unten, um ihr Mitgefühl zu bekunden, „gut dann kriegst du ein Bier!, sagte sie schließlich lächelnd und lief davon.

    „Also dieser Sänger ist ja die reinste Qual!", warf Nolen ein und deutete zum Barden, der soeben ein neues Lied auf seiner Laute angestimmt hatte. Seine für gewöhnlich runden Fischaugen, verzogen sich dabei zu kleinen Schlitzen. Etwas was höchst selten passierte, meistens nur dann, wenn Nolen verärgert war.

    „Ärgere dich nicht mein Lieber! Vielleicht hört er sich nach ein paar Gläschen, auch für deine verwöhnten Ohren geschmeidig, wie frisch gepresstes Olivenöl an!", schwafelte Ïnola bestens gelaunt. Nolen legte den Kopf schräg und antwortete mit einem Achselzucken.

    „So, dann hätten wir zwei brennende Hunar, für die Damen, wie aus dem Nichts, stand plötzlich Darielle am Tisch, legte ihr Tablett ab und stellte die zwei brennenden Getränke, vor Ïnola und Résena ab, „ein dunkles und ein helles Bier für die zwei Herren! Nachdem die rothaarige Schankmeid das Bier vor Sulian abgestellt hatte und Anstalten machte wieder loszudüsen, verfing sich ihr Fuß, natürlich vollkommen ungewollt, im Tischbein, worauf sie stolperte und auf Sulian fiel. Genau gesagt, klatschte ihre üppige Oberweite auf das Gesicht des Kochlehrlings, sodass es zwischen ihrem Busen begraben war. Reflexartig, nur um sich für etwas zu entschuldigen wofür er nichts konnte, öffnete sich Sulian`s Mund. Er schmeckte das Salz auf ihrer Haut und roch ihr Duftwasser, das wie ihm nun unwiderleglich klar wurde, nach Lavendel roch. Es vergingen ganze fünf Herzschläge, bevor sie sich wieder von ihm löste. Darielle streckte das Kreuz durch und strich sich das Kleid zu Recht. Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen wiederholte sie dreimal, wie unwahrscheinlich leid es ihr tat und fügte an, dass es natürlich keine Absicht gewesen war und Sulian ja wisse, wie ungeschickt sie manchmal sei. Mit hochrotem Kopf versicherte ihr der Kochlehrling, dass es gar keine Sache war, sie habe es ja schließlich nicht absichtlich getan. Genau bei dieser Aussage konnten Sulian`s Freunde nicht mehr an sich halten. Schallend, brach das Gelächter aus ihnen heraus, das sie die ganze Zeit über hinter zusammengepressten Lippen zu verbergen versucht hatten. Darielle ignorierte das Gegrölle gekonnt, sagte kurz und keck zum Wohl und hastete zum nächsten Tisch an dem sie von einer vor Übermut pfeifenden und johlenden Männerrunde, herzlich willkommen geheißen wurde.

    „Was ist eigentlich drin in diesem brennenden Hunar?", fragte Nolen, nachdem sich alle am Tisch wieder beruhigt hatten, prostete in die Runde und setzte seine zuckenden Fischlippen an seinen Bierkrug.

    „Birnenschnaps, Minze, Eierlikör und ein Schuss Stiersamen!" Résena blickte Nolen ernst an. Dieser riss würgend sein Bier von den Lippen und hustete das Bisschen, das er schon im Mund gehabt hatte als Bierregen über den Tisch. Ïnola und Résena blickten sich hinterhältig an und lachten lauthals heraus. Geschickt löschten sie die Flammen, die auf ihren Getränken züngelten, in dem sie die tönernen Unterlagen ihrer Gläser darauflegten. Dann leerten sie die Getränke in die leeren Gläser um, die es, damit man sich den Mund nicht verbrannte, zu diesem Getränk dazu gab. Anschließend stießen sie an und führten Nolen zuzwinkernd ihre Getränke an ihre Lippen.

