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Des Schicksals Wellen
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eBook347 Seiten4 Stunden

Des Schicksals Wellen

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Über dieses E-Book

Aus geheimnisvollen Gründen drängt Georg Roland seine Tochter Waltraut, ihren Pflegebruder Rudolf zu heiraten. Nur zögernd willigt sie in diese Verlobung ein, denn ihre Gefühle für Robert gehen über geschwisterliche Liebe nicht hinaus. Auf einer Reise nach Ceylon begegnet sie schießlich Jan Werkmeester, der bisher ungekannte Gefühle in ihr weckt. Doch ein dunkles Geheimnis wirft seine Schatten auf die jungen Liebenden ...-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum29. Sept. 2022
ISBN9788728472972
Des Schicksals Wellen

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    Buchvorschau

    Des Schicksals Wellen - Hedwig Courths-Mahler

    Hedwig Courths-Mahler

    Des Schicksals Wellen

    Saga

    Des Schicksals Wellen

    Coverbild/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 1931, 2022 SAGA Egmont

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN: 9788728472972

    1. E-Book-Ausgabe

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

    Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

    www.sagaegmont.com

    Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

    1

    Die beiden besitzer der großen Plantage Larina standen auf der Veranda ihres großen Bungalows. Es waren Vater und Sohn, beides hochgewachsene Männer mit gebräunten Gesichtern. Sie trugen kurze Beinkleider und leichte Jakken aus getöntem Leinen. Es waren zwei prachtvolle Erscheinungen.

    »Also, ich fahre jetzt hinunter, Vater. Die Elefanten müssen in den Fluß, und ich will selber mit in die Schwemme reiten.«

    »Tu das, Jan. Du kannst überall selber noch einmal nach dem Rechten sehen unten auf den Plantagen. Morgen hast du dann mit deinen letzten Reisevorbereitungen zu tun – und übermorgen fährst du nach Kandy.«

    »Ja, Vater, ich habe dann gerade noch Zeit, mit der Bahn von Kandy nach Kolombo zu fahren und rechtzeitig an Bord meines Dampfers zu gelangen. Dann geht es nach Europa.«

    Der Vater legte seine Hand auf die Schulter des Sohnes.

    »Du freust dich auf die Reise, Jan?«

    Dieser sah etwas bekümmert in das seltsam düstere Gesicht des Vaters, in dem tiefe Falten von einem schweren Schicksal sprachen.

    »Ich weiß nicht, Vater, ob ich mich freuen soll. Wenn ich dich nicht allein zurücklassen müßte, würde ich mich bestimmt freuen, aber so reise ich eben nur, um den notwendigen Klimawechsel vornehmen zu können.«

    »Du vergißt die Hauptsache, Jan, du hast mir doch versprochen, dich drüben nach einer Frau umzusehen.«

    Jan sah gedankenverloren ins Weite.

    »Eine Frau? Ach ja, Vater, ich möchte mich sehr gern verheiraten, es ist ein unausgefeiltes Leben hier, wenn man jung ist und keine Frau hat. Ich sehe es doch drüben bei meinem Freund Schlüter, wie schön es ist, eine junge Frau zu haben. Aber ob ich die rechte finden werde? Es ist nicht so leicht, eine weiße Frau hierher zu verpflanzen. Jede geht nicht mit mir – und jede mag ich auch nicht.«

    »Du mußt suchen, Jan – sieh, daß du eine Deutsche findest.« Jan sah den Vater fragend an.

    »Warum gerade eine Deutsche, Vater? Mutter war eine Holländerin, wie du ein Holländer bist – also warum soll ich mir nicht auch lieber eine Holländerin nehmen?«

    Das Gesicht des alten Herrn überflog ein Schatten.

    »Nun gut – es kann auch eine Holländerin sein, Jan.« Dieser sah seinen Vater forschend an.

