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Dorfluft: Erzählung
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eBook134 Seiten1 Stunde

Dorfluft: Erzählung

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Über dieses E-Book

"Dorfluft" erzählt die Geschichte von Gerd, einem 17-jährigen Schüler, der in einem pfälzischen Dorf lebt, das Ende der sechziger Jahre einem Jugendlichen mit seiner scheinbaren Idylle zu eng geworden ist. Der gebügelte Anzug und der regelmäßige Kirchgang sind den Bewohnern wichtiger als Rockmusik und politische Veränderungen, für die sich Gerd interessiert. Deutliche Risse bekommt diese "heile Welt" schließlich, als ein ehemaliger Nazi auftaucht und der "Dorftrottel" am Morgen erhängt im Park gefunden wird. Landin gelingt es, mit einer spannend und einfühlsam geschriebenen Geschichte eine Zeit lebendig werden zu lassen, die viele Menschen politisch geprägt hat.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Dez. 2013
ISBN9783844277272
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    Buchvorschau

    Dorfluft - Walter Landin

    Imprint

    Dorfluft

    Walter Landin

    Copyright: © 2013 Walter Landin

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    ISBN 978-3-8442-7727-2

    Hinweis

    „Dorfluft erschien 1988 in der Reihe „Autoren Forum bei der Pfälzischen Verlagsanstalt Landau. Seit 1990 war die Erzählung vergriffen. Die eBook-Ausgabe ist inhaltlich unverändert zur Originalausgabe, lediglich die Rechtschreibung wurde angepasst.

    „Dorfluft" ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Weitergabe ist nur mit Zustimmung des Autors und Rechteinhabers zulässig.

    Informationen zum Autor finden Sie auf der Website www.landin.de

    INHALT

    Imprint

    Prolog

    Freitag

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    Samstag

    7

    8

    9

    10

    11

    12

    Sonntag

    13

    14

    15

    16

    17

    18

    ANHANG

    Anmerkungen

    Über den Autor:

    Klappentext von 1988

    Prolog

    Gerd glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das ganze Dorf schien auf den Beinen. Auf dem breiten, mit Kastanien bestandenen Weg näherte sich Gerd der dunklen, verschworenen Gemeinschaft. Von weitem zerflossen die Schwarztöne und formten eine undurchdringliche Einheit. Der Weg war vom Schnee nur notdürftig geräumt. Der Kies knirschte unter seinen Schuhen.

    Gerd trug seine braunen Hosen, die mit den Bügelfalten. Jeans? Kommt nicht in Frage, hatte seine Mutter am Morgen bestimmt. Die Parka hatte er sich nicht ausreden lassen.

    Er stellte sich abseits. Am Eingang der Leichenhalle traten die Totengräber in ihren langen, schwarzen Umhängen von einem Fuß auf den anderen. Einer der Totengräber zog die Mütze ab und fuhr sich mit der Hand durch das schüttere Haar. Sicherlich hatten die vier Männer geflucht. Ausgerechnet jetzt, wo alles steinhart und der viele Schnee. Bestimmt hatten sie den Boden mit Spitzhacken aufbrechen müssen, mühsamste Schufterei, Schaufel für Schaufel. Der einfache Holzsarg ohne ein Kreuz stand verloren in der Leichenhalle, davor ein einziger Kranz. Gerd konnte die Schrift auf der Schleife nicht entziffern.

    Die Trauergemeinde. Alte Frauen, die ihre flinken Augen hinter dicken, tief in die Stirn gezogenen Kopftüchern verbargen, Greise, die sich an Gehstöcken festklammerten, Männer, die betont lässig ihre Taschenuhren aus der Westentasche zogen, während ihre Frauen unverhohlen die Aufmachung der Wartenden begutachteten, Mädchen, die einander mit dem Ellbogen stießen, Jungen, die sich versteckt knufften und kniffen, ein gezischtes „Ruhe", vorgehaltene Hände, Köpfe, die sich nahe kamen, Flüstern, Nicken, Getuschel, zum Grinsen verzogene Münder, im Einklang zuckende Unterkiefer, Speichel, der am Kiefer festfror.

