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Das beste Versteck: Roman einer Kindheit
Das beste Versteck: Roman einer Kindheit
Das beste Versteck: Roman einer Kindheit
eBook172 Seiten2 Stunden

Das beste Versteck: Roman einer Kindheit

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Über dieses E-Book

Das Mädchen Suse wächst in einer gewalttätigen Familie auf. Ihr einziger Halt ist ihr kleiner Teddybär und die Traumwelten, in die sie sich flüchtet. Sie verliert ihre Freundin, weil sie ihr Geld gestohlen hat, um von zuhause auszureißen. Dieser Versuch endet nach einer Nacht. Sie wird von einem freundlichen Mann gefunden, der sie wieder heimbringt. Seitdem ist er ihr Freund, ohne es zu ahnen. Nachdem ein Onkel Suse auf einer Familienfeier missbraucht, beginnt ihre selbst geschaffene Fantasiewelt das Mädchen zu überwältigen. Ein trauriges, zugleich poetisches Buch
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Mai 2021
ISBN9783754122860
Das beste Versteck: Roman einer Kindheit
Autor

Gabriele Bärtels

www.gabriele-baertels.de

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    Buchvorschau

    Das beste Versteck - Gabriele Bärtels

    Ein echter Geist

    Treffpunkt war der Spielplatz hinter dem Neubaugebiet, ein Platz, der sich mit seinen knallbunten Klettergeräten und dem akkuraten Sandkasten-Quadrat gegen die Wiese, die dahinter bis zum Waldrand hochstieg, sehr künstlich ausnahm. Diese war von Wiesenschaumkraut lila übersprenkelt, auf ihr wuchsen schiefe Apfelbäume, an denen man besser herumklettern konnte und viel höher kam als an der Gitterwand des Spielplatzes. Und das feine, weiße Geriesel im Sandkasten, das einem aus den Förmchen floss, war auch nichts gegen den dicken, feuchten Sand neben die Straße, der gestern durch die geöffnete Klappe eines Lastwagens gerutscht war. Der pappte viel besser, damit konnte man weitläufige, reich verzierte Burgen bauen – jedenfalls bis die Straßenarbeiter ihn verbraucht hatten.

    Auf dem Spielplatz war nur am Sonntag etwas los, wenn Besucher aus der Stadt kamen, die ihre Kinder mit den sauberen Blümchenkleidern und den ordentlichen Cordhosen beschäftigen wollten. Geht doch auf den Spielplatz, hieß es dann, und die Dorfkinder standen dabei, sahen den kleinen Jungen zu, die angestrengt und konzentriert die Gitterwand erklommen und lauerten darauf, dass einer das Gleichgewicht verlor, um in mehrstimmiges Gelächter auszubrechen. Sie pfiffen nach dem großen, schwarzen Hund, der Tommi gehörte, und die fremden Mädchen auf der Parkbank zogen ängstlich die Füße mit den weißen Söckchen hoch.

    Heute lag der Spielplatz leer in der Nachmittagshitze, und kein Wind blies. Tommi und der Hund waren die ersten, die in der Nachmittagshitze langsam die Straße entlangschlenderten, die weiter oben in einen Feldweg überging. Der Junge zog einen abgebrochenen Ast hinter sich her und malte sorgfältig Schlangenlinien in den Staub.

    Das Paar wurde von Fritzi auf dem Fahrrad überholt, das sie gern bei sich hatte, auch wenn es im Wald eher hinderlich als nützlich war. Jetzt schoss sie an Tommi vorbei und bremste mit dem Rücktritt, so dass der hintere Reifen ausbrach und eine Staubwolke aufwirbelte. Um Autos musste sie sich keine Sorgen machen, die kamen hier selten durch, und ein Trecker war schon lange zu hören, bevor er um die Kurve der Hauptstraße bog.

    Viel los war hier nie, die meisten Menschen arbeiteten in der Stadt. Im Dorf hatten nur zwei Bauernhöfe überlebt, und es gab eine Post, die der Gastwirt der einzigen Kneipe im Hinterzimmer zwei Stunden täglich geöffnet hielt. Das kleine Lebensmittelgeschäft stand schon lange leer. Stattdessen kam einmal in der Woche ein rollender Supermarkt und klingelte an jeder Ecke.

