Land der Sonne e.V.
Von Gabriele Bärtels
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Über dieses E-Book
Mit reichlich schwarzem Humor wird erzählt, wie in dieser Welt banale Ereignisse zu Dramen aufgeblasen. Einige Parzellenbesitzer lassen ihre Hunde ohne Leine laufen, gelegentlich finden sich Kothaufen an den Wegen. Das regt nicht nur den Vereinsgärtner auf.
Ende August, wenn wie jedes Jahr der Sommer mit einem Vereinsfest verabschiedet wird, könnte es zum Showdown kommen.
Gabriele Bärtels
www.gabriele-baertels.de
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Buchvorschau
Land der Sonne e.V. - Gabriele Bärtels
1.
Es goss in Strömen im Land der Sonne e. V.. Aus allen Regenrinnen gluckerte das Wasser. Es platschte auf die Gartentische, tropfte von den Hortensien, bahnte sich seine Wege über den Schotterparkplatz und floss neben dem Hechtweg über die Badewiese in den Fluss. Dessen Oberfläche war heute silbergrau und wellte sich kaum. Am gegenüberliegenden, fast zwei Kilometer entfernten Ufer stieg Nebel aus den Wäldern.
Falsches Wetter für den kalendarischen Sommerbeginn, dachte Werner, steuerte das Auto auf das Vereinsgelände und parkte auf seinem markierten Platz. Er griff nach einer Tasche, öffnete die Autotür und versuchte gleichzeitig, seinen Regenschirm aufzuspannen. Der Durchmesser des Schirmes war zu klein, um den zwei Meter großen, spindeldürren Mann bis hinunter zu den Füßen vor dem Platzregen zu schützen, bis er seine Parzelle im Welsweg erreicht hatte.
Werner hatte nie Hosen gefunden, die ihm passten. Meistens waren sie zu weit. Jetzt schlurften die Säume durch die Pfützen und schlenkerten unangenehm feucht gegen seine Knöchel. Das einzig Gute an diesem Wetter war, dass ihn auf den Wegen kein Vereinsmitglied aufhielt, um „eine dringende Sache!" zu besprechen.
Werner war erster Vorsitzender des Kleingartenvereins Land der Sonne e. V.. Dieser existierte schon über hundert Jahre und bestand aus einundfünfzig Parzellen, Badewiese und Parkplatz. Das Gelände lag herrlich in einer Bucht auf der Sonnenseite des Flusses, am äußersten Rand einer großen Stadt.
Damals wie heute tuckerten in der Ferne lange, flache Transportkähne gemächlich vorbei, beladen mit Schotter, Schrott und Kohle. Am Wochenende mussten die Kapitäne laufend ihre Warnhupen betätigen, denn dann zogen Segelboote wie Möwenschwärme über das Wasser, kreuz und quer und unter Missachtung der durch Bojen gekennzeichneten Verkehrswasserstraße.
Den bärtigen Vereinsgründern war es gelungen, Stück für Stück das ganze Gelände zu kaufen, das damals noch ein gutes Stück außerhalb der Stadt lag, und nur mit dem Fahrrad oder durch mehrmaliges Umsteigen in S-Bahn und Busse zu erreichen war. Nach kurzer Diskussion einigten sie sich auf den Namen Land der Sonne e. V.. Das konnte man metaphorisch verstehen, wenn man wollte, unterstützte mit dem Begriff jedoch keinerlei Weltanschauung, die einmal unmodern werden mochte. Nach diesem Akt wählten sie ihren ersten Vereinsvorsitzenden.
Dass die Amtszeiten seiner Vorgänger jeweils recht lang gewesen waren, konnte man daran sehen, dass Werner erst der sechste war. Seit zehn Jahren versah er sein Ehrenamt einigermaßen geräuschlos. Er hatte einen seltsam federnd schleichenden Gang und das eiserne Prinzip, sich aus Streitigkeiten unter Parzellennachbarn herauszuhalten, sofern sie kein Vereinsinteresse berührten. Wegen Letzterem wurde er immer wieder gewählt, und sein Gang war allen so vertraut, dass niemand seine Erscheinung unheimlich fand.
Der Regen würde ihn nicht davon abhalten, heute sein kleines Pachtgrundstück mit der zweistöckigen Laube zu beziehen, die er im Sommer durchgehend bewohnte. Er war froh, endlich wieder aus der Stadtwohnung herauszukommen, die er nur noch während der Heizperiode nutzte, denn sie war eng und dunkel, und aus den Fenstern sah er bloß die Mietshausmauern gegenüber. In der Tasche, die er über der Schulter trug, waren Sommersachen und Handtücher. Er freute sich darauf, alle Jalousien hochzuziehen und frische Luft in den Wintermuff zu lassen.
