Ein Einzelzimmer bitte: Paargeschichten
Von Martin Troger
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Über dieses E-Book
Mit psychologischem Gespür und einer herausragenden Beobachtungsgabe erkundet Martin Troger in seinen Kurzgeschichten die Mechanismen zwischenmenschlicher Beziehungen. In einem nüchternen, kühlen Ton wirft er Streiflichter auf ganz unterschiedliche Paarbeziehungen und schafft Stimmungsbilder, die aus dem Leben gegriffen sind.
» Zwischenmenschliches in 20 Kurzgeschichten
» Autor ist Teil des Duos neutro (mit Anna Neuwirth)
» ZOOM-ED ist ein Förderprogramm für Erstlingswerke der Edition Raetia und der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung SAAV
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Buchvorschau
Ein Einzelzimmer bitte - Martin Troger
EICHHÖRNCHEN IM PARK
In den Bäumen vor dem Krankenhaus sprang ein Eichkätzchen von einem Ast zum anderen, und noch ein zweites. Sie verschwanden aus Bens Sichtfeld, hinter die Ecke des Warteraums. Unten floss ein schmaler Bach, den er durch die alten Fenster, die nicht mehr richtig schlossen, noch hören konnte.
Er hatte irgendwo gelesen, dass beides richtig war, sowohl Eichkätzchen als auch Eichhörnchen.
Ben wartete vor ihrem Zimmer darauf, dass Shirleys heutige Untersuchung zu Ende ging. Erst dann konnte er wieder zu ihr, um sich dort, wie fast an jedem Tag der vergangenen Wochen, an ihr Bett zu setzen.
Pflichtbewusst lächelte er sie immer an nach ihren Untersuchungen. Auch wenn ihm nicht danach war, lächelte er ihr mitten ins Gesicht. Sie erinnerte sich immer noch nicht an ihn.
Immer wieder hatte er sich bemühen müssen, sie anzulächeln, sie überhaupt anzuschauen. Sie erinnerte sich an nichts mehr von dem, was sie gemeinsam erlebt hatten, was sie miteinander verband. Ihre Ärzte machten ihm aber immer wieder Hoffnung.
„Solange Sie sie jeden Tag besuchen kommen, gibt es Hoffnung. Sie könnte sich jeden Tag an Sie erinnern. Vielleicht ist es morgen so weit", sagte man ihm. Er kam, auch wenn er lieber woanders gewesen wäre.
„Wie gesagt, nächstes Mal könnte sie sich wieder an Sie erinnern. Nur nicht die Hoffnung aufgeben."
Heute wollte Ben zu ihr sagen: „Erinnere dich doch wenigstens daran, was du mir bei unserem letzten Gespräch draußen an der Spitze der Mole gesagt hast. Er wollte sie fragen: „Weißt du nicht mehr, wie wir im Auto gesessen haben und zurückgefahren sind?
Zu Hause, wenn sie sich gleich nach dem Aufwachen gestritten hatten, hatte Shirley oft zwischen zwei Sätzen einen Schluck Wasser aus dem immer gefüllten Glas auf ihrem Nachtkästchen getrunken. Auch hier stand manchmal ein gefülltes Wasserglas neben ihrem Bett.
Ben betrat wieder Shirleys Krankenzimmer. Er lächelte sie an, genauso wie er jedes Mal lächelte, wenn er ihr Zimmer betrat, genauso höflich.
„Sagt man bei uns Eichkätzchen oder -hörnchen?", fragte Ben.
„Sagen kann man beides", antwortete Shirley.
„Aber was ist richtig?", fragte er.
Das wusste sie nicht. Sie sah ihn nur ungläubig an, so als würde sie nicht wissen, was sie davon halten sollte.
Im Park unten vor dem Krankenhaus hatte sie bei ihrem letzten Spaziergang in der Sonne auf dem Gehsteig gesagt, dass heute ein schöner Tag sei. Sie hatte überrascht ausgesehen, von sich und über das, was sie gesagt hatte.
ZWEI TRÄUME
Er war heute vor ihr aufgestanden, anders als sonst. Gerade leerte er Milch aus dem Milchschäumer in seine Kaffeetasse, in ihre. Sie ging an ihm vorbei. Er wich einer Umarmung aus. Er stellte die beiden Kaffeetassen drüben auf den Tisch.
Sie aß ihr Müsli mit Joghurt. Er hatte eine dick bestrichene handtellergroße Scheibe Brot vor sich, die er in mehrere fingerlange Streifen schnitt. Er nahm einen der Streifen und schob sich das viel zu lange Stück in den Mund. Die Finger schleckte er sich ab. Er hätte sich auch seine ganze Hand in den Mund schieben können. Ihr wäre das wahrscheinlich nicht aufgefallen.
Gestern Morgen hatte er ihr von einem Traum erzählt, den er geträumt hatte. Er hatte sie aufgeweckt und ihn ihr erzählt. Sonst konnte er sich nie so gut an seine Träume erinnern.