    Fritzi hatte eine Schwester, die hieß Suse. Sie folgte ihr mit einigem Abstand zu Fuß die Straße hinauf, setzte sich leise und sagte nichts. Zu dritt hockten sie im Schatten einer Hecke auf der Erde, den hechelnden Hund neben sich.

    Tommis Mutter hatte ihren Sohn eine Flasche Coca-Cola mitgegeben. Die war ganz schön schwer zu schleppen, betonte er, bevor er ihr den Hals umdrehte. Der geschaukelte Inhalt spritzte heraus wie aus einem Gartenschlauch.

    Fritzi sprang kreischend auf: Iihh, Du Sau! An ihren nackten Beinen lief braune, schäumende Cola herab.

    Tommi sah bedauernd auf die Flasche in seiner Hand: Jetzt ist sie schon halb leer. Er trank in großen Zügen.

    Fritzi riss ihm die Flasche vom Mund. Ich will auch. Erst saust Du mich ein, und dann kriege ich nicht einmal etwas ab. Suse fragte nicht.

    Zuletzt kamen Georg und Krücke. Warum Krücke Krücke hieß, wusste kein Mensch, aber seinen richtigen Vornamen sagten nur die Lehrer in der Schule. Obwohl es so heiß war, rannten die beiden um die Wette, kamen gleichzeitig an und ließen sich schwer atmend fallen.

    Ich musste meinem Vater noch helfen, einen Baum zu pflanzen. Immer wenn ich gerade wegwill, sieht er mich und sagt: Georg, hast Du nichts zu tun? Hilf mir mal. Er schüttelte Krückes Arm ab. Lass mich los! Immer musst Du mich festhalten!

    Das war leider richtig, Krücke klebte. Er hatte sich dafür Georg ausgesucht, der war zwar ein halbes Jahr jünger, aber viel kräftiger als er. Jetzt kicherte er über ihn und sah triumphierend Suse an, die den Kopf gesenkt hielt. Sein zerknautschtes Gesicht schien sich je nach Lichteinfall weinerlich oder lächerlich zu verkrampfen.

    Was wollen wir machen?, fragte Tommi.

    Georg zuckte die Schultern. Es ist doch alles viel zu heiß.

    Wir könnten in den Wald gehen, schlug Fritzi vor, da ist es kühl.

    Und was sollen wir da? Krücke schob sein Bein an Georgs.

    Suse zupfte die Blütenblätter eines Gänseblümchens ab.

    Das wirst Du schon sehen!, fauchte Georg Krücke an. Der rutschte gesenkten Blickes auf seiner Lederhose ein Stück zurück.

    Sie schlenderten die Wiese hoch. Das Gras reichte ihnen bis zu den Oberschenkeln, und vom Hund sah man nur den aufgerichteten Schwanz zwischen den Halmen und Blüten. Hin und wieder hob er den Kopf, sprang ein bisschen hoch und schaute sich um, ob die Kinder ihm folgten.

    Mann, ist das heiß, sagte Tommi.

    Die Sonne brannte alles nieder. Die Dorfdächer duckten sich unter ihrem gnadenlosen Schein. Eine Lerche zwitscherte irgendwo in der Höhe zwischen luftigen Wolken wie ein vergessenes Weihnachtsglöckchen.

    Der Waldrand war erreicht. Grüne Blättergebirge glänzten in der Sonne.

    Stellt Euch mal vor, sagte Fritzi, wenn die Bäume jetzt Borstenhaare wären von einem Igel oder so, und wir wären die Läuse in seinem Fell. Sie stellte sich neben einen Fichtenstamm. So groß ist ein Haar für eine Laus! Sie schaute zur Baumspitze hoch, die weit über ihr in den Himmel stach.

    Krücke kicherte: Fritzi ist eine Laus. Fritzi ist eine Laus.

    Der Wald empfing sie kühl und still. Suse atmete auf. Zwischen den Schatten, die die Bäume auf das Moos und den Waldboden warfen, entdeckte sie einzelne, schnurgerade Sonnenstrahlen. Sie drangen durch die Zweige, und ein blaues Blümchen leuchtete auf.