    „Wusstet ihr, dass Meister Marek zwei uneheliche Kinder hat?", fragte Nolen gespannt, nahm einen rechten Schluck von seinem Bier, stellte es mit einem dumpfen Knall auf den Tisch, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und wische sich anschließend mit der linken Rückhand den Schaum vom Mund.

    „Von wem hast du denn das?", fragte Ïnola ungläubig, kniff dabei das linke Auge zusammen und zog den linken Mundwinkel nach oben.

    „Die alte Engrid hat es mir erzählt!", antwortete Nolen eifrig.

    „Die Blumenverkäuferin?, fragte Résena lachend, „die hat doch über jeden in Schwarzburg eine nette Geschichte parat!, fuhr sie fort, ohne eine Antwort abzuwarten.

    „Und man kann ihr ungefähr so sehr glauben, wie einem sprechenden Gaul, der das Wetter vorhersagt!", bezeugte Ïnola Résena`s Worte, nachdem sie ihr Getränk in einem langen Zug geleert und ihr leeres Glas auf den Tisch geknallt hatte, als wollte sie ihren Worten Nachdruck verleihen. Ïnola und Résena hatten beide hell blonde Haare, leuchtend blaue Augen, hübsche Gesichter und die Kurven an den richtigen Stellen. Der einzige Grund, wieso man sie nicht als Zwillingsschwestern verwechseln konnte, waren ihre unterschiedlichen Nasen. Ïnola hatte eine Stupsnase, die gegen oben spitz zulief, wobei Résena eine etwas Größere hatte, die gegen unten zeigte.

    „Und ich sage euch! Die alte Engrid weiß mehr als die meisten Weisen. Oder habt ihr schon vergessen, wie das mit den weißen Ratten war?", fragte Nolen empört und verschränkte die Arme über der Brust. Beiläufig winkte Résena der Bedienung, als diese sie bemerkt hatte zeigte sie auf Nolen`s Bier und nachdem sie in die Runde gefragt hatte wer noch eins möchte, streckte sie drei Finger über den Kopf.

    „Sie hatte schon Wochen vorher gewarnt, dass eines der Handelsschiffe exotische Ratten eingeschleppt hatte. Sie hat sogar bei unserem Häuptling Handar vorgesprochen. Aber niemand hatte ihr geglaubt, als alte Spinnerin wurde sie abgetan. Was war danach passiert?", fragte Nolen triumphierend. Eine Antwort war nicht nötig. Jeder wusste von der Invasion der weißen Ratten. Mehr als ein halbes Jahr lang, hatten die Viecher Schwarzburg auf Trab gehalten und zum Teil ganze Viertel lahmgelegt.

    „Du scheinst mir nicht allzu gesprächig zu sein heute!", rief Résena, mit einem vorwurfsvollen Unterton zu Sulian hinüber, der abwesend den Blick durch die Schenke schweifen ließ und immer noch vor dem ersten, halbvollen Bierkrug saß.

    „Ach komm lass ihn doch!, Ïnola leget einen Arm um Sulian, der neben ihr saß, und strich ihm durch das lockige Haar, „siehst du nicht wie sehnsüchtig er auf Hermine wartet? Er ist so süß! Den letzten Teil sprach Ïnola aus, als würde sie mit ihrer Freundin über ein schnuckeliges Baby reden.

    „Lass das!", rief Sulian genervt und stieß ihren Arm von seiner Schulter.

    „Na dann eben nicht!", drehte sich Ïnola gespielt empört weg und wandte sich Résena und Nolen zu.

    Die Zeit verging wie im Fluge, die Freunde tranken ein Bier nach dem anderen und wurden immer heiterer. Hie und da sagte sogar Sulian einige Worte und war nach fast zwei Stunden, immerhin schon beim dritten Bier.