    Wenige Meter von Gerd entfernt stand der alte Hausmann. Der hatte den Toten gefunden. Der Alte machte ein zufriedenes Gesicht und wippte leicht in den Knien. Hielt er nicht eine Zigarre in der Hand versteckt? Der Platz am Harmonium war leer. Gerds Finger begannen klamm zu werden. Überhaupt machte sich die Kälte breit, kroch durch die Parka, den Pullover, saugte sich auf der Haut fest, war nicht mehr abzuschütteln. Der Pfarrer ließ sich noch immer nicht blicken. Sonst war er doch die Pünktlichkeit in Person. Gerd schaute sich um. Niemand schien dem Toten nachzuweinen. Ziemlich weit vorne entdeckte Gerd seine Mutter. Endlich öffnete sich die Tür. Nur ein Messdiener mit einem Holzkreuz erschien, gefolgt vom Pfarrer. Sie kamen den Kiesweg herauf. Das Murmeln wurde leiser, das Gekichere erstarb. Erwartungsvoll teilte sich die Menge. Der Pfarrer betrat die Leichenhalle, die sonst von Angehörigen überquoll.

    „Rufe unseren verstorbenen Bruder heim in Dein Reich. Wir bitten Dich, erhöre uns."

    „Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm."

    Die Totengräber packten den Sarg entschlossen und setzten ihn unsanft auf den kleinen, schwarz drapierten Friedhofswagen. Die Menge formierte sich. Am Grab hatten die Träger Probleme mit dem vereisten Untergrund, rutschten fast aus, kamen mit der Abseiltechnik nicht so zurecht. Ruckweise ließen sie den Sarg sinken. Die Zuschauenden schoben sich näher zum Grab, verfolgten gespannt jede Einzelheit der Vorführung. Der Pfarrer warf drei Schaufeln Erde auf den Sarg. Danach stimmte er „Wir sind nur Gast auf Erden" an. Einzelne Stimmen fielen ein.

    „... gar manche Wege führen aus dieser Welt hinaus ..."

    Gerd brachte keinen Ton heraus.

    Freitag

    1

    Im Schlafzimmer der Eltern schepperte der Wecker. Vaters Schnarchen kam für einen kurzen Moment aus dem Rhythmus. Mutter hatte den Wecker zum Verstummen gebracht, blitzschnell. Im Flur ging das Licht an. Gerd hörte die leisen Schritte seiner Mutter auf der Treppe. In der Hand wird sie den vollen Plastiknachttopf halten. Die Toilette war im Erdgeschoss. Dort wohnten die Großeltern. Gerd scheute nachts den langen Weg vom zweiten Stock nicht aus Bequemlichkeit wie sein Vater. Gerd fürchtete sich. Diese Dunkelheit! Diese gespenstische Ruhe! Aber auf den Nachttopf, unter keinen Umständen! Lieber stundenlanges Wälzen von einer Seite auf die andere. Er schüttelte sich, wenn er an den Nachttopf mit der dunkelgelben Flüssigkeit dachte. Gerds Bruder atmete ruhig. Der hatte es gut, konnte länger schlafen, musste nicht wie Gerd kurz nach sieben mit dem Bus in die Stadt fahren. Michael war erst elf und ging noch in die Volksschule im Dorf. Jetzt muss Mutter ganz unten sein, wird als erstes den Nachttopf ins Klo kippen. Gleich wird Gerd die Wasserspülung hören. Dann wird Mutter in die Küche im ersten Stock gehen.

