Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte: Preisgekröntes, charmantes Kinderbuch über Patchwork-Familien für Kinder ab 9 Jahren
Von Christine Nöstlinger und Ina Hattenhauer
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Über dieses E-Book
Was ist blöder, als wenn der Vater plötzlich eine neue Frau anschleppt? Wenn diese neue Frau auch noch eine Tochter hat, die so eine Zicke ist wie die Anna, findet Cornelius. Zumindest ist die Anna genauso gegen die Beziehung der Eltern wie er. Gemeinsam muss den beiden doch etwas einfallen, wie sie sie auseinanderbringen können.
Ein herzerwärmend charmantes Buch der großen Christine Nöstlinger über Kindersorgen, Vorurteile und gute Freunde.
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Rezensionen für Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte
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Buchvorschau
Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte - Christine Nöstlinger
Ich breite mich gern aus
Katzen, behauptet meine Großmutter, schnuppern drohendes Unheil. Schon viele Stunden vor einem Erdbeben rennen sie mit gesträubtem Fell und angelegten Ohren aufgeregt herum. Oder sie bringen sich, einen Tag bevor das Hochwasser den Ort überschwemmt, auf einem hohen Baum in Sicherheit.
Meine Oma kannte angeblich sogar eine Katze, die eines Abends entsetzlich kreischend kreuz und quer durchs Haus raste, dass alle dachten, sie sei verrückt geworden. Das arme Vieh kreischte so laut, dass kein Mensch im Haus einschlafen konnte. Und das war sehr gut so, denn um Mitternacht fing es in der Küche, weiß der Kuckuck, warum, zu brennen an, und giftiges Rauchgas machte sich im ganzen Haus breit. Hätten die Leute friedlich geschlafen, wären sie wohl nie mehr wach geworden.
Wir haben daheim leider keine Katze, weil mein Vater grausige Niesanfälle und Keuchhusten bekommt, wenn irgendwo ein Katzenhaar durch die Luft schwebt. Möglicherweise sind Katzen für die Sorte Unheil, das mir drohte, ohnehin gar nicht zuständig, weil es nicht um Sachen wie Feuer, Hochwasser und Erdbeben ging, sondern um – wie das meine Mutter nennt – zwischenmenschliche Sauerei. Zudem hätten mich nicht einmal zehn Katzen mit der Gabe, auch solche Sauereien vorauszuahnen, warnen können. Weil ich ein sehr naiver Trottel gewesen bin, der gedacht hat, dass sein Vater immer total ehrlich zu ihm ist und keine Geheimnisse vor ihm hat.
Jedenfalls war ich kein bisschen misstrauisch, als mein Vater am letzten Tag der Winterferien zu mir sagte: »Sohnemann, ihr bekommt morgen ein neues Mädchen in die Klasse. Die Tochter einer Kollegin von mir. Es wäre supernett von dir, wenn du dich ein bisschen um sie kümmern würdest.«
Ich war gerade beim Speckschneiden für die Spaghetti Carbonara, seufzte tief und murmelte: »Shit!« Weil nämlich der einzige freie Platz in meiner Klasse der neben mir am Pult war. Und ich sitze gern allein an einem Zweierpult. Ich finde es schön, mich gemütlich breitmachen zu können. Meinen ganzen Kram auf knappen fünfundsechzig Zentimetern unterzubringen fällt mir schwer. Obwohl ich wirklich kein Einzelgänger bin, mag ich es auch nicht, wenn jemand zu eng an mir dranklebt und ich mir sein Rülpsen, Schmatzen, Schlürfen, Schnäuzen und Furzen hautnah anhören muss. Und einen, von dem ich bei den Schularbeiten abschreiben könnte, brauche ich nicht. Ich gehöre zu den Guten in der Klasse.
Mein Vater missverstand das gemurmelte »Shit« und sagte: »Mitten im Schuljahr die Schule zu wechseln ist nicht leicht. Da tut es gut, wenn jemand von Anfang an nett zu dir ist.«
Ich tat die Speckwürfelchen in die Pfanne und die Pfanne auf den Herd. Während ich im Speck rührte, sagte ich: »In meiner Klasse sind fast alle nett, bei uns wird nicht gemobbt.«
So ganz stimmte das nicht. Es gibt schon ein paar Kinder in meiner Klasse, die von niemandem zu Geburtstagspartys eingeladen werden, die auch ausgelacht werden, wenn sie etwas Dummes sagen, und in den Pausen meistens allein herumstehen. Aber ob man das schon Mobbing nennen muss, ist mir nicht klar.