Leider lag seine Parzelle nicht in erster Reihe direkt am Ufer, aber von seinem Balkon aus hatte er über die Laube des Vordermannes hinaus einen herrlichen Blick über den Fluss. Auf diesem Balkon konnte er nicht lesen – keine Zeitung, kein Buch - denn seine Augen wanderten wie von selbst zurück zu den dümpelnden Angelbooten, Kormoranen und zu Graureihern, die empört krächzend über sein Haus flogen. Er betrachtete aufgetürmte Wolkengebilde, gigantische Regenbogen und Blässhuhnschwärme, die wie hunderte, dunkle Punkte über den Fluss zogen. Werner war fest entschlossen, sich im kommenden Jahr eine Gasheizung einbauen zu lassen und die Stadtwohnung endgültig aufzugeben.
Er war einmal verheiratet gewesen, mit einer Frau, in deren Blick Missmut und Feindseligkeit lauerten. Alle hatten sich gefragt, wieso ausgerechnet ihr Gatte dies nicht wahrzunehmen schien. In den zwei langen Ehejahrzehnten hatte sich jedenfalls sein langer, dürrer Rücken unmerklich gebeugt und richtete sich, nachdem sie ihn verlassen hatte, nicht wieder auf.
Die durch eine fehlende Beziehung gewonnene Zeit investierte er in das Studium von Wasserinsekten. Er konnte jede Art Wasserkäfer, die leichtfüßig über die Oberfläche des Teiches vor seiner Terrasse huschte, mit lateinischem Namen benennen. Von dem schilfdurchwachsenen, morschen Holzsteg aus, der ganz hinten im Vereinsgelände lag und nicht mehr genutzt wurde, schob er frühmorgens sein Kanu in den Fluss, um durch Seerosen und Schilf die Ufer abzupaddeln, auf der Suche nach seltenen Libellen, die er mit einer wasserdichten Kamera zu fotografieren suchte, was recht selten gelang. Von fern sah er in dem schlanken Kanu aus wie eine crowlende Riesenspinne.
Sommers wie winters trug Werner nur Lederlatschen ohne Strümpfe. Und weil er mit Mitte sechzig auf die Nähe nicht mehr gut sah, blieben seine Fußnägel meistens ungeschnitten. Seine Parzelle hatte er von einer Großtante geerbt, und konnte sich bei der Nachricht über diesen Glücksfall nicht einmal daran erinnern, dass er in seinen Kindersommern gelegentlich hier zu Besuch gewesen war. Aber als er die Parzelle besichtigte, freute er sich sofort über die Möglichkeit, wenigstens in der arbeitsfreien Zeit aus seiner engen Stadtwohnung herauszukommen, und wollte dieses eine Mal seiner Frau nicht folgen, die kreischte: ¨Ich hab Dich nicht geheiratet, um in einer baufälligen Laube am Stadtrand zu versauern.¨ Sie bestand darauf, er solle sofort verkaufen.
Drei Wochenenden fuhr Werner allein mit der S-Bahn an den Stadtrand und lief den letzten Kilometer zu Fuß, denn seine Frau wollte ihm das Auto nicht geben, obwohl sie keinen Kilometer damit fuhr, wie er bei seiner Heimkehr sonntagabends sah, wenn er auf den Tacho schaute. Sie hatte nur in der Wohnung gesessen, während er auf seiner Parzelle geschraubt und gebohrt hatte, gebuddelt und gesägt. Erste, freundliche Kontakte wurden geknüpft, als Werner seinen neuen Nachbarn, einem alten Paar, die Funkklingel reparierte.
Eine Abhängigkeitsbeziehung verkraftet solchen Widerstand nicht. Die Machtlosigkeit seiner Frau in diesem Punkt brach den Zauber ihrer Herrschaft für immer. Als Werner an einem Sonntagabend die Tür zur Stadtwohnung aufschloss, war sie ausgezogen.
Dass hier, im Land der Sonne, heute aus jedem Küchenwasserhahn heißes Wasser kam, war nur ihm zu verdanken. Er hatte die Infrastruktur des Geländes entschlossen modernisiert und dafür einiges des sorgsam gehüteten Vereinsvermögens ausgegeben. Es gab jetzt keine Abwassergruben mehr. Gas- und Telefonleitungen waren verlegt, sogar der Postbote lief durch die Vereinswege und schob hier und da etwas in einen Briefkastenschlitz. Jeder dieser Erneuerungsschritte hatte eine Sonderumlage für alle Vereinsmitglieder fällig gemacht. Das hatte Werner das Murren der Alten eingetragen, die ihre Parzellen seit vierzig oder mehr Jahren im immer gleich gut oder schlecht gepflegten Zustand hielten.