    Brigitte hatte Gerd gestern nicht getroffen. Sie war nicht im Bus gewesen, weder am Morgen, da war es nicht ungewöhnlich, wurde sie doch von ihrer Mutter manchmal direkt ins Mädchengymnasium gebracht, noch um viertel vor zwei nach Schulschluss, und das war schon ungewöhnlicher. Gerd hatte vorm Mädchengymnasium gestanden, Brigitte war nicht gekommen. Und auch auf dem Bahnhofsvorplatz, wo die auswärtigen Schüler auf den Bus warteten, hatte er Brigitte nicht entdecken können. Vielleicht hatte sie früher Schule aus gehabt, vielleicht war sie krank. Gerd war am Nachmittag mit dem Rad an die Kirche gefahren, neben der Kirche stand die Telefonzelle. Er war um die Zelle gestrichen, einmal auch hineingegangen, in der Hand die beiden Geldstücke, hatte den Hörer abgenommen, wieder eingehängt, hatte sich nicht getraut, Brigittes Eltern anzurufen. Die Telefonnummer kannte er auswendig. Ob Brigitte heute Morgen im Bus sein würde?

    Jetzt wird Mutter in der Küche sein, endlich Zeit finden, ihren hellblauen Bademantel aus Perlon zuzubinden, Gerd fand ihn hässlich, aber pflegeleicht, betonte Mutter. Sie wird die Klappe vom Herd öffnen, von den Zeitungen nehmen, fein säuberlich gestapelt in dem Pappkarton neben dem Herd, die Seiten zerknüllen, unten in den Ofen legen, eine Handvoll der fingerdünnen Holzstückchen darüber, die Opa mit dem Zollstock, wie Vater immer frotzelte, klein hackte, jetzt die Eierkohlen und zwei, drei Briketts obenauf. Sie wird ein Streichholz anreißen. Gerd glaubte das Knistern des Papiers, das Knacken des Holzes zu hören. Seine Tür war nur angelehnt, aber das ... Gleich wird Mutter die Treppe hochhuschen, Vater an der Schulter fassen, sanft schütteln.

    „Aufstehen, höchste Zeit!"

    Er wird vor sich hinbrummen, sie die Decke zurückschlagen. Die Bettfedern werden knarren. Er wird die Treppe hinunterwanken, viel lauter als Mutter, fast ein Poltern. Natürlich hat sie schon längst das Kaffeewasser aufgesetzt. Wenn er vom Klo kommt, wird der Kaffee auf dem Tisch dampfen.

    Der Schulweg mit Brigitte, händchenhaltend. Krampfhafte Suche nach einem Gesprächsthema.

    „Gestern haben wir unentschieden gespielt."

    Aber für Fußball interessiert sie sich nicht. Quälende Pausen. Worüber soll er mit ihr reden? Die Bee Gees und ihr „New York Mining Disaster kennt sie nicht, nur den neuesten Hit „World, und der gefällt Gerd nicht sonderlich. Die Beatles mag sie nicht, von den Stones fängt Gerd erst gar nicht an. Brigitte steht auf Udo Jürgens. Nicht zum Aushalten, schnitt Gerd auf, gab nicht zu, dass er diesen Jürgens insgeheim ganz gern hörte, vor allem natürlich das mit den 17 Jahren und den blonden Haaren, schließlich war Brigitte 17 und hatte blondes Haar. Gerd hatte sich die Single mit dem Titel gekauft und hörte sie jeden Nachmittag auf dem Schallplattenspieler, den er als Werbegeschenk vom Buchclub erhalten hatte, nachdem er seine Urgroßmutter geworben hatte. Klar, bei Rainer, Werner und Peter war mit diesem Jürgens kein Staat zu machen. In der Clique würden sie ihn auslachen, ihn aufziehen. Kamen sie mal darauf zu sprechen, war es Gerd, der diesen Schnulzenheini und alle anderen Schmalzbubis verteufelte.

    Wenn Brigitte heute Morgen im Bus ist, wird er sie fragen, wo sie gestern war. Hundert Meter vom Schulweg gerettet, vielleicht noch einige mehr. Vielleicht waren ein Onkel, eine Tante von ihr gestorben, ganz überraschend, dann könnte Brigitte erzählen, Gerd würde Fragen stellen, sie würde von der letzten Verlobung oder Silbernen Hochzeit oder Taufe erzählen, wo sie diesen Onkel, Gerd entschied sich für Onkel, getroffen hatte. Ein plötzlich verstorbener Onkel, der ganze Schulweg wäre gerettet,

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