    »Es ist seltsam, Vater, daß du für alles, was deutsch ist, so eine große Vorliebe hast – aber noch viel seltsamer ist es, daß ich diese Vorliebe teile.«

    In die Stirn des alten Herrn stieg eine leichte Röte, und er wandte sich ab, damit Jan nicht in sein Gesicht sehen konnte.

    »Das ist doch gar nicht so seltsam, Jan. Ich bin drüben auf Sumatra schon mit Deutschen viel zusammen gewesen, deine Mutter ist in einer deutschen Pension erzogen worden, und – deine Freunde drüben auf Saorda sind auch Deutsche. Und sie sind dir lieb und haben dich für ihre Heimat gewonnen.«

    Jan nickte lachend.

    »Ja, Vater, so sehr, daß ich den größten Teil meiner Ferien in Deutschland, im bayrischen Hochgebirge verbringen will. Harry Schlüter sagte mir, daß ich in Tirol und den bayrischen Bergen genug Eis und Schnee finden werde. Danach gelüstet es mich. Es wird Zeit, daß ich mir einmal wieder einen Schneesturm um die Nase wehen lassen kann.«

    Und Jan breitete die Arme aus und merkte nicht, wie es düster in den Augen seines Vaters aufflammte.

    »Also in die Berge willst du gehen?« fragte er heiser.

    Jans Augen leuchteten.

    »Darauf freue ich mich am meisten. Und deshalb werde ich mich auch in Holland nur kurze Zeit aufhalten – da gibt es keine Berge, Vater.«

    »Nein, da gibt es keine Berge.«

    »Es tut mir nur so leid, Vater, daß ich dich allein zurücklassen muß, du bist gerade in letzter Zeit wieder so schwermütig und bedrückt gewesen.«

    »Darauf brauchst du nicht zu achten, Jan, das hat nichts auf sich.«

    »Ich weiß aber, daß du dich sehr einsam fühlen wirst, wenn ich fort bin.«

    Der alte Herr zwang sich zu einem Lächeln.

    »Das mußt du doch auch durchhalten, wenn ich einen Klimawechsel vornehme und dich allein lasse. Zusammen können wir nun mal nicht fort.«

    »Für mich ist es auch nicht so schwer, allein zu bleiben, Vater, ich habe Schlüters zur Gesellschaft. Aber du kommst ja nicht heraus aus dem Haus, kommst selten einmal mit Harry zusammen, wenn ihr euch gerade trefft, und bist sonst nur auf die Eingeborenen angewiesen.«

    »Mache dir keine Sorge um mich, Jan, die Zeit wird mir schnell genug vergehen, denn gottlob gibt es Arbeit in Hülle und Fülle. Ein halbes Jahr ist schnell herum.«

    »Aber ich befürchte, daß ich dich düsterer und schwermütiger als bisher wiederfinden werde.«

    Der Vater legte den Arm um seine Schulter.

    »Bist du dann wieder da, Jan, dann ist es doppelt schön. Und – wenn du eine junge Frau mitbringst –«

    Jan lachte.

    »Rechne nur nicht so bestimmt damit, sonst bist du enttäuscht, wenn ich allein wiederkomme.«

    »Wir wollen es dem Schicksal überlassen, Jan.«

    »Das wollen wir, Vater. Und nun muß ich hinunter – die Treiber warten auf mich, da sie die Elefanten nicht eher ins Wasser lassen wollen, bis ich komme.«

    »Sei vorsichtig, die Tiere sind übermütig, wenn sie ins Wasser kommen.«

    Jan lachte.

    »Ich reite meinen Jumbo, du weißt, er hält die andern vor zu großen Torheiten zurück.«

    Die beiden Herren drückten sich die Hand, und Jan sprang mit zwei Sätzen die Verandastufen hinab, setzte sich an das Steuer seines bereitstehenden Autos und fuhr die scharfen Kurven des Berges hinab ins Tal, zu dem Fluß hinüber.

    Dort warteten seine Leute mit etwa zwanzig Elefanten, die von den Plantagen herübergetrieben worden waren, um zu baden.