Beim Spaghetti-Essen dann fragte ich meinen Vater, warum denn die Tochter seiner Kollegin mitten im Schuljahr die Schule wechselte. Ob sie vielleicht etwas ausgefressen habe und aus ihrer Schule rausgeflogen sei? Wenn ich schon mein Pult mit jemandem teilen musste, hätte ich es lustig gefunden, jemand »Verruchten« neben mir zu haben. In meiner Klasse ist sowieso nie irgendetwas Besonderes los, wir sind ein Verein von braven Lämmern.
Aber mein Vater machte diese Hoffnung zunichte. Seine Kollegin, erklärte er mir, sei gerade mit ihrer Tochter von Salzburg hergezogen. Wegen dem besseren Job, den man ihr in der Wiener Zentrale der Firma angeboten habe.
Ich schlürfte Spaghetti in den Mund und sagte kauend: »Okay, ich kümmere mich um das Mädchen.«
Und das meinte ich total ehrlich. Es ist ja schließlich wirklich nicht sehr lustig, plötzlich in eine andere Stadt ziehen zu müssen, wo man keine Freunde hat.
»Stummel, sag mal, machst du jetzt schon den Frühjahrsgroßputz?«, fragte mich die Conny, als ich am nächsten Morgen, ein paar Minuten vor acht Uhr, das Pultfach neben meinem Platz ausräumte und harte Brotrinden, vergammelte Apfelreste, vertrocknete Mandarinenschalen, steinharte Kaugummikugeln, Bleistiftspitzkringel und zerknüllte Papiertaschentücher in einen Plastiksack warf.
In der Schule nennen mich alle Stummel. Sogar die meisten Lehrer. Den Spitznamen hat mir der Adi Bär in der ersten Klasse verpasst. Damals war ich der kleinste Junge in der Klasse. In den sechs Jahren, die seither vergangen sind, bin ich zwar ordentlich gewachsen und gehöre nun zu den Großen, doch der Spitzname ist mir geblieben. Und jetzt, wo ich nicht mehr der Kleinste bin, stört er mich auch nicht mehr. Dabei war er sowieso nie passend. Denn ein Stummel, ob nun ein Bleistiftstummel, ein Stummelschwanz oder ein Zigarettenstummel, ist der Rest von etwas, das einmal viel länger gewesen ist – was auf mich nicht zugetroffen hat. Aber so feine sprachliche Unterschiede kennt ein Dummbauchi wie der Adi Bär halt nicht.
Ich wischte das Pultfach mit einem Papiertaschentuch von Krümeln frei und sagte zur Conny: »Wir kriegen heute eine Neue, und neben mir ist leider der einzige freie Platz.«
»Echt? Mitten im Schuljahr?«, staunte die Conny und wollte natürlich wissen, woher ich das wusste, und ich erklärte es ihr, und als ich es ihr erklärt hatte, klingelte die Schulglocke, und kaum hatte die ausgeklingelt, kam unsere Geschichts-Tusnelda, die Dr. Wurm, die wirklich Tusnelda heißt und unser Klassenvorstand ist, zur Tür rein und neben ihr ein echt merkwürdiges Mädchen. Klein, etwas übergewichtig, weiße Haut, mit verschieden großen Sommersprossen übersät, rostrote Drahtwaschelhaare, Hängeschultern, dünnlippiger Sichelmund nach unten und riesengroße wasserblaue Augen. Schultasche hatte sie keine dabei. Bloß eine potthässliche, quietschgrüne, glänzende Umhängetasche, die ihr auf den Bauch runterbaumelte.
Die Dr. Wurm schob das merkwürdige Mädchen nach vorn, nahm ein Stück weiße Kreide, schrieb in großen Blockbuchstaben ANNA LACHS auf die Tafel und verkündete: »Das ist eure neue Klassenkameradin, die Anna Lachs. Sie kommt aus Salzburg zu uns. Seid nett zu ihr, und helft ihr, sich bei uns einzugewöhnen.« Hierauf deutete sie zur freien Pulthälfte neben mir und sagte: »Anna, dort wartet schon ein schönes Plätzchen auf dich!«
Die Anna Lachs kam im Schneckentempo auf mein Pult zu, ließ sich auf den Stuhl neben mir plumpsen und schob ihre quietschgrüne Umhängetasche ins Pultfach.
Ich wollte, wie ich es meinem Vater versprochen hatte, nett sein und sagte leise: »Ich bin der Cornelius Haberkorn, aber alle nennen mich nur Stummel!«
»Ist mir doch egal, du Idiot!«, zischte mir die Anna Lachs zu und schaute mich an, als wäre ich ein ekliges Insekt. So eklig, dass man es nicht zerquetscht, weil man es nicht berühren will.
Ich war baff. So viel grundlose Unhöflichkeit hatte ich überhaupt noch nie erlebt. Also rutschte ich mit meinem Stuhl so weit wie möglich von meiner neuen Nachbarin weg, lehnte mich zurück und versuchte, der Geschichts-Tusnelda zu lauschen, die über das Wiener Stadtrecht vom Jahre 1221 und dessen grausame Strafen für Mord und Totschlag aus einem dicken Buch vorlas.