    Auf der Bühne stand gerade ein Trio, aus zwei Männern und einer Frau. Sie spielten Laute, Dudelsack, Flöte, Fiedel und die Sängerharfe. Alle drei sangen und sie sangen gut. Meist spielten sie Volkslieder, deren Text jeder kannte und man gerne mitsang. Es spielte auch keinen Rugel, ob der Text von den Feiernden richtig wiedergegeben wurde oder ob sie die Töne trafen. Hier ging es nur darum, Stimmung zu machen und das taten die zwitschernden Spatzen, wie sich die Gruppe nannte, reichlich. Sie spielten; Der Esel und der Trunkenbold, Erwachet auf grüner Wiese, Die Nüsse der Königin, Dicke Mädchen wollen auch nur geküsst werden, Die Jungfrau die in den Brunnen fiel und manch andere Lieder und Weisen! Das Publikum tobte und tanzte ausgelassen. Nur wenige blieben an ihren Tischen sitzen.

    „Wo bleibt nur Hermine? Sie sollte schon längst hier sein!", sagte Résena genervt.

    „Vieleicht hat sie es sich anders überlegt!", antwortete Nolen und gluckste dabei vom Schluckauf geplagt.

    „Oder vielleicht hat sie Andras noch zu sich eingeladen! Heute war er wieder bei uns essen! Was für ein gutaussehender, junger Mann! Und wohlbetucht ist er auch noch!", warf Ïnola ein, schielte dabei zu Sulian hinüber und legte sich die Haare zurecht. Angestachelt durch das Gerede schoss Sulian so abrupt hoch, dass sein Stuhl klappernd nach hinten kippte.

    „Ich geh mal pinkeln!", sagte er verlegen in die Runde. Umgehend hatte er gemerkt, dass er auf Ïnola`s kleine Stichelei, vom Alkohol beflügelt, etwas zu empfindlich reagiert hatte. Mit Schamesröte im Gesicht richtete er seinen Stuhl auf und machte sich daran, sich einen Weg durch die tanzende Menge zu bahnen. Andras! Dieser hochnäsige Adelsknabe, machte Hermine bereits seit über einem halben Jahr den Hof. Sein Vater besaß ein riesiges Weingut, unweit von Schwarzburg. Seine erlesenen Weine wurden in alle Himmelsrichtungen exportiert und zu allem Elend, war er auch noch der Neffe zweiten Grades, des Häuptlings der Handar. Im Durchschnitt, aß Andras alle drei Tage im Güldenen Gockel zu Abend. Bedient werden wollte er immer ausdrücklich von Hermine. Meister Marek kam seiner Bitte natürlich stets nach. Einem solch exquisiten Stammkunden und Sohn des größten Weinlieferanten Avenea`s, schlug man als gewiefter Gastgeber keinen Wunsch ab. Oft ließ Marek Hermine ihre Schicht sogar beenden, als Andras fertig bedient war, damit sie ihm Gesellschaft leistete. Dass Andras im Gegenzug, den Güldenen Gockel bei seinen delikaten Freunden hochpries und bei seinem Vater, Marek gegenüber, vorteilhafte Preise und Rabatte erschlich, verstand sich von selbst.

    Sulian trat die Türe mit dem Fuß auf. Die Nachtluft war erfrischend und verscheuchte die lästigen Gedanken an seinen Nebenbuhler. Schnell hatte er in einem, der eigens für die Gäste gebauten, Latrinenhäuschen, seine randvolle blase frohlocken entleert und trat wieder in die Schankstube.

    ***3*** Augen! Augen von einem Blau, so tief und gleißend, wie die von einer glühenden Sommerabendsonne, golden schimmernde See, fixierten Sulian. Er war gerade dabei, sich von der Eingangstüre des Torkelnden Mannes, durch das tanzende Volk, hin zu seinen Freunden zu kämpfen.