    Jan sprang aus seinem Wagen, warf rasch den Tropenhut, die leichte Jacke und die Stiefel hinein und zog das Hemd über den Kopf, so daß er nur mit den kurzen Beinkleidern bekleidet war. Lachend trat er dann an den größten Elefanten heran.

    »Nun, Meister Jumbo, du freust dich wohl schon auf das Bad. Es kann losgehen!«

    Jumbo, der große Elefant, wackelte ein wenig mit seinen Schlappohren, sah sich nach seinem Herrn um, kniff das eine Auge zu und streckte seinen Rüssel einladend aus. Jan schwang sich elastisch auf den Rüssel, und Jumbo hob ihn mit einem eleganten Schwung empor auf seinen Rücken. Die Treiber folgten Jans Beispiel, so daß auf einer Anzahl der größten Elefanten je ein Treiber saß. Die kleineren liefen ohne Führer nebenher.

    Jan ritt nun voraus, und Jumbo watete in den Fluß, stieß einen Trompetenton aus, der den andern Tieren anscheinend als Kommando galt, und sah sich sorglich um, ob die andern auch in den Fluß hineinwateten.

    Das gab nun ein lustiges Bad. Die grauen, breiten Elefantenrücken sahen noch eine Weile trocken aus dem Fluß heraus, aber dann tauchte Jumbo unter, und die andern folgten seinem Beispiel. Es war für die Treiber nicht immer eine leichte Arbeit, ihren Sitz auf dem Rücken der übermütigen Tiere, die sich anscheinend im Wasser sehr wohl fühlten, zu behaupten. Sie wurden verschiedene Male gründlich getaucht, aber es ging alles ganz harmlos ab.

    Jan redete mit Jumbo, als sei er ein verständiger alter Herr. Immer gab Jumbo an, was die andern ihm nachmachen sollten. Es war ein seltsamer Anblick, als all diese massigen Tierrücken nebeneinander den Fluß hinabschwammen.

    So kamen sie fast bis zur Brücke, die über den Fluß führte, als am gegenseitigen Ufer ein Auto aus dem Walde herauskam. Das Auto stoppte, als der am Steuer sitzende Herr die Elefanten sah. Er erhob sich und sprang aus dem Wagen.

    »Hallo, Jan!«

    »Hallo, Harry!«

    »Ist gut, daß ich heute nicht auch meine Elefanten in den Fluß trieb, sonst wäre er übergelaufen«, scherzte Harry Schlüter, der Herr von Saorda, Jans Freund.

    »Mußt ja deine Tiere nicht gerade baden lassen, wenn wir Badezeit haben, Harry. Was hast du vor?«

    »Ich fahre heim. Kannst du nicht mitkommen? Dora könnte eine kleine Aufmunterung brauchen, sie ist wieder ein wenig heimwehkrank, seit deine Reise nach Europa feststeht.«

    »Wenn du warten willst, bis ich die Tiere heraus habe, komme ich mit, ich wollte heute ohnedies meinen Abschiedsbesuch bei Frau Dora machen.«

    »Abschiedsbesuch? O weh, da wird es wieder Tränen geben bei meiner Frau. Ist es denn schon soweit?«

    »Ja, übermorgen reise ich ab, und morgen möchte ich dann Vater nicht allein lassen. Also warte ein paar Minuten, wir treiben gleich aus dem Fluß.«

    Und Jan trieb Jumbo an das Ufer zurück. Sehr erbaut war dieser anscheinend nicht, aber Jan redete ihm gut zu.

    »Jumbo, du willst doch nicht ein schlechtes Beispiel geben? Raus aus dem Wasser!«

    Jumbo kniff das Auge zu, stieß wieder einen Trompetenton aus, um seine Artgenossen zu veranlassen, ihm zu folgen. Die schweren Tierleiber wälzten sich an das Ufer. Jumbo stieg als erster aus dem Wasser, und die andern folgten. Während Jan die Landung der Tiere überwachte, zog er die nassen Sachen aus, schüttelte das Wasser von sich und streifte sie wieder über. In wenigen Minuten war er fertig.