»Ist der Totschlag aus Notwehr geschehen«, sagte sie gerade, »dann soll sich der Täter der Feuerprobe unterziehen. Besteht er diese, soll er frei sein, verbrennt ihn aber das Feuer, gilt er als schuldig.« Die Dr. Wurm ließ das dicke Buch sinken, schaute sich in der Klasse um und fragte: »Weiß vielleicht jemand von euch, was mit dieser Feuerprobe gemeint ist?«
Ich wusste es, aber ich meldete mich nicht. Ich melde mich nie freiwillig, das ist mir zu strebermäßig. Da sich auch kein anderer meldete, erklärte die Dr. Wurm, dass es bei der Feuerprobe um ein Gottesurteil geht und der Täter ein glühendes Eisen vom Taufbecken der Kirche bis zum Hochaltar auf der bloßen Hand tragen muss.
Der Adi Bär rief entrüstet: »Aber dann haben sich doch auch alle Unschuldigen die Pfoten verbrannt!«
»Leider, leider«, bedauerte die Dr. Wurm, doch das reichte dem Adi Bär nicht.
»Aber wenn doch nie einer bestanden hat«, rief er, »muss ja wohl auch der allergrößte Depp gemerkt haben, dass diese Feuerprobe ein Blödsinn ist! Waren die denn im Mittelalter alle komplett gaga?«
Die Dr. Wurm war nicht bereit, die Sache mit dem Adi Bär weiterzudiskutieren, und ging zur Feuerordnung der Stadt über.
Ich linste verstohlen zu meiner Nachbarin. Die saß, Arme über der Brust verschränkt und den Kopf gesenkt, auf ihrem Stuhl. So, als ob sie in einen Dornröschenschlaf gefallen wäre. In der Stellung verharrte sie den ganzen Vormittag. Sie ging nicht aufs Klo, sie holte in den Pausen kein Brot aus der quietschgrünen Umhängetasche und in den Stunden keinen Stift und keinen Notizblock. Sie reagierte auch nicht auf unsere diversen Lehrer, die sie zu Beginn ihrer Stunden freundlich willkommen hießen.
Als die Schulglocke nach der fünften Stunde läutete, stand die Anna Lachs auf, hängte sich die quietschgrüne Tasche über die Schulter und verließ grußlos die Klasse.
Die Dr. Kurz, bei der wir Mathe gehabt hatten, schaute ihr verdutzt nach und murmelte: »Eigentlich beende ja ich den Unterricht.«
Und der Marius drehte sich zu mir, schüttelte den Kopf und meinte bedauernd: »Also, Stummel, da hast du dir eine irre Type als Nachbarin eingehandelt. Bei diesem komischen Pummel ist ja wohl mehr als eine Schraube locker!«
Nach der Schule ging ich mit dem Robi heim. Der Robi hat drei kleine Brüder und eine Hausfrauen-Mama, die supertolle Mittagessen kocht und sich freut, wenn der Robi mich mitbringt. Weil ich ihr Essen immer lobe, was ihre eigenen vier Kinder nie tun. Sie hätte sicher nichts dagegen, wenn ich jeden Tag nach der Schule zum Essen käme, aber mein Vater meint, das wäre zu aufdringlich. Darum esse ich nur am Montag, am Mittwoch und am Freitag beim Robi, das sind die Tage, an denen wir in Mathe Hausaufgaben bekommen.
Irgendwie verdiene ich mir nämlich meine Mittagessen, indem ich dem Robi bei den Mathe-Hausaufgaben helfe und seine Fehler verbessere. Aber viel Talent zum Nachhilfelehrer scheine ich nicht zu haben, denn beim nächsten Mal macht der Robi wieder die gleichen Fehler. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich nicht kapiere, warum jemand etwas nicht kapiert, was doch sonnenklar ist. Die Gabe, mich in ein unbegabtes Hirn reinzudenken, habe ich nicht.
Ich blieb bis um fünf Uhr beim Robi. Ich wollte erst daheim auftauchen, wenn die Zierhut abgedampft war. Die Zierhut ist unsere Putzfrau. Sie kommt jeden Tag, hat immer schlechte Laune und schimpft laut vor sich hin, weil mein Vater und ich angeblich die wunderschöne Ordnung, die sie gemacht hat, über Nacht wieder in ein Tohuwabohu verwandelt haben. Wenn ich daheim bin, während sie noch herumwerkt, kommt sie alle paar Minuten, ohne anzuklopfen, zu mir rein und regt sich über irgendetwas auf. Bezichtigt mich, dass ich dauernd mit matschigen Schuhen