    Georg trat absichtlich auf brüchige Äste. Er knackte und splitterte unter seinen Sandalen. Hört Ihr das?

    Fritzi hatte das Rad geschultert. Sie drehte sich um: Pscht. So laufen doch alle Tiere weg. Sie blieb stehen und horchte.

    Weit entfernt hämmerte ein Specht gegen ein Astloch, der Bach murmelte geheimnisvolle Gluckser, die Blätter rauschten, und eine Bremse summte zornig auf einer Lichtung herum.

    Tommi nahm einen schweren Ast und schlug ihn mit Wucht gegen einen Stamm. Der hohle Klang fraß sich zwischen den Bäumen durch und echote an einer Felswand. Suse zuckte zusammen. Der Hund auch.

    Krücke jammerte: Ich will jetzt wissen, was wir machen. Das ist doch langweilig.

    Dann gehen wir in den Hexenwald, schlug Tommi vor und fuchtelte mit dem Ast herum, als sei es ein Degen. Ich schlage alle Ungeheuer in die Flucht.

    Es gibt keine Ungeheuer im Hexenwald, sagte Georg sehr überzeugt. Krücke nickte.

    Doch gibt es welche, widersprach Fritzi. Gerade jetzt im Sommer brauchen sie einen dunklen Platz, um die Nacht abwarten zu können, und das ist der Hexenwald. Da ist es duster, egal wie grell die Sonne scheint.

    Du spinnst ja, sagte Tommi.

    Im Hexenwald standen raue Fichtenstämme dicht an dicht. Spitz waren die Nadeln, durch die der Blick verschwamm, staubtrocken der weich gepolsterte Boden aus zerfallenen Tannenzapfen und braunen Nadeln, verschluckt das Licht, der Ton. Ein schmaler Trampelpfad führte in eine Schlucht hinab, aus der den Kindern feuchtes Dunkel entgegenquoll. Farne standen hoch und eng und rollten sich aus wie hellgrüne Schneckenhäuser. Der Bach rauschte eilig hindurch. Am Ufer war der Lehmboden glatt, wie Krücke gleich beim Ausrutschen lernte. Im Fallen riss er fast Georg mit sich, der sich noch mit einem Seitenschritt retten konnte, und plumpste mit dem Hintern voran ins Wasser.

    Scheiße, schallte es durch den Wald.

    Fritzi musste vor Lachen das Fahrrad absetzen. Suse grinste im Abseits. Georg schüttelte nur ärgerlich den Kopf.

    Er schnitt Krücke das Klagelied ab, das dessen Mund entsteigen wollte: Halt bloß die Klappe und steh auf. Das ist doch ne Lederhose.

    Krückes Gesicht verzog sich jämmerlich. Wenn er doch nach Hause könnte, es quietschte beim Laufen, aber er fand keinen einzigen mitleidigen Blick und so schwieg er.

    Hinter dem Bach ragte eine Felswand auf. Georg entdeckte einen schwarzen Spalt. Der Hund war davor stehengeblieben und hatte hineingeschnüffelt. Dann trabte er uninteressiert weiter. Während die anderen dem Bachlauf folgten, blieb Georg ein paar Schritte zurück und äugte in das Dunkel. Der Spalt war gerade groß genug, dass er hineinpasste.

    Wollen wir nicht Verstecken spielen?, rief er den anderen hinterher.

    Langweilig, sagte Fritzi gedehnt. Außerdem findet Ihr mich mit meinem Rad sofort.

    Das kannst Du stehenlassen, wer soll es denn hier klauen?, schaltete sich Tommi ein.

    Ich finde es trotzdem langweilig. Man müsste noch eine Schwierigkeit einbauen. Wir sind doch hier im Hexenwald. Wir könnten gleichzeitig Suchen und Verstecken spielen. Jeder muss einen Geist finden und gewonnen hat der, der das beste Versteck hat und den schönsten Geist. Fritzi strahlte.

    Das geht aber nicht in Wirklichkeit, sagte Krücke, obwohl er sich da nicht sicher war.

    Genau, unterstützte ihn Georg. Geister sind unsichtbar und außerdem gibt es sowieso keine.

    Es kann ja auch einfach nur etwas Besonderes sein, schränkte Fritzi ein. Ein Geschenk von einem Geist zum Beispiel. Oder einen verwandelten Geist, der aussieht wie ein Stein.