    Die Tiere wurden von den Treibern zu den Plantagen zurückgetrieben, und Jan sprang an das Steuer seines Wagens. Schnell ging es über die Brücke zu dem andern Ufer. Da hielt er seinen Wagen neben dem Harry Schlüters an.

    Die Freunde reichten sich die Hände, und dann fuhren sie hintereinander nach Saorda, der Schlüterschen Besitzung. Das Wohnhaus Harry Schlüters lag auch oben auf einem Berge, weil oben die Luft besser war. Im scharfen Tempo nahmen sie die Kurven aufwärts und hielten bald vor dem Schlüterschen Bungalow. Auf der Veranda saß eine schlanke, junge Frau. Sie sprang auf und warf die Näherei in weitem Bogen von sich. Eiligst kam sie die Treppe herunter und flog in ihres Mannes Arme.

    Dann begrüßte sie auch Jan.

    »Famos, daß Sie mitkommen, Jan, ich brauche sehr nötig Ihre gute Laune. Ich habe einen Brief von meiner Freundin Waltraut bekommen, mit einer Absage. Sie bekommt von ihrem Vater keinen Urlaub, mich zu besuchen.«

    Jan schüttelte ihr die Hand.

    »Frau Dora, das wäre doch auch wider die Abrede gewesen, wenn Ihre Freundin nach Saorda kommen würde, wenn ich in Europa bin.«

    »Ich kann mir die Zeit leider nicht aussuchen, Jan, Sie müssen bedenken, daß Waltraut bei ihrem Vater einmal eine günstige Stimmung abpassen muß, in der sie ihm die Erlaubnis zu dieser Reise abschmeicheln kann. Sie möchte ja sehr gern kommen, aber der Vater will sie nicht fortlassen. Also muß ich weiter warten. Und nun reisen auch Sie bald fort, und dann bringen Sie sich sicher eine Frau mit heim.«

    »Setzen Sie mir nicht auch noch zu, Frau Dora, mein Vater hat mir den Kopf schon warm genug geredet. Ich will ja auch ganz gern heiraten, aber so eine Frau müßte ich finden, wie Ihre Freundin ist. Zeigen Sie mir doch noch einmal ihr Bild, Frau Dora.«

    Dora brachte das Bild ihrer Freundin herbei. Jan sah lange in das reizende Mädchengesicht, dann atmete er tief auf.

    »Also wie gesagt, zeigen Sie mir eine Frau wie diese, und ich heirate sie auf der Stelle«, scherzte er.

    Frau Dora lachte.

    »Das haben Sie mir schon wiederholt gesagt, Jan, aber wer weiß, ob Sie sich diesmal nicht schon eine Frau mitbringen werden. Wenn Waltraut dann endlich kommen wird, sind Sie längst glücklicher Ehemann.«

    Jan sah wieder lange in das Gesicht Waltrauts und sagte dann, das Bild Frau Dora zurückreichend:

    »Wer weiß, Frau Dora. Ich bin allerdings des eintönigen Lebens müde. Warum soll es Harry allein so gut haben, eine schöne junge Frau sein eigen nennen zu können.«

    Frau Dora lachte.

    »Sie üben sich wohl schon in Komplimenten, Jan. Wann reisen Sie denn nun?«

    »Ich komme, um Abschied zu nehmen, Frau Dora. Übermorgen geht es fort.«

    Dora Schlüter schluckte verstohlen ein paar Tränen hinunter, damit ihr Mann nicht merkte, wie sie das Heimweh packte. Sie wollte ihn doch nicht betrüben.