    „Na hat es geklappt?", fragte Ïnola neckisch, als er vor seinem Bier Platz nahm. Sulian bedachte sie mit so viel Aufmerksamkeit, wie ein Blinder ein klassisches Gemälde. Mit einer wegwerfenden Handbewegung, kehrte sie sich wieder dem Gespräch mit Résena und Nolen zu. Verstohlen stierte Sulian hinter dem Rand seines, an den Mund gesetzten Bierkruges, zu der atemberaubenden Schönheit hinüber. Sie nippte soeben an ihrem Rotwein. Und wie sie nippte! Die Bewegung, wie sie ihr Glas an den Mund führte und ihre dunkelroten Lippen, gerade mal so weit geöffnet hatte, dass man das weiße Funkeln ihrer Zähne dahinter erkennen konnte, verursachte bei Sulian ein Kribbeln. Kaum hatte sie ihr Glas abgestellt, drehte sie den Kopf leicht in seine Richtung und blickte ihn mit einem Lächeln an. Ein Lächeln, das nicht auf den Lippen, oder im Gesicht spielte, sondern im Funkeln ihrer ozeanblauen Augen. Sulian`s erster Impuls war, den Kopf beschämt wegzudrehen. Aber als hätte der Anblick dieser einzigartigen Augen, ihn in eine Salzstatue verwandelt, wollte es ihm nicht gelingen. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die Welt um ihn eingefroren. Alles was um ihn geschah, konnte er nur noch verschleiert wahrnehmen. Die Musik, die Gespräche, das Gelächter und Gejohle, all das hörte sich an, als würde er in seinem Bett liegend und mit einem Fuß bereits im Land der Träume, ein fernes Straßenfest vernehmen. Er versuchte zu lächeln. Aber auch das gelang ihm nicht. Die unbekannte Schönheit drehte den Kopf wieder weg, dabei fielen ihr ihre gewellten, pechschwarzen Haare, wie in Kerzenlicht schimmernde schwarze Seide, ins Gesicht und verdeckten das Lächeln, das Sulian auf ihren Lippen erkannt zu haben dachte. Enttäuscht und erleichtert zugleich, wandte er sich wieder seinen Freunden zu und war froh, wieder gewohnt atmen zu können.

    „Was haben wir nochmal als Tagesgericht Morgen Sulian?", fragte Résena und machte dabei ein Gesicht wie ein Pudel, der in ein Schaumweinfass gefallen und sich mit ungeschickten Pfoten, an dessen Rand haltend, gerade aufgetaucht ward.

    „Glasierten Schweinebraten!", antwortete Sulian knapp und erhaschte, durch den wogenden Nebel aus Pfeifenkraut, der in der Schenke herrschte, einen Blick auf die mysteriöse Frau. Sie hatte den Kopf immer noch abgewandt und machte keinerlei Anstalten, in seine Richtung zu blicken. Hatte er sich vielleicht getäuscht und sie hatte gar nicht ihn angehimmelt, sondern vielleicht jemanden der einige Tische hinter ihm saß? Das wäre ganz schön peinlich gewesen. Die zwitschernden Spatzen sangen gerade von Dudelsäcken begleitet das Lied Avenea, geliebte Heimat. Die unverkennbare Dudelsackeinleitung des Liedes, hatte unter den Gästen sofort eine um sich greifende Begeisterung ausgelöst. Auch Nolen wurde von ihr mitgerissen, wie ein vertrocknetes, am Boden liegendes Blatt von einer plötzlichen Herbstböe. Viele der Gäste waren aufgestanden und sangen, mit an die Herzen gelegten Fäusten, voller Inbrunst und zum Teil mit feuchten Augen mit.

    „Setz dich lieber wieder hin!" Résena war sofort da um Nolen zu stützen, als dieser, mit dem Gesicht voran, auf den Tisch zu kippen drohte.

    „Du solltest langsam Schluss machen Nolen!", sagte Sulian und blickte dabei seinem Arbeitskollegen tief in die Augen, so als suche er nach einem letzten Funken Vernunft in ihm. Einem Funken, der noch nicht in der Alkoholflut, die sich Nolen fleißig eingeflößt hatte, erloschen war.