    Georg ärgerte sich. Sein Versteck war das Beste, das wusste er ganz genau. Aber woher sollte er einen Geist nehmen?

    Tommi wusste schon, was er machte. Er würde sagen, in seinem Hund sei ein Geist, und da sollte mal jemand was anderes behaupten.

    Krücke wusste, dass er sich gar nicht ausdenken musste. Auf geheimnisvolle Weise wurde er immer ausgezählt und musste das Suchen übernehmen. Das würde heute auch nicht anders sein. Warum konnte das nicht mal Suse machen?

    Fritzi war sich sicher, dass sie mit einem echten Geist zurückkehren würde, der würde sie unsichtbar zaubern und damit hätte sie auch das beste Versteck.

    Okay, lass uns abzählen. Sie stellte ihr Rad an einen Baum. Ene mene mu, und ab bist Du. Sag mir erst, wie alt Du bist.

    Bei jeder Silbe traf ihr Finger die Brust eines Kindes und bei der letzten stieß sie richtig zu, so dass Krücke nach hinten taumelte.

    Immer ich. Die Klage war Formsache. Er stellte sich an einen Baum und lehnte die Stirn gegen die Rinde. Eins. Zwei. Drei.

    Die ersten Zahlwörter brüllte er laut, danach - das wusste er aus Erfahrung - war sowieso niemand mehr da, der seinem Zählen zuhörte, und er stand allein im Wald, die Arme um einen Baum geschlungen. Er hörte dann einfach auf und wartete mit gespitzten Ohren. Doch seine Ehrlosigkeit ging nie so weit, dass er sich umgedreht hätte. Das tat er erst, nachdem er tief Luft geholt hatte und den Stamm hoch in den Himmel brüllte: Ich komme!

    Danach war alles ruhig im Hexenwald. Krücke redete mit sich selbst. Ja, dann ma los. Wo sind sie denn? Wo sind sie denn? Seine ersten Schritte führten ihn ins Dickicht, da hatte er vorhin etwas knistern hören. Er bückte sich und nahm die Arme vor das Gesicht, damit nicht die stacheligen Äste seine Haut zerkratzten.

    Tommi hatte sich nur fünf Meter weiter geschlichen und sich mit seinem Hund in eine Vertiefung im Waldboden gehockt, von wo aus er Krücke gut sehen konnte. Er machte es sich richtig gemütlich und drückte dem Hund die Hand auf den Rücken. Der ließ sich fallen und legte seine schwarze Schnauze auf Tommis Bein. Kurz darauf träumten beide den gleichen Traum aus verschiedenen Perspektiven.

    Georg war den Weg zurückgelaufen und hatte den Felsspalt gleich wiedergefunden. Er steckte seinen Kopf hinein und fand, dass es muffig roch. Aber es war trocken, und er passte - etwas zusammengekrümmt - genau hinein. Ein kleiner Felsvorsprung stach ihm unangenehm in den Rücken, aber das würde er schon aushalten. Ein Geist, dachte er, woher nehme ich einen Geist? Seine Augen suchten die Wände ab, aber der graue Stein gab keine Idee. Er wollte doch noch mal draußen horchen. Als er den Kopf herausstreckte, die frische Waldluft einatmete, guckte er Krücke genau in die Augen, der eben an ihm vorbei den Weg hinablaufen wollte.

    Krücke murmelte: Wo sind sie? Wo sind sie? Jetzt bremste er scharf und ein breites Grinsen zog über sein Gesicht. Da! Er zeigte mit seinem Finger auf Georgs Kopf, der sich ärgerlich schüttelte, als ob das wehtat.

    Lass das. Du hättest mich nie gefunden. Ich musste nur dieses eine Mal Luft holen. Das war einfach Pech. Dafür verrate ich Dir nichts von dem Geist, den ich gefunden habe. So würdevoll wie möglich kroch er aus dem Spalt und richtete sich auf. Nun stimmten die Größenverhältnisse wieder.

    Krücke hüpfte um ihn herum: Los, erzähl!

    Kommt gar nicht in Frage. Du musst die anderen suchen, ich gehe zurück zum Fahrrad. Bis dahin würde ihm

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