    »Also, so bald schon?«

    »Ja. Und ich wollte Sie und Harry herzlich bitten, sich mal nach meinem Vater umzusehen. Ich bin in großer Sorge um ihn. Er wird, wenn ich fort bin, noch viel düsterer und schwermütiger werden.«

    »Ich suche ihn zuweilen auf, Jan. Aber seine Schwermut werde ich kaum heilen können.«

    »Die ist nicht mehr zu heilen, Harry. Seit ich meinen Vater kenne, ist er nicht anders gewesen. Irgend etwas Schweres lastet auf ihm, etwas, das in der Vergangenheit liegt. Er spricht sich nie aus darüber, und deshalb kann ich ihm nicht helfen. Ich bitte dich nur, zuweilen nach ihm zu sehen, damit er sich nicht gar zu einsam fühlt.«

    »Das ist selbstverständlich.«

    Inzwischen hatte Frau Dora eine Erfrischung bestellt, eine der Dienerinnen brachte sie heraus. Die drei Menschen saßen beisammen auf der Terrasse und hatten einander noch viel zu sagen. Dann wurde Abschied genommen, er tat allen weh. In der weltabgeschiedenen Einsamkeit, in der sie hier im fremden Lande lebten, war es schwer, einen zu entbehren.

    Frau Dora weinte, und auch den Männern wurden die Augen feucht. Dann raffte sich Jan auf.

    »Hallo, Frau Dora, jetzt zum Abschied noch einmal klare Augen und ein frohes Lachen. Sechs Monate sind bald vorbei, dann sehen wir uns wieder. Harry, führe deine Frau einige Male nach Kandy, damit sie das Tanzen und das Lachen nicht verlernt.«

    Dora erzwang ein Lachen, die Hände wurden noch einmal geschüttelt, dann sprang Jan in seinen Wagen und fuhr davon. Dora warf sich in die Arme ihres Mannes, die sie fest und liebevoll umfingen.

    Jan fuhr auf seine Plantage und sah überall nach dem Rechten. Dann kehrte er nach Hause zurück.

    Am übernächsten Tage reiste er ab. Sein Vater sah ihm mit umflorten Augen nach. Ein brennendes Weh malte sich in seinem Gesicht. Würde er seinen Sohn noch einmal wiedersehn – seinen einzigen – den einzigen, den ihm das Schicksal gelassen?

    Langsam, mit schweren Schritten ging er ins Haus zurück, warf sich in einen Sessel und stützte die Arme auf den Tisch. Und seine Gedanken flogen in die Vergangenheit zurück – und suchten da draußen in der Welt –, was ihm teuer war – was er verloren hatte.

    »Hast du einen Moment Zeit für mich, lieber Vater?«

    »Einen Moment? Der ist schon vorbei.«

    »Also fünf Minuten!«

    »Gut, die bewillige ich dir. Was hast du auf dem Herzen, Waltraut?«

    »Ich habe wieder einen Brief von Dora Schlüter. Sie bittet mich dringend, sie auf längere Zeit zu besuchen. Willst du mir wirklich nicht erlauben, es zu tun?«

    »Aber Kind, darüber haben wir doch schon oft debattiert.«

    »Ja, Vater, und leider hast du mir nie eine Zusage gegeben.«

    »Könntest du es wirklich ernsthaft in Erwägung ziehen, mich so lange zu verlassen?«

    »Ach, lieber Vater, du wirst mich – leider – kaum vermissen. Du bist von deinen Geschäften immer so stark in Anspruch genommen oder bist im Klub. Und wenn du doch einmal daheim bist, dann sprichst du meist mit Rudolf über Geschäfte oder über Dinge, die ich nicht verstehe. Ihr beiden vergeßt dann ganz, daß ich auch auf der Welt bin. Und deshalb wird es euch kaum zu Bewußtsein kommen, wenn ich einmal fort bin.«

    Georg Roland sah etwas unsicher zu seiner Tochter auf, die, rank und schlank in ihrem eleganten Kostüm vor ihm stehend, einen sehr erfreulichen Anblick darbot. Es zuckte leise in seinem Gesicht, wie ein vorüberhuschender Schmerz, aber dann wurde sein Blick wieder ganz ruhig. Er faßte ihre Hand und zog sie näher zu sich heran an den Schreibtisch, an dem er saß.