    „Du! Nolen kreiste einige Sekunden mit seinem ausgestreckten Zeigefinger in der Luft herum, als er es endlich geschafft hatte, seinen Finger Sulian vors Gesicht zu halten, fügte er mit einem Gluckser an: „Hast mir gar nichts zu sagen! Lehrling! Sulian verwarf die Hände und überließ das betrunkene Fischgesicht der charmanten Gesellschaft von Ïnola und Résena. Einige Male warf er noch einen Blick zur Unbekannten hinüber, aber sie schien ihn nicht mehr zu beachten und hatte es wahrscheinlich gar nie getan. Er war auch reichlich blöd, sich einzubilden, eine Frau von solch einem Kaliber, würde ihn auch nur eines Blickes würdigen. Nicht, dass Sulian dachte, er sei hässlich. Er wusste, dass er mit seiner Körpergröße von über ein Meter neunzig, seinem muskulösen Körper, den vollen Haaren, den stechenden blauen Augen und seinem fein geschnittenen Gesicht, schon ziemlich gut ankam bei den Frauen. Doch gutes Aussehen war nicht genug, das wusste er auch. Frauen mochten keine unsicheren Männer, die nicht wussten was sie sagen oder tun sollten. Sie mochten gutgelaunte, schlagfertige Typen, die es verstanden, eine Frau zu unterhalten und auch zu verführen. Da war auch schon sein großes Problem. Obwohl er schon kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag stand, war er immer noch Jungfrau. Alle anderen die er kannte, hatten ihr erstes Mal schon Jahre zuvor gehabt und er jagte immer noch seiner Entjungferung hinterher. Sogar Nolen hatte schon erfahren, was es hieß, sich in die Wogen der Leidenschaft zu stürzen. Gut, es waren meistens Freudenmädchen, mit denen er sich vergnügte. Aber immerhin etwas. Er selber brachte nicht mal den Mut auf, ein Puff aufzusuchen. Er lachte und schüttelte den Kopf. Wie hatte er nur denken können, diese Perle von einer Frau, hätte ihre Augen an ihn geheftet. Und Hermine? Die ließ sich anscheinend lieber von diesem Andras umgarnen, als von einem einfachen Koch.

    „Das ist von der Dame dort drüben!" Darielle knallte ihr Tablett auf den Tisch. Nolen und seine zwei Saufkumpaninnen unterbrachen ihr Streitgespräch, in dem es um den besten Fasanenbraten ging. Natürlich war jeder von ihnen im Besitz des besten Familiengeheimrezeptes, unnütz zu erwähnen, dass es alle drei von der Großmutter geerbt hatten. Die beiden Frauen kicherten, Sulian blickte die Serviermeid verwirrt, mit offenem Mund an.

    „Die Dame dort drüben! " Darielle zeigte auf die Frau mit den blauen Augen. Breit grinsend hob sie ihr Glas und prostete ihnen zu.

    „Es ist von ihr. Sie lässt dich ganz besonders grüßen Sulian und will wissen, ob du Lust hättest, ihr Gesellschaft zu leisten." Der Kochlehrling fühlte sich benommen, er konnte, das was er soeben gehört hatte, nicht glauben. Aber ein Blick auf den Tisch mit den vier Getränken und die Gebärden der Frau sagten ihm, dass er nicht am Träumen war. Er umklammerte den Henkel seiner Tasse, als wollte er die Welt um ihre Echtheit prüfen.

    „Das ist Steinfass-Whiskey, das teuerste Getränk im Haus. Zum Wohl!", sagte Darielle im Flüsterton, bevor sie sich davon machte.

    „Scheint doch noch ein gelungener Abend zu werden!", sagte Ïnola spitzbübisch lächelnd und klopfte Sulian auf die Schultern.

    „Na komm, lass sie nicht zu lange warten. Sie ist bestimmt zehn Jahre älter als du. Aber die Alte ist heiß Junge! Heißer als Hermine je sein wird!" War Résena`s Meinung.

    „Ja du bist der Hengst! Und nun geh und hol sie dir Hengst!", stammelte Nolen, nach wie vor vom Schluckauf geplagt. Die vier Freunde stießen mit dem edlen Whiskey an und bedankten sich, freundlich winkend und lächelnd, bei ihrer Gönnerin. Gleich darauf nahm Sulian seinen Whiskey und all seinen Mut zusammen und lief mit einem mulmigen Gefühl und weichen Knien zu der blauäugigen Schönheit hinüber. Inzwischen hatten die zwitschernden Spatzen aufgehört zu

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