Er hatte ihr erzählt, dass er in einem großen Raum in einer Villa vor einem Wolf gestanden habe. Der Raum sei groß und hoch gewesen. Es sei dunkel gewesen, Nacht, und er habe sich nicht bewegen können. Er habe in dem Haus gearbeitet, sei dort angestellt gewesen, als eine Art Diener.
Er hatte sie gefragt, was dieser Traum bedeuten könnte. „Vielleicht, dass ich unzufrieden mit meinem Job bin?" Das war er.
Ein paar Wochen zuvor hatte sie ihm von einem ganz ähnlichen Traum erzählt. Sie hatte auch von einem Wolf geträumt. Auch sie war eine Dienerin gewesen. Sie wusste immer noch nicht, ob Wölfe knurrten oder bellten.
Sie, die immer noch nicht ganz wach war, glaubte wieder, wie in ihrem Traum Wolfsgeheul, ein Wolfsrudel den langen knirschenden Kiesweg zu ihrer Villa heraufkommen zu hören. „Unten an der Mauer sind alle Eingänge offen, sagte sie. „Du muss sie aufgemacht haben.
Sie schnippte mit den Fingern, vielleicht, um ganz wach zu werden. Es gelang ihr nicht.
„Wenn du willst, esse ich mich auf. Du brauchst es mir nur zu sagen", sagte er zu ihr und legte lächelnd seine Hand zwischen sie beide auf den Tisch. Er wusste, dass sie wusste, dass er sich von ihr erwartete, dass sie ihre hineinlegte.
RAUCHERINNEN
Alex, die gerade nach Hause gekommen ist, legt ihren Schlüsselbund auf den weißen Tisch unter der Türsprechanlage. Weil sie vor vier Wochen gemeinsam mit ihrer Nachbarin Frau Hiller mit dem Rauchen aufgehört hat, legt sie nicht, wie früher immer, eine Packung Zigaretten und das Feuerzeug daneben.
Draußen ist es eiskalt. Sie heizt aber auch heute ihren Holzofen nicht ein. Neben dem Ofen steht eine Kiste mit Papiermüll, hellen Holzscheiten und einer Flasche aus durchsichtigem Plastik, gefüllt mit rosafarbenem Spiritus. Sie will nicht mehr nach Rauch riechen.
Alex lebt schon eine ganze Weile in dieser Zweizimmerwohnung mit Garten im Erdgeschoss. Auf dem großen Esstisch für sechs Personen steht ihr aufgeklappter Laptop. Weil der Akku kaputt ist, verläuft das Stromkabel über den Tisch bis zur Steckdose in der grellgrün gestrichenen Wand.
Abends isst Alex immer nur etwas Kaltes, während sie Artikel über pompöse Gerichte für ihren privaten Foodblog alexkocht.de schreibt. Seit einiger Zeit kupfert sie dafür ihre Rezepte von einem eher unbekannten Blog ab, den ihr eine Freundin empfohlen hat. Die Fotos dazu schießt sie am Wochenende. Sie arbeitet Vollzeit und hat deswegen für ihren Blog nicht die Zeit, die sie gerne hätte.
Alex räumt die Einkäufe aus ihrem Rucksack, den sie auf den Stuhl gestellt hat, in den Kühlschrank. Ihre Wohnung liegt an einer der Ecken eines langen zweistöckigen Wohnhauses. Ihr und Frau Hillers Garten sind durch einen Zaun getrennt, der höher als Frau Hiller groß ist. An den anderen beiden Seiten von Alex’ Garten wächst eine hohe Hecke, in der rechten äußeren Ecke ein Laubbaum. Welcher Gattung er angehört, weiß sie nicht. Sie vermutet, dass es eine Linde ist.
„Vielleicht ist es eine Linde", sagt sie häufig, wenn sie von ihrem Garten erzählt.
Alex zieht sich in ihrem Schlafzimmer ihren Pyjama an. Neben der großen Wohnküche gibt es in ihrer Wohnung nur ihr Schlafzimmer und das Bad. Die Küche nach ihren Bedürfnissen einzurichten, ist ihr bei ihrem Einzug am wichtigsten gewesen. Sie nimmt die Zigaretten aus der Stofftasche, die seit Wochen an einer Stuhllehne hängt. Sie verwendet sie nicht mehr, weil ihr der Aufdruck peinlich ist.
Seit Alex vor vier Wochen mit dem Rauchen aufgehört hat, kauft sie sich keine Zigaretten mehr. Sie raucht nur mehr die auf, die noch zu Hause rumliegen. „Es wäre schade drum", meint sie.
Alex zieht sich ihren Bademantel an und darüber ihre Winterjacke, schlüpft in ihre Pantoffeln und geht hinaus in den Garten. Dort lehnt sie sich an die rau verputzte Außenwand neben dem Zaun.
Alex hat sich noch keine Gartenmöbel gekauft und auch noch keinen Rechen. „Rechen sie endlich einmal das Laub zusammen", hat Herr Hiller vor ein paar Tagen aus seiner Wohnung schräg über ihrer von seinem Balkon zu ihr heruntergerufen. Herr und Frau Hiller sind seit