    »Waltraut, für wen arbeite ich denn, wenn ich mich in Geschäfte vergrabe?«

    Diese Worte klangen weicher, als er sonst zu sprechen pflegte. Das rührte an Waltrauts Herz. Sie legte den Arm um seinen Hals und strich ihm mit der andern Hand zärtlich über die Stirn.

    »Ich weiß, Vater, du tust es für mich. Aber was hilft es mir, wenn du immer mehr Reichtümer für mich sammelst und mich doch darben läßt an deiner Liebe, an deiner Gesellschaft? Ich möchte lieber ärmer sein, wenn ich nur nicht immer so einsam zu sein brauchte.«

    Er lehnte sich einen Moment mit geschlossenen Augen in ihren Arm zurück und empfand das wie eine Wohltat. Aber dann riß er sich gleich wieder zusammen.

    »Das wird alles anders werden, Waltraut.«

    »Willst du dich endlich vom Geschäft zurückziehen und dir mehr Ruhe gönnen? Soll ich etwas von meinem Vater haben? Dann verzichte ich natürlich auf die Reise zu Dora.«

    Er schüttelte den Kopf.

    »Aber Kind, mit kaum fünfundsechzig Jahren setzt man sich doch noch nicht zur Ruhe. Ich werde mich doch nicht außer Kurs setzen.«

    »Rudolf könnte dich doch vertreten.«

    »Rudolf? Nun ja, später einmal, wenn ich mich nicht mehr arbeitsfähig fühle, dann soll Rudolf mein Nachfolger werden, obwohl er nicht mein Fleisch und Blut ist. Aber noch stehe ich selbst meinen Mann. Und du darfst nicht neidisch sein auf meine Geschäfte. So ein großes Handelshaus braucht ungeteilte Aufmerksamkeit, es ist doch mein Lebenswerk. Als ich es von meinem Vater erbte, stand es schon auf der Höhe, aber ich habe es doch noch weiter emporgebracht und bin stolz darauf. Und meine ganze Kraft gehört der Firma Roland, solange ich welche habe. Aber sei versichert, wenn ich mich dir auch nicht viel widmen kann, so gehört dir doch meine väterliche Liebe, meine Fürsorge.«

    Wieder streichelte sie seine Stirn.

    »Das weiß ich, lieber Vater, sonst wäre es auch noch viel trauriger für mich, daß ich so wenig von dir habe.«

    Er sah sie mit einem forschenden Blick an.

    »Du hast doch Rudolf? Ist er dir nicht sehr viel?«

    Sie merkte nicht, daß eine gewisse Unruhe in seiner Frage lag.

    »Ja doch, Rudolf ist mir gewiß lieb und wert, ich habe ihn lieb, als sei er mein richtiger Bruder, und was er an Zeit übrig hat, widmet er mir. Aber das ist eben sehr wenig. Auch er wird ja von Geschäften ganz in Anspruch genommen, wenn er nicht mit dir konferiert oder mit dir im Klub ist. Ihr beide seid immer zusammen und könnt mir gar nicht nachfühlen, wie das ist, wenn man den ganzen Tag so einsam und allein ist. Du solltest mich wirklich beurlauben, ich bin so leicht abkömmlich. Im Hause läuft auch alles ohne mich wie am Schnürchen unter der Aufsicht unserer Haushälterin. Laß mich doch nach Ceylon, Vater.«

    Er richtete sich schroff auf, und sein Gesicht bekam einen harten, strengen Ausdruck, der ihr immer den Vater so fremd machte. Sie wußte, daß er gegen sich selbst am strengsten und härtesten war. Irgend etwas war aber in des Vaters Wesen, über das hinweg sie zuweilen den Weg zu seinem Herzen nicht finden konnte.

    »Es geht nicht, Waltraut, ich kann dich nicht für lange Zeit fortlassen. Eine Reise zu deiner Freundin würde mindestens einige Monate in Anspruch nehmen, denn zur Reise allein brauchst du hin und zurück fast zwei Monate. Auch könntest du diese Reise nicht allein machen.«

    »Doch, Vater, ich würde mich unter den Schutz des Kapitäns stellen, sehr viele Damen müssen solche Reisen allein machen.«

    Der alte Herr machte eine hastig abwehrende Bewegung.