Die Jungen dagegen, die ihre Lauben erst kürzlich geerbt oder gekauft hatten, rissen die alten, wackligen Konstruktionen ohne Zögern ab, um die Wohnfläche wenig baurechtskonform nach allen Seiten unmerklich so weit auszudehnen, bis manche Häuschen mit ihren Seiten aneinandergewachsen waren. Diese Neulinge, die dazu noch bodentiefe Fenster wollten und Holzfußböden anstatt des ewig haltbaren Linoleums, waren nur allzu bereit, eine Sonderumlage zu zahlen, um endlich ins Internet zu kommen.
Werner leistete Überzeugungsarbeit nach allen Seiten und redete nach der erfolgreich verlaufenden Abstimmung in der Vereinssitzung nicht mehr über seine weitere Planung, und dass die Handwerker bereits bestellt waren.
Waren die Wege dann aufgerissen, war es ohnehin zu spät für neue Einwände, nicht aber für neuen Protest, wie etwa den von Frau Pieske, der alleinstehenden Greisin, die ganzjährig einen Fuchspelz um den faltigen Nacken trug und einen ausgesprochen kratzbürstigen Waschbären an der Leine führte, der mit seinen zwanzig Jahren ähnlich gebrechlich war wie sie, und sie noch immer dafür hasste, dass sie ihn als Baby am Flussufer gefunden hatte, mit einem gebrochenen Bein. Sie hatte ihn zum Tierarzt geschleppt, das Bein schienen lassen und ihn aufgepäppelt. Lieber wäre er nach seiner Genesung wieder ausgewildert worden, aber die Frau hatte ihn nicht gefragt.
Sie behauptete seitdem, der Waschbär sei zahm und schleppte ihn überall mit hin. Ihre Arme waren immer voller Krallenkratzer, die jetzt, da ihre Haut dünn und trocken geworden war, nicht mehr gut heilen wollten.
Während der Baumaßnahmen beschimpfte sie den Vereinsvorsitzenden hemmungslos. ¨Das schöne Pflaster! Das hat mein Mann noch mit verlegt, da waren Sie noch gar nicht auf der Welt! Damals gab es Gemeinsinn. Alle haben mit angefasst! Man brauchte keine teuren Handwerker zu bestellen, die die Vereinskasse belasten! ¨ Mit ihren dünnen, rot-gestrichelten Ärmchen beschrieb sie einen großen Bogen. Ihre Stimme war immer etwas zu schrill, zu scharf, zu laut.
Es hatte keinen Sinn, ihr von den Segnungen des Internets zu erzählen, das es in der Stadt seit zwanzig Jahren überall gab, nur hier nicht, in der Wochenendhaussiedlung. So fasste Werner Frau Pieske am Arm, was sie sehr gern hatte, wie er wusste, und dröhnte, damit sie ihn gut verstand: ¨Frau Pieske, alles muss mal erneuert werden. Wird schon wieder! ¨
Als der frühere Vorsitzenden ihm damals die Geschäfte übergab, hatte er mit der Hand auf den Akten gesagt: ¨Das Wichtigste, was Du brauchst, ist Taubheit. Alle werden Dir etwas einflüstern wollen. Noch jeder Streit über Abstimmungsergebnisse hat sich irgendwann von selbst gelegt. Bloß dem Protestfeuer nie neue Nahrung geben, nichts allzu detailreich erklären und sich an keinem Klatsch beteiligen! ¨ So gewöhnte sich der Verein über hundert Jahre eigentlich an alles, so verfuhr auch Werner in seiner Amtszeit.
Es gab nur einen Streitpunkt, der seit Vereinsgründung nicht aus der Welt geschafft werden konnte. Das war der Zank zwischen den Hundebesitzern, die ihre Lieblinge an die Wegränder kacken ließen, und allen anderen Vereinsmitgliedern. Er flackerte mindestens jeden fünften Sommer wieder auf, mit wechselnden Hunden, Haltern und Empörten. Nur einer spielte das ganze Jahrhundert hindurch immer eine Rolle, und das war der jeweils amtierende Vereinsgärtner.
Laut Satzung gehörten Hunde auf den öffentlichen Wegen des Vereinsgeländes und auf dem Parkplatz an die Leine. Das war eine vernünftige Regelung, die auch die Halter einsahen. Aber wenn einer von seinem Auto zu seiner Parzelle nur zwanzig Meter zu laufen hatte, beanspruchte er still eine Ausnahme für sich, denn er hatte ja noch Einkäufe zu schleppen, und der Hund war alt und sprang niemanden an. Jeder, der wollte, fand so eine Ausnahme für sich.
Also wurde gelegentlich doch eine alte Frau angesprungen oder ein Mann mit Schubkarre angekläfft. Für sich genommen war der Anlass meistens nichtig, doch weil es sonst kaum ein Thema gab, das man mit maximal vielen Vereinsmitgliedern besprechen konnte, wurde er gerne aufgebauscht. Die Auseinandersetzung gewann dann schnell an Dynamik, riss alte Wunden wieder