    »Es geht nicht, schon deshalb nicht, weil ich andere Pläne habe. Doch davon später, die fünf Minuten sind schon längst verstrichen. Laß mich jetzt allein.«

    Er küßte sie auf die Stirn, und ein trüber, sorgenschwerer Blick in seinen Augen hinderte sie an jedem weiteren Einwand. Still und beklommen verabschiedete sie sich und ging hinaus aus dem Privatkontor des Vaters, das in der ersten Etage des großen Geschäftshauses lag. Er sah ihr mit einem Blick nach, der sie tief erschüttert haben würde. Und ein dumpfer Seufzer stieg wie ein Stöhnen aus seiner Brust empor.

    Als sie auf das Treppenhaus hinaustrat, kam gerade der Fahrstuhl auf der Etage an, und ein hochgewachsener junger Herr trat heraus. Er mochte fast die Mitte der Dreißig erreicht haben und war ohne Hut und Überrock. Aus seinem offenen sympathischen Gesicht leuchteten zwei graue, kluge Augen, in denen viel Güte lag, als er sie jetzt auf Waltraut richtete, während sein Gesicht sonst einen sehr energischen, bestimmten Ausdruck hatte. Lächelnd trat er auf sie zu, während der Fahrstuhl mit einigen anderen Herren weiter hinauffuhr.

    »Du hier in unserem nüchternen Geschäftshaus, Waltraut, das dir doch sonst so unsympathisch ist?«

    Damit reichte er ihr die Hand.

    Sie seufzte tief auf. »Ja, Rudolf, es ist mir sehr unsympathisch, manchmal hasse ich es direkt wie einen Moloch, der alles, was mir lieb ist, auffrißt«, sagte sie zornig.

    Er lachte leise.

    »Aber Schwesterchen, du siehst ja ganz kriegerisch aus. Bist du so schlecht gelaunt?«

    Kläglich sah sie zu ihm auf.

    »Betrübt bin ich, sehr betrübt, weil Vater meine Bitte rundweg abgeschlagen hat zum soundsovielten Male.«

    »Was denn für eine Bitte?«

    »Dora hat wieder geschrieben und mich dringend um meinen Besuch gebeten. Ich soll auf einige Monate zu ihr kommen.«

    »Ah, also wieder Reiselust, Waltraut? Und Vater hat deine Bitte wieder abgelehnt?«

    »Leider!«

    »Möchtest du uns denn so gern allein lassen, kleine Waltraut?« Er fragte das mit einem warmen Lächeln.

    Vorwurfsvoll sah sie ihn an. »Ihr braucht mich ja gar nicht, ich bin so überflüssig, das habe ich Vater auch gesagt.«

    Er streichelte ihre Hand.

    »Überflüssig? Das ist doch nicht dein Ernst, Waltraut?« fragte er ernst.

    »Doch, ihr habt immer allerlei vor, nie habt ihr Zeit für mich. Ich bin so viel allein, das spüre ich um so mehr, da ich leider keine ausfüllende Tätigkeit habe.«

    »Du stehst doch im Haushalt vor.«

    Sie zuckte die Achseln. »Nur nominell! In Wahrheit geht ohne mich alles viel besser. Frau Hag hat alles am Zügel und versteht ja auch alles besser als ich, und unsere Leute sind sehr tüchtig. Alles um mich her hat ernste Pflichten, nur ich nicht – ich bin einfach überflüssig.«

    Er legte den Arm leicht um ihre Schulter.

    »Aber Schwesterchen, was ist mit dir, so kenne ich dich gar nicht.« Es zuckte um ihren Mund.

    »Kennt mich denn überhaupt ein Mensch, nimmt sich jemand nur die Zeit dazu, mich richtig kennenzulernen? Vater denkt, es ist alles gut und in Ordnung, wenn er Geld für mich verdient, und du – du wirst vom Vater immerfort in Anspruch genommen und vom Geschäft.«

    Er sah sie forschend an und strich ihr dann über die Wange.

    »Es wäre vielleicht wirklich gut, wenn du einmal für eine Weile fortkämest, dann würdest du vielleicht am ehesten erkennen, daß du im Grunde doch der Mittelpunkt bist, um den sich alles dreht, und daß du durchaus nicht überflüssig bist.«

    »Vater läßt mich aber nicht fort.«

    »Er fürchtet die Trennung von dir.«

    Sie sah ihn fragend an.

    »Glaubst du das wirklich?«

    »Aber Waltraut, er hat dich doch lieb!«

    »Soweit er sich Zeit läßt, sich darauf zu besinnen, und das geschieht sehr selten«, sagte sie mit schmerzlicher Bitterkeit.

    »Du bist ungerecht, Waltraut«, sagte er ernst und vorwurfsvoll.

    Sie seufzte. »Vielleicht – ich weiß nicht, wie es kommt, daß ich in dieser Beziehung so anspruchsvoll bin. Dafür hältst du mich doch gewiß. Und ich weiß ja natürlich auch, daß Vater nur für uns arbeitet, für dich und mich.«

    »Hauptsächlich doch für dich, Waltraut, du bist ja sein einziges Kind.«

    Ernst sah sie ihm in die Augen.

    »Du bedeutest ihm trotzdem mehr als ich.«

    Er stutzte und sah sie fast erschrocken an.

    »Waltraut, du bist doch nicht etwa eifersüchtig, du wirst mir doch nicht mißgönnen, daß dein Vater mir auch ein Vater wurde?«

    Lächelnd hing sie sich an seinen Arm und sah ihn mit einem liebevollen Ausdruck an.

    »Aber nein, um Gottes willen, so mußt du das nicht auffassen, Rudolf. Ich gönne dir die Liebe meines Vaters, wie ich sie einem rechten Bruder gönnen würde. Nur erkenne ich einfach Tatsachen. Es ist doch so verständlich, daß du ihm näherstehst als ich. Du warst schon jahrelang von ihm als Sohn angenommen, als ich zur Welt kam, und er hing an dir mit einer so großen Beharrlichkeit, daß es mir schwer wurde, ein Plätzchen in seinem Herzen zu erobern, genau, als hätte ich schon einen großen Bruder gehabt. Was soll ein Mann wie mein Vater mit einem kleinen Mädchen anfangen? Wenn Mutter noch am Leben wäre, dann wäre ja alles gut. Solange sie lebte, habe ich mich nicht einsam gefühlt, obwohl ich da von Vater und dir auch nicht mehr hatte. Aber – nun habe ich Mutter doch nicht mehr.«

    Es klang ein tiefer Schmerz aus ihren Worten. Eine tiefe Rührung flog über Rudolfs Gesicht.

    »Ja, leider ist sie von uns gegangen, deine liebe, herrliche Mutter. Sie war die personifizierte Menschengüte. Nie vergesse ich ihr, wie mütterlich sie für mich, den Heimatlosen, gesorgt hat. Ich kann dir sehr gut nachfühlen, Waltraut, wie sehr sie dir fehlt, wie einsam du dich ohne sie fühlst. Habe ich doch selbst die Lücke, die sie hinterließ, schmerzlich empfunden. Das Scheiden von dir ist ihr auch sehr schwer geworden, sie hing mit zärtlicher Inbrunst an dir.«

    Waltraut nickte und schluckte aufsteigende Tränen hinunter.

    »Ja, siehst du, Mutter gehörte in der Hauptsache mir, Vater gehört in der Hauptsache dir. So war es immer, und es war gut so. Aber nun habe ich Mutter nicht mehr, und das macht mich so einsam. Deshalb gönne ich dir Vaters Liebe aber von Herzen. Ein Vater braucht einen Sohn mehr, eine